1 Einleitung

Ein Hilfs-Ich muss davon „überzeugt“ sein, dass der Protagonist Recht hat …Es ist die Aufgabe des Hilfs-Ichs, die Subjektivität des Patienten zu durchleben und sich mit jedem Ausdruck des Patienten zu identifizieren, soweit dies die körperlichen Grenzen erlauben (Moreno, zit. nach Hutter und Schwehm 2012, S. 435)

Diesem Anspruch Morenos nähern sich PsychodramatikerInnen durch die Übernahme von Hilfs-Ich-Kompetenzen im Einzelsetting. Ein Schwerpunkt meiner psychotherapeutischen Praxis ist die Arbeit mit KlientInnen, die neben ihrer psychischen Erkrankung kognitiv beeinträchtigtFootnote 1 sind. Seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sollte die Inklusion von behinderten Menschen in alle Lebensbereiche, auch in die Psychotherapie, Selbstverständlichkeit sein. Noch immer zögern jedoch KollegInnen diese KlientInnen zu übernehmen aus Sorge oder Angst, ihnen nicht gerecht zu werden. Dieser Artikel versteht sich als Plädoyer, mutig, aber auch bereit zu sein, die eigene Komfortzone zu verlassen und auch dieser KlientInnen-Gruppe ein therapeutisches Angebot zu machen. Wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden, sondern es geht darum, unser psychodramatisches Wissen so zu verwenden, dass es auch diesen KlientInnen zugutekommt.

Die Übernehme von Hilfs-Ich-Funktionen durch den Therapeuten oder die Therapeutin im Therapieprozess ist gängige Praxis. Da man im Gegensatz zum Gruppensetting keine Gruppenmitglieder als Hilf-Iche zur Verfügung hat, stellen TherapeutInnen Hilfs-Ich-Kompetenzen zur Verfügung, um KlientInnen bei ihrer (Rollen‑)Entwicklung zu unterstützen.

Wie diese Hilfs-Ich-Kompetenzen in der Arbeit mit KlientInnen mit einer kognitiven Behinderung eingesetzt werden und wo Modifikationen und Erweiterungen notwendig sind, soll Inhalt dieses Artikels sein und anhand von Fallbeispielen dargestellt werden.

Dazu stelle ich folgende Thesen auf:

  1. 1.

    Die Arbeit auf der Begegnungsbühne nimmt den größten Raum im therapeutischen Prozess ein und stellt den Rahmen für die inhaltliche Arbeit dar. Zur Einhaltung dieses Rahmens brauchen diese KlientInnen oft mehr Unterstützung als andere KlientInnen, die Begegnungsbühne erweitert sich über den Praxisraum, Begegnungsbühne und Alltagsbühne überschneiden sich immer wieder.

  2. 2.

    Doppeln ist die wichtigste Hilfs-Ich-Funktion bei dieser KlientInnen-Gruppe – Doppeln als Haltung sollte den gesamten Therapieprozess begleiten. An welche Grenzen stoßen TherapeutInnen jedoch in ihrer Einfühlung bzw. wo ist besondere Achtsamkeit gefragt, um KlientInnen nicht eigene Vorstellungen und Gefühle überzustülpen?

  3. 3.

    Die Zusammenarbeit mit Personen aus dem sozialen Netzwerk ist unumgänglich, hier übernimmt die Therapeutin jedoch nicht nur Hilf-Ich-Funktionen für die Klientin. Manchmal braucht auch das soziale Umfeld Unterstützung. Dieser Balanceakt gelingt nicht immer, mitunter gilt es ein Scheitern auszuhalten.

