Prognosen spielen im Strafrecht eine zentrale Rolle. Kriminalprognosen dienen dazu, das Spannungsverhältnis zwischen dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit und dem grundgesetzlichen Freiheitsanspruch, den ein VerurteilterFootnote 1 nicht verliert, sachgerecht aufzulösen. Eine perfekte Vorhersage menschlichen Verhaltens kann es dabei niemals geben. Prognosen sind bloße Wahrscheinlichkeitsaussagen über das zukünftige Legalverhalten von Personen, die aber als Grundlage jeder Gefahrenabwehr unverzichtbar sind.Footnote 2 Das Gesetz trägt dieser Situation etwa durch die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung eines Strafrestes unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit Rechnung. Diese schließt es mit ein, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird. Die bloße theoretische Möglichkeit eines Rückfalls, die angesichts der Begrenztheit jeder Prognosemöglichkeit nie sicher auszuschließen ist, steht deshalb der Aussetzung selbst einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung nicht von vornherein entgegen.Footnote 3

Für die prognostische Einschätzung zukünftigen Verhaltens eines Menschen benötigen die Gerichte vielfach die Hilfe erfahrener Sachverständiger. Das zulässigerweise einzugehende „vertretbare Restrisiko“ richtig einzuschätzen, setzt eine gründliche Ermittlung aller die Prognose bestimmenden Umstände voraus.

Hiervon sind auch angesichts gesetzlich verkürzter Begutachtungsfristen keine Abstriche zu machen. Im Gegenteil war es der erklärte Willen des Gesetzgebers des „Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB“ vom 08.07.2016, „dass die […] Erhöhung der Begutachtungsfrequenz keinesfalls zu einer Absenkung der Qualitätsanforderungen an die Begutachtung führen darf.“Footnote 4

A. Fortschreibung der „Mindestanforderungen für Prognosegutachten (2006)“

Bereits 2006 hatte eine aus Richtern am Bundesgerichtshof, Bundesanwälten, Vollstreckungsrichtern, forensischen Psychiatern, Rechtspsychologen, Sexualmedizinern und Kriminologen gebildete interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Mindestanforderungen für Prognosegutachten“ vorgestellt (NStZ 2006, 537/FPPK 2007, 90). Seither haben sich die kriminalprognostischen Methoden weiterentwickelt und die rechtlichen Vorgaben verändert. Deshalb haben sich 2016 erneut Juristen und Erfahrungswissenschaftler – Mitglieder der früheren Arbeitsgruppe und neu Hinzugekommene – zusammengefunden, um die „Mindestanforderungen“ in Kontinuität zu 2006 im Sinne von Empfehlungen für Prognosegutachten fortzuschreiben und auf den aktuellen Stand zu bringen. An der Erarbeitung der nun vorgelegten Empfehlungen waren beteiligt: Prof. Dr. Dr. Klaus Beier, Berlin; RiBGH a. D. Dr. Axel Boetticher, Bremen; RiOLG Klaus Michael Böhm, Karlsruhe; Prof. Dr. Dr. Hauke Brettel, Mainz; Prof. Dr. Peer Briken, Hamburg; Prof. Dr. Klaus-Peter Dahle, Hildesheim; Prof. Dr. Dieter Dölling, Heidelberg; Prof. Dr. Harald Dressing, Mannheim; Prof. Dr. Rudolf Egg, Wiesbaden; Prof. Dr. Marc Graf, Basel; Prof. Dr. Elmar Habermeyer, Zürich; Prof. Dr. Katrin Höffler, Göttingen; Dr. Konstantin Karyofilis, Oldenburg; VRiLG Matthias Koller, Göttingen; Prof. Dr. Norbert Konrad, Berlin; Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber, Berlin; Prof. Dr. Norbert Leygraf, Essen-Duisburg; Prof. Dr. Andreas Mokros, Hagen; Prof. Dr. Jürgen-Leo Müller, Göttingen; RiOLG a. D. Dr. Reinhard Müller-Metz, Frankfurt a. M.; Prof. Dr. Norbert Nedopil, München; Prof. Dr. Sabine Nowara, Waltrop; RiBGH a. D. Wolfgang Pfister, Karlsruhe; Dr. Jan Querengässer, Münster; PD Dr. Martin Rettenberger, Wiesbaden; Dr. Nahlah Saimeh, Düsseldorf; Prof. Dr. Henning Saß, Aachen; Prof. Dr. Kolja Schiltz, München; RinBGH Dr. Dipl.-Psych. Ursula Schneider, Leipzig; Prof. Dr. Heinz Schöch, München; Prof. Dr. Dieter Seifert, Münster; PDin Dr. Susanne Stübner, München; VRiLG a. D. Dr. Thomas Wolf, Marburg.

Gemeinsames Ziel war es, den beteiligten Disziplinen einen Überblick über den derzeitigen Stand zu verschaffen, den psychiatrischen, psychologischen, sexualwissenschaftlichen und kriminologischen Sachverständigen damit eine Orientierung bei der Erarbeitung ihrer Gutachten zu geben und den Juristen das nötige Rüstzeug für eine Überprüfung der Gutachten und die Erstellung einer eigenen, selbstverantworteten Prognose zu vermitteln. In diesem Sinne haben die Juristen die vorliegenden „Rechtlichen Rahmenbedingungen für Prognosen im Strafverfahren“ und die Erfahrungswissenschaftler die sich in einem gesonderten Beitrag anschließenden „Erfahrungswissenschaftlichen Empfehlungen für kriminalprognostische Gutachten“ erarbeitet. Ihr jeweiliger Inhalt ist Konsens unter allen an der interdisziplinären Arbeit Beteiligten.

Der rechtliche Rahmen für Prognosen im Strafverfahren hat sich seit 2006 durch eine ganze Reihe von GesetzesänderungenFootnote 5 nachhaltig weiterentwickelt. Die Änderungen ergänzen die rechtlichen Vorgaben für die Erstellung von Kriminalprognosen und sehen zudem häufigere Prognosebegutachtungen (§ 463 IV StPO) auch mit neuen zusätzlichen Fragestellungen bzw. Zielrichtungen, namentlich zu Art, Erforderlichkeit und Erfolgsaussicht von Behandlungen (§ 66c I Nr. 1 StGB u. a.), vor. Parallel dazu haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof eine genauere Darlegung der prognostischen Aussagen und ihrer Tatsachengrundlagen verlangt und damit die Anforderungen an die Arbeit von Gutachtern und Richtern erhöht.

Der vorliegende Beitrag führt die gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter denen den Gerichten heute Entscheidungen über zukünftiges Verhalten von Menschen „abverlangt“Footnote 6 werden, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zusammen. Er will damit allen, die mit Prognosegutachten befasst sind, einen Überblick über die gegenwärtige rechtliche Situation anbieten. Zugleich will er die Aufgabenverteilung zwischen Gerichten und Sachverständigen verdeutlichen.

Die daraus abzuleitenden juristischen Empfehlungen für Prognosegutachten erheben naturgemäß keinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Das Recht entwickelt sich stetig weiter. Zudem geht es immer um eine Beurteilung im Einzelfall. Will der Gutachter aus fachlichen Gründen im Einzelfall von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abweichen, sollte er dies allerdings erläutern.

B. Auftraggeber und Sachverständiger: Aufgaben und Verantwortung

Strafrechtliche Prognoseentscheidungen müssen in drei Schritten erarbeitet werden: Im ersten wird der Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht festgestellt und im zweiten rechtlich bewertet. Aus dem Ergebnis wird schließlich die Rechtsfolge abgeleitet.

Für die Feststellung des prognoserelevanten Sachverhalts ist der Auftraggeber (Gericht, Staatsanwaltschaft, Vollzugseinrichtung) häufig auf besonderes Erfahrungswissen angewiesen. Sachverständige helfen ihm mit ihren erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten bei der Ermittlung der prognoserelevanten Tatsachen und vermitteln ihm die notwendige Sachkunde für die Bewertung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht. Für die Beurteilung der an den Sachverhalt anknüpfenden Rechtsfragen ist dann nur noch der Auftraggeber zuständig. Insbesondere ist die vom Gesetz geforderte Gefahrenprognose, also das Urteil, ob sie dem jeweiligen rechtlichen Rahmen entsprechend günstig bzw. ungünstig ist, ausschließlich Ergebnis eines normativen Prozesses, der allerdings auf der erfahrungswissenschaftlichen Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls basiert.

Die gesetzlichen Vorgaben für die Prognose setzen sich sowohl aus Merkmalen zusammen, die vorwiegend tatsächlicher, als auch aus solchen, die vorwiegend normativer Natur sind (Tab. 1).

Tab. 1 Vorwiegend tatsächliche und vorwiegend normative Merkmale

I. Auftraggeber

1. Gutachtenauftrag und Leitung des Sachverständigen

Der Auftraggeber prüft die Erforderlichkeit der Begutachtung und formuliert den Gutachtenauftrag. Dieser hat den Gegenstand des Gutachtens genau zu beschreiben und klarzustellen, welche tatsächlichen Fragen vom Sachverständigen beantwortet werden sollen, wobei unterschiedliche Anforderungen an Gutachten im Erkenntnisverfahren, im Vollstreckungsverfahren, im Vollzug und in Bezug auf die Behandlung zu stellen sind. Die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes reicht nicht aus.

Soweit es um die Gefährlichkeitsprognose geht, muss sich der Gutachtenauftrag an folgenden Grundfragen orientieren:

  • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zu begutachtende Person erneut Straftaten begehen wird?

  • Welcher Art werden diese Straftaten sein, welche Häufigkeit und welchen Schweregrad werden sie haben?

  • Mit welchen Maßnahmen kann das Risiko zukünftiger Straftaten beherrscht oder verringert werden?

  • Welche Umstände können das Risiko von Straftaten steigern?

Im Rahmen der Leitung der Sachverständigentätigkeit (§ 78 StPO) gibt der Auftraggeber ggf. Sachverhaltsvarianten vor und erteilt sonstige Hinweise. Außerdem beantwortet er Fragen des Sachverständigen und unterstützt diesen bei der Erhebung weiterer Tatsachen (§ 80 StPO).

2. Auswahl des Sachverständigen

Die Auswahl des Sachverständigen liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (§ 73 I StPO). Der Betroffene hat über sein rechtliches Gehör hinaus keinen Anspruch auf Bestellung eines bestimmten Sachverständigen.Footnote 7 Will ein Angeklagter nur beim „Sachverständigen seines Vertrauens“ Angaben machen, wird dadurch die alleinige Entscheidungsbefugnis des Gerichts über die Auswahl des Sachverständigen nicht eingeschränkt. Lässt sich ein Angeklagter vom gerichtlichen Sachverständigen nicht untersuchen, muss er in Kauf nehmen, überhaupt nicht untersucht zu werden.Footnote 8

Das gilt auch im Vollstreckungsverfahren.Footnote 9 Gelegentlich wird hier allerdings die Auffassung vertreten, dass das verfassungsrechtliche Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung es im Einzelfall gebieten kann, doch den von dem Verurteilten vorgeschlagenen Sachverständigen zu beauftragen, wenn er nur bereit ist, sich von diesem Sachverständigen explorieren zu lassen.Footnote 10

Der Gutachter kann aus dem Kreis der Psychiater, Psychologen, Sexualmediziner, Kriminologen und Sozialpädagogen, ggf. auch anderer Mediziner, Psychotherapeuten oder Suchttherapeuten, bestellt werden. Er muss über die im konkreten Fall erforderliche Sachkunde verfügen. Die Beurteilung medizinischer Sachverhalte obliegt allein Ärzten.

Besonderheiten gelten bei der Überprüfung der Unterbringung nach § 63 StGB. Hier ist die Gutachterauswahl auf externe Sachverständige beschränkt, die Ärzte oder Psychologen mit forensisch-psychiatrischer Sachkunde und Erfahrung sein sollen (§ 463 IV 3–5 StPO).Footnote 11

3. Überprüfung und selbstverantwortete Prognose

Das Gericht muss das Gutachten nicht nur nachvollziehen, sondern ihm auch seine richterliche Kontrolle entgegensetzen.Footnote 12 Diese muss sich nicht nur auf das Prognoseergebnis, sondern auf die Qualität der gesamten Prognosestellung erstrecken und danach fragen, ob die dem Gutachten zugrunde gelegten Informationen in einem sorgfältigen Verfahren erhoben worden sind, das Gutachten bestimmten Mindeststandards genügt und es eine hinreichend breite Prognosebasis schafft, auf der das Gericht sodann seine eigenständige, selbstverantwortete Prognose treffen kann.Footnote 13

II. Sachverständiger

1. Grundlagen zur Tatsachenerhebung

Der Sachverständige erstattet sein Gutachten auf der Grundlage von Tatsachen (Anknüpfungstatsachen). Sofern sie ihm nicht vom Auftraggeber mitgeteilt werden, unterscheidet man zwischen Tatsachen, die der Sachverständige kraft seiner Sachkunde erhebt (Befundtatsachen), und solchen, die auch ohne besondere Sachkunde erhoben werden können (Zusatztatsachen).

Das Gutachten muss auf das Beweisergebnis eingehen, das sich aus dem Akteninhalt, der Hauptverhandlung oder anderen Beweiserhebungen – ggf. mit vom Auftraggeber vorgegebenen Sachverhaltsvarianten – erschließt. Der rechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt nicht für die Tätigkeit des Sachverständigen.

2. Zeugenbefragung

Bei der selbstständigen Befragung von Zeugen durch den Sachverständigen sind rechtliche Grenzen zu beachten.

