In jeder Gruppe entwickelt sich durch die Aktionen und Reaktionen der Gruppenmitglieder innerhalb von fünf bis acht Sitzungen eine relativ stabile Aufteilung der funktionellen Aufgaben innerhalb des Gruppenprozesses, eine „soziodynamische Funktionsverteilung“ (Heigl-Evers 1968, S. 290). „Damit eine Gruppe ihre Möglichkeiten und persönlichen Ressourcen optimal nutzen kann, um ihre (selbst) gesetzten Ziele zu erreichen, braucht es jemanden, der oder die initiativ wird… und neue Konzepte einfordert. Es braucht Leute, die mitmachen, Gefolgschaft leisten und die Initiativen loyal und engagiert unterstützen. Und es braucht jemanden, die oder der dagegen hält,… kompetent opponiert und die Antreiber dazu bringt, ihre Konzepte zu überprüfen“ (König und Schattenhofer 2006, S. 53). Auch GruppenleiterInnen sind durch ihre Interaktionen mit den GruppenteilnehmerInnen immer Teil der dazugehörigen Gruppendynamik.

1 Die gruppendynamische Diagnostik mit den Gruppenpositionen nach Schindler

Für die gruppendynamische Diagnostik in der Gruppentherapie hat sich das rangdynamische Modell von Raoul Schindler (1973, S. 30 ff.) als besonders fruchtbar erwiesen. Schindler (1957/1958, S. 310 ff.) nannte die verschiedenen gruppendynamische Funktionen der Gruppenmitglieder innerhalb des Gruppenprozesses „Gruppenpositionen“ und unterscheidet die Alphaposition, die Betaposition, die Gammapositionen und die Omegaposition. Das Erfassen dieser gruppendynamischen Positionen fördert eine systemische Sichtweise der Gruppe. Bei Gruppenkonflikten ist es für die Therapeutin am wichtigsten, die Alphaposition und die Omegaposition zu bestimmen. Denn die Gruppenmitglieder in der Alphaposition und in der Omegaposition verhandeln miteinander unausgesprochen immer den aktuell latenten Gruppenkonflikt und das latente Gruppenthema.

Fallbeispiel 1:

In der 28. Sitzung einer Gruppentherapie beschimpft Frau D. (eine Patientin mit einer Borderlinepersönlichkeitsstörung) die Gruppe launisch und laut als insgesamt „sinnlos, bringt nichts, hilft nichts.“ Diese destruktiv gegen das Gruppenziel gerichtete Aktion von Frau D. veranlasst aber andere Gruppenmitglieder, von bereits eingetretenen kleinen Erfolgen zu berichten. Besonders Frau W., eine mütterliche, etwas gehemmte Angstneurotikerin, engagiert sich und wirft Frau D. „zu hohe Erwartungen“ vor. Frau D. aber steigert sich immer mehr in eine hochmütige, abweisende Haltung hinein.

In diesem Fallbeispiel bringt sich Frau D. gegen die Mehrheit der Gruppe in die Omegaposition. Diese ist nach Heigl-Evers (1968, S. 283) „charakterisiert durch die Teil-Aktivität des Protestierens, jedoch auf der Basis der Unterlegenheit und Schwäche.“ Die Angstneurotikerin Frau W. aber wird mit ihrer vehement vorgetragenen Aktion „Wir müssen doch zufrieden sein!“ zum Alpha der Gruppe und zur Aktionsführerin. Der Alpha der Gruppe ist die Person, die funktionell durch ihr Handeln ausdrückt „Mir nach! So kommen wir zum Erfolg!“ Andere PatientInnen unterstützten als Gammas die Aktionsführerin Frau W. in ihrem Denken, Fühlen und Handeln. In der Gammaposition ist man nach (Schindler 1957/1958, S. 311) „ohne eigene Verantwortung, man lebt in der Affektivität des Alpha, ja man nimmt den Ort ein, der das Unbewusste des Alpha verlangt … Als Gamma erlebt man aus der Identifikation mit dem Alpha.“ Die Gammas, sind gleichsam die, die in dem Angriffskeil der alten Germanen hinter ihrem Heerführer, dem Aktionsführer und Alpha der Gruppe, hinterherstürmen. Als Mitläufer kontrollieren sie dabei den Alpha, stützen ihn, schützen ihn und geben ihm durch ihren gleichsinnigen Willen emotionale Stärke. Einzelne Gruppenmitglieder können auch die Betaposition einnehmen, indem sie im Gruppenkonflikt aus angemessener Distanz heraus beobachten und als Fachmann integrierend eingreifen. Die Betaposition ist deshalb auch die Grundposition des Therapeuten: „Die Einnahme der Beta-Postion ermöglicht dem Therapeuten die für jede analytische Behandlung wünschenswerte Einstellung einer wohlwollenden Neutralität … Der Beta ist … der Repräsentant des: Ja … aber!, ist jemand der aus einer weitgehenden Neutralität heraus zweifelt, Bedenken äußert und entsprechende Hinweise und Fingerzeige gibt“ (Heigl-Evers 1967, S. 95).

Fallbeispiel 1 (1. Fortsetzung):

In dieser Gruppensituation bietet der Therapeut Frau W. und Frau D., Alpha und Omega der Gruppe, an, miteinander ihre Beziehung zu klären und fordert sie auf: „Sehen Sie, Frau W., sich bitte einmal genau an, in welcher Körperhaltung Frau D. dasitzt, und Sie, Frau D., merken sich bitte die Haltung von Frau W.! – Und dann tauschen Sie jetzt bitte miteinander die Rollen und setzten sich in der Körperhaltung des anderen auf den anderen Stuhl, so wie Sie es gerade gesehen haben. – Jetzt spielen Sie bitte aus der anderen Rolle heraus jeder die Auseinandersetzung von eben noch einmal nach! Sie können dabei die Rollen auch ein wenig über die Realität hinaus weiter ausspielen!“

In der Nachbesprechung des Rollentauschs (Rollenfeedback) bemerkt Frau W.: „Das war eine ganz eigenartige Erfahrung in der Rolle von D. Ich hatte Angst, musste schimpfen und aggressiv sein, um die anderen ja nicht an mich herankommen zu lassen.“ Der Therapeut fragt Frau D. (Spiegelfrage): „Wie haben Sie sich denn von außen erlebt?“ Frau D. nachdenklich: „Ja, die wirkte tatsächlich hilflos. – Das stimmt, so geht es mir auch manchmal woanders, dass ich schimpfe, damit der andere mir nicht zu nahe kommt.“ Frau D. aber hat in der Rolle von Frau W. gespürt: „Ich habe mich da nicht wohl gefühlt, musste immer so zufrieden sein, ich durfte ja nichts kritisieren!“ Der Therapeut wendet sich an Frau W.: „Wie haben denn Sie sich aus der anderen Rolle heraus von außen gesehen?!“ Frau W.: „Die kann keiner Fliege etwas zu Leide tun!“ In dieser Gruppensituation arbeitet der Therapeut bewusst mit Frau W. als Alpha der Gruppe weiter (Übertragungsfrage): „Kennen Sie das von sich, dass Sie zufrieden sein müssen, aus Angst, sonst Unwillen zu erregen?“ Frau W. erinnert sich sofort an ihre Arbeitsplatzproblematik, wo sie sich als Sozialarbeiterin mit behinderten Kindern völlig überfordert hatte und schließlich kündigen musste, um sich selbst zu retten: „Ich habe mich gegen meine Vorgesetzte nie gewehrt.“ Der Therapeut bietet Frau W. an, diesen Konflikt in einer nächsten Sitzung „einmal psychodramatisch zu bearbeiten.“