2 Die Gestaltung der TherapeutInnen-Rolle zwischen stabilem Beziehungsangebot und klaren Grenzen

TherapeutInnen stehen vor der Aufgabe, eine Balance zwischen therapeutischen und persönlichen Rollen herzustellen, mehr noch, therapeutische Professionalität und persönliches Engagement miteinander zu integrieren. (Schacht 2018, S. 178)

Die Beziehung ist für mich generell das Herzstück jeder therapeutischen Arbeit. Während die Klärung der Rahmenbedingungen bei anderen KlientInnen am Anfang einer Psychotherapie erfolgt und in der Regel nicht weiter Thema ist, macht allein schon die Gestaltung dieses Rahmens und die Unterstützung beim Einhalten desselben bei diesen KlientInnen Hilfs-Ich-Funktionen des Therapeuten oder der Therapeutin notwendig. Ähnlich wie Eltern ihre Kinder einerseits vorbehaltslos fördern und unterstützen, andererseits aber auch Grenzen setzen und Schutz geben müssen, ist es Aufgabe der TherapeutInnen, ein verlässliches und stabiles Beziehungsangebot zur Verfügung zu stellen, gleichzeitig aber auch einen festen Rahmen und klare Regeln zu bieten und deren Einhaltung einfordern. Die Arbeit auf der Begegnungsbühne nimmt viel Zeit in Anspruch und zieht sich durch den gesamten Therapieprozess. TherapeutInnen müssen verstehende und unterstützende aber auch grenzsetzende Rollen zur Verfügung stellen.

Fallbeispiel 1

Herr L. lebt in einer eigenen Wohnung und wird ambulant betreut. Er hat Schwierigkeiten, sich seine Zeit gut einzuteilen, gleichzeitig fällt es ihm schwer, spontane Bedürfnisse hinten an zu stellen. Zwei Stunden vor unserem vereinbarten Termin ruft er an, um mir mitzuteilen, dass er heute nicht kommen könne, weil er seine Schwester besuchen möchte. Diese fahre morgen für mehrere Wochen weg und er möchte sie unbedingt noch einmal sehen. Da ich aus seinen Erzählungen weiß, dass die Schwester in der Nähe meiner Praxis wohnt, schlage ich ihm vor, seine Schwester anzurufen und sie zu fragen, ob er nach unserem Termin gegen 17.30 bei ihr vorbeikommen könne. Herr L. greift meinen Vorschlag auf und somit können Therapiestunde und Schwesternbesuch stattfinden.

Ähnliche Situationen erlebe ich immer wieder. Auf der Begegnungsbühne erweitere ich meine Rolle als Therapeutin und bin als Hilfs-Ich über die Therapiestunde hinaus da und biete mögliche Lösungsmöglichkeiten an. Es geht darum, Verständnis für das aktuelle Bedürfnis zu zeigen, aber auch die Einhaltung unserer Vereinbarungen einzufordern. Es braucht daher von TherapeutInnen die Bereitschaft, über die vereinbarten Termine hinaus zur Verfügung zu stehen und KlientInnen bei einer Alltagsstrukturierung zu unterstützen. Nicht immer gelingt es wie im obigen Beispiel und kann durchaus auch Frustration und Ärger auslösen, Gefühle, die es auszuhalten gilt.

Fallbeispiel 2

Frau A. kommt seit einigen Monaten zur Psychotherapie. Wir haben uns anfänglich auf einen Termin am Nachmittag nach Beendigung ihrer Beschäftigungstherapie geeinigt. Nun möchte sie diesen Termin gerne verändern, weil sie an diesem Tag ein Freizeitangebot in Anspruch nehmen möchte. Da Autonomie und Selbstbestimmung als Leitlinien meine Arbeit bestimmen, versuche ich mit Fr. A. einen neuen Termin zu finden. Wenige Wochen später passt auch dieser Termin nicht mehr, sie möchte wieder einen anderen Termin. Das Verhandeln über einen geeigneten Termin und die Terminsuche bestimmen bald den therapeutischen Prozess und drängen andere Themen in den Hintergrund. Eine Rückkehr zu einem verbindlichen Termin löst bei der Klientin Ärger aus und erschwert unsere Zusammenarbeit.

