1 Einleitung und Ziele

Wir danken Urban Fraefel, Peter Müller, Waltraud Sempert, Rolf Bollinger, Oliver Küster, Sara Helfenstein, Doris Edelmann, Stephanie Appius, Robbert Smit und Patrizia Kis-Fedi für ihre Mitarbeit in verschiedenen Funktionen und zu verschiedenen Zeitpunkten in den beiden Forschungsprojekten, die dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen.

Seit dem Vorliegen der Ergebnisse der großen Wirksamkeitsstudien TIMSS und PISA wurden für die Erfassung, Analyse und Entwicklung von Lehrerkompetenzen in mancher Weise innovative Wege beschritten. So werden die Lehrpersonen nicht mehr nur nach ihren Meinungen befragt, sondern sie schätzen videografierte Unterrichtssequenzen ein (Stigler et al. 2000; Labudde 2002; Seidel und Prenzel 2003; Wild 2003), äußern sich zum Umgang mit Problemsituationen aus dem Schul- und Unterrichtsalltag, die ihnen mittels Vignetten vorgelegt werden (Bischoff et al. 2005; Beck et al. 2008), oder sie werden beim Unterrichten auf Video aufgenommen (z. B. Reusser et al. 1998, 2010). Sowohl die aufgezeichneten Unterrichtsstunden wie die Aussagen zu den Problemsituationen werden mittels spezifisch entwickelten Auswertungsverfahren analysiert. In einem weiterführenden Teil von durchgeführten Videoanalysen (Seidel et al. 2006) geht es darum, die Kompetenzen von Lehrpersonen für eine lernunterstützende Unterrichtsgestaltung weiterzuentwickeln (Seidel und Prenzel 2007). Eine der neuesten Studie untersucht den Unterschied in Bezug auf die Weiterentwicklung eigener Unterrichtskompetenz, wenn Lehrpersonen mit Videos von eigenem Unterricht im Vergleich zu Videos von fremdem Unterricht arbeiten (Seidel et al. 2010).

Trotz dieser Intensivierung der Forschungsbemühungen (vgl. z. B. auch Blömeke et al. 2004; Cochran-Smith und Zeichner 2005; Baumert und Kunter 2006; Seidel und Shavelson 2007; Blömeke et al. 2008, 2010a, b) gilt noch immer: „(...) teacher learning is a relatively new topic of research, so there is not a great deal of data about it“ (Bransford et al. 2000, S. 204). Auch Baumert und Kunter (2006, S. 505) weisen auf die noch spärliche Befundlage hin. Die Forschungsgruppe um Baumert rückt folgerichtig die Lehrpersonen als Experten für die Unterrichtsgestaltung wieder in den Mittelpunkt der Unterrichtsforschung: „Eine der wichtigsten Aufgaben für künftige Forschung ist zu untersuchen, wie Lehrkräfte professionelle Kompetenz erwerben und trainieren können“ (Brunner et al. 2006, S. 76 f.). Insbesondere fehlt es an längsschnittlichen Studien zum Kompetenzerwerb von Lehrpersonen.

Neben dem wissenschaftlichen ist das bildungspolitische Interesse groß an der Frage, ob angehende Lehrpersonen im Studium die Kompetenzen erwerben, um lernförderlich zu unterrichten. Gleichzeitig ist die Frage für die Ausbildung von Lehrpersonen höchst bedeutungsvoll. Nicht nur sollte eine empirisch gestützte Antwort darüber verfügbar sein, ob im Studium die Kompetenzen zu unterrichten erworben werden; von ebenso großem Interesse ist die Antwort auf die Frage, wie sich das regelmäßige Unterrichten nach dem Berufseinstieg auf die unterrichtlichen Kompetenzen der Berufseinsteigenden auswirkt. Entwickeln sich die im Studium erworbenen Kompetenzen weiter, halten sie dem Druck der Praxis stand, werden Defizite erkennbar?

Die berufsbiographisch kritische Phase des Übergangs von der Ausbildung in den Lehrberuf mit dem damit verbundenen Belastungsschub wurde lange Zeit unter dem Stichwort ‚Praxisschock‘ diskutiert (Müller-Fohrbrodt et al. 1978; Dann 1994). Nach den Befunden aus den 1970er- und 80er-Jahren führen die Belastungen des Berufseinstiegs zu Wahrnehmungen der Überforderung und des Nichtgenügens. Als Folge des Erlebens eigener Verunsicherung vollziehe sich ein Prozess der Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen. Innovative Einstellungen, die für erfolgreiches Handeln im Beruf als günstig gelten, würden durch konservativere Einstellungsmuster abgelöst. Diese These, bekannt unter dem Namen ‚Konstanzer Wanne‘, gilt heute als überholt. Lipowsky (2003) sowie Larcher Klee (2005) konnten Danns Befunde nicht replizieren. Sie kritisieren die Fokussierung der Belastungen im Berufseinstieg als einseitig und empirisch nicht mehr gestützt. Die heutige Berufseinführung favorisiert in der Begleitung von Lehrpersonen im Berufseinstieg vor allem den Beratungsansatz und legt den Fokus auf die Berufssozialisation und die Identitätsentwicklung (Larcher Klee 2005). Bestehen bleibt das Interesse an der Frage, was mit den im Studium aufgebauten unterrichtlichen Kompetenzen geschieht, wenn die ehemaligen Studierenden in den Beruf einsteigen.

Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel der beiden ForschungsprojekteFootnote 2, die dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen, darin, die folgenden Fragestellungen empirisch zu erhellen:

  1. i.

    Wie verläuft der Aufbau der Kompetenzen zur Planung und Durchführung von Unterricht im Verlaufe des Lehrerinnen- und Lehrerstudiums?

  2. ii.

    Welches Qualitätsniveau wird in Bezug auf die Kompetenzen in das Studium mitgebracht und welches Qualitätsniveau wird bis zum Ende des Studiums erreicht?

  3. iii.

    Inwieweit gelingt es, unterrichtliches Planungs- und Handlungswissen im Berufsalltag umzusetzen?

  4. iv.

    Wie verhalten sich die genannten Kompetenzen im Vergleich zu jenen von erfahrenen Lehrpersonen?

  5. v.

    Wie verändern sich die während der Ausbildung erworbenen Unterrichtskompetenzen im ersten Berufsjahr, wenn die ehemaligen Studierenden im Beruf stehen?

Die Fragen (i)–(iv) wurden mit Studierenden des sechssemestrigen Studiums für Lehrpersonen der Primarschulstufe (in der deutschsprachigen Schweiz 1.–6. Klasse) der Pädagogischen Hochschule des Kantons St. Gallen (PHSG) und der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) untersuchtFootnote 3, die Frage (v) mit Lehrpersonen im BerufseinstiegFootnote 4. Bei ihnen handelt es sich um ehemalige Studierende der PHZH und der PHSG, die unmittelbar nach Abschluss des Studiums eine Stelle als Lehrer/in an einer Primarschule im Kanton Zürich oder im Kanton St. Gallen antraten.

