1 Theoretischer Hintergrund: Bildungsverläufe im sozialen und biografischen Kontext

Die Untersuchung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungsverläufen gehört inzwischen zu den besterforschten sozialwissenschaftlichen Fragestellungen zum Bildungswesen (Becker und Lauterbach 2004; Maaz 2006; Becker 2009; Maaz et al. 2009; Maaz und Nagy 2009). Bereits seit den frühen 1960er-Jahren wurden umfassende Analysen vorgelegt (siehe z. B. Dahrendorf 1965; Bourdieu und Passeron 1971; Rolff 1972; Sass 1978; Sass und Holzmüller 1982; Fauser et al. 1985; Fauser et al. 1985a, b; Peisert 1967). Da diese Studien mehrheitlich von der Hypothese ausgegangen waren, schulische Strukturen seien Mitursachen der sozialen Selektivität, sind aus ihnen Vergleichsstudien über die Wirksamkeit unterschiedlicher Schulformen, insbesondere von Gesamtschulen im Vergleich zu herkömmlichen Schulen, hervorgegangen (siehe z. B. Fend et al. 1976; Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1982; Fend 1982; Leschinsky und Mayer 1990). Dabei konnten in den 1970er-Jahren für den Zeitraum des Besuchs der Sekundarstufe I mehrheitlich positive Effekte längeren gemeinsamen Lernens auf die Chancengleichheit beobachtet werden.

Die zentralen theoretischen Modelle zur Erklärung unterschiedlicher Bildungsverläufe bei Kindern aus verschiedenen sozialen Schichten wurden ebenfalls bereits in den 1960er-Jahren entwickelt. Die Modelle mit primären (kognitive Fördereffekte) und sekundären Erklärungsfaktoren (Entscheidungsparameter wie Präferenzen, Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten) sowie deren Interaktion – auch angesichts unterschiedlicher schulischer Kontexte – haben sich allgemein durchgesetzt, wenngleich die Kontroversen um die jeweilige Bedeutung des kulturellen (Bourdieu 1983), des sozialen (Coleman 1987, 1990, 1994) und des ökonomischen Kapitals nicht letztgültig entschieden sind. Gleiches gilt für die Rivalität zwischen kultursoziologischen Ansätzen (Bourdieu 1983) zur Bedeutung des Habitus und von Rational-Choice-Modellen (Esser 2001). Deren Integration und Erweiterung ist heute jedoch bereits im Gang.

Eine entscheidende empirische Erweiterung erfuhren diese Analysen der sozialstrukturell bedingten Bildungsbeteiligung durch repräsentative, international vergleichend angelegte Studien. Die internationale Vergleichsperspektive stand im VASMA-Projekt im Mittelpunkt (siehe Müller und Haun 1994; Müller und Gangl 2003). Sie wurde in den PISA-Studien ausgebaut. Hier konnten erstmals auf breiter Basis nicht nur sozialstrukturelle Einflüsse, sondern auch solche der kognitiven Grundfähigkeiten und der domainspezifischen Kompetenzen analysiert werden (Baumert et al. 2003a, b; Baumert et al. 2004; Baumert und Köller 2005; Baumert et al. 2006).

Waren diese Studien noch mehrheitlich querschnittlich angelegt (in den PISA-Studien die 15-Jährigen bzw. Schülerinnen und Schüler der 9. Schulstufe), so finden sich in den letzten Jahren zunehmend Analysen, die nicht nur mehrere Kohorten berücksichtigen können, sondern eine differenzierte Analyse verschiedener Etappen des Bildungswegs vornehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Hauptübergänge (siehe z. B. Berger und Kahlert 2008; Becker und Reimer 2010; Krüger et al. 2010), also die Eintritte in den Kindergarten, die Grundschule, die Übertritte in weiterführende Schulen nach der 4. Schulstufe (Georg 2006b; Baumert et al. 2009; Maaz und Nagy 2009), die Wege in den Beruf (siehe z. B. Müller und Gangl 2003) und die Wege vom Abitur in Hochschulen (siehe z. B. Köller et al. 2004; Maaz 2006; Müller et al. 2009).

In den letzten Jahren lässt sich über diese methodischen und theoretischen Fortschritte hinaus eine neue Phase der theoretischen Integration (siehe Tab. 1) beobachten, in deren Rahmen in der zeitlichen Dimension historische, biografische und – in Verbindung von beiden – generationale Perspektiven in der Soziologie des Lebenslaufs als Rahmen für die Analyse von Bildungsverläufen zusammenfinden (Kohli 1978; Kohli 1989; Mayer 1991; Müller und Haun 1994; Mayer 1998; Hillmert 2009). In der vertikalen Dimension ist die Unterscheidung in makrostrukturelle Voraussetzungen, institutionelle Strukturen und Mikroprozesse leitend für komplexe hierarchische Modelle der Analyse von Lebensverläufen.

Tab. 1 Theoretische Kontexte der Untersuchung von Bildung im Lebenslauf

Historische Analysen haben die Entwicklung von Mustern von Lebensverläufen im Blick, des „script of life in modern society“ (Buchmann 1989) und dessen Abhängigkeit von makrostrukturellen und institutionellen Entwicklungen. Geordnete und planbare Lebensläufe sind in sozialgeschichtlicher Sicht eine Konstruktion der Moderne, die durch die Entwicklung und Expansion des Bildungswesens mitgestaltet ist (Fend 2006).

Zur makrostrukturellen Rahmung der Lebensläufe in der Moderne gehört neben den ökonomischen und wissenschaftlichen Entwicklungen auch die Etablierung der Freiheits- und Gleichheitsrechte aller Bürger sowie der Bedingungen für den sozialen Aufstieg über das Bildungswesen. In askriptiven vormodernen Gesellschaften ist die soziale Position durch Privilegien der Geburt und der Herkunft festgeschrieben. Der Ausbau der Prüfungssysteme im Bildungswesen in den letzten zweihundert Jahren markiert den Übergang von der askriptiven Gesellschaft zu einer solchen, in der das meritokratische Prinzip, also die Verteilung von Privilegien auf der Basis von Leistungen, zum Kernregulativ der intergenerationalen Mobilität wird. Insbesondere das Bildungswesen wird zur entscheidenden Instanz, die Mobilität und kulturelle Teilhabe eröffnet und begrenzt.

Biografische Analysen bewegen sich im Rahmen dieser historisch sich entfaltenden Opportunitäten, ebenso Analysen der „interlinked lifes“ (Elder 1985), der Verschränkung der Lebensverläufe mehrerer Generationen. Die Kernsituation, die durch diese verschiedenen Stränge der Entwicklung zur Moderne entstanden ist, besteht darin, dass Eltern als primär rechtlich für Kinder zuständige Akteure mit ihren Kindern in einen lebensgeschichtliche Verbindung eintreten, in der die Schullaufbahn zum Hauptthema der intergenerationalen Investitionen in die Zukunft der Kinder geworden ist.

Die Soziologie und die Psychologie des Lebenslaufs setzen sich mit dieser idealtypischen Konstellation empirisch auseinander. Ihr Ziel ist es zu untersuchen, welche Variationen sozialer Realitäten durch diese institutionellen und gesellschaftlichen Ordnungssysteme und ihre faktische Nutzung entstehen.

Eine umfassende empirische Umsetzung dieser Konzepte des Lebenslaufs würde erfordern, längsschnittlich Bildungsverläufe bei mehreren Geburtskohorten systematisch zu erforschen. Sie wären auf die sich historisch verändernden und gesellschaftlich variierenden (Buchmann und Kriesi 2011) Opportunitätsstrukturen hin zu spezifizieren. Handlungstheoretisch wären Lebens- und Bildungsverläufe auf der Folie normativer Grundlagen (z. B. Verfassungsrechte der freien Schulwahl und des Elternwillens), sozialstrukturell verteilter Ressourcen (ökonomische, soziale und kulturelle) und akteurspezifischer Nutzungsstrategien (Förderaktivitäten, Entscheidungsverhalten) zu interpretieren. Tabelle 1 illustriert die Komplexität solcher Konzepte.

Wie diese Prozesse verlaufen, wodurch sie beeinflusst sind und welche Folgen sie haben – diese Fragen konstituieren Kerndimensionen der derzeitigen Forschung zu Bildungsverläufen. Im Vordergrund steht in sozialkritischer und normativer Perspektive die Frage, wie meritokratisch diese Prozesse verlaufen bzw. wie groß der Einfluss des sozialstrukturellen Kontexts in der Gestalt der sozialen und ethnischen Herkunft von Kindern und Jugendlichen ist.

Die meisten Studien konzentrieren sich angesichts der Komplexität der Bildungsverläufe im historischen, gesellschaftlichen und biografischen Kontext auf einzelne Übergänge, auf spezifische Gruppen (z. B. Gymnasiasten) oder auf spezifische Lebensabschnitte im Kontext relativ konstanter makrostruktureller Rahmenbedingungen. Die Schweizer TREE-Studie (Bergman et al. 2011), die die Bildungs-, Ausbildungs- und Berufsverläufe der Schülerinnen und Schüler untersucht, die im Jahre 2000 an der PISA-Studie teilgenommen hatten, die Längsschnittstudie von Spiess Huldi (2004) sowie die BIJU-Studie (Knigge 2009) sind unter anderem auf dem Weg zu längsschnittlichen Lebensverlaufsstudien, die längere Zeiträume und ganze Alterskohorten betrachten. Die derzeit umfassendste Datenbasis für historische Verlaufsanalysen repräsentiert die Generationenstudie von Mayer (Hillmert und Mayer 2004). Diese Daten sind von Rolf Becker eindrucksvoll reanalysiert worden (Becker 2006). Die laufenden Studien im Umkreis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP; Heineck und Riphahn 2007) und des Bildungspanels (NEPS; Blossfeld et al. 2011) sind auf dem Wege, das Ziel von Mehrkohorten- und Längsschnittstudien zu Bildungsverläufen bei unterschiedlichen makrostrukturellen und institutionellen Opportunitäten zu erreichen.

2 Fragestellungen der LifE-Studie

Als Annäherung an die oben beschriebenen Konzepte von Lebensverläufen kann die LifE-Studie angesehen werden. Ihr längsschnittlicher Charakter ermöglicht es, die Übergänge im Bildungswesen ab der 6. Schulstufe bis ins frühe Erwachsenenalter sowie das Verhältnis von Bildungsaspirationen und Bildungserfolg detailliert zu beschreiben. Dabei kommt auch ins Blickfeld, welche Veränderungen in den Bildungslaufbahnen nach der 9. Schulstufe (also nach dem Zeitpunkt, den die PISA-Studien erfassen) noch erfolgen und wie sich die Übergänge ins Berufsleben und in den Beruf gestalten. Die alleinige Konzentration auf den PISA-Jahrgang der 15-Jährigen könnte zur Folge haben, dass die Chancengleichheit im deutschen Bildungswesen zu punktuell gesehen wird.