Die richtige Ausgewogenheit zwischen dem Wunsch nach Selbstbestimmung und der Anforderung nach Verlässlichkeit zu finden, gelingt nicht immer. Da ich selbst eine flexible Terminvergabe präferiere, lasse ich mich möglicherweise gerne verführen, von einer vereinbarten Zeitstruktur abzuweichen. Grundsätzlich glaube ich aber, dass bei KlientInnen, die Probleme mit der Zeitstruktur haben, es von Vorteil ist, wenn die Therapie immer am selben Tag zur selben Zeit stattfindet. Der dadurch entstehende Rhythmus ist stabilisierend und bietet eine Struktur, die hilfreich ist.

Durch das Setzen dieser alltagsunterstützenden Interventionen wird für mich die Rollenklarheit immer wieder in Frage gestellt. Gehören Hilfs-Ich-Aufgaben wie in obigen Fallbeispielen noch zur TherapeutInnen-Rolle oder übernimmt man dadurch bereits BetreuerInnen-Aufgaben? Bin ich mehr pädagogisch als therapeutisch tätig, wenn ich das Einhalten von Vereinbarungen einfordere? Stelle ich damit die Selbstbestimmung der KlientInnen in Frage? Oder unterstütze ich KlientInnen dabei neue Rollen zu entwickeln, beispielsweise „die Verbindliche“, die ihnen auch ihren Alltag und soziale Situationen erleichtern können? Möglicherweise ist dieses immer wiederkehrende Aushandeln eines neuen Termins eine alte und vertraute Rolle von Frau A., mit der sie versucht, Aufmerksamkeit von ihrem Gegenüber zu bekommen. Die Klientin lebt seit ihrer Kindheit in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe. Nach meiner Erfahrung gibt es unter den BewohnerInnen von Wohngemeinschaften häufig eine Konkurrenz, wer mit welchen Verhalten das größte Stück vom Betreuungskuchen bekommt. Mit diesem Wissen hätte ich als Therapeutin andere Hilfs-Ich-Kompetenzen zur Verfügung stellen müssen und der bedürftigen Frau M. eine andere Bühne bieten können. Hat hier die Pädagogin der Therapeutin die Sicht verstellt?

Gerade, wenn so wie bei mir die BetreuerInnen-Rolle Teil der Berufsbiographie ist, verschwimmen die Grenzen möglicherweise. Spannenderweise ist die Verbindlichkeit bei Terminen in meiner Praxis gerade auch bei anderen KlientInnen ein Thema auf der Begegnungsbühne, der Unterschied vielleicht doch nicht so groß?

Erst wenn es gelungen ist, eine stabile tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen, sind weitere Schritte möglich. Wurde ein Zugang zu den Anliegen und Themen der KlientInnen gefunden, geht es darum, neue Rollen zu entdecken, auszuprobieren und zu integrieren. Dies kann sowohl auf der Begegnungs- als auch auf der Spielbühne geschehen.

3 Der Wunsch, verstanden zu werden – Doppeln als Haltung

Zum Doppel-Ich des Patienten zu werden – nicht als einmalige, technische Intervention, sondern als Ausdruck einer durchgängigen Haltung – stellt eine konkrete Möglichkeit intensiver Beziehungsaufnahme dar (Frede 2012, S 96).

Fallbeispiel 3

Herr S. hat Probleme mit der Artikulation. In den ersten Stunden unserer gemeinsamen Arbeit fällt es mir schwer, ihn zu verstehen. Ich wiederhole immer wieder, was ich verstanden habe, was anfänglich wenig ist. Herr S. reagiert mit Unruhe und verspannt sich. Ich habe den Eindruck, dass mein Nichtverstehen Frustration und Ärger beim Klienten auslöst. Als ich diese Gefühle verbalisiere und ihm zu verstehen gebe, dass ich dies gut nachvollziehen kann und er diese Erfahrung vermutlich häufig macht, gleitet ein Lächeln über sein Gesicht.