In dem dem Strengbeweis unterliegenden Erkenntnisverfahren gilt § 80 StPO. Danach hat der Sachverständige erforderlichenfalls bei der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht auf die Vernehmung von Zeugen hinzuwirken, bei der ihm ein Anwesenheits- und Fragerecht zusteht. Informatorische Befragungen durch den Sachverständigen, die nur dazu dienen, im Vorfeld die Beweiserheblichkeit des Wissens der Auskunftsperson festzustellen und ggf. ihre Vernehmung anzuregen, sind zulässig.

Bei Prognose- und Behandlungsgutachten im Vollstreckungsverfahren gilt das Freibeweisverfahren, in dem das Gericht auch Informationen aus solchen Fremdanamnesen des Sachverständigen berücksichtigen darf. Bei Befragung von Zeugen soll der Sachverständige diese darauf hinweisen, dass er über das Ergebnis das Gericht informieren muss. Zeugnis- oder auskunftsverweigerungsberechtigte Personen soll er auf ihr Verweigerungsrecht hinweisen.

3. Akteninhalte

Bei der Auswertung von Akteninhalten sind ebenfalls rechtliche Grenzen zu beachten.

  1. a)

    Personal- und Behandlungsakten

    aa) Aus dem Grundrecht der zu begutachtenden Angeklagten und Verurteilten auf informationelle Selbstbestimmung folgt, dass ihre personenbezogenen Daten nur unter bestimmten Voraussetzungen erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen. Besonders geschützt werden die unter die ärztliche bzw. therapeutische Schweigepflicht fallenden Daten über den Gesundheitszustand (Anamnese, Diagnose und therapeutische Betreuung), die seelische Verfassung und den Charakter. Zu beachten ist dabei, dass sich dieser besondere Schutz nicht auch auf Tatsachen erstreckt, die sich im Verlauf des Vollzugs ergeben und im Rahmen der Wahrnehmung von Ordnungs- und Verwaltungsfunktionen auch für nicht mit therapeutischen Aufgaben betraute Dritte erkennbar sind, wie insbesondere der Vollzugsverlauf, das Vollzugs- und Sozialverhalten des Gefangenen oder Untergebrachten jenseits seiner therapeutischen Betreuung und sein Umgang in Konfliktsituationen mit anderen Gefangenen oder Untergebrachten oder dem Betreuungspersonal. Derartige Tatsachen fallen nicht unter die ärztliche bzw. therapeutische Schweigepflicht, weil insoweit kein innerer Zusammenhang mit der jeweiligen Berufsausübung besteht und ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Nichtweitergabe deshalb nicht entstehen kann.Footnote 14

    In jedem Fall dürfen personenbezogene Daten an außenstehende Dritte und damit auch an Sachverständige nur weitergegeben werden, wenn eine Offenbarungsbefugnis besteht, die sich aus einer entsprechenden Einwilligung bzw. Schweigepflichtentbindungserklärung des Angeklagten bzw. Verurteilten oder aus einer gesetzlichen Erlaubnisnorm ergeben kann.

    Die Einsichtnahme in die Krankenakten aus früheren, nicht im Zusammenhang mit Straftaten stehenden Behandlungen, sowie diejenige in Personal- und Behandlungsakten des Straf- oder Maßregelvollzugs sind daher zulässig, wenn der zu begutachtende Angeklagte oder Verurteilte die behandelnden Personen von der Schweigepflicht entbindet und der Einsichtnahme des Sachverständigen in die Akten zustimmt.

    bb) Unabhängig davon ist die Einsichtnahme in die Gefangenenpersonalakten des Strafvollzugs – ggf. durch Vermittlung des Auftraggebers (§ 80 II StPO) – zulässig (§ 180 II Nr. 5, IV StVollzG bzw. entsprechende Vorschriften der Landesgesetze).

    Auch in gesondert geführte Behandlungs- bzw. Therapieakten des Strafvollzugs kann der Sachverständige – ggf. wieder durch Vermittlung des Auftraggebers – unabhängig von der Einwilligung des Gefangenen Einsicht nehmen, soweit die darin enthaltenen Daten offenbarungspflichtig sind.Footnote 15 Daten, die anlässlich ärztlicher Untersuchungen erhoben worden sind, und personenbezogene Daten, die den nach § 203 I Nr. 1, 2 und 6 StGB Schweigepflichtigen (u. a. Ärzte, Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, staatlich anerkannte Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen) von einem Gefangenen als Geheimnis anvertraut oder über einen Gefangenen sonst bekanntgeworden sind, unterliegen zwar grundsätzlich der Schweigepflicht. Sie müssen jedoch von den – ggf. auch außerhalb des Vollzuges mit der Untersuchung oder Behandlung eines Gefangenen beauftragten – Schweigepflichtigen gegenüber dem Anstaltsleiter bzw. von diesem bestimmten Bediensteten offenbart werden, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde erforderlich bzw. bei ärztlichen Daten unerlässlich ist, und dürfen dann auch für den Zweck, zu dem sie offenbart wurden, verarbeitet und genutzt werden (§ 182 II–IV StVollzG bzw. entsprechende Vorschriften der Landesgesetze). Als Aufgaben der Vollzugsbehörde, für deren Erfüllung die Offenbarung von Geheimnissen erforderlich sein kann, kommen dabei u. a. die Behandlungs- und Vollzugsplanung, die Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen sowie die Entlassungsvorbereitung und die Stellungnahme zur Strafrestaussetzung zur Bewährung in Betracht.Footnote 16

    Entsprechende Regelungen ergeben sich aus den einschlägigen Landesgesetzen für den Vollzug der Sicherungsverwahrung.

    cc) Besonderheiten bestehen für den Maßregelvollzug nach den §§ 63 und 64 StGB.

    In den Fällen der Unterbringung nach § 63 StGB ist dem Sachverständigen gem. § 463 IV 6 StPO Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren, wenn es um die Vorbereitung der nach 3 bzw. 6 Jahren und sodann nach jeweils 2 weiteren Jahren zu erstattenden externen Gutachten geht (§ 463 IV 2, 3 StPO).

    Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Daten in die gutachterlichen Stellungnahmen aufgenommen werden dürfen, die gem. § 463 IV 1 StPO von den Maßregelvollzugskliniken im Rahmen der jährlichen Überprüfung (§ 67e StGB) der Unterbringung nach § 63 StGB einzuholen sind und die die darin berichteten Umstände (gerichts-)aktenkundig machen. Von einigen wird die Frage gestellt, ob die Mitarbeiter von Maßregelvollzugkliniken gegen ihre durch § 203 StGB strafrechtlich abgesicherte Schweigepflicht verstoßen, wenn sie im Rahmen solcher Stellungnahmen gegenüber dem Vollstreckungsgericht über den Verlauf der Unterbringung und der Therapien sowie die prognostische Einschätzung der Maßregelvollzugseinrichtung berichten. Das Bundesverfassungsgericht hat es in einer Entscheidung, die vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 463 IV 1 StPO ergangen ist, dahinstehen lassen, ob und inwieweit die ärztliche Schweigepflicht im Maßregelvollzug auch gegenüber den Vollstreckungsgerichten besteht.Footnote 17 Es hat aber ausdrücklich verlangt, dass die Maßregelvollzugseinrichtung jedenfalls über die nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen (Unterbringungsverlauf, Vollzugs- und Sozialverhalten des Untergebrachten jenseits der therapeutischen Betreuung, Umgang mit Konfliktsituationen) berichtet. In der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geht die Bundesregierung davon aus, dass sich aus der Regelung des § 463 IV 1 StPO, wonach im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung von den Maßregelvollzugseinrichtungen eine gutachterliche Stellungnahme einzuholen ist, auch die Befugnis ergebe, dem Gericht die für eine eigene prognostische Bewertung der Gefährlichkeit des Untergebrachten notwendigen Erkenntnisse zu offenbaren.Footnote 18 Einige Länder haben hierzu ausdrückliche Regelungen geschaffen.Footnote 19

    Für die Unterbringung nach § 64 StGB bestehen keine dem § 463 IV 1 und 6 StPO entsprechenden Regelungen. Auch für diese Maßregel kann aus der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Gerichte zu bestmöglicher Sachaufklärung aber abgeleitet werden, dass sie von den Maßregelvollzugseinrichtungen im Rahmen der halbjährlichen Überprüfung der Unterbringung einen Bericht jedenfalls über die nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Tatsachen verlangen und diese Daten anschließend auch dem Sachverständigen zugänglich machen können. Soweit die Landesgesetze über den Maßregelvollzug keine ausdrücklichen Regelungen enthalten, bleibt die offene Frage, was in Bezug auf der Schweigepflicht unterliegende Umstände gilt. Dürfen diese Daten dem Sachverständigen und dem Gericht nicht zugänglich gemacht werden, geht eine verbleibende Prognoseunsicherheit im Rahmen der Aussetzungs- und Bewährungsprognose am Ende zu Lasten des Untergebrachten.

  2. b)

    Vorstrafen

    Bei der Verwertung prognostisch relevanter Vorstrafen muss beachtet werden, dass eine frühere Verurteilung und die ihr zugrunde liegende Tat weder dem Probanden vorgehalten noch verwertet werden dürfen, wenn die Vorstrafe im Bundeszentralregister getilgt worden oder zu tilgen ist (§ 51 I iVm §§ 45, 46, 47 BZRG). Dies gilt sowohl bei Kenntniserlangung aus der Lektüre von Vorstrafenakten als auch bei ihrer rechtsfehlerhaften Nennung im Bundeszentralregisterauszug oder bei Mitteilung durch den Probanden selbst.Footnote 20

    Dieses Vorhalte- und Verwertungsverbot gilt uneingeschränkt für Prognosegutachten zur Strafrestaussetzung (§ 454 I Nr. 1 und 2 StPO) sowie im Strafvollzug für Lockerungsgutachten (§§ 11 ff. StVollzG bzw. entsprechende Vorschriften der Landesgesetze).Footnote 21

    Hingegen gab es schon bisher eine Ausnahme von diesem Verbot für „Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen“ (§ 52 I Nr. 2 BZRG a. F.), die sich auf Gutachten zur Schuldfähigkeit und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bezog (§§ 20, 21, 63 StGB). InzwischenFootnote 22 ist diese Ausnahme erweitert worden auf „Gutachten über die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a oder 66b des Strafgesetzbuches, … falls die Umstände der früheren Tat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder Gefährlichkeit der betroffenen Person von Bedeutung sind“.Footnote 23

    Die neue Gesetzesfassung gilt auch für Gutachten im Rahmen der Prüfung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung,Footnote 24 ebenso für Gutachten zu der Frage, ob die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung beginnen darf (§ 67c I StGB) und ob dem Untergebrachten (bzw. dem Gefangenen bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung) eine angemessene Betreuung im Sinne des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB angeboten worden ist (§ 67d II 2 StGB und § 119a I StVollzG), weil die Begutachtung auch in diesen Fällen die „Voraussetzung der Maßregel“ betrifft.

    Für den Richter bedeutet das, dass auch er in diesen Fällen getilgte Vorstrafen bei der Entscheidung über die Schuldfähigkeit und über eine Maßregel nach den §§ 63, 64, 66 StGB berücksichtigen muss, diese bei der gleichzeitig zu treffenden Entscheidung über den Tatnachweis und die Strafzumessung hingegen nicht verwerten darf.

4. Eigene Untersuchungen

Der Sachverständige hat in eigener Verantwortung zu entscheiden, welche Unterlagen er für die Erstattung seines Gutachtens benötigt und welche Untersuchungsmethoden er anwendet.Footnote 25 Er muss sich bei der Gutachtenerstattung aber methodischer Mittel bedienen, die dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und im jeweiligen Einzelfall taugliche Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. In diesem Rahmen ist der Sachverständige – vorbehaltlich der Ausübung der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht – frei, wie er die maßgeblichen Informationen erhebt und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung für relevant hält. Das gilt auch für den Fall, dass er die bloße Beobachtung in der Hauptverhandlung – unter Umständen in Verbindung mit sonstigen Erkenntnisquellen – ohne persönliche Exploration zur Gutachtenerstattung für ausreichend hält.Footnote 26 Maßgebend ist, ob der Sachverständige nach seinem pflichtgemäßen Ermessen das Gutachten mit den gegebenen Mitteln erstatten kann oder nicht.Footnote 27

5. Statistische Befunde

Eine allein abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeiten gestützte Prognose verbietet sich.Footnote 28 Erfolgen prognostische Einschätzungen aufgrund statistischer Grundrisiken (wie etwa Basisraten) oder standardisierter Instrumente, ist dennoch eine individuelle (idiographische) Fallbetrachtung unverzichtbar, welche die Einschätzung verfeinert, erweitert und ggf. modifiziert.Footnote 29

C. Gutachten – Rechtliche Vorgaben

I. Gegenstand des Gutachtens

1. Die vier Hauptbereiche

Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, genügen nur dann rechtsstaatlichen Anforderungen, wenn sie auf zureichender Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Entscheidungsgrundlage haben. Prognosegutachten müssen deshalb hinreichend substantiiert sein und ein möglichst umfassendes Bild des Betroffenen zeichnen.Footnote 30 Um dem Gericht eine hinreichend breite Prognosebasis zu verschaffen und eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu ermöglichen, müssen sie verschiedene Hauptbereiche aus dem Lebenslängs- und -querschnitt der begutachteten Person betrachten und sich insbesondere mit

  • dem Anlassdelikt,

  • der (bekannten) prädeliktischen Persönlichkeit einschließlich der (bekannten) Kriminalität,

  • der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung, ggf. einschließlich von Vollzugsverhalten und Verhalten bei etwaigen Vollzugslockerungen, sowie

