Im Kontext der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ihrer Adressat_innen stößt die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe mit ihrem einsprachigen Selbstverständnis an ihre Grenzen. Infolgedessen werden pädagogische Fachkräfte insbesondere im Rahmen der Hilfeplanung von einer Zusammenarbeit mit Sprachmittelnden abhängig. Damit gewinnt das Verfahren nicht nur an Akteursdichte, sondern im Besonderen an Komplexität. So entstehen Herausforderungen für die Akteur_innen und ihre Gesprächsorganisation.

In den Hilfen zur Erziehung sprachen 2016 30 % der Adressat_innen zu Hause überwiegend eine andere als die deutsche Sprache, in der Heimerziehung über 50 % – etwa dreimal so viel wie noch im Jahr 2013 (15,7 %) (vgl. akjstat o.J.). Diese Steigerung weist auf die zunehmende Relevanz sprachlicher Pluralisierungsprozesse in der Kinder- und Jugendhilfe hin. Nichtsdestotrotz bleibt die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Adressat_innen, d. h. ihre Verwendung von mindestens zwei Sprachen als alltägliche Verständigungssprachen (vgl. Gogolin 2010), in den pädagogischen Konzepten überwiegend unberücksichtigt. Sie wird nur dann thematisiert, wenn die Verwendung der deutschen Sprache von den pädagogischen Fachkräften als ungenügend bewertet wird. In diesem Rahmen beginnt die Hilfe für „fremdsprachige“ Adressat_innen nicht selten mit dem selbstverständlichen Ziel des deutschen Spracherwerbs. Die Sprachbarriere wird damit allein aufseiten der Adressat_innen verortet. Folge dessen ist die Gefahr, ihren sozialpädagogischen Hilfebedarf auf ihre geringen Deutschkenntnisse zu reduzieren.

Dahinter steht ein einsprachiges Selbstverständnis der Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe. Einsprachigkeit ist also der Normalfall, während Mehrsprachigkeit eine Ausnahme dieser Regel darstellt. Dieser monolinguale Habitus (Gogolin 2010) resultiert aus der Mythenbildung europäischer Nationalstaaten. Die institutionelle Kommunikation in der Amtssprache Deutsch ist sowohl im allgemeinen als auch im Sozialverwaltungsverfahren gesetzlich festgelegt (§19 SGB X; §23 VwVfG). Schweitzer (2018) spricht in diesem Zusammenhang von einer einsprachigen Assimilierungspolitik.

Für die behördliche Sozialarbeit resultieren daraus weitreichende Folgen: von einer beschränkten Möglichkeit der Aufklärung über Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Hilfsangeboten bis dahin, dass das Anliegen der Adressat_innen nicht ausreichend ermittelt werden kann. Dadurch wird eine angemessene Auftragserfüllung der Fachkräfte gefährdet (vgl. Uebelacker 2007).

Sprachmittelnde in der Kinder- und Jugendhilfe

Um dem entgegen zu wirken, fordert eine Vielzahl fachlicher Empfehlungen zur Hilfeplanung den Einsatz von Sprachmittler_innen ein. Eine einschlägige Rechtsexpertise erhebt die Sprachmittlung zu einem festen Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfeleistungen (vgl. Münder 2016). Damit wird sie zu einem Rechtsanspruch, sofern das jeweilige Ziel der Leistung für die Adressat_innen nur dadurch erreicht werden kann. Auch wenn bereits seit 2005 ein steigender Bedarf an Sprachmittelnden in der behördlichen Sozialarbeit konstatiert wird, fehlen in der Kinder- und Jugendhilfe strukturelle Regelungen zur Sicherstellung ihrer Leistungen (vgl. Uebelacker 2007; Eubel 2017). Einerseits können die Kostenbestimmungen nach §§93, 94 SGB VIII zur Anwendung kommen, wonach eine mögliche Kostenheranziehung seitens der Adressat_innen entsprechend ihres Einkommens geprüft wird (vgl. Münder 2016). Andererseits lassen sich besondere Verpflichtungsgründe zur kostenfreien Stellung eines/r Dolmetscher_in aus der gesetzlichen Pflicht ableiten, das Kindeswohl zu wahren und die Kinderrechtskonvention zu beachten (vgl. Weiser 2011). Die Stadt Essen finanziert die Kosten bei Geflüchteten beispielsweise aus den Bundeszuschüssen zur Flüchtlingsintegration.

So wird in der Praxis mitunter auf zufällige Lösungsansätze zurückgegriffen, indem das private Umfeld der Adressat_innen für eine Sprachmittlung herangezogen wird. Angesichts zu geringer Sachkenntnisse und möglicher Rollenkonflikte erweisen sich Begleitpersonen jedoch als ungeeignet, um Kommunikationsbarrieren zu überbrücken (vgl. Uebelacker 2007). Gleichzeitig fehlt im fachlichen Diskurs bislang ein Austausch darüber, wie das Hilfeplangespräch zwischen pädagogisch Professionellen, Adressat_innen und Sprachmittelnden adressat_innengerecht vollzogen werden kann.

