Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 28. Januar 1998 (BGBl. I, S. 160–163) rückte die Behandlung von Sexualstraftätern in den Mittelpunkt sozialtherapeutischer Bemühungen, da mit § 9 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) die Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung von solchen Strafgefangenen, die eine wegen eines Sexualdelikts verhängte Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren zu verbüßen hatten, obligatorisch wurde. Waren 1998 noch 26,4 % der sozialtherapeutisch behandelten Gefangenen Sexualstraftäter, so stieg dieser Anteil auf 53,7 % im Jahr 2011 und betrug zwischenzeitlich über 60 % [26]. Im Zuge der Föderalismusreform 2006 wurde die Strafvollzugsgesetzgebung zur Ländersache. Die Strafvollzugsgesetze der Länder Bayern (BayStVollzG), Hamburg (HmbStVollzG), Hessen (HStVollzG) und Niedersachsen (NJVollzG) halten in veränderter Form an der obligatorischen Regelung fest; Baden-Württemberg (JVollzG) führte eine „Soll-Regelung“ ein. Der Musterentwurf 10 weiterer Bundesländer [25] orientiert sich weniger am Ausgangsdelikt der gegenständlichen Verurteilung, sondern vielmehr an der Gefahr, dass schwerwiegende Straftaten gegen Leib und Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten sind. Inwieweit die ausstehenden Gesetzesneuformulierungen zu einer veränderten Verlegungspraxis führen werden, bleibt abzuwarten.

Auch die kriminologische Behandlungsforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten auf die Gruppe der Sexualstraftäter konzentriert. Während im Bereich der Behandlung von Sexualstraftätern mehrere Metaanalysen mit einer umfangreichen Studienbasis existieren [12, 13, 34], identifizierten Polashek und Collie [32] lediglich 9 Studien, die sich explizit mit der Behandlung von Gewaltstraftätern beschäftigten. Auch im deutschen Sprachraum ist die Behandlungsforschung immer mehr auf den Bereich der Sexualstraftäter spezialisiert [35]. Bereits veröffentlichte Evaluationen der Sozialtherapie differenzierten in ihren Auswertungen kaum zwischen verschiedenen Tätergruppen [z. B. 6, 30].

Das Konzept der „integrativen Sozialtherapie“ [7] ist dabei grundsätzlich nicht auf die Behandlung einzelner Deliktgruppen spezialisiert. So sollen grundlegende persönliche und soziale Faktoren, die Straffälligkeit begünstigen, durch die Verknüpfung psychotherapeutischer, pädagogischer und arbeitstherapeutischer Vorgehensweisen im Setting der therapeutischen Gemeinschaft bearbeitet werden [3]. Dabei spielen die Einbeziehung des gesamten Lebensumfelds und die schrittweise Vorbereitung auf die Entlassung eine wichtige Rolle [37]. Die psychotherapeutischen Interventionen im engeren Sinne sollen gezielt an dynamischen kriminogenen Faktoren ansetzen, dysfunktionale Denkmuster korrigieren und soziale sowie Problemlösefertigkeiten und Selbstkontrolle stärken [39]. Hauptsächlich in diesem Bereich besteht die Möglichkeit, das Therapieangebot auf deliktspezifische Risikofaktoren zuzuschneiden (z. B. mit dem „Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter“, BPS, [38]). Das übergreifende Ziel der sozialtherapeutischen Behandlung besteht, vermittelt über die genannten Maßnahmen, in der Reduktion des Rückfallrisikos nach Entlassung.