  • dem sozialen Empfangsraum des Täters

auseinandersetzen.Footnote 31

Sie müssen verdeutlichen, in welchem Zusammenhang Ausgangsdelikt und frühere Delinquenz mit der Persönlichkeit stehen (situative oder persönlichkeitsbedingte Taten) und ob deliktsspezifische Persönlichkeitszüge persistieren oder nicht. Die prognostische Relevanz der Vortaten und der Anlasstat muss dabei aus ihrer Einfügung in die Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen nachvollziehbar abgeleitet werden.Footnote 32

2. Behandlungsprognose

Schon im Anordnungsverfahren ist vor der Entscheidung über eine Unterbringung im Maßregelvollzug nach den §§ 63, 64 und 66 StGB stets nach den Behandlungsaussichten zu fragen (vgl. § 246a I StPO). Bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist die Frage, ob ein Angeklagter mit hinreichend konkreter Aussicht auf Erfolg behandelt werden kann, von entscheidender Bedeutung (§ 64 S. 2 StGB).Footnote 33 Relevant sind Erfolg versprechende ambulante Behandlungsmöglichkeiten außerdem für die Entscheidung, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zugleich mit der Anordnung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 67b StGB). Eine besonders wichtige Rolle spielt die Behandlungsprognose bei Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren. Hier kommt es darauf an, dass sich das Gutachten mit der aus dem Störungsbild und den gefährlichkeitsbegründenden Defiziten abgeleiteten Behandlungsindikation und den Behandlungsmöglichkeiten sowie den ggf. bereits erzielten Ergebnissen auseinandersetzt.Footnote 34

II. Darlegungsanforderungen an das Gutachten

1. Beschreibung des Risikos

Der mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist sowohl im Erkenntnisverfahren als auch im Vollstreckungsverfahren im Wege einer integrativen Betrachtung in die Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen bzw. der Aussetzungsreife der Maßregel einzubeziehen.Footnote 35 Im Strafvollstreckungsverfahren ist er – unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots – insbesondere zu berücksichtigen, wenn es um die Aussetzungsreife einer langen bzw. lebenslangen Freiheitsstrafe geht.Footnote 36

Das hat Auswirkungen auf die Darlegungsanforderungen in den jeweiligen Entscheidungen der Gerichte und damit auch auf die Prognosegutachten, welche dazu beitragen, diese Entscheidungen vorzubereiten. Prognosegutachten müssen deshalb Ausführungen u. a. dazu enthalten,Footnote 37

  • ob und unter welchen Umständen rechtswidrige Taten drohen, ggf.

  • welcher Art diese Taten sind und welche Rechtsgüter somit betroffen sind,

  • wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (erwartete Häufigkeit und Rückfallfrequenz),

  • mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit Taten welcher Art zu erwarten sind (wobei eine bloße Möglichkeit künftiger Taten für eine ungünstige Prognose nicht ausreicht),

  • auf welchen Zeitraum sich die Prognose erstreckt,

  • ob bzw. inwiefern noch eine Besserungsmöglichkeit besteht und wodurch ggf. eine weitere Besserung zu erreichen ist,

  • von welchem sozialen Empfangsraum bei der Gefahrprognose ausgegangen wird,

  • welche Wirkungen die im Falle der Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung oder der Erledigung der Maßregel kraft Gesetzes eintretende Bewährungs- bzw. Führungsaufsicht (§§ 56 ff, 57 III, V, 57a III, 67b, 67d StGB) und die damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (vgl. §§ 56a ff, 68a, 68b StGB) voraussichtlich haben werden und

  • ob bzw. inwieweit der Gefährlichkeit der begutachteten Person durch Maßnahmen im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung (einschließlich einer zivilrechtliche Unterbringung auf Veranlassung des Betreuers) begegnet werden könnte.

2. Konkretisierung der Gefahr

Das Bundesverfassungsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung eine ins Detail gehende Beschreibung des Risikos.Footnote 38 Dies stellt Anforderungen an den Inhalt der richterlichen Entscheidung ebenso wie an das Gutachten des Sachverständigen.

Die von der begutachteten Person ausgehende Gefahr muss hinreichend konkretisiert werden. Dabei ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung steigen die an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung und damit zugleich an die Begründung der gutachterlichen Beurteilung zu stellenden Anforderungen, namentlich sind die Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten und deren Deliktstypus substantiiert darzulegen.Footnote 39

Die erwarteten Tatbilder müssen konkret dargestellt und es muss – ggf. bezogen auf die verschiedenen Delikte bzw. Deliktsgruppen – angegeben werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit und in welcher Frequenz die neuen Taten drohen. Dargestellt werden muss in diesem Zusammenhang auch, welche protektiven Faktoren und welche Risikofaktoren im konkreten Fall zu beachten sind, welche konkreten Umstände bzw. Auslöser zum Rückfall führen können und inwieweit die begutachtete Person den Umgang hiermit gelernt hat. Außerdem müssen die Mittel und Möglichkeiten eines Risikomanagements dargelegt werden.Footnote 40

Den zunehmend strengeren Anforderungen der Rechtsprechung genügen knappe, allgemeine Wendungen, wie z. B. „fortbestehende hohe Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Sexualstraftaten“, nicht. Denn auf dieser Grundlage kann nicht beurteilt werden, welche Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Einzelnen zu erwarten sind und ob es sich dabei um „erhebliche Straftaten“ handelt. Dies ist jedoch angesichts der Bandbreite der in den §§ 174 ff. StGB geregelten Straftaten, deren Strafrahmen von Geldstrafe bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe reicht, geboten.Footnote 41

3. Beachtung der Kompetenz- und Verantwortungsteilung

Bei alledem ist stets die Aufgabenverteilung zwischen Sachverständigem und Gericht zu beachten: Die erforderliche Beschreibung der drohenden Taten und die erfahrungswissenschaftliche Begründung der Prognose kann (und muss) der Sachverständige liefern, die Bewertung – Prüfung von Erheblichkeit, Kausalität und symptomatischem Zusammenhang – obliegt der alleinigen Verantwortung des Gerichts.

III. Nachvollziehbarkeit und Transparenz

Das Gutachten muss nachvollziehbar und transparent sein. In ihm sind die von dem Sachverständigen herangezogenen und ausgewerteten Erkenntnismittel sowie die hierdurch erlangten Informationen anzugeben. Die Anknüpfungstatsachen müssen klar und vollständig dargestellt und es muss dargelegt werden, auf Grund welcher Anknüpfungstatsachen (Angaben des Probanden, Ermittlungsergebnisse, Vorgaben des Gerichts zum Sachverhalt und möglichen Tathandlungsvarianten), Untersuchungsmethoden und Denkmodelle der Sachverständige zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist. Dabei sind eventuell vom Sachverständigen selbst erhobene, vom Auftraggeber ggf. noch zu überprüfende Tatsachen besonders hervorzuheben. Erforderlich ist eine umfassende und in sich nachvollziehbare Darstellung des Erkenntnis- und Wertungsprozesses, auf dessen Grundlage der Sachverständige eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das künftige Legalverhalten des Verurteilten trifft, durch welche das Gericht in die Lage versetzt wird, die vom Gesetz gestellte Prognosefrage eigenverantwortlich zu beantworten.Footnote 42

D. Prognosen in den verschiedenen Verfahrensstadien

I. Erkenntnisverfahren

1. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB

Der Bundesgerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung, dass die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB eine außerordentlich belastende Maßnahme ist, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass sich der Betroffene bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts im Zustand der aufgehobenen oder erheblich verminderten Schuldfähigkeit befand, die Tatbegehung hierauf beruhte und der Zustand von längerer Dauer und daher geeignet ist, die außerdem vorausgesetzte ungünstige Gefährlichkeitsprognose (mit) zu tragen.Footnote 43

  1. a)

    Feststellungen zur Schuldfähigkeit als Ausgangspunkt

    Die Darlegungsanforderungen im Urteil haben sich in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich verschärftFootnote 44: Das Krankheitsbild und die der Diagnosestellung zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen sind konkret darzulegen.Footnote 45 Der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters müssen dargestellt werden.Footnote 46 Insbesondere ist situationsbezogen zu erörtern, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf seine Handlungsmöglichkeiten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, warum also die Anlasstat auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen ist.Footnote 47

  2. b)

    Bezugspunkte für die Gefährlichkeit

    Eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose ist nach dem mit Wirkung ab 01.08.2016 novellierten § 63 S. 1 StGB, der im Wesentlichen die bereits zuvor gültige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs festschreibt und konkretisiert,Footnote 48 zu stellen, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Bezugspunkt der Prognose müssen also Straftaten von erheblicher Bedeutung sein. Dies setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.Footnote 49 Straftaten, die – wie die Nötigung, die Bedrohung,Footnote 50 die fahrlässige Körperverletzung,Footnote 51 die NachstellungFootnote 52 oder die SachbeschädigungFootnote 53 – im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter 5 Jahren bedroht sind, sind nicht mehr „ohne Weiteres“ dem Bereich der mittleren Kriminalität und damit der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen.Footnote 54 Für Straftaten, die lediglich wirtschaftlichen Schaden anrichten, gilt als grobe Richtschnur, dass ein schwerer wirtschaftlicher Schaden in etwa dem Dreifachen des durchschnittlichen (Netto‑)Einkommens in Deutschland entspricht und derzeit daher mindestens 5000 € beträgt.Footnote 55 Generell müssen die konkreten Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls sowie die konkrete Art der zu erwartenden Tatbestandsverwirklichung berücksichtigt werden.Footnote 56

    Die prognostizierten Taten müssen mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten sein.Footnote 57 Die Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln.Footnote 58 Dabei sind neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung auch die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können, in die Gesamtwürdigung einzustellen.Footnote 59 Für die Gefährlichkeitsprognose ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen,Footnote 60 jedoch sind auch abzusehende zukünftige Entwicklungen in den Blick zu nehmen und in die Erwägungen einzustellen. Nach Tatbegehung erzielte Behandlungserfolge und eingetretene Stabilisierungen stehen daher der Annahme einer die Unterbringung rechtfertigenden Gefährlichkeitsprognose nicht entgegen, wenn mit einer Verschlechterung der Verhältnisse und in der Folge mit erneuten erheblichen rechtswidrigen Taten zu rechnen ist.Footnote 61

    Handelt es sich bei der Anlasstat nicht um eine iSv § 63 S. 1 StGB erhebliche Tat, gelten verschärfte Darlegungsanforderungen (§ 63 S. 2 StGB).Footnote 62 In diesen Fällen müssen „besondere Umstände“ die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter gleichwohl infolge seines Zustandes in Zukunft auch erhebliche rechtswidrige Taten iSv § 63 S. 1 StGB begehen wird. Die „besonderen Umstände“ müssen das „potentielle Legitimationsdefizit der Anordnung aufgrund einer solchen Tat“Footnote 63 und die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen.Footnote 64 Die Gefährlichkeitsprognose muss besonders sorgfältig und unter ausführlicher Darlegung des maßgeblichen, eine solche Bewertung rechtfertigenden Tatsachenmaterials begründet und konkret belegt werden.Footnote 65

2. Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB

Die Unterbringung nach § 64 StGB ist zeitlich befristet. Sie darf nicht länger als 2 Jahre (Grundfrist nach § 67d I 1 StGB) zuzüglich der auf die Vollstreckung einer ggf. daneben verhängten Freiheitsstrafe anrechenbaren Zeit (maximal zwei Drittel der Freiheitsstrafe, § 67d I 3 StGBFootnote 66) dauern. Auch für diese Maßregel gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) und müssen sämtliche Anordnungsvoraussetzungen zweifelsfrei festgestellt sein.Footnote 67

  1. a)

    Feststellung eines Hangs als Ausgangspunkt

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Hang iSv § 64 StGB die eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren. Dieses Übermaß ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seines Konsums sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, etwa weil der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass hierdurch seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden,Footnote 68 oder bei Beschaffungskriminalität.Footnote 69 Physische Abhängigkeit ist nicht erforderlich,Footnote 70 psychische Abhängigkeit reicht aus.Footnote 71

    Der juristische Hangbegriff ist von der Einordnung des Rauschmittelkonsums in medizinische Klassifikationssysteme unabhängig und im Verhältnis etwa zu Abhängigkeitsdiagnosen nach ICD 10 weiter gefasst.Footnote 72 Nachdem die Beschaffungskriminalität durch die Rechtsprechung als Indiz für soziale Gefährdung und Gefährlichkeit und damit für übermäßigen Konsum und Hang angesehen wird,Footnote 73 bedarf es einer differenzierten Betrachtung, ob die Anlasstat allein oder überwiegend der Finanzierung des Rauschmittelkonsums dient oder Ausdruck eines kriminellen Lebensstils ist, der auch den Konsum von Rauschmitteln ermöglicht.

    Die Erwartung, über eine Unterbringung nach § 64 StGB einen angenehmeren Vollzug und eine größere Chance auf vorzeitige Entlassung schon nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe (vgl. § 67 II 3, V 1 StGB) zu erlangen, gibt nach Berichten aus der Praxis manchen Angeklagten den Anreiz, Drogenkarriere und tatzeitnahe Konsumgewohnheiten zu simulieren oder zu übertreiben. Diese Angaben sind daher sorgfältig darauf zu untersuchen, ob sie eine Bestätigung in körperlichen Befunden oder der Lebenssituation des Angeklagten erfahren. Der Sachverständige muss ggf. darauf hinweisen, wenn sich objektive Anhaltspunkte für die Angaben des Angeklagten nicht finden lassen.

