1 Einleitung

Die Lehrperson, ihre professionelle Kompetenz und die Qualität ihrer Ausbildung stehen in aktuellen Debatten über das deutsche Bildungssystem oftmals im Fokus. Von der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung wird zunehmend erwartet, über die Vermittlung berufsrelevanten Wissens hinaus auch die Handlungsfähigkeit der angehenden Lehrkräfte und damit die konkrete Vorbereitung auf die Arbeit in der Schule stärker in den Blick zu nehmen (vgl. KMK 2014). So scheint es sinnvoll, bisherige modellhafte Vorstellungen zu Lehrerinnen- und Lehrerkompetenzen in Form professionellen Wissens und affektiv-motivationaler Merkmale (Baumert und Kunter 2006; 2011) verstärkt um solche situationsspezifischen Fähigkeiten zu erweitern, die sich darauf beziehen, lernrelevante Situationen wahrzunehmen, diese zu interpretieren bzw. zu analysieren und darauf aufbauende Handlungsentscheidungen zu treffen (Blömeke et al. 2015).

Um neben einer Förderung von Wissenserwerbsprozessen auch situationsspezifische Fähigkeiten schon in der universitären Ausbildung zu vermitteln, erfreut sich die Arbeit mit Unterrichtsvideos einer immer größeren Beliebtheit. Unterrichtsvideos bieten sich auf Grund ihres medienspezifischen Potenzials zur Reflexion über die Komplexität unterrichtlicher Prozesse an (Krammer und Reusser 2005) und scheinen als Lernmedium geeignet, um die Fähigkeit der Wahrnehmung, der Interpretation und der Handlungsentscheidung in konkreten Situationen bei Lehramtsstudierenden zu fördern (König et al. 2015).

Tatsächlich belegen erste empirische Untersuchungen mit Vergleichsgruppen eine positive Wirkung von Trainingsseminaren mit Unterrichtsvideos auf die situationsspezifischen Fähigkeiten angehender Lehrkräfte (z. B. Gold et al. 2013; Hellermann et al. 2015; Santaga und Guarino 2011; Seidel et al. 2011; Star und Strickland 2008). Gemeinsames Kennzeichen dieser Untersuchungen ist, dass die Experimentalgruppen zumindest in den Fähigkeiten des Wahrnehmens und des Interpretierens einen größeren Zuwachs erfahren als Kontrollgruppen, die herkömmliche Seminare durchlaufen, also ohne Videos arbeiten. Fraglich ist aber, ob eine Kontrollgruppe, die ohne ein Medium arbeitet, das eine konkrete Situation präsentiert, bereits eine ausreichende Kontrollgruppe ist, um die Lernwirksamkeit von situationsspezifischen Fähigkeiten durch Unterrichtsvideos zu belegen. So stellt sich die Frage, inwiefern die situationsspezifischen Fähigkeiten in universitären Veranstaltungen mit Unterrichtsvideos besser gefördert werden als in identischen Seminaren mit konkurrierenden Medien zum situierten Lernen. Vor allem bei Lehramtsstudierenden (Novizen) könnte der Einsatz von schriftlich fixierten Unterrichtsfällen als Alternative zu Unterrichtsvideos gesehen werden, da sie weniger komplex als Unterrichtsvideos sind und somit eine tiefere Durchdringung bei gleichzeitiger Komplexitätsentlastung ermöglicht werden kann (Reh und Schelle 2010).

Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen des Projekts Videos in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung an der Universität zu Köln (ViLLA; gefördert durch das Programm der Innovation in der Lehre des Rektorats der Universität zu Köln) neben dem Aufbau einer Datenbank mit Unterrichtsvideos ein Trainingsseminar zur Klassenführung entwickelt, das entweder video- oder transkriptgestützt durchgeführt wurde. Klassenführung als Inhalt des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums ist zunächst unabhängig vom Fach für alle Lehramtsstudierenden von großer Relevanz. Die Bedeutung einer effektiven Klassenführung für erfolgreichen Unterricht ist in zahlreichen Studien belegt worden (Doyle 2006; Emmer et al. 1980; Helmke und Weinert 1997) und zählt auch Metaanalysen zufolge (Hattie 2009; Wang et al. 1993) zu den zentralen Bedingungsfaktoren von Schülerinnen- und Schülerleistung. Im Trainingsseminar wurden Aspekte der Klassenführung neben einer theoretischen Bearbeitung entweder mit Hilfe von Unterrichtsvideos oder auf Basis von Unterrichtstranskripten veranschaulicht und mit authentischen Unterrichtssituationen vertiefend analysiert.

Der vorliegende Beitrag untersucht in einer quasi-experimentellen Studie mit 222 Lehramtsstudierenden in der zweiten Hälfte ihres Bachelor-Studiums, inwieweit pädagogisches Wissen sowie situationsspezifische Fähigkeiten zum Thema Klassenführung in diesem Trainingsseminar gefördert werden können und ob dabei die Arbeit mit Unterrichtsvideos lernwirksamer ist als die Arbeit mit Unterrichtstranskripten. Pädagogisches Wissen wird als kognitive Komponente professioneller Kompetenz untersucht und ist anschlussfähig an die Klassifikation von Lehrerinnen- und Lehrerwissen (Shulman 1986). Operationalisiert über einen Papier-Bleistift-Wissenstest folgen wir aktuellen empirischen Zugängen (König 2014; Voss et al. 2015). Situationsspezifische Fähigkeiten zur Klassenführung hingegen werden über einen neu entwickelten videobasierten Test erfasst, der inhaltlich spezifischer und hinsichtlich der bei der Testbearbeitung relevanten kognitiven Anforderungen handlungsnäher ausgerichtet ist als der verwendete Test zum pädagogischen Wissen (König und Kramer 2016).

2 Theoretischer Rahmen und Forschungsstand

2.1 Konzeptualisierung von pädagogischem Wissen und situationsspezifischen Fähigkeiten

Für die professionelle Kompetenz von Lehrkräften hat sich ein Kompetenzbegriff durchgesetzt, der definiert wird als die verfügbaren oder erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, die benötigt werden, um bestimmte Aufgaben und Probleme zu lösen (Weinert 2001). Baumert und Kunter (2006) entwickelten ein Kompetenzmodell, das kognitive und affektiv-motivationale Elemente beinhaltet (vgl. auch Blömeke et al. 2008). In Anlehnung an den Wissensbegriff von Shulman (1986) werden kognitive Elemente meist in pädagogisches Wissen, fachdidaktisches Wissen und Fachwissen unterteilt. In der vorliegenden Untersuchung fokussieren wir allein auf das pädagogische Wissen.

Das pädagogische Wissen wird in verschiedenen Definitionen in unterschiedliche inhaltliche Teilbereiche gegliedert, wobei nahezu alle Definitionen die Klassenführung als einen Teilbereich des pädagogischen Wissens vorsehen (König 2014; Voss et al. 2015). Hinzu kommen weitere inhaltliche Teilbereiche, die sich auf das tatsächliche Unterrichten beziehen.

Eine weitere zentrale Unterscheidung ist jene in deklaratives Wissen („Wissen, dass …“), das Wissen über Objekte, Inhalte oder Fakten beschreibt, und prozedurales Wissen („Wissen, wie …“), das sich auf Handlungsabläufe oder Prozeduren bezieht. Letztere Form gilt somit als besonders handlungsrelevant, während das ausschließliche Vorliegen deklarativen Wissens Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Wissen in die Praxis mit sich führen kann (Gruber und Rehrl 2005).

Dieser bei Lehrkräften besonders wichtige Situationsbezug des prozeduralen Wissens wird in der aktuellen kompetenztheoretischen Diskussion aufgegriffen. Blömeke et al. (2015) erweitern bisherige Kompetenzmodelle um situations- und verhaltensnahe kognitive Fähigkeiten und schreiben ihnen vermittelnde Eigenschaften zwischen Disposition einerseits und Performanz andererseits zu. Diese situationsspezifischen Fähigkeiten umfassen die präzise Wahrnehmung von lernrelevanten Situationen, die Analyse und Interpretation dieser und das anschließende Entscheiden über Handlungsoptionen (vgl. Abb. 1) und werden in dieser Studie als situationsspezifischer und damit verhaltensnaher Indikator von Lehrerinnen- und Lehrerexpertise gesehen. Die Fähigkeit, situationsspezifisch lernrelevante Unterrichtssituationen zu erkennen, zu analysieren und Handlungsentscheidungen zu treffen ist eine Kernkompetenz von Lehrkräften und gilt als zentrale Voraussetzung für professionelles Handeln im Unterricht (Blömeke et al. 2014; Bromme und Haag 2004; KMK 2004; Schwindt 2008).

