Innovationen werden für Unternehmen zunehmend zum zentralen Wettbewerbsvorteil. Von Forschern und Praktikern wird im Zuge dessen vermehrt die Einbindung von Kunden in Innovationsaktivitäten diskutiert. In diesem Beitrag werden die Chancen und Risiken einer solchen Einbindung vorgestellt und anhand von Beispielen aus der Unternehmenspraxis Möglichkeiten der Kundenintegration illustriert.

Innovationsfähigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem „zentralen Imperativ“ (Howaldt 2009, S. 5) vieler Organisationen entwickelt. Um die Wahrscheinlichkeit für tatsächlich am Markt akzeptierte und damit erfolgreiche Innovationen zu erhöhen, werden in Forschung und Praxis zunehmend die Vorteile und Nachteile des Einbezugs von Kunden in die Entwicklung und Umsetzung von Innovationen diskutiert (vgl. Bogers/Afuah/Bastian 2010; Enkel/Kausch/Gassmann 2005; Greer/Lei 2012).

Ziel des vorliegenden Grundsatzbeitrages ist es, diese aktuellen Forschungsperspektiven vorzustellen und zu diskutieren. Nach einer kurzen Einführung in die Innovationsthematik werden zunächst die in der Literatur diskutierten Chancen der Kundeneinbindung vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt eine Übersicht über mögliche Risiken, die ebenfalls in Fachpublikationen zunehmend diskutiert werden. Zur praktischen Veranschaulichung schließt der Grundsatzbeitrag schließlich mit der Skizzierung von drei Fallbeispielen zur erfolgreichen Kundeneinbindung: Die Fallbeispiele können dabei illustrativ aufzeigen und sollen vor allem kreativ inspirieren, wie der Spagat zwischen Chancen und Risiken der Kundeneinbindung für Unternehmen gelingen kann.

Innovation

Eine Thematisierung der Einbindung von Kunden in Innovationsprozesse verlangt zunächst eine grundsätzliche Verortung des Innovationsbegriffs. Eine Definition, die den komplexen Charakter von Innovationen in den Vordergrund rückt, liefern beispielsweise West und Farr (1990), die unter Innovationen „...the intentional introduction and application within a role, group or organization of ideas, processes, products or procedures, new to the relevant unit of adoption, designed to significantly benefit the individual, the group, organization or wider society“ (S. 9) verstehen. In der Forschung wird klassischerweise vor allem zwischen zwei Innovationsarten unterschieden: zum einen Produktinnovationen — materiell (Produkte) oder immateriell (Dienstleistungen) —, durch welche Kunden gebunden und neu gewonnen werden sollen; zum anderen Prozess- oder Verfahrensinnovationen, die wesentliche Veränderungen der Prozesse und Strukturen innerhalb einer Organisation betreffen und vor allem der Effizienzsteigerung dienen. In diesem Beitrag soll der zentrale Fokus auf Produktinnovationen liegen, wenngleich auch bei Prozess- und Verfahrensinnovationen der Einbezug von Kunden denkbar ist.

Zu Fragen der Kundenintegration bei Innovationsprozessen existieren in der Literatur mittlerweile zahlreiche Arbeiten und Ansätze. Diese firmieren unter unterschiedlichen Namen wie etwa „customer driven innovation“ (Billington 1998) oder „consumers as co-developers“ (Jeppesen/Molin 2003; vgl. Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010), wobei in den meisten Ansätzen unter Kundenintegration allen voran ein besseres Verständnis für Kundenwünsche und -bedürfnisse verstanden wird, welche bei Innovationen berücksichtigt werden sollten (Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010, S. 89). Im vorliegendem Beitrag soll die Betrachtung über diesen initialen Aspekt hinausgehen und auch der Frage nachgegangen werden, welche Chancen und Risiken mit der mehr oder weniger kontinuierlichen Einbindung von Kunden in Innovationsprojekte verbunden sind.