  2. b)

    Gefährlichkeitsprognose

    Die Anordnung setzt die Gefahr voraus, dass der Angeklagte infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (§ 64 S. 1 StGB). Für diese Prognose kommt es auf die zu erwartenden Taten an. Das Gewicht der Anlasstat stellt ein Indiz für die Gefährlichkeit dar. Durch eine hangbedingte schwere Gewalttat wird die Gefahr weiterer erheblicher Taten regelmäßig hinreichend belegt.Footnote 74

    Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose ist derjenige des tatgerichtlichen Urteils.Footnote 75 Möglichkeiten, Chancen, Maßnahmen einer therapeutischen Behandlung oder auch zukünftig erst Erhofftes haben im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose außer Betracht zu bleiben.Footnote 76 Die Gefahr künftiger suchtbedingter Straftaten darf daher nicht deshalb verneint werden, weil der Angeklagte unter den strafrechtlichen Konsequenzen seiner Taten leidet und berufliche Pläne im außerstrafrechtlichen Bereich wahrscheinlich würde umsetzen können.Footnote 77

    Stützt das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf ein von einem Sachverständigen verwendetes standardisiertes Prognoseinstrument, hat es darauf zu achten, dass dieses im jeweiligen Einzelfall tauglich ist.Footnote 78 Zur individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen.Footnote 79

    Die Gefahr weiterer Taten im Sinne des § 64 StGB kann nur angenommen werden, wenn die begründete Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass der Täter diese infolge seines Hanges begehen wird. Die bloße Möglichkeit weiterer Taten genügt nicht. Allerdings mag der unterschiedliche Wortlaut des § 64 StGB („Gefahr“) und des § 63 StGB („Erwartung“) dafür sprechen, dass das Gesetz für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit verlangt. Indes lassen sich die Unterschiede schon abstrakt kaum bestimmen.Footnote 80

    Das Fortbestehen eines tatbedingenden Hanges zu Rauschmitteln ist ein Indiz für fortbestehende Gefährlichkeit. Einen Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei einem Drogenabhängigen grundsätzlich die Gefahr neuer erheblicher Straftaten besteht, gibt es indes nicht.Footnote 81

    Anders als bei § 63 StGB enthält das Gesetz keine nähere Erläuterung dazu, was erhebliche Straftaten sind. § 64 StGB verzichtet auch auf den in § 63 StGB vorhandenen Zusatz, der Angeklagte müsse deshalb „für die Allgemeinheit gefährlich“ sein. Daraus kann geschlossen werden, dass die Erheblichkeitsschwelle unter dem Maß aus § 63 StGB liegt.

    Der Bundesgerichtshof hat „gewichtige Verstöße“ gegen das BtMG als erheblich angesehen,Footnote 82 so z. B. den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge oder die Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige,Footnote 83 nicht aber deren Erwerb zum Eigenkonsum.Footnote 84

    Die Frage der Erheblichkeit zukünftiger Straftaten ist – wie auch bei § 63 StGB – eine Rechtsfrage, die nicht der Beurteilungskompetenz eines Sachverständigen unterfällt.Footnote 85 Dieser muss sich deshalb auch nicht zur Erheblichkeit verhalten, sondern lediglich Art und Ausmaß zu erwartender Taten schildern.

  3. c)

    Zusammenhang des Hangs mit der Anlasstat und der Gefährlichkeit

    Zwischen dem Hang zum übermäßigen Rauschmittelkonsum und der Anlasstat einerseits sowie der zukünftigen Gefährlichkeit andererseits muss eine Verbindung bestehen. Die Tat muss im Hang ihre „Wurzel“ finden, mithin Symptomwert für den Hang haben.Footnote 86 Typisch sind Delikte, die der Täter begeht, um in den Besitz von Rauschmitteln oder des für ihre Beschaffung notwendigen Geldes zu kommen.Footnote 87 Bei Sexualdelikten, die erfahrungsgemäß nur selten als Anlasstat für eine Unterbringung nach § 64 StGB in Erscheinung treten, ist ein solcher Zusammenhang zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, seine Annahme bedarf jedoch besonderer Anhaltspunkte, etwa solcher, die auf eine Neigung zu Aggressionsdelikten gegenüber Frauen unter Einfluss von Suchtmitteln schließen lassen.Footnote 88

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es indes nicht erforderlich, dass der Hang alleinige oder auch nur vorrangige Ursache der Anlasstat ist.Footnote 89 Diese ausdehnende Rechtsprechung zum symptomatischen Zusammenhang führt dazu, dass auch Angeklagte mit erheblichen, über den Hang zu Suchtmitteln hinausgehenden Störungsbildern, welche sogar für die Begehung der Anlasstat führend gewesen sein können, die Voraussetzungen für die Unterbringung erfüllen. Der Belastung des Maßregelvollzugs mit diesen Patienten kann indes durch ein Absehen von der Unterbringung im Rahmen der Ermessensausübung (siehe dazu unten e)) entgegengewirkt werden. Besteht neben der Substanzabhängigkeit ein psychischer Defekt beim Angeklagten, auf dem diese beruht oder der ihr Fortbestehen bedingt, kann aber die Unterbringung nach § 63 StGB gerechtfertigt sein.Footnote 90

  4. d)

    Behandlungs- und Kriminalprognose

    § 64 S. 2 StGB knüpft die Zulässigkeit einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt an eine positive Behandlungs- und eine darauf aufbauende positive Kriminalprognose. Insoweit unterscheidet sich die Maßregel nach § 64 StGB von denjenigen nach §§ 63, 66 ff. StGB, die ein solches begrenzendes Merkmal für ihre Anordnung nicht kennen. Die Verminderung der Gefährlichkeit des Verurteilten ist das Erfolgskriterium für die Behandlung. Der Sachverständige muss einschätzen, inwieweit die Kriminalität auf der Sucht beruht und welches Gewicht ggf. weitere Ursachen haben (z. B. Dissozialität).

    Nach der früheren Gesetzesfassung von 1975 hatte eine Anordnung nur dann zu unterbleiben, wenn eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt von vornherein aussichtslos erschien (§ 64 II StGB idF des 2. StrRG). Dies hat das Bundesverfassungsgericht 1994 für verfassungswidrig erklärt, weil die mit einer Behandlung suchtkranker Täter notwendig verbundenen, auf eine Besserung hinwirkenden therapeutischen Eingriffe (Heilversuche) nur bei einer hinreichend zuverlässigen Indikation zulässig seien. Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Therapie ausschließlich zur Erprobung wäre hingegen unzulässig.Footnote 91 Seit 2007 ist dieser strengere Maßstab in das Gesetz aufgenommen (§ 64 S. 2 StGB).

    aa) Die Unterbringung ist darauf gerichtet, den Angeklagten durch die Behandlung innerhalb des gesetzlich zulässigen Zeitrahmens „zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren“ und so von hangbedingten Taten abzuhalten (§ 64 S. 2 StGB). Erreichbares Ziel der Behandlung wird dabei meist nur sein können, die Persönlichkeit des Betroffenen und seine Umweltbedingungen so zu stabilisieren und zu beeinflussen, dass er im Stadium der Entwöhnung beharrt.Footnote 92 In Ansehung der Schwierigkeiten, die einer „Heilung“ von der Sucht entgegenstehen,Footnote 93 lässt das Gesetz auch eine zeitweilige Rauschmittelabstinenz als zu erreichendes Ziel genügen. Eine nähere Quantifizierung der erforderliche Zeitspanne enthält weder das Gesetz, noch ist sie von der Rechtsprechung entwickelt worden. Die Angaben in der Literatur gehen dementsprechend auseinander.Footnote 94 Den Gesetzgebungsmaterialien ist zu entnehmen, „dass der Prognosezeitraum („erhebliche Zeit“) allerdings in jedem Fall durch die Zeitspanne begrenzt wird, über die bereits im Zeitpunkt der Unterbringungsentscheidung eine fachlich begründete Prognose möglich ist“.Footnote 95

    Die Rechtsprechung verlangt eine GesamtwürdigungFootnote 96 der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände. Im Urteil sind konkret die Umstände darzulegen, die positiv für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg sprechen.Footnote 97

    bb) Als mögliche Prädiktoren für einen Therapieerfolg erörtert die Praxis regelmäßig, ob der Angeklagte bereits Suchtbehandlungen durchlaufen hat, welche Einstellung er zu einer Therapie nach § 64 StGB geäußert hat, ob bei ihm weitere psychische Störungen, etwa eine dissoziale Persönlichkeitsstörung oder eine Schizophrenie, vorliegen, die der Erzielung eines Therapieerfolgs entgegenstehen können, und ob er über die für die Therapie erforderlichen kognitiven Fähigkeiten und eine ausreichende Sprachkompetenz verfügt.

    1. Einerseits ist die Ablehnung einer Therapie in der Entziehungsanstalt durch den Angeklagten für sich allein kein ausreichender Grund, eine hinreichende Erfolgsaussicht zu verneinen. Zwar kann die Therapieunwilligkeit ein gegen sie sprechender Umstand sein. In diesem Fall sind jedoch die Gründe eines etwaigen Motivationsmangels festzustellen und es ist zu überprüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann.Footnote 98 Denn gerade auch hierin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen.Footnote 99 Ob die Therapieunwilligkeit ggf. so verfestigt und in Ansehung der Möglichkeiten einer Maßregelklinik so unverrückbar erscheint, dass sie der Erfolgsaussicht entgegensteht, ist mit sachverständiger Hilfe festzustellen und im Urteil für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen.

    Andererseits sind erklärte Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation zwar prognosegünstige Umstände.Footnote 100 Sie allein vermögen die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht aber nicht zu belegen, sofern zugleich gewichtige prognoseungünstige Faktoren bestehen. Auch in einem solchen Fall bedarf es einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände.Footnote 101

    2. Mangelhafte oder fehlende Beherrschung der deutschen Sprache sind von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Erfolgsaussicht eingeordnet und regelmäßig nicht als einer Anordnung entgegenstehend erachtet worden.Footnote 102 Inzwischen wird dieser Umstand überwiegend bei der Ermessensentscheidung über die Anordnung berücksichtigt.Footnote 103 Es gehört zu den Aufgaben des Sachverständigen darzulegen, ob die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorhandene (oder während eines längeren Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe erwartungsgemäß zu erwerbende)Footnote 104 Sprachkompetenz des Angeklagten ausreicht, am therapeutischen Programm erfolgversprechend teilzunehmen.

    3. Darüber hinausgehende, für oder gegen eine Erfolgsaussicht sprechende Umstände werden zwar in der Literatur erörtert, finden aber bislang wenig Eingang in die Praxis. Dabei ist es durchaus gelungen, einige Indikatoren für einen Therapieabbruch im Maßregelvollzug, d. h. für eine mangelnde Therapieaussicht, zu identifizieren.Footnote 105 Es fehlt jedoch an aussagestarken täter- oder tatbezogenen positiven Prädiktoren.Footnote 106 Hinzu kommt, dass neuere Erkenntnisse dahin gehen, dass dem therapeutischen Setting in der Maßregelklinik eine herausragende Bedeutung für den Erfolg oder Misserfolg der Behandlung zukommt,Footnote 107 was die Einschätzung für den Sachverständigen zusätzlich erschwert.

  5. e)

    Ermessensausübung

    Seit 2007 ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwar nicht mehr zwingend („ist“). Liegen ihre Voraussetzungen vor, so „soll“ das Gericht sie aber anordnen und darf lediglich in besonderen Ausnahmefällen hiervon absehen.Footnote 108 Als solche besondere Konstellationen gelten mangelnde Sprachkenntnisse des Angeklagten, die eine Verständigung nicht oder nur über einen Dolmetscher möglich machen und einem erfolgreichen Therapieverlauf entgegenstehen; ebenso eine zu erwartende Abschiebung des Angeklagten wegen der damit verbundenen erhöhten Fluchtgefahr, durch die der therapeutische Prozess erschwert wird; schließlich gehören dazu auch Angeklagte, bei denen eine Disposition für die Begehung von Straftaten nicht wesentlich durch den Hang zu übermäßigem Drogenkonsum, sondern durch weitere Persönlichkeitsmängel begründet wird und deshalb Erprobungen unter Lockerungsbedingungen nicht möglich sind (sofern diesen Angeklagten überhaupt eine positive Behandlungs- und Kriminalprognose gestellt werden kann).Footnote 109

    Die Ablehnung der stationären Therapie nach § 64 StGB durch den Angeklagten in der Erwartung einer (späteren) Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG ist kein Grund, von der Anordnung im Wege der Ermessensausübung abzusehen. Die Unterbringung nach § 64 StGB geht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG vor; ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht.Footnote 110

  6. f)

    Beteiligung eines Sachverständigen

    Erwägt das Gericht, die Unterbringung anzuordnen, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen (§ 246a I 2 StPO). Eine Anordnung der Maßregel kann somit nur unter Beteiligung eines Sachverständigen ergehen. Auch eine Ablehnung setzt die Mitwirkung eines Gutachters voraus, wenn sie mit dem Fehlen der Einweisungsvoraussetzungen (d. h. kein Hang, kein Symptomzusammenhang, keine Gefährlichkeit, keine Erfolgsaussicht) begründet werden soll. Nur wenn das Tatgericht die Maßregelanordnung allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist, ist es von dieser Verpflichtung befreit.Footnote 111

    Bei der Gutachterauswahl sollte vom Gericht darauf geachtet werden, einen Sachverständigen mit Erfahrung in der stationären Suchtbehandlung zu bestellen.