Abb. 1
figure 1

Modell der Transformation von Kompetenz in Performanz, vermittelt über situationsbezogene Fähigkeiten der Wahrnehmung, Interpretation und Entscheidungsfindung (Blömeke et al. 2015; eigene Übersetzung)

Die Dreiteilung in Wahrnehmung, Interpretation und Entscheidung ist auch aus einer Forschung bekannt, die das Konzept der „Professionellen Wahrnehmung“ (professional vision) verwendet, welches von Goodwin (1994) entwickelt und von Sherin (2007) auf den Lehrerinnnen- und Lehrerberuf übertragen wurde. Professionelle Wahrnehmung umfasst wissensbasierte Prozesse der Aufmerksamkeitssteuerung und Informationsverarbeitung. Der zweite Prozess der Informationsverarbeitung wird oftmals als „interpreting and deciding how to respond“ (Sherin et al. 2011, S. 9) verstanden. Verschiedene Autoren greifen das Konzept der Professionellen Wahrnehmung auf und fokussieren entweder die drei Subdimensionen wahrnehmen, interpretieren und entscheiden (z. B. Seidel et al. 2010; Stürmer et al. 2013) oder beschränken sich auf die ersten beiden Subdimensionen wahrnehmen und interpretieren (Gold et al. 2013; Hellermann et al. 2015). Untersucht wird die professionelle Wahrnehmung von unterschiedlichen Merkmalen qualitätsvollen Unterrichts, wie z. B. Klassenführung, Zielorientierung, Lernbegleitung, Lernatmosphäre.

2.2 Messung von pädagogischem Wissen und situationsspezifischen Fähigkeiten in der vorliegenden Studie

In der vorliegenden Studie liegt der Fokus einerseits auf pädagogischem Wissen, das bei der Tätigkeit des Unterrichtens generell von Bedeutung und im Sinne des Modells von Blömeke et al. (2015) als Disposition zu bezeichnen ist (vgl. Abb. 1), sowie situationsspezifischen Fähigkeiten, die sich inhaltlich speziell auf die fächerübergreifende Herausforderung von Klassenführung beziehen. Zur Erfassung des pädagogischen Wissens verwenden wir einen Papier-Bleistift-Test, der im Rahmen der internationalen Vergleichsstudie Teacher Education and Development Study: Mathematics (TEDS-M) entwickelt wurde (König et al. 2011). Für die Testung situationsspezifischer Fähigkeiten kommt ein neu entwickelter videobasierter Test zur Erfassung von Klassenführungsexpertise zum Einsatz (Classroom Management Expertise, CME; König 2015). Der Einsatz beider Instrumente zur Überprüfung der Lernwirksamkeit eines Trainings zur Klassenführung erscheint zumindest aus zwei Gründen wichtig:

  • Ausgehend von empirischen Untersuchungen (z. B. Gold et al. 2013; Hellermann et al. 2015; Seidel et al. 2011) nehmen wir an, dass über ein videobasiertes Trainingsseminar insbesondere situationsspezifische Fähigkeiten erworben werden können. Hierfür ist ein spezifisches Messinstrument nötig, das hinreichend sensitiv mit Blick auf die erwarteten Lernergebnisse des Trainings ist. Vor dem Hintergrund des im Abschn. 2.1 dargelegten Forschungsstands vermuten wir, dass in Bezug auf diese Anforderung ein videobasierter Test einem Papier-Bleistift-Test überlegen ist.

  • Bisherige Untersuchungen zum Wissenserwerb angehender Lehrkräfte im Rahmen ihres herkömmlichen bildungswissenschaftlichen Studiums zeigen allerdings, dass in den ersten Semestern der universitären Ausbildung hauptsächlich deklaratives und weniger prozedurales Wissen vermittelt und erworben wird (König und Seifert 2012). Um also einen solchen Wissenserwerbsprozess, der vermutlich auch in Kontrollgruppen ohne spezifische Trainings stattfindet, angemessen abbilden zu können, ist über das spezifische Maß der Klassenführungsexpertise hinaus auch der Einsatz eines inhaltlich breiter angelegten Wissenstest zweckmäßig.

Der für die Messung pädagogischen Wissens verwendete Test aus TEDS-M fokussiert auf unterrichtliche Herausforderungen, wie sie mit der Forschung zur Unterrichtsqualität beschrieben werden können, als den Ausgangspunkt für die inhaltliche Differenzierung der Testanlage, sodass die Inhaltsbereiche pädagogischen Wissens Umgang mit Heterogenität, Strukturierung von Unterricht, Klassenführung/Motivierung und Leistungsbeurteilung abgebildet werden. Quer zu diesen Inhaltsbereichen weist das Testinstrument eine kognitionsbezogenen Struktur auf, die drei Dimensionen kognitiver Prozesse umfassen: erinnern, verstehen/analysieren und kreieren/Generieren von Handlungsoptionen (Abb. 2). Während bei Testfragen der Dimension des Erinnerns auf Wissen zurückgegriffen wird, das in Erinnerung gerufen werden muss (z. B. eine Aufzählung von Elementen eines Phänomens), muss in der Dimension des Verstehens und Analysierens dieses erinnerte Wissen mit einer Problemstellung in Verbindung gebracht werden (z. B. ein Konzept auswählen und damit eine Erklärung liefern). In der dritten Dimension des Kreierens und Generierens von Handlungsoptionen steht die Entwicklung und Formulierung von Handlungsoptionen, die für die Bewältigung einer typischen Situation verfügbar sind, im Fokus. Alle Fragen können somit sowohl einem Inhaltsbereich als auch einer kognitiven Dimension zugeordnet werden (zu Item-Beispielen vgl. Abschn. 4.3).

Abb. 2
figure 2

Inhaltsdimensionen und kognitive Prozesse als Testdesign-Matrix im Test zur Erfassung von pädagogischem Wissen (König et al. 2011)

Für die Testung situationsspezifischer Fähigkeiten werden in verschiedenen Studien videobasierte Testinstrumente verwendet. Diese enthalten in der Regel kurze Videosequenzen konkreter Unterrichtssituationen, in denen Anforderungen bezüglich der Klassenführung an die unterrichtende Lehrkraft gestellt werden. Die Videos können authentische oder nachgestellte Unterrichtssituationen zeigen und werden als item prompts eingesetzt, gefolgt von zu beantwortenden geschlossenen oder offenen Testaufgaben. Videobasierte Testinstrumente weisen entscheidende Vorteile gegenüber Papier-Bleistift-Tests auf. So bieten sie die Möglichkeit der situationsspezifischen Kontextualisierung (Blömeke et al. 2015), stellen eine „echte“ Klassenraumsituation annäherungsweise dar und können komplexe Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen und Lehrern holistisch abbilden (König 2015). In den letzten Jahren sind vermehrt videobasierte Testungen zur Erfassung der Kompetenz von Lehrkräften entwickelt und evaluiert worden. Hierbei stehen sowohl allgemeinpädagogische (z. B. Gold et al. 2013; König und Lebens 2012; Seidel et al. 2010) als auch fachdidaktische Themen im Fokus (z. B. Blömeke et al. 2015; Kersting 2008).

In der vorliegenden Studie wurde im Bereich der Klassenführung ein videobasierter Test (König und Lebens 2012) verwendet, der anhand von vier konkreten Situationen Fragen zur Wahrnehmung und zur Interpretation von typischen Klassenführungssituationen beinhaltet (vgl. Abb. 3). Dabei werden kurze Ausschnitte von Unterrichtsvideos (insgesamt vier Clips) als item-prompts genutzt, um eine situationsnahe Erfassung zu ermöglichen. An jeden Video-Clip (von je ca. 1–2 min Länge) schließen sich Testfragen (vgl. Abschn. 4.3) an, die unmittelbar nach Betrachten des Clips beantwortet werden. Konzeptionell wurden die Clips in Anlehnung an Klassifikationen von typischen Klassenführungssituationen aus einem vorhandenen Pool von Unterrichtsvideos ausgewählt und geschnitten: Sie sollen u. a. authentische und umfassende situationsbezogene Informationen präsentieren, in denen eine Lehrperson aus pädagogisch-psychologischer Sicht herausgefordert ist, Übergänge zu gestalten, zeitliche Abläufe zu organisieren, Verhalten von Schülerinnen und Schülern zu regeln und Rückmeldungen zu erteilen.

Abb. 3
figure 3

Fokus der Video-Clips und kognitive Prozesse als Testdesign-Matrix im Test zur Erfassung von Klassenführungsexpertise (König und Kramer 2016)

Der Test beinhaltet drei Arten von Testfragen, die die kognitive Anforderung einer genauen Wahrnehmung, die Anforderung einer holistischen Wahrnehmung und die Anforderung des Interpretierens bzw. Analysierens an die Probanden stellen. Die Interpretation von Unterrichtssituationen bezieht sich hierbei zum Beispiel darauf, das Auftreten einzelner Unterrichtselemente oder -ereignisse funktional zu deuten. Im Gegensatz zur holistischen Wahrnehmung, welche bei Experten eher auf das Heranziehen impliziten Wissens zielt und damit noch auf einer Wahrnehmungsebene verbleibt, geht die Interpretation bzw. Analyse einen Schritt weiter, da für sie explizit Wissen abgerufen und auf die Situation angewendet bzw. für diese Interpretations-/Analyseleistung Wissen transformiert werden muss (König et al. 2014).