Vom Gegenüber verstanden zu werden, ist ein Bedürfnis, das alle Menschen teilen. Um dieses Bedürfnis stillen zu können, müssen TherapeutInnen in die Welt der KlientInnen eintauchen, versuchen sich in sie einzufühlen und zu verstehen, mit welchen Schwierigkeiten sie im Alltag konfrontiert sind und was das für sie bedeutet. Menschen mit einer kognitiven Behinderung fühlen sich oft nicht verstanden, machen sie doch häufig die Erfahrung, dass ihnen nicht richtig zugehört wird, sie nicht gehört werden bzw. Dinge über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Um diese Rolle als „Doppel-Ich“ gut wahrnehmen zu können, ist es notwendig, KlientInnen zu verstehen, was nicht immer einfach ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir fast immer gelingt, mich in die Sprache meiner KlientInnen einzuhören und nach einer gewissen Zeit so etwas wie eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Dazu gehört auch, die eigene Sprache dem Sprachniveau der KlientInnen anzupassen, eine einfache und leicht verständliche Sprache zu verwenden.

Fallbeispiel 4, Teil 1

Frage ich Frau M. wie es ihr geht, geht es ihr immer gut, auch wenn ihre Körperhaltung und Mimik etwas anderes ausdrücken. Sie erzählt kaum von ihrem Alltag, und wenn sie von Szenen aus ihrer Wohngemeinschaft oder der Arbeit berichtet, fehlen Worte für die Gefühle, die diese möglicherweise bei ihr ausgelöst haben. Gleichzeitig kommt es im Alltag immer wieder zu Impulsdurchbrüchen mit Selbst- und Fremdgefährdung, die oft nicht nachvollziehbar sind. Benenne ich die Gefühle, die ihre Erzählungen bei mir auslösen – beispielsweise Traurigkeit über den abgesagten Besuch des Vaters – ernte ich wenig Resonanz.

Wie weit ist es möglich, sich in die Alltagserfahrungen von kognitiv beeinträchtigten Menschen und die Emotionen, die diese bei ihnen auslösen, einzufühlen? Wo müssen wir uns mit der Begrenztheit unser Einfühlungsfähigkeit auseinandersetzen, diese reflektieren und auch akzeptieren? Gerade bei Frau M. komme ich immer wieder an meine Grenzen, stelle mein eigenes therapeutischen Tun in Frage. Werde ich ihr gerecht? Kann ich mich ausreichend in sie einfühlen? Profitiert sie von unserer gemeinsamen Arbeit und wirkt sich diese auf ihre Befindlichkeit im Alltag aus?

Entwicklungspsychologich betrachtet, leitet sich das Doppel aus der frühen Eltern-Kind-Interaktion ab, wo Eltern im günstigsten Fall als Doppel zur Verfügung stehen, wenn sie den Gefühlen ihres Kindes nachempfindend Sprache geben. Da bei den erwähnten KlientInnen – wie im Fallbeispiel – die Selbstwahrnehmung oft eingeschränkt oder ihr Selbstbezug unterbrochen ist, soll das therapeutische Doppeln den Zugang zu den eigenen Gefühlen fördern und die Differenzierung unterstützen. „Es geht mir gut oder schlecht“ soll durch ein „Das macht mich traurig“, „Da bin ich ärgerlich geworden“ etc. ersetzt werden.

Einfühlendes und stützendes Doppeln

  • unterstützen beim Wahrnehmen eigener Gedanken und Gefühle

  • vermitteln das Gefühl, verstanden zu werden

Wie weit ist es mir jedoch möglich, mich in die Gefühlswelt von Frau M. hinein zu versetzen? Macht es sie wirklich traurig, wenn der Vater den versprochenen Besuch absagt? Oder löst die Szene eher Gefühle von Enttäuschung oder Ärger aus?