Für die Forschung zur Lehrer/innenbildung formulierte Blömeke (2007, S. 13 ff.) u. a. folgende Qualitätskriterien: (a) Untersuchung der nachhaltigen Wirkung der Lehrer/innenbildung, (b) Berücksichtigung unterschiedlicher Methoden im Sinne der Triangulation, (c) institutionenübergreifende Untersuchungen und (d) Untersuchung von Studienverläufen in einem Längsschnitt. Diese Qualitätskriterien wurden in den beiden genannten Forschungsprojekten zu berücksichtigen versucht (vgl. Abb. 2), indem (1) die Entwicklung der Kompetenzen von Studierenden und Lehrpersonen im Berufseinstieg untersucht wurde, (2) die Selbsteinschätzung der eigenen unterrichtlichen Kompetenzen durch die Studierenden bzw. Berufseinsteigenden (3) mit der Fremdbeurteilung der Art und Qualität von (in den Praktika während des Studiums sowie im ersten Berufsjahr) videografierten Unterrichtsstunden ergänzt wurde, und (4) indem an den beiden Forschungsprojekten die Pädagogischen Hochschulen St. Gallen und Zürich beteiligt waren.

Mit (5) dem Einbezug einer Gruppe von Praxislehrpersonen (PLP), die an der berufspraktischen Ausbildung der Studierenden mitwirken, wurde ermöglicht, die Daten der Studierenden und jungen Lehrpersonen im ersten Berufsjahr mit jenen von erfahrenen und erfolgreichen Lehrpersonen zu vergleichen. Zudem wurde (6) das Wissen über das Planen von Unterricht ermittelt, (7) Daten zur Lernorientierung sowie (8) zum Umgang mit Problemsituationen im Schulalltag und (9) zu den allgemeinen und den lehrpersonbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen erhoben und (10) die Schülerinnen und Schüler der Klassen, in denen die Lehrpersonen beim Unterrichten auf Video aufgezeichnet worden waren, dahingehend befragt, wie sie den Unterricht ihrer Lehrperson wahrnehmen. Schließlich wurden (11) mit dem NEO FFI auch Persönlichkeitsmerkmale der Lehrperson erfasst.

Bevor wir auf die Beurteilung (i) des Erwerbs von Wissen über das Planen von Unterricht im Verlaufe des Studiums und der mutmaßlichen Veränderung dieses Wissens im ersten Jahr im Beruf und (ii) die Art des Unterrichts und die Qualität von Unterrichtsstunden, die im Studium und im ersten Berufsjahr auf Video aufgezeichnet wurden, zu sprechen kommen und damit aus dem Forschungsdesign die oben genannten Punkte (3), (5) und (6) herausgreifen, gehen wir auf die Frage der Qualität von Unterricht und den Erwerb von unterrichtlichen Kompetenzen ein.

2 Unterrichtsqualität und der Weg zum Erwerb von Unterrichtskompetenz

2.1 Kriterien guten Unterrichts

Schon vor über dreißig Jahren wurde versucht, Modelle zur Qualität von Unterricht zu entwickeln (Carroll 1963; Bloom 1971). Bemühungen, Kriterien für guten Unterricht zu bestimmen, gibt es auch in neuerer Zeit; aus dem englischen Sprachraum beispielsweise von Brophy (1999), Walberg und Paik (2000), Borich (2010a, b) und Slavin (1997). Auch die verschiedentlich formulierten ‚Prinicples of Learning‘ können indirekt als Kriterien guten Unterrichts aufgefasst werden. Im deutschsprachigen Raum gehen Initiativen u. a. von Weinert und Helmke aus (Helmke und Weinert 1997; Helmke 2009; zusammenfassend: Meyer 2004, 2007; ISB Bayern 2005; Helmke und Schrader 2006). Auch in den Nachfolgeuntersuchungen zu den großen internationalen Studien TIMSS und PISA geht es um die Frage, was guten Unterricht ausmacht (z. B. Baumert und Köller 2000). Bereits im Nachgang zu TIMSS wurden in verschiedenen Ländern nach den Merkmalen des Unterrichts gesucht, der bei den Schülerinnen und Schülern gute Lernleistungen zur Folge hat (z. B. Bos 2003; Gonzales 2003; McGrae 2003; Reusser und Pauli 2003; Senuma 2003; zusammenfassend: Peak 1996), ohne dass sich jedoch eindeutige Befunde ergeben hätten.

Gesucht sind Kriterien für guten Unterricht, die empirisch belegbar sind. Vor kurzem erschloss Helmke (2009) aus verschiedenen Studien (TIMSS, PISA, SCHOLASTIK, VERA, Münchner Studie) und Metastudien (Haertel et al. 1983; Walberg 1986; Fraser et al. 1987; Scheerens und Bosker 1997; Baumert und Kunter 2006; Seidel und Shavelson 2007) die folgenden Merkmale guten Unterrichts:

  1. 1.

    Klassenführung: Schaffen eines Rahmens für optimale Nutzung der Lehr- und Lernzeit

  2. 2.

    Klarheit und Strukturiertheit: Gut strukturierte Präsentation der Inhalte; Klarheit und Verständlichkeit des Unterrichtsangebotes

  3. 3.

    Konsolidierung und Sicherung: Inhalte wiederholen und Verbindungen zu anderen Informationen schaffen

  4. 4.

    Aktivierung: kognitive Aktivierung durch selbstgesteuertes Lernen, soziale Aktivierung durch kooperative Lernformen, aktive Beteiligung der Schüler/innen durch Mitplanen des Unterrichts, körperliche Aktivierung durch Handeln im Unterricht

  5. 5.

    Motivierung: die fremdgesteuerte Lernmotivation durch die Lehrperson zunehmend durch die selbstgesteuerte Lernmotivation der Schüler/innen ablösen

  6. 6.

    Lernförderliches Klima: positiver Umgang mit Fehlern, angemessene Wartezeiten, entspannte Lernatmosphäre, Abbau von Angst

  7. 7.

    Schülerorientierung: Schüler/innen werden als Person wertgeschätzt, die Planung und Durchführung des Unterrichts orientiert sich an ihren Interessen, ihrem Vorwissen und ihrer kognitiven Aktivierung

  8. 8.

    Kompetenzorientierung: der Unterricht richtet sich nach messbaren Kriterien (Bildungsstandards, Curricula) aus

  9. 9.

    Umgang mit Heterogenität: Differenzierung und Individualisierung im Unterricht

  10. 10.

    Angebotsvariation: Methodenvielfalt im Unterricht

An solchen Kriterienlisten sind zwei Punkte problematisch: Zum einen sind die Kriterien auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen formuliert, zum anderen ist die verwendete Begrifflichkeit keineswegs einheitlich (Grossman und McDonald 2008). Beides erschwert oder verunmöglicht die Vergleichbarkeit. Die Merkmalslisten weisen insofern zusätzliche Beschränkungen auf, weil die einzelnen Kriterien keine homogenen Konstrukte sind und es Bereiche gibt, die sich überschneiden (Helmke 2009). Zudem ist guter Unterricht nicht gleichzusetzen mit einer maximalen Ausprägung aller Merkmale, da Defizite mit Stärken in anderen Bereichen kompensiert werden können. Eine weitere Begrenzung ist das Fehlen von fachspezifischen Merkmalen, da die bisherigen Kriterien mehrheitlich allgemeindidaktischer Natur sind.