Nationale und internationale Metaanalysen konnten bestätigen, dass Straftäterbehandlung das Rückfallrisiko reduzieren kann [2, 8, 20, 24], wenngleich gerade die Ergebnisse zur Sozialtherapie recht heterogen waren und eher kleine Effekte aufwiesen [8, 24, 30, 33]. Deutlich weniger empirische Befunde bestehen zu den psychologischen Veränderungsprozessen, die durch die Behandlung angestoßen werden sollen. Man scheint implizit davon auszugehen, dass die sozialtherapeutische Intervention dies bewerkstelligt und diese Veränderungen maßgeblich für die Legalbewährung in den Jahren nach der Entlassung verantwortlich sind. Dabei wird zu wenig diskutiert, dass andere, außerhalb der Behandlung liegende Faktoren ebenso auf die Legalbewährung einwirken und somit den Zusammenhang von Behandlungseffekten und Rückfälligkeit kontaminieren [27]. Aus diesem Grund sollte der „Erfolg“ vollzuglicher Behandlung verstärkt an jenen Veränderungen oder Entwicklungsfortschritten gemessen werden, die während der Intervention, also zwischen dem Eintritt in die Behandlungsabteilung und der Entlassung, stattfinden [36]. Dass ein Mangel an solchen Studien besteht, die neben dem distalen Erfolgskriterium der Legalbewährung auch proximale, also zeitlich und inhaltlich dicht am Behandlungsinhalt orientierte, Erfolgskriterien heranziehen, wurde schon vielerorts festgestellt [z. B. 4, 23, 28]. Ähnlich einer „black box“ der Behandlung ist meist nicht klar, ob es überhaupt zu Entwicklungsprozessen bei kriminogenen Merkmalen durch die Interventionen kommt.

Drei frühere deutsche Studien, die sich mit Veränderungen von kriminogenen Persönlichkeitsmerkmalen, gemessen mit dem Freiburger Persönlichkeitsinventar [9], beschäftigten, berichteten folgende Ergebnisse: Rasch und Kühl [33] fanden im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe keine Verbesserungen der Sozialtherapieprobanden, Ortmann [30] hingegen identifizierte differenzielle Effekte auf den Skalen Gehemmtheit (stärkere Abnahme in der Sozialtherapiegruppe), Geselligkeit und Extraversion (jeweils stärkere Zunahme in der Sozialtherapiegruppe). Egg [6] konnte signifikante Behandlungseffekte auf den Skalen Nervosität, Depressivität, Gehemmtheit und Neurotizismus nachweisen. Eine neuere Studie von Hosser et al. [16] mit 17 jugendlichen Sexualstraftätern ergab vereinzelte Verbesserungen auf deliktspezifischen Maßen (feindselige sexuelle Überzeugungen, Verharmlosung von Kindesmissbrauch), jedoch auch viele erfasste Bereiche ohne Veränderungen. Eine Übersicht über Prozessevaluationen von Sexualstraftäterbehandlung im englischsprachigen Raum findet sich bei Beggs [4]; auch hier sind die Ergebnisse sehr heterogen.

Mit der vorliegenden Studie wird eine unmittelbar am Strafvollzug orientierte Wirksamkeitsprüfung vorgenommen und ein Blick in die „black box“ der Behandlung geworfen. Zudem sollen differenzielle Effekte bei verschiedenen Straftätergruppen überprüft werden. Dabei konzentriert sich die Studie ausschließlich auf ausgewählte Merkmale, deren Veränderung Ziel der psychotherapeutischen Interventionen ist (sog. dynamische kriminogene Risikofaktoren). Auf der Basis von Erhebungen an sozialtherapeutisch behandelten und im Regelvollzug verbliebenen Sexual- und Gewaltstraftätern werden folgende Fragestellungen untersucht:

  1. 1.

    Ergeben sich Veränderungen der erhobenen kriminogenen Merkmale im Verlauf der Behandlung bzw. des Vollzugs?

  2. 2.

    Unterscheiden sich die Probanden der Sozialtherapie im Hinblick auf diese Veränderungen von denen des Regelvollzugs?

  3. 3.

    Gibt es Unterschiede zwischen Gewalt- und Sexualstraftätern in den Veränderungen dieser kriminogenen Merkmale?

Methode

Stichprobe und Datenerhebung

Die vorliegende Stichprobe umfasst 153 männliche Strafgefangene, die zwischen 2004 und 2012 aufgrund eines Sexual- oder Gewaltdelikts eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Waldheim oder Jugendstrafanstalt (JSA) Regis-Breitingen (Sachsen) verbüßten.Footnote 1 Die infrage kommenden Gefangenen wurden angesprochen, über die Forschungsziele und das Befragungsprozedere aufgeklärt und um ihre Teilnahme gebeten. Die Befragung der einzelnen Probanden sowie die Durchführung der standardisierten Testverfahren fanden durch Mitarbeiterinnen des Forschungsinstituts innerhalb der JVA statt. Die Teilnehmer erhielten eine Aufwandsentschädigung von EUR 20 bzw. 25, abhängig davon, ob sie in den Arbeitsbetrieben der JVA einer Tätigkeit nachgingen oder nicht. Die Teilnehmerquote aller angesprochenen Probanden betrug etwa 95 %. Nach Entlassung der Gefangenen wurde zusätzlich eine Analyse ihrer Gefangenenpersonalakten vorgenommen.