  7. g)

    Vollstreckungsreihenfolge

    Gem. § 67 I StGB ist auch die Unterbringung in der Entziehungsanstalt grundsätzlich vor der Strafe zu vollziehen. Allerdings „soll“ das Gericht nach § 67 II 2 StGB bestimmen, dass ein Teil der Strafe vorab zu vollstrecken ist, wenn neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren verhängt worden ist. Die Vorschrift will insbesondere der Sicherung des Therapieerfolgs dienen, der bei einer Rückverlegung in eine Justizvollzugsanstalt gefährdet sein kann.Footnote 112 Der vorab zu vollstreckende Teil der Strafe ist dabei so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Aussetzung (auch) des Strafrests zur Bewährung zum Zeitpunkt der Halbstrafe möglich ist (§ 67 II 3 StGB). Die Dauer des Vorwegvollzugs hängt demnach von der Höhe der verhängten Strafe und der voraussichtlichen Dauer der Unterbringung gem. § 64 StGB ab. Für letztere ist derjenige Zeitraum maßgebend, der bei prognostischer Beurteilung erforderlich erscheint, um einen Behandlungserfolg zu erzielen.Footnote 113 Auch hierüber muss sich das Prognosegutachten verhalten.

    Das Tatgericht kann es beim Vorwegvollzug der Maßregel nach § 67 I StGB belassen, wenn diese Vollstreckungsreihenfolge aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eher die Erreichung des Therapieerfolgs erwarten lässt,Footnote 114 was ebenfalls auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens zu beurteilen ist. Als gewichtiger Grund kommt dabei namentlich eine dringende Therapiebedürftigkeit des SuchtkrankenFootnote 115 oder die im Falle der Anordnung des teilweisen Vorwegvollzugs erforderliche Herausnahme des Angeklagten aus einer bereits begonnen TherapieFootnote 116 in Betracht. Das Tatgericht darf ferner darauf abstellen, dass bei einem zu erwartenden fortdauernden Betäubungsmittelkonsum während eines zunächst zu vollstreckenden Teils der Strafe alsbald gravierende gesundheitliche Einbußen zu besorgen wären, die einen Therapieerfolg voraussichtlich vereiteln würden.Footnote 117

3. Sicherungsverwahrung (§§ 66, 66a und 66b StGB)

  1. a)

    Überblick

    Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung stellen in den §§ 66, 66a und 66b StGB ein ausdifferenziertes Spektrum von Anordnungstatbeständen bereit. Das Gesetz unterscheidet zwischen

    • der primären Sicherungsverwahrung, die im Urteil neben der Strafe angeordnet wird (§ 66 StGB),

    • der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, die im Urteil neben der Strafe vorbehalten (§ 66a I und II StGB) und in einem Nachverfahren, spätestens bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe, durch ein weiteres Urteil angeordnet wird (§ 66a III StGB), und

    • der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB), die unter bestimmten weiteren Voraussetzungen angeordnet werden kann, wenn eine Unterbringung nach § 63 StGB für erledigt erklärt werden musste, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem diese Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht (mehr) bestand.

    • Daneben sind besondere Regeln für Altfälle zu beachten (Art. 316e, 316f EGStGB), die aber größere Relevanz im Vollstreckungsverfahren haben und daher vor allem dort angesprochen werden sollen.

    • Das Jugendgerichtsgesetz sieht in § 7 II und IV JGG für Jugendliche sowie in § 106 III, IV, VI und VII JGG für Heranwachsende Möglichkeiten allein der vorbehaltenen und der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor, die sich in den im vorliegenden Zusammenhang bedeutsamen Abschnitten weitgehend an die Regelungen der §§ 66a, 66b StGB anlehnen.

  2. b)

    Primäre Sicherungsverwahrung

    Das Gesetz differenziert auf der Tatbestandsebene nach der Art der Delikte sowie nach der Zahl der Taten, Vorverurteilungen und Vorverbüßungen, der Höhe der verwirkten Strafen und der Dauer der bisher erfahrenen Freiheitsentziehungen. Auf der Rechtsfolgenseite unterscheidet das Gesetz zwischen der zwingenden (§ 66 I StGB) und der in das Ermessen des Gerichts gestellten (§ 66 II und III StGB) Anordnung der Sicherungsverwahrung.

    Allen Anordnungstatbeständen der primären Sicherungsverwahrung gemeinsam sind zwei auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten festzustellende materielle Voraussetzungen:

    • ein Hang des Täters zu erheblichen Straftaten, „namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden,“ sowie

    • seine infolge dieses Hanges zum Zeitpunkt der Verurteilung bestehende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit (§ 66 I 1 Nr. 4 StGB).

    Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen MerkmaleFootnote 118 und daher strikt voneinander zu unterscheiden und jeweils gesondert zu erörtern.

    Der Hang i. S. v. § 66 StGB bezeichnet einen Zustand, der aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellt wird und noch gegenwärtig sein muss.Footnote 119 Seine Feststellung obliegt dem Gericht in eigener Verantwortung, das sich dazu aber sachverständiger Beratung (§ 246a I 1 StPO) zu bedienen und seine Entscheidung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände zu begründen hat.Footnote 120

    In der Sache wird der Hang als eingeschliffener innerer Zustand des Täters verstanden, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.Footnote 121 Auf die Ursache für den Hang kommt es nicht an. Den Anlasstaten muss aber Symptomwert hinsichtlich des Hanges beizumessen sein. Eine Persönlichkeitsstörung und eine damit einhergehende Neigung zur Begehung erheblicher Straftaten können deren Indizwert verstärken.Footnote 122

    Die Gefährlichkeitsprognose schätzt demgegenüber die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht.Footnote 123 Der Hang ist dabei nur ein, wenn auch wesentliches Kriterium der Prognose.Footnote 124

    Sowohl der Hang als auch die Gefährlichkeitsprognose müssen sich auf Straftaten beziehen, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen.Footnote 125 In Betracht kommen vornehmlich Taten, die in den Deliktskatalog von § 66 I 1 Nr. 1 StGB fallen.Footnote 126 Ein weiteres gewichtiges Kriterium zur Bestimmung der Erheblichkeit ergibt sich daraus, dass § 66 I 1 Nr. 4 StGB die schwere seelische oder körperliche Schädigung der Opfer besonders hervorhebt („namentlich“).Footnote 127 Letztlich kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles an, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potentiell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer auch die Tathäufigkeit und die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können.Footnote 128 Darauf, ob solche Folgen aufgrund des Anlassdelikts eingetreten sind, kommt es nicht an.Footnote 129

    In die Zukunft reichende Entwicklungen sind mit besonderer Vorsicht zu betrachten. So beschreibt z. B. die Erwägung, die Gefährlichkeit des Täters könne wegen seines fortgeschrittenen Alters und des bis zum Ende der Strafvollstreckung zu erwartenden weiteren Alterungsprozesses gesunken sein, angesichts der festgestellten Delinquenz oft nur eine theoretische Möglichkeit, die sich auf die Gefährlichkeitsprognose nicht auswirken kann. Denn für diese kommt es allein auf den Zeitpunkt der Verurteilung an.Footnote 130 Das Alter des Täters oder auch die erwarteten Wirkungen eines erstmals erlebten längeren Strafvollzugs und von in diesem Rahmen (möglicherweise) wahrgenommenen Therapieangeboten können vielmehr nur bei der Rechtsfolgenentscheidung berücksichtigt werden, wenn und soweit (in § 66 II und III StGB) die Anordnung der Sicherungsverwahrung in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Auch dann rechtfertigen sie ein Absehen von der Anordnung trotz – im Urteilszeitpunkt – bestehender hangbedingter Gefährlichkeit nur, wenn bereits zum Zeitpunkt des Urteilserlasses die Erwartung begründet ist, der Täter werde hierdurch eine Haltungsänderung erfahren, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann;Footnote 131 im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug genügen nicht.Footnote 132

  3. c)

    Vorbehaltene Sicherungsverwahrung

    Auch für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung sieht das Gesetz mehrere Tatbestände mit u. a. nach Art der Delikte und Höhe der verwirkten Strafe differenzierenden Eingangsvoraussetzungen vor, wobei der Vorbehalt hier stets in das Ermessen des Gerichts gestellt bleibt.

    Im Unterschied zur primären Sicherungsverwahrung wird die Feststellung eines Hanges zu erheblichen Straftaten und einer hangbedingten Gefährlichkeit des Täters aber in keinem Fall zwingend vorausgesetzt. § 66a I StGB, der im Übrigen an die Voraussetzungen des § 66 III StGB anknüpft, lässt es für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung vielmehr ausreichen, dass das Vorliegen eines Hanges und eine hangbedingte Gefährlichkeit zwar „nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich“ sind. § 66a II StGB bezieht sich auf Fallgestaltungen, in denen die Voraussetzungen der primären Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht erfüllt sind, jedoch „mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich“ ist, dass die Voraussetzungen eines Hanges zu erheblichen Straftaten und einer hangbedingten Gefährlichkeit vorliegen.

    Können ein Hang und/oder eine hangbedingte Gefährlichkeit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, so sind Begründungen in zwei Richtungen erforderlich: Einerseits sind Gründe dafür anzugeben, warum sich ein Hang und/oder eine hangbedingte Gefährlichkeit nicht hinreichend sicher belegen lassen. Andererseits muss sich aus den Urteilsgründen im Sinne einer belegten positiven Feststellung ergeben, dass sowohl das Vorliegen einer Hangtäterschaft als auch das Bestehen einer hierdurch bedingten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit wahrscheinlich sind. Da es sich bei Hang und hangbedingter Gefährlichkeit nicht um identische Merkmale handelt, sind entsprechende Einzelausführungen zu beiden Voraussetzungen erforderlich.Footnote 133

    Ob das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehält, kann unter anderem vom Grad der Wahrscheinlichkeit eines Hanges und der damit verbundenen Gefährlichkeit abhängen. Auch die Einschätzung, ob im Strafvollzug neue Erkenntnisse über die hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten zu erwarten sind, kann eine Rolle spielen.Footnote 134

    Ob der Vorbehalt ausgeübt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wird, ist bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu entscheiden (§ 66a III 1 StGB). Die Sicherungsverwahrung muss – zwingend – angeordnet werden, „wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (§ 66a III 2 StGB). Die Feststellung eines Hanges zu erheblichen Straftaten wird in diesem Verfahrensstadium nicht vorausgesetzt.

  4. d)

    Nachträgliche Sicherungsverwahrung

    Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB schließlich ist anders als die primäre und die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nur (nochFootnote 135) für eine Fallgestaltung vorgesehen und knüpft dabei an im Wesentlichen eigenständige Voraussetzungen an. Sie kommt ausschließlich bei Straftaten aus dem Deliktskatalog des § 66 III 1 StGB und nur nach Erledigung der Unterbringung nach § 63 StGB wegen Fehlens oder Wegfalls des die Schuldfähigkeit ausschließenden oder vermindernden Zustands in Betracht, wenn der Täter gleichwohl weiterhin als besonders gefährlich einzuschätzen ist. Diese Einschätzung muss sich auf eine „Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung“ stützen und ergeben, dass der Betroffene mit gesteigerter, nämlich mit „hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (§ 66b S. 1 Nr. 2 StGB). Ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose muss weder feststellbar noch auch nur wahrscheinlich sein.

II. Vollstreckungsverfahren

1. Grundsätzliches

  1. a)

    Bindung an das der Vollstreckung zugrunde liegende Urteil

    Die Tatsachenfeststellungen des Anlassurteils sind für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Prognoseentscheidungen grundsätzlich bindend.Footnote 136 Der Sachverständige muss bei seiner Beurteilung deshalb regelmäßig von diesen Feststellungen ausgehen. Berücksichtigt werden dürfen (und müssen) aber ergänzende Erkenntnisse.

    Eine besondere Situation entsteht, wenn sich aus sachverständiger Sicht neue Aspekte ergeben, die zu einer vom Anlassurteil abweichenden Beurteilung, z. B. der Motivationslage oder der das Anlasstatgeschehen begründenden Psychodynamik, drängen. Auch dann gilt, dass Annahmen, die den im Anlassurteil getroffenen Feststellungen widersprechen, der Beurteilung grundsätzlich nicht zugrunde gelegt werden dürfen.Footnote 137 Diese Aspekte können das Ergebnis der Begutachtung aber entscheidend beeinflussen. Der Gutachter muss seinen Auftraggeber deshalb auf die von ihm festgestellten Abweichungen und Widersprüche hinweisen. Für die Begutachtung als solche empfiehlt es sich, eine alternative Beurteilung vorzunehmen und dadurch zugleich die prognostische Relevanz der festgestellten Abweichungen darzulegen. Es ist dann Sache des Auftraggebers, die Reichweite der materiellen Rechtskraft des Anlassurteils und die rechtliche Erheblichkeit der dargestellten Abweichungen zu beurteilen und dem Sachverständigen ggf. ergänzende Aufträge zu erteilen.

  2. b)

    Verhältnismäßigkeit und integrative Betrachtung

    Die Gefährlichkeit ist durch eine integrative Betrachtung zu bestimmen, die Art der bei einem Rückfall zu erwartenden Taten und das Gewicht der betroffenen Rechtsgüter, die Rückfallgeschwindigkeit und -häufigkeit sowie die Rückfallwahrscheinlichkeit sind zur Dauer der Freiheitsentziehung ins Verhältnis zu setzen. Die Bewertung des Restrisikos ist dementsprechend nicht allein von den im Falle eines Rückfalls bedrohten Rechtsgütern abhängig, sondern auch vom Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit. Je höher das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ist, desto geringer sind die Anforderungen an das Rückfallrisiko.Footnote 138 Je länger die Freiheitsentziehung andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs.Footnote 139 Bei lange andauerndem Freiheitsentzug können etwaige Zweifel an einer günstigen Kriminalprognose leichter überwunden und Risiken eher in Kauf genommen werden.Footnote 140 Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Strafvollstreckungsrichters.