Die Forschung über Unterrichtsqualität zeigt einerseits einige generelle Kriterien auf, welche den guten Unterricht in verschiedenen Klassen mit verschiedenen Lehrpersonen kennzeichnen (Helmke 2009), andererseits ist mit Helmke und Weinert (1997) auf der Grundlage von deren Scholastik-Studie nicht zu übersehen, dass Lehrpersonen sowohl guten wie schlechten Unterricht auf sehr verschiedene Weise halten können. Dies schließt nicht aus, dass die Kompetenz der Lehrperson ein bedeutender Einflussfaktor für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ist (Helmke und Weinert 1997). Nach Beck et al. (2008) ermöglicht hohe adaptive Lehrkompetenz, guten Unterricht zu gestalten, als Angebot, das von den Schülerinnen und Schülern in heterogenen Schulklassen für ihr Lernen genutzt werden muss, wie die Angebots-Nutzungs-Modelle zeigen (Fend 2001; Reusser und Pauli 2003; Helmke 2009):

Damit möglichst viele Schülerinnen und Schüler unter Einbezug ihrer heterogenen Voraussetzungen möglichst gut lernen, braucht es Lehrpersonen, die Unterricht adaptiv gestalten können. In ihrer Planung achten sie auf eine optimale Passung zwischen dem Lernstand der Schülerinnen und Schüler und dem Sachinhalt. Im Moment des Unterrichtens nehmen sie weitere Anpassungen vor, je nach dem, wie die antizipierten Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler in Wirklichkeit ablaufen. Die Kompetenz, auf die individuellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler einzugehen, nennen wir adaptive Lehrkompetenz. Dabei unterscheiden wir adaptive Planungskompetenz und adaptive Handlungskompetenz. (Beck et al. 2008, S. 10)

Für den Lernerfolg ist auch eine adaptive Lernbegleitung ausschlaggebend (Krammer 2009). Ähnlich wie bei den Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern (vgl. Helmke und Weinert 1997, S. 74) zeigt sich bei der Lehrerexpertise das Bild der multiplen Determination und des systemischen Zusammenhangs unter einzelnen Bedingungsfaktoren. Empirisch belegt (Weinert et al. 1990) ist der in Abb. 1 wiedergegebene Zusammenhang zwischen professioneller Expertise, unterrichtlichem Handeln und der Lernleistung der Schüler/innen.

Abb. 1
figure 1

Vorkenntnisse und Merkmale der Lehrerexpertise als Determinanten der Entwicklung der Mathematikleistung im 5. Schuljahr (Kausalmodell auf Klassenebene) (Helmke und Weinert 1997, S. 134; siehe auch Weinert et al. 1990, S. 193)

Die Leistungsentwicklung der Schüler/innen (in Mathematik) über ein Schuljahr hinweg wird zum einen durch vier Aspekte der Lehrerexpertise bestimmt: (a) die Klassenführung, (b) die Diagnosekompetenz, (c) die unterrichtsmethodische Kompetenz und (d) das Sachwissen; zum anderen auf der Seite der Schüler/innen durch (e) das Niveau und die Varianz der Vorkenntnisse (auf Klassenniveau) sowie durch (f) die Leistungsheterogenität der Klasse. Es zeigt sich, dass für die Unterrichtsplanung und die Durchführung des Unterrichts die zutreffende Diagnose des Lernstandes der Schüler/innen in Bezug auf deren individuelles Niveau (vgl. oben: Schülerorientierung) und die in der Klasse vorhandene Streuung (vgl. oben: Umgang mit Heterogenität) sowie die Reichhaltigkeit und adaptive Verfügbarkeit des didaktischen Repertoires der Lehrperson (vgl. oben: Methodenvielfalt) neben der Sachkompetenz der Lehrperson und ihrer Fähigkeit, die Klasse zu führen (vgl. oben: Klassenführung), von entscheidender Bedeutung sind.

2.2 Situiertes Lernen als wegleitende Vorstellung für die berufspraktische Ausbildung

Nach Messner und Reusser (2000) sowie Putnam und Borko (2000) ist für handlungswirksames Lernen entscheidend, dass angehende Lehrpersonen situiert, d. h. kontextgebunden auf das Lösen vorliegender Fragen und Probleme bezogen, sowie kooperativ und weitgehend selbstgesteuert lernen können. Nach der Konzeption „Wissen für die Praxis bzw. für beruflich Handelnde und Problemlöser“ (Messner und Reusser 2000) müssen angehende Lehrpersonen sowohl grundlegende erziehungswissenschaftliche Theorien, Modelle und Begriffe als auch das theoriegestützte Reflektieren (Schön 1983, 1987) im Kontext der Praxis erlernen können. Nach den Leitvorstellungen der berufspraktischen Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen St. Gallen (PHSG) und Zürich (PHZH)

  • erfolgt der berufliche Wissenserwerb problemorientiert und in realitätsnahen Situationen, die gemeinsam reflektiert und unter Beizug von wissenschaftlichen Konzepten und Modellen geklärt werden,

  • wird dem genuin sozialen Charakter von Wissen Rechnung getragen, indem die Studierenden Wissen ko-konstruktiv aufbauen können, d.h. im Austausch und durch Verständigung mit anderen, auch erfahreneren, wissenderen und fähigeren Personen,

  • soll Wissen sozial verteilt erworben werden können, weil Wissen auf verschiedene Personen und Instanzen verteilt ist und nicht jeder und jede in allen Bereichen kompetent sein kann,

  • erfolgt mit Schön (1983, 1987) die professionelle Entwicklung durch Selbstentwicklung, die durch reflektive und metakognitive Prozesse ausgelöst und in Gang gehalten wird.

Entsprechend diesen Vorstellungen beginnen die Studierenden der PHSG und der PHZH bereits im ersten Semester zu unterrichten (PHZH 2004). An der PHZH – die Ausbildung an der PHSG ist vergleichbar – verbringen sie im ersten Studienjahr einen Tag pro Woche in einer sogenannten Kooperationsschule, kombiniert mit seminarartigen Ausbildungseinheiten während dieses Tages, jeweils unter der Leitung einer Praxislehrperson bzw. einer Mentorin/eines Mentors. In beiden Fällen handelt es sich um von der Pädagogischen Hochschule ausgewählte Personen. Zwischen dem 1. und dem 2. Semester findet ein Praktikum statt, gefolgt von weiteren drei Praktika von wiederum drei bis vier Wochen Dauer bis zum Ende des Studiums. Im letzten Praktikum wenige Wochen vor Studienabschluss, dem Lernvikariat, übernehmen die Studierenden die gesamte Aufgabe einer Klassenlehrperson und bereiten sich so auf ihren Berufseinstieg vor. Rund ein Viertel der Ausbildung wird auf diese Weise im Praxisfeld absolviert. Im IBH-Projekt ermöglichte dies, in jedem Studienjahr Datenerhebungen durchzuführen, die letzten am Ende des Studiums im Lernvikariat.