Bei der übergeordneten Frage, welche Kinder und Jugendlichen welche Bildungswege einschlagen und jeweils neuen Chancen nutzen bzw. welchen Bildungsabschluss und Ausbildungsabschluss sie erreichen, steht jene nach der Bedeutung der sozialen Herkunft für Bildungslaufbahnen im Vordergrund. Das Bildungswesen seinerseits erhebt den Anspruch, Bildungslaufbahnen nur nach Leistungskriterien zu regulieren, also meritokratisch organisiert zu sein. Bildungswunsch des Elternhauses und durch die Schule attestierte Bildungserfolge können dadurch in ein Spannungsverhältnis treten. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich insbesondere an den entscheidenden Übergängen. Es ist kulturtheoretisch, soziologisch und entscheidungstheoretisch gut erforscht und steht hier nicht im Mittelpunkt. In der LifE-Studie kann das Langzeitergebnis der elterlichen Bildungs- und Entscheidungsprozesse für den letztlich erreichten Bildungsabschluss der Kinder untersucht und abgeschätzt werden, welche Rolle das kindliche Kompetenzniveau dabei spielt. Die LifE-Daten ermöglichen aber keine anteilsmäßige Abschätzung der Bedeutung primärer und sekundärer Faktoren für die Bildungslaufbahn. Dazu fehlen sowohl Maße für das Leistungspotenzial, die Intensität der familiären Förderung und die domänenspezifischen Kompetenzen der Kinder in der Schule als auch Daten für alle Parameter der Entscheidungsfindung bei zentralen Übergängen im Bildungswesen. Andere Studien haben hier vollständigere Datengrundlagen (Baumert et al. 2009). Die LifE-Daten ermöglichen lediglich Annäherungen an die Unterscheidung von primären und sekundären Effekten. Sie liegen darin, dass die Bedeutung des elterlichen Bildungshintergrunds und des faktischen verbalen Kompetenzniveaus für Bildungslaufbahnen der Kinder untersucht werden kann. Gleichzeitig erlaubt die frühe Erhebung von Bildungserwartungen und Bildungswünschen den in einem Rational-Choice-Modell wichtigen Parameter der Präferenzen als Bestimmungsgröße für die Bildungslaufbahnen einzubeziehen. Die Stärke der LifE-Daten liegt in der Möglichkeit, lange Zeiträume darstellen und institutionelle Faktoren abbilden zu können. Aus der Vielzahl möglicher Fragestellungen sollen hier aus bildungspolitischen Gründen, das heißt aus Gründen der Gestaltungsrelevanz, zwei herausgegriffen werden.

  1. 1.

    Wenn die Bildungs- und Ausbildungslaufbahnen ab der 6. Schulstufe, also nach schon erfolgten wichtigen Übergängen, beschrieben werden, steht die Frage im Vordergrund, was zu welchem Zeitpunkt an lebensgeschichtlichen Verläufen bereits festgelegt ist bzw. welches Ausmaß an Veränderung zu bestimmten Zeitpunkten im Lebensverlauf noch beobachtet werden kann. Daraus könnten sich Hinweise ergeben, wann es noch sinnvoll ist, institutionell durch Übergangsmöglichkeiten weitere Optionen zu eröffnen. Komplementär kommt bei Verlaufsanalysen nämlich das Ausmaß der Durchlässigkeit des Bildungswesens im Sinne von Wechselmöglichkeiten der Bildungslaufbahnen zum Vorschein. Alle Teilnehmer der LifE-Studie hatten im 6. Schuljahr einen ähnlichen Horizont von Abschlüssen vor sich, an dem sie sich orientieren konnten. Er bestand in den „klassischen“ Schulabschlüssen auf den drei Ebenen, dem Hauptschulabschluss, dem Realschulabschluss und dem Abitur. Sie alle hatten auch schon eine 12-jährige Lebensgeschichte hinter sich, eine Geschichte unterschiedlicher Förderung in der Familie, eine Kindergartenzeit, die Grundschulzeit und schon zwei Jahre Erfahrungen auf der Sekundarebene. Diese Erfahrungen könnten schon dazu geführt haben, dass sie realistische Erwartungen an die weitere schulische Laufbahn aufgebaut haben: ob diese eher auf eine Hauptschulebene, eine mittlere Ebene oder auf die Ebene des Abiturs führen wird. Diese könnten schon in einer Weise herkunftsabhängig geprägt sein, dass nach der 6. Schulstufe auch auf subjektiver Erwartungs- und Wunschebene kaum Entwicklungspotenzial für divergente Bildungsgänge gesehen wird. Andererseits wäre es wünschenswert, wenn in diesem Alter noch sehr viel offen wäre, wenn unerwartete positive Entwicklungen einsetzen und Problemerfahrungen der vergangenen Jahre ausgeglichen werden könnten. Offenheit oder Festlegung, neue Chancen oder schon klare Wege – was überwiegt? Wir können dieser Frage nachgehen, da wir die Wege von 1.030 Kindern kennen, die im 12. Lebensjahr und dann später als junge Erwachsene im 35. Lebensjahr an der Untersuchung teilgenommen haben. Die langen Wege und vielfältigen Übergänge im Bildungswesen repräsentieren eine große Vielfalt von Lebenswegen, die hier nur im Überblick berichtet werden. Detailergebnisse zu einzelnen Übergängen (Fend 1991; Lauterbach und Weil 2009) sind andernorts ausführlich dokumentiert (Fend 2009; Georg 2005, 2006a, b).

  2. 2.

    Das quasiexperimentelle Design der LifE-Studie erlaubt zu untersuchen, welche Bedeutung unterschiedliche institutionelle Regelungen von Bildungswegen für die Bildungschancen der LifE-Kohorte hatten. Die Teilnehmer der LifE-Studie durchliefen die Sekundarstufe I auf verschiedene Weise, die sich durch den Zeitpunkt der Aufteilung in getrennte Bildungslaufbahnen (nach der 4. Klasse Grundschule, nach der 6. Klasse der Förderstufe und nach der 10. Klasse der Gesamtschule) unterschied. Damit rückt die Frage in den Vordergrund, ob in Bezug auf die Bildungschancen eine Interaktion zwischen sozialer Herkunft und institutionellen Regelungen besteht. Diese Frage, welche Bedeutung dem schulischen Kontext als Regelsystem der Allokation bzw. als Kontext des Lernens zukommt, führt in Kernbereiche bildungspolitischer Kontroversen um die Chancengleichheitseffekte längeren gemeinsamen Lernens.

3 Stichprobe

Die erste Erhebung im Rahmen der LifE-Studie erfolgte im Jahr 1979. In sie waren rund 2.000 Kinder in der 6. Schulstufe, also etwa im 12. Lebensjahr, einbezogen. Sie wurde im Abstand von einem Jahr fünfmal fortgesetzt und mit der 10. Schulstufe abgeschlossen. Methodische Begleitstudien sollten die Kohortenstabilität und die eventuellen Auswirkungen von Testwiederholungen berücksichtigen. Von großer inhaltlicher Bedeutung war die zweimalige Miterhebung der Eltern und der Lehrerschaft in den erfassten Schulklassen. Die 1983 von den Erhebungen her abgeschlossene Konstanzer Jugendstudie (Fend 1990, 1991, 1994, 1997, 1998) wurde nach 19 Jahren bei den 35-Jährigen wieder aufgenommen. Von den wieder gefundenen Personen (ca. 85 %) haben ca. 83 % (N = 1527) teilgenommen (Fend et al. 2009). Es stand somit eine Kohorte aus den Baby-Boom-Jahrgängen (1966/67) im Mittelpunkt, die zudem in zwei ländlichen Regionen in Hessen bzw. in der Großstadt Frankfurt aufgewachsen war. 1.030 Personen haben mit 12 Jahren und 35 Jahren teilgenommen, 1.162 Personen mit 13 Jahren und mit 35 Jahren.

Damit sind Einschränkungen der Reichweite und Belastbarkeit der Aussagen verbunden. Die eine betrifft die zeitliche Verallgemeinbarkeit der Aussagen auf mehrere Kohorten. Der bedeutsame soziale Wandel der letzten Jahrzehnte, insbesondere mit Blick auf die Bildungsexpansion, erfordert eine differenzierte Beobachtung von Besonderheiten der hier analysierten Generation. Eine andere Einschränkung ergibt sich aus der Regionalität der Stichprobe. Sie erfordert sorgfältige Vergleiche mit repräsentativen Stichproben. Die Konstruktion der Stichprobe folgte jedoch nicht primär der Logik der Repräsentativität des Samples. Sie war von der Konzeption eines quasiexperimentellen Designs geleitet, das systematisch Generierungsfaktoren für die Humanentwicklung erforschbar machen sollte. Als kontextuellen Generierungsfaktoren wurden in einem ersten Schritt ländliche und großstädtische Kontexte des Aufwachsens ausgewählt. In einem zweiten Schritt wurde die institutionelle Umwelt der Schule gezielt variiert. Ein Drittel durchlief das herkömmliche Bildungswesen, das nach der 4. Grundschulklasse die Schülerinnen und Schüler auf unterschiedliche Schulformen, auf Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien verteilt. Ein zweites Drittel verblieb auf den Grundschulen, die in der 5. und 6. Stufe als fachleistungsdifferenzierte Förderstufen geführt wurden. Dies war im Kreis Odenwald der Fall, in dem deshalb flächendeckend ein Jahrgang erhoben wurde. Das übrige Drittel wechselte ab der 5. Klasse auf Gesamtschulen, in denen Schülerinnen und Schüler gemeinsames Lernen bis zum 10. Schuljahr in unterschiedlichen Niveaugruppierungen erlebten. Mit dieser Anlage der Studie sollte die kurzzeitige und langfristige Bedeutung von institutionellen Opportunitäten für größere Chancengleichheit, im Besonderen von unterschiedlichen Schulstrukturen, abgeschätzt werden.

Der Einbezug verschiedener Schulsysteme hat zur Folge, dass im Folgenden die Stichprobengrößen variieren. Bei Schülerinnen und Schülern der 6. Schulstufe sind alle drei Schulsysteme (herkömmliches Bildungswesen, Förderstufe, Gesamtschule) vertreten. Ab der 7. Schulstufe fällt die Aufteilung in drei Schulsysteme weg, da die Schülerinnen und Schüler der Förderstufe in Schulformen des herkömmlichen Gymnasiums wechseln. Damit ist aber der 7. Schulstufe nur mehr ein Vergleich von zwei Schulsystemen möglich. Wenn die Ausbildungs- und Berufswege auf dem Hintergrund der Aspirationen in der 6. Schulstufe untersucht werden, dann können die Teilnehmer aus allen drei Organisationsformen des Bildungswesens auf der Sekundarstufe I einbezogen werden. Die konkreten Stichprobenmerkmale werden unten bei den jeweiligen Abbildungen dokumentiert.

4 Instrumente

Bildungs- und Ausbildungsverläufe bilden den Mittelpunkt der hier dargestellten Lebensverlaufsdomäne. Sie konstituieren sich durch Bildungsgänge und Bildungsübergänge, die in der LifE-Studie jeweils durch geschlossene Fragen abgebildet werden können. Dazu zählen Klassenwiederholungen (ab der 1. Klasse bis zur 9. Klasse), Schulformwechsel, Noten in Deutsch, Mathematik, Englisch, Sport, Sozialkunde pro Schuljahr, Besuch einer Schulform bzw. eines Schulsystems ab der 6. Schulstufe (Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Förderstufe, Gesamtschule), Übergänge von der Sekundarstufe I (9. und 10. Schuljahr) in die Berufsausbildung und in weiterführende Bildungswege der Sekundarstufe II (jeweils über Abgängerbefragungen), der höchste erreichte Bildungsabschluss bis zum 35. Lebensjahr, Mehrfachausbildungen, die erste Berufsposition und schließlich die Berufsposition im 35. Lebensjahr. Die Bildungsgänge und Übergänge sind jedoch nicht als zeitabhängige Episoden abgebildet, sondern als zu einem nicht definierten Zeitpunkt erreichte Übergänge und Abschlüsse.

Diese Bildungsverläufe werden in den folgenden Auswertungen konfrontiert mit den am Beginn der Studie erhobenen Bildungserwartungen der Kinder selber (Wünsche, realistische Erwartungen) und jener der Eltern (von Kindern wahrgenommen bzw. von Eltern selber geäußert). Sie bilden den Ausgangspunkt, um den Grad ihrer Realisierung bzw. um die Veränderungsgrade und Veränderungsrichtungen zu analysieren. Wünsche wurden durch die Frage erfasst: „Sieh jetzt bitte davon ab, welche Fähigkeiten Du Dir zutraust und welche Abschlüsse für Dich noch möglich sind. Kreuze bitte den Abschluss an, den Du Dir wünscht.“ Realistische Erwartungen bauten auf folgender Formulierung auf: „Welchen der folgenden Schulabschlüsse wirst Du wahrscheinlich erreichen?“ Die elterlichen Erwartungen fußten auf folgender Frage: „Welchen Abschluss solltest Du nach Meinung Deiner Eltern erreichen?“ Als Antwortvorgaben dienten ab der 7. Schulstufe die drei Bildungsniveaus: Hauptschulabschluss (bzw. keinen Abschluss), Realschulabschluss oder Abitur. In der 6. Schulstufe wurde zudem die Kategorie „weiß nicht“ zugelassen. Die Eltern wurden parallel zu den Kinder gefragt: „Welchen Schulabschluss sollte Ihr Kind Ihren Vorstellungen nach erreichen?“ (Hauptschulabschluss/Realschulabschluss/Abitur).