Die Beziehung zwischen Alpha und Omega ist gekennzeichnet durch reziproke Komplementarität (Heigl-Evers 1967, S. 88 f., 1968, S. 289): Die Patientin in der Alphaposition verdrängt (man kann das im Gruppenraum bildlich durch ein blaues Kissen unter ihrem Stuhl symbolisieren), was der Patient in der Omegaposition offen agiert (blaues Kissen auf dessen Stuhl). Der Patient in der Omegaposition verdrängt aber (rotes Kissen unter seinem Stuhl), was die Patientin in der Alphaposition offen agiert (rotes Kissen auf ihrem Stuhl). So lebt Frau D. als Omega in der Gruppe ihre Enttäuschungsgefühle aus, während Frau W. als Alpha diese verdrängt. Frau W. als Alpha aber agiert in der Gruppe Zufriedenheit, die Frau D. als Omega bei sich abwehrt. Der Rollentausch ist die Methode par excellence, reziprok komplementär ausagierte Beziehungskonflikte zwischen Alpha und Omega einer Klärung näher zu bringen. Denn er bringt die ProtagonistInnen durch die gegenseitige Übernahme der Rolle der Konfliktgegnerin im Spiel dazu, zusätzlich zu der eigenen Wahrheit probatorisch in sich selbst körperlich gefühlsmäßig auch der jeweils konträren anderen Wahrheit Berechtigung zu geben und diese andere Wahrheit in ihr eigenes Fühlen und Denken zu integrieren.

Fallbeispiel 1 (2. Fortsetzung):

Um das durch die Beziehungsklärung zwischen Alpha und Omega aufgedeckte latente Gruppenthema weiter zu bearbeiten, wendet der Therapeut sich auch an die anderen GruppenteilnehmerInnen: „Könnte es sein, dass auch jemand anderes von Ihnen sich hier in der Gruppe mit allem, was passiert, schnell zufrieden gibt aus Angst, sonst bei anderen hier in der Gruppe oder bei mir als Therapeut Unwillen zu erregen?“ Es folgt ein lockeres Gespräch darüber, wer sich mit Frau D. oder Frau W. am ehesten identifizieren kann. In der folgenden Gruppensitzung äußert eine junge, sonst recht gehemmte Zwangsneurotikerin (aus der Betaposition) spontan ihre Beobachtung, dass die Gruppe bei der Diskussion um das Duzen in der Gruppe den Therapeuten wie selbstverständlich immer ausklammert. Auch Omega Frau D. berichtet von einem Fortschritt. Sie sei mit ihrem Sohn zur Erziehungsberatung gegangen und habe der Psychagogin dort ihre Ehegeschichte erzählt: „Ich habe zum ersten Mal nicht nur laut geschimpft dabei und gelacht, sondern war verzweifelt und weinte dauernd. Das hätte ich wohl ohne die Gruppe hier nicht gekonnt.“ Frau W. teilt in der darauf folgenden Gruppensitzung mit, dass sie sich von einer engen Freundin, als diese Probleme hatte, abgrenzen konnte und nicht automatisch helfen musste wie bisher. Bei einer späteren Begegnung habe man Enttäuschungen, aber auch Wünsche in der Beziehung besprechen können.

2 Die Praxis der gruppendynamischen Diagnostik

Oft sind TherapeutInnen bei der Bestimmung der Gruppenpositionen nach Schindler verführt, zuerst nach dem Gruppenmitglied in der Alphaposition zu suchen und erst danach die anderen Positionen zu bestimmen. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Gruppenleiterin es sich mit dieser Reihenfolge unnötig schwer macht. Denn die Patientin in der Alphaposition ist meistens unauffälliger als der Omega, weil sie im Konsens mit ihren Gammas handelt. Der Alpha ist leicht mit einem Gamma oder einem Beta zu verwechseln. Z. B. erklärte ein Psychodramaleiter in der Supervision spontan einen Mann zum Alpha seiner Gruppe, der in der Gruppe „sehr anerkannt war und gut vermitteln konnte.“ Er beschrieb damit aber eine typische Betaposition. Das Gruppenmitglied in der Omegaposition steht dagegen in der Gruppe viel isolierter da und ist an seinem Agieren gegen Ziel und Setting der Gruppe viel leichter zu erkennen als der Alpha. Der Omega protestiert durch sein Handeln gegen die Gruppenaktion, das aber aus einem Gefühl der Hilflosigkeit und Unsicherheit heraus. Er will vielleicht mit der Gruppe aufhören, er kommt häufig zu spät oder fehlt. Er wendet sich gegen das erklärte Gruppenziel und will z. B. in einem Theorieseminar Selbsterfahrung machen. Oder er ist zu erkennen an kasperhaftem Verhalten. Oder er ist der letzte Schweiger der Gruppe, der das Geheimnis des Gruppenkonfliktes in der Hand hält. Wenn die Leiterin aber die Omegaposition erst einmal einem Gruppenmitglied zugeschrieben hat, findet sie den Alpha relativ leicht. Denn weil der Alpha in der Gruppe genau das komplementäre Gegenteil des Omega lebt, muss sie nur herausarbeiten, wer in der Gruppe das Gegenteil vom Omega handelnd verwirklicht.

Die gruppendynamische Diagnostik mit den Schindlerschen Positionen dauert auch bei einer geübten Therapeutin etwa fünfzehn Minuten. Denn die Gruppenleiterin muss dafür aktiv die Interaktionen der Gruppenmitglieder (einschließlich ihrer eigenen Handlungen) erinnern und sie kreativ zu einem systemischen Bild der Gruppe umwandeln. Sie kann diese Arbeit entweder nur innerlich im Denken vollziehen oder auch äußerlich psychodramatisch: Dazu stellt sie sich die verschiedenen Gruppenmitglieder in deren Abwesenheit im Gruppenraum auf den leeren Stühlen sitzend vor. Dann erinnert sie sich aktiv an deren sprachliche und körperliche Handlungen und Reaktionen in den letzten Gruppensitzungen, bringt diese in Beziehung zu dem Gruppenprozess und weist ausgehend von Omega jedem Gruppenmitglied auf seinem leeren Stuhl eben die gruppendynamische Position zu, die er oder sie durch seine Handlungen in dem Gruppenprozess funktionell verwirklicht hatte (siehe Abb. 1). Betrachtet wird also das, was in der Gruppe durch Handlung Wirklichkeit geworden ist. Indem die Therapeutin die zum Willen des Omega gegensätzliche Wahrheit ausformuliert, erfasst sie die von Alpha gelebte Wahrheit und damit das Thema der von Alpha angeführten Gruppenaktion. Das Ausformulieren des Inhaltes der Aktionen von Alpha und Omega in einem symbolischen, an die Definitionen der Gruppenpositionen nach Schindler angelehnten Satz hilft der Leiterin dann, das in dem latenten Gruppenkonflikt ausgelebte aktuelle Gruppenthema zu erfassen (siehe Fallbeispiel 2, 2. Fortsetzung).