In vorausgegangen Analysen (König und Kramer 2016) zeigte sich, dass die beiden Tests empirisch getrennt werden können, jedoch positiv und in mittlerer Höhe korrelieren. Hierzu wurde ein eindimensionales Modell (Reliabilität 0,86), das die Items beider Tests beinhaltete, mit einem zweidimensionalen Modell (Klassenführungsexpertise: Reliabilität 0,73; pädagogisches Wissen: Reliabilität 0,85) in Strukturanalysen auf latenter Ebene verglichen, bei denen das zweidimensionale Modell einen besseren Modell-Fit aufwies. Die latente Korrelation zwischen den beiden Tests betrug r = 0,65. In weiteren Strukturanalysen zeigte sich, dass der Gesamtwert des videobasierten Tests zur Erfassung von Klassenführungsexpertise statistisch signifikant stärker mit pädagogischem Wissen zur Klassenführung/Motivation zusammenhängt (r = 0,68) als mit pädagogischem Wissen zur Strukturierung von Unterricht (r = 0,59), zum Umgang mit Heterogenität (r = 0,45) oder zur Leistungsbeurteilung (r = 0,24). Auch zeigten sich statistisch signifikant höhere Zusammenhänge mit der kognitiven Anforderung des Kreierens des pädagogischen Wissenstests (Genaue/holistische Wahrnehmung: r = 0,60, Interpretation/Analyse: r = 0,70), als mit den kognitiven Anforderungen des Erinnerns (Genaue/holistische Wahrnehmung: r = 0,51, Interpretation/Analyse: r = 0,57) bzw. des Verstehens/Analysierens (Genaue/holistische Wahrnehmung r = 0,46; Interpretation/Analyse: r = 0,53). Die Ergebnisse aus diesen Strukturanalysen konnten somit einerseits die Unterschiedlichkeit der Tests belegen, zum anderen das spezifische Maß der Klassenführungsexpertise im erwarteten Testbereich des breiter angelegten Tests zur Erfassung von pädagogischem Wissen (d. h. Inhaltsbereich Klassenführung/Motivierung, kognitiver Anforderungsbereich des Kreierens) verorten.

2.3 Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten in der Ausbildung von Lehrkräften durch Fallarbeit

Hinsichtlich einer Förderung situationsspezifischer Fähigkeiten wird der Fallarbeit in der Ausbildung von Lehrkräften eine bedeutsame Rolle zugeschrieben. Fallarbeit soll angehende Lehrpersonen dabei unterstützen, konkrete Situationen zu reflektieren sowie zu analysieren und somit lernrelevante Situationen wahrzunehmen, diese zu interpretieren und Entscheidungen für mögliche Handlungen zu treffen. Fallarbeit dient hierbei dem systematischen Aufbau von Handlungswissen, das situiert und kontextualisiert erlernt werden soll (Lave und Wenger 1991). Während Unterrichtssituationen in der Praxis flüchtig sind, können Unterrichtsvideos oder Texte wiederholt betrachtet und ohne Handlungsdruck bearbeitet werden. Sie erlauben somit eine theoriebasierte Analyse komplexer Situationen (Kersting et al. 2010). Fallarbeit ist aber nicht grundsätzlich sinnvoll, sondern ist u. a. abhängig von der Einbettung des Falls in eine didaktische Aufarbeitung (Yadav et al. 2011; Gaudin und Chaliès 2015). In der Praxis lassen sich nach Goetze et al. (2013) typisierend zwei differente Funktionen unterscheiden: die Verwendung des Falls als Rekonstruktion des Eigenlogischen (Subjektorientierung) und die Verwendung des Falls zur (Wieder‑)Erkennung des Paradigmatischen (Gegenstandsorientierung). Blomberg et al. (2013) erarbeiten im Rückgriff auf bisher durchgeführte Studien fünf Heuristiken zur Arbeit mit Fallvideos in der Ausbildung von Lehrkräften, um bei der Arbeit mit Videos eine effektive Lernumgebung bereitzustellen: Lernziele, Instruktionsstrategien, Videomaterial, Limitationen und interventionsangepasste Messinstrumente. Diese Heuristiken lassen sich auch auf Fälle übertragen, die auf andere Art medial repräsentiert werden. Zur Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen kommen hierbei z. B. Transkripte von Unterricht zum Einsatz. Bislang ist jedoch unklar, welches Medium sich als Fallpräsentation für welche Zielgruppe besonders eignet, da beide Medien die Möglichkeit des wiederholten Betrachtens bieten und auf die Förderung der Analyse- und Reflexionskompetenz zielen. Außerdem schaffen sie eine Distanz zum Geschehenen, die es der betrachtenden Person ermöglicht, ohne Handlungsdruck verschiedene Perspektiven einzunehmen und unterschiedliche Beobachtungsschwerpunkte zu setzen. Während Unterrichtsvideos ein besonders realitätsnahes Bild von Unterricht zeigen (Beck et al. 2002), in dem Ereignisse parallel und komplex abgebildet sein können, zeichnen sich Transkripte durch geringere Komplexität aus und eignen sich zum Beispiel für die Analyse nach dem Prinzip der Sequentialität, d. h. für die sequenzweise Rekonstruktion (vgl. Oevermann 2001). Es kann vermutet werden, dass Transkripte dadurch gerade für Novizenlehrpersonen, wie sie Lehramtsstudierende darstellen, geeigneter sind, da durch die sequentielle Arbeit eine tiefere Durchdringung bei gleichzeitiger Komplexitätsentlastung möglich ist (Reh und Schelle 2010). Zusätzlich wird sowohl bei der Arbeit mit Videos als auch bei der Arbeit mit Transkripten oftmals die Motivation der Studierenden positiv benannt. Gerade die Arbeit mit Videofällen scheint Lehramtsstudierende besonders zu motivieren und das Lernen anzuregen (Koehler et al. 2005). Auch die Akzeptanz von Seiten der Studierenden dem Video als Lernmedium gegenüber ist groß (Kleinknecht und Schneider 2013). Empirische Untersuchungen zeigen allerdings auch, dass durch die Komplexität und die Parallelität der Handlungen die Arbeit mit Unterrichtsvideos als belastender empfunden werden kann als die Arbeit mit Textfällen (Syring et al. 2015). Weitere Forschungsbefunde deuten jedoch darauf hin, dass Unterrichtsvideos von Studierenden als motivierender und realistischer eingestuft werden und somit ein engagierteres Lernen ermöglichen (Yadav et al. 2011). Wie sich dieses Erleben auf die Lernwirksamkeit auswirkt, ist bisher nicht untersucht worden.