Das dargestellte Konzept der berufspraktischen Ausbildung bietet weitgehende Möglichkeiten für eine fruchtbare Nutzung der theoretischen Erkenntnisse situierten Lernens. Wie wirksam sich dieses Potenzial auf der Seite der Studierenden tatsächlich entfaltet, ist abgesehen von den persönlichen Auffassungen der Beteiligten weitgehend unbekannt. Ebenso ist nicht bekannt, ob und wenn ja, inwiefern sich das im Studium erworbene unterrichtliche Wissen und Können im Übergang zur Berufstätigkeit bzw. während des ersten Berufsjahres verändert und wie sich beides im Vergleich zum Wissen und Können von erfahrenen Lehrpersonen verhält.

Vor diesem Hintergrund sind dem vorliegenden Beitrag die folgenden Fragestellungen zugrunde gelegt:

  • Unterrichtsplanung: Wie entwickelt sich das Wissen über das Planen von Unterricht im Studium und wie verändert es sich allenfalls aufgrund der Praxiserfahrung im ersten Jahr im Beruf?

  • Unterrichtsart und Unterrichtsqualität: Welches unterrichtliche Geschehen (Sichtstruktur des Unterrichts) lässt sich in zufällig ausgewählten und videografierten Unterrichtsstunden, die im Studium und im ersten Berufsjahr gehalten wurden, feststellen, von welcher Qualität ist die aufgezeichnete Unterrichtsstunde und wie verändern sich die Art und die Qualität des Unterrichts im Verlauf von Studium und erstem Jahr im Beruf?

  • Vergleich mit erfahrenen und erfolgreichen Lehrpersonen: Wie verhält sich das Wissen von Studierenden und Berufseinsteigenden zum Planen von Unterricht zum entsprechenden Wissen von Praxislehrpersonen, die als Expertenlehrpersonen maßgeblich an der unterrichtspraktischen Ausbildung der Studierenden beteiligt sind, und von welcher Qualität sind deren ebenfalls nach Zufall ausgewählten und auf Video aufgezeichneten Unterrichtsstunden im Vergleich zur Qualität der Unterrichtsstunden von Studierenden und Berufseinsteigenden?

3 Methodisches Vorgehen

3.1 Forschungsdesign

Um den Verlauf der Kompetenzentwicklungen nachzuzeichnen, wurde für das Gesamtprojekt (Baer und Fraefel 2003; Baer et al. 2005, 2007, 2009) das Forschungsdesign von Abb. 2 entwickelt. Von diesem Design stehen im vorliegenden Beitrag die Vignetten und die Unterrichtsvideografie im Fokus.

Mit den Vignetten wurden jeweils im Rahmen eines Praktikums in jedem Studienjahr das Wissen zum Planen von Unterricht erhoben. Für die Unterrichtsvideografie wurde pro Studierender/Studierendem und Studienjahr je eine von ihr/ihm im Praktikum gehaltene Unterrichtsstunde auf Video aufgezeichnet. Analoge Datenerhebungen wurden am Anfang und am Ende des ersten Berufsjahrs mit Berufseinsteigenden durchgeführt. Um zusätzlich zu den längsschnittlichen Vergleichen über das Studium und das erste Berufsjahr hinweg für querschnittliche Vergleiche über eine Referenzgröße zu verfügen, wurden die Vignetten auch Praxislehrpersonen zur Bearbeitung vorgelegt. Diese erfahrenen Lehrpersonen wurden auch einmal während einer Unterrichtsstunde auf Video aufgezeichnet. An den Pädagogischen Hochschulen St. Gallen und Zürich werden Praxislehrpersonen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens ausgewählt und entsprechend aus- und weitergebildet. Sie wirken in der berufspraktischen Ausbildung der Studierenden mit. Ihre Aufgabe besteht darin, eine/n Studierende/n im Praktikum zu betreuen, das in ihrer Klasse stattfindet. Die Praxislehrkraft tut dies als „Praktiker/in“ in Zusammenarbeit mit einem/einer Mentor/in als Vertreter/in der „theoretischen Ausbildung“ und seitens der Pädagogischen Hochschule zuständigen Person über das gesamte Studium hinweg für die berufspraktische Ausbildung einer Gruppe von rund zwölf Studierenden.

3.2 Versuchspersonen

Um den Verlauf der Kompetenzentwicklungen nachzuzeichnen, wurden zu insgesamt fünf Zeitpunkten im sechssemestrigen Studium für Primarlehrpersonen und im ersten Jahr im Beruf Datenerhebungen durchgeführt (vgl. Abb. 2), und zwar zu Beginn des 1. (t1), des 3. (t2) und am Ende des 6. Semesters (t3) sowie am Anfang (t4) und am Ende (t5) des ersten Berufsjahres. Im IBH-Projekt, das sich auf die Zeit des Studiums bezieht, konnten nicht genügend Studierende gefunden werden, die bereit waren, bei allen Datenerhebungen gemäß Abb. 2 mitzuwirken. Es war jedoch möglich, Studierende zu gewinnen, die bereit waren, sich über die Zeit ihres Studiums (t1 bis t3a) bei den Datenerhebungen mit einem Datenerhebungsinstrument zu beteiligen. Bei den Versuchspersonen, welche die Vignetten bearbeiteten, und jenen, welche bei der Unterrichtsvideografie mitwirkten, handelt es sich für die Zeit des Studiums deshalb nicht um identische Personen. Die Versuchspersonen der Vignetten und der Unterrichtsvideografie gehören jedoch dem gleichen Studienjahrgang an und die Versuchspersonen beider Gruppen durchliefen die gleiche Ausbildung. Für das SNF-Projekt, dessen erste Datenerhebungen – um den Blick auf den Übergang in den Beruf zu ermöglichen – am Ende des Studiums erfolgten (t3b), gefolgt von Datenerhebungen zu Beginn (t4) und am Ende des ersten Berufsjahres (t5) konnten am Ende der Ausbildung dagegen genügend viele Studierende gewonnen werden, die nach ihrer Diplomierung Anfang Juli ihre erste Stelle als Primarlehrer/in Mitte August zu Beginn des neuen Schuljahres antraten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die betreffenden Versuchspersonen inzwischen während des Studiums die für das Forschungsprojekt Zuständigen als Dozierende kennengelernt hatten. Teilweise nahmen sie ihnen zuliebe am Forschungsprojekt während der Zeit ihres ersten Berufsjahres teil. Die Studierenden, die im Rahmen des IBH-Projektes in den ersten Wochen ihres Studiums um Mitwirkung gebeten worden waren, schränkten ihre Mitwirkung während des noch vor ihnen liegenden Studiums im besten Fall auf ein Datenerhebungsinstrument ein, weil sie weder die Zuständigen für das Forschungsprojekt noch ihre weiteren Dozierenden schon kannten.

Abb. 2
figure 2

Forschungsdesign des Gesamtprojektes: Ausbildung und erstes Berufsjahr

Den dargestellten Gegebenheiten zufolge bestehen zu den Vignetten und zur Videografie für die Messzeitpunkte am Ende der Ausbildung (t3) Daten von je zwei Versuchspersonengruppen, jener des IBH-Projektes und jener des SNF-Projektes. Um die Datengruppen voneinander zu unterscheiden, sind nachfolgend die Ergebnisse des IBH-Projektes mit dem Datenerhebungszeitpunkt t3a, jene des SNF-Projektes mit dem Datenerhebungszeitpunkt t3b gekennzeichnet. Die statistische Überprüfung mittels t-Test (p > 0.05) ergab keine überzufälligen Unterschiede zwischen den Ergebnissen zu t3a und jenen zu t3b. Die Versuchspersonen für den Übergang in den Beruf und das erste Berufsjahr (SNF-Projekt) nahmen an allen Datenerhebungen gemäß Abb. 2 teil. Die entsprechenden Daten stammen in diesem Fall also von jeweils derselben Versuchsperson.