Abb. 1
figure 1

Der Weg des Erfassens der gruppendynamischen Positionen nach Schindler

3 Gründe für eine gruppendynamisch bestimmte Auswahl der Protagonistin

Wenn die Leiterin den latenten Gruppenkonflikt und das Gruppenthema erst einmal mit Hilfe der gruppendynamischen Diagnostik erfasst hat, kann sie den Gruppenmitgliedern, die sich in der Alpha- oder Gamma-Position befinden, über mehrere Gruppensitzungen bei ihren Wünschen nach protagonistzentrierten Spielen fast blind folgen. Deren Spiele bringen dann wie von selbst die Bearbeitung des Gruppenthemas voran. Irgendwann ist ein Gruppenthema dann aber abgearbeitet. In dem Gruppenprozess tritt dann eine Chaosphase ein, in der die Gruppe nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ nach einem neuen Gruppenthema sucht. Das geht so lange, bis sich die Interaktionen der Gruppenmitglieder um ein neues Gruppenthema zentrieren und sich ein neues Alpha-Omega-Paar etabliert. Dann beginnt der gruppendynamische Prozess funktionell von Neuem. Wenn die Leiterin die Gruppendynamik beachtet, den Gruppenprozess selbst funktionell mit unterstützt und ihn nicht durch eigene Gegenübertragungen oder Übertragungen blockiert, entwickelt eine Gruppe in ihrem Verlauf jeweils nach etwa 6–8 Sitzungen ein neues Gruppenthema. In der Gruppentherapie beginnen geschlossene Gruppen typischerweise mit einer Kennenlernphase zur Überwindung der Isolation und des neurotischen Rückzugs, in der Vertrauen und Kontakt entsteht. Dann folgt eine Phase, in der tiefliegende narzisstische Bedürfnisse befriedigt und nachgeholt werden können. Diese Phase geht über in eine Zeit, in der die Themen Unterlegenheit, Macht und Rivalität im Vordergrund stehen, bis schließlich die Themen Autonomie und Ablösung vorherrschen. Die Alpha- und die Omegaposition der Gruppe wird in den verschiedenen Gruppenphasen dann jeweils von den Gruppenmitgliedern übernommen, die für das anstehende Thema aus ihrer eigenen Problematik heraus am sensibelsten sind.

Der ideale Protagonist im Psychodrama ist das Gruppenmitglied in der Alphaposition oder einer seiner Gammas. Denn diese GruppenteilnehmerInnen profitieren durch ihre gleichsinnig ausgerichtete Konfliktdynamik bei einem protagonistzentrierten Spiel eine von der anderen. Durch ihre gegenseitige Unterstützung haben sie bei der Entfaltung ihrer autonomen psychischen Prozessarbeit auf der Bühne „Luft unter den Flügeln.“ Als MitspielerInnen ermöglichen sie durch ihre Rollenübernahmen die Externalisierung des inneren Selbstorganisationsprozesses der Protagonistin auf die Bühne. Sie stützen dadurch deren in den Handlungsmodus des Spiels überführte Prozessarbeit auf der Bühne und reichern diese durch ihr Mittun energetisch an.

In Phasen des Gruppenwiderstandes neigen die Gruppenmitglieder allerdings unbewusst dazu, bei der soziometrischen Auswahl der Protagonistin das Gruppenmitglied in der Omegaposition zu wählen, um so ihre eigene Abwehr zu stabilisieren. Wenn die Patientin aus der Omegaposition heraus aber ihren Konflikt protagonistzentriert bearbeiten will, gehen ihr zusammen mit der Therapeutin in ihrem Spiel gewöhnlich auf scheinbar geheimnisvolle Weise die Kräfte aus. Die Gruppenmitglieder wollen nämlich, dass der Omega anders ist, als er ist. Deshalb wird seine kreative Prozessenergie beim Spiel auf der Bühne gebremst und aufgesogen von den unausgesprochenen antagonistischen Gegenimpulsen des Alphas und seiner Gammas. Der Therapeut hilft in einer solchen Situation sich und seiner Omega-Protagonistin am meisten, wenn er das Spiel, statt immer weiter Kraft hinein zu geben, einfach beendet und die latent störenden Konflikte in der Gruppe offen anspricht: „Was löst Katrin mit ihrem Spiel eigentlich in Ihnen aus?“ Die Konflikte des Omega sind am besten auf der Ebene der Beziehungskonflikte in der Gruppe anzugehen, z. B. durch Beziehungsklärung wie in dem Fallbeispiel, weil das „Spiel“ des Omega gewöhnlich unbemerkt schon in seinen Übertragungen auf andere Gruppenmitglieder stattfindet.

Die protagonistzentrierten Spiele des Alphas und der Gammas sind aber indirekt auch für den Omega hilfreich, weil der Protest des Omega gegen den Alpha sich mehr oder weniger deutlich in dem Handeln des Antagonisten des Alpha in dessen protagonistzentrierten Spiel wiederfindet (Krüger 1980, S. 254). Während die Gammas sich mit dem Handeln und Leiden des Alpha als Protagonist konkordant (gleichsinnig) identifizieren, fühlt sich der Omega eher eins mit der Haltung des Konfliktgegners des Alpha in dessen Spiel auf der Bühne. Dabei erlebt der Omega dann aber, dass der Alpha sich mit der anderen Wahrheit seines Konfliktgegners in seinem Spiel durch wiederholten Rollentausch durchaus ernsthaft auseinandersetzt. Bei einer gruppendynamisch abgesicherten Auswahl des Protagonisten gibt der Alpha in seinem Spiel also indirekt immer auch der vom Omega vertretenden Wahrheit viel Aufmerksamkeit und Bedeutung. Deshalb sollten die Therapeutin und die Gruppenmitglieder nicht versuchen, PatientInnen in der Omegaposition möglichst schnell aus ihrer Gegenposition zu erretten und oder zu erlösen. Diese können von der Gruppenarbeit auch aus der Omegaposition heraus profitieren, wenn die Leiterin ab und zu den latenten positiven Sinn ihrer Oppositionshaltung für den Gruppenprozess herausarbeitet. So kann der Omega z. B. die Rolle des Wahrheitssuchers agieren gegenüber denen, die es für sich als Fortschritt ansehen, es sich auch einmal gut gehen zu lassen. Er protestiert dann gegen auftretendes oberflächliches Wellnessverhalten in der Gruppe und hilft so, dieses als solches zu erkennen. Eine Therapeutin kann dem Omega bis zu einem halben Jahr Zeit geben, um aus dieser Rolle heraus in den Interaktionen der Gruppe die eigene Identität kennen zu lernen und weiter zu entwickeln. Dann wird er vielleicht sogar eines Tages zum Alpha. Denn der Omega ist immer der potentielle Alpha.

4 Die bewusste Einnahme der Betaposition und Gammaposition bei der Anwendung von Psychodrama-Techniken

PsychodramaleiterInnen, die in ihrem Denken und Handeln die Gruppendynamik mit berücksichtigen, vertrauen auf die spontan-kreativen Kräfte der Gruppe als ein sich selbst organisierendes System. Sie verstehen also auch schon die realen Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander als Ort des Lernens von Beziehungsgestaltung. Die Leiterin sieht sich dann in dem spontan-kreativen Gruppenprozess einerseits als Katalysatorin und andererseits als Kokreatorin des Gruppenprozesses. Durch das Prinzip der soziodynamischen Funktionsverteilung in Gruppen delegieren Gruppenmitglieder, ohne es zu merken, die von ihnen jeweils nicht (ausreichend) gelebten Gruppenpositionen auf die Gruppenleiterin (Heigl-Evers 1968, S. 289). Um Gruppenkonflikte progressiv auszutragen, muss die Leiterin deshalb also flexibel zwischen den gruppendynamischen Positionen angemessen wechseln. Idealerweise nimmt eine Leiterin intuitiv die systemisch gerade fehlende funktionelle Gruppenposition ein und verwirklicht diese dann relativ bewusst.

