Ende 2008 erschienen die neuen ESC-Leitlinien zum „Management von Patienten mit akutem Herzinfarkt und persistierender ST-Streckenhebung [1]. Hierbei handelt es sich nicht um eine einfache Aktualisierung, sondern um eine komplette Überarbeitung der vorausgegangenen ESC-STEMI-Leitlinien vom Jahr 2003 [2]. Die DGK hat die neuen ESC-STEMI-Leitlinien „ratifiziert“, sodass sie nun auch in Deutschland gelten. Zeitgleich mit diesem Kommentar erscheint die Übersetzung der „Pocket-Leitlinien“ mit den wichtigsten Aussagen der Original-Volltextversion. Ziel dieser Arbeit ist es, die ESC-STEMI-Leitlinien aus Sicht der DGK zu kommentieren, zu ergänzen und aufgrund zwischenzeitlich erschienener neuer Studien dem neuesten Wissensstand anzugleichen.

Während die Kapitel Thrombolyse, Antikoagulation und Sekundärprävention in den ESC-Leitlinien unverändert auf dem neuesten Stand sind, gibt es bei den Kapiteln Infarktnetzwerke, Embolieprotektion und Stentauswahl bei primärer PCI, Art und Dosierung des Thienopyridinderivates sowie der anhaltenden Diskussion über eine prähospitale Gabe eines Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitors Aktualisierungs- bzw. Ergänzungsbedarf.

A. Kernaussagen der neuen ESC-STEMI-Leitlinien

  1. 1.

    Ein STEMI liegt vor, wenn bei mindestens 10–20 min anhaltender entsprechender Symptomatik eine persistierende ST-Streckenhebung oder ein (vermutlich) neu aufgetretener Linksschenkelblock nachweisbar ist. Um die Entscheidung zur Einleitung einer Reperfusionstherapie zu fällen, müssen die Laborergebnisse nicht abgewartet werden.

  2. 2.

    Die möglichst unverzügliche Wiedereröffnung des verschlossenen Infarktgefäßes steht nach wie vor im Mittelpunkt der Behandlung von Patienten mit STEMI.

  3. 3.

    Die möglichst rasche prähospitale klinische und EKG-Diagnose eines STEMI ist für die Optimierung des Zeitablaufs zwischen Symptom- und Reperfusionsbeginn unerlässlich. Dies wird am besten durch die Etablierung eines Netzwerkes von Kliniken mit und ohne PCI-Bereitschaft erreicht, die durch ein effizientes Rettungswagensystem verknüpft sind. Kliniken mit PCI-Bereitschaft müssen diese durchgehend (24 h/7 Tage) vorweisen.

  4. 4.

    Die beste Reperfusionsstrategie ist die durch ein erfahrenes Team durchgeführte primäre PCI mit Stentimplantation.

  5. 5.

    Die primäre PCI sollte so rasch wie möglich, aber spätestens noch innerhalb von 2 h nach der EKG-Diagnose (sog. „medizinischer Erstkontakt“) durchgeführt werden. Bei Patienten mit großem Infarkt ist diese Zeitspanne mit maximal 90 min kürzer.

  6. 6.

    Wenn absehbar ist, dass die primäre PCI nicht innerhalb der genannten Zeitgrenzen durchgeführt werden kann, sollte eine Fibrinolyse (vorzugsweise mit einer fibrinspezifischen Substanz) sofort, entweder prähospital oder in einer Nicht-PCI-Klinik eingeleitet werden.

  7. 7.

    Alle Patienten sollten grundsätzlich möglichst rasch Acetylsalicylsäure (i.v. oder zum Kauen), eine Bolusdosis eines Thienopyridinderivates (z. B. Clopidogrel) sowie eines der folgenden Antikoagulanzien erhalten: bei geplanter primärer PCI: vorzugsweise Bivalirudin oder (unfraktioniertes) Heparin, nach Einleitung einer Fibrinolyse mit einer fibrinspezifischen Substanz: Enoxaparin oder Heparin.

  8. 8.