Chancen der Einbindung von Kunden in Innovationsprojekte

Faktor: Einbezug von Kundenwünschen

Zentrales Argument für die Einbindung von Kunden ist, dass (Produkt-)Innovationen letztlich an Kunden adressiert sind und daher deren Bedürfnisse, Wünsche und Vorbehalte bei der Innovationsplanung ausreichend berücksichtigt werden müssen. Angesichts einer zunehmenden Dynamisierung und Schnelllebigkeit von Märkten wechseln auch Kundenanforderungen sehr schnell, weswegen ein permanenter Abgleich der unternehmenseigenen Innovationsvorstellungen mit den Vorstellungen der Kunden notwendig wird (vgl. Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010). Dass hierfür eine simple Marktforschung zu Beginn eines Innovationsprojektes zumeist nicht ausreicht, wird insbesondere bei Innovationen im Hard- und Softwarebereich deutlich. Neben den potenziell nutzbaren Funktionen und Vorteilen, die diese Innovationen Kunden bieten, muss auch immer der tatsächliche Verwendungsgrad beziehungsweise die Benutzerfreundlichkeit („usability“) der durch die Innovation gegebenen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Erst die parallele und sukzessive Konfrontation der Kunden mit verschiedenen Stufen und Versionen von Produktneuentwicklungen kann gewährleisten, dass die von Kunden gewünschten und von Kunden tatsächlich als nutzbar wahrgenommenen Funktionen ausreichend realisiert sind. Demnach kann die Produktentwicklungsabteilung eines Unternehmens unter bestimmten Umständen von der Identifikation relevanter Kundenbedürfnisse profitieren (Griffin/Hauser 1993).

Darüber hinaus sollten Unternehmensmanager überlegen, ob eine Fokussierung auf Bestandskunden ausreichende Erkenntnisse bringen wird. Hier stellt sich in erster Linie die Frage, warum potenzielle Kunden (im Gegensatz zu aktuellen Bestandskunden) gerade keine Produkte des Unternehmens erwerben und inwiefern Produktinnovationen diese Zielgruppe zum Kauf bewegen können. Ein gängiges Verfahren der Marketingpraxis und auch der Forschung stellt die so genannte „product clinic“ (z. B. Armstrong/Overton 1971) dar, bei der aktuelle und aber auch potenzielle Kunden verschiedene Versionen eines Produkts begutachten und die Vor- und Nachteile der einzelnen Varianten anführen. Ein methodischer Ableger davon sind die leicht im Online-Kontext durchzuführenden Conjoint-Analysen (z. B. Green/Srinivasan 1990). Die Integration potenzieller Kunden kann insbesondere im Luxussegment als äußerst sinnvoll betrachtet werden, da hier nur wenige tatsächliche Kunden vorhanden sind, jedoch viele potenzielle Kunden an den einzelnen Produkten interessiert sind und somit das wahrgenommene Markenbild entscheidend prägen (vgl. Konzept des „dream value“; z. B. Dubois/Paternault 1995).

Faktor: Ausgleich von begrenzten Wissensressourcen

Wie bereits die einleitenden Ausführungen dieses Beitrags andeuten, so sind Innovationen nicht länger exklusives Betätigungsfeld von Großkonzernen, sondern auch zunehmend von KMU (kleine und mittelständische Unternehmen), sozialen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Gerade in diesen Segmenten gibt es allerdings nicht immer ausreichende Wissensressourcen für Innovationen oder aber es fehlen die finanziellen Möglichkeiten, diese Wissensressourcen extern zu erwerben. Kundeneinbindung lohnt sich demnach gerade für kleine und mittelständische Unternehmen: Wie bei Tiwari und Buse (2007) deutlich wird, können insbesondere KMU aus der Not begrenzter Wissensressourcen durch Kundeneinbezug eine Tugend machen. Definieren KMU im Schatten größerer Konzerne Marktnischen, können Kunden zu den fokussierten Produkten oder Dienstleistungen sehr viel gezielter befragt, in ihren Bedürfnissen berücksichtigt und in die Produktneuentwicklung eingebunden werden. So entsteht durch die Auseinandersetzung mit den Kunden ein enges, gleichfalls dennoch profundes Expertisefeld des Unter-nehmens.