In der Funktion der Katalysatorin befindet die Therapeutin sich in der Betaposition. Das ist die Rolle des Ja-Aber und des Fachmanns, der als Beobachter aktiv wahrnimmt, klärt und vermittelt. Eine Therapeutin verwirklicht die Betaposition aktiv, indem sie z. B. passend zum eventuell latenten Gruppenthema oder Gruppenkonflikt die TeilnehmerInnen zu Gruppenspielen anregt, bei der Auswahl der ProtagonistInnen vermittelt oder indem sie Gruppenmitglieder auf der Gruppenebene zur Beziehungsklärung mit Rollentausch auffordert. Jede Gruppe erwartet von der Gruppenleiterin aber auch Hilfestellung zum Erreichen des Gruppenziels. Um den jeweiligen Arbeitsauftrag zu erfüllen (der ist in einem Theorieseminar anders als in einer Therapiegruppe oder bei der Organisationsberatung), sollte die Gruppenleiterin wie beim Judo dann mit der Kraft gehen und als Kokreatorin und Gamma immer wieder aktiv jeweils die Gruppenmitglieder unterstützen, die als Alpha oder Gamma das Gruppenziel voran bringen wollen. Bei der Leitung eines protagonistzentrierten Spiels des Alphas oder eines seiner Gammas geht die Leiterin selbst also immer in die Gammaposition der Gruppe. Umgekehrt geht sie bei einem Spiel des Omega dann allerdings auch selbst mit in die Omegaposition. In der Gammaposition der Gruppe lebt die Therapeutin, wie Schindler (1957/1958, S. 311) es über den Gamma sagt, in der Affektivität der Protagonistin mit und nimmt mit einem Teil ihrer Person „den Ort ein, den das Unbewusste des Protagonisten verlangt.“ Durch das Einnehmen der Gammaposition hilft die Therapeutin der Gruppe, „die Komponenten der Abwehr herauszustellen und dem Erleben und Erfassen des Alphas und der Gruppenmitglieder zugänglich zu machen“ (Heigl-Evers 1967, S. 100). Auch wenn die Therapeutin den Alpha oder einen seiner Gammas auf der Ebene der Gruppenbeziehungen empathisch (nicht direktiv) doppelt, geht sie dadurch in die Gammaposition der Gruppe.

5 Die ungewollte Übernahme der Alphaposition oder der Omegaposition durch die Gruppenleiterin

Nach Schindler (1957/1958, S. 311) sollten GruppentherapeutInnen nur in Ausnahmefällen die Alphaposition einnehmen. Denn „wo der … Leiter der Gruppe sich in der Alpha-Position befindet, stellt sich die Gruppe nach seinem eigenen Unbewussten dar, und er vermag nur sich selbst in ihr zu analysieren… Er hat in diesem Fall eine eminent erzieherische Chance … Dort wo es gilt, die Über-Ich-Gestaltung zu fördern, wäre eine solche Position daher indiziert. Das wäre also bei Verwahrlosten der Fall.“ Da die PatientInnen in einer Gruppentherapie aber meistens nicht verwahrlost sind, wird eine Leiterin in der Alphaposition dann den GruppenteilnehmerInnen nicht mehr gerecht. Denn sie blockiert durch ihr Handeln und Verhalten die Spontaneität und Kreativität der GruppenteilnehmerInnen. Eine Psychodramaleiterin kann aus drei Gründen in die Alphaposition der Gruppe geraten, 1. durch einen direktiven Leitungsstil, 2. weil sie sich zu stark engagiert oder 3. weil sie sich durch die Aktionsmethoden des Psychodramas selbst zu stark in den Gruppenprozess und also in Gegenübertragungen und Übertragungen mit hineinziehen lässt.

1. Zum direktiven Leitungsstil:

In der Gruppentherapie sollte die Therapeutin anfangs eher direktiv und haltgebend arbeiten, um frei flottierende Ängste gering zu halten. Wenn sich aber genügend Gruppenkohäsion entwickelt hat, sollte der Leitungsstil zunehmend nondirektiv werden (Heika Straub, mündliche Mitteilung 1975). Nicht wenige PsychodramaleiterInnen engen aber die Autonomie der GruppenteilnehmerInnen dauerhaft ein durch strikte Regeln für den Ablauf der Gruppensitzungen: Nach einer Eingangsrunde hat die soziometrische Wahl des Protagonisten durch die Gruppenmitglieder zu erfolgen, dann dessen protagonistzentriertes Spiel, danach die Nachbesprechung mit Sharing, Identifikationsfeedback und Rollenfeedback und am Ende noch eine Abschlussrunde. Bei einem in dieser Weise regelhaften Ablauf der Gruppensitzungen zentriert die Leiterin ihre Aufmerksamkeit ganz auf die protagonistzentrierten Psychodramen und wertet Konflikte zwischen den Gruppenmitgliedern eher als Störungen auf dem Weg zum vermeintlichen Gruppenziel. Der Leiterin ist das Einhalten der Regeln dann wichtiger als die beteiligten Menschen. Die Gruppe organisiert sich nicht (mehr) selbst. Die Gruppenmitglieder verstehen sich nur noch als Hilfs-Iche und Unterstützer für die Therapie der jeweils ausgewählten Protagonistin in ihrem Spiel.

Durch einen solchen direktiven Leitungsstil gerät eine Leiterin aber mit der Zeit, ohne es zu merken, in die Alphaposition der Gruppe und drängt die Gruppenmitglieder, die auf Einengung ihrer Autonomie sensibel reagieren, in die Omegaposition. Der Konflikt zwischen regelhaftem Ablauf und Autonomie der PatientInnen löst dann Übertragungen auf die Leiterin aus. Reaktiv darauf entwickelt die Gruppenleiterin dann oft Gegenübertragungen oder eigene Übertragungen auf diese Gruppenmitglieder. Als Gegenübertragung bezeichne ich hier das systemisch komplementäre Mitagieren der Therapeutin bei einer Übertragung einer Patienten. Die Therapeutin kann natürlich auch ihrerseits eine Übertragung auf eine Patientin haben und dann dadurch bei dieser Patientin eine systemisch komplementäre Gegenübertragungsreaktion hervorrufen. Ein unaufgelöster Teufelskreis zwischen Übertragungen und reaktiven Gegenübertragungen in der Gruppe führt dann mit der Zeit zu einem Gruppenwiderstand.