    Im Falle einer nicht erfolgreichen Fibrinolyse muss eine „Rettungs-PCI“ erfolgen, insbesondere, wenn der Infarkt groß ist und die PCI noch innerhalb von 12 h nach Symptombeginn durchgeführt werden kann.

  9. 9.

    Auch bei einer erfolgreichen Thrombolyse soll der Transport in eine PCI-Klinik möglichst rasch erfolgen, um 3–24 h nach Lysebeginn eine invasive Koronarangiographie in PCI-Bereitschaft durchzuführen.

  10. 10.

    Kurz nach der PCI bzw. 24–48 h nach der Fibrinolyse kann die Antikoagulation beendet werden.

  11. 11.

    Bei Patienten mit deutlicher LV-Dysfunktion sollte schon am ersten Tag ein oraler ACE-Hemmer gegeben werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen.

  12. 12.

    Die routinemäßige i.v.-Verabreichung eines β-Bockers ist nicht indiziert. Eine orale β-Blocker-Gabe sollte eingeleitet werden, sobald der Patient stabil ist.

  13. 13.

    Eine Statingabe sollte so bald wie möglich eingeleitet werden, um – unabhängig vom initialen Cholesterinspiegel – den Zielwert des LDL-Cholesterins von <100 mg/dl (2,5 mmol/l) zu erreichen. Noch vor Entlassung aus der Klinik müssen die individuellen Risikofaktoren der Atherosklerose identifiziert und deren Behandlung eingeleitet werden.

  14. 14.

    Nach der Entlassung sollten – falls keine Kontraindikationen vorliegen – alle Patienten mit ASS, einem Thienopyridin und einem Statin behandelt werden. Patienten mit relevanter LV-Dysfunktion sollten darüber hinaus einen ACE-Hemmer (oder ARB) erhalten. Die Daten zur Langzeitgabe von β-Blockern nach STEMI stammen aus der Präreperfusionsära. Die Evidenz einer routinemäßigen β-Blocker-Langzeitgabe bei STEMI-Patienten mit nach erfolgreicher Reperfusion erhaltener LV-Funktion ist nicht gut dokumentiert.

B. Spezielle Kommentare zu den ESC-STEMI-Leitlinien

1. Optimaler zeitlicher Ablauf und Netzwerk

Die Abb. 1 erläutert schematisch die wichtigsten Zeitintervalle im Zusammenhang mit einer Reperfusionstherapie. Die Diagnose eines STEMI wird im Rahmen des „ersten medizinischen Kontaktes“ (EMK) anhand der Symptomatik und des EKGs gestellt. Hierbei kann der EMK durch speziell ausgebildete Rettungssanitäter oder einen Notarzt vor Ort, aber auch in der Notaufnahme einer Klinik oder in einer Praxis erfolgen. Optimal ist eine möglichst sofortige EKG-Diagnose beim EMK, d. h. im Falle eines Eintreffens des Rettungspersonals in der Wohnung des Patienten durch den Notarzt bzw. Rettungssanitäter. Falls eine telemedizinische Beurteilung des EKGs durchgeführt wird, sollte die EKG-Übertragung, Konsultation und Entscheidungsfindung innerhalb von 10–15 min abgeschlossen sein [1]. Findet der EMK in der Notaufnahme einer Klinik oder Praxis statt, dann muss unverzüglich ein EKG angefertigt werden.

Abb. 1
figure 1

Wichtigste Zeitintervalle in der Reperfusionstherapie von Patienten mit STEMI. DTN („door-to-needle time“): Die maximal „erlaubte“ Zeitdifferenz zwischen erstem medizinischem Kontakt (EMK) und Lysebeginn beträgt 30 min. Im Falle einer primären PCI muss diese bei allen Patienten innerhalb von 120 min nach dem EMK beginnen (EMK bis PCI-Beginn). Somit ergibt sich eine zeitliche Obergrenze für die „PCI-bedingte Verzögerung“ von 90 min. (Näheres s. Text und Abb. 2)

Die zeitliche Verzögerung zwischen Beginn der Symptomatik und der EKG-Diagnosestellung hängt einerseits vom Patienten („Griff zum Telefon“), andererseits aber auch von den regionalen Gegebenheiten, also dem Organisationsgrad des Rettungssystems und der Entfernung zur nächsten Klinik ab (Abb. 1).