Faktor: Positive Sekundäreffekte durch Bindung von Kunden

Neben den unmittelbaren Vorteilen eines Kundeneinbezugs ergeben sich darüber hinaus attraktive Sekundäreffekte, welche projektübergreifenden Nutzen für Organisationen haben: So können die regelmäßigen Interaktionsmomente mit dem Unternehmen nicht nur zu einer Einbindung von Kunden in ein konkretes Innovationsvorhaben führen, sondern zu einer allgemein engeren Bindung an das Unternehmen (vgl. Doney/Cannon 1997; Gruner/ Homburg 2000; Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010).

Insgesamt sollte der Kundeneinbezug durchaus Vorteile bieten. Diese Annahme wird auch durch eine Reihe empirischer Arbeiten gestützt. Allen voran stellt Kundeneinbindung gleichzeitig eine Form proaktiver Marketing- und Qualitätsmanagementaktivität dar. So spielt das Involvement des Kunden eine herausragende Rolle für Kaufintentionen oder die Wahrscheinlichkeit einer Weiterempfehlung („Word-of-Mouth“). Dieses Involvement kann durch die Einbeziehung der Kunden bei der Entwicklung innovativer Produkte maßgeblich erhöht werden (Kaulio 1998).

„Ein permanenter Abgleich der unternehmenseigenen Innovationsvorstellungen mit den Vorstellungen der Kunden wird notwendig.“

Ein weiterer Sekundäreffekt geht zurück auf die so genannte Social Identification Theory (Tajfel/Turner 1986), welche besagt, dass Individuen sich mit sozialen Gruppen jeglicher Art (z. B. Unternehmen) identifizieren, was in der Regel zu positiveren Bewertungen dieser Gruppe führt. Zahlreiche Forschungsarbeiten konnten zeigen, dass ein höheres Ausmaß an Identifikation eines Kunden mit einem Unternehmen zu verschiedenen positiven Reaktionen wie größerer Loyalität, höher Zahlungsbereitschaft oder positiver Mund-zu-Mund-Propaganda führen kann (Homburg/Wieseke/Hoyer 2009; Morhart/Herzog/Tomczak 2009). Die nähere Beschäftigung eines Unternehmens mit seinen Kunden kann somit auch das Maß der Kundenidentifikation mit dem Unternehmen erhöhen.

Schließlich zeigt auch Forschung zu Fragebögen, dass Kunden, welche das Gefühl haben, „gehört“ zu werden, positive Reaktionen gegenüber dem Unternehmen zeigen können (Borle et al. 2007). Selbstverständlich darf der Kunde nicht zur Teilnahme gedrängt werden, sondern muss sich freiwillig dem Ausfüllen des Fragebogens widmen können.

Risiken der Einbindung von Kunden in Innovationsprojekte

Darüber hinaus wird in der Literatur allerdings auch auf Risiken der Einbindung von Kunden verwiesen.

Faktor: Ressourcen „Zeit“ und „Geld“

Der Einbezug von Kunden kann bei Innovationsprozessen Zeiteinsparungen bedeuten (vgl. Greer/Lei 2012; Lettl/Herstatt/Gemuenden 2006). Allerdings weisen etwa Greer und Lei (2012) darauf hin, dass die Einbindung von Kunden insbesondere hinsichtlich zeitlich-terminlicher Aspekte mit großen koordinativen Herausforderungen einhergeht. Die Einbindung von Kunden im Laufe des gesamten Innovationsprozesses ist zwar grundsätzlich wünschenswert und Erfolg versprechend (vgl. Brockhoff 2005). Bedenkt man allerdings, dass sich Produktneuentwicklungen oftmals über mehrere Jahre erstrecken und häufig keine genaue Prognose über die Finalisierung von Innovationen möglich ist, so wird deutlich, dass eine kontinuierliche und dicht gestaffelte Einbindung von Kunden manchmal nicht realistisch ist. Zudem muss auch immer die Gefahr von kompletten oder partiellen „Drop-Outs“ berücksichtigt werden, das heißt, Kunden können ihre Beteiligung an Innovationsprozessen vorübergehend oder vollständig beenden, das Unternehmen somit im Stich lassen und dadurch die Planungen für Innovationsprozesse obsolet machen (vgl. Greer/Lei 2012; Nambisan 2002).