Um die Herkunftsabhängigkeit der Bildungslaufbahnen überprüfen zu können, wurde die soziale Schicht bzw. der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie in der Adoleszenz über Schülerangaben zum Beruf des Vaters (oder alternativ der Mutter) offen erfasst. Zur Validierung und Ergänzung der Schülerangaben wurden die Eltern in zwei Erhebungen (1980 und 1982 bei ihren damals 13- bzw. 15-jährigen Kindern) ebenfalls gebeten, den Beruf des Vaters und den der Mutter, so „genau, wie es geht“, zu beschreiben. Diese Angaben wurden in gleicher Weise wie die Angaben der Kinder kodiert.

Die Messung der sozialen Herkunft nach der Skala von Kleining und Moore (1968) in der Jugendstudie gilt nach heutigen Maßstäben als veraltet. Damit stellt sich die Frage der Validität dieser Daten. Um dies zu prüfen, bestand in der LifE-Studie die Möglichkeit, die offenen Angaben zu den Berufen der Eltern, die schon in der Adoleszenzstudie bei Schülerinnen und Schülern und deren Eltern erhoben worden waren, nach den heutigen Maßstäben der ISCO-Standards neu zu kodieren und mit den Berufsprestigeskalen von heute zu korrelieren. Das Ergebnis dieser Rekodierung ergab Korrelationen der alten Kleining-und-Moore-Messung mit den modernen Skalen des Berufsprestiges von Wegener (1984) in der Größenordnung von r = 0,76 bis r = 0,80. Gleichermaßen wurden die damals im Alter von 15 Jahren offen erhobenen und nach Kleining und Moore gruppierten Berufswünsche der Jugendlichen neu nach ISCO und Wegener rekodiert. Wieder ergaben sich Korrelationen zwischen r = 0,73 und r = 0,81. Damit kann von einer hinreichenden Validität der „alten“ Messungen von sozialer Herkunft ausgegangen werden. Zur Berechnung von Zusammenhängen von Bildungslaufbahnen mit der sozialen Herkunft wird hier deshalb auf den Kleining und Moore Index (SES) der kodierten offenen Schülerangaben im Alter von 12 bis 15 Jahren zurückgegriffen.

Zu den Kernvariablen im Rahmen der intergenerationalen Mobilität gehört auch der Bildungsstatus der Eltern. Er wurde einmal durch Fragen an die Kinder (Welche Schulabschluss haben deine Eltern?) und zum anderen durch Fragen an die Eltern selbst erfasst (im Jahre 1980, Kinder waren 13-jährig und im Jahre 1982, Kinder waren 15-jährig). Nach dem Schulabschluss von Vater und Mutter wurde dabei getrennt gefragt.

Um einen Index für den wahrscheinlichsten Abschluss der Eltern zu konstruieren, wurde den Angaben der Eltern, und zwar von Vater und Mutter, Priorität zugesprochen. Die fehlenden Angaben wurden dann durch solche der Kinder aufgefüllt. Der so konstruierte Index verweist auf den höchsten familiären Bildungsabschluss (Vater oder Mutter). Er korreliert zwischen r = 0,42 und r = 0,57 mit Indikatoren der sozialen Schicht.

5 Ergebnisse

Den oben formulierten Fragestellungen folgend, sollen hier vor der Überprüfung der beiden Fragestellungen nach Durchlässigkeitseffekten und Schulsystemeffekten auf die Chancengleichheit, die Zusammenhänge zwischen dem Bildungshintergrund des Elternhauses und dem ihrer Kinder berichtet werden (vgl. Abschn. 5.1). Es wird erwartet, dass die bekannten Zusammenhänge repliziert werden können. Ein besonderer Akzent wird jedoch darauf liegen, Aufstiege und Abstiege zu dokumentieren und den Einfluss des elterlichen Bildungsniveaus auf dem Hintergrund des Kompetenzniveaus der Kinder zu spiegeln.

Die intergenerationale Transmission der Bildungswege wird von herkunftsabhängigen Erwartungen reguliert. Erfolgserlebnisse und Enttäuschungen sind die Begleiter der Bildungswege. Die Abfolge von Erreichtem oder Nichterreichtem wird in der LifE-Studie ab der 6. Schulstufe beschreibbar. Dabei kann jeweils von den Wünschen, den realistischen Aspirationen (wahrscheinlich erreichter Abschluss) und den wahrgenommenen Elternerwartungen ausgegangen werden. Zusätzlich können zweimal bei den Eltern erfasste Aspirationen, jene im 13. und 15. Lebensjahr ihrer Kinder, berücksichtigt werden. Die höchsten erreichten Abschlüsse im allgemeinbildenden Schulwesen bilden die entscheidende Etappe der untersuchten Bildungswege, die höchsten Ausbildungsabschlüsse die nächste. Als Endpunkt der Berufsverläufe wird der mit 35 Jahren erreichte Beruf herangezogen. Dabei stehen jeweils das Veränderungspotenzial von Erwartungen und Verläufen sowie die Bedeutung der sozialen und kulturellen Herkunft im Vordergrund.

Diese Darstellung wird im Rahmen der ersten Frage nach Chancengleichheitseffekten von Merkmalen des Bildungswesens auf die Frage zugespitzt, ob die Durchlässigkeit am Ende der Sekundarstufe I und die hier zu beobachtenden Übergänge bis zum endgültig erreichten Bildungsabschluss eher zu größerer oder geringerer Chancengleichheit beitragen, also herkunftsneutral oder herkunftsabhängig genutzt werden.

In einem weiteren Analyseschritt (vgl. Abschn. 5.2) wird der Einfluss veränderter Organisationsformen der Sekundarstufe I in der Gestalt unterschiedlich langen gemeinsamen Lernens auf die Veränderung des Zusammenhangs zwischen Herkunft und Bildungs- bzw. Berufsbildungsabschlüssen untersucht werden. Wenn nach der Interaktion dieser institutionellen Merkmale mit der sozialstrukturellen Position der Familie gefragt wird, dann geschieht dies in der Perspektive der kurzfristigen bzw. langfristigen Gewichte institutioneller bzw. sozialstrukturellen Faktoren für die Herstellung von Chancengleichheit.

5.1 Bildungslaufbahnen und intergenerationale Transmission in der LifE-Studie

In einem deskriptiven Überblick soll hier einleitend dargestellt werden, wie in der LifE-Studie die intergenerationale Transmission von Bildungspositionen der Eltern auf ihre Kinder aussieht. Dabei müssen wir im Auge behalten, mit welchen Jahrgängen, mit welchen Kohorten wir es zu tun haben. Zu keiner Zeit haben sich Chancen, höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen, so schnell gewandelt wie im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Dies bildet sich auch in der LifE-Studie ab. So hatten die Väter und Mütter unserer 1965/66 Geborenen, der Hauptkohorte in der LifE-Studie, deutlich niedrigere Bildungschancen. 7 % der Mütter und 14 % der Väter hatten als Abschluss das Abitur. Deren Töchter und Söhne erwarben zu 30 bzw. zu 35 % diesen Abschluss.

5.1.1 Intergenerationale Transmission: Bildungsaufstiege und Bildungsabstiege

Bildungsaufstiege und -abstiege im intergenerationalen Vergleich sind auf allen Bildungsniveaus möglich. Ein Aufstieg von einer ungelernten Tätigkeit der Eltern zu einer beruflichen Lehre der Kinder kann subjektiv als hoch bedeutsam erlebt werden. Gleiches gilt für Aufstiege vom Hauptschulniveau der Eltern zu einem mittleren Bildungsabschluss der Kinder. Am klarsten kommen Aufstiege im deutschen Bildungswesen durch Wege ins Gymnasium zum Ausdruck. Diese Schulform repräsentiert im deutschen Sprachraum die Leitinstitution (siehe Tenorth 2008) für attraktive Bildungsverläufe. Für jene Eltern, die selber diese Institution durchlaufen haben, wird der Erhalt des Bildungsniveaus bei den Kindern zum Fokus aller Bemühungen, dessen Misslingen tief greifende familiäre Krisen auslösen kann (siehe Schmeiser 2003; Fend 2010). Auf die Reproduktion der gymnasialen Erfahrungen von Eltern bei ihren Kindern konzentriert sich deshalb die folgende Analyse.

In Tab. 2 ist dokumentiert, wie viele Kinder von Eltern, die das Abitur erreicht hatten, wieder diesen Bildungsstand erreichten, also erfolgreich den elterlichen Aspirationen entsprechen konnten. Aus ihr geht auch hervor, wie viele Eltern, die nie ein Gymnasium besucht hatten, bei ihren Kindern den Bildungsaufstieg ins Gymnasium erlebten. In Tab. 2 sind zudem jene Studien angeführt, aus denen die intergenerationale Transmission des Bildungsstatus des Elternhauses in gleicher Weise, wie dies in der LifE-Studie geschah, rekonstruiert werden konnte.

Tab. 2 Realisierung von Gymnasialabschlüssen von Kindern (ohne Fachhochschulreife) nach gymnasialem Hintergrund der Eltern (Zeilenprozente)

Wenn mindestens ein Elternteil das Abitur erworben hatte, dann erreichten 64 % ihrer Kinder dies ebenfalls. Die niedrigste Quote fanden wir, wenn nur ein Elternteil ein Gymnasium besucht hatte, die größte, wenn beide Eltern einen Hochschulabschluss erreicht hatten. Im letzteren Fall stieg die Erfolgsquote bei den Kindern bis auf 90 % (ohne Tab.). Wenn weder Vater noch Mutter ein Gymnasium durchlaufen hatten, erlebten ihre Kinder in unserer Kohorte zu ca. 30 % einen Bildungsaufstieg ins Gymnasium. Die Chancen zum Abitur zu kommen sind also in hohem Maße vom Bildungshintergrund der Eltern abhängig. Sie stehen aufgrund der LifE-Daten für Kinder aus nichtgymnasialen bzw. gymnasialen Elternhäusern 1:4 (odds-ratios). In diese Daten sind die Abschlüsse mit Fachhochschulreife nicht einbezogen, um den Vergleich mit anderen Studien zu ermöglichen. Wird die Fachhochschulreife mit einbezogen, dann verändert sich das Bild nur unwesentlich (36 % Bildungsaufstieg in nichtgymnasialen Familien, 67 % Bildungsreproduktion in gymnasialen Familien). Ähnliche Übergangsquoten finden sich in mehreren Studien (siehe Tab. 2), die den Vergleich von elterlichem Bildungshintergrund und dem Bildungsabschluss ihrer Kinder vorgenommen haben bzw. zu rekonstruieren erlauben. Die LifE-Befunde stimmen damit mit den intergenerationalen Transmissionen der gymnasialen Schullaufbahnen, die in mehreren Studien gefunden wurden, überein. Sie sind also in dieser Hinsicht gut belastbar. Neben den deutlich größeren Bildungserfolgen von Kindern, deren Eltern bereits gymnasiale Erfahrung hatten, wird in Tab. 2 auch sichtbar, dass zwischen 30 und 40 % der Kinder nicht das Bildungsniveau ihrer Eltern erreichten. Die innerfamiliären Konflikte, die damit verbunden sein können, sind beträchtlich. So lebten ca. 40 % der Jungen, die aus gymnasialen Elternhäusern kamen und diesen Bildungsstatus nicht erreichten, in Scheidungsfamilien (siehe Fend 2010).