Die Durchführung der Befragungen fand bei Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung bzw. zu Beginn der Haftphase (t1) sowie kurz vor Entlassung (t2) statt. Zur Erfassung der Entwicklung zwischen diesen beiden Erhebungszeitpunkten wurde ein Veränderungswert gebildet, indem der Skalenwert des jeweiligen Merkmals zu t1 vom Skalenwert zu t2 abgezogen wurde. Rund 95 % der Probanden, die bereits an der Befragung zum ersten Erhebungszeitpunkt t1 teilnahmen, willigten auch in die Befragung zum zweiten Erhebungszeitpunkt t2 ein. Ausfälle waren v. a. dann zu verzeichnen, wenn es zu sehr kurzfristigen Entlassungen kam. Die wenigen sonstigen Studienabbrecher gaben meist keine Gründe für die Verweigerung der weiteren Teilnahme an der Untersuchung an. Für die vorliegenden Auswertungen wurden ausschließlich Probanden berücksichtigt, die das Behandlungsprogramm vollständig durchliefen. Aus der Sozialtherapie in den Regelvollzug Rückverlegte wurden also weder der Gruppe der Sozialtherapie- noch der der Regelvollzugsprobanden zugeordnet.

Die Gruppe der Sozialtherapieprobanden bestand aus 61 Sexualstraftätern (etwa 60 % sexueller Missbrauch von Kindern, 40 % Vergewaltigung) und 28 Gewaltstraftätern.Footnote 2 Das mittlere Alter beim ersten Erhebungszeitpunkt betrug 31,8 Jahre (SD ±10,6 Jahre) und variierte zwischen 16 und 63 Jahren. Die Zeit zwischen den beiden Erhebungen betrug durchschnittlich 27,9 Monate (SD ±14,0 Monate). Die Probanden hatten im Mittel 3,57 Vorstrafen (SD ±4,18 Vorstrafen); die Zahl variierte zwischen 0 und 22.

Die Gruppe der Regelvollzugsprobanden bestand aus 25 Sexualstraftätern (etwa 60 % sexueller Missbrauch von Kindern, 40 % Vergewaltigung) und 39 Gewaltstraftätern.Footnote 3 Das mittlere Alter beim ersten Erhebungszeitpunkt betrug 33,6 Jahre (SD ±13,5 Jahre) und variierte zwischen 18 und 73 Jahren. Die Zeit zwischen den beiden Erhebungen betrug durchschnittlich 14,8 Monate (SD ±9,4 Monate). Die Probanden hatten im Mittel 4,65 Vorstrafen (SD ±4,37 Vorstrafen); die Zahl variierte ebenfalls zwischen 0 und 22.

Die Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung erfolgte bei Sexualstraftätern in der Regel aufgrund der formellen Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 StVollzG (s. oben). Gewaltstraftäter wurden gemäß § 9 Abs. 2 StVollzG mit ihrer Zustimmung in eine sozialtherapeutische Abteilung verlegt, wenn die besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen der Anstalt zur Resozialisierung angezeigt waren.

Erhebungsinstrumente

Die Analysen der Veränderungen kriminogener Merkmale konzentrieren sich auf folgende Bereiche, die auch Gegenstand der sozialtherapeutischen Behandlung der JVA Waldheim und JSA Regis-Breitingen sind [41]:

Selbstkontrolle spielt mehreren Autoren zufolge eine zentrale Rolle für Gewalt- und Sexualdelinquenz [41] und wurde mit der von uns ins Deutsche übersetzten „Low Self-Control Scale“ erfasst [11]. Mittels 24 Items und einer 4-stufigen Antwortskala werden 6 Facetten der Selbstkontrolle gemessen, wie sie Gottfredson und Hirschi [10] in ihrer allgemeinen Kriminalitätstheorie definieren. Für diese Studie wurden die 6 Subskalen zu einer Gesamtskala addiert, Cronbachs α betrug für diese 0,89 zu t1 und 0,90 zu t2.