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass mehr Zeit (in der Regel) mit höheren Kosten verbunden ist. Dies beginnt bereits bei der Auswahl und Rekrutierung der geeigneten tatsächlichen und/oder potenziellen Kunden durch die interne Marktforschungsabteilung oder ein externes Marktforschungsinstitut. Bei längerfristig angelegten Innovationsbeurteilungen wird die Pflege des Kunden-Panels Geld kosten. Zusätzlich entstehen monetäre Verpflichtungen der Logistik-Abteilung gegenüber sowie wie bei der Betreuung der Kunden. Werden Kunden an den Unternehmensstandort eingeladen, so entstehen für gewöhnlich weitere Kosten für Anreise, Spesen und gegebenenfalls Übernachtung.

Faktor: Wissen

Kooperationen zwischen Unternehmen und Kunden zielen auf einen Wissenszugewinn des Unternehmens ab. Tatsächlich werden Innovationsprozesse von manchen Autoren als Wissensprozesse verstanden (vgl. Scholl 2004). Gleichfalls ist der Prozess der Wissensgenerierung mit mindestens zwei großen Herausforderungen verbunden: Zum einen müssen Unternehmen ihren Kunden zunächst die eigenen Innovationsideen präsentieren, um deren Assoziationen, Ideen und Problemlösungen einfangen zu können. In diesem Sinne legen Unternehmen zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Innovationsprozess häufig eigenes Wissen mit strategischem Gehalt offen. Die Gefahr ist durchaus gegeben, dass Kunden das unternehmensspezifische Wissen zu eigenen Zwecken missbrauchen oder — im schlimmsten Fall für das Unternehmen — an einen Wettbewerber weitergeben (Enkel/Kausch/Gassmann 2005). Wie können Unternehmen diesen Herausforderungen begegnen? Enkel, Kausch und Gassmann (2005) nennen mehrere Maßnahmen: Zum einen sollten Unternehmen „vertrauensvolle Kunden“ identifizieren, das heißt Kunden, die bereits langjährigen Kontakt zum Unternehmen haben und sich idealerweise bereits als vertrauensvoll in kleineren, strategisch weniger bedeutsamen Projekten erwiesen haben. Zum anderen sollten sich Unternehmen überlegen, wann der richtige Zeitpunkt für die Kundenintegration ist, wobei Enkel, Kausch und Gassmann (2005) hier konservativ-zurückhaltend formulieren: „as early as necessary, but as late as possible. This ensures that the customer learns as little about the company know-how as late as possible, but contributes his own ideas at a moment when they still have a decisive impact“ (S. 206). Doch auch hinsichtlich eines weiteren Aspekts sind Wissens-austauschprozesse im Rahmen von Innovationen prekär: Die durch Interaktion und Wissensaustausch zwischen Unternehmen und Kunden gefundenen Lösungen erscheinen zumeist als Produkte unter der Flagge des Unternehmens auf dem Markt. Tatsächlich können allerdings auch die beteiligten Kunden teilweise oder umfassende Besitzansprüche auf innovative Ideen geltend machen (vgl. auch Hagedoorn 2003). Die Frage nach dem „geistigen Besitz“ sollte daher von Unternehmen im Vorfeld von Kundeintegration gerade auch hinsichtlich der patentrechtlichen Situation bedacht werden.

Letztlich bleibt auch fraglich, inwiefern Kunden einem Unternehmen genau das erzählen, was sie wirklich wollen (Ulwick 2002), insbesondere wenn sie sich ihrer Wünsche und Präferenzen nicht wirklich bewusst sind. Dies liefert einen Erklärungsansatz für immer wieder auftretende Diskrepanzen zwischen Kundenwünschen und der tatsächlichen (negativen) Kaufentscheidung nach Realisierung dieser Wünsche. Oder wie es Steve Jobs bereits 1998 formuliert hatte: „But in the end, for something this complicated, it‘s really hard to design products by focus groups. A lot of times, people don‘t know what they want until you show it to them“ (Business Week Online 1998).