Im Falle einer Thrombolyse darf die maximale „door-to-needle time“ 30 min nicht überschreiten: Dies gilt sowohl im Falle des Eintreffen des Rettungspersonals in der Wohnung des Patienten („door“ = Wohnungstür des Patienten), als auch wenn der Patient die Klinik selbst aufsucht („door“ = Klinikpforte; [1]). Fällt die Entscheidung zur primären PCI, muss die maximale Zeitdifferenz zwischen dem EMK und dem PCI-Beginn unter 2 h liegen (Abb. 1, Abb. 2). Hier geht im Wesentlichen einerseits die Entfernung bis zur nächsten PCI-Klinik, andererseits die „door-to-balloon time“ ein. Es ist selbstverständlich, dass die „door-to-balloon time“ so kurz wie möglich gehalten werden muss.

Abb. 2
figure 2

Reperfusionsstrategien bei Patienten mit STEMI. Der dicke Pfeil symbolisiert die bevorzugte Therapieform. Die primäre PCI sollte möglichst unmittelbar, nicht aber später als 2 h nach dem ersten medizinischen Kontakt (EMK) begonnen werden. Lediglich bei Patienten mit großem Vorderwandinfarkt, bei denen die Diagnose innerhalb von 2 h nach Symptombeginn gestellt werden konnte, beträgt die maximal „erlaubte“ Zeitverzögerung zwischen EMK und PCI-Beginn 90 min. Falls das Einhalten dieser zeitlichen Obergrenzen nicht möglich ist, muss – bei fehlenden Kontraindikationen – die Lyse möglichst sofort eingeleitet werden. Auch im Falle einer erfolgreichen Lyse soll innerhalb von 24 h (aber nicht früher als 3 h) eine Herzkatheteruntersuchung in PCI-Bereitschaft erfolgen

Die genannten Zeitangaben basieren auf der Differenz zwischen dem theoretisch sofort nach der Diagnosestellung möglichen Lysebeginn vor Ort und dem – von den gegebenen regionalen Umständen abhängigen – möglichen Beginn der PCI, also der „PCI-bedingten Verzögerung“ (Abb. 1). Die maximal tolerable „PCI-bedingte Verzögerung“ ist aus vielen Studien post-hoc berechnet worden, eine zu diesem Problem speziell durchgeführte randomisierte Studie existiert nicht. Hinzu kommt, dass die maximal tolerable „PCI-bedingte Verzögerung“ auch von der Zeitdifferenz zwischen Schmerzbeginn und Beginn der Reperfusionstherapie, der Größe und Lokalisation des Infarktes sowie vom Patientenalter abhängt [3]. In verschiedenen Metaanalysen, in denen die Beziehung zwischen „PCI-bedingter Verzögerung“ und der Mortalität untersucht wurde, ergaben sich maximal tolerable Zeitgrenzen im Vergleich zu Streptokinase von 170 min [4] bzw. im Vergleich zu fibrinspezifischen Substanzen von 62 min [4]. Fasst man alle Studien zusammen, so berechnet sich eine maximal tolerable Zeitgrenze von 110 [5], 114 [3] bzw. 120 min, innerhalb derer die PCI ihre Überlegenheit im Vergleich zur Thrombolyse behält [6]. Lediglich bei Patienten mit großem Vorderwandinfarkt, bei denen die Diagnose innerhalb von 2 h nach Symptombeginn gestellt werden konnte, ist die maximal „erlaubte“ PCI-bedingte Zeitverzögerung mit 90 min geringer [1]. Zieht man von diesen empfohlenen maximalen Zeitintervallen die „door-to-needle time“ von 30 min ab, so ergibt sich eine in den Leitlinien maximal „erlaubte“ PCI-bedingte Verzögerung im Regelfall von maximal 90 min und bei Patienten mit großem Vorderwandinfarkt von 60 min.

Die Abb. 2 ist das „Kernstück“ der ESC-STEMI-Leitlinien zu den empfohlenen Reperfusionsstrategien. Grundsätzlich ist die primäre PCI die bevorzugte Reperfusionsstrategie. Diese sollte so schnell wie möglich, am besten innerhalb von 1 h – aber bei keinem Patienten später als 2 h nach dem EMK erfolgen.