5.1.2 Sozioökonomischer Status und Bildungslaufbahnen

Der Effekt des sozioökonomischen Status des Elternhauses (SES nach Kleining und Moore) auf die Bildungslaufbahnen, der die gesamte bildungssoziologische Literatur durchzieht, lässt sich in der LifE-Stichprobe ebenfalls nachweisen (Tab. 3). Der Längsschnittcharakter dieser Studie erlaubt es, den Herkunftseffekt im Lebenslauf darzustellen, etwa für die in Klasse 9 besuchte Schulform, für den höchsten Bildungsabschluss und für die höchste erreichte Berufsausbildung. Markant kommt er beim Gymnasialbesuch, bei der Hochschulreife und beim Hochschulbesuch zum Vorschein. 19 % der Mädchen aus der Arbeiterschicht waren in der 9. Schulstufe auf dem Gymnasium, 15 % von Arbeiterschicht-Mädchen machten das Abitur, aber nur noch 3 % einen Universitätsabschluss, 4 % einen Fachhochschulabschluss. Im Verlauf der Bildungslaufbahn dünnte sich damit die Beteiligung unterer sozialer Schichten immer stärker aus. Mädchen aus der Arbeiterschicht mit Abitur machten beispielsweise zu 64 % eine Lehre, Mädchen aus der Oberschicht zu 30 %. Bei Jungen sah das Verhältnis mit 36 zu 24 % etwas ausgeglichener aus (ohne Tab.). Die Lebenslaufanalyse der herkunftsabhängigen Bildungsstationen legt somit nahe, dass sich diese Differenzen in der Bildungsbeteiligung lebensgeschichtlich gesehen verstärken.

Tab. 3 Soziale Herkunft und Bildungsverlauf bei Mädchen und Jungen – LifE-Daten (Herkunft nach SES – Kleining und Moore, Arbeiterschicht: 5–7, Mittelschicht: 4, Oberschicht: 1–3), alle Schülerinnen und Schüler, außer Gesamtschülerinnen und -schüler (in der 9. Stufe nicht in Schulformen eingeteilt, Prozentsätze)

5.1.3 Bildungslaufbahnen als meritokratischer Prozess

Die Realisierung elterlicher Erwartungen in Bezug auf die Bildungslaufbahnen der Kinder muss sich an den Regeln orientieren, die Bildungsaufstiege in einem modernen Bildungswesen ermöglichen. Zu diesen Regeln zählen jene, die die Erfüllung oder das Verfehlen von schulischen Leistungsanforderungen definieren. Die Soziologie spricht dabei von der Geltung des meritokratischen Prinzips.

Das meritokratische Prinzip, umgangssprachlich auch Leistungsprinzip genannt, wird in seiner Anwendung auf das Bildungswesen in der Regel so interpretiert, dass ausschließlich die Leistungen und Begabungen der Schülerinnen und Schüler deren Bildungslaufbahnen regulieren sollten. Wenn es realisiert wäre, dann müssten die vom elterlichen Bildungshintergrund beeinflussten Chancen der Bildungsreproduktion bzw. des Bildungsaufstiegs über die Leistungen der Kinder bzw. über ihre kognitiven Kompetenzen vermittelt sein. Sie würden dann vor allem davon abhängen, welche „Begabung“ ein Kind hat bzw. welche Schulleistungen es erbringt. Bei gleicher Begabung und gleichen Leistungen sollte sich der Einfluss der sozialen Herkunft auflösen oder zumindest hoch bedeutsam reduzieren.

Die LifE-Daten erlauben nur eine Annäherung an die empirische Überprüfung dieser Frage. Es wurden nämlich weder sprachfreie Intelligenztests eingesetzt noch konnte das fachliche Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler getestet werden. Um die Wirksamkeit des Leistungsprinzips einzuschätzen, wird im Folgenden die „verbale Kompetenz“ des Kindes als Indikator für das schulische Lernpotenzial eines Kindes herangezogen. Er besteht in der LifE-Studie in der wiederholten Administration eines Wortverständnistests der IEA (International Association for the Evaluation of Educational Achievement; Thorndike 1973), der für die LifE-Studie adaptiert wurde. Es handelt sich um die Identifikation von richtigen Wortpaaren: ob sie das Gleiche oder ob sie das Gegenteil bedeuten (z. B. Dekoration – Ornament, autark – eigenständig, absolut – relativ). Er wurde im Alter von 13, 14 und 15 Jahren eingesetzt und zu einem Gesamtscore über drei Jahre aggregiert. Die Korrelationen mit der Position in der schulischen Leistungshierarchie nach Noten und Schulformzugehörigkeit in denselben Jahren betragen r = 0,50. Die plausibelste Interpretation dieses Scores ist die, ihn als Indikator für sprachliche Kompetenzen zu sehen, die aus dem langjährigen Zusammenspiel von genetischem Potenzial, Förderung im Elternhaus und der Schule resultieren.

Die Effekte des elterlichen Bildungsniveaus und der Kompetenz bzw. deren Interaktion werden in einer logistischen Analyse sichtbar. Dazu wurden drei Kompetenzgruppen gebildet und – im Rahmen der Fragestellung nach der intergenerationalen Transmission – sowohl der elterliche Bildungshintergrund als auch das erreichte Bildungsniveau der Kinder am Kriterium der Gymnasialerfahrung bzw. des erreichten oder nichterreichten Abiturs dichotomisiert. Tabelle 4 enthält die entsprechenden Tests einer logistischen Analyse. Sie zeigt, dass insbesondere die Zugehörigkeit der Kinder zum oberen Kompetenzniveau einen starken Effekt auf die Bildungsreproduktion bzw. auf den Bildungsaufstieg hat (9,9-mal höhere Chancen zum Abitur zu kommen als aus der niedrigen Kompetenzgruppe). Unabhängig davon bleibt der elterliche Bildungshintergrund hoch signifikant (2,9-mal höhere Chance zum Abitur zu kommen), während wir keine signifikante Interaktion finden. Lediglich bei der Gruppe von Kindern mit mittlerer Intelligenz ergibt sich ein Trend zu einer Interaktion mit dem elterlichen Bildungshintergrund (p = 0,11).

Tab. 4 Logistische Analyse des von Kindern erreichten Bildungsniveaus (dichotomisiert: kein Abitur/Abitur) – ohne Fachhochschulreife; zweifaktorielles Modell mit Interaktion

Um die in Tab. 5 belegten Effekte des Kompetenzniveaus und des elterlichen Bildungshintergrunds anschaulich zu demonstrieren, wird in Tab. 5 der Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Eltern (operationalisiert als gymnasialer bzw. nichtgymnasialer Hintergrund) und den gymnasialen Bildungsabschlüssen den Kinder für drei Kompetenzniveaus aufgegliedert.

Tab. 5 Bildungsaufstieg und Bildungsabstieg nach Kompetenzgruppen – LifE-Daten (verbale Kompetenz, gemessen im Alter von 13, 14 und 15 Jahren, Summenwert über drei Jahre), Terzile (Wertebereich 30–42/43–47/48–60); Bildungsniveau der Kinder: ohne Abitur, mit Abitur (ohne Fachhochschulreife)

Tabelle 5 zeigt einmal, dass in allen drei Kompetenzgruppen Zusammenhänge zwischen dem elterlichen und dem kindlichem Bildungsniveau erhalten bleiben. Gleichzeitig wird sichtbar, dass diese Zusammenhänge in den unteren, den mittleren und den hohen Kompetenzgruppen unterschiedlich sind. Die oben angesprochene Interaktion zwischen dem mittleren Kompetenzdrittel und dem elterlichen Hintergrund zeigt sich hier in anschaulichen Übergangswahrscheinlichkeiten und den entsprechenden odds-ratios. Sie sind in der mittleren Kompetenzgruppe besonders ausgeprägt. Hier betragen die odds-ratios etwa 1:7, im Vergleich zu etwa 1:3 in den anderen Gruppen. Nach den Tests in Tab. 4 ergibt sich jedoch nur ein Trend der Signifikanz von 0,11 %.

Der Vorteil eines bildungserfahrenen Elternhauses für den erreichten Bildungsstand der Kinder (Abitur/kein Abitur) wirkte sich somit tendenziell bei einer durchschnittlichen verbalen Kompetenz der Kinder am stärksten aus. Bei diesem Kompetenzniveau kam es besonders auf das Bildungsniveau des Elternhauses an. Unübersehbar hatte aber auch das Kompetenzniveau für sich Auswirkungen auf das erreichte Bildungsniveau: bei Eltern ohne Abitur stiegen die Abiturchancen der Kinder mit steigendem Kompetenzniveau von 11 auf 55 %, bei Eltern mit Abitur von 26 auf 82 %. Aufschlussreich ist schließlich, dass bei Kindern im mittleren Kompetenzbereich aus Nichtabiturfamilien die Abiturchancen gegenüber Kindern aus dem unteren Kompetenzdrittel nicht anstiegen. Im Gegensatz zu den Abiturfamilien nützte es diesen Kindern nichts, wenn sie nicht im unteren Kompetenzdrittel, sondern im mittleren Kompetenzdrittel waren. Sie mussten im oberen Kompetenzdrittel sein, um die gleichen Chancen zu haben, das Abitur zu machen, wie die Kinder aus Abiturfamilien des mittleren Kompetenzdrittels. Dies verweist deutlich auf den Sachverhalt, dass Abiturfamilien „erfolgreicher“ als Nichtabiturfamilien waren, ihre Kinder auch bei durchschnittlicher Kompetenz zum Abitur zu bringen. Gleichzeitig hatten Eltern mit gymnasialem Hintergrund auch häufiger Kinder im oberen Kompetenzdrittel (51 %) als Eltern ohne gymnasialen Hintergrund (37 %, χ2 p < 0,01).

Die herkunftsbedingten Bildungschancen von Kindern bei vergleichbarem Kompetenzniveau zeigten schon die Gesamtschuluntersuchungen in den 1970er-Jahren (vgl. Fend 1982). Plastisch kommt dies in Tab. 6 zum Ausdruck, in der die Schülerinnen und Schüler der 9. Schulstufe nach Schulform und sozialer Herkunft (Erhebung im Schuljahr 1978/79) in drei Intelligenzgruppen eingeteilt sind. Hier wurde im Kontrast zur LifE-Studie die „Intelligenz“ durch einen sprachfreien Test gemessen (CFT 20; Weiss 1987), in den Fördereffekte des Elternhauses und der Schule weniger eingehen sollten als beim oben beschriebenen verbalen Kompetenztest. Es zeigten sich schon damals analoge Ergebnisse zu jenen der LifE-Studie.

Tab. 6 Besuchte Schulform in der 9. Schulstufe nach Intelligenzgruppen und sozialer Herkunft (Zeilenprozente); Gesamtschulstudie 1978/79 (Fend 1982); Stichprobe: Schülerinnen und Schüler des dreigliedrigen Bildungswesens in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen

Die Wahrscheinlichkeit, im Gymnasium zu sein, war unübersehbar von der sozialen Herkunft abhängig, und zwar auch bei Konstanthaltung der „Intelligenz“. Selbst wenn Kinder der Arbeiterschicht zum obersten Intelligenzdrittel gehörten, gingen sie nur zu 19 % ins Gymnasium. Vergleichsweise waren 43 % der Oberschichtkinder im Gymnasium, selbst wenn sie zum unteren Drittel in der Intelligenzverteilung gehörten.

Man würde beim Vergleich dieser Daten aus den 1970er-Jahren mit heute vermuten, dass sich die Chancengerechtigkeit, also das Verhältnis von Begabung und Bildungschancen, in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Bildungsexpansion stark verbessert hat. Besonders durch die PISA-Studien hat sich jedoch erneut erhärtet, wie groß der Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungsgänge und Leistungsniveaus auch heute noch ist. Die neuesten Ergebnisse repräsentativer Studien zeigen weiterhin herkunftsabhängige Bildungschancen (Allmendinger und Aisenbrey 2002; Baumert und Schümer 2002; Ditton und Krüsken 2006; Bos et al. 2007). Durch diese jüngeren Forschungsergebnisse bleibt die Frage der Ursachen der Chancenungleichheit im Bildungswesen weiterhin virulent.