Faktor: Auswahl von Kunden

Unternehmen müssen notwendigerweise eine Auswahl treffen, welche Kunden sie für den Produktentwicklungsprozess gewinnen wollen. Doch nach welchen Kriterien lassen sich diese bestimmen? Der „Lead User Ansatz“ von Eric von Hippel (1986; vgl. auch von Hippel 1989; von Hippel/Thomke/Sonnack 1999) legt insbesondere den Einbezug besonders kreativer, erfinderischer und innovationsaffiner Kunden nahe. Tatsächlich ist auch davon auszugehen, dass Kunden, die an einem Produktentwicklungsprozess beteiligt sein möchten, eine gewisse Affinität zum Innovationsgegenstand besitzen. Dies bedeutet jedoch auch, dass Unternehmen gerade bei radikalen Innovationen auf Nicht-Kunden als vorurteilsfreien und unbelasteten „think tank“ zurückgreifen könnten, welcher unter Umständen zur Generierung unerwarteter und neuartiger Innovationsvorschläge beitragen kann.

„Eine kontinuierliche und dicht gestaffelte Einbindung von Kunden ist manchmal nicht realistisch.“

Generell erscheint die Einbindung von Lead Usern positiv, da bei diesen Kunden davon auszugehen ist, dass sie sich mit der Innovationsmaterie bereits beschäftigt haben und eventuell sogar noch inkrementelles Wissen oder neue Ideen beisteuern können (vgl. von Hippel 1989). Doch aus dieser Charakterisierung resultiert auch die Gefahr, da diese Kunden — gerade aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Affinität zum Innovationsgegenstand — nicht notwendigerweise „typische“ Kunden darstellen, die den Großteil des Massenmarktes ausfüllen. Ist dies der Fall, entsteht wiederum die Gefahr, welche Kundenintegration eigentlich vermeiden soll, das heißt, dass Innovationen jenseits der breiten Marktbedürfnisse entwickelt werden und so Nischenprodukte für eine sehr begrenzte Käufergruppe entstehen. Enkel, Kausch und Gassmann (2005) empfehlen aus diesem Grund, den Innovationsprozess in zwei oder drei separate Abschnitte einzuteilen (Anfangsphase, mittlere Phase, späte Phase) und für jeden Abschnitt unterschiedliche Kundengruppen zu berücksichtigen. Dabei legt die Forschung nahe, dass Lead User vor allem in der Anfangsphase von Produktneuentwicklungen wertvolle, weil innovative Beiträge liefern können (Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010; von Hippel 1989). Idealerweise werden hier auch nicht einzelne Lead User oder eine einzelne Lead-User-Gruppierung einbezogen, sondern verschiede Lead User mit unterschiedlichen Hintergründen und Präferenzen. Zudem schließen Sandmeier, Morrison und Gassmann (2010) aus den Befunden ihrer Case Study, dass auch schon in früheren Phasen der parallele Einbezug „normaler“ oder „typischer“ Kunden sinnvoll ist, um auch deren Wahrnehmungen einfangen zu können.

Zusammenfassend lässt sich daraus schließen, dass der Einbezug von Kundengruppen vor allem dann vielversprechend ist, wenn statt einzelner Kunden ein Kundengruppen-Pool zurate gezogen wird, in welchem verschiedene Meinungen, Präferenzen und unterschiedliches Wissen repräsentiert sind.

Faktor: Methodische Probleme

Die Integration von Kunden in Innovationsprojekte kann mittels verschiedener Formate durchgeführt werden, von welchen im Folgenden Fragebögen, Fokusgruppen und Einzel-interviews diskutiert werden. Hierbei ist jede dieser Methoden mit potenziellen Validitätsmängeln behaftet.