Unterrichtsvideos zeigen auf Grund der Mehrdimensionalität ein besonders realitätsnahes Abbild von Unterricht und kommen aktuell in der Lehrerbildung vermehrt zum Einsatz (vgl. König et al. 2015). Hierbei wird zwischen „echten“ und „gestellten“ (scripted lesson) Unterrichtsvideos unterschieden. In einer weiteren Unterscheidung werden „echte“ Unterrichtsvideos in eigene und fremde Unterrichtsvideos unterteilt. Bisherige Ergebnisse lassen vermuten, dass das Lernen mit eigenen Unterrichtsvideos dem Lernen mit fremden Unterrichtsvideos überlegen ist, wobei das Lernen mit Videos generell positive Wirkungen hervorruft. Hellermann et al. (2015) untersuchten in ihrer Studie an drei Gruppen von Studierenden, die entweder ein Trainingsseminar mit fremden Unterrichtsvideos, mit eigenen und fremden Unterrichtsvideos oder ganz ohne Unterrichtsvideos besuchten hatten, den Zuwachs in der professionellen Wahrnehmung von Klassenführung (gemessen über ein videobasiertes Testverfahren zur Klassenführung). Alle drei Gruppen unterschieden sich signifikant voneinander, wobei die Gruppe mit den fremden und eigenen Unterrichtsvideos den höchsten, die mit nur fremdem Unterrichtsvideos einen mittleren und die ganz ohne Unterrichtsvideos den geringsten Zuwachs erreichten. Ob solche größeren Lerneffekte bei Studierenden mit eigenen und fremden Unterrichtsvideos ausschließlich auf das Analysieren der eigenen Unterrichtsvideos zurückzuführen sind, oder aber bereits das Unterrichten an sich bei diesen Studierenden zu besseren Ergebnissen führt, erscheint nicht abschließend geklärt. So zeigen zum Beispiel Vergleiche zwischen Lehramtsstudierenden, Referendaren und berufstätigen Lehrkräften mit durchschnittlich 18 Jahren Berufserfahrung, dass Klassenführungsexpertise mit dem Umfang an Erfahrung auch ohne ein Trainingsseminar zunimmt (König und Kramer 2016). Ferner fanden Seidel et al. (2011) Unterschiede zwischen der Arbeit mit eigenen und mit fremden Unterrichtsvideos. Sie untersuchten bei erfahrenen Lehrpersonen, die mit der Analyse von Unterrichtsvideos schon vertraut waren, die Fähigkeit, lernrelevante Ereignisse, Situationen oder Prozesse zu erkennen (noticing) und die beobachteten Ereignisse auf Grundlage von Wissen zu bewerten (knowledge-based reasoning). Tendenziell konnten auch hier die Lehrpersonen, die ihre eigenen Unterrichtsvideos bearbeiteten, in einigen pädagogischen Komponenten des Lehrens und Lernens beim Erkennen von lernrelevanten Ereignissen bessere Ergebnisse erzielen. In der Fähigkeit, die beobachteten Ereignisse mit Wissen über das Lehren und Lernen zu verknüpfen, fanden sich jedoch keine Unterschiede. Für die Förderung der situationsspezifischen Fähigkeiten bezüglich Klassenführung scheinen Videos im Gegensatz zu Transkripten im besonderen Maße geeignet, da hier neben dem Gesprochenen auch nonverbale Kommunikation und Bewegungen im Raum eine wichtige Rolle spielen und dies durch die Mehrdimensionalität des Videos abgebildet werden kann. Einige der im Bereich der Bildungswissenschaft bestehenden Trainings konnten bereits eine Steigerung der situationsspezifischen Fähigkeiten durch die Arbeit mit Unterrichtsvideos belegen (u. a. Gold et al. 2013; Stürmer et al. 2013). Inwieweit das Lernen mit Videos anderen Ansätzen des situierten Lernens überlegen ist, ist jedoch eine weitgehend offene Frage. Insbesondere die Arbeit mit Transkripten von Unterrichtssituationen ist bisher als Vergleich nicht herangezogen worden. Dies wäre jedoch entscheidend, um genauere Erkenntnisse über den Mehrwert videobasierter Lernumgebungen zu erhalten. Um die Lernwirksamkeit von einem Trainingsseminar zum Thema Klassenführung mit Unterrichtsvideos zu untersuchen, wählen wir vor dem Hintergrund der genannten Forschungslage ein quasi-experimentelles Design mit Prä- und Postmessung und fügen zusätzlich zur Kontrollgruppe noch eine zweite Experimentalgruppe hinzu, die mit Unterrichtstranskripten anstelle von Videos arbeitet.

3 Fragestellung und Hypothesen

In einem quasi-experimentellen Design wurde die Frage untersucht, inwiefern das pädagogische Wissen einerseits und die situationsspezifischen Fähigkeiten in Bezug auf Klassenführung andererseits über den Einsatz von Unterrichtsvideos bzw. Unterrichtstranskripten in der universitären Lehre gefördert werden. Hierzu wurde ein Trainingsseminar zum Thema Klassenführung entwickelt, das entweder video- oder transkriptgestützt war und in an der Universität bekannter, wöchentlicher Seminarform durchgeführt wurde.

Die erste Experimentalgruppe (EG1) bestand aus zwei Seminaren, in denen das Thema Klassenführung mithilfe von Unterrichtsvideos erarbeitet wurde. In der zweiten Experimentalgruppe (EG2), die ebenfalls aus zwei Seminaren zum Thema Klassenführung bestand, wurden die identischen Inhalte wie in EG1 erarbeitet, allerdings auf Basis von Unterrichtstranskripten. Die Kontrollgruppe (KG) bestand aus drei Seminaren, die nicht spezifisch auf das Thema Klassenführung zugeschnitten waren und in denen weder Videos noch Transkripte verwendet wurden. Alle sieben Seminare waren verortet im Bachelormodul „Unterrichten“ des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums an der Universität zu Köln und wurden im Sommersemester 2014 durchgeführt. Die Prä- und Posttestungen fanden in den jeweils ersten und letzten Sitzungen statt.

Zur Überprüfung, inwieweit Unterrichtsvideos lernwirksamer sind als Unterrichtstranskripte, stellen wir die folgenden Hypothesen auf:

H1:

Angesichts der thematischen Schwerpunktsetzung führt das Trainingsseminar zur Klassenführung sowohl in seiner videogestützten (EG1) als auch in seiner transkriptgestützten Form (EG2) zu einem Zuwachs in den situationsspezifischen Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung bei angehenden Lehrkräften. Bei den Studierenden der EG1 ist der Zuwachs angesichts des Trainings mit Unterrichtsvideos, die ein multidimensionales Bild von Unterricht zeigen und damit der Komplexität unterrichtlicher Prozesse stärker gerecht werden, von mittlerer praktischer Bedeutsamkeit.

Auch die Studierenden der EG2 zeigen einen Zuwachs, da die schriftlich fixierten und nicht medial flüchtigen Transkripte weniger komplex und somit angemessener für die Lehramtsstudierende (Novizen) sind. Da allerdings Transkripte typische Klassenführungsaspekte nicht in allen Facetten darstellen können, fällt der Zuwachs in der EG2 nur mit kleiner praktischer Bedeutsamkeit aus. Die Studierenden der KG erfahren bei dieser Testung keinen praktisch bedeutsamen Wissenszuwachs, da sie weder mit Videos noch mit Transkripten arbeiten und somit ein medial repräsentierter Situationsbezug fehlt.

H2:

Im pädagogischen Wissen erfahren die Studierenden der EG1 und EG2 einen Zuwachs, da bei ihnen das Thema Klassenführung sowie angrenzende Themen wie Strukturierung von Unterricht und Motivierung sowohl theoretisch als auch anwendungsorientiert ausführlich behandelt wurden. Der Zuwachs ist in beiden Gruppen von mittlerer praktischer Bedeutsamkeit. Da es sich bei der KG um Studierende aus Seminaren mit anderer thematischen Ausrichtung im Modul „Unterrichten“ handelt, erwarten wir nur einen Zuwachs mit kleiner praktischer Bedeutsamkeit.

H3:

Da die Arbeit mit Unterrichtsvideos als besonders motivierend und unterstützend gilt, nehmen wir an, dass die Studierenden der EG1 das Lernmedium Video in stärkerem Maße motivierend und kognitiv aktivierend wahrnehmen als die Studierenden der EG2 das Lernmedium Transkript.

4 Methode

4.1 Trainingsseminar zur Klassenführung

4.1.1 Seminarinhalt

Das Trainingsseminar legte den inhaltlichen Schwerpunkt auf das Thema Klassenführung. Klassenführung gilt als Basisdimension von Unterricht und somit als eigenständiger Bereich der Lehreinnen- und Lehrerexpertise. Unterschiedliche theoretische und methodische Bereiche haben sich diesem Thema angenommen, sodass verschiedenen Auffassungen von Klassenführung entwickelt wurden. Da in unseren Seminaren mit Video- bzw. Transkriptfällen gearbeitet wurde, die für sich alleine stehen und bei denen kein Bezug zu den vorherrschenden Kontexten geschaffen werden kann, folgen wir in unserer Studie einem engen Verständnis von Klassenführung. Wir definieren Klassenführung als die Fähigkeit den Unterricht so zu gestalten, dass möglichst viel effektive Lernzeit für alle Schülerinnen und Schüler entsteht und nehmen hier nur von außen beobachtbare Aspekte in den Blick (für ein weites Verständnis von Klassenführung verweisen wir auf z. B. Evertson und Weinstein 2006 sowie Ophardt und Thiel 2013). Die thematische Ausdifferenzierung der Seminarinhalte geht im Wesentlichen auf Kounin (2006) und die fünf Bereiche des Teaching Performance Appraisal Instrument zurück (TPAI; Hawk und Schmidt 1989; Swartz et al. 1990).

Unter Rekurs auf Kounin (2006), dessen Arbeit bis heute Anlass gibt, Klassenführung nicht primär als Reaktion auf Unterrichtsstörungen zu verstehen, sondern auf präventives Lehrerinnen- und Lehrerverhalten zu fokussieren, wurden die Dimensionen Allgegenwärtigkeit und Überlappung, Steuerung von Unterrichtsabläufen, Aufrechterhaltung des Gruppen-Fokus und programmierte Überdrussvermeidung als Grundlage für das Seminar herangezogen. Da mit fremden Fällen gearbeitet wurde und somit nur von außen beobachtbare Merkmale der Klassenführung fokussiert werden konnten, bildet das Teaching Performance Appraisal Instrument (TPAI; Hawk und Schmidt 1989; Swartz et al. 1990) mit seinen Kategorien management of instructional time, management of student behavior, instructional presentation, instructional monitoring und instructional feedback einen weiteren Anhaltspunkt für die thematische Differenzierung und Definition des Seminarkonzepts. Diese fünf Bereiche bestehen aus konkret beobachtbaren Aussagen über das Handeln der Lehrperson, das als förderlich für eine gelungene Klassenführung angesehen wird. Hierbei steht die Steuerung der Unterrichtszeit, des Schülerinnen- und Schülerverhaltens und der Unterrichtsaktivitäten ebenso im Fokus wie die Kontroll- und Rückmeldefunktion der Lehrkraft. Bei der Steuerung von Unterrichtszeit und Schülerinnen- und Schülerverhaltens stehen vor allem die beobachtbaren Vorbereitungen der Lehrkraft, die zu effektiver Zeitnutzung im Unterricht führen (z. B. Materialien und Medien sind vorbereitet und einsatzbereit), und ihr störungspräventives Verhalten (z. B. Verfahren und Regeln wurden etabliert) im Mittelpunkt. Die weiteren drei Bereiche beschreiben Handlungen, die die Lehrperson konkret in dem beobachteten Unterricht einsetzt. Unterteilt werden sie in die Steuerung der Unterrichtsaktivität (z. B. die Phasenübergänge werden flüssig gestaltet), die Kontrolle des Unterrichts (z. B. Fragen werden einzeln gestellt und deutlich formuliert) und die Rückmeldung im Unterricht (z. B. konstruktives Feedback nach falschen Antworten wird durch Nachfragen, Wiederholung oder Bedenkzeit gegeben).