Aufgrund der bereits erwähnten Fremdbestimmtheit, der diese KlientInnen häufig ausgesetzt sind, sollten zwei Aspekte beim Doppeln immer mitbedacht werden. Die Zustimmung der KlientInnen zum Doppeln sollte eingeholt werden, da behinderte Menschen häufig die Erfahrung machen, dass für sie entschieden und gehandelt wird. In diesem Sinne ist ein ständiges Nachfragen nötig, um sich zu vergewissern, dass das im Doppeln Ausgedrückte mit dem Erleben und der Gefühlswelt der KlientInnen übereinstimmt. Für manche KlientInnen ist aber sogar dies zu hochschwellig. Möglicherweise geht es vorerst darum, für ein und dieselbe Szene unterschiedliche Gefühle anzubieten, die gleiche Szene kann unterschiedliche Gefühlsqualitäten auslösen. Gleichzeitig erkenne ich beim Doppeln, wie obiges Beispiel zeigt, auch immer wieder die Begrenztheit meiner Einfühlungsfähigkeit. Vor allem bei sehr schwer behinderten Menschen erlebe ich, dass Körpersignale von mir fehlgedeutet werden. Wie die gemeinsame Sprache muss sich auch der Teleprozess erst langsam entwickeln, Erlebnis- und Ausdrucksweisen von behinderten KlientInnen müssen erst erspürt und entdeckt werden (vgl. Denk 2004, S. 334).

Fallbeispiel 4, Teil 2

Obwohl Frau M. von Anfang an gerne zu mir kommt, fällt es mir schwer, einen Zugang zu ihr zu finden. Erst ein Gefühlsmemory bricht das Eis, das Spiel begeistert die Klientin und ab diesem Zeitpunkt muss es jede Stunde gespielt werden. Frau M. kann recht schnell die dargestellten Gefühle benennen, ein nächsten Schritt wäre es, diese Gefühle mit ihrem eigenen Erleben in Verbindung bringen.

Da der Start zu einer Psychotherapie bei den KlientInnen in der Regel ein fremdbestimmter ist, gibt es anfänglich keine Anliegen und Erwartungen. Sie kommen, weil es von ihnen erwartet wird bzw. gibt es auch keine Möglichkeiten, sich der Therapie zu entziehen, wenn bspw. ein Fahrtendienst das Bringen und Abholen der KlientInnen übernimmt. Die Arbeit mit Intermediärobjekten leistet hier einen wichtigen Betrag, KlientInnen dabei zu unterstützen, Zugang zu eigenen Themen zu bekommen.

Neben der Arbeit mit diversen Kartensets oder dem oben vorgestellten Memory, arbeite ich auch gerne mit Bilderbüchern (vgl. Denk 2018, S, 496). Manche KlientInnen wünschen sich, dass ich mich bei gemeinsamen Lesen neben sie setze, mich in die Doppelgängerposition begebe. Gemeinsam Bilder zu betrachten, eine Geschichte zu lesen, schafft Verbindung. Dadurch spüre ich ihr Interesse an und ihre Berührung bei bestimmten Inhalten besser und kann diesen nachgehen. In dem Maße, in dem ich als Therapeutin bestimmte Inhalte anspreche und wahrgenommene Gefühle dopple, eröffne ich KlientInnen die Möglichkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen und zu benennen.

4 Von der Praxis- auf die Alltagsbühne

Eine Vielzahl von Helfern aller Art umgeben uns im Verlauf unseres Lebens und steigern oft ohne ihr eigenes Wissen unsere Kraft und unser Wohlergehen, dienen uns als Hilfs-Ich und erweitern unser Ego (Moreno, zit. nach Hutter und Schwehm 2012, S. 435)