Fallbeispiel 2:

Ein Psychodramaleiter hat in dem zweiten Fortbildungsseminar für eine Gruppe von PsychodramatikerInnen an dem Beispiel des Ehekonfliktes einer Teilnehmerin, Frau I., die therapeutischen Funktionen des Rollentausches nach dem Prinzip der systemisch gerechten Beziehungsverwirklichung demonstriert. Drei TeilnehmerInnen meinen aber in der Nachbesprechung, dass es in dem protagonistzentrierten Spiel des Ehekonfliktes wichtig gewesen wäre, in die Kindheit der Protagonistin zu gehen, um zu explorieren, „woher das noch kommt, dass I. in ihrem Ehekonflikt kein Bein an den Boden kriegt und sich von ihrem Mann so hinhalten lässt.“ Herr A. ergänzt: „Mich macht das wütend, wenn Sie als Leiter hier nach dem Spiel das Ganze auch noch theoretisch besprechen!“ Der Leiter fühlt sich in seinem Lehrangebot ausgebremst, ist unglücklich und irritiert. Schon während des ganzen Seminars hat Herr A. mit ihm konkurriert und seinen Erklärungen nicht richtig zugehört. (Fortsetzung unten)

In diesem Fallbeispiel hätte der Leiter in die Alphaposition gehen können und nach dem Prinzip „immer mehr des Guten“ sein Lehrangebot als die einzig richtige Lehrmeinung darstellen können. Er hätte dann aber die protestierenden Gruppenmitglieder in die Omegaposition gedrängt. Ein dauerhaft direktiver Leitungsstil führt aber immer zu einem latenten Widerstand der Gruppe.

2. Das zu starke Engagement des Leiters:

Eine Psychodramaleiterin gerät auch dadurch in die Alphaposition der Gruppe, dass sie die psychodramatische Konfliktbearbeitung der GruppenteilnehmerInnen voller Engagement in Richtung des von ihr selbst festgelegten Fortschritts forciert. Manche PsychodramaleiterInnen streben z. B. bei möglichst jeder Protagonistin in ihrem Spiel eine Katharsis an. Dadurch bestimmt die Leiterin dann aber, was in der Gruppe als Erfolg gelten soll und was nicht. Als Anfänger in der Gruppenleitung habe ich selbst 1975 z. B. ganz nach dem Prinzip „Viel hilft viel“ versucht, in einer Patientengruppe ähnlich große protagonistzentrierte Spiele hinzubekommen wie in Psychodrama-Ausbildungsgruppen. Einige PatientInnen, gerade auch die, die ProtagonistInnen gewesen waren, brachen dann aber die Gruppe ab. Ich hatte zu lernen, in Therapiegruppen viel kleinschrittiger vorzugehen als in Ausbildungsgruppen. In meinem Engagement hatte ich die PatientInnen in ihrer zunächst noch begrenzten Fähigkeit, Konflikte wahrzunehmen und auch zu verarbeiten, überfordert und sie nicht da abgeholt, wo sie waren. Ich hatte ungewollt den Mythos des Heilergottes agiert, der die Menschen von ihrem Leiden rettet und erlöst.

3. Die Leiterin verliert durch das Handeln im Psychodrama die angemessene Distanz zu den Gruppenmitgliedern:

PsychodramaleiterInnen sind besonders gefährdet, in die Gruppendynamik mit hineingezogen zu werden, weil sie Aktionsmethoden einsetzen. Die Leiterin veranlasst Anwärmspiele. Sie bietet protagonistzentrierte Spiele an oder fordert zur soziometrischen Wahl der Protagonistin auf. Sie doppelt und lässt die Rollen tauschen. Immer wieder greift eine Psychodramaleiterin allein schon durch die Anwendung der Psychodrama-Techniken also stärker und anders als eine Leiterin in einer rein verbal geleiteten Gruppe auch aktional in den Gruppenprozess mit ein. Dabei sind aber die Anweisungen der Leiterin zu einer psychodramatischen Aktion immer auch Ausdruck der subjektiven Realitätskonstruktion der Leiterin und ihrer subjektiven Intuition. Es ist für die GruppenteilnehmerInnen z. B. ein Unterschied, ob die Leiterin sie zu Beginn der Gruppentherapie als „Reisende“ oder als „Schiffbrüchige“ ansieht und ihnen dann also die Anweisung zu einem Anwärmspiel „Reisende in einem Eisenbahnabteil“ gibt oder aber zu dem Spiel „hilfsbedürftige Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel.“ Außerdem wird die Leiterin durch das Handeln der Gruppenmitglieder, je länger die Gruppe schon besteht, desto mehr selbst in die Beziehungskonflikte der Gruppe mit hineingezogen, und es aktualisieren sich auch bei ihr selbst eigene Gegenübertragungen oder Übertragungen. Das geschieht in jeder Gruppe spätestens nach 20–40 Gruppensitzungen! Eine Psychodramaleiterin sollte sich nach der Anfangsphase der Gruppe nicht mehr nur auf ihre Intuition verlassen. Denn wenn sie sich z. B. unbewusst mit der Protagonistin konkordant oder komplementär identifiziert, dann ist sie als Leiterin verführt, der Protagonistin in ihrem Spiel eine bestimmte Entwicklungsrichtung vorzugeben, und „vergisst“ leicht den Rollentausch. Bei einer eigenen Gegenübertragung oder Übertragung agiert die Leiterin in dem sich selbst organisierenden System der Gruppe unbewusst aber auch eigene Wünsche oder Ängste aus. Oft gerät sie dadurch in die Alphaposition und handelt, ohne es zu merken, nach dem Motto: „Mir nach, so haben wir Erfolg!“ Nicht selten unterdrückt die Leiterin dann autonome Strebungen von Gruppenmitgliedern mit dem Argument: „Im Psychodrama ist das aber so!“ Oder schlimmer: „Wer das nicht mitmachen will oder kann, ist nicht motiviert!“ Oder noch schlimmer: „Wer das nicht mitmacht, ist für unsere Arbeit psychisch zu gestört.“

6 Wie sich die Leiterin aus einer nicht gewollten Alpha- und Omegaposition (selbst) befreien kann

Je intensiver im Gruppenverlauf die Gruppenkonflikte werden, desto mehr wird die Gruppenleiterin, auch wenn sie selbst das gar nicht merkt und auch bei Nachfrage zunächst nicht bestätigen würde, in der Gruppe in Gegenübertragungen oder/und eigene Übertragungen hinein gezogen. Das ist gerade bei intensiven Konflikten normal und nicht zu vermeiden (Klüver 1983, S. 830 f.). Zugespitzt kann man also sagen: Wenn man die zentralen Konflikte der PatientInnen nicht umgehen will, muss in einer Gruppentherapie die Leiterin immer wieder einmal durch das Nadelöhr von Gegenübertragungen oder eigenen Übertragungen hindurchgehen! Die ursprüngliche Annahme von Moreno und Moreno (1975, S. 8), dass Übertragungen sich auf ein Hilfs-Ich im protagonistzentrierten Psychodrama verschieben lassen, dort in der Beziehung zur genetischen Bezugsperson bearbeitet werden können und dann aus der Realbeziehung verschwunden seien, hat sich als nicht haltbar erwiesen. Es gibt in jeder Realbeziehung auch Elemente von Übertragungsbeziehung und in jeder Übertragungsbeziehung auch Elemente von Realbeziehung (Holmes 1992, S. 45 f.; Kellermann 1996, S. 104; Blatner 2010, S. 7).