Falls das Einhalten dieser zeitlichen Obergrenzen nicht möglich erscheint, muss – bei fehlenden Kontraindikationen – die Lyse (vorzugsweise mit einem fibrinspezifischen Agens) möglichst sofort eingeleitet werden. Diese kann prähospital oder in einer Nicht-PCI-Klinik erfolgen. In Kliniken mit PCI-Möglichkeit darf nicht aus „organisatorischen Gründen“ (keine 24-h-Rufbereitschaft) lysiert werden. Falls die Katheteranlage aus technischen Gründen außer Betrieb ist, muss eine Weiterverlegung in eine bereitstehende PCI-Klinik erfolgen.

Nach eingeleiteter Thrombolyse sollte grundsätzlich möglichst umgehend die Verlegung in eine PCI-Klinik folgen: Falls die Thrombolyse nicht erfolgreich ist, kann die „Rettungs-PCI“ („rescue PCI“) dann auch ohne weitere Verzögerung beginnen (CARESS-in-AMI [7]). Auch im Falle einer erfolgreichen Thrombolyse sollte (wenn keine Kontraindikationen vorliegen) eine invasive Koronarangiographie in PCI-Bereitschaft durchgeführt werden (Abb. 2). Wie schon in den ESC-PCI-Leitlinien von 2005 empfohlen [8], ist die Thrombolyse nicht als endgültige Therapie anzusehen. Auch wenn „kurz“ nach der Thrombolyse eine PCI anzustreben ist (TRANSFER-AMI [9]), sollte diese in Anbetracht der ASSENT-IV-Ergebnisse nicht innerhalb der ersten 3 h nach Thrombolyse stattfinden ([10]; Abb. 2).

Ein gut funktionierendes regionales Netzwerk, basierend auf einer zuverlässigen prähospitalen Diagnostik und schnellstmöglichem Transport in eine geeignete Klinik, ist der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung und verbessert signifikant den klinischen Verlauf [11]. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten liegt die Bundesrepublik Deutschland – was die Datenerfassung möglichst aller STEMI-Patienten anbetrifft – weit hinter den slawischen und skandinavischen Staaten, sowie Griechenland, Italien, Israel, Ungarn und Großbritannien zurück [12]. Vergleicht man aber die Häufigkeit einer Reperfusionstherapie (Lyse und PCI zusammen), so liegt Deutschland hinter Tschechien und Belgien mit 88% der STEMI-Patienten an dritter Stelle [12]. Allerdings ist das Notarzt- bzw. Alarmwesen in Deutschland noch ausbaufähig: So liegt Deutschland mit einer mittleren Zeitdifferenz zwischen Symptombeginn und medizinischem Erstkontakt von 90 min hinter Frankreich und Großbritannien (jeweils 68 min) zurück. Aufgrund seiner im Vergleich zu den anderen Staaten höchsten Dichte von primären PCI-Zentren mit 24-h-Rufbereitschaft (265.000 Einwohner pro primärem PCI-Zentrum) liegt Deutschland mit 730 primären PCIs pro 1 Mio. Einwohner nach der Schweiz (970) an zweiter Stelle [12]. Die in Deutschland mittlere Zeitdifferenz zwischen medizinischem Erstkontakt und Balloninflation von 120 min ist zwar gerade noch im tolerierten Bereich der ESC-STEMI-Leitlinien, wäre aber sicher noch verbesserungsfähig. Die mittlere Hospitalmortalität nach primärer PCI liegt in Deutschland mit 5,3% im mittleren Bereich [12].

Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren

Seit den positiven Daten einer Untergruppenanalyse der ADMIRAL-Studie vor 9 Jahren wird die prähospitale bzw. „Upstream-Verabreichung“ von Abciximab vor primärer PCI als eine spezielle Form der „facilitated PCI“ diskutiert [13]. TIGER-PA [14] und BRIDGING [15] untermauerten die Notwendigkeit der Diskussion über dieses Konzept. Zur evidenzbasierten Klärung des Vorteils einer prähospitalen Gabe eines Medikaments muss in derselben Studie die prähospitale Gabe mit der Verabreichung im Katheterlabor randomisiert geprüft werden. Dies wurde in der On-TIME-1-Studie realisiert, allerdings ohne klinischen Vorteil einer prähospitalen Verabreichung von Tirofiban vor primärer PCI [16]. On-TIME-2 dokumentierte die Überlegenheit der prähospitalen Gabe von höher dosiertem Tirofiban im Vergleich zur prähospitalen Gabe von Placebo [17]. Der Vergleich einer prähospitalen Gabe von Abciximab mit der erst im Katheterlabor eingeleiteten Verabreichung ergab in FINESSE keinen Unterschied [18]. In PRAGUE-7 konnte ebenfalls kein Vorteil einer prähospitalen Gabe von Abciximab (bei Patienten mit STEMI und kardiogenem Schock) gefunden werden [19]. Somit kann – auch in Anbetracht der neuesten Studien – die prähospitale Gabe eines Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitors nicht empfohlen werden. Hinzu kommt, inwieweit bei einer Clopidogrel Bolusdosis von 600 mg die routinemäßige Gabe eines Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitors überhaupt erforderlich ist, da in BRAVE-3 die routinemäßige Upstream-Gabe von Abciximab die Infarktgröße nicht beeinflusste [20].

2. Welche Embolieprotektion bei primärer PCI?

Bei Patienten mit STEMI ist meist ein (okklusiver oder nichtokklusiver) Thrombus im Infarktgefäß sichtbar. Die hierdurch bedingte Fragilität der Koronarläsion beinhaltet bei der PCI ein erhöhtes Risiko für periphere Embolien mit konsekutiver Zunahme der Infarktgröße [21, 22]. Sowohl die Ergebnisse der randomisierten EMERALD-Studie ([23, 24] distales Blockieren mit proximaler Aspiration) als auch die der randomisierten PROMISE- [25] und PREMIAR- [26] Studien (FilterWire EX und SpiderX) waren enttäuschend. DEDICATION [27], die größte randomisierte Studie mit distalen Filtern (FilterWire EZ oder SpiderX), zeigte ebenfalls keinen Unterschied in den klinischen und Surrogatparametern. Aus diesem Grunde kann heute der Einsatz von distalen Blockier- bzw. Filtersystemen bei Patienten mit STEMI nicht mehr empfohlen werden.

Im Gegensatz hierzu zeigte die einfache manuelle Thrombusaspiration in den randomisierten DEAR-MI- [28] und TAPAS- [29] Studien vielversprechende Ergebnisse, da beide Studien ihren primären Surrogatendpunkt erreichten: Obwohl TAPAS nicht auf klinische Endpunkte statistisch ausgelegt war, fand sich ein Vorteil hinsichtlich der kardialen 1-Jahres-Mortalität in der Aspirationsgruppe (3,6 vs. 6,7%; [30]; Tab. 1)

Tab. 1 Technische Aspekte bei primärer PCI und ihr jeweiliges Indikationsgebiet

3. Welche Stents bei primärer PCI?

Im Vergleich zur alleinigen Ballonangioplastie verbessert die routinemäßige Stentimplantation bei STEMI die Prognose, v. a. aufgrund der geringeren Notwendigkeit einer erneuten Revaskularisation [34, 35]. Medikamente freisetzende Stents (Drug-eluting-Stents, DES) haben ihre im Vergleich zu den unbeschichteten Stents signifikante und klinisch relevante Reduktion der klinischen Restenoserate bewiesen [36, 37]. Der in den letzten Jahren diskutierte Verdacht einer evtl. Zunahme der Mortalität nach DES konnte zwischenzeitlich ausgeräumt werden [38]. Allerdings besteht aufgrund des prothrombotischen Status von Patienten mit akutem Myokardinfarkt oft eine Zurückhaltung im Einsatz von DES bei dieser Indikation. Die ESC-STEMI-Leitlinien nehmen hierzu keine klare Stellung [1]. Von den zahlreichen zur Verfügung stehenden DES haben lediglich 2 in randomisierten Studien mit primärem klinischem Endpunkt ihre Wirksamkeit ohne Beeinträchtigung der Sicherheit, insbesondere hinsichtlich der Stentthrombosen, dokumentiert: der Cypher®-Stent in TYPHOON [31] und PASEO[32] sowie der Taxus®-Stent in HORIZONS-AMI [33] und PASEO [32].