Diese fünf Bereiche waren interessant für die Seminarkonzeptentwicklung, da sie folgende Kriterien erfüllen (Swartz et al. 1990, S. 176):

  • Handlungsnähe: Mit ihnen sollten valide Informationen über das Handeln von Lehrkräften im Unterricht ermittelt werden.

  • Evidenzbasierung: Sie wurden aus den Erkenntnissen der Unterrichtsforschung (Prozess-Produkt-Forschung) abgeleitet, sind also mit der Steigerung von Schülerinnen und Schülerleistungen nachweislich assoziiert.

  • Trainingsrelevanz: Die Bereiche und Kriterien wurden entwickelt, um über alternative, sehr schnelle (etwa einjährige) Ausbildungsprogramme Quereinsteiger für den Beruf als Lehrperson zu qualifizieren (vgl. Hawk und Schmidt 1989).

Mithilfe beider Stränge, der Kouninschen Forschung sowie der handlungsnahen, evidenzbasierten und trainingsbezogenen Kriterien des TPA-Instruments, gelangen wir zu der Inhaltsübersicht (Abb. 4), aus der wir unsere Themen für die einzelnen Sitzungen des Trainingsseminars ableiteten.

Abb. 4
figure 4

Übersicht zur Gewinnung von Themen für das Trainingsseminar nach der Kouninschen Forschung und dem TPA-Instrument

4.1.2 Seminardurchführung

Zwei Dozentinnen unterrichteten im Sommersemester 2014 vier einheitlich konzipierte Seminare an der Universität zu Köln im bildungswissenschaftlichen Bachelormodul „Unterrichten“ mit dem Titel „Klassenführung als Merkmal von Unterrichtsqualität“. Dabei unterrichtete jede Dozentin sowohl ein Seminar, das durch die Videodatenbank ViLLA (EG1) unterstützt wurde, und ein Seminar, das mit Unterrichtstranskripten (EG2) arbeitete.Footnote 1 Welches Seminar mit welchem Medium arbeitete, ging aus der Seminarbeschreibung im kommentierten Vorlesungsverzeichnis nicht hervor. Sowohl im videogestützten als auch im transkriptgestützten Trainingsseminar wurden die Fälle als (Wieder‑)Erkennung des Paradigmatischen eingesetzt und unterschieden sich nicht bezüglich der Lernziele, der Instruktionsstrategie und der Messinstrumente. Aus Vergleichsgründen waren die Unterrichtstranskripte auf Grundlage der Unterrichtsvideos angefertigt worden, sodass sie sich auf dieselben Unterrichtssituationen beziehen wie die Videos, die in der ersten Experimentalgruppe verwendet wurden. Die Trankskripte waren zwischen einer Seite und sechs Seiten lang und enthielten kurze Beschreibungen (z. B. schlägt die Klangschale und hebt den Finger an den Mund) sowie alles Gesprochene mit Kennzeichnung von Sprechpausen und Unterbrechungen.

Ziel der Intervention war die Verbesserung des pädagogischen, auf das Unterrichten bezogenen Wissens und der situationsspezifischen Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung. Hierzu gehörte neben der theoretischen Durchdringung einzelner Klassenführungsaspekte die präzise Wahrnehmung dieser in konkreten Situationen und ihre Interpretation und damit die Anwendung der zuvor erlernten Theorien. Ein weiteres Ziel bildete das begründete Entscheiden über Handlungsoptionen bzw. -alternativen der vorher wahrgenommenen und interpretierten Situationen.

Neben einer thematischen Einführungssitzung, einer Sitzung zur Analyse von Unterricht, zwei Sitzungen für die Prä- und Posttestung und einer abschließenden Diskussionssitzung fanden neun inhaltliche Sitzungen zum Thema Klassenführung statt (vgl. Abb. 4, rechte Spalte). Sie folgten jeweils einer einheitlichen Grundstruktur: In den ersten dreißig Minuten wurde das theoretische Grundwissen zu einem Inhaltsbereich der Klassenführung erarbeitet (1). In den folgenden dreißig Minuten wurde dieses Grundwissen auf eine authentische Unterrichtssituation (Video bzw. Transkript) angewendet (2). Während der letzten dreißig Minuten wurden Ergebnisse präsentiert und diskutiert (3).

  1. 1.

    Theoretische Erarbeitung. Die ausgewählten Aspekte der Klassenführung (vgl. Abb. 4, rechte Spalte) wurden von der jeweiligen Dozentin mit Hilfe einer Präsentation vorgestellt. Die Präsentation war in allen vier Seminaren gleich und auch die mündlichen Erklärungen zu den Folien wurden für alle Seminare einheitlich gehalten. Nach der theoretischen Einführung wurde ein Video bzw. Transkript ausschließlich auf den vorher erarbeiteten Aspekt der Klassenführung gemeinsam in der Gruppe untersucht und so das vorher theoretisch erlernte Wissen auf einen konkreten Fall angewendet. Als Fälle wurden hier Situationen gewählt, in denen der erarbeitete Aspekt der Klassenführung eindeutig zu erkennen ist und möglichst wenige Parallelhandlungen stattfinden.

  2. 2.

    Anwendung auf einen konkreten Fall. Das zweite Drittel der Seminarsitzungen befasste sich mit der Interpretation der Klassenführung in einem konkreten Fall (Video bzw. Transkript), vorrangig bezogen auf den zuvor erarbeiteten Klassenführungsaspekt. Die Instruktionen waren schriftlich formuliert und unterschieden sich bis auf den Hinweis auf das Medium Video oder Transkript nicht zwischen den Seminaren. Unter Verwendung der Methode Think-Pair-Share identifizierten die Studierenden in Gruppen von vier bis fünf Studierenden lernrelevante Situationen im Video bzw. Transkript und interpretierten diese mit Rückgriff auf die zuvor thematisierte Theorie. Die Erarbeitung von Handlungsoptionen bzw. Alternativen war ausschließlich Teil der „Share“-Phase und wurde als Differenzierungsaufgabe nicht immer von allen Studierenden bearbeitet.

  3. 3.

    Präsentation und Diskussion. In der letzten halben Stunde einer Seminarsitzung des Seminars wurde der untersuchte Fall im Plenum diskutiert. Hierzu stellte je eine der Gruppen eine wahrgenommene lernrelevante Situation und eine Interpretation dieser vor. Diese wurden von den anderen Gruppen ergänzt, verändert oder erweitert. Im Laufe des Seminars nahm diese letzte Phase zunehmend mehr Zeit in Anspruch, da die Studierenden neben dem aktuellen Aspekt weitere Aspekte der Klassenführung aus vorangegangen Seminarsitzungen berücksichtigten und mit dem aktuellen Aspekt verknüpften.

4.2 Stichproben

Es nahmen 222 Studierende an beiden Messzeitpunkten der Studie teil. Alle Lehrämter waren vertreten (Grundschule 19 %, Haupt-, Real- und Gesamtschule 25 %, Gymnasium und Gesamtschule 18 %, Berufskolleg 2 %, Sonderpädagogik 36 %).Footnote 2 77 % der teilnehmenden Personen waren weiblich, im Durchschnitt waren die Studierenden 23,35 Jahre alt (SD = 3,66) und gerundet im 5. Semester (M = 4,69, SD = 0,97).

Bezüglich ihres Alters und ihres Semesters unterschieden sich die Studierenden der Experimentalgruppen und der Kontrollgruppe nicht bedeutend voneinander. Auch die Betrachtung der einzelnen Seminare, die zu den jeweiligen Experimentalgruppen bzw. Kontrollgruppe zusammengefasst wurden, zeigte lediglich einen Unterschied in der Verteilung von männlichen und weiblichen Studierenden (Tab. 1).