Eine Gegenübertragung oder eine eigene Übertragung der Therapeutin verführt diese dazu, in der Gruppe übermäßig viele Regeln zu verhängen oder Erklärungen abzugeben, Patienten in ihren protagonistzentrierten Psychodramen in ihrer Fähigkeit zur Konfliktverarbeitung zu überfordern, den Rollentausch zu „vergessen“, direktiv zu doppeln oder sogar einzelne PatientInnen zu entwerten. Sie gerät dadurch in die Alphaposition oder bei einem Sog negativer Übertragungen der GruppenteilnehmerInnen auch in die Omegaposition der Gruppe. Wenn sie dann in sich hinein spürt, fühlt sie sich unwohl, vielleicht genervt oder gelähmt oder hat das Gefühl, im Nebel zu stehen. Wichtig ist dann, dass die Therapeutin in der Gruppe die eigenen Probleme und Konflikte nicht nur sich selbst zuschreibt und individualisiert. Sie sollte sie stattdessen immer auch als Ausdruck des eigenen Einbezogenseins in die Gruppendynamik verstehen und versuchen, sich aus der Alpha- oder Omegaposition wieder zu lösen. Dafür ist dann eine bestimmten Reihenfolge des Vorgehens zu empfehlen: 1. (Selbst-)Supervision mit Rollentausch, 2. gruppendynamische Diagnostik, 3. Bearbeitung des latenten Gruppenkonfliktes mit soziometrischen Aktionsmethoden, 4. Durcharbeiten von Übertragungskonflikten auf der Ebene der realen Gruppenbeziehungen und evtl. auch 5. die bewusste Einnahme der Omegaposition zur Auflösung eines Gruppenwiderstands.

1. Selbstsupervision mit Rollentausch:

Die Therapeutin kann sich durch Supervision oder Selbstsupervision aus der Alpha- oder Omegaposition befreien. Dabei setzt sie gerade das Gruppenmitglied vor sich auf den leeren Stuhl, das in der Gruppe am ehesten seine komplementäre Gegenposition vertritt:

Fallbeispiel 2 (1. Fortsetzung):

Der Gruppenleiter entschließt sich abends zu Hause, den Konflikt mit Herrn A. in Selbstsupervision mit Rollentausch zu bearbeiten. In dem fiktiven Gespräch wirft der Leiter Herrn A. über die Realität hinaus vor: „Ich ärgere mich über Sie. Ich finde Sie arrogant!“ Im Rollentausch erwidert der Leiter aber in der Rolle von Herrn A. sich selbst: „Ich finde, Sie sind selbst arrogant!“ Wieder in der eigenen Rolle fühlt sich der Leiter dadurch gezwungen, seine eigene Haltung zu der Frage der unterschiedlichen psychodramatischen Vorgehensweisen noch einmal zu überdenken und antwortet: „Es könnte sein, dass ich dem Prinzip der systemisch gerechten Beziehungsverwirklichung tatsächlich auch aus persönlichen Gründen so große Bedeutung gebe, nämlich aufgrund meiner eigenen Lebenserfahrung. Ich bin jetzt 40 Jahre verheiratet und dabei durch gute und natürlich auch schwierige Zeiten gegangen. Dabei habe ich persönlich die Erfahrung gemacht: Es hat sich gelohnt, immer wieder direkt in der Beziehung nach Lösungen zu suchen!“ Diese Selbstreflexion befreit den Leiter aus seiner einseitigen Begeisterung an das von ihm propagierte Modell der systemisch orientierten Beziehungsarbeit. Unvermutet spürt er plötzlich, dass er sogar neugierig wird auf die andere Idee der GruppenteilnehmerInnen. Der Leiter als Alpha erkennt in den Protesten der Gruppenmitglieder den von ihm selbst verdrängten Wunsch nach Autonomie und nach der Befreiung vom regelhaften Ablauf des Seminars.

Am nächsten Morgen geht der Leiter in der Gruppe bewusst in die Betaposition und fragt die Protagonistin vom Vortag, ob sie zu einem Alternativspiel bereit wäre. Als diese zustimmt, bittet er die anderen Gruppenmitglieder: „Möchte jemand von Euch einmal probieren, mit der Protagonistin bei der Arbeit an ihrem Ehekonflikt schon früh in die Genese zu gehen? Wir können dann die beiden Vorgehensweisen miteinander vergleichen und zusammen daraus lernen!“ Der Leiter ist überrascht und auch ein wenig enttäuscht, dass die drei Gruppenmitglieder, die ihn am Tag davor noch kritisiert hatten, jetzt an dieser Arbeit gar nicht mehr interessiert sind. Im Gegensatz zum Vortag ist die Gruppenatmosphäre jetzt aber entspannt. Die Gruppe arbeitet in den folgenden Sitzungen ohne Störung an den vorgegebenen Seminarthemen weiter.

In dem Fallbeispiel hat der Seminarleiter in der Selbstsupervision im Rollentausch zusätzlich zu seiner eigenen Wahrheit in sich selbst spielerisch auch die Gegenposition zugelassen und so die Alpha-Position (seine eigene Position) und die Omega-Position (die des Herrn A.) miteinander in einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang gebracht und miteinander integriert. Wer aber durch inneren oder äußeren Rollentausch aktiv die Alpha- und die Omegaposition in sich selbst integriert, der verwirklicht funktionell die Betaposition. Nach einer Selbstsupervision kann der Therapeut leicht überprüfen, ob er den Patienten in der Omega-Position wirklich verstanden und die Wirklichkeit der Beziehung erfasst hat. Er merkt das daran, dass sein Affekt gegen die Person in der Omega-Position in der nächsten Gruppensitzung verschwunden ist und er sich auch anderen Gruppenmitgliedern wieder neugierig und wertschätzend zuwenden kann.

2. Gruppendynamische Diagnostik:

Der Gruppenleiter erfasst in dem Gruppenkonflikt die Verteilung der gruppendynamischen Positionen, den latenten Gruppenkonflikt und das latente Gruppenthema:

Fallbeispiel 2 (2. Fortsetzung):

Der Gruppenleiter erkennt in der Selbstsupervision zu Hause Herrn A. als den, der mit zwei anderen Gruppenmitgliedern zusammen aus der Omegaposition heraus gegen ihn selbst als Alpha protestiert mit der Kritik, in dem Protagonistenspiel von Frau I. nicht viel früher in die Kindheit gegangen zu sein. In diesem Wunsch von Herrn A. wird neben einem Übertragungsanteil aber auch dessen Streben nach Autonomie auf dem eigenen Weg als Psychodrama-Therapeut deutlich. Der Leiter merkt an der Skepsis auch der anderen Teilnehmerinnen (dem zunehmenden Gruppenwiderstand), dass er sich mit seinen vielen (vielleicht zu vielen) Angeboten und seinem vielen Erklären in dem Seminar auch selbst in die Alpha-Position der Gruppe gebracht hat ganz nach dem Motto: „Ich weiß wie Ihr Eure psychodramatische Arbeit noch besser machen könnt, auch wenn Ihr das bei Euren AusbildungsleiterInnen zum Teil anders gelernt habt! Mir nach! So kommt Ihr zum Erfolg!“ Der Gruppenleiter formuliert also die in dem latenten Gruppenkonflikt zwischen der (eigenen) Alphaposition und der Omegaposition agierten Inhalte verbal aus und erfasst so das latente Gruppenthema, den Konflikt zwischen der Position „Ich möchte hier ganz dringend von dem Seminarleiter Psychodramaanwendung lernen“ und der Position „Ich will meinen eigenen Weg gehen und hier vom Leiter und der Gruppe eigentlich nur Bestätigung haben.“

3. Die Bearbeitung des latenten Gruppenkonfliktes mit soziometrischen Aktionsmethoden:

Nachdem der Gruppenleiter das latente Gruppenthema durch gruppendynamische Diagnostik erfasst hat, bearbeitet er dieses in der Gruppe mit soziometrischen Methoden weiter:

Fallbeispiel 2 (3. Fortsetzung):