Die optimale Dauer der dualen Thrombozytenaggregationshemmung nach DES ist nicht gesichert. Harte Daten liegen lediglich für mindestens 6 Monate vor [39, 40, 41]. Unabhängig von einer Stentimplantation wird in den ESC-STEMI-Leitlinien die Gabe von Clopidogrel (zusätzlich zu ASS) für 12 Monate bei allen Patienten empfohlen (Näheres s. folgendes Kapitel).

4. Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor: Wann und wie lange nach STEMI?

Clopidogrel

Für die Initialdosis von 600 mg Clopidogrel [42] haben die ESC-STEMI-Leitlinien den Empfehlungsgrad der ESC-PCI-Leitlinien von „I C“ übernommen. Für die zu ASS zusätzliche Gabe von Clopidogrel bei Patienten mit STEMI existieren nur 2 größere randomisierte Studien, CLARITY [43, 44] und COMMIT/CCS-2 [45], in denen der Clopidogrel-bezogene Endpunkt nach jeweils 4 Wochen beurteilt wurde. Allerdings waren beide keine PCI-Studien: CLARITY (3491 Patienten) war eine Thrombolysestudie, und in der in China an 45.852 Patienten durchgeführten COMMIT/CCS-2-Studie erhielt nur knapp die Hälfte eine Reperfusionstherapie (Thrombolyse). Patienten mit primärer PCI wurden in beiden Studien ausgeschlossen. Zur Vereinheitlichung der Handhabung von Patienten nach Herzinfarkt mit und ohne ST-Streckenhebung sowie zur Vermeidung von Verwirrungen nach Implantation von DES haben die ESC-STEMI-Leitlinien im Expertenkonsensus ebenfalls die Gabe von Clopidogrel für 12 Monate empfohlen (IIa C). Diese ESC-Empfehlung wird durch eine Untergruppenanalyse der randomisierten CHARISMA-Studie an 3846 Patienten nach Herzinfarkt unterstützt, in der die Mortalität nach 30 Monaten von 8,3 (ASS + Placebo) auf 6,6% (ASS + Clopidogrel) signifikant gesenkt wurde [46]. In die gleiche Richtung gehen auch die Ergebnisse des ACOS-Registers (5886 Patienten), in dem die Mortalität 1 Jahr nach STEMI – unabhängig davon, ob eine Thrombolyse, primäre PCI oder keine frühe Reperfusionstherapie erfolgte – durch die Kombination ASS + Clopidogrel im Vergleich zur ASS-Monotherapie von im Mittel 12,4 auf 3,4% hochsignifikant gesenkt wurde [47].

In jüngster Zeit wurde für das Clopidogrel eine Wirkungsabschwächung durch Protonenpumpeninhibitoren (PPI) postuliert [48, 49], die zu einer erheblichen Verunsicherung in der dualen Thrombozytenaggregationshemmung geführt hat. Sowohl die retrospektive Analyse von TRITON-TIMI 38 [50] als auch die von CURRENT OASIS-7 [51] ergab aber hierfür keinen klinisch relevanten Anhalt – auch ohne signifikanten Unterschied zwischen den einzelnen PPI-Substanzen. In der prospektiven, randomisierten COGENT-Studie fand sich bei den 3627 Patienten für den Zeitraum eines Jahres hinsichtlich des Auftretens kardiovaskulärer Komplikationen kein Unterschied zwischen der Clopidogrel-Gruppe (75 mg/Tag) und den Patienten, die der Kombinationstherapie von Clopidogrel (75 mg/Tag) und Omeprazol (20 mg/Tag) nach ACS bzw. Stentimplantation zugeordnet wurden [52]. Die Häufigkeit gastrointestinaler Blutungen war allerdings in der Gruppe ohne PPI signifikant erhöht. Die Diskussion zu dieser Problematik ist aber noch nicht abgeschlossen.