Bei der Konstruktion und Interpretation von Antworten in Fragebögen gibt es zahlreiche Fehlerquellen, die beachtet werden müssen und welche unter Umständen verhindern, dass man zuverlässige Ergebnisse erhält. Hier sind zuerst klassische Skaleneffekte anzuführen (z. B. Kiesler/Sproull 1986), allen voran die Tendenz, allen Fragen zuzustimmen („tendency to agree“/„yes-saying“), die Bevorzugung mittlerer Antworten („tendency to avoid extreme answers“), aber auch die Tendenz zu extremen oder immer identischen Antworten. Auch die Reihenfolge der Items kann die einzelnen Antworten verzerren, da die Antwort auf eine spezifische Frage im Sinne der probabilistischen Testtheorie (auch: „item response theory“) immer auch von den Antworten auf die umliegenden Fragen abhängt (z. B. Embretson/Reise 2000). Dieser Unwägbarkeit könnte durch eine Randomisierung der einzelnen Items über Versuchspersonen hinweg vorgebeugt werden. Daneben sollten die Fragebogenentwickler überlegen, ob es notwendig ist, Effekte wie soziale Erwünschtheit (Crowne/Marlowe 1960) und psychologische Reaktanz (Donnell/Thomas/Buboltz 2001) zu kontrollieren.

Häufig werden im Innovationskontext Fokusgruppen gebildet, in welchen potenzielle Produktinnovationen diskutiert werden. Auf der einen Seite bietet diese Methodik mannigfaltige Möglichkeiten, sich einem bestimmten Problem auf systematische Weise konstruktiv anzunähern. Auf der anderen Seite können in Fokusgruppen Einzelmeinungen aufgrund dominanter Gruppenteilnehmer untergehen (Stewart/Shamdasani 1990), weshalb auch hier Probleme sozialer Erwünschtheit auftreten können.

Schließlich stellen einzelne „face-to-face“-Interviews ein bewährtes Mittel der Meinungsforschung dar. Auch diese Methode kann jedoch zu schwer interpretierbaren Ergebnissen führen, sofern ein nicht-geschulter Interviewer das Gespräch führt. Hier können beispielsweise Suggestivfragen vonseiten des Interviewten zu irreführenden und invaliden Antworten führen (Lamb/Fauchier 2001).

Abbildung 1 fasst die angeführten Chancen und Risiken einer vermehrten Kundeneinbindung in Innovationsprozesse kurz zusammen und beinhaltet eine Auflistung der wichtigsten Fragestellungen eines sich im Planungsprozess befindenden Unternehmens.

Abb. 1
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Chancen und Risiken der Einbindung von Kunden in Innovationsprojekte

Einbindung von Kunden — Gibt es generelle Empfehlungen?

Wie die Ausführungen aus der Literatur zeigen, lassen sich kaum allgemeingültige Best Practices formulieren. Allerdings gibt es sehr wohl kritische Aspekte, welche Unternehmen bedenken sollten, um zu einer Entscheidung über Art und Ausmaß der Kundenintegration zu gelangen:

  1. 1.

    Kundenintegration verlangt eine sorgfältige Planung, in der gerade auch die Herausforderungen und Risiken der Einbindung von Kunden berücksichtigt werden müssen. So sollten etwa mögliche Drop-Outs von Kunden und damit einhergehende Verzögerungen des Innovationsprozesses ebenso bedacht werden wie auch die Tatsache, dass der Informationsfluss von Kunden an Außenstehende schwer kontrollierbar ist, aber durchaus möglich erscheint und so im schlechtesten Fall sogar innovationsrelevante Informationen an Mitbewerber weitergegeben werden könnten.

  2. 2.

    Umso mehr sollten Unternehmen für sich analysieren, welche Kunden (oder auch potenzielle Kunden) tatsächlich in Innovationsprozesse eingebunden werden. Dies betrifft außer der Frage der Integrität und dem Vertrauen gegenüber den Kunden auch die Frage, welche Kundengruppe einbezogen werden soll: Neben „Lead Usern“, die innovative Ideen und inkrementelles Wissen einbringen können, sind auch „Typical User“ nicht zu vernachlässigen. Ihre Einschätzungen spiegeln weit mehr die Wahrnehmungen des breiten Marktes wider und liefern damit Korrektive für allzu innovative Ideen, welche am Ende nur für einen Nischenmarkt tauglich wären.