2. Strafvollstreckung

  1. a)

    Aussetzung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe

    Die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe muss zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn – neben weiteren formellen Voraussetzungen – dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 I 1 Nr. 2 StGB). Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind (§ 57 I 2 StGB). Diese Maßstäbe der Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe in § 57 I 2 StGB sind auch bei der Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zu beachten (§ 57a I 1 Nr. 3, S. 2 StGB). Wenn das Gericht erwägt,Footnote 141 den Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren wegen einer Straftat der in § 66 III 1 StGB bezeichneten Art zur Bewährung auszusetzen, muss es zur Vorbereitung seiner Entscheidung ein Sachverständigengutachten einholen (§ 454 II 1 StPO). Das Gutachten hat sich „namentlich zu der Frage zu äußern, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht“ (§ 454 II 2 StPO).Footnote 142

    In der Sache genügt im Regelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit, der Verurteilte werde künftig keine Straftaten mehr begehen. Je schwerer jedoch das Übel bei einem Rückfall sein wird, desto größer ist das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und desto höher sind die Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftig strafloses Leben.Footnote 143 Indes schließt die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung (§ 57 I 1 Nr. 2 StGB) es in allen Fällen mit ein, dass ein Restrisiko eingegangen wird.Footnote 144 Dessen Vertretbarkeit ist dabei nicht allein von den im Falle eines Rückfalls bedrohten Rechtsgütern abhängig, sondern auch vom Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit.Footnote 145 So muss auch die Ablehnungsentscheidung bei schweren Gewalt- oder Sexualdelikten durch konkrete Tatsachen belegt sein, die das Risiko als unvertretbar erscheinen lassen.Footnote 146

  2. b)

    Aussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe

    Bei Straftaten, die wie der Mord (§ 211 StGB) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, kommt dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit eine besonders hohe Bedeutung für die Frage zu, ob das mit der Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung verbundene Restrisiko eingegangen werden kann. Deshalb kommt eine bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitsstrafe nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht. Zwar hindert ein gewisses Risiko von Straftaten nur mittleren oder geringeren Gewichts die Restaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht. Denn mit zunehmender Dauer verstößt die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe gegen das Übermaßverbot, wenn von dem Verurteilten nur mittelschwere Straftaten drohen.Footnote 147 Außerdem ist zu beachten, dass mit zunehmendem Alter des Verurteilten und zunehmender Vollzugsdauer die Tatsituation und Umstände der Tat gegenüber dem Vollzugsverhalten und der augenblicklichen Lebenssituation des Verurteilten an prognostischer Bedeutung verlieren können. Wenn allerdings ein Fortbestehen der in der Anlasstat zutage getretenen Gefährlichkeit des Verurteilten positiv festgestellt werden kann, ist der weitere Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe erforderlich, um die Allgemeinheit zu schützen. Eine Vollstreckungsaussetzung scheidet schon aus, wenn nur irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verurteilte ein neues schweres Verbrechen begehen werde, oder wenn nach Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebots einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung Zweifel an einer hinreichend günstigen Gefährlichkeitsprognose verbleiben, die in diesen Fällen zu Lasten des Verurteilten gehen.Footnote 148

3. Maßregelvollstreckung

  1. a)

    Grundsätzliches

    § 67d StGB gibt die Maßstäbe für die Dauer und die Art der Beendigung der Unterbringung vor. Die Vorschrift unterscheidet zwischen der Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung (§ 67d II StGB) mit der Möglichkeit eines Widerrufs und Fortsetzung der Vollstreckung im Falle des Bewährungsversagens (§ 67g StGB) und der unwiderruflichen Erledigung der Maßregel (§ 67d III–VI StGB).

    aa) Die Aussetzung zur Bewährung ist der vorrangige Weg zur Beendigung der Vollstreckung, der für die drei freiheitsentziehenden Maßregeln gem. §§ 63, 64 und 66 StGB gleichermaßen zur Verfügung steht. § 67d II 1 StGB geht dabei von der fortbestehenden Gefährlichkeit des Untergebrachten aus und fragt für die Maßregelaussetzung zur Bewährung nach einer positiven Erwartung künftiger Ungefährlichkeit. Zu ermitteln, darzustellen und aus sachverständiger Sicht zu bewerten sind im Prognosegutachten daher alle Umstände, die geeignet sind, die Annahme fortbestehender Gefährlichkeit zu widerlegen und die Prognose künftiger Ungefährlichkeit zu belegen. Erforderlich ist dabei nicht eine unbedingte Gewähr, sondern eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit straffreier Führung des Verurteilten außerhalb der Unterbringung.Footnote 149

    Seit dem 01.08.2016 verlangt § 67d II 1 StGB ausdrücklich, dass es für die Bewährungsprognose allein auf rechtswidrige Taten ankommt, die erheblich sind.Footnote 150 Dies verdeutlicht, dass eine Bewährungsaussetzung nicht nur dann zu erfolgen hat, wenn keinerlei rechtswidrige Taten zu erwarten sind, sondern auch schon dann, wenn deren Gewicht nicht die Schwelle erreicht, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit den Freiheitsanspruch des Untergebrachten überwiegt.Footnote 151

    bb) Demgegenüber gehen die Erledigungstatbestände des § 67d III 1, VI 2 und 3 StGB davon aus, dass sich in den Fällen der Unterbringung nach § 63 und § 66 StGB die unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs zu bestimmende Gefährlichkeit nach einer bestimmten Unterbringungsdauer erledigt hat.Footnote 152 Eine Fortdauer der Unterbringung über die Zeitgrenze hinaus setzt deshalb die Überzeugung des Gerichts voraus, dass die gesetzliche Vermutung der Ungefährlichkeit widerlegt und der Verurteilte weiterhin, und zwar in gesteigertem Maße gefährlich ist.Footnote 153

    Eine Fortdauer der Unterbringung kommt mithin nur noch unter folgenden eingeengten Voraussetzungen in Betracht:

    • Zum einen beschränkt das Gesetz den Kreis der prognoserelevanten Taten und stellt insoweit höhere Anforderungen als für die Erstanordnung der Maßregel.Footnote 154

    • Zum anderen und vor allem begründet die Negativformulierung „wenn nicht die Gefahr besteht“ ein – gegenüber § 67d II 1 StGB umgekehrtes – Regel-Ausnahme-Verhältnis dergestalt, dass nicht etwa die Erledigung der Maßregel von einer positiven Prognose abhängig ist, sondern die Fortsetzung der Unterbringung von einer entsprechenden negativen Prognose.Footnote 155

    • Während eine Maßregelaussetzung nach § 67d II 1 StGB bei positiver Erwartung künftiger Ungefährlichkeit zulässig ist, setzt die Fortdauerentscheidung gem. § 67d III und VI 2, 3 StGB die Überzeugung des Gerichts voraus, dass der Verurteilte weiterhin gefährlich ist.

    • An den Zeitgrenzen von 6 bzw. 10 Jahren in den Fällen des § 63 StGB und von 10 Jahren in den Fällen des § 66 StGB verbietet sich demnach die schlichte Fortschreibung unwiderlegter Gefährlichkeitshypothesen; vielmehr müssen konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass die Gefährlichkeit entgegen der gesetzlichen Vermutung fortbesteht.Footnote 156

    • Eine negative Prognose erfordert eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Verurteilte ihrer Art nach konkret zu bezeichnende Taten aus dem beschränkten Kreis der an der Zeitgrenze noch prognoserelevante Taten begehen wird.Footnote 157 Bleiben dem Gericht Zweifel an der Wahrscheinlichkeit solcher Straftaten, so ist – anders als bei der Aussetzung von Strafen und Maßregeln zur Bewährung – zugunsten des Untergebrachten die Maßregel für erledigt zu erklären.

    • Eine Fortsetzung der Maßregel jenseits der Zeitgrenze kommt nur bei denjenigen Verurteilten in Betracht, deren nunmehr vermutete Ungefährlichkeit widerlegt istFootnote 158.

    • Zu ermitteln, darzustellen und aus sachverständiger Sicht zu bewerten sind im Prognosegutachten an den Zeitgrenzen daher alle Umstände, die geeignet sind, eine fortbestehende, gesteigerte Gefährlichkeit zu belegen.

    cc) Wenn das Gericht an der Zeitgrenze nach 6 bzw. 10 Jahren Vollstreckungsdauer zu dem Ergebnis kommt, dass von dem Untergebrachten weiterhin solche Taten drohen, die es rechtfertigen, die Unterbringung nicht für erledigt zu erklären, schließt dies nicht notwendig aus, dass sie in einem weiteren Prüfungsschritt gem. § 67d II 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Erwartung besteht, dass es (nur) „unter Bewährungsdruck“ nicht mehr zu derartigen Straftaten kommen wird, so dass die Gefährlichkeit „zwar bis zur Aussetzungsreife herabgesetzt, aber nicht bis zur Erledigungsreife entfallen ist“.Footnote 159

    Insbesondere bei Unterbringungen nach § 63 StGB ist außerdem an Konstellationen zu denken, in denen die Gefährlichkeit durch Maßnahmen der Führungsaufsicht und namentlich die Möglichkeit der befristeten Wiederinvollzugsetzung der Maßregel zur Krisenintervention (§ 67h StGB), die nur nach Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt, auf ein vertretbares Maß herabgesetzt werden kann.Footnote 160

    Nur wenn die gesteigerte Gefährlichkeit belegt und eine Aussetzungsreife auszuschließen ist, darf die Unterbringung als ultima ratio über die jeweilige Zeitgrenze hinaus fortdauern.Footnote 161 Auch in diesem Fall ist indes stets die allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 62 StGB) durchzuführen.Footnote 162

  2. b)

    Besonderheiten bei der Unterbringung nach § 63 StGB

    Bei der Fortdauerentscheidung über eine Unterbringung nach § 63 StGB hat die am 01.08.2016 in Kraft getretene Novellierung des Maßregelrechts zu gravierenderen Änderungen geführt.

    Zunächst ist in die Vorschrift des § 67d II 1 StGB (Fortdauer der Unterbringung bzw. Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung) der Begriff „erheblich“ eingeführt worden (s. oben).

    Vor allem aber ist in § 67d VI StGB der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung durch Einfügung zweier Zeitgrenzen nach 6 bzw. 10 Jahren vollzogener Unterbringung konkreter ausgestaltet worden.

    aa) Nach einer Vollzugsdauer von 6 Jahren reichen – anders als bei Anordnung der Maßregel – Taten, durch die allein schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird oder Opfer seelisch oder körperlich „erheblich“ geschädigt oder gefährdet werden, im Regelfall nicht mehr aus, um eine Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen. Vielmehr sind Taten erforderlich, durch welche Opfer seelisch oder körperlich „schwer“ geschädigt oder in die Gefahr einer solchen Schädigung gebracht werden, § 67d VI 2 StGB.

    • Der Begriff der „Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“, entspricht dem in § 66 I 1 Nr. 4 StGB bzw. § 66 I Nr. 3 StGB a. F., so dass die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Kriterien herangezogen werden können. Danach sind drohende Verbrechen regelmäßig erfasst, Straftaten, die dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, hingegen nur, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören.Footnote 163 Jedenfalls erfüllen daher die Katalogtaten des § 66 I Nr. 1 a–c, III 1 StGB diese Anforderungen.Footnote 164 So ist mit Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden; sie wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass aufgrund der Anlasstaten solche Schäden (zufällig) nicht eingetreten sind.Footnote 165

    • Mit dem Begriff der Taten, durch welche die Opfer „in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden“, sind die Fälle gemeint, in denen vom Untergebrachten zustandsbedingt Gefährdungsdelikte drohen, die zu derartigen Verletzungen führen können.Footnote 166

    • Diese Grundsätze gelten nach § 67d VI 2 StGB „in der Regel“. Ausnahmsweise können auch andere drohende Straftaten die Fortdauer der Unterbringung über die 6‑Jahres-Grenze hinaus rechtfertigen, so insbesondere wenn Taten drohen, die zu einem unersetzbaren wirtschaftlichen oder kulturellen Schaden führen können.Footnote 167

    bb) Nach 10 Jahren Unterbringungsdauer reicht auch die Erwartung einer bloßen Gefährdung nicht mehr aus;Footnote 168 es muss eine schwere seelische oder körperliche Schädigung drohen (§ 67d VI 3 iVm § 67d III StGB). Ausnahmen lässt § 67d III StGB an der 10-Jahres-Grenze nicht mehr zu.

    cc) Der Begriff „Gefahr“ in den Negativformulierungen des § 67d VI 2, 3 iVm § 67d III StGB („wenn nicht die Gefahr besteht“) entspricht dem Begriff der „Gefährlichkeit“ in § 63 StGB und damit auch dem dortigen Begriff der „zu erwartenden“ rechtswidrigen Taten. Die in § 67d VI 2, 3 iVm § 67d III StGB geforderte negative Prognose ist nur dann gerechtfertigt, wenn es konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte für eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten gibt.Footnote 169

    dd) Angesichts dieser ausdifferenzierten Staffelung der gesetzlich geforderten Gefährlichkeit ist es im besonderen Maße geboten, dass der Sachverständige möglichst exakt beschreibt, welche Taten mit welcher Wahrscheinlichkeit und aus welchen Gründen vom Verurteilten drohen, damit das Gericht entscheiden kann, ob sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen.