Tab. 1 Angaben zum Geschlecht, zum Alter und zur Semesteranzahl unterschieden nach Seminaren und Experimentalgruppen (EG1 und EG2) sowie Kontrollgruppe (KG)

59 Studierende besuchten ein videogestütztes Seminar (EG1). Hier nahmen alle Studierenden, die am ersten Messzeitpunkt teilnahmen, auch am zweiten Messzeitpunkt teil. In den beiden transkriptgestützten Seminaren (EG2) nahmen 64 Studierende an beiden Messzeitpunkten teil. Dies sind 93 % der Teilnehmer, die zum ersten Messzeitpunkt einen Fragebogen bearbeiteten. In den Seminaren der KG nahmen 99 Studierende zu beiden Messzeitpunkten teil, dies war ein Rücklauf von 88 % von der Teilnahme am ersten Messzeitpunkt.

Aufgrund der identischen Bezeichnung und Ankündigung der vier Seminare der Experimentalgruppen im kommentierten Vorlesungsverzeichnis konnten die Studierenden zwar nach einer inhaltlichen Neigung (Thema Klassenführung), nicht aber nach einer methodischen Neigung (Arbeit mit Videos oder Transkripten) ein Seminar wählen. Die Seminare der Kontrollgruppe beschäftigten sich dagegen inhaltlich allgemein mit Kompetenzen von Lehrkräften, setzten Schwerpunkte auf die Unterrichtsplanung und -gestaltung oder auf kooperatives Lernen. Angesichts ihrer gleichen Zuordnung zum Modul „Unterrichten“ wurde das Thema Klassenführung jedoch auch in diesen drei Seminaren inhaltlich angerissen und war mindestens Teil einer Seminarsitzung. So beschäftigte sich z. B. eine Sitzung des Seminars zu kooperativen Lernformen mit Störungsprävention durch methodische Entscheidungen sowie durch gelungene Klassenführung. In den Seminaren zur Unterrichtsplanung und -gestaltung wurde je eine Sitzung zur Prävention von Störungen und zum Einsatz von Ritualen als Aspekte der Klassenführung gehalten.

4.3 Instrumente

4.3.1 Pädagogisches Wissen

Zur Messung des pädagogischen Wissens wurde eine von König und Blömeke (2010) entwickelte Kurzfassung der Testung des pädagogischen Wissens eingesetzt. Diese Kurzfassung beansprucht 20 min und war daher für die vorliegende Studie geeigneter als die deutlich längere Originalfassung des Tests (vgl. König und Blömeke 2010). Außerdem zielt die vorliegende Untersuchung allein auf die Auswertung eines Gesamtwerts pädagogischen Wissens und verzichtet auf eine differenzierte Darstellung auf Basis von Subskalen, wie es in TEDS-M zur Beschreibung von Lernständen am Ende der Ausbildung vorgenommen wurde (vgl. König et al. 2011). Die Kurzfassung wurde von König und Blömeke (2010) auf Basis von Datenanalysen der TEDS-M-Daten entwickelt. Es zeigte sich, dass diese mit der Langfassung hinreichend korreliert (r = 0,90), sodass das ursprüngliche Konstrukt auch mit der Kurzfassung angemessen repräsentiert ist. In der vorliegenden Studie arbeiteten wir mit insgesamt elf Testaufgaben, von denen vier ein Multiple-Choice Format und sieben ein offenes Aufgabenformat aufwiesen. In Abb. 5 und 6 sind Beispielaufgaben des Tests dargestellt. Aus den elf Aufgaben resultierten 33 Testitems, die in die Skalierung einflossen. Die Reliabilität ist gut (Prä-/Post-Testung: α = 0,81/0,84).

Abb. 5
figure 5

Testaufgabe zur Erfassung von Wissen über Motivation mit der kognitiven Anforderung „verstehen/analysieren“ (jeweils 1 Punkt pro richtiger Antwort) (König und Blömeke 2009)

Abb. 6
figure 6

Testaufgabe zur Erfassung von Wissen zur Strukturierung von Unterricht mit der kognitiven Anforderung „kreieren/generieren von Handlungsoptionen“ (König und Blömeke 2009)

4.3.2 Situationsspezifische Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung (Klassenführungsexpertise)

Um die Lernwirksamkeit der Trainingsseminare hinsichtlich der situationsspezifischen Fähigkeiten in der Klassenführung zu messen, wurde ein videobasiertes Testinstrument zur Erfassung der „Klassenführungsexpertise“ eingesetzt (König und Lebens 2012). Insgesamt gehen hierbei 24 Testfragen in die Bewertung ein, von denen 19 ein offenes und fünf ein geschlossenes Antwortformat aufweisen (vgl. die Beispiele in Abb. 7). Die Fragen zielen auf die Anforderungsbereiche der Wahrnehmung und der Interpretation bzw. Analyse. Zum Anforderungsbereich der Wahrnehmung sind 20 Fragen vorhanden, von denen 14 den Bereich der Genauigkeit der Wahrnehmung und sechs den Bereich der Holistischen Wahrnehmung abdecken. Der Anforderungsbereich des Interpretierens/Analysierens wird mit vier Fragen erhoben. In einer Skalierung an 119 berufstätigen Lehrkräften (König 2015) erwies sich der Test als reliabel (α = 0,70) und die faktorielle Struktur konnte konfirmatorisch bestätigt werden. In der vorliegenden Studie erwies sich der Test ebenfalls als reliabel (Prä-/Post-Testung: α = 0,74/0,74).

Abb. 7
figure 7

Beispielhafte Items zur Erfassung von Classroom Management Expertise (CME) im Anschluss an die Betrachtung der entsprechenden Video-Clips (kognitive Anforderungen). a „Genauigkeit der Wahrnehmung“, b „Holistische Wahrnehmung“, c „Interpretieren“

Die offenen Fragen wurden nach einem Kodierungsschlüssel von zwei Personen unabhängig voneinander ausgewertet. Dabei konnten die Studierenden entweder einen oder keinen Punkt für die einzelne Frage erhalten. 20 % der Fragebögen wurden von beiden Ratern kodiert. Als Maß der Interrater-Reliabilität wurde Cohen’s Kappa berechnet und betrug hier κ = 0,91. Dies gilt als sehr gute Übereinstimmung.

4.3.3 Motivation und kognitive Aktivierung

Zusätzlich zu der Prä- und Postbefragung wurden die Studierenden der Experimentalgruppen nach den ersten acht Seminarsitzungen mit Hilfe eines speziell für unsere Untersuchung entwickelten Fragebogens zu ihrer erlebten Freude an der Teilnahme am Seminar sowie zu der kognitiven Aktivierung durch das Lernmedium befragt. Die Freude an der Teilnahme am Seminar sehen wir als einen ersten Indikator für die Motivierungsqualität der angebotenen Trainingsseminare. Die Skala hierzu bestand aus zwei Items, die sich auf die allgemeine und inhaltliche Freude an den Seminarsitzungen bezog.

Kognitive Aktivierung als eine Basisdimension qualitätsvollen Unterrichtes beschreibt bei positiver Ausprägung einen Lernprozess, in dem die Lernenden zu einem vertieften Nachdenken und einer Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgeschehen angeregt werden (Lipowsky 2009). Nach Klieme und Rakoczy (2008) kann die kognitive Aktivierung je nach Lernbereich Unterschiedliches bedeuten. Die Skala der kognitiven Aktivierung bezog sich in der vorliegenden Studie auf die Aktivierung kognitiver Prozesse durch das Lernmedium und bestand aus drei Items zur Erfassung von Aspekten der Auseinandersetzung mit dem Thema Klassenführung mit Hilfe des jeweiligen Mediums. Beide Skalen wurden mit einer fünfstufigen Antwortskala erfragt (von 1 = stimmt gar nicht bis 5 = stimmt genau). An dieser Befragung nahmen aus der videogestützten Experimentalgruppe 54 Studierende (92 % der Studierenden, die an der Prä- und Posttestung teilnahmen) und aus der textgestützten Experimentalgruppe 56 Studierende (88 % der Studierenden, die an der Prä- und Posttestung teilnahmen) teil. Die Skalen zeigen eine akzeptable bis gute Reliabilität (Tab. 2).