5.1.4 Regulative Prozesse: Bildungserwartungen und Bildungsverläufe von der 6. Schulstufe bis zum 35. Lebensjahr

Unübersehbar kann mit den Daten der LifE-Studie nicht differenziert untersucht werden, welchen Anteil primäre und sekundäre Faktoren an der Generierung von Chancenungleichheit haben. Sie weisen nur darauf hin, dass sowohl primäre Faktoren der Förderung als auch sekundäre Faktoren der schichtabhängigen Entscheidungsfindung zu den deutlichen Zusammenhängen zwischen dem Bildungsniveau des Elternhauses und dem der Kinder führen. Die LifE-Studie enthält nämlich keine direkten Informationen, wie im Zusammenspiel von Schule und Elternhaus an einzelnen Übergängen Bildungswege reguliert werden und welche Anteile dabei primäre und sekundäre Faktoren als Einflussgrößen auf die Bildungslaufbahnen haben. Dazu gibt es in der letzten Zeit sehr aussagekräftige Studien, die hier nicht repliziert werden können (Baumert et al. 2009).

Die Analyse der Bildungserwartungen ermöglicht in der LifE-Studie jedoch eine Annäherung an die Frage der regulativen Prozesse der Bildungslaufbahngestaltung. Die Bildungswege werden intensiv durch und zwischen den Akteuren erarbeitet und ausgehandelt. Welchen Ansprüchen und Leistungserwartungen ein Kind genügen kann, wird im schulischen Prozess immer wieder getestet. Über die Leistungsergebnisse der Schülerinnen und Schüler werden die Grundlagen für Bildungswege geschaffen und zukünftige Chancen eingeschätzt. Dabei sind Eltern je nach ihrem eigenen Bildungshintergrund unterschiedlich selbstbewusste und kompetente Akteure, wenn es um diese Einschätzungen und die Realisierung von Bildungsaspirationen geht. Ihren Erwartungen an die Kinder auf dem Hintergrund der eigenen Bildungslaufbahn kommt eine Schlüsselrolle zu. Sie geben damit mehr oder weniger flexibel die Bildungsziele vor. Im einem Rational-Choice-Modell repräsentieren sie die Präferenzen. In der LifE-Studie kann der Bedeutung dieser Zielregulierung von der 6. Schulstufe bis zu den im 35. Lebensjahr erreichten Abschlüsse und Berufspositionen nachgegangen werden. Sie enthält sowohl Informationen über Bildungserwartungen der Eltern als auch Informationen über die Bildungserwartungen der Kinder.

Schulabschlusserwartungen in der 6. Schulstufe und ihre Realisierung bis zum 35. Lebensjahr

Den Ausgangspunkt bilden hier die Bildungserwartungen der Kinder und der Eltern in der 6. Schulstufe, also etwa im 12. Lebensjahr. Tabelle 7 zeigt die lange Lebensspanne von diesem Zeitpunkt bis hin zu den Schulabschlüssen, die bis zum 35. Lebensjahr tatsächlich erreicht wurden. Viele der realistischen Erwartungen der Kinder haben sich erfüllt. Wer das Abitur erwartete, der hat es – zusammen mit der Fachhochschulreife – zu 74 % auch geschafft, diesen Abschluss zu erreichen. Ähnlich ging es Kindern, die die mittlere Reife (Realschulabschluss oder vergleichbar) erwarteten. Auch sie haben zu 77 % dieses Ziel erreicht, etwa 13 % haben niedrigere und 17 % höhere Abschlüsse zu verzeichnen.

Tab. 7 Erwarteter (als „wahrscheinlich“ angenommener) Schulabschluss und wahrgenommene Schulabschlusserwartungen der Eltern mit 12 Jahren und höchster Bildungsabschluss mit 35 Jahren – alle Erwartungen, unabhängig von der besuchten Schulform bzw. des besuchten Bildungswesens (Zeilenprozente; ohne die Kategorie „weiß nicht“)

Wer in der 6. Schulstufe einen Hauptschulabschluss erwartet hatte, erreichte zu über 70 % bis zum 35. Lebensjahr auch keinen höheren Abschluss. 22 % der Kinder mit Hauptschulerwartung brachten es aber zur mittleren Reife, 6 % sogar noch weiter. In der Summe erreichten rund 28 % aller Kinder einen anderen Abschluss als den in der 6. Schulstufe erwarteten, in vier von zehn Fällen einen höheren, in sechs einen niedrigeren.

Tabelle 7 enthält auch die von den Kindern wahrgenommenen Wünsche der Eltern. Sie wurden weniger oft realisiert, das heißt sie wichen klarer von den erreichten Bildungszielen ab. Zwischen 60 und 66 % der Elternerwartungen gingen in Erfüllung. Die realistische Einschätzung der Kinder selber war somit vorhersagekräftiger als die schülerseitig wahrgenommenen Erwartungen der Eltern.

Ähnliche Relationen finden wir, wenn wir die Abschlusswünsche der Kinder (erst ab der 7. Stufe erhoben) bzw. die von Eltern selbst mitgeteilten Abschlusserwartungen (ebenso erstmals in der 7. Schulstufe erhoben) als Ausgangspunkte wählen. Die Wünsche wichen allerdings erwartungsgemäß etwas stärker von den tatsächlich erreichten Abschlüssen ab (ohne Tab.).

Realistische Erwartungen und perzipierte Elternerwartungen repräsentierten somit mit etwa 12 Jahren (6. Schulstufe) schon bei etwa drei Vierteln der Schülerinnen und Schüler den endgültig erreichten Abschluss im allgemeinbildenden Schulwesen. Bei ca. 25 bis 30 % beobachteten wir eine Veränderung.

Ob diese Erwartungen und Wünsche der Akteure eine regulative Bedeutung haben, kann mit der obigen Analyse nicht belegt werden. Dazu sind weitere Analyseschritte erforderlich. Da wir die Schulabschlusserwartungen der Eltern (von Kindern wahrgenommen und real) kennen, können wir der Frage nachgehen, ob die mit der aktuell besuchten Schulform konkordanten oder diskordanten Elternerwartungen einen zusätzlichen Einfluss auf den endgültig erreichten Schulabschluss haben. Wir können dies für den Vergleich der Schulformzugehörigkeit in der 7. Schulstufe mit dem endgültig erreichten Bildungsniveau berechnen. Die 7. Schulstufe wird hier deshalb gewählt, weil zu diesem Zeitpunkt alle Schülerinnen und Schüler außer den Gesamtschülerinnen und -schülern in drei Schulformen aufgeteilt waren. Im 6. Schuljahr war ca. ein Drittel der Schülerschaft noch in hessischen Förderstufen.

Tabelle 8 dokumentiert, dass unabhängig von der besuchten Schulform die elterlichen Bildungsaspirationen die weiteren Bildungslaufbahnen ihrer Kinder mitbestimmten. Kinder auf der Hauptschule, die höhere Aspirationen der Eltern berichteten, erreichten tatsächlich höhere Abschlüsse (C = 0,32, χ2 p < 0,01). Gleiches galt für Realschülerinnen und -schüler (C = 0,22, χ2 p < 0,01). Umgekehrt erreichten Kinder in Gymnasien das Abitur seltener, wenn ihre Eltern eher eine mittlere Reife wünschten. Hier ist der Einfluss aber nicht mehr signifikant (C = 0,10). Dies verweist darauf, dass die Dynamik noch beträchtlich ist und dass die Präferenzen des Elternhauses treibende Kräfte sind.

Tab. 8 Schulformzugehörigkeit im 7. Schuljahr, wahrgenommene Schulabschlusswünsche der Eltern (Schülerangaben) und erreichte höchste Schulabschlüsse bis zum 35. Lebensjahr; ohne Schülerinnen und Schüler in Gesamtschulen (Zeilenprozente)

Bildungsstatus der Eltern, Bildungserwartungen und Bildungslaufbahnen der Kinder Da die Generation der LifE-Studie in der Phase der Bildungsexpansion aufgewachsen ist, dürften die Präferenzen der Eltern auf Bildungsaufstieg ihrer Kinder ausgerichtet gewesen sein. Dem war auch so. Die Aufstiegsorientierung der Eltern ist in den beiden Elternbefragungen (1980 und 1982) der LifE-Studie gut ablesbar. Hatten Vater oder Mutter einen Hauptschulabschluss, dann erwarteten sie vor allem einen mittleren Abschluss (60 %), hatten sie einen mittleren Abschluss, dann wünschten sie zu 41 % für ihre Kinder das Abitur. Familien, in denen mindestens ein Elternteil das Abitur hatte, waren vor allem an der Statuserhaltung (61 % Abiturerwartung) orientiert.

Dies ist weniger überraschend als der Sachverhalt, dass die Schulabschlusswünsche der Eltern, als ihre Kinder in der 7. Schulstufe waren, auch dann hochgradig den tatsächlichen Schulabschluss ihrer Kinder (bis 35) vorhersagen ließen, wenn sie selber einen eher niedrigen Abschluss hatten. Selbst wenn Eltern nur einen Hauptschulabschluss hatten, wurde der Wunsch nach dem Abitur bei 75 % der Kinder erfüllt. Hatten die Eltern schon das Abitur und erwarteten dieses wieder von ihren Kindern, dann erreichten sie dies zu etwa 80 % (Tab. 9). Gestützt wurden diese höheren Erwartungen und erreichten Ziele auch durch die größere verbale Kompetenz der Kinder, die wir in den Lebensjahren 13 bis 15 gemessen hatten.

Tab. 9 Höchster familiärer Schulabschluss, für die Kinder gewünschter Schulabschluss der Eltern in der 7. Klasse (Elternangaben) und erreichter höchster Schulabschluss mit 35 (Zeilenprozente)

Damit zeigt sich die regulative Bedeutung von Bildungserwartungen, und damit der Präferenzen der Eltern, ein weiteres Mal. Bei gleichem Bildungsstatus des Elternhauses wirken sich seine differenzielle Wünsche für die Kinder auf den endgültig erreichten Bildungsabschluss aus. Diese Bildungserwartungen der Eltern waren begleitet von höheren verbalen Kompetenzen der Kinder (ohne Tab.).

5.1.5 Bildungserwartungen und berufliche Positionen im 35. Lebensjahr

Den längsten Weg zwischen Erwartung und Erfolg, der in der LifE-Studie abbildbar ist, geht von den Bildungserwartungen im 12. Lebensjahr bis zum im 35. Lebensjahr erreichten Beruf. Diese Langzeitperspektive ist in Tab. 10 dokumentiert. Über 60 % der Jungen mit Hauptschulabschlusserwartungen fanden sich 23 Jahre später in manuellen Arbeiterberufen.Footnote 1 Mädchen mündeten vor allem in Routinedienstleistungen und in die untere Dienstklasse (zusammen ca. 70 %) ein. Auffallend wenige Mädchen (7 %) gelangten in die obere Dienstklasse. Jungen taten dies dreimal häufiger (ca. 22 %). 10 % der Mädchen mit Abiturerwartungen erreichten die obere Dienstklasse. Bei Jungen war dies dreimal häufiger der Fall, obwohl in den 9. Klassen der Gymnasien mehr Mädchen anzutreffen waren als Jungen.