3.3 Hypothesen

Über Hypothesen im eigentlichen Wortsinn konnte zu Beginn der beiden Forschungsprojekte auf der Grundlage der allgemeinen Fragestellungen (i) bis (v) nur spekuliert werden. Generell kann für die Zeit des Studiums zunehmendes Wissen über das Planen von Unterricht erwartet und zunehmend besseres Unterrichten erhofft werden. Was das indessen im Einzelnen heißt, war schwierig vorauszusagen, nicht zuletzt deshalb, weil die Aussagen über das Unterrichten in der „theoretischen“ Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule nicht ohne Weiteres mit der Unterrichtsrealität in den Schulen übereinstimmen, welche die Studierenden in ihren Praktika antreffen. Ebenso ließen sich bezüglich der Frage, mit welchem Wissen über das Planen von Unterricht die Studierenden in das Studium eintreten und wie und wie gut sie am Anfang des Studiums unterrichten, nur Vermutungen anstellen. Dasselbe gilt für die Entwicklung des Planungswissens und des unterrichtlichen Könnens während des Studiums, die diesbezüglich bis zum Ende der Ausbildung erreichten Niveaus und den Vergleich mit den Praxislehrpersonen. Voraussagen in Bezug auf das Planungswissen und die Art und die Qualität des Unterrichts während des ersten Jahres im Beruf ließen sich ebenfalls nur schwer machen, genauso wie eine Voraussage zum Vergleich des Wissens und Könnens von Studierenden und Novizenlehrpersonen mit dem Wissen und Können von Expertenlehrpersonen. Die nachfolgend dargestellten zwei Untersuchungen verstehen wir aus diesen Gründen als explorativ. Durch die weitgehend deskriptive Betrachtung des Forschungsgegenstandes sollen auch mögliche Ursachen und Bedingungen im Kompetenzerwerb von Studierenden und Lehrpersonen im ersten Berufsjahr erkannt werden, um daraus Hypothesen generieren zu können.

3.4 Vignetten: Experteneinschätzungen des Wissens über das Planen von Unterricht

Vignetten sind sprachlich repräsentierte Problemsituationen. Mit ihnen kann das deklarative („theoretische“) Wissen über einen Sachverhalt ermittelt werden. Die Versuchspersonen werden aufgefordert, für das dargestellte Problem einen Lösungsvorschlag aufzuschreiben. Das so erhobene Wissen bleibt jedoch sprachlich repräsentiert. Die Umsetzung in Handlungssituationen wird mit Vignetten nicht erfasst (Barter und Renold 1999; Beck et al. 2008). Den Studierenden und den in den Beruf einsteigenden Novizenlehrpersonen wurden zu den Messzeitpunkten t1, t2 und t3a bzw. t3b, t4 und t5 jeweils die zwei unten wiedergegebenen Vignetten vorgelegt. Die erste Vignette bezieht sich auf die Unterrichtsplanung im Allgemeinen, die zweite zielt auf die diagnostische Kompetenz der Lehrperson ab (vgl. Abb. 3). Die Versuchspersonen wurden gebeten, um der jeweils genannten Person zu helfen, ihre Überlegungen aufzuschreiben. Dieselben Vignetten wurden auch den Praxislehrpersonen vorgelegt.

Abb. 3
figure 3

Die für die Erhebung des Wissens zum Planen von Unterricht eingesetzten Vignetten

Für die statistische Auswertung wurden die Lösungsvorschläge inhaltsanalytisch aufbereitet. Die Analyse erfolgte auf der Grundlage des Auswertungsmanuals von Tab. 1. Dieses wurde („hypothesengeleitet“) ausgehend von den vier Dimensionen, ‚Klassenführung‘, ‚Diagnosekompetenz‘, ‚Unterrichtsmethodische Kompetenz‘ und ‚Sachkompetenz‘ von Abb. 1 sowie aufgrund der Aussagen der Studierenden zu den Vignetten („bottom up“) entwickelt.

Ingesamt konnten in den Lösungsvorschlägen der Studierenden 59 inhaltlich unterschiedliche Indikatoren identifiziert werden (Tab. 1). 38 Indikatoren entfallen auf die Dimension Didaktik, 13 auf die Dimension Diagnostik. Bei den Dimensionen Klassenführung und Sachkompetenz ergaben sich je vier Indikatoren. Da von den Studierenden über alle Messzeitpunkte zu diesen Indikatoren insgesamt nur ganz wenige Aussagen gemacht wurden, wurden diese beiden Dimensionen bei der weiteren Auswertung nicht mehr berücksichtigt. Jedes Mal wenn in einer Vignettenantwort ein Indikator festgestellt wurde, wurde ein Punkt vergeben, nicht jedoch, wenn derselbe Indikator in der gleichen Vignettenantwort nochmals vorkam. Es wurden nur die Antworten von solchen Versuchspersonen ausgewertet, bei welchen die Daten von allen Erhebungszeitpunkten im Studium (t1 bis t3a) bzw. im Übergang zum und im ersten Berufsjahr (t3b bis t5) vorliegen. Die Vignetten wurden jeweils unabhängig von zwei geschulten Ratern/innen nach eingehendem Training ausgewertet. Sie hatten nach erfolgreicher Tätigkeit als Primarlehrperson ein erziehungswissenschaftliches Studium an der Universität Zürich durchlaufen und abgeschlossen. Die Kappa-Werte liegen zwischen 0.7 und 0.9. Bei Nichtübereinstimmung der Einschätzungen wurde mittels Konsensverfahren definitiv entschieden.

Tab. 1 Überblick über die Dimensionen des Auswertungsmanuals und mit den jeweiligen Kriterien und Indikatoren: Für jeden in den Aussagen der Versuchspersonen zu den Vignetten festgestellten Indikator wurde ein Punkt vergeben

3.5 Videografie: Expertenbeurteilung der Art und der Qualität des Unterrichts

Analog zu den Vignetten wurden zu den Zeitpunkten t1 bis t5 eine Unterrichtsstunde, die jeweils von derselben Versuchsperson in jedem Studienjahr während eines Praktikums zu den Zeitpunkten t1, t2 und t3a im Studium (IBH-Projekt) und zu den Zeitpunkten t3b, t4 und t5 im Übergang in den Beruf und im ersten Berufsjahr (SNF-Projekt) gehalten wurde, von einem geschulten Kamerateam nach TIMSS-Norm auf Video aufgezeichnet. In der Zeit des Studiums wurde das Thema der Unterrichtsstunde jeweils von der Praxislehrperson vorgegeben. Darauf bereitete der/die Student/in die Stunde selbständig vor und führte sie ohne weitere Rücksprache mit der Praxislehrperson mit der einen Hälfte der Praktikumsklasse durch. Die Praxislehrperson bereitete zu einem der drei Messzeitpunkte im Studium zum gleichen Thema ihrerseits eine Unterrichtsstunde vor und führte sie mit der anderen Hälfte der Praktikumsklasse durch. Vorgängig war die Praktikumsklasse nach den Angaben der Praxislehrperson in zwei „gleich starke“ Halbklassen aufgeteilt worden.