Tab. 2 Skalen, Beispielitems und Reliabilitäten für kognitive Aktivierung und Freude

4.4 Statistische Analysen

Um die Ergebnisse aus beiden Tests im Folgenden anschaulich zu berichten, wurde ermittelt, wie viel Prozent vom jeweiligen Testgesamtwert die angehenden Lehrkräfte zur Prä-/Post-Test erreicht hatten (vgl. Rost 2004). Zur Überprüfung des Zuwachses hinsichtlich des pädagogischen Wissens und der Testung von Klassenführungsexpertise wurden die Mittelwerte der Gesamtwerte der einzelnen Trainingsgruppen berechnet, auf signifikante Veränderungen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt getestet und die praktische Bedeutsamkeit der einzelnen Zuwächse bestimmt. Aufgrund der Unterschiede zwischen den Gruppen im Prätest wurden zur Überprüfung des Trainingseffekts Kovarianzanalysen mit den Postwerten der beiden Tests als abhängige Variable, dem jeweiligen Prätestwert als Kovariate und der Gruppenzugehörigkeit als unabhängige Variable berechnet.Footnote 3 Die Korrelationen zwischen der Leistung im Prä- und Posttest waren sowohl für die situationsspezifischen Fähigkeiten (r = 0,57, p < 0,01) als auch für das pädagogische Wissen (r = 0,56, p < 0,01) in mittlerer Höhe. In alle Berechnungen flossen nur die Teilnehmer ein, die im jeweiligen Test sowohl den Prä- als auch den Posttest bearbeitet hatten.Footnote 4

Um einen möglichen Unterschied durch das eingesetzte Lernmedium Video bzw. Transkript zu identifizieren, wurden die Mittelwertunterschiede der Skalen zwischen den beiden Experimentalgruppen mit t‑Tests berechnet.

5 Ergebnisse

Die deskriptiven Ergebnisse (Tab. 3) zeigen, dass die videogestützte EG1 sowohl einen Zuwachs im pädagogischen Wissen (d = 0,79) als auch einen Zuwachs in den situationsspezifischen Fähigkeiten (d = 0,23) erfährt. Auch die transkriptgestützte EG2 kann in beiden Testungen einen Zuwachs verzeichnen (d = 0,62 bzw. 0,31). Alle Zuwächse sind mit p ≤ 0,1 statistisch signifikantFootnote 5 und nach Cohen (1988) praktisch bedeutsam (d ≥ 0,2). Die Kontrollgruppe kann im pädagogischen Wissen einen signifikanten Zuwachs verzeichnen, der eine kleine praktische Bedeutsamkeit (d = 0,23) erreicht. In der videobasierten Testung erreicht die Kontrollgruppe jedoch keinen Zuwachs (d = 0,03).

Tab. 3 Mittelwerte, Standfehler der Mittelwerte und Standardabweichungen (Prä- und Posttest) des videobasierten Instruments zur Klassenführungsexpertise und des Papier-Bleistift-Tests zum pädagogischen Wissen sowie die jeweiligen Effektstärke

Ergebnisse der Kovarianzanalysen zeigen, dass die Gruppenzugehörigkeit neben den Gesamtwerten im Prätest einen signifikanten Einfluss auf die Leistung im Posttest hat. So ergibt die Kovarianzanalyse für den Gesamtwert des Posttests der Klassenführungsexpertise unter Kontrolle des Prätests einen mittleren Effekt für die Gruppenzugehörigkeit (F (2, 215) = 14,73, p < 0,001; η 2 = 0,121). Post-hoc Tests (Bonferroni) zeigen, dass sowohl die videogestützte Experimentalgruppe (p < 0,001) als auch die transkriptgestützte Experimentalgruppe (p < 0,001) signifikant bessere Ergebnisse als die Kontrollgruppe erreichen. Zwischen den beiden Experimentalgruppen gibt es jedoch keinen signifikanten Unterschied.

Die Kovarianzanalyse für den Gesamtwert des Posttests des pädagogischen Wissens unter Kontrolle des Prätests ergibt einen kleinen Effekt für die Gruppenzugehörigkeit (F (2, 213) = 5,56, p < 0,01; η 2 = 0,005). Bei Betrachtung der Post-hoc Tests (Bonferroni) zeigt sich, dass sich die videogestützte Experimentalgruppe signifikant von der Kontrollgruppe unterscheidet (p < 0,01). Ansonsten gibt es keine signifikanten Unterschiede. In Abb. 8 sind die zentralen Ergebnisse dieser Analysen noch einmal grafisch zusammenfassend dargestellt.Footnote 6

Abb. 8
figure 8

Zuwachs der prozentualen Lösungshäufigkeiten (Differenzwert von Prä- und Posttestung) im videobasierten Instrument zur Klassenführungsexpertise und im Papier-Bleistift-Test zum Pädagogischen Wissen sowie Ergebnisse der Post-hoc Tests (Pfeildarstellung)

Die deskriptiven Kennwerte zu den Teilnehmeraussagen, die nach der achten Seminarsitzung in den beiden Experimentalgruppen erhoben wurden, sind in Tab. 4 wiedergegeben. In der Skala zur kognitiven Aktivierung durch das Lernmedium gaben die Studierenden aus der videogestützten EG1 signifikant höhere Werte an als die Studierenden der transkriptgestützten EG2 (t(107) = 4,609, p < 0,001). Auch die Angaben zur Freude am Seminar fielen bei der videogestützten Kontrollgruppe höher aus. Hier konnte aber kein signifikanter Unterschied auf dem 5 %-Niveau, sondern nur auf dem 10 %-Niveau (vgl. auch Fußnote 6) nachgewiesen werden (t(108) = 1,925, p = 0,057).

Tab. 4 Mittelwerte und Standardabweichungen der Lern- und Leistungsmotivation sowie der kognitiven Aktivierung durch das Lernmedium und der Freude am Seminar unterteilt in EG1 und EG2. Das Antwortformat war fünfstufig (1 stimmt gar nicht, 5 stimmt genau)

6 Zusammenfassung und Diskussion

6.1 Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung zielte auf die Beantwortung der Frage, inwieweit die Arbeit mit Unterrichtsvideos für den Erwerb situationsspezifischer Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung sowie auch für den Zuwachs an pädagogischem Wissen lernwirksamer ist als die Arbeit mit Unterrichtstranskripten. Hierfür wurde ein Trainingsseminar entwickelt, das über unterschiedliche mediale Zugänge das Thema der Klassenführung in den Fokus nahm.

Zur Untersuchung der Wirksamkeit des Trainings wurden zwei Seminare mit Hilfe von Unterrichtsvideos und zwei inhaltlich identische, jedoch transkriptgestützte Seminare durchgeführt. Als Kontrollgruppe dienten drei weitere Seminare aus dem thematisch gleichen Bachelormodul „Unterrichten“. Alle sieben Seminare nahmen sowohl an einer Prä- als auch an einer Posttestung teil. Zum Einsatz kamen ein videobasierter Test zur Erfassung von Klassenführungsexpertise (König und Lebens 2012) sowie ein inhaltlich breiter angelegter Papier-Bleistift-Test zur Erfassung von pädagogischem, auf die Kernanforderung des Unterrichtens bezogenen Wissens (König und Blömeke 2010). Die Video- und Transkriptseminare wurden außerdem in der zweiten Hälfte des Trainings zu ihrer Freude an der Teilnahme am Seminar und zur erlebten kognitiven Aktivierung befragt.

Unsere zentrale Annahme (H1) war, dass vor allem die videogestützte Experimentalgruppe (EG1) hinsichtlich eines Ausbaus ihrer situationsspezifischen Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung durch das Training profitieren würde (Zuwachs mit mittlerer praktischer Bedeutsamkeit), gefolgt von der transkriptgestützten Experimentalgruppe (EG2), die zwar inhaltlich vom Training, jedoch nur bedingt durch das Lernmedium profitieren würde (Zuwachs mit kleiner praktischer Bedeutsamkeit). Im Vergleich dazu nahmen wir an, dass Studierende aus Seminaren, die weder in inhaltlicher noch in medialer Hinsicht ein spezifisches Training mit Blick auf situationsspezifische Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung erhalten hatten, keinen signifikanten Zuwachs in der getesteten Klassenführungsexpertise zeigen würden.

Da jedoch alle Seminare im Modul „Unterrichten“ des bildungswissenschaftlichen Studiums verortet waren, nahmen wir an, dass sich im Bereich des inhaltlich breiter erfassten pädagogischen Wissens Zuwächse verzeichnen lassen sollten, wenngleich diese in höherem Maße für die EG1 und EG2 ausfallen sollten (Zuwachs mit mittlerer praktischer Bedeutsamkeit) als für die KG (Zuwachs mit kleiner praktischer Bedeutsamkeit) (H2).

Schließlich nahmen wir an, dass die EG1 das Lernmedium Video in stärkerem Maße motivierend und kognitiv aktivierend wahrnehmen würde als die EG2 das Lernmedium Transkript (H3).

In der empirischen Prüfung ließen sich unsere Hypothesen nur teilweise bestätigen. In den situationsspezifischen Fähigkeiten im Bereich der Klassenführung (H1) zeigten zwar wie erwartet die Experimentalgruppen verglichen mit der Kontrollgruppe einen Zuwachs, dieser war jedoch in EG1 und in EG2 von ähnlich hoher praktischer Bedeutsamkeit. Das videogestützte Seminar war also – entgegen unserer Erwartung – dem transkriptgestützten in Bezug auf den Erwerb situationsspezifischer Fähigkeiten nicht überlegen. Im pädagogischen Wissen zeigten sich wie erwartet (H2) in allen Gruppen Zuwächse, wobei diese für die Experimentalgruppen größer ausfielen (mittlere praktische Bedeutsamkeit) als für die Kontrollgruppe (kleine praktische Bedeutsamkeit). Der Vergleich zwischen beiden Experimentalgruppen hinsichtlich nicht-kognitiver Merkmale ergab wie erwartet (H3) signifikante Unterschiede in der erlebten Freude an der Teilnahme am Seminar (auf dem 10 %-Niveau), insbesondere aber in der kognitiven Aktivierung (mit p < 0,001), die von den Lehramtsstudierenden in Bezug auf das von ihnen erfahrene Lernmedium (Video vs. Transkript) unterschiedlich hoch wahrgenommen wurde.