Tab. 10 Wahrscheinlich erreichbarer Schulabschluss in der 6. Schulstufe und Berufsposition mit 35 Jahren (aufgegliedert nach Geschlecht; Zeilenprozente)

Zwischen den Schulabschlüssen und den im 35. Lebensjahr erreichten beruflichen Positionen stehen lange Wege und oft schwierige Übergänge. Arbeitslosigkeitserfahrungen, Ausbildungsabbrüche und Mehrfachausbildungen charakterisieren häufig diese Wege. Ca. 30 % der Teilnehmer an der LifE-Studie machten Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit (Glaesser 2009; Weil und Lauterbach 2010). Mehrfachausbildungen nahmen mit steigendem Abschlussniveau zu, von 27 % bei Hauptschulabschlüssen auf 61 % bei einem Abschluss mit Abitur bzw. Fachhochschulreife (Lauterbach und Weil 2009; Weil und Lauterbach 2010). Dabei können schlechte Leistungen in ersten Ausbildungen kompensiert und über Mehrfachausbildungen neue Marktzugänge aufgebaut werden. Dennoch ist die Pfadabhängigkeit der Bildungsverläufe, von den Ausgangsniveaus her gesehen, sehr deutlich. Erwartungen im 6. Schuljahr spurten für ca. 70 % der Kinder die Bandbreite weiterer Chancen vor. Veränderungen ergaben sich besonders dann, wenn Eltern höhere Präferenzen hatten als solche, die den jeweiligen Schulformzugehörigkeiten der Schülerinnen und Schüler auf der Sekundarstufe I entsprochen hätten. Dies führt konsequenterweise in die „klassische“ Analyse, welche Bedeutung der Bildungshintergrund des Elternhauses für die Schullaufbahnen der Kinder hat.

5.2 Die Bedeutung institutioneller Gestaltungsfaktoren für die Reduzierung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungslaufbahn

Wenn man bei der bildungspolitischen Gestaltung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungserfolg versucht, über Veränderungen im Bildungswesen eben diesen zu reduzieren, dann unterstellt man, dass die schulischen Regulierungen von Bildungswegen einen Einfluss haben könnten. Statistisch gesehen müsste es dann Interaktionen zwischen Merkmalen des Bildungswesens und der Bedeutung der sozialen Herkunft für Bildungswege geben.

Den Fragestellungen dieses Beitrags folgend, soll hier zwei Gestaltungsmerkmalen des Bildungswesens besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden: Zum einen der Offenheit der Bildungswege und damit der Durchlässigkeit der Bildungsgänge und zum anderen der unterschiedlich langen Organisation gemeinsamen Lernens auf der Sekundarstufe I.

5.2.1 Offenheit der Bildungswege

Die Bildungswege vom 6. zum 9. Schuljahr sind im herkömmlichen Bildungswesen sehr stabil. Für diesen Zeitraum erlebten – nach den LifE-Daten – lediglich 5 % einen Schulformwechsel. Ab der 9. Schulstufe würde man dann auch die diesen Schulformen zugewiesenen Schulabschlüsse erwarten. Dies ist in beträchtlichem Umfange nicht der Fall.

So erreichten ca. 25 % einen anderen allgemeinbildenden Schulabschluss als jenen, der der besuchten Schulform im 9. Schuljahr entsprochen hätte. Der Übergang am Ende der Sekundarstufe I bildete damit für die „LifE-Kinder“ eine wichtige Drehscheibe der Bildungsmobilität (siehe Tab. 11). Dabei fällt für Frauen auf, dass sie besonders häufig nicht auf dem Niveau der Hauptschule blieben, sondern die mittlere Reife erreichten. Bei Männern war der Zug zum Abitur auffallend, der besonders von der Realschule aus sehr stark war. Ca. 36 % der männlichen Realschüler erwarben noch die Hochschulreife.

Tab. 11 Schulform im Alter von 15 Jahren und höchster erreichter Bildungsabschluss (Zeilenprozente) ohne Schülerinnen und Schüler in Gesamtschulen (nicht schulformzugeteilt; Prozentsätze)

Veränderungen in den Bildungswegen sind jedoch nur möglich, wenn auch die institutionellen Vorgaben entsprechende Opportunitäten schaffen. Die bildungspolitisch wichtige Frage ist die, ob es sich „lohnt“, das Ende der Sekundarstufe I als Drehscheibe zu institutionalisieren, also hier noch Chancen in das Bildungswesen einzubauen, neue Bildungswege einzuschlagen. Dies ist auf dem Hintergrund der LifE-Daten eindeutig der Fall.

In der Perspektive der Bedeutung der sozialen Herkunft stellt sich dabei die Frage, ob diese Drehscheibe herkunftsabhängig bzw. schichtspezifisch genutzt wird. Die Gegenerwartung könnte die sein, dass zu diesem Zeitpunkt die eigenen Erwartungen und Ziele der Kinder bedeutsam werden, die jetzt in der Lage sein könnten, selbst aktiv zu entscheiden, wohin ihre Bildungsreise gehen soll. Die LifE-Daten erlauben eine Gegenüberstellung dieser Positionen. In Tab. 12 ist abzulesen, ob der Bildungshintergrund des Elternhauses die Übergänge von der Schulstufenzugehörigkeit in der 9. Schulstufe in die „endgültigen“ Bildungsabschlüsse beeinflusst hat. Wer in der Hauptschule war und – in den seltenen Fällen – Eltern hatte, die einen gymnasialen Bildungshintergrund hatten, der hatte auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, tatsächlich noch einen höheren Abschluss zu erreichen. Gleiches war auch bei den Schülerinnen und Schülern in Realschulen der Fall. Aufgrund der geringen Zahlen waren aber innerhalb der einzelnen Schulformen diese Unterschiede nach dem Bildungshintergrund der Eltern nicht statistisch signifikant. Dennoch ist ein mäßiger Einfluss unübersehbar. Über alle Schulformen hinweg erreichte der elterliche Hintergrund auch bei dieser Drehscheibe von Entscheidungen in einer multinomialen logistischen Regression statistische Signifikanz (χ2 13,96, df = 4, p = 0,007).

Tab. 12 Schulformzugehörigkeit in der 9. Schulstufe, Bildungshintergrund des Elternhauses und höchste erreichte Bildungsabschlüsse ohne Gesamtschülerinnen und -schüler (Zeilenprozente)

Wie bedeutsam waren nun vergleichsweise die Eigenerwartungen der Kinder in der 9. Schulstufe? Die Ergebnisse dazu sind sehr klar und für alle Schulformgruppen signifikant (siehe Tab. 13). Die endgültig erreichten Bildungsabschlüsse waren im 9. Schuljahr in der Form von Erwartungen der Kinder im selben Schuljahr vorweggenommen. In Hauptschulen und Realschulen bestanden noch klare Aufstiegserwartungen, die dann auch in bedeutsamem Ausmaß realisiert wurden (χ2 127,71, df = 4, p < 0,000, multinomiale logistische Regression). Analoge Ergebnisse zeigten sich bei den Wünschen und den wahrgenommenen Elternerwartungen. Das Offenhalten von Bildungsabschlüssen bei der Drehscheibe am Ende der Sekundarstufe I kommt somit den Erwartungen und Anstrengungen der Kinder und Eltern entgegen. Zu diesem Zeitpunkt der Schullaufbahn werden die Kinder, wie es oben als wünschenswert angesehen wurde, zunehmend eigenständigere Akteure ihres eigenen Bildungsprojekts.

Tab. 13 Schulformzugehörigkeit in der 9. Schulstufe, realistische Bildungserwartungen der Schülerinnen und Schüler in der 9. Schulstufe und höchste erreichte Bildungsabschlüsse ohne Gesamtschülerinnen und -schüler (Zeilenprozente)

5.2.2 Dauer gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe I

Das Vermeiden früher Festlegungen von Bildungswegen (Müller-Benedict 2007; Berger und Kahlert 2008) durch eine Verlängerung gemeinsamen Lernens in Gemeinschaftsschulen gilt in der Diskussion um die Schwächung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Bildungswegen als Schlüsselstrategie. Um die Wirksamkeit dieses Instruments soll es im Folgenden gehen. Zwei Quellen aus dem eigenen Forschungsumkreis können dazu herangezogen werden: die „alten“ Gesamtschulstudien und die neueren Daten über Bildungsverläufe vom 12. zum 35. Lebensjahr in der LifE-Studie.

In den Gesamtschulstudien der 1970er-Jahre (Fend 1982) konnte fünfmal an umfangreichen Stichproben geprüft werden, wie groß die repräsentative Chancengleichheit (gleiche Vertretung aller Bevölkerungsgruppen in den entsprechenden Schulformen der Sekundarstufe I) im herkömmlichen Bildungswesen ist und ob die zentrale Erwartung an die Gesamtschule, die der Reduktion von Chancenungleichheit, erfüllt wird. In die Untersuchungen waren Schülerschaften der 6. und 9. Schulstufe einbezogen. Als Indikatoren der Bildungslaufbahnen dienten im herkömmlichen Bildungswesen die Schulformen der Hauptschulen, der Realschulen und der Gymnasien. In Gesamtschulen fehlte diese Einteilung, sodass hilfsweise ein Kursindex (Kurszugehörigkeiten in den Fächern Mathematik und Englisch) konstruiert wurde, der schulintern als Kriterium für mögliche Schulabschlüsse diente. Letzterer ist allerdings nur in Grenzen mit Schulformzugehörigkeiten vergleichbar. Im Rahmen dieser Unschärfen ergab sich aber in mehreren Gesamtschulstudien ein klares Ergebnis. Wir fanden bei allen Vergleichen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungslaufbahn der Schülerinnen und Schüler in Gesamtschulen geringer war als im gegliederten Bildungswesen. Besonders deutlich fiel die größere Chancengleichheit bei den Angebotsschulen (Gesamtschulen als Modellschulen neben herkömmlichen Schulen) ins Auge. Bei Gesamtschulen als flächendeckendem Regelangebot ohne markantem Creaming im Sinne des Wegfalls der gymnasialen Schülerschaft, wie dies im Kreis Wetzlar in Hessen der Fall war, fanden wir ebenfalls eine Reduktion der Chancenungleichheit, jedoch in geringerem Maße als bei Modellschulen.

Die größere Chancengleichheit in den Gesamtschulen in der 6. und 9. Schulstufe zeigte sich dabei auch dann noch, wenn die „Begabung“ konstant gehalten wurde bzw. wenn berücksichtigt wurde, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungswege bei Konstanthaltung der Leistungen (bedingte Chancengleichheit) gering sein sollte (Fend 2009).

In der LifE-Studie konnte diese Altersphase von der 6. zur 9. Schulstufe ebenfalls abgebildet werden. Hier war es zudem möglich, längeres oder kürzeres gemeinsames Lernen durch den Vergleich von herkömmlichen Schulformen, von Förderstufen (gemeinsames Lernen bis zur 6. Schulstufe) und Gesamtschulen (gemeinsames Lernen bis zum 10. Schuljahr) abzubilden. Gleichzeitig konnten Kurzzeiteffekte auf die Chancengleichheit (6. bis 9. Schuljahr) und Langzeiteffekte (endgültig erreichter Schulabschluss bzw. endgültig erreichte Berufsausbildung bzw. Berufspositionen bis zum 35. Lebensjahr) unterschieden werden.

Die Untersuchung der Kurzzeiteffekte vom 6. bis zum 9. Schuljahr erbrachte für den Vergleich von Gesamtschulen und herkömmlichen Schulen den gleichen Effekt reduzierter Chancenungleichheit wie in den früheren Gesamtschulstudien. Lediglich die Förderstufen zeigten keine größere Chancengleichheit. Die Daten belegten also (Fend 2009), dass Gesamtschulen während der Sekundarstufe I sozial weniger selektiv waren und eine engere Bindung der Laufbahnen an Begabungsvoraussetzungen erreichten.