Gerade Menschen mit einer Behinderung sind Zeit ihres Lebens auf HelferInnen angewiesen. Die meisten meiner KlientInnen werden im Alltagsleben durch ein Betreuungsnetzwerk begleitet. Oft gibt es wenig Absprachen, jedeR versucht den oder die KlientIn nach bestem Wissen zu unterstützen, ein roter Faden fehlt. Um eine Zusammenarbeit im Sinne des der KlientInnen zu erreichen, ist mir die Kooperation mit diesem Netzwerk wichtig. Denn nicht immer gelingt es den KlientInnen das in der Therapie Erreichte in den Alltag zu integrieren und ein Mehr an Lebensqualität zu erlangen. Dazu braucht es das Verständnis und die Unterstützung der HelferInnen im Alltag. Hier erlebe ich mich als Initiatorin von HelferInnen-Konferenzen gemeinsam mit den KlientInnen, in der Rolle der Dolmetscherin zwischen KlientInnen und Bezugspersonen, aber auch um Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen der KlientInnen bemüht, die sich aus ihrer Lebensgeschichte erklären.

Fallbeispiel 4, Teil 3

Frau M. kann beim Gefühlsmemory die abgebildeten Gefühle benennen, ich habe den Eindruck, sie kann bestimmte Gefühle aber nur schwer mit sich und ihrem Alltagsleben in Verbindung bringen. Bei einer HelferInnen-Konferenz, bei der die Mutter, sowie die BetreuerInnen aus Werkstätte und Wohneinrichtung teilnehmen, bin ich überrascht und erfreut, wie sehr sich das Verhalten der Klientin auf den verschieden Alltagsbühnen verändert hat. Sowohl die Mutter als auch die BetreuerInnen berichten, dass Frau M. mittlerweile Wünsche und Bedürfnisse äußert. Die Impulsdurchbrüche sind fast vollständig verschwunden, Frau M. wird ruhiger und ausgeglichener erlebt. Um sie weiterhin gut begleiten zu können, erkläre ich das Hilfs-Ich-Prinzip und bitte Frau M. in Zukunft im Alltag dabei zu unterstützen, Emotionen, die durch bestimmte Situationen ausgelöst werden, zu benennen, sprich zu doppeln.

Hilfs-Ich-Kompetenzen zu übernehmen sollte in der Begleitung von Menschen mit kognitiven Behinderungen eine Grundhaltung und -kompetenz sein, nicht nur im therapeutischen Setting. Aus diesem Grund finde ich die Zusammenarbeit mit dem sozialen Netzwerk (Familie,professionelles Betreuungssystem) unerlässlich, weil es manchmal notwendig ist, bestimmte Hilfs-Ich-Funktionen aus dem therapeutischen Setting in den Alltag zu integrieren. Dies kann nur gelingen, wenn sich die Notwendigkeit solcher Hilfs-Ich-Funktionen auch den Betreuungspersonen erschließt und sie sich bereit erklären, diese in ihren Betreuungsalltag einzubauen. Hat sich eine gute Zusammenarbeit etabliert, gelingt es in der Regel gut, Betreuungspersonen für diese Aufgaben zu gewinnen.

Fallbeispiel 5

Der Therapieprozess von Herrn A. gestaltet sich immer wieder schwierig, entweder vergisst er den Termin, kommt er zu spät oder ist in der Stunde so müde, dass es ein Arbeiten kaum möglich ist. Aufgrund der wegen Corona notwendigen Schutzmaßnahmen verändern sich durch eine Gruppenteilung seine Arbeitszeiten, sein Arbeitstag beginnt erst zu Mittag. Wir verlegen unseren Termin auf den späten Vormittag, Herr A. ist wie ausgewechselt, er ist wach, lebendig und bringt eigene Anliegen ein. Die neue Arbeitszeit gefällt ihm, er würde sie gerne beibehalten. Ich ermuntere ihn, diesen Wunsch sowohl seinem Bezugsbetreuer in der Wohngemeinschaft als auch in der Werkstätte mitzuteilen. Leider wird dem Wunsch nicht stattgegeben. Nach Rücksprache mit Herrn A. biete ich an, meine Wahrnehmungen dem Betreuungsnetzwerk mitzuteilen und Herrn A. bei seinem Wunsch den Rücken zu stärken. Nach dem Telefonat mit dem Bezugsbetreuer von Herrn A. habe ich den Eindruck, dass meine Intervention vom Betreuer eher als Einmischung gesehen wird. Zu meiner Freude wird es Herrn A. nach einiger Zeit jedoch ermöglicht, seinen Arbeitstag erst um 10.00 zu starten. Mit diesem Kompromiss ist er sehr zufrieden, was er immer wieder betont.