Der Leiter lässt die GruppenteilnehmerInnen zu dem von ihm durch die gruppendynamische Diagnostik erarbeiteten Gruppenthema eine soziometrische Aufstellung machen: „Hier in die eine Ecke des Raumes stelle ich einen Stuhl für die Position ´Ich bin ganz begeistert von dem, was der Leiter sagt und werde wahrscheinlich alles von ihm übernehmen! Ich will von dem Seminarleiter lernen!´ Hier in die gegenüber liegende Ecke stelle ich aber einen anderen Stuhl für die Position ´Ich will hier autonom meinen eigenen Weg finden und dafür von der Gruppe eigentlich nur Bestätigung bekommen. Ich will keine Belehrungen vom Leiter!´ Stellen sie sich bitte auf der Linie zwischen den beiden Extrempolen dahin, wo Sie sich in diesem Konflikt selbst sehen! Probieren sie verschiedene Positionen auf der Linie aus und entscheiden sie sich dann, welche Postion für Sie stimmt!“ Die TeilnehmerInnen verteilen sich auf der Linie mehrheitlich zwischen der Linienmitte und dem Extrempol: „Ich will vom Gruppenleiter lernen.“ Nur Herr A. positioniert sich als Omega nach einigem Zögern auf den Ort „100 % Autonomie.“ Jedes Gruppenmitglied erläutert den von ihm gewählten Ort. Durch dieses soziometrische Vorgehen gelingt es, den latenten Gruppenkonflikt als Gruppenkonflikt offen anzusprechen und auszutragen. In einer soziometrischen Aufstellung zu einem gruppendynamisch erkannten latenten Gruppenthema besetzen der Patient in der Omega-Position und der in der Alpha-Position tendenziell immer die Extrempositionen an beiden Enden der Linie, Personen in der Beta-Postion sind am ehesten in der Mitte der Linie wiederzufinden.

Wenn eine Psychodramatherapeutin die Gruppe als sich selbst organisierendes System verstehen will, sollte sie soziometrischen Aktionsmethoden thematisch immer in die gruppendynamische Diagnostik einbetten. Dann kann sie für die soziometrischen Aktionen nämlich inhaltlich das mit der gruppendynamischen Diagnostik erarbeitete Gruppenthema auswählen. Sonst besteht bei intensiven Gruppenkonflikten die Gefahr, dass die Leiterin als Teil der Gruppendynamik, ohne dass sie das selbst merkt, für die soziometrische Aufstellung ein Gruppenthema nimmt, das den wahren Gruppenkonflikt eher verschleiert. Der Leiter in dem Fallbeispiel hätte ohne Selbstsupervision und gruppendynamische Diagnostik in der Gruppe vielleicht eine Aufstellung machen lassen zwischen den Polen „Ich wäre in die Genese gegangen“ und dem Pol „Ich halte die vom Leiter vorgeschlagene systemische, gerechte Beziehungsverwirklichung hier für genau das richtige Vorgehen!“ Soziometrische Methoden führen bei intensiven Gruppenkonflikten oft dazu, dass „nur“ hierarchische Rangordnungen festgelegt werden in Bezug auf das, was der Leiter favorisiert. Damit werden dann aber die intrapsychischen und interpersonellen Konflikte der GruppenteilnehmerInnen auf Sachfragen reduziert und bleiben auf der Beziehungsebene unbearbeitet.

Eine Gruppenleiterin, die Themen für soziometrische Methoden auswählt, gibt dem Denken in der Gruppe damit eine bestimmte Richtung vor. Durch dieses Handeln wird die Leiterin aber zur Mitakteurin im Gruppenprozess und verändert diesen. Trotzdem beteiligt sie sich aber nicht selbst an der soziometrischen Wahl oder Aufstellung und kann von den Gruppenmitgliedern auch nicht gewählt werden. Das heißt aber, dass bei einer rein soziometrischen Gruppendiagnostik ein wichtiges Mitglied mit seinen Aktionen und Haltungen aus der Diagnostik der Gruppe künstlich ausgeschlossen wird und seine Einflüsse auf das Diagnoseergebnis also auch nicht erfasst werden. Schon Schindler (1973, S. 31 f.) stellt fest: „Die Bestimmung der Rang-Positionen erfolgt durch Gruppenbeobachtung … Die soziometrische Methode erscheint grundsätzlich ungeeignet dazu, rangpositionelle Aussagen zu erstellen, da sie in Form der Befragung ja einen direkten Eingriff in die Dynamik der Gruppe darstellt.“ Das hat zur Folge, dass die soziometrische Diagnostik und die Bestimmung der Gruppenpositionen nach Schindler zu durchaus verschiedenen Ergebnissen kommen können. Schindler (1973, S. 31 f.) meint, dass „vielfach in wissenschaftlichen Arbeiten rangpositionelle Angaben mit soziometrischen Befunden durchmischt“ werden. „Insbesondere wird der nach der soziometrischen Befragung Beliebteste mit der Alphaposition gleichgesetzt, der Unbeliebteste in der Omegaposition gesehen.“ Dies müsse keinesfalls immer stimmen. „Auch die Omegaposition lässt sich soziometrisch nicht verlässlich bestimmen. Meist hebt sie sich zwar durch erhöhte Abwendung heraus, es gibt aber auch scheinbar paradoxe Zuwendungen“, z. B. die Wahl des Omega der Gruppe zum Protagonisten, wenn ein Gruppenwiderstand besteht. Besonders wenn der Therapeut sich in der Alphaposition oder der Omegaposition der Gruppe befindet, besteht die Gefahr, dass die Aufgaben und Themenvorschläge des Leiters für soziometrische Aufstellungen und Wahlen den latenten Gruppenkonflikt eher verdecken.

4. Das Durcharbeiten von Übertragungskonflikten auf der Ebene der realen Gruppenbeziehungen:

Wenn ein Gruppenmitglied aus der Omegaposition heraus den Fortschritt der Gruppe blockiert, sollte die Leiterin immer die in der Beziehung zwischen Alpha (das kann auch sie selbst sein) und Omega beteiligten Übertragungsanteile herausarbeiten, in dem Beziehungskonflikt Übertragungsbeziehung und Realbeziehung differenzieren und dann auch die positiven Funktionen der Handlungen des Omegas und des Alphas für den Gruppenprozess deutlich machen. Es kann hilfreich sein, zwischen der Alphamajorität der Gruppe und dem Omega eine Art Vertrag auszuhandeln, durch den der Omega einen Raum in der Gruppe bekommt, in dem er lernen kann, mit seinen neurotisch bedingt sensiblen Reaktionen progressiv umzugehen.