Prasugrel

Nach Erscheinen der ESC-STEMI-Leitlinien wurde von der EMEA und der FDA das Prasugrel zur Thrombozytenaggregationshemmung bei geplanter PCI im Rahmen eines ACS zur Kombinationstherapie mit ASS zugelassen. Grundlage der Zulassung war die TRITON-TIMI-38-Studie, in der bei 13.608 Patienten mit akutem Koronarsyndrom und geplanter PCI randomisiert die Kombination ASS + Clopidogrel (300 mg Initialdosis) mit der Kombination ASS + Prasugrel (60 mg Initialdosis) über 6–15 Monate verglichen wurde [53]. Hierbei war der primäre klinische Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nichtfataler Myokardinfarkt und nichtfataler Schlaganfall) in der Prasugrel-Gruppe mit 9,9% signifikant niedriger als in der Clopidogrel-Gruppe mit 12,1%. Auch die Rate an Stentthrombosen wurde signifikant von 2,4 auf 1,1% reduziert. Andererseits waren größere Blutungen in der Prasugrel-Gruppe mit 2,4% signifikant häufiger als unter Clopidogrel mit 1,8%. Fatale Blutungen ereigneten sich unter ASS + Prasugrel mit 0,4% (21 Patienten) signifikant häufiger als unter ASS + Clopidogrel mit 0,1% (5 Patienten). Als absolute Kontraindikationen gegen Prasugrel kristallisierte sich ein Zustand nach Apoplexie bzw. TIA heraus. Bei Patienten mit einem Alter von ≥75 Jahren bzw. einem Körpergewicht von <60 kg wird wegen erhöhter Blutungsgefahr eine Reduktion der Erhaltungsdosis von 5 mg/Tag empfohlen. Diese Empfehlung basiert allerdings auf theoretischen Berechnungen, klinische Daten gibt es hierzu nicht.

Aufgrund des schnelleren [54] und zuverlässigeren [55] Wirkungseintritts von Prasugrel stellt dieses neue Medikament speziell für Patienten mit STEMI eine Alternative zu Clopidogrel dar: Bei Patienten mit STEMI ist die Kombinationstherapie mit Prasugrel der mit Clopidogrel überlegen, zumal bei diesen Patienten keine erhöhte Blutungsrate feststellbar war [56]. Gleiches gilt auch für Patienten mit Diabetes mellitus [57], sodass der „ideale“ Prasugrel-Patient als Patient mit STEMI und Diabetes mellitus charakterisiert werden kann. Die Reduktion der Stentthrombosen durch die Kombinationstherapie von ASS und Prasugrel ist besonders bei den DES ausgeprägt und auch über den Beobachtungszeitraum von 15 Monaten weiterhin nachweisbar [58]. Der bevorzugte Einsatz von Prasugrel bei Patienten mit geplanter PCI wegen eines STEMI oder im Rahmen eines ACS diabetischer Patienten sowie nach unter Clopidogrel eingetretener Stentthrombose wurde erst kürzlich auch vom NICE-Institut in Großbritannien empfohlen ([59]; Tab. 2).

Tab. 2 Vor- und Nachbehandlung mit Thienopyridinen von Patienten mit STEMI und geplanter primärer PCI

Ticagrelor

Die erst kürzlich vorgestellten Ergebnisse von PLATO-STEMI weisen evtl. auf einen neuen Standard in der Behandlung von Patienten mit STEMI und primärer PCI hin [60]: Der reversible P2Y12-ADP-Rezeptorantagonist Ticagrelor führte bei diesen 8430 Patienten zu einer im Vergleich zu Clopidogrel signifikanten Senkung des primären kombinierten Endpunktes aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall nach 1 Jahr (11,0 vs. 9,3%) bei gleichzeitiger signifikanter Reduktion der definitiven Stentthrombose (2,5 vs. 1,6%) ohne erhöhte Gesamtblutungsraten. Die Realität unter Alltagsbedingungen (2-mal tägliche Einnahme erforderlich) wird den praktischen Wert dieser innovativen Substanz zeigen.