  3. 3.

    Schlussendlich sollten sich Unternehmen Gedanken machen, zu welchem Zeitpunkt des Innovationsprozesses der Einbezug von Kunden Sinn macht. Die Literatur kommt hier zu unterschiedlichen Einschätzungen: von „as late as possible, as early as necessary“ (Enkel/Kausch/Gassmann 2005, S. 206) bis hin zu der Empfehlung, Kunden über den gesamten Innovationsprozess einzubinden. Wie in einem Fallbeispiel weiter unten deutlich wird, besteht darüber hinaus die Option eines „past involvements“.

Kreative Kundenintegration

Das richtige Vorgehen, die richtigen Kunden sowie der richtige Zeitpunkt der Kundeneinbindung lassen sich kaum allgemein, sondern nur für den Einzelfall formulieren. Dies sollen im Folgenden drei Fallbeispiele zur Kundenintegration im Business-to-Business-Kontext verdeutlichen, welche zu Illustrationszwecken jeweils durch zusätzliche Eindrücke und Beschreibungsmerkmale aus der Praxis erweitert wurden.

Workshops mit Kundeneinbezug

In einem Unternehmen mit 250 Mitarbeitenden war eine umfassende Innovation der grundlegenden Technik vonnöten, nachdem sich die Anforderungen an die Unternehmensprodukte durch die zunehmende Digitalisierung drastisch verändert hatten. Die Einbindung von Kunden sah die Geschäftsführung gleich aus zwei Gründen als notwendig an: Zum einen musste sichergestellt werden, dass die neue Technik auch den tatsächlichen Anforderungen und Wünschen der Kunden entsprach. Darüber hinaus bedeutete der Wechsel von der alten auf die neue Technik eine Umstellung der gesamten Produktion, weswegen das Unternehmen für knapp zwei Jahre keine Produkte herstellen konnte, sodass durch Interaktion, Kommunikation und Kooperation mit Kunden ein Wechsel derselben zu Wettbewerbern verhindert werden sollte. Konkret sah die Kundenbindungsstrategie unter anderem dritteljährlich stattfindende dreitägige Workshops vor, bei denen Geschäftsführung, Mitarbeitende aus der Produktion und Kunden gemeinsam die aktuellen Prototypen diskutieren, testen und mit den Produkten der Konkurrenz vergleichen. In den Workshops werden gleich drei Prinzipien der Kundeneinbindung deutlich: Zum einen werden Kunden zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Produktentwicklung eingebunden — dies steht in Übereinstimmung mit den Empfehlungen beziehungsweise Implikationen aus der Forschungsliteratur (vgl. Murphy/Kumar 1997; Sandmeier/Morrison/Gassmann 2010). Gleichfalls werden Kunden nicht nur um Ideen und Vorschläge gebeten, sondern eine Auseinandersetzung mit bereits mehr oder weniger existierenden realisierten Ideen angeregt (vgl. Thomke 2001). Des Weiteren wird den Kunden verdeutlicht, dass sie einen großen Einfluss auf den Erfolg neuer Produkte haben: Nicht nur werden ihnen hochinnovative und vertrauliche Innovationsideen vor dem Zeitpunkt der Markteinführung vorgeführt, auch wird ihnen die Macht eingeräumt, diese Ideen durch ihr Veto zu stoppen. Schlussendlich stellen die Workshops bereits alleine durch ihr Format eine über einzelne Innovationen hinausgehende Bindung der Kunden an das Unternehmen dar.