6.2 Diskussion

Die Arbeit mit Unterrichtsvideos erfreut sich in der universitären Lehrerinnen- und Lehrerausbildung einer immer größer werdenden Beliebtheit, da sie als motivierend (Yadav et al. 2011) angesehen wird und das komplexe Unterrichtsgeschehen besonders realitätsnah abbildet. Unterrichtsvideos gelten auch als Möglichkeit, die situationsspezifischen Fähigkeiten der Wahrnehmung, der Interpretation und des Entscheidens zu trainieren (z. B. Gold et al. 2013; Seidel et al. 2010). Ferner werden neuerdings Unterrichtsvideos für die kontextualisierte Messung von Kompetenzen Von Lehrpersonen genutzt (z. B. König 2016).

Unsere Studie bestätigt Ergebnisse vorausgegangener Studien insofern, als dass ein Training mit Unterrichtsvideos zu mehr Zuwachs in situationsspezifischen Fähigkeiten als auch im pädagogischen Wissen führen kann als ein Training ohne Unterrichtsvideos. Im Gegensatz zur reinen Wissensvermittlung benötigt das Üben von situationsspezifischen Fähigkeiten jedoch ein Medium, dass die Situation präsentiert. Daher scheint ein Vergleich zumindest in Bezug auf die Fähigkeiten wahrnehmen, interpretieren und entscheiden mit einer Kontrollgruppe, in der situatives Lernen nicht den Mittelpunkt der Lerngelegenheit darstellt, nicht ausreichend. Nötig ist die Erweiterung um eine zweite Experimentalgruppe, die zwar den gleichen Inhalt, jedoch mit einem anderen Medium erarbeitet.

Anders als erwartet, gab es keine systematischen bzw. keine praktisch relevanten Unterschiede im Lernzuwachs, weder im pädagogischen Wissen noch in den hier getesteten situationsspezifischen Fähigkeiten des Wahrnehmens und Interpretierens. Ein eindeutiger Unterschied zeigte sich darin, dass die videogestützte Experimentalgruppe das Lernmedium Unterrichtsvideo kognitiv aktivierender empfand als die transkriptgestützte Experimentalgruppe die Transkripte. Trotz dieser weitgehend fehlenden Unterschiede in den Experimentalgruppen muss jedoch beachtet werden, dass sie in beiden Test deutlich besser abschnitten als die Kontrollgruppe, die durch den Besuch von vergleichbaren Veranstaltungen im Modul „Unterrichten“ des bildungswissenschaftlichen Studiums thematisch verwandte Lerngelegenheiten nutzen konnte.

Obwohl – oder gerade weil – wir also nur eingeschränkt unsere Hypothesen bestätigt finden, erweitert die Studie die Diskussion um das Lernen mit Unterrichtsvideos um den Aspekt der Lernwirksamkeit von Unterrichtsvideos im Vergleich mit dem konkurrierenden Medium Unterrichtstranskript. Es stellt sich die Frage, für wen und zu welchem Zeitpunkt in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung das Lernen mit Unterrichtsvideos besonders wirksam ist. Aus der Expertiseforschung ist bekannt, dass Novizen, d. h. in diesem Fall Lehramtsstudierende, zu Beginn ihrer Ausbildung zunächst deklaratives Wissen erwerben (König und Seifert 2012) und erst im weiteren Verlauf der Ausbildung (Zweite Phase bzw. Referendariat/Vorbereitungsdienst) prozedurale Wissensanteile hinzutreten (König 2013). Zusätzlich können sie die Arbeit mit Unterrichtsvideos als kognitiv überfordernd erleben (Syring et al. 2015). Außerdem wäre zu untersuchen, ob eine Lernumgebung auf Grund ihrer medialen Ausgestaltung mit Video bzw. Text und den eingesetzten Instruktionen unterschiedliche Lernziele besser unterstützt und inwieweit die Lehrpersonen, die das Training durchführen einen Einfluss auf die Testergebnisse nehmen.

Es stellt sich weiterführend die Frage, ob Unterrichtstranskripte ein ähnliches Potenzial als Lernmedium haben wie Unterrichtsvideos und im Zuge der medialen Möglichkeiten und dem allgemeinen Trend zur Arbeit mit Unterrichtsvideos in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung möglicherweise unterschätzt werden.

6.3 Grenzen der Studie und Ausblick auf zukünftige Forschung

Angesichts der hier erzielten Ergebnisse erscheint weiterführende Forschung nötig. Denkbar wäre etwa, dass Bachelorstudierende wie wir sie untersucht haben, aufgrund ihres durchschnittlich geringen Umfangs an Praxiserfahrungen von der Komplexität und Multidimensionalität des videographierten Unterrichts überfordert sind. Folglich würde bei ihnen das Potenzial, das sich mit dem Lernen mit Videos verbindet, nur teilweise ausgeschöpft werden, etwa in der Form, dass der Erwerb von hauptsächlich deklarativem Wissen im Vordergrund steht, es aber nicht zu weiterführenden Prozessen des Erwerbs prozeduralen Wissens kommt (vgl. König und Seifert 2012). Auch eine differenzierte Betrachtung der Lernzuwächse könnte über das Potenzial von Unterrichtsvideos Aufschluss geben. Bisher wurden nur die Gesamttestwerte verglichen, in denen sich die videogestützte Experimentalgruppe von der transkriptgestützten Experimentalgruppe nicht signifikant unterschied. Eine Auswertung der anforderungsbezogenen Subskalen sowohl im pädagogischen Wissenstest (erinnern, verstehen/analysieren und kreieren/generieren von Handlungsoptionen) als auch im Test zur Erfassung der Klassenführungsexpertise (Genauigkeit der Wahrnehmung, Holistische Wahrnehmung und Interpretation/Analyse) könnte Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen im Lernzuwachs deutlich machen. Entsprechende Analysen befinden sich in Vorbereitung.

Zur weiteren Untersuchung der Vergleichbarkeit von Unterrichtsvideos und Unterrichtstranskripten scheint es daher sinnvoll, nicht nur das Lernmedium an sich, sondern auch das Lernmedium im Zusammenhang mit unterschiedlichen didaktischen Aufarbeitungen zu vergleichen. Denkbar wäre hier beispielsweise, die Vergleichbarkeit von Videos und Transkripten noch genauer sicherzustellen als es in der vorliegenden Studie möglich war. Auch scheint es interessant, die Motivation bei der Arbeit mit den beiden unterschiedlichen Medien genauer in den Blick zu nehmen und die allgemeine Motivation in Lernprozessen bei der Arbeit mit Videos bzw. Transkripten zu vergleichen. Hierzu wäre es zum Beispiel sinnvoll, das handlungstheoretische Modell zur Motivation in Lernprozessen von Rheinberg et al. (2001) einzusetzen. Motivation wird bei Rheinberg et al. (2001) durch ein hohes situationsbezogenes Interesse, eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, eine erfüllbare Herausforderung und eine geringe Misserfolgsbefürchtung gekennzeichnet. Bis zu einem gewissen Grad können zwischen den vier genannten Dimensionen Kompensationsmöglichkeiten angenommen werden (Rheinberg et al. 2001). Weiterführend könnte auch die Befragung bezüglich der Immersion (Seidel et al. 2011) als Aspekt der Motivation Aufschluss über Unterschiede bezüglich der beiden Experimentalgruppen geben.

Außerdem scheint es nötig, sowohl ein Trainingsseminar mit Masterstudierenden als auch mit Referendaren, die über deutlich umfangreichere Praxiserfahrungen verfügen, durchzuführen und auf diese Weise differenzierter zu untersuchen, in welchen Bereichen und zu welchem Zeitpunkt der Ausbildung sowohl im pädagogischen Wissen, als auch in den situationsspezifischen Fähigkeiten ein Zuwachs in Abhängigkeit vom Lernmedium der Unterrichtsvideos erfolgt. Ferner könnte zukünftige Forschung das eingesetzte Testinstrument zur Erfassung von Klassenführungsexpertise um die Fähigkeit des Entscheidens erweitern. Denn diese Fähigkeitsfacette dürfte näher an die tatsächliche Handlungsfähigkeit einer Lehrkraft heranreichen (zuletzt z. B. Burns et al. 2015) und könnte somit durch den Einsatz von Unterrichtsvideos, die das komplexe Geschehen im Unterricht realitätsnäher abbilden als Unterrichtstranskripte, gezielt gefördert werden.