Wenngleich sich in der einschlägigen Diskussion offenbar der Begriff der Sprach- und Kultur- oder Integrationsmittlung durchsetzt, wird im Folgenden auf den Terminus Sprachmittlung fokussiert. Zum einen, weil sich der Beitrag allein auf die Relevanz sprachlicher Mittlungsprozesse bezieht, zum anderen, weil ein Zusammenhang zwischen sprachlicher und kultureller Mittlung nicht per se für alle Sprachmittlungskontexte im Vorhinein angenommen werden kann. Dies würde einer Kulturalisierung von Sprache und damit der Markierung von Nichtdeutschsprachigen als kulturell Andere gleichkommen.

Während für die Sprachmittlung im Sozial- und Gesundheitswesen in Österreich und englischsprachigen Ländern der Beruf der Kommunaldolmetscher_in bzw. community interpreter forciert wird, findet sich in Deutschland ein diffuses Feld an Fort- und Ausbildungsmöglichkeiten. Dabei werden andere Anforderungen gestellt, als an akademisch Dolmetschende. Zum einen sind Sprachmittelnde für das Handlungsfeld sozialer Dienste spezialisiert. Zum anderen sprachmitteln sie in einem spezifischen, migrationsbedingten Handlungskontext, der von einer ungleichen Rollenkonstellation der Kommunikationspartner_innen geprägt ist: zu der Hierarchie zwischen Behörde und Adressat_in kommen solche zwischen Mehrheits- und Minderheitssprachen und ihren Sprechenden hinzu (vgl. Pöchhacker 2000). Um die Komplexität dieser mehrsprachigen Interaktion in Bezug auf das Hilfeplangespräch nachvollziehen zu können, wird es im Folgenden von einer gesprächsanalytischen Perspektive gerahmt.

Das Hilfeplangespräch als soziale Interaktion …

Auch wenn ihre konzeptionellen Verfahrensvoraussetzungen einen fachlichen Konsens bilden, identifiziert die Forschung in dem praktischen Verfahren der Hilfeplanung eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So verweisen einschlägige Studien (vgl. Pluto 2007) auf inhärente Spannungsfelder, die aus den in der Hilfeplanung selbst angelegten divergenten Anforderungen zwischen Adressat_innenbeteiligung und dem Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, individueller Aushandlung und bürokratischer Verwaltungsgrundlage resultieren (vgl. Messmer/Hitzler 2011; §36 SGB VIII).

Betrachten wir das Hilfeplangespräch als soziale Interaktion, müssen sich Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsberechtigte nicht nur über ihre individuellen Problemdefinitionen sowie Art und Umfang der erforderlichen Hilfeleistung verständigen. Mehr noch müssen die Beteiligten gemeinsam einen Interaktionsrahmen herstellen und aufrechterhalten, ihre aktuellen Rollen im Gespräch aufeinander abstimmen und einen eigenen komplexen Beteiligungsrahmen aufspannen (vgl. Goffman 1981). Dabei stehen die Sprechenden vor der Herausforderung, die Wirkung ihrer Äußerungen sowohl für die konkreten Empfänger_innen als auch für alle anderen indirekt Beteiligten zu berücksichtigen (vgl. Hitzler 2012).

… unter mehrsprachigen Bedingungen

Für gedolmetschte Interaktionen stellt sich diese Herausforderung in zugespitzter Form. Ausgehend von einer prototypischen Sprachmittlungsinteraktion ist der/die Sprachmittelnde die einzige Person im Raum, die beide Sprachen zu einem bestimmten Grad beherrscht. So stellt sie in jedem Sprecher_innenwechsel eine der zwei beteiligten Personen dar (Knapp und Knapp-Potthoff 1985). Diese besondere Positionierung wirkt sich wesentlich auf die Kommunikation zwischen pädagogischen Fachkräften und Leistungsberechtigten aus:

Die Abb. 1 ist angelehnt an das jugendhilferechtliche Leistungsdreieck, das das Verhältnis zwischen den im Hilfeplangespräch beteiligten Akteur_innen beschreibt (siehe auch BAGLJÄ 2015). Zugespitzt auf die gedolmetschte Interaktion verdeutlicht sie, dass die pädagogischen Fachkräfte nur über die Sprachmittelnden einen Zugang zu den Adressat_innen der Hilfeleistung gewinnen können. Für ihre Äußerungsgestaltung bedeutet das, dass sie immer eine Mehrfachadressierung entwerfen müssen: Während sie explizit die Leistungsberechtigen adressieren, müssen sie implizit deutlich machen, ob die sprachmittelnde Person die nicht direkt an sie adressierte Aussage im Anschluss sprachmitteln soll. Dies kann gelingen, indem sie etwa ihren Ausgangsbeitrag in kleinere Abschnitte segmentieren und am Ende jedes Abschnitts signalisieren, im Satz innezuhalten. Dabei leisten sie einen doppelten gesprächsorganisatorischen Auftrag – sie geben das Rederecht für die Sprachmittlung ab und verdeutlichen, ob sie ihren Ausgangsbeitrag anschließend fortführen werden oder wem sie die Produktion eines nächsten Ausgangsbeitrags zuweisen (vgl. Martini 2008).