Alle Unterrichtsvideos wurden mit der Software ‚Videograph‘ (Rimmele 2004) mit einem niedrig-inferenten Kodierverfahren, das in Anlehnung an Seidel (Seidel et al. 2001; Seidel 2003) ausgearbeitet worden war (Tab. 2), in Zeitsequenzen von 10 Sekunden bezüglich des sichtbaren Unterrichtsgeschehen analysiert (quantitative Analyse des Unterrichtsgeschehens).

Tab. 2 Übersicht über das verwendete Kodiersystem mit insgesamt 50 Items und die dazu gehörigen statistischen Kennwerte (Kocher und Wyss 2008; Baer et al. 2009)

Zusätzlich wurden die gleichen Videos als ganze Unterrichtsstunde mit einem hoch-inferenten Ratingverfahren, entwickelt in Anlehnung an Clausen et al. (2003), in Bezug auf die Qualität des Unterrichts beurteilt (qualitative Analyse der Unterrichtsstunde) (Tab. 3). Das Rating wurde auf einer sechsstufigen bipolaren Skala vorgenommen, deren Skalenbezeichnungen von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis 6 („trifft voll und ganz zu“) reichen. Für die Beurteilung wurde jedes Unterrichtsvideo wiederum von den zwei wissenschaftlich geschulten Personen, die vor dem abgeschlossenen erziehungswissenschaftlichen Studium selber Lehrpersonen auf der Primarschulstufe in der Deutschschweiz gewesen waren, nach vorausgegangenem eingehenden Training unabhängig voneinander mit dem Ratingverfahren eingeschätzt (vgl. ICC-Werte in Tab. 3). Bei Nichtübereinstimmung wurde die Einschätzung mittels Konsensverfahren festgelegt.

Tab. 3 Übersicht über das verwendete Raterinventar und die dazu gehörigen statistischen Kennwerte (Kocher und Wyss 2008; Baer et al. 2009)

Die Stichprobe des IBH-Projektes umfasste 30 Studierende. Wegen Abbruch des Studiums oder Rücknahme der Zusage, sich beim Unterrichten weiterhin videografieren zu lassen, reduzierte sich die Zahl der Teilnehmenden bis zum Ende des Studiums. Die Versuchspersonengruppe des SNF-Projektes veränderte sich dagegen nicht. Zum Zeitpunkt t2 konnte von zwei Studierenden umständehalber keine Videoaufnahme gemacht werden. Die effektiven Versuchspersonenzahlen sind in den nachfolgenden Ergebnisdarstellungen jeweils angegeben.

4 Ergebnisse

4.1 Wissen über das Planen von Unterricht

Die Tab. 4 gibt für die Messzeitpunkte t1 bis t5 die Ergebnisse der Auswertung der Aussagen zu den Vignetten wieder, als Gesamtauswertung (Gesamtpunktzahl) und aufgeteilt nach den Dimensionen Didaktik und Diagnostik. Über die Zeit des Studiums (t1 bis t3a) bestehen in allen Fällen signifikante Zuwächse (Varianzanalyse mit Messwiederholung). Am Ende des Studiums (t3a + t3b) erreichen die Studierenden mit durchschnittlich 18.13 Punkten (SD = 5.37) das Niveau der Praxislehrpersonen als Referenzgruppe, die im Durchschnitt 18.64 Punkte (SD = 5.90) erzielen. Der Vergleich der Studierenden zu t3 (t3a + t3b) mit den Praxislehrpersonen ergibt keine überzufälligen Unterschiede (t-Test; p > 0.05). Das Planungswissen der Praxislehrpersonen unterscheidet sich am Ende der Ausbildung nicht von demjenigen der Studierenden.

Tab. 4 Wissen über das Planen von Unterricht: Mittelwert (M), Standardabweichung (SD), F-Wert (F) und Partielles Eta-Quadrat der Gesamtpunktzahl und der Dimensionen Didaktik und Diagnostik der Vignettenauswertung zu den Zeitpunkten t1 bis t3a (Anfang bis Ende des Studiums) und t3b bis t5 (Ende des Studiums bis Ende erstes Berufsjahr) und im Vergleich zu den Praxislehrpersonen (PLP)

Die Tab. 4 zeigt, wie bereits erwähnt, dass sich die Daten des Messzeitpunktes t3a nicht überzufällig von den Daten des Messzeitpunktes t3b unterscheiden. Dies ist insofern von Bedeutung, als daraus erschließbar ist, dass das mehrmalige Bearbeiten der Vignetten während des Studiums keine unerwünschten Lerneffekte zur Folge hatte. Im Weiteren zeigt sich bei der Gesamtauswertung (Gesamtpunktzahl) ein signifikanter Rückgang des Planungswissens von t3b zu t4 (t-Test; t = 2.42; p = 0.02). Der Vergleich über t3b, t4 und t5 zeigt jedoch keinen signifikanten Effekt. Das Planungswissen weist von Ende der Ausbildung bis zum Ende des ersten Berufsjahres somit eine „Delle“ auf. Von t4 nach t5 scheint ein leichter Anstieg zu bestehen; die Effektstärke über t3b, t4 und t5 ist jedoch gering und nicht signifikant (partielles Eta2 = 0.14). Der Rückgang des Planungswissens im Übergang in den Beruf und im ersten Berufsjahr hält sich somit in engen Grenzen.

Die Einzelauswertung nach den Dimensionen Didaktik und Diagnostik zeigt ein analoges Bild. Die Studierenden erreichen am Ende des Studiums (t3a + t3b) mit 11.25 Punkten für die Didaktik und 5.70 Punkten für die Diagnostik das Niveau der Praxislehrpersonen (11.64 bzw. 5.36 Punkte). Die Effektstärke bei der Dimension Diagnostik ist im Studienverlauf (t1 bis t3a) stärker ausgeprägt (Partielles Eta2 = 0.64**) als bei der Dimension Didaktik (Partielles Eta2 = 0.53**). Der Rückgang im Übergang in den Beruf (t3b bis t4) bezieht sich auf das diagnostische Wissen (t-Test; t = 2.25; p = 0.03); beim didaktischen Wissen ist der Rückgang nicht signifikant (t-Test; t = 1.19; p = 0.24).

Zu den Dimensionen Klassenführung und Sachkompetenz wurden sowohl von den Studierenden wie von den Praxislehrpersonen kaum Aussagen gemacht. Für die Unterrichtsvorbereitung scheinen beide Aspekte bei beiden Versuchspersonengruppen von untergeordneter Bedeutung zu sein.