    ee) In den Fällen der Erledigungserklärungen nach § 67d VI 1–3 StGB ist darüber zu entscheiden, ob der Rest einer verhängten Begleitstrafe zu vollziehen oder zur Bewährung auszusetzen ist. Gleiches gilt für noch nicht vollstreckte Strafen oder Strafreste aus anderen Verurteilungen. Problematisch sind hier die Fälle, in denen bei der Prognose ein „non liquet“ vorliegt oder aber nur (noch) Delikte drohen, welche die strengeren Anforderungen nach einer Vollstreckungsdauer von 6 bzw. 10 Jahren nicht mehr erfüllen. Hier gilt: Falls nicht nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht zu § 67d VI 1 2. Alt. entwickelten GrundsätzeFootnote 170 auch die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe unverhältnismäßig ist,Footnote 171 muss diese vollstreckt werden, da § 57 I StGB, auf den § 67 V StGB verweist, eine positive Prognose voraussetzt und Zweifel insoweit zu Lasten des Verurteilten gehen.Footnote 172 Ob die Restvollstreckung in der Klinik erfolgen kann (§ 67 V 2 1. Hs. StGB; nach § 67 VI 4 StGB ggf. auch von verfahrensfremden StrafenFootnote 173) oder der Verurteilte zwingend in die JVA verlegt werden muss, ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstritten.Footnote 174

    Auch verfahrensrechtlich hat die Neuregelung gravierende Änderungen gebracht. Nach § 463 IV 2 StPO sind nunmehr externe (§ 463 IV 3 StPO) Gutachten alle 3 Jahre, nach 6 Jahren Unterbringungsdauer alle 2 Jahre einzuholen, wobei nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden sollen, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen (§ 463 IV 5 StPO). Die beauftragen Sachverständigen sollen nicht zwei Gutachten in derselben Sache in Folge erstatten; deshalb soll auch der Einweisungsgutachter nicht das erste Fortdauergutachten erstatten (§ 463 IV 3, 4 StPO). Diese Erfordernisse lassen – in engen Grenzen – Ausnahmen zu („soll“).Footnote 175

  3. c)

    Besonderheiten bei der Unterbringung nach § 64 StGB

    Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB enthält § 67d StGB drei alternative Beendigungstatbestände:

    aa) Der gesetzliche „Idealfall“ ist die Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung gem. § 67d II 1 StGB nach erfolgreicher Behandlung. Hier gelten die zu § 67d II 1 StGB entwickelten allgemeinen Grundsätze. Zugleich mit der Unterbringung wird dann auch der nicht durch Anrechnung der Unterbringungszeiten erledigte Rest der ggf. verhängten Begleitstrafe zur Bewährung ausgesetzt, vorausgesetzt, dass eine Mindestverbüßungsdauer erreicht ist, die gegenwärtig bei der Hälfte der Strafe liegt (§ 67 V 1 StGB). Wenn die Behandlung abschlussreif ist, bevor die Mindestverbüßungsdauer der Strafe erreicht ist, wird gem. § 67 V 2 StGB der Vollzug der Maßregel fortgesetzt, sofern nicht Umstände in der Person des Verurteilten den Vollzug der Strafe angezeigt erscheinen lassen, bis Unterbringung und Begleitstrafe zeitgleich zur Bewährung ausgesetzt werden können.

    Schwierigkeiten können entstehen, wenn neben der Maßregel und der Begleitstrafe noch eine Strafe aus einer anderen Verurteilung zu vollstrecken ist, bei der die gesetzliche Mindestverbüßungsdauer noch nicht erreicht ist. Hier kann unter Umständen mit einer Anrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs auf die verfahrensfremde Strafe geholfen werden, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre (§ 67 VI StGB). Anrechenbar sind allerdings nur Vollzugszeiten, die zwei Drittel der Begleitstrafe übersteigen und auf diese daher nicht mehr angerechnet werden können.Footnote 176 Ggf. eröffnet § 67 VI 4 iVm V 2 StGB die Möglichkeit, auch eine verfahrensfremde Strafe im Maßregelvollzug zu vollstrecken.

    bb) Nach § 67d IV StGB endet die befristete Unterbringung außerdem, wenn die Höchstfrist erreicht ist. Die Erledigung der Maßregel tritt in diesem Fall von Gesetzes wegen ein, ohne dass es insoweit einer vollstreckungsgerichtlichen Entscheidung bedarf. Entschieden werden muss ggf. aber über das Schicksal der Begleitstrafe (Aussetzung zur Bewährung oder Vollstreckung des Restdrittels, im Maßregelvollzug oder im Strafvollzug) und in jedem Fall über die Ausgestaltung der mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d IV 3 StGB).

    cc) Einen besonderen Erledigungstatbestand enthält schließlich § 67d V StGB. Danach ist die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt zu erklären, wenn die Voraussetzungen des § 64 S. 2 StGB nicht mehr vorliegen, d. h. wenn keine hinreichend konkrete Aussicht mehr besteht, den Verurteilten durch die Behandlung in der Entziehungsanstalt zumindest über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher, auf seinen Hang zurückgehender rechtswidriger Taten abzuhalten. Die Entscheidung hierüber steht nicht im Ermessen des Gerichts.Footnote 177 Die Maßregel darf vielmehr von Verfassungs (Art. 2 I und II GG) wegen nicht weiter vollzogen werden, wenn entgegen einer anfänglichen positiven Prognose keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen solchen Behandlungserfolg mehr besteht.Footnote 178

    1. Diese Erledigungserklärung setzt keine MindestvollzugsdauerFootnote 179 voraus und kann auch schon vor VollzugsbeginnFootnote 180 oder während einer VollstreckungsunterbrechungFootnote 181 getroffen werden. Der Untergebrachte muss vor der Entscheidung zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen, namentlich zu einer Stellungnahme der Klinik auch dann gehört werden, wenn er selbst den Antrag auf Erledigung gestellt hat.Footnote 182

    2. Die Prognose, dass keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mehr besteht, muss auf einer zureichenden Beurteilungsgrundlage beruhen.Footnote 183 Sie erfordert eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Untergebrachten sowie des gesamten Verlaufs der MaßregelvollstreckungFootnote 184 unter Berücksichtigung aller für und gegen die Erfolgsaussichten sprechenden Tatsachen, namentlich der Gründe der dem Erfolg der Therapie entgegenstehenden Umstände.Footnote 185 Eine nur vorübergehende und überwindbare Krise der Unterbringung vermag die Erledigung nicht zu rechtfertigen.Footnote 186 Hingegen kann die mit den Mitteln des Maßregelvollzugs – unter Einschluss eines Wechsels der Therapeuten und/oder der Behandlungsmethode, einer etwaigen Vorabvollstreckung (eines Teils) der Begleitstrafe (§ 67 III StGB) bzw. einer Überweisung in den Vollzug einer Maßregel nach § 63 StGB (§ 67a I StGB)Footnote 187 – nicht mehr aufzubrechendeFootnote 188 Therapieunwilligkeit oder -unfähigkeit nunmehr der günstigen Behandlungsprognose entgegenstehen.Footnote 189 Die dauerhaft verfestigte Therapieunwilligkeit oder -unfähigkeit muss durch Tatsachen ausreichend untermauert seinFootnote 190 und ist von den Vollstreckungsgerichten mit Blick auf die weitreichenden Folgen einer Erledigungserklärung für den Betroffenen besonders sorgfältig zu prüfen.Footnote 191 Insbesondere stellt der Umstand, dass der Verurteilte in der Anstalt Schwierigkeiten bereitet, Rückfälle in sein Suchtverhalten erleidet oder Lockerungen zu Straftaten missbraucht, als solcher noch keinen Anlass dar, fehlende Erfolgsaussicht anzunehmen.Footnote 192 Ebenso wenig kann die mangelnde Behandlungsaussicht mit fehlenden Kapazitäten der Vollzugsanstalt begründet werden.Footnote 193

    Im Einzelfall, namentlich wenn potentielle Auswirkungen einer Überweisung in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht zu ziehen sindFootnote 194, kann es gebotenen sein, einen externen Sachverständigen mit der Frage der noch bestehenden Erfolgsaussicht zu befassen.

    3. Die Erledigungserklärung hat zur Folge, dass nach Rechtskraft der Entscheidung die Strafvollstreckung nicht neuerlich unterbrochen und der Betroffene wieder in einer Entziehungsanstalt aufgenommen werden kann (§ 67 III StGB), selbst wenn sich wider Erwarten Behandlungsaussichten erneut eröffnen.Footnote 195

  4. d)

    Besonderheiten bei der Unterbringung nach § 66 StGB

    Die Bestimmung des im Vollstreckungsverfahren zugrunde zu legenden Prognosemaßstabs erfordert bei der Sicherungsverwahrung besondere Aufmerksamkeit.

    Keine Schwierigkeiten entstehen, wenn wenigstens eine der Anlasstaten der Unterbringung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung am 01.06.2013Footnote 196 begangen worden ist. Dann gelten die in § 67 d II und III StGB benannten Anforderungen.

    Schwieriger wird die Situation, wenn der Unterbringung ausschließlich Anlasstaten zugrunde liegen, die vor dem 01.06.2013 begangen wurden. Zu unterscheiden sind hier im WesentlichenFootnote 197 drei Zeiträume:

    • Erstens geht es um den Zeitraum zwischen dem 04.05.2011 und dem 31.05.2013.Footnote 198 Bei Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in diesem Zeitraum oder wegen einer in diesem Zeitraum begangenen Tat waren bzw. sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, wonach die Regelungen über die Sicherungsverwahrung „nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ angewandt werden dürfen.Footnote 199 Das wirkt sich auch auf die insoweit im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen aus. Denn die „Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung […] gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur unter der Voraussetzung gewahrt sein, dass eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstrafen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist“.Footnote 200

    • Zweitens geht es um den Zeitraum zwischen dem 31.01.1998Footnote 201 und dem 04.05.2011. Ob bei der Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung auch dann der gegenüber dem Gesetzeswortlaut des § 67d II 1, III StGBFootnote 202 strengere Maßstab der „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ anzulegen ist, wenn der Unterbringung Anlasstaten zugrunde liegen, die in diesen Zeitraum fallen, und wenn die Unterbringung in diesem Zeitraum angeordnet wurde, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.Footnote 203 In der Praxis dürfte dies die derzeit am häufigsten anzutreffende Konstellation sein.

    • Schließlich geht es um den Zeitraum bis zum 31.01.1998.Footnote 204 Waren sämtliche Anlasstaten vor diesem Tag und damit zum einem Zeitpunkt begangen, als die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch auf 10 Jahre befristet war, darf die Fortdauer der Unterbringung über 10 Jahre hinaus nur unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 316f II 2 EGStGB angeordnet werden. Sie ist „nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.“

      Dieselben Anforderungen gelten unabhängig vom Zeitpunkt der Anlasstat und der anordnenden Entscheidung, wenn es um die Fortdauer einer nachträglichen Sicherungsverwahrung geht, die nicht nach der Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, Art. 316f II 2 EGStGB.

      Der in diesen sog. Alt- und Parallelfällen zentrale Begriff der psychischen Störung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff,Footnote 205 der mit dem gleichlautenden Begriff in § 1 I Nr. 1 ThUG übereinstimmt.Footnote 206 Er lehnt sich einerseits an Art. 5 I 2 e EMRK in der Auslegung durch den EGMR und andererseits an die psychiatrischen Diagnoseklassifikationssysteme anFootnote 207 und soll dabei ein breites Spektrum von Erscheinungsformen abdecken, von dem nur ein Teil in der forensisch-psychiatrischen Begutachtungspraxis als psychische Erkrankung gewertet wird.Footnote 208 Erfasst werden spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Impuls- und der Triebkontrolle. Dies gilt insbesondere für die dissoziale PersönlichkeitsstörungFootnote 209 und verschiedene Störungen der Sexualpräferenzen, etwa Pädophilie oder Sadismus bzw. Sadomasochismus.Footnote 210 Entscheidend für die Annahme einer psychischen Störung ist dabei der Grad der objektiven Beeinträchtigung der Lebensführung in sozialer und ethischer Hinsicht, der anhand des gesamten – auch des strafrechtlich relevanten Verhaltens – des Betroffenen zu bestimmen ist.Footnote 211

      Liegen die besonderen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den Fällen des Art. 316f II 2 EGStGB nicht mehr vor, wird die Maßregel für erledigt erklärt, Art. 316f II 2 EGStGB.

  5. e)

    Besonderheiten bei Vorwegvollzug der Strafe

    Wird eine Freiheitsstrafe vor einer wegen derselben Tat oder Taten angeordneten Unterbringung vollzogen – z. B. bei angeordnetem Teilvorwegvollzug der Begleitstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in den Fällen der Sicherungsverwahrung, die stets erst nach vollständiger Strafverbüßung vollstreckt wird –, muss das Vollstreckungsgericht vor Ende des Strafvollzugs prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert, § 67c I 1 Nr. 1 StGB. Es ist umstritten, ob bei dieser Prüfung der für die Anordnung der jeweiligen Maßregel (§§ 63, 64, 66 StGB)Footnote 212 oder der für ihre Aussetzung geltende Maßstab (§ 67d II 1 StGB)Footnote 213 zugrunde zu legen ist, ob also die Anordnung des Vollzugs der Maßregel eine ungünstige Legalprognose oder das Fehlen einer günstigen Prognose erfordert. Ist die Unterbringung nicht mehr erforderlich, wird ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

    Welcher Maßstab gelten soll, ist eine Rechtsfrage, über die ausschließlich das Gericht entscheidet. Der Sachverständige hat sich allein an der Fragestellung im Gutachtenauftrag zu orientieren. Bleibt unklar, von welchem Maßstab das Gericht ausgeht, sollte er ggf. nachfragen.