Die Merkmale Aggressivität und Erregbarkeit wurden mittels Skalen des Freiburger Persönlichkeitsinventars in der revidierten Fassung FPI-R erhoben [9]. Aggressionskontrolle wird auf mehreren Ebenen der sozialtherapeutischen Intervention thematisiert, denn im Zusammenhang mit Sexual- und Gewaltdelinquenz spielen Aggressivität und Erregbarkeit im Rahmen der Emotionsregulation eine wichtige Rolle. Die Skalen umfassen jeweils 12 Items mit dichotomem Antwortformat. In der vorliegenden Untersuchung ergaben sich folgende Reliabilitäten: Aggressivität 0,84 zu t1 und t2, Erregbarkeit 0,84 zu t1 und 0,78 zu t2.

Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit, von Andrews und Bonta [1] als wichtige Indikatoren für den zentralen Risikofaktor der „antisozialen Persönlichkeitsstruktur“ genannt, wurden mithilfe des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (NEO-FFI, [5]) erfasst. Hierzu wird zu jeweils 12 Items auf einer 5-stufigen Skala Stellung genommen. Cronbachs α betrug für Verträglichkeit 0,66 zu t1 und 0,69 zu t2, für Gewissenhaftigkeit 0,81 zu t1 und 0,82 zu t2.

Die negative Einstellung zur Legitimität von Gesetzen wurde mit 11 Items eines Instruments von Ortmann [29] erhoben. Diese Skala zielt v. a. auf die Erfassung allgemeiner deliktfördernder Kognitionen. Sie besitzt ein dichotomes Antwortformat; ein Beispiel-Item ist: „Im Allgemeinen sind Polizei, Richter und Staatsanwälte genau solche Verbrecher, wie die Leute, die sie ins Gefängnis schicken“. Die Reliabilität der Skala betrug zu beiden Zeitpunkten 0,84.

Zwei Dimensionen von Empathie, nämlich Einfühlungsbereitschaft und Betroffenheit, wurden mithilfe der E-Skala gemessen [22]. Empathie ist fester Bestandteil fast aller gängigen Ansätze zur Behandlung von Sexualstraftätern, auch wenn die Forschung noch viele Fragen zur tatsächlichen kriminogenen Relevanz offen lässt [41]. Während Einfühlungsbereitschaft das Einfühlen in fiktive Situationen und Inhalte erfasst, befasst sich die Skala Betroffenheit mit dem Einfühlen in reale Situationen. Die Reliabilität der mit einem 5-stufigen Antwortformat erfassten Skalen betrug bei der Einfühlungsbereitschaft (13 Items) 0,89 zu t1 und t2, bei der Betroffenheit (12 Items) 0,82 zu t1 und 0,78 zu t2.

Angst als Zustand sowie Angst als Eigenschaft wurden mit dem State-Trait-Angstinventar erfasst [21]. Als negativer affektiver Zustand kann Angst bzw. Ängstlichkeit im Vorfeld sexueller Gewalt wirksam werden, im Sinne eines „akuten dynamischen Risikofaktors“ [1, 14]. Zu jeweils 20 Aussagen muss auf einer 4-stufigen Häufigkeitsangabe Stellung genommen werden. Aufgrund nichtvorliegender Daten auf Item-Ebene können für dieses Instrument keine Reliabilitäten berichtet werden.

Das Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus wurde mithilfe der gleichnamigen Skala des NEO-FFI (12 Items, 5-stufiges Antwortformat) sowie der Skala emotionale Labilität des FPI-R (14 Items, dichotomes Antwortformat) erhoben. Hohe Ausprägungen auf diesen Skalen können als Ausdruck fehlender bzw. inadäquater Coping-Strategien und Problemlösekompetenzen verstanden werden. Derartige Defizite werden von mehreren Autoren im Zusammenhang mit Gewalt- bzw. Sexualdelinquenz beschrieben [z. B. 1, 14]. Cronbachs α betrug für Neurotizismus 0,86 zu t1 und 0,84 zu t2, für emotionale Labilität 0,81 zu t1 und t2.