Fallbeispiel 2 (4. Fortsetzung):

Der Gruppenleiter entscheidet sich, als Alpha der Gruppe seine persönliche Beteiligung an dem Konflikt mit Herrn A. offen anzusprechen: „Ich überlege, ob in die Beziehungsschwierigkeiten mit Ihnen, Herr A., vielleicht auch die Beziehung zu meinem Sohn mit hinein spielt. Der ist gerade im jungen Erwachsenenalter, nervt mich immer wieder durch seinen Eigensinn und beharrt absolut auf Selbstbestimmung.“ Auf diese Mitteilung antwortet Herr A. spontan: „Ich habe bei Ihnen öfter schon an meinen Vater gedacht. Der hat mich in traumatisierenden Situationen immer im Stich gelassen!“ Der Leiter und Herr A. arbeiten heraus, wo der jeweils andere real ähnlich ist wie die jeweilige Übertragungsfigur, wo aber auch anders. Es folgen Reaktionen und Identifikationen aus der Gruppe. Der Leiter wendet sich noch einmal an Herrn A.: „Natürlich muss und will ich meinem Arbeitsauftrag hier in dem Seminar treu bleiben. Aber ich biete Ihnen an, dass Sie hier anders als in der Beziehung zu Ihrem Vater immer dann, wenn Sie sich von mir im Stich gelassen fühlen, diese Störung sofort einbringen und klären können.“ Der Leiter wendet sich an die anderen Gruppenmitglieder: „Herr A. hat hier in der Gruppe einen wesentlichen Beitrag geleistet, indem er auf die Notwendigkeit von Vertrauen und Autonomie zwischen uns hingewiesen hat, wenn wir hier miteinander arbeiten. Bitte, stellen Sie Fragen! Durch mein Engagement bin ich in solchen Fortbildungsgruppen bisweilen zu schnell und neige dazu, zu bestimmen, wie etwas gemacht und verstanden werden soll. Sagen Sie, wenn Sie etwas stört! Durch Fragen und Widerspruch lerne auch ich selbst noch dazu. Autonomie und Vertrauen sind die Grundlage für das Lernen!“

5. Die bewusste Einnahme der Omegaposition zur Auflösung eines Gruppenwiderstandes:

Ein Gruppenwiderstand ist z. B. daran zu erkennen, dass die in die Omegaposition geratenen Gruppenmitglieder nach und nach die Gruppentherapie oder die Ausbildungsgruppe abbrechen. Auch wählen die Gruppenmitglieder dann bei der soziometrischen Wahl der Protagonistin unbewusst oft gerade das ungeeignetste Gruppenmitglied aus ganz nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ oder: „Die Therapeutin soll doch einmal zeigen, was sie kann.“ Nicht selten arbeitet eine Gruppenleiterin dann gegen den Gruppenwiderstand an, indem sie sich durch immer mehr Leistung völlig verausgabt oder die Gruppe kompensatorisch zunehmend direktiv leitet. In einer solchen Situation kann es indiziert sein, dass die Leiterin bewusst die Omegaposition einnimmt und aus dieser Position heraus gegen die dominante Gruppenaktion protestiert, indem sie den eigenen verdrängten Gefühlen (Erschöpfung, Ärger, Langeweile, Lustlosigkeit) innerlich Berechtigung gibt und diese entgegen dem von den Gruppenmitgliedern gelebten Tabu offen ausspricht. „Man zieht den Konflikt damit in die Konkretisierung der Gruppenauseinandersetzung“ (Schindler 1957/1958, S. 314). Bei einem Gruppenwiderstand hängt die Therapeutin aber oft selbst in einer Gegenübertragung oder Übertragung fest (siehe Kap. 5). Dieckmann (1981, S. 56) fand bei einer Untersuchung zum Thema Widerstand heraus, dass Widerstände keineswegs allein vom Patienten ausgehen, sondern mit einem mehr oder weniger hohen Anteil bei der Therapeutin selbst liegen. Die Therapeutin müsse ihrerseits erst diese eigenen Widerstände bearbeiten, damit der Prozess weitergehen könne. Deshalb sollte die Leiterin, bevor sie in die Omegaposition geht, in Selbstsupervision zu Hause vorher eine Beziehungsklärung machen mit dem Alpha des Widerstandes, das ist dann der, dem gegenüber sie ihre wahren Gefühle in der Gruppe am schwersten zu äußern vermag, und sich über mögliche eigene Übertragungen Rechenschaft ablegen. Denn zur Omegaposition gehört es anders als zur Alphaposition dazu, real auch unsicher zu sein und die eigene Position offen auch in Frage zu stellen. Das ist für eine Therapeutin nicht immer ganz leicht:

Fallbeispiel 3:

Eine Therapiegruppe ist in einer Helferhaltung erstarrt. Sie wählt eine depressive Patientin zur Protagonistin, damit diese zum zweiten Mal an dem Thema arbeitet, wie sie ihrer Mutter besser helfen kann. Anders als beim ersten Mal geht der Therapeut aber nicht auf ihren Spielwunsch ein. Als sie ihn auffordernd ansieht, sagt er offen: „Ich habe keine Lust, ihr Spiel wieder zu leiten!“ In der Gruppe werden Erstaunen und Empörung laut. Reaktiv problematisiert der Therapeut seine eigene Haltung: „Sie haben Recht. Als Therapeut wäre das mein Auftrag. Aber ich möchte mein Gefühl hier in der Gruppe nicht übergehen!“ Der Leiter lebt in der Gruppe also bewusst den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung und nimmt die Omegarolle bewusst und kontrolliert an. Die depressive Patientin reagiert, indem sie ihr protagonistzentriertes Spiel trotzig ohne den Leiter macht. Das gelingt ihr sogar ganz gut, einschließlich Antagonistenwahl und Rollentausch! Anschließend klären sie und der Therapeut ihre Beziehung und erkennen eine latente negative Mutterübertragung der Patientin auf den Therapeuten.

Die offene Einnahme der Omegaposition durch die Leiterin löst immer negative Projektionen und Übertragungen von Gruppenmitgliedern aus. Die Leiterin sollte deshalb nach einiger Zeit wieder aus der Omegaposition heraus in die Betaposition gehen und die Gruppenmitglieder authentisch neugierig fragen: „Können Sie meine Haltung akzeptieren oder was fühlen Sie eigentlich gerade körperlich gefühlsmäßig?“ Anschließend kann die Leiterin, ausgehend von den Rückmeldungen, dann Übertragungsfragen stellen, z. B.: „Woher kennen Sie das noch, dass Sie jemandem vertrauen und sich dann plötzlich im Regen stehen gelassen fühlen?“ Idealerweise schließt sich ein protagonistzentriertes Psychodrama des Alpha des Gruppenwiderstandes oder eines seiner Gammas mit seiner Übertragungsfigur an, um dann zu vergleichen, wo die Leiterin wirklich ähnlich wie die Übertragungsfigur ist und wo aber auch anders.

Moreno und Moreno (1975, S. 8) glaubten noch, dass man realitätsgerechte gegenseitige Wahrnehmung (Telebeziehung) schon allein dadurch erreichen kann, dass die Interaktionspartner sich gegenseitig offen ihre je eigenen Gefühle und Wahrnehmungen mitteilen. Eventuell vorhandene Übertragungen seien in das protagonistzentrierte Psychodrama zu verschieben, um sie dann dort in der Beziehung zu der genetischen Übertragungsfigur zu bearbeiten. Aus gruppendynamischer Sicht fehlt bei dieser Empfehlung aber der zusätzliche Schritt der Einigung der Therapeutin mit ihrer Patientin darauf, was sie in ihrem Beziehungskonflikt als Übertragungsanteile und was als Realkonflikt ansehen wollen (Krüger 2010, S. 232 f.). Denn in jeder Übertragungsbeziehung gibt es auch Elemente von Realbeziehung. Es ist deshalb wichtig, bei Einnahme der Omegaposition durch die Therapeutin die Übertragungsanteile und den Realkonflikt in den therapeutischen Beziehungen voneinander zu differenzieren. Diese Einigung ist dann die Grundlage für eine gemeinsame Interpretation der Beziehungswirklichkeit und die Voraussetzung dafür, dass der Alpha des Gruppenwiderstands und seine Gammas später in protagonistzentrierten Spielen an dem durch Widerstandsbearbeitung aufgedeckten, wahren Gruppenthema weiterarbeiten.