In der LifE-Studie konnte zusätzlich zum Lebenszeitraum von der 6. zur 10. Schulstufe die Langzeitperspektive der bis zum 35. Lebensjahr erreichten Abschlüsse analysiert werden. Dabei zeigten sich keine Unterschiede mehr nach der Dauer des gemeinsamen Lernens auf die Größe des Einflusses der sozialen Herkunft für den erreichten Bildungs- und Ausbildungsabschluss. Gleich welches Bildungssystem die jetzt 35-Jährigen durchlaufen hatten, der Einfluss der sozialen Herkunft war immer gleich groß. Die Trennung nach dem 4. Grundschuljahr, nach dem 6. Jahr der Förderstufe oder das gemeinsame Lernen bis zum 10. Schuljahr erbrachten keine Unterschiede in der Determinationsstärke des sozialen und kulturellen Niveaus des Elternhauses für den Ausbildungsabschluss. In Abb. 1 ist dies für die Berufsausbildung im dualen bzw. vollzeitschulischen Bereich im Gegensatz zum Hochschulabschluss dargestellt. Die Verlängerung gemeinsamen Lernens allein erwies sich in der Langzeitperspektive nicht als nachhaltig genug, um substanziell die Chancengleichheit zu erhöhen. Analog zu den Ergebnissen der früheren Gesamtschulstudien (Fend 1982; Fend 2009) war dies für den Zeitraum des Schulbesuchs der Fall, aber nicht in der Lebensverlaufsperspektive. Es ergab sich keine mehrebenenstatistisch (Boke 1989; Raudenbush und Willms 1991) abgesicherte Interaktionen zwischen der sozialen Herkunft und dem besuchten Schulsystem bei der Prädiktion des letzten Ausbildungsniveaus (s. auch Fend 2009, S. 59 ff.). Bemerkenswert ist das Detailergebnis, dass im herkömmlichen Bildungswesen insgesamt häufiger höhere Abschlüsse erreicht wurden und davon die Mittelschicht am stärksten profitierte. Dahinter könnte sich jedoch ein Selektionseffekt verbergen.

Abb. 1
figure 1

Höchste Ausbildung (Schulabschluss und Berufsausbildung kombiniert) und soziale Herkunft in unterschiedlichen Schulsystemen

Schon in der alten Gesamtschulforschung hatte sich die Richtigkeit des Vorbehalts bestätigt, dass wir es bei den damaligen Schulen „längeren gemeinsamen Lernens“ und den herkömmlichen Schulen nicht mit von vornherein homogenen und gleichwertigen Schülerschaften zu tun haben. Auch in der LifE-Studie hatten die Gesamtschulen eine in Bezug auf das kognitive Grundleistungsniveau und die soziale Zusammensetzung negativ selegierte Schülerschaft (siehe Briechle 1987), was unter anderem in den Vergleichswerten des „verbalen Kompetenzniveaus“ zum Ausdruck kam. Das Kompetenzniveau war in Gesamtschulen signifikant niedriger als im herkömmlichen Bildungswesen (Kompetenzscore, summiert über drei Jahre: Gegliedertes Bildungswesen: 45,6, Gesamtschulen: 44,09, p < 0,001). Dies gilt es zu berücksichtigen. Längeres gemeinsames Lernen sollte sich deshalb besonders innerhalb von Begabungsgruppen auszahlen. Konkret wäre zu erwarten, dass „begabte Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern in Gesamtschulen größere Chancen haben sollten, einen hohen Bildungsabschluss zu erreichen als im herkömmlichen Bildungswesen mit den frühen Festlegungen.

Um dieser Frage nachzugehen, muss der Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau des Elternhauses und dem der Kinder nach Kompetenzgruppen spezifiziert werden. Dies ist mit den LifE-Daten für Schulsysteme mit unterschiedlich langem gemeinsamen Lernen möglich. Nach dem Kriterium der Chancengleichheit würde das Kompetenzniveau allein den Schulabschluss bestimmen. Wir wissen, dass dies nicht der Fall ist. Innerhalb gleicher Kompetenzgruppen bestimmt das Bildungsniveau des Elternhauses den höchsten erreichten Schulabschluss mit. Dieser Einfluss müsste aber, wenn längeres gemeinsames Lernen die faktischen Begabungen und faktischen Schulleistungen für die Schullaufbahn entscheidender machen würde, in Gesamtschulen geringer sein als in Schulen, die früh segregieren. Dieser Sachverhalt müsste in einer Interaktion zwischen der Begabungsgruppe, dem elterlichen Bildungshintergrund und dem Schulsystem zum Ausdruck kommen. Um dies zu prüfen, wurden drei Kompetenzgruppen gebildet und das Bildungsniveau des Elternhauses nach dem Kriterium der Gymnasialerfahrung dichotomisiert. Gleiches geschah mit dem erreichten Bildungsniveau der Kinder, das ebenfalls am Kriterium der erreichten Hochschulreife dichotomisiert wurde.

Eine logistische Analyse nach diesem Modell bestätigte die obige Erwartung nicht. Wir fanden keine signifikanten Interaktionen. Die Tab. 14 enthält deshalb die Ergebnisse der logistischen Analysen mit den drei Hauptfaktoren des Intelligenzniveaus, des elterlichen Bildungsniveaus und des Schulsystems, nachdem bei vorgängigen Analysen mit Interaktionen diese nicht signifikant wurden.

Tab. 14 Logistische Analyse des Erreichens der Hochschulberechtigung nach Intelligenzgruppe, elterlichem Bildungsniveau und Schulsystem; dreifaktorielles Modell, ohne Interaktionen

Sie zeigt auch, dass alle drei Faktoren (Kompetenzniveau, Bildungshintergrund der Eltern, Schulsystem) jeweils einen signifikanten Effekt auf das von den Kindern erreichte Bildungsniveau hatten. Die Chancen der Kinder im oberen Kompetenzdrittel waren im Vergleich zum unteren Drittel der Kompetenzverteilung 6,6-mal größer, die Hochschulreife zu erreichen, jene des mittleren beim gleichen Vergleich 1,68-mal so hoch. Die Chancen nach Bildungshintergrund der Eltern waren ebenfalls deutlich höher, hier um 3,9-mal größer, wenn die Eltern gymnasiale Erfahrung hatten [jeweils Exp(B)]. In den Gesamtschulen erreichten signifikant weniger Schülerinnen und Schüler die Hochschulreife als im herkömmlichen Bildungswesen. Letzteres konnten wir bereits auf Selektionseffekte in der Schülerschaft der Gesamtschulen (creaming-effect) zurückführen.

Aus der logistischen Analyse wird nicht mehr ersichtlich, welche Übergangswahrscheinlichkeit in der jeweiligen Subgruppe hier im Hintergrund stehen, welche Chancen zum Beispiel verschiedene Schülergruppen in unterschiedlichen Schulsystemen hatten. Eine solche konkrete Datenkenntnis erwies sich in dieser Lebenslaufdarstellung von Übergängen als sehr bedeutsam. Tabelle 15 enthält deshalb diese konkreten Übergänge. Sie zeigt (nochmals illustrativ und erwartungsgemäß), dass Schülerinnen und Schüler mit jeweils höherer verbaler Kompetenz auch höhere Chancen hatten, einen höheren Abschluss zu erreichen. Innerhalb aller Begabungsgruppen spielte sichtbar auch das elterliche Bildungsniveau für den endgültig erreichten Abschluss der Kinder eine signifikante Rolle. Diese Rolle unterschied sich aber nicht nach der längeren Offenheit der Bildungswege in Schulen längeren gemeinsamen Lernens. Davon gab es eine signifikante Ausnahme (im Sinne eines signifikanten χ2) in einer Subtabelle. Schülerinnen und Schüler mit Eltern, die selber keinen gymnasialen Hintergrund hatten, erreichten, wenn sie in der oberen Kompetenzgruppe waren, im herkömmlichen Bildungswesen eher das Abitur als in Gesamtschulen. Bei einer Erfüllung der Chancengleichheitshoffnungen durch die Gesamtschulen wäre das Gegenteil zu erwarten gewesen. Kinder aus bildungsfernen Schichten hätten bei „guter Begabung“ größere Chancen haben sollen, wenn sie nicht früh in Schulformen getrennt worden wären. Dieser Effekt ist aber – nicht zuletzt wegen den geringen Besetzungen in den hoch aufgegliederten Tabellen – nicht durchgehend stark genug, um in der logistischen Analyse signifikant zu werden, aber aufgrund der gegenläufigen Richtung zur Erwartung, welche Chancen längeres gemeinsames Lernen hätte eröffnen sollen, bemerkenswert.

Tab. 15 Intergenerationale Transmission des elterlichen Bildungsstatus nach verbalem Kompetenzniveau in unterschiedlichen Schulsystemen (Zeilenprozente), N = 994

Bei den obigen Analysen von Bildungsverläufen hat das Verhältnis von Erwartung und Zielerreichung eine große Rolle gespielt. Wir waren davon ausgegangen, dass Schulkarrieren präferenzengesteuert sind und Schulen mehr oder weniger stark in diese Präferenzen eingreifen. Sie weisen bei guten Schulleistungen der Kinder Eltern auf Chancen hin oder versperren erwünschte Wege. Die Kritik an herkömmlichen, früh selegierenden Schulen ist immer wieder formuliert worden: Sie versperren Wege zu einem Zeitpunkt, zu dem noch für viele unklar ist, wohin die Bildungslaufbahn führen kann. Schulen mit längerem gemeinsamen Lernen sind offener für spät erst aufblühende Leistungen von Kindern, sie halten die Erwartungen der Eltern noch stärker in der Schwebe, sie sind zukunftsoffener. So müsste auch der Erwartungshorizont der Eltern noch länger flexibler sein. Die Zusammenhänge zwischen frühen Erwartungen und ihrer Erfüllung hätten dann niedriger zu sein, wenn die Schule durch längeres gemeinsames Lernen auch länger Bildungswege offenhalten würde. Dieser Frage nach differenziellen Beziehungen zwischen frühen Erwartungen und deren Erfüllung in unterschiedlichen Schulsystemen können wir in der LifE-Studie nachgehen. Als frühe Erwartungen definieren wir hier jene in der 6. Schulstufe, als erreichte Ziele jene, die bis zum 35. Lebensjahr realisiert wurden.

Die Hypothese ist die, dass die Zusammenhänge zwischen frühen Erwartungen, insbesondere von Bildungserwartungen der Eltern und erreichten Abschlüssen, in Gesamtschulen deutlich niedriger ausfallen sollten als in Schulsystemen mit frühen Festlegungen. Veränderungen in Schullaufbahnen vom 5. bis zum 10. Schuljahr konnten in den Gesamtschulen durch fachspezifische Kurswechsel leicht organisiert werden. Frühere Studien hatten gezeigt, dass in der Tat gerade in den Schuljahren 5 bis 10 in Gesamtschulen mehr Wechsel der Bildungsniveaus (gemessen an Kurswechseln) stattfanden als Wechsel zwischen den Schulformen des gegliederten Bildungswesens (Fend 1982). Die LifE-Daten gehen über diese Lebensspanne vom 5. zum 10. Schuljahr hinaus und ermöglichen es, das endgültig erreichte Bildungsniveau zu untersuchen.

Den Ausgangspunkt bilden hier die von Schülerinnen und Schülern in der 6. Schulstufe wahrgenommenen Erwartungen der Eltern. Diese spannen den Horizont auf, an dem sich Erfolg oder Enttäuschung messen. Die Tab. 16 zeigt, dass in beiden Bildungssystemen der gleich hohe Zusammenhang zwischen Erwartung und Erfolg bestand (χ2 der Differenz: 8,9, p = 0,18). Gleiches galt für die in Tab. 16 nicht dargestellte Förderstufe. Zusätzlich ergaben sich bei Elternerwartungen auch keine schulsystemspezifischen Unterschiede in den Differenzen zwischen Schülerwünschen und Realisierungen. Sie lagen im gegliederten Bildungswesen bei 32 %, im Gesamtschulsystem bei 36 %. Dabei überwogen die „Enttäuschungen“ jeweils die Erfolge (25 % zu 75 % und 35 % zu 65 % jeweils im herkömmlichem System und Gesamtschulsystem). Die Verlängerung der Zeiträume gemeinsamen Lernens allein hat somit für unsere Kohorte keine Veränderungen des Zusammenhangs von Bildungsaspirationen der Eltern und ihrer Realisierung bei den Kindern erbracht.