Fallbeispiel 6

Frau J, eine junge Frau mit Migrationshintergrund und einer Lernbehinderung, wünscht sich von ihrer Mutter, die auch gleichzeitig ihre ErwachsenenvertretungFootnote 2 ist, mehr Freiraum. Sie klagt, dass sich die Mutter in alle ihre Angelegenheiten einmische und ihr viele Vorschriften mache. Auch ich erlebe die Mutter, die die Klientin zum Erstgespräch begleitet, sehr bevormundend. Stelle ich der Klientin eine Frage, antwortet die Mutter. Sie kritisiert ständig an der Tochter herum, hat auch klare Vorstellungen, was in der Therapie passieren soll. Bereits im Erstgespräch wird mir klar, dass diese Zusammenarbeit schwierig werden wird. Im Laufe des Therapieprozesses entwickelt die Klientin bestimmte Veränderungswünsche ihre Zukunft betreffend, wie einen Arbeitsplatzwechsel oder den Wunsch, einige Kleinigkeiten in ihrer Wohnung zu verändern. Trotz einer guten Vorbereitung schafft es die Klientin nicht, mit der Mutter zu reden. Sie bittet mich um ein gemeinsames Gespräch mit der Mutter. In diesem Gespräch versuche ich als „Dolmetscherin“ zwischen Mutter und Tochter zu vermitteln, was nicht wirklich gelingt. Einige Zeit später beendet Frau J. die Therapie, mein Eindruck ist, dass ein Loyalitätskonflikt zwischen der Mutter und mir für die Klientin nicht lösbar ist. Mein Versuch, die Klientin in ihrer Autonomie zu unterstützen und ihr im Gespräch mit der Mutter den Rücken zu stärken, hat für den Moment eher das Gegenteil bewirkt.

Wie anhand der beiden letzten Fallbeispiele ersichtlich, gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Betreuungsnetzwerk nicht immer einfach. Es braucht oft viel Fingerspitzengefühl, die richtige Dosis zu finden, um sowohl von KlientInnen als auch vom Netzwerk als Hilfe wahrgenommen zu werden. Gerade wenn BetreuerInnen und Eltern, ihre Zielvorstellungen in der Therapie verwirklicht sehen wollen bzw. TherapeutInnen als Konkurrenz erleben, kann die Therapie erschwert werden oder auch ein Scheitern zur Folge haben. Trotzdem finde ich die Netzwerkarbeit und KlientInnen auf ihrer sozialen Bühne in den oben genannten Rollen zur Verfügung zu stehen, eine vielfältige, spannende und lohnende Aufgabe.

5 Schlussbemerkung

Moreno stellt dem Konkurrenzkampf zwischen Menschen sein Projekt der Soziometrie entgegen (Moreno 1954), um sich der Utopie von einem guten Platz für jeden gemeinschaftlich anzunähern und die Lage der Beteiligten zu verbessern (Hochreiter 2018, S. 43).

Das Psychodrama mit seinem Menschenbild, dem soziometrischen Blick und der Rollentheorie bietet alles für die Arbeit mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Wie die Arbeit mit den Hilfs-Ich-Kompetenzen zeigt, müssen die vorhandenen Instrumente nur adaptiert und erweitert werden. Dies gemeinsam mit unserer Kreativität und Spontanität sind gute Zutaten, um die eigene Praxisbühne auch für diese KlientInnen zu öffnen.