Ergebnisse

Vergleichbarkeit der untersuchten Subgruppen

Die untersuchten Gewaltstraftäter waren signifikant jünger als die Sexualstraftäter (M = 27,4 Jahre vs. M = 36,6 Jahre), F(1,149) = 35,23, p  < 0,001). Außerdem waren die Probanden der Sozialtherapie zum Zeitpunkt der ersten Erhebung jünger als die des Regelvollzugs (M = 31,8 Jahre vs. M = 33,6 Jahre), F(1,149) = 6,85, p <0,01). Die Zeit zwischen den beiden Erhebungen unterschied sich ebenfalls signifikant hinsichtlich Vollzugsart und Art des Indexdelikts. Sie war bei den Probanden des Regelvollzugs nur etwa halb so groß wie bei Probanden der Sozialtherapie (M = 14,8 Monate vs. M = 27,9 Monate), F(1,149) = 31,21, p < 0,001). Außerdem war der Zeitraum zwischen den Erhebungen bei Sexualstraftätern größer als bei den Gewaltstraftätern (M = 26,1 Monate vs. M = 17,7 Monate), F(1,149) = 5,72, p < 0,05). Da es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine Analyse im Rahmen des laufenden Langzeitprojekts „Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen“ handelte, lagen noch nicht für alle hier einbezogenen Probanden Angaben zum Umfang der verhängten Freiheitsstrafe und der bereits verbüßten Haftzeit aus den Analysen der Gefangenenpersonalakten vor. Die vorliegenden Daten deuten an, dass die Zeiträume zwischen den Erhebungszeitpunkten mit der Länge der Haftstrafen korrelieren, im Regelvollzug also erwartungsgemäß kürzere Haftstrafen auch kürzere Erhebungsintervalle bedingten.

Hinsichtlich der Anzahl der Vorstrafen gab es weder signifikante Unterschiede zwischen den Vollzugsarten noch zwischen den Indexdeliktarten (M Gewaltstraftäter = 4,37, Vorstrafen vs. M Sexualstraftäter = 3,82 Vorstrafen). Auch differenziert nach den Subgruppen Sexual- bzw. Gewaltstraftäter in Sozialtherapie und Sexual- bzw. Gewaltstraftäter im Regelvollzug zeigten sich keine signifikanten Unterschiede für die Anzahl der Vorstrafen.

Bezogen auf die Ausgangswerte der psychometrischen Maße unterschieden sich die Subgruppen lediglich in den Bereichen mangelnde Selbstkontrolle, Aggressivität und Erregbarkeit. Gewaltstraftäter wiesen – unabhängig von der Art der Unterbringung – höhere Werte auf als Sexualstraftäter, für die ebenfalls keine Unterschiede in Abhängigkeit von der Art der Unterbringung vorlagen.

Veränderungen auf psychometrischen Maßen

In einem ersten Schritt wurde überprüft, auf welchen Skalen sich eine Veränderung der Maße über die Zeit ergab. Für die Gesamtgruppe wurden hierfür Varianzanalysen mit Messwiederholung berechnet. Um den Zeiteffekt lediglich für Probanden der Sozialtherapie zu testen, wurden zusätzlich t-Tests für abhängige Stichproben eingesetzt. Zur Testung der Effekte der sozialtherapeutischen Intervention (Sozialtherapie vs. Regelvollzug) und Indexdeliktart (Sexual- vs. Gewaltstraftat) wurden 2´2 Varianzanalysen mit dem jeweiligen Veränderungswert (t2 minus t1) als abhängige Variable durchgeführt. Aufgrund der signifikanten Gruppenunterschiede hinsichtlich Alter und Zeit zwischen den Erhebungen waren diese beiden Variablen als Kovariaten mit in die Analyse aufgenommen worden. Durch die Methode der Kovarianzanalyse kann der Einfluss dieser Kovariaten statistisch kontrolliert werden. Signifikante Gruppenunterschiede auf den abhängigen Variablen sind damit nicht auf Unterschiede in den Kovariaten zurückzuführen. Auf eine Bonferroni-Korrektur wurde bewusst verzichtet, da jede Skala eigenständig analysiert wurde und die Teststärke nicht künstlich reduziert werden sollte.

Veränderungen im Zeitverlauf

Insgesamt zeigten sich bedeutsame Veränderungen zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten, unabhängig von Vollzugsart und Deliktart, bei mangelnder Selbstkontrolle [F(1,149) = 4,60], Erregbarkeit [F(1,150) = 5,72], emotionaler Labilität [F(1,150) = 12,99], Neurotizismus [F(1,148) = 11,27], negativer Einstellung zur Legitimität von Gesetzen [F(1,144) = 15,48] sowie Angst als Zustand [F(1,148) = 9,45] und Angst als Eigenschaft [F(1,148) = 39,62; alle p < 0,05]. Betrachtet man ausschließlich die Probanden der Sozialtherapie, berichteten diese von einer signifikanten Verringerung der Erregbarkeit [t(87) = 2,43], der emotionalen Labilität [t(87) = 4,06] bzw. des Neurotizismus [t(86) = 3,78] sowie der Angst als Zustand [t(85) = 3,15] und Angst als Eigenschaft [t(87) = 5,39). Zudem schilderten sie zum Ende der Sozialtherapie eine höhere Verträglichkeit [t(86) = −2,37] und eine weniger negative Einstellung zur Legitimität von Gesetzen [t(83) = 4,14] als zu Beginn der Maßnahmen (alle p < 0,05).