Kundenaudits

Der Vorstand eines großen, der Pharmabranche nahe stehenden, Unternehmens berichtete, dass er lange Zeit eines der großen Probleme für Innovationen in der eigenen Betriebsblindheit beziehungsweise der Betriebsblindheit der eigenen Mitarbeitenden sah. Ein Ausweg daraus ergab sich durch eine Form der Kundenintegration, die interessanterweise nicht auf Initiative des Unternehmens, sondern aufgrund politisch-rechtlicher Regelungen implementiert werden musste. Da die Kunden des Unternehmens (in den meisten Fällen KMU und Konzerne) verpflichtet waren, das Unternehmen regelmäßig zu auditieren, ergeben sich pro Jahr eine hohe Anzahl an Kundenaudits. Diese Kundenaudits werden im Unternehmen mittlerweile nicht mehr als rechtlicher Pferdefuß, sondern als kostenfreie Möglichkeit der Integration von Kunden in Innovations- und Verbesserungsprozesse gesehen.

Öffentlichkeitsarbeit

Wie aus den bisherigen Betrachtungen deutlich wird, soll der Einbezug von aktuellen und potenziellen Kunden nicht alleine der Förderung einzelner Innovationsvorhaben dienen, sondern idealerweise projektübergreifende Bindung an das Unternehmen ermöglichen. Eine interessante Möglichkeit liefert hier das Beispiel eines Unternehmens mit über 3.000 Mitarbeitenden. In diesem Unternehmen werden Kunden regelmäßig Innovationsbroschüren zugestellt, mit denen interessanterweise primär keine Werbeabsichten verbunden sind. Stattdessen wird in diesen Dossiers über laufende, abgeschlossene und beendete Innovationsvorhaben berichtet. Dies schließt explizit auch die Berichterstattung über gescheiterte Innovationsvorhaben im Unternehmen ein, inklusive einer Darstellung der „Lessons Learned“ aus diesem Scheitern. Diese Form des „past involvements“ stellt dabei eine neue Dimension der Kunden(ein)bindung dar: Nicht nur sollen Kunden in aktuelle Projekte involviert werden, ihnen wird auch ein transparenter Einblick in vergangene und gescheiterte Innovationsprojekte gewährt. Interessant ist dieser Ansatz, da hier — anders als von Enkel, Kausch und Gassmann (2005) angeregt — die Informationsweitergabe vom Unternehmen zum Kunden nicht nur nicht „as minimal as possible“ ausfällt, sondern sogar ausgeprägter als eigentlich notwendig. Tatsächlich erhofft sich das Unternehmen durch diese Darstellung eine bessere Kommunikation über die eigenen Innovationsabsichten und die eigenen Wissensressourcen und damit auch eine direkte Information für Kunden, wo deren Wissen und Anregungen von Interesse für das Unternehmen sein können.

„Unternehmen müssen Chancen und Risiken der Kundenintegration im Vorfeld von Innovationsprozessen gegeneinander abwägen.“

Fazit

Theorie, Empirie und Beispiele aus der Praxis machen deutlich, dass es möglich und innovationsförderlich sein kann, Kunden in Innovationsprozesse zu integrieren: Kunden können zu innovativeren Lösungen beitragen, sie können die Markttauglichkeit von innovativen Ideen „validieren“ helfen und sie können beim Markteintritt Innovationen anschieben. Allerdings zeigen sich auch Herausforderungen und Risiken: So ist der (kontinuierliche) Beitrag von Kunden zu Innovationsprozessen weit weniger gesichert, als dies bei Mitarbeitern der Fall ist. Zudem kann im ungünstigen Fall innovatives Know-how über die Kunden an Wettbewerber gelangen. Schlussendlich verlangt die erfolgreiche Kundenbeteiligung die Beantwortung komplexer Fragen: Welche Kunden können überhaupt als Experten angesehen werden? Gibt es relevante Einblicke auch durch Nicht-Experten oder Nicht-Kunden? Und in welchen Formaten sollen diese eingebunden werden?

Insgesamt zeigen gerade auch differierende Befunde in der Forschung und die angeführten Beispiele aus der Praxis, dass sich kaum Patentlösungen formulieren lassen. Vielmehr ist es Aufgabe jedes einzelnen Unternehmens, die dargestellten Chancen und Risiken der Kundenintegration (etwa die Frage nach Urheberschaft und Patenten bei Innovationen) im Vorfeld von Innovationsprozessen gegeneinander abzuwägen und die Schlussfolgerungen in der nachfolgenden Innovationsplanung zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 1).