4.2 Videoanalyse

4.2.1 Kodierung des Unterrichtsgeschehens

Die Kodierung des unterrichtlichen Geschehens ergab zur Frage nach der Art des Unterrichts die in den Tab. 5 und 6 wiedergegebenen Ergebnisse. Über alle fünf Messzeitpunkte hinweg wird gemäß Tab. 5 (unterrichtliche Arbeitsformen) sowohl von den Studierenden und den jungen Lehrpersonen im ersten Berufsjahr wie auch von den Praxislehrpersonen rund 50 % der Unterrichtszeit für den Klassenunterricht verwendet, gefolgt von 20–25 % der Unterrichtszeit für Still- und Einzelarbeit. In je etwa 5 % bis gut 10 % der Unterrichtszeit findet entweder Partner- oder Gruppenarbeit statt. Die Ergebnisse für die Versuchspersonen im Studium (t1 bis t3a) bzw. im Übergang in den Beruf und im ersten Berufsjahr (t3b bis t5) und jene der Praxislehrpersonen unterscheiden sich nicht überzufällig von einander, mit einer einzigen Ausnahme: Im Unterricht der Praxislehrpersonen kommen Störungen signifikant häufiger vor als im Unterricht der Studierenden bzw. Berufseinsteigenden. Als Störungen wurden Äußerungen der Lehrperson an die Klasse kodiert, die erfolgten, nachdem die Schüler/innen bereits ohne Hilfe der Lehrperson am Unterrichtsgegenstand zu arbeiten angefangen hatten. Sie umfassen nachträgliche Aussagen zu den Arbeitsaufträgen oder Vorgehensweisen der Schüler/innen (Ergänzungen, Präzisierungen, Korrekturen).

Tab. 5 Kodierung des Unterrichtsgeschehens (gerundete Werte): Arbeitsformen im Unterricht zu den Messzeitpunkten t1 bis t5 – im Vergleich dazu die Arbeitsformen im Unterricht der Praxislehrpersonen (PLP)

Für die Berufseinsteigenden geht aus Tab. 5 hervor, dass von Ende des Studiums (t3b) bis zum Ende des ersten Berufsjahres (t5) der Anteil an kooperativen Formen des Unterrichts (Anteile der Partner- und der Gruppenarbeit aggregiert) signifikant zunimmt (Partielles Eta2 = 0.16*). Der parallele Rückgang des Klassenunterrichts in dieser Zeitspanne ist indessen nicht signifikant (Partielles Eta2 = 0.11; vgl. Tab. 5).

Tab. 6 Kodierung des Unterrichtsgeschehens (gerundete Werte): Sprechanteile im Unterricht zu den Messzeitpunkten t1 bis t5 – im Vergleich dazu die Sprechanteile im Unterricht der Praxislehrpersonen (PLP)a

Die Tab. 6 zur Kommunikation im Unterricht zeigt, dass im Klassenunterricht die Lehrperson das Gespräch dominiert. Besonders ausgeprägt ist dies bei den Praxislehrpersonen der Fall. Sie sprechen im Unterricht signifikant häufiger als die Studierenden zu t3a und t3b. Auch ihre Schüler/innen sprechen signifikant mehr als die Schüler/innen in den Klassen der Studierenden am Ende der Ausbildung. Bei den Berufeinsteigenden nimmt die kommunikative Dominanz der Lehrperson von t3b zu t5 signifikant ab (Partielles Eta2 = 0.17*) zugunsten der Mischformen der Kommunikation, die signifikant zunehmen (Partielles Eta2 = 0.24**). Am Ende des ersten Berufsjahres (t5) kommt bei den Berufseinsteigenden die gemischte Kommunikation, welche für die kooperativen Arbeitsformen (Partner- und Gruppenarbeit) typisch ist, am ausgeprägtesten vor. Da die kooperativen Arbeitsformen bei den Berufseinsteigenden auf (t5) zunehmen, müsste zu diesem Zeitpunkt ein Unterschied bezüglich der gemischten Kommunikation zwischen Berufseinsteigenden und Praxislehrpersonen bestehen. Tatsächlich gibt es zwischen Berufseinsteigenden am Ende des ersten Berufsjahres (t5) und den Praxislehrpersonen einen signifikanten Unterschied (t-Test; t = 4.64**; p = 0.00).

4.2.2 Beurteilung der Unterrichtsqualität

Die Gesamtbeurteilung der Qualität der Unterrichtsstunden und die Einschätzungen nach den Dimensionen ‚Instruktionseffizienz‘, ‚Schülerorientierung‘, ‚Kognitive Aktivierung‘ und ‚Klarheit und Strukturiertheit‘ (Tab. 3) mittels sechsstufiger Likertskala ergab die in Tab. 7 wiedergegebenen Ergebnisse. Bereits zu Beginn des Studiums (t1) unterrichten die Studierenden nach der Gesamtbeurteilung der Unterrichtsstunden (Gesamtwert) im Durchschnitt auf einem Niveau, das mit M = 3.51 über der Mitte der sechsstufigen Skala liegt. Bis zum Ende der Ausbildung steigt die durchschnittliche gesamthafte Unterrichtsqualität signifikant auf M = 4.00 an (Varianzanalyse mit Messwiederholung). Damit ergibt sich für die Zeit des Studiums (t1 bis t3a) bezüglich der Unterrichtsqualität insgesamt ein signifikanter Zuwachs (Partielles Eta2 = 0.58**) von rund einem halben Punkt auf der sechsstufigen Skala.

Tab. 7 Beurteilung der Unterrichtsqualität: Mittelwert (M), Standardabweichung (SD), F-Wert (F) und Partielles Eta-Quadrat des Gesamtwerts, der vier Dimensionen und der neun Facetten zu den Zeitpunkten t1 bis t3a (Anfang bis Ende des Studiums) und t3b bis t5 (Ende Studium bis Ende erstes Berufsjahr) sowie im Vergleich zu den Praxislehrpersonen (PLP) bewertet auf einer sechsstufigen Skala (1  „trifft ganz und gar nicht zu“ bis 6  „trifft voll und ganz zu“)

Des Weiteren zeigen sich für die Zeit des Studiums (t1 bis t3a) signifikante Zuwächse bei der ‚Instruktionseffizienz‘ (Partielles Eta2 = 0.57**) sowie bei der ‚kognitiven Aktivierung‘ (Partielles Eta2 = 0.52*). In Mittelwertsvergleichen wird die Aussage der ermittelten Daten immer reduziert, so dass eine Darstellung der neun Facetten (Tab. 3) weiteren Einblick in die Breite der Daten gibt (Tab. 7). Es zeigen sich signifikante Zuwächse bei der ‚Qualität der Organisation‘ (Partielles Eta2 = 0.64**) und beim ‚Pacing‘ (Partielles Eta2 = 0.57*).

Als erfreuliche Wirkung der Ausbildung kann auch das Ergebnis gewertet werden, dass die Studierenden am Ende der Ausbildung (t3a bzw. t3b) mit durchschnittlich M = 4 bzw. M = 3.96 auf der sechsstufigen Skala das durchschnittliche unterrichtliche Qualitätsniveau der Praxislehrpersonen (M = 4.13) erreichen. Zwischen den Studierenden am Ende der Ausbildung (t3a + t3b) und den Praxislehrpersonen bestehen keine signifikanten Unterschiede, d.h. die Unterrichtsqualität beider Gruppen ist vergleichbar.