Unterschiede zwischen den Vollzugsarten

Ein tendenziell signifikanter Effekt der Sozialtherapie fand sich nur bei der Skala emotionale Labilität: Probanden der Sozialtherapie berichteten von einer stärkeren Abnahme dieses Merkmals als die des Regelvollzugs. Die Veränderungen auf den Skalen mangelnde Selbstkontrolle, Aggressivität und Erregbarkeit, negative Einstellung zur Legitimität von Gesetzen sowie Empathie und Angst ergaben keine Unterschiede zwischen sozialtherapeutisch behandelten und nicht sozialtherapeutisch behandelten Probanden (Tab. 1).

Tab. 1 Veränderungswerte der erfassten kriminogenen Merkmale, aufgeteilt nach Vollzugs- und Indexdeliktart sowie Ergebnisse der Kovarianzanalyse

Unterschiede zwischen den Deliktgruppen und Interaktion

Wie Tab. 1 zu entnehmen ist, zeigten Gewaltstraftäter signifikant höhere Veränderungswerte bei der Skala Verträglichkeit und somit eine positivere Entwicklung als Sexualstraftäter. Bei den anderen Merkmalen ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Deliktgruppen. Signifikante Interaktionen zwischen Vollzugsart und Deliktart fanden sich auf den Skalen mangelnde Selbstkontrolle, Aggressivität sowie den beiden Neurotizismusskalen (FPI-R und NEO-FFI). Ähnliche Tendenzen ergaben sich beim Merkmal Angst als Eigenschaft. In allen Fällen war die Interaktion ähnlich zu interpretieren: Während sozialtherapeutisch behandelte Gewaltstraftäter stärkere Veränderungen in prosozialer Richtung berichteten als im Regelvollzug verbliebene (also höhere Selbstkontrolle, geringere Aggressivität, weniger Neurotizismus zu t2 im Vergleich zu t1), war dies bei den Sexualstraftätern umgekehrt; hier berichteten eher die Probanden des Regelvollzugs von prosozialen Veränderungen.

Diskussion

Ziel der vorliegenden Untersuchung war die Prüfung der Frage, ob sich im Behandlungs- bzw. Haftverlauf Veränderungen auf ausgewählten dynamischen Risikofaktoren ergeben und inwieweit diese Veränderungen mit der sozialtherapeutischen Behandlung oder der Art des Indexdelikts im Zusammenhang stehen. Zwar zeigten sich in einigen Bereichen Verbesserungen, jedoch unterschieden sich diese kaum zwischen den Probanden der Sozialtherapie und des Regelvollzugs. Dabei schienen Gewaltstraftäter in einigen zentralen Bereichen mehr von der sozialtherapeutischen Behandlung zu profitieren als Sexualstraftäter.

In den meisten Fällen, in denen sich positive Merkmalsveränderungen ergaben, waren diese nicht spezifisch für die Probanden der Sozialtherapie. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Ortmann [30], der ebenfalls in vielen Bereichen Verbesserungen im Haftverlauf fand, die sowohl Insassen des Regelvollzugs als auch der Sozialtherapie betrafen. Natürlich sind auch im Regelvollzug verschiedene Maßnahmen vorhanden, die dynamische Risikofaktoren verändern sollen und können. Zudem sind gleichsam in beiden Gruppen situativ wirkende Einflüsse denkbar, gerade was die bevorstehende Entlassung zum zweiten Erhebungszeitpunkt betrifft. So zeigten sich z. B. in den beiden Angstmaßen starke Verringerungen sowohl bei Probanden der Sozialtherapie als auch des Regelvollzugs. Dies könnte in der vorliegenden Stichprobe für eine generell positive Erwartung an die bevorstehende Entlassung und gegen eine, ebenfalls plausible, Angst vor Überforderung in Freiheit nach teils langjähriger Haftstrafe sprechen. Von spezifischen Effekten der Sozialtherapie berichtete hingegen Egg [6]: Hier ergaben sich Verbesserungen auf diversen Skalen des FPI allesamt nur in der Gruppe der sozialtherapeutisch behandelten Probanden.