Abb. 1
figure 1

Das mehrsprachige Dreiecksverhältnis (eigene Darstellung)

Die sprachmittelnde Person ist unterdessen dazu angehalten, das bedingte Rederecht nur für eine Sprachmittlung zu nutzen und im Anschluss daran den nächsten Redezug entsprechend der Zuweisung der pädagogischen Fachkraft an die Leistungsberechtigten zu übertragen (ebd.). Gelingt der pädagogischen Fachkraft die implizite Signalisierung eines Sprachmittlungsauftrags nicht, kann es zu Verzögerungen und Verständigungsproblemen im Gesprächsablauf kommen. Schneidet sie hingegen ihre Aussagen primär auf die sprachmittelnde Person statt auf die Adressat_innen zu, um ihren Sprachmittlungsauftrag unmissverständlich deutlich zu machen, kann sie dadurch einen Modus des Sprechens über die Adressat_innen etablieren. Auf dessen ausgrenzendes Potenzial weisen verschiedene Untersuchungen hin (vgl. Schwabe 2006).

Darüber hinaus findet sich in der Auseinandersetzung mit Dolmetschinteraktionen oft ein normatives Sprachmittlungsmodell, in dem davon ausgegangen wird, dass die Sprachmittelnden weder inhaltlich noch auf gesprächsorganisatorischer Ebene einen eigenen Beitrag zu der Interaktion leisten. Dadurch wird jedoch übersehen, welchen wesentlich Einfluss der/die Sprachmittelnde auf das Hilfeplangespräch haben kann.

Sprachmittlung als interaktive Ko-Konstruktion

Daher wird hier für eine interaktionistische, dialogische Perspektive auf Sprachmittlungsinteraktionen plädiert. Sie nimmt weniger die individuelle Leistung der sprachmittelnden Person in den Blick, als vielmehr die soziale Konstellation, unter der diese in Beziehung zu anderen gesetzt und ihre Rolle hervorgebracht wird. Die Aussagen der Sprachmittelnden und der Sinn, der ihnen zugewiesen wird, bilden dabei das Resultat einer Ko-Konstruktion zwischen Sprechenden und Hörenden (vgl. Wadensjö 1998).

So agieren Sprachmittelnde auf den ersten Blick allein als Stimmgeber_innen (animator) (vgl. Goffman 1981). In dieser Rolle reproduzieren sie die Wörter der anderen Beteiligten, übernehmen aber keine Verantwortung für ihren Inhalt. Die Sprachmittelnden lediglich als Sprachrohr zu begreifen, erscheint jedoch zu verkürzt. Entsprechend macht Wadensjö (1998) darauf aufmerksam, dass ihre Sprachmittlungsleistung zu einem Großteil darin besteht, zwischen verschiedenen Rollen zu wechseln und dabei zu signalisieren, ob sie als eigenständig sprechende Person (speaking self) oder als Stimmgeber_in einer anderen Person (meaning other) agieren. Dabei kann ihre Verdolmetschung dem Ausgangsbeitrag in inhaltlicher und intentionaler Hinsicht mehr oder weniger entsprechen (ebd.). Sofern sie als eigenständig sprechende Person handeln, dabei aber vorgeben, bloße Stimmgeber_in anderer Personen zu sein, verzerren sie damit das Bild der jeweiligen Personen – positiv oder negativ – ohne dass dieser Prozess den Beteiligten ersichtlich wird.

In diesem Sinne sind sie wesentlich daran beteiligt, welche interaktive Bedeutung die sprachliche Handlung der Akteur_innen erhält. Wenngleich ihre Dolmetschstrategien auf der rein sprachlichen Ebene zu Verzerrungen führen können, können sie auf der Handlungsebene eine positive Verständigung zwischen pädagogischen Fachkräften und ihren Adressat_innen schaffen (vgl. Rehbein 1985). Nichtsdestotrotz wird dadurch fraglich, inwiefern die Beteiligten die Wirkmächtigkeit ihrer Aussagen autonom bestimmen können.

Mehrsprachigkeit als blinder Fleck der Hilfeplanung

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Sprachmittelnde als Teil der pädagogischen Triade in das Hilfeplangespräch einbezogen werden sollten. Sie können die Beziehungsgestaltung beeinflussen und stellen wesentliche Anforderungen an die Gesprächsorganisation. Insofern braucht es unter Bedingungen von Mehrsprachigkeit einer verstärkten fachlichen Auseinandersetzung über die Kommunikation in der Hilfeplanung. Während auf schriftlicher Ebene bereits ein Umgang damit gesucht wird, etwa durch die Einführung mehrsprachigen Informationsmaterials, bleibt dies auf der interaktiven Ebene bislang aus.

Daran knüpfe ich in meinem Promotionsprojekt über gedolmetschte Hilfeplangespräche an. Dabei führe ich die hier aufgezeigten Fragen nach den Spezifika der Rollenkonstellation und damit verbundenen Partizipationsmöglichkeiten der Akteur_innen mit einem videographischen Zugang weiter.