Tab. 16 Wahrgenommene Schulabschlusserwartungen der Eltern in der 6. Schulstufe und höchster Bildungsabschluss mit 35 Jahren, aufgegliedert nach dreigliedrigem Bildungssystem und Gesamtschulsystem (ohne Förderstufe; Zeilenprozente)

In der Summe ergibt sich aus den LifE-Daten, dass in der Langzeitperspektive die Zusammenhänge zwischen den Erwartungen des Elternhauses und den Bildungswegen der Kinder nicht durch die Organisationsform der Bildungsgänge auf der Sekundarstufe I modifiziert wurden.

6 Diskussion

Bei der Darstellung der Bildungs- und Ausbildungsverläufe auf der Basis der LifE-Studie stand hier unübersehbar die Beschreibung von Übergangswahrscheinlichkeiten im Vordergrund. Der Leser sollte in erster Linie einen Überblick erhalten, wie sich die verschiedenen Stufen der Bildungsverläufe darstellen und wie die intergenerationale Transmission von Bildungserwartungen aussieht. Diese Deskription sollte nicht durch Einflusskoeffizienten zur Bedeutung der sozialen Herkunft ersetzt werden, die andernorts detailliert berichtet sind (Fend 2004, 2006, 2009; Georg 2006b, 2009). Sie werden zudem in weitergehenden Analysen zur Sprache kommen, in denen nicht nur die soziale Herkunft, Leistungsmerkmale der Schülerinnen und Schüler und Bildungsstufen berücksichtigt werden, sondern auch Merkmale der Persönlichkeit (Motivation, Selbstkonzept, Devianzneigung etc.) und der proximalen Umwelt (Familienkonstellationen, Familienkultur, Peerkultur, Schulkultur) einbezogen werden. Da die Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse aber nicht zeitabhängig erhoben wurden und die Bildungsstufen auf der Sekundarstufe I jeweils für alle Schülerinnen und Schüler konstant waren (z. B. Schülerinnen und Schüler in der 6. Schulstufe, in der 9. Schulstufe etc.) sind keine Übergangsraten berechenbar, die zeitabhängige Daten erfordern würden. Hier standen konkrete, bildungspolitisch relevante Fragen zur Bedeutung herkunftsabhängiger Bildungserwartungen, zur Bedeutung der Offenheit der Bildungswege und zur Bedeutung unterschiedlicher Bildungslaufbahnregelungen für die Chancengleichheit im Mittelpunkt.

Dabei hat die Analyse der Durchlässigkeit des Bildungswesens deutlich gemacht, dass ab der späten Kindheit noch beträchtlicher Wandel von Schullaufbahnen zu beobachten ist. Es lohnt sich daher, Übergänge institutionell offenzuhalten und Übergänge anzubieten. Bei der Drehscheibe am Ende der Sekundarstufe I haben sich die Eigenerwartungen der Schülerinnen und Schüler als sehr bedeutsam erweisen. Sie wurden jetzt sichtbar Akteure mit einer Eigenverantwortung für Bildungsentscheidungen, wenngleich sie in familiäre Erwartungen eingebettet blieben. Wichtig erscheint es, dass für Fragen der Chancengerechtigkeit die Wege über die Sekundarstufe I hinaus berücksichtigt werden. Wenn man nur die Wege bis zu den 15-Jährigen ins Auge fasst, wie dies bei PISA designbedingt geschieht, dann kommen wichtige Veränderungen danach nicht ins Blickfeld. Eine Lebenslaufperspektive wird hier unerlässlich.

Die LifE-Daten eröffnen die Möglichkeit, die Langzeitperspektive ins Auge zu fassen. Die institutionellen Vorgaben im Sinne von längeren Phasen gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe I erwiesen sich dabei auf die Lebenszeit projiziert als vergleichsweise schwaches Instrument zur langfristigen Veränderung des Einflusses der sozialen Herkunft auf Bildungslaufbahnen. Dabei gilt es aber, methodische und systematische Erklärungsmöglichkeiten ins Auge zu fassen.

Bei den methodischen Qualifizierungen ist zu beachten, dass wir eine bestimmte historische Generation in einer bestimmten historischen Phase analysiert haben. Es ist nicht auszuschließen, dass in anderen Kohorten andere Ergebnisse gefunden werden könnten. Wir hatten darauf hingewiesen, dass die Schülerschaft der Gesamtschulen im Vergleich zu der in herkömmlichen Schulen selegiert war, dass insbesondere die leistungsstarken Gruppen fehlten. Zum andern gilt es zu beachten, dass wir auch nur die historische Gestalt der damaligen Schulen einbeziehen konnten. Schulen mit längerem gemeinsamem Lernen können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Ob neuere Konzepte wirksamer wären, können wir weder ausschließen noch bestätigen. Zudem werden für differenzierte Fragestellungen zu den Übergangswahrscheinlichkeiten in Subgruppen die Zellenbesetzungen relativ klein.

Es gibt jedoch auch systematische Gründe, die dafür sprechen, dass die Ergebnisse der LifE-Studie auf Sachverhalten aufbauen, die stabil über die Zeit und die Organisationsform von Gesamtschulen sind. Dabei wäre in einem ersten Schritt auf rechtliche Rahmenbedingungen zu verweisen. In einer demokratischen Gesellschaft mit einer nur durch Leistungskriterien begrenzbaren Schulwahl ist es unmöglich, Eltern zu hindern, alle ihre Ressourcen, kulturelle, soziale und ökonomische, einzusetzen, um die Bildungslaufbahn der Kinder zu fördern. Ihre unterschiedlichen Investitionen tragen dann mit zur Chancenungleichheit bei. Die hohen Investitionen der bildungsnahen sozialen Schichten führen dazu, dass ihre Kinder bei allen in der LifE-Studie gemessenen Kompetenzniveaus auch zu höheren schulischen Abschlüssen kommen. Dennoch stoßen ihre Bemühungen an Grenzen, wenn das Begabungspotential ihrer Kinder den Ansprüchen der Schule nicht gewachsen ist. Es gibt eine beträchtliche Gruppe von Kindern (ca. 30 %), die die Erwartungen ihrer Eltern nicht erfüllen kann. Die Aufstiegsgrenzen durch „Begabungspotentiale“ sind jedoch sehr elastisch, wie die Schulerfolge von Kindern aus bildungsnahen Elternhäuser mit durchschnittlichem bzw. unterdurchschnittlichem Kompetenzniveau zeigen. Hinter den Erwartungen der Eltern zurückzubleiben hat aber beträchtliche negative psychosoziale und innerfamiliäre Konsequenzen (siehe Fend 2010).

Bei der Analyse der Bedeutung der Bildungsherkunft und der sozialen Herkunft hat sich somit erneut die starke Rolle der „Consumers of Education“ (Labaree 2009), also der Nutzer in der Gestalt von Eltern, gezeigt. Eine Schlüsselrolle spielen nach den obigen Analysen die Bildungserwartungen und die oft schon früh formulierten Bildungsziele. Die Bildungslaufbahnen über die Lebenszeit ergeben sich aus dem Entscheidungsverhalten von Eltern und ihren Kindern angesichts schulischer Opportunitäten, angesichts bestimmter Regelungen und Vorgaben des Bildungswesens. Diese implizieren auch, dass Kinder bestmögliche Leistungen – wiederum mitgefördert von Elternhaus und Schule – erbringen müssen. Die öffentliche Hand kann diese Regelungen jeweils gestalten und so ein bestimmtes Nutzungsverhalten regulieren. Die Grundregel der Nutzung ist die, dass Eltern eine Optimierung der Schullaufbahnen ihrer Kinder anstreben, und zwar sowohl durch eine frühe und optimale Förderung der Kinder vor und während der Schulzeit als auch durch die Nutzung aller Einflussmöglichkeiten bei entscheidenden Übergängen. Wenn die vorgegebenen Regeln Zugangsbedingungen erleichtern, etwa beim Eintritt in weiterführende Schulformen durch die freie Elternwahl oder durch die Zusage des Verbleibs in einer Schulform mit zusätzlichen Förderverpflichtungen der Schule bei Gefährdungen, dann profitieren davon – oft gegen die gerechtigkeitsorientierten Absichten ihrer Befürworter – diejenigen Gruppen, denen Bildungsziele sehr wichtig sind und die dafür viel investieren. Diese sozial asymmetrische Nutzung ergibt sich bei allen universalen Regelungen, die alle nutzen können.

Eine solche Politik der institutionellen Regelungen könnte eine „demokratisch-liberale“ genannt werden, da sie allen gleichermaßen zur freien Nutzung zur Verfügung stehen, gleiche Ansprüche stellen und damit mit Freiheitsrechten vereinbar sind. Für die Reduktion von Chancenungleichheit sind diese demokratisch-liberalen Regulierungen eher schwache Instrumente. Dass unterschiedliche Bildungssysteme, also unterschiedlich lange Phasen gemeinsamen Lernens, in unserer Kohorte keinen nachhaltigen Effekt auf das Zielkriterium der Chancengleichheit hatten, ist auf diesem Hintergrund zu interpretieren. Die unterschiedlichen Bildungslaufbahnregelungen in Gemeinschaftsschulen stehen dann wieder zur freien Nutzung zur Verfügung.

Damit ist nicht impliziert, dass Gemeinschaftsschulen aus vielfältigen Gründen – zum Beispiel zur besseren regionalen Schulversorgung, zur Verbesserung der sozialen Komposition von Schulen in Problemgebieten, zur Integration von Hauptschulen und Realschulen – keine sinnvollen Einrichtungen wären. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass andere interne Organisationsformen von Gemeinschaftsschulen als jene, die in der LifE-Studie erfasst wurden, zu größerer Chancengleichheit auch auf lange Sicht führen könnten. Schließlich ist jenseits einer pragmatischen Position, die von der Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen ausgeht, eine gesinnungsethische Haltung durchaus legitim. Sie postuliert jenseits der obigen Wirksamkeitsargumente, dass eine frühe Trennung der Kinder in verschiedene Schulformen ethisch nicht akzeptabel sei, da es Menschen im unmündigen Alter auf differenzielle Lebensgeschichten festlege. Es sei danach solange damit zu warten, bis die betroffenen Kinder selber als Akteure wirksam werden können. Die hier vorgestellten Daten machen eine solche Argumentation nicht unsinnig. Sie mahnen lediglich an, die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme nicht zu überschätzen und sie in einen systemischen Kontext zu stellen, bei einer Aufschiebung von Entscheidungen für Bildungswege in verschiedenen Schulformen also nicht stehen zu bleiben.

Unter Wirksamkeitsprämissen liegt es nahe, zusätzlich nach stärkeren Instrumenten zu suchen, die soziale Herkunft und Bildungslaufbahnen entkoppeln könnten. Sie sollen hier sozialstaatliche und kompensatorische genannt werden, da sie nicht in demokratisch-liberalen Regelungen und damit freien Nutzungsmöglichkeiten bestehen, sondern in sozial fokussierten Förderangeboten. Diese Interventionen würden sich nicht an alle richten, sondern auf jene Gruppen konzentrieren, deren Ressourcen zu schwach sind, um eine optimale Förderung sicherzustellen. Dazu zählen Strategien der gezielten Frühförderung, der fokussierten Förderung von Ganztagsschulen in sozial belasteten Schulformen und Wohnvierteln sowie die Förderung der Grundkompetenzen der 20 % Risikokinder. Auch institutionelle Regelungen, um zweite und dritte Wege zu höherer Bildung zu ermöglichen, sind zu dieser Gruppe fokussierter Opportunitätsveränderungen zu zählen. Das Kernanliegen wäre hier dies, sozial gestaffelt zusätzliche Lernzeiten, Lernwege und produktive Erlebniswelten für Schülergruppen zu organisieren und zu finanzieren, um die Grundrechte auf optimale Förderung und Chancengerechtigkeit einzulösen.

Beide Klassen von Instrumenten sind wichtig. Von beiden ist aber nicht zu erwarten, dass Gleichheit geschaffen wird, wohl aber dass Ungleichheit gemildert wird. Von fokussierten Förderanstrengungen ist zu hoffen, dass sie dazu beitragen, über Bildungsprozesse das Basisniveau an Qualifikationen so zu verbessern, dass eine optimale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle gesichert wird.