In 3 Merkmalsbereichen (Selbstkontrolle, Aggressivität, Neurotizismus) fanden sich in Abhängigkeit von der Art des Indexdelikts differenzielle Veränderungen. Während Gewaltstraftäter nach sozialtherapeutischer Behandlung größere Verbesserungen aufwiesen als Gewaltstraftäter ohne sozialtherapeutische Behandlung, fand sich bei Sexualstraftätern auf diesen Maßen kaum ein Effekt der Sozialtherapie. Gewaltstraftäter wiesen vor der Behandlung – unabhängig von der Art der Unterbringung – größere Defizite in den Bereichen Aggressivität, Impulskontrolle und Erregbarkeit auf. Somit gab es für sie einen größeren Veränderungsspielraum, den sie in der Sozialtherapie offensichtlich für sich nutzen konnten.

Teilweise ergaben sich bei den im Regelvollzug untergebrachten Sexualstraftätern positivere Entwicklungen als bei den sozialtherapeutisch behandelten. Vor diesem Hintergrund kann die Entwicklung der letzten Jahre, die Sozialtherapie immer mehr auf Sexualstraftäter zu konzentrieren, kritisch hinterfragt werden. Auch mit Blick auf die Rückfallraten ist diese Fokussierung kritisch zu bewerten: So betrug die einschlägige Rückfälligkeit von wegen eines Sexualdelikts verurteilten Personen laut einer aktuellen Untersuchung [17] in der Dreijahrekatamnese 2–3 %, diejenige von Gewaltstraftätern 15–20 %. Zudem lag die allgemeine Rückfälligkeit der Sexualstraftäter unter der von Gewaltstraftätern.Footnote 4 Statt der (teilweise gesetzlich vorgegebenen) Beachtung rein formeller Kriterien wie Deliktart und Strafhöhe scheint eine Zuweisungspraxis empfehlenswert, die sich auf Grundlage einer ausführlichen Diagnostik an wissenschaftlich erarbeiteten Indikationskriterien [3, 35] und empirisch bestätigten Wirkprinzipien [1] ausrichtet. Die Orientierung an der von einem Gefangenen ausgehenden erheblichen Gefährlichkeit, erneut Straftaten gegen Leib und Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen, die der bereits erwähnte Musterentwurf zum Landesstrafvollzugsgesetz als Verlegungsrichtlinie vorsieht, ist daher überzeugender.

Die vorliegende Untersuchung unterliegt einigen Einschränkungen, die auch bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen. Da keine zufällige Zuteilung zu Sozialtherapie und Regelvollzug möglich und die Teilnahme an der Untersuchung freiwillig war, ist die Vergleichbarkeit dieser beiden Gruppen nur eingeschränkt gegeben. Die längeren Haftzeiten für das Indexdelikt bei den Sozialtherapieprobanden könnten auf eine besondere Schwere des Delikts und mit Hinblick auf die Würdigung der Täterpersönlichkeit bei der Strafzumessung (§ 46 StGB) auf dysfunktionale und kriminogene psychosoziale Strukturen hindeuten, die weniger leicht zu bearbeiten waren. Die deutlich längere Zeit zwischen den beiden Erhebungen bei Probanden der Sozialtherapie resultierte in einem größeren zeitlichen Spielraum für Veränderungen in dieser Gruppe, wurde bei den Analysen jedoch statistisch kontrolliert und hatte somit also keinen Einfluss auf die Unterschiedsprüfung.

Auch wenn es sich bei der vorliegenden Studie um keine reine Behandlungsevaluation handelte, werfen die Ergebnisse dennoch Fragen zur Wirkung und Wirksamkeit von Sozialtherapie auf. Neben den bereits beschriebenen Einflüssen kommen folgende Erklärungsansätze für die geringen Unterschiede der Merkmalsveränderungen von Sozialtherapie- gegenüber Regelvollzugsprobanden in Betracht.