4. Lockerungsprognose

Vollzugslockerungen kommt unter mehreren Gesichtspunkten eine besondere Bedeutung zu. Sie ermöglichen es dem Verurteilten, wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben zu suchen und zu finden, und geben ihm Gelegenheit, sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens der Vollzugslockerung zu bewähren.Footnote 214 Insbesondere bei einem langjährigen Vollzug ist es typischerweise notwendig, die Resozialisierungsfähigkeit des Verurteilten in sorgfältig gestuftem Vorgehen durch Lockerungen zu testen und ihn schrittweise auf die Freiheit vorzubereiten, weil eine unvorbereitete Entlassung in die Freiheit schon für sich genommen einen erheblichen Risikofaktor für einen Rückfall begründete.Footnote 215 Zugleich kann gerade das Verhalten anlässlich solcher Belastungserprobungen einen geeigneten Indikator für die künftige Legalbewährung darstellen und dadurch die Basis der prognostischen Beurteilung im Aussetzungsverfahren erweitern und stabilisieren.Footnote 216 Die unberechtigte Versagung von Vollzugslockerungen verletzt den Verurteilten in seinem Grundrecht auf Resozialisierung aus Art. 2 II iVm Art. 1 I GG.Footnote 217

In der Praxis spielen Lockerungsprognosen deshalb eine nicht unerhebliche Rolle. Zunehmend werden auch dazu Gutachten eingeholt. Die zu beantwortenden Fragestellungen ergeben sich aus den Straf‑, Maßregel- und Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzen der Länder, die die Voraussetzungen für die Gewährung von Vollzugslockerungen teilweise unterschiedlich formulieren. Im Kern geht es stets darum, ob Lockerungen geeignet sind, das Vollzugsziel zu fördern, und ob die Gefahr besteht, dass der Verurteilte eine bestimmte Lockerung zur Flucht oder zur Begehung von Straftaten missbrauchen wird. Zu beurteilen ist also nicht eine abstrakte Gefährlichkeit des Verurteilten und auch nicht, ob die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug erfüllt sind, sondern viel enger die konkrete Gefahr eines Missbrauchs in einer spezifischen Lockerungssituation.Footnote 218 Dabei sind jeweils die konkrete Art und Gestaltung sowie die Dauer der geplanten Lockerung zu berücksichtigen, also ob es sich um eine begleitete oder unbegleitete Maßnahme handeln und ob diese nur kurz, z. B. eine oder wenige Stunden, oder einen ganzen Tag oder mehrere Tage oder – in der Schlussphase der Entlassungsvorbereitung – mehrere Wochen andauern soll. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung kommt es darauf an, nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Verurteilten zu konkretisieren.Footnote 219 Bagatellverstöße gegen die Anstaltsordnung oder frühere Lockerungsweisungen dürfen nicht überbewertet werden.

5. Behandlungsprognose

  1. a)

    Allgemeines

    Zu einem PrognosegutachtenFootnote 220 gehört im Regelfall auch eine Aussage über die weitere Behandlungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Verurteilten.Footnote 221 Insbesondere Begutachtungen nach §§ 57, 57a, 67d StGB müssen eine Aussage zu der Notwendigkeit einer ambulanten Nachsorge enthalten, mithin also zu Fragen der Behandlungsnotwendigkeit, -fähigkeit und -willigkeit des VerurteiltenFootnote 222 sowie zu vorhandenen Therapiemöglichkeiten und insoweit in Betracht kommenden Auflagen und Weisungen im Rahmen der Bewährung oder der Führungsaufsicht. Soweit die Nachsorge nicht in einer landeseigenen Einrichtung erfolgt, können nach einigen landesrechtlichen RegelungenFootnote 223 sowie obergerichtlicher RechtsprechungFootnote 224 die Kosten der Behandlung in einer Forensischen Ambulanz (§ 68a VII StGB) – wie auch die Kosten anderer Weisungen (z. B. regelmäßiger Abstinenzkontrollen) im Rahmen der Bewährung und der Führungsaufsicht – jedenfalls dann von der Staatskasse übernommen werden, wenn die Kostentragung durch den Verurteilten selbst, z. B. wegen Mittellosigkeit, nicht zumutbar ist.

  2. b)

    Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe

    Insbesondere Anordnung und Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe finden ihre verfassungsrechtlich notwendige Ergänzung in einem sinnvollen Behandlungsvollzug.Footnote 225 Insoweit kann im Einzelfall auch ein Anspruch auf Durchführung einer (sogar externen) einzelpsychotherapeutischen Behandlung bestehen, wenn diese im Gegensatz zu der im Vollzug möglichen Therapie zur Herbeiführung einer günstigen Sozialprognose geeignet und erforderlich ist.Footnote 226 Vereinzelt wird angenommen, dass das Fehlen von ausreichenden Resozialisierungsangeboten dazu führen kann, dass die Strafe unter Festlegung eines zukünftigen Entlassungszeitpunkts nach § 454a StPO zur Bewährung ausgesetzt wird.Footnote 227

  3. c)

    Maßregelvollzug

    Die Frage der Behandelbarkeit eines Straftäters stellt sich vor allem bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, § 64 S. 2, § 67d V StGB. Auf die Ausführungen oben unter D. I. 2. d) und II. 3. c) cc) wird verwiesen.

    Bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB können ausreichende Behandlungsmöglichkeiten außerhalb des Maßregelvollzuges das Absehen von einer Unterbringung oder eine Aussetzung ihrer Vollstreckung rechtfertigen.Footnote 228 Da die Maßregel allein dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit dient, muss sie allerdings auch angeordnet werden, wenn eine Behandlung keinen Erfolg verspricht.Footnote 229 Für die spätere Aussetzung der Maßregel zur Bewährung (§ 67d II 1 StGB) sind die Möglichkeiten einer Erfolg versprechenden Betreuung und Behandlung in Freiheit von entscheidender Bedeutung.

    Schließlich stellen sich auch bei der Sicherungsverwahrung Fragen der Behandelbarkeit, vor allem dahingehend, ob dem Verurteilten während der Zeit seiner Unterbringung eine ausreichende Betreuung angeboten worden ist. So ist die Unterbringung nach § 67d II 2 StGB zur Bewährung auszusetzen, wenn das Gericht nach Beginn der Vollstreckung feststellt, dass eine weitere Unterbringung unverhältnismäßig wäre, weil dem Untergebrachten nicht spätestens bis zum Ablauf einer vom Gerichts zu bestimmenden Frist von höchsten 6 Monaten eine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c I 1 StGB angeboten worden ist.

    Eine besondere Rolle kommt der Behandlungsprognose im Rahmen des § 119a StVollzG zu.Footnote 230 Diese Vorschrift sieht bei angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung eine vorgelagerte strafvollzugsbegleitende gerichtliche Kontrolle darüber vor, ob dem Gefangenen eine den gesetzlichen Anforderungen (§ 66c II 2 iVm § 66c I Nr. 1 StGB) entsprechende Betreuung angeboten worden ist. Sinn und Zweck der frühzeitigen und regelmäßigen gerichtlichen Kontrolle ist es zum einen, entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 04.05.2011Footnote 231 sicherzustellen, dass schon während des Strafvollzugs im Sinne des „ultima-ratio-Prinzips“ alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Gefährlichkeit des Gefangenen zu reduzieren. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist allerdings nur, ob ein ausreichendes therapeutisches Angebot erfolgte, also dem Betroffenen diejenigen therapeutischen Maßnahmen, die in seiner jeweiligen Vollzugssituation erfolgversprechend waren, angeboten wurden (i.e. Erstellung einer Behandlungsprognose ex tunc). Hingegen kommt es nicht auf den Erfolg der angebotenen Betreuung oder gar die Annahme des Angebots durch den Gefangenen an.Footnote 232 Fehlt es an einem solchen Angebot, kann die spätere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig und diese zur Bewährung auszusetzen sein, § 67c I 1 Nr. 2 StGB.Footnote 233 Erforderlich ist ein Betreuungsangebot, das individuell und intensiv sowie geeignet ist, die Mitwirkungsbereitschaft des Verurteilten zu wecken und zu fördern, insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die auf ihn zugeschnitten ist, soweit standardisierte Angebote nicht Erfolg versprechend sind, § 66c I Nr. 1 a, II StGB. Bestehen im Hinblick auf die Frage, welches therapeutische Angebot zu gewähren ist, unterschiedliche Beurteilungsmöglichkeiten, so gebietet der Grundsatz der bestmöglichen Sachaufklärung die Einholung eines Gutachtens.Footnote 234

6. Risikomanagement und ambulante Nachsorge

Während sich die Mindestanforderungen von 2006 hauptsächlich damit befassten, wie die von dem Betroffenen ausgehende Gefährlichkeit bestimmt werden muss („risk assessment“), sind seitdem zwei weitere Schwerpunkte in Prognosegutachten zu behandeln: Neben Ausführungen zur Behandlung („risk treatment“), die im vorstehenden Abschnitt dargestellt wurden, ist nun verstärkt zu untersuchen, ob und ggf. wie eine fortbestehende (Rest)Gefährlichkeit beherrscht werden kann („risk management“). Dafür muss sich das Gutachten mit den Möglichkeiten der Bewährungs- und Führungsaufsicht (§§ 56 ff., 68 ff. StGB) befassen.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass nach der Beendigung (Aussetzung oder Erledigung) jeder Maßregel von Gesetzes wegen Führungsaufsicht eintritt. Die nach Vollverbüßung bestimmter Strafen nach § 68f I 1 StGB grundsätzlich eintretende Führungsaufsicht kann hingegen ausnahmsweise entfallen (§ 68f II StGB).

Treten Führungsaufsicht und Bewährung nebeneinander, wie dies im Falle der Aussetzung einer zugleich mit der Maßregel verhängten Freiheitsstrafe der Fall ist, so gelten nach § 68g I 2 StGB für die Aufsicht und die Erteilung von Weisungen nur die §§ 68a und 68b StGB; dies ist für die Auswahl der Weisungen bedeutsam.

§ 68b I StGB erlaubt zwölf genau beschriebene WeisungenFootnote 235, wobei für die elektronische Fußfessel in Satz 3 der Vorschrift zusätzliche Hürden errichtet sind. Verstöße gegen diese Weisungen sind, wenn sie den Zweck der Maßregel gefährden, nach § 145a StGB strafbar.

§ 68b II StGB eröffnet Möglichkeiten, der verurteilten Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit weitere – nicht strafbewehrte – Weisungen zu erteilen. Diese können sich insbesondere auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen. Satz 2 dieser Vorschrift erlaubt es insbesondere, die verurteilte Person anzuweisen, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (Therapieweisung).

Die Verweisung in § 68b II 4 StGBauf § 56c III StGB stellt klar, dass bestimmte Weisungen nur mit dem Einverständnis des Verurteilten zulässig sind. Dazu zählen die Weisungen, sich einer Heilbehandlung oder Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die mit körperlichen Eingriffen verbunden sind. Auch die Weisung, in einem Heim oder einer Anstalt Aufenthalt zu nehmen, ist nur mit Einwilligung zulässig. Ob die Aussetzung nach § 56f I Nr. 2 StGB oder § 67g StGB widerrufen werden kann, wenn der Verurteilte seine Einwilligung widerruft, ist eine Rechtsfrage, die nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden kann. Um eine Rechtsfrage handelt es sich auch bei der Frage der Zumutbarkeit der Weisungen, § 68b III StGB.

Das Gutachten muss auch in den Blick nehmen, welche Reaktionen des Gerichts bei kritischen Entwicklungen möglich sind. Die Frage der „Rückholbarkeit“ des entlassenen Verurteilten kann von erheblichem Gewicht sein, wenn erörtert wird, ob und ggf. wie die verbleibende Gefährlichkeit beherrscht werden kann. Ist eine Maßregel zur Bewährung ausgesetzt, kommen – neben informellen Maßnahmen, insbesondere Hilfen durch die forensische Ambulanz, die Bewährungshilfe, die Führungsaufsichtsstelle und ggf. die Polizei – zunächst die Krisenintervention nach § 67h StGB und notfalls der Widerruf nach § 67g StGB in Betracht. Möglich ist auch, gegen den Verurteilten ein Strafverfahren wegen Weisungsverstoßes nach § 145a StGB einzuleiten. Von einer in diesem Fall erforderlichen Gefährdung des Maßregelzwecks kann nur dann ausgegangen werden, wenn sich durch den Verstoß gegen die Weisung die Gefahr weiterer Straftaten erhöht hat.Footnote 236 Wird die Maßregel für erledigt erklärt, gibt es keine Möglichkeit der Krisenintervention oder des Widerrufs, sondern ggf. nur die des § 145a StGB. Dasselbe gilt, wenn Führungsaufsicht nach Vollverbüßung der Strafe eingetreten ist.

Wird die Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB zur Bewährung ausgesetzt, eröffnet § 67h StGB die Möglichkeit der Krisenintervention nur, solange die Höchstfrist der Unterbringung noch nicht erreicht ist (§ 67h I 3 iVm § 67g IV StGB). Danach bleiben nur eine Strafbarkeit nach § 145a StGB wegen Weisungsverstoßes und ggf. der Widerruf der Aussetzung eines unerledigten Strafrestes.

Mindestens mitbedenken sollte der Sachverständige, dass zu einem modernen Risikomanagement auch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Führungsaufsichtsstelle, Bewährungshilfe und Forensischer Ambulanz gehört und welche Möglichkeiten das Gesetz vorgibt, damit sich die Beteiligten gegenseitig über Krisen unterrichten können (vgl. § 68a VIII StGB). Für entsprechende Mitteilungen der Bewährungshilfe oder der Forensischen Ambulanz an die Polizei gibt es derzeit keine gesetzliche Grundlage.