Die psychometrischen Maße erfassen nicht die kriminogenen Merkmale, die durch die Behandlung verändert werden sollen und möglicherweise auch durch sie verändert wurden. Gründe hierfür könnten die relativ einfache Durchschaubarkeit solcher Selbsteinschätzungen in Verbindung mit der Tendenz der Probanden zu sozial erwünschtem Antwortverhalten darstellen [18, 19]. Auch der in der Literatur bisher weitgehend fehlende Zusammenhang von Veränderungen kriminogener Merkmale und Rückfälligkeit mag teilweise auf Probleme bei der adäquaten Erfassung dieser Veränderungen zurückzuführen sein [4].

Die sozialtherapeutische Behandlung konnte nicht stärker zur Verbesserung der erhobenen kriminogenen Merkmale und Eigenschaften beitragen als der Regelvollzug. Vor dem Hintergrund einer Verlegung, die sich an der Indikation orientiert, wäre dieses Ergebnis nicht unbedingt ein negatives. Schließlich müssten demnach ja gerade die Gefangenen in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, bei denen die Maßnahmen des Regelvollzugs als nicht ausreichend erachtet werden. Allerdings muss dabei auch berücksichtigt werden, dass Gewaltstraftäter, die in die Sozialtherapie verlegt wurden, dieser Verlegung zustimmen mussten und vermutlich motivierter waren als in die Sozialtherapie verlegte Sexualstraftäter, deren Zustimmung zur Verlegung es nicht bedurfte.

Des Weiteren scheinen deliktspezifische Aspekte eine viel größere Rolle zu spielen, als bislang in der Evaluationsforschung berücksichtigt, wenn Gewaltstraftäter, die ebenfalls lange Haftstrafen aufwiesen, in gewissen Bereichen deutlich stärker von der sozialtherapeutischen Intervention profitierten. Schließlich dürften die hier erfassten Merkmalsbereiche nicht für alle Straftäter gleichermaßen relevant sein. So bestehen z. B. bei bestimmten Missbrauchstätern kaum Defizite im Bereich der Gewissenhaftigkeit, weshalb hier Veränderungen weniger wichtig erscheinen [40; vgl. hierzu weitere Ergebnisse aus demselben Langzeitprojekt, 15]. Aus diesen Gründen sind subgruppenspezifische Wirksamkeitsanalysen wünschenswert, die in der Forschungspraxis aber häufig an zu geringen Fallzahlen scheitern.

Alles in allem liefert die vorliegende Studie wichtige Erkenntnisse zur Veränderung dynamischer kriminogener Merkmale im Haftverlauf und zu differenziellen Veränderungseffekten sowohl hinsichtlich bestimmter Tätergruppen (z. B. Gewaltstraftäter) als auch hinsichtlich spezifischer Interventionsziele (z. B. emotionale Stabilität). Gleichzeitig verdeutlicht sie auch, wie schwierig es ist, proximale Therapieeffekte und Besserungen auf kriminorelevanten Maßen zu erfassen. Können wir von den korrigierenden Vollzugsmaßnahmen Veränderungen der psychischen Struktur der Gefangenen erwarten? Welche Veränderungen in welchen Bereichen sind letzten Endes relevant für die erfolgreiche Resozialisierung? Neben der Analyse von Zusammenhängen zwischen der Güte der Umsetzung der Behandlungsmaßnahmen und den Veränderungspotenzialen der Zielgruppen könnte die Einschätzung der Wirksamkeit und des Behandlungsfortschritts von der Nutzung eines multimethodalen Ansatzes profitieren. So sind neben Selbstberichtsinstrumenten auch strukturierte Fremd-Ratings [z. B. 28] oder indirekte Verfahren wie z. B. implizite Assoziationstests [31] verwendbar. Zusammenhänge dieser Maße mit Indikatoren sozialer Integration und letztendlich auch der Legalbewährung könnten schließlich wichtige Informationen zur Validität der Maße und auch der tatsächlichen Bedeutung der auf diese Merkmale abzielenden Behandlung liefern und somit Ansatzpunkte zur Optimierung bestehender Interventionen bieten.

Danksagung

Wir bedanken uns bei Dipl.-Psych. Jana Rauschenbach und Dipl.-Soz. Elke Wienhausen-Knezevic für die Durchführung der Datenerhebung sowie den beiden Gutachtern des Peer-Review-Verfahrens für ihre hilfreichen Anmerkungen.

Interessenkonflikt

Es besteht kein Interessenkonflikt.