Die Qualitätsbeurteilung als Gesamtauswertung und nach den vier Dimensionen zeigt für den Übergang in den Beruf und das erste Jahr im Beruf (t3b bis t5) keinerlei Veränderungen. Auch am Ende des ersten Berufsjahres (t5) unterrichten die ehemaligen Studierenden, die unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung in den Beruf eintraten, so gut wie die Praxislehrpersonen

5 Diskussion

Gemäß den Ausführungen in Abschnitt 2.1 würde eine Lehrperson dann professionell unterrichten, wenn ihr Unterricht als den Kriterien guten Unterrichts entsprechend durchgeführt und die Vorbereitung und Durchführung von Unterricht als den Dimensionen Sachkompetenz, diagnostische Kompetenz, didaktische Kompetenz und Klassenführungskompetenz Rechnung tragend beurteilt werden kann. Die dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf drei von insgesamt elf Bereichen des gesamten Forschungsdesigns. Die Beurteilung dieser Bereiche ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass von der Reform der Lehrer/innenbildung nach den Wirksamkeitsuntersuchungen von Oser und Oelkers (2001) und den bildungspolitischen Entscheidungen – alle um das Jahr 2000 gefällt –, die Lehrer/innenbildung in der Schweiz neu an Pädagogischen Hochschulen durchzuführen, eine verstärkte Professionalisierung erhofft wurde.

Die dargestellten Ergebnisse lassen insgesamt einen erfreulichen Professionalisierungserfolg erkennen. Das Wissen über das Planen von Unterricht nimmt während des Studiums von Jahr zu Jahr signifikant zu. Die Studierenden erreichen am Ende des Studiums das Qualitätsniveau des Planungswissens von erfahrenen Lehrpersonen, die als Praxislehrpersonen in der Ausbildung angehender Lehrpersonen maßgeblich mitwirken und in diesem Sinn als Expertenlehrpersonen bezeichnet werden können. Am Ende des Studiums (t3a bzw. t3b und t3a + t3b) ist nicht nur das Planungswissen auf dem höchsten Stand von allen fünf Messzeitpunkten, das didaktische Wissen ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls am ausgeprägtesten vorhanden. Relativ gesehen nimmt hingegen das diagnostische Wissen im Studium am stärksten zu (+ 19.9 % gegenüber + 12.7 % beim didaktischen Wissen). Gemessen am Zuwachs während der Ausbildung beginnen die Studierenden ihr Studium indessen bereits mit vergleichsweise viel didaktischem Wissen. Der Zuwachs beim diagnostischen Wissen hält sich verglichen mit dem Ausgangspunkt zu Beginn des Studiums ebenfalls in Grenzen, und es ist dieses Wissen, das im Zeitpunkt des Berufseinstiegs (t4) am stärksten unter Druck gerät. Erfreulich jedoch ist, dass das Planungswissen in der Berufseinstiegsphase auf dem Niveau des am Ende des Studiums erreichten Standes bleibt. Ein Rückgang im Sinne der ‚Konstanzer Wanne‘ ist nicht zu beobachten. Damit bestätigen sich die Befunde von Lipowsky (2003) und Lacher Klee (2005). Im ersten Jahr im Beruf verändert sich das Planungswissen aus dem Studium nur unwesentlich. Weder nimmt es durch das nun regelmäßige Unterrichten zu, noch vermindert es sich in einer Weise, welche die Nachhaltigkeit der Ausbildung in Frage stellen würde. Auch wenn ein signifikanter Rückgang vom Messzeitpunkt am Ende Studiums (t3b) auf den Messzeitpunkt am Anfang des ersten Berufsjahres (t4) zu beobachten ist (kleine ‚Konstanzer Wanne‘), hält das Planungswissen dem Druck der Praxis im Wesentlichen stand. Umgekehrt nimmt es aufgrund der Praxiserfahrung auch nicht zu, wie sich jene erhoffen, die sich den Kompetenzerwerb im Lehrberuf vor allem aus der Tätigkeit im beruflichen Arbeitsfeld versprechen (Schüpbach 2007).

Bei aller Vorsicht können für das Studium erfreulicherweise signifikante Zuwächse und für die Zeit des ersten Berufsjahres hohe Konstanz als kennzeichnend angesehen werden. Die Antwort auf den Vergleich mit den Praxislehrpersonen ist ebenfalls erfreulich und lautet, dass der Wissensstand in Bezug auf das Planen von Unterricht sowohl am Ende des Studiums wie am Ende des ersten Berufsjahres mit jenem bei den Praxislehrpersonen vergleichbar ist. Nur vorübergehend scheint ein gewisser Rückgang des diagnostischen Wissens (von t3b auf t4) zu bestehen.

Unerwartet ist indessen das Ergebnis, dass sich das Planungswissen der Praxislehrpersonen nicht vom Niveau, das von den Studierenden am Ende der Ausbildung (t3a bzw. t3b und t3a + t3b) erreicht wird, unterscheidet, obwohl sich die Praxislehrpersonen in ihrer Arbeit mit den Studierenden, deren Praktika sie mitbetreuen, immer wieder mit dem Planen von Unterricht auseinandersetzen und diese bei deren konkretem Planen von Unterricht beraten und unterstützen. Als Betreuer/innen von Praktika müssen sie auch auf Konsequenzen suboptimal geplanten Unterrichts eingehen. Die vorliegenden Ergebnissen passen zu den teilweise ernüchternden Erkenntnissen von Schüpbach (2007), wonach die Unterrichtsnachbesprechung kaum die Bedeutung einer ‚Nahtstelle von Theorie und Praxis‘ hat, sondern viel eher diejenige einer kurzen evaluativen Rückmeldung mit Hinweisen auf praktische Konsequenzen in der Form von didaktischen und pädagogischen Tipps und Anregungen. Reflexive Theorie-Praxis-Bezüge kommen nach Schüpbach nur selten vor, was ihn den Schluss ziehen lässt, dass in der Lehrer/innenbildung Wissen und Handeln, respektive Theorie und Praxis, expliziter, gezielter und vielfältiger miteinander in Beziehung gebracht werden sollten. Den Ergebnissen der hier dargestellten Untersuchungen zufolge scheint auch das Planungswissen kaum eine echte ‚Nahtstelle von Theorie und Praxis‘ zu bilden. Zudem besteht beim Planungswissen zu höheren Bewertungen auch bei den Praxislehrpersonen noch viel Spielraum.

Die Ergebnisse zur Frage nach der Art und der Qualität des videografierten Unterrichts sind zunächst ebenfalls erfreulich. Sie zeigen, dass das Studium wie erhofft einen Anstieg der Unterrichtsqualität bewirkt. Insgesamt unterrichten die Studierenden am Ende der Ausbildung im Durchschnitt zudem so gut wie die Praxislehrpersonen, ebenfalls ein positiver Effekt der Ausbildung. Auch bei den spezifisch untersuchten vier Dimensionen der Unterrichtsqualität geht die Entwicklung in die erwünschte Richtung. Dass nicht in jedem Fall eine signifikante Qualitätssteigerung festzustellen ist, kann ihre Ursache auch in der relativ niedrigen Zahl der in die Untersuchung einbezogenen Versuchspersonen haben. Zudem ist der Qualitätszuwachs während des Studiums bei den Dimensionen ‚Schülerorientierung‘ (Partielles Eta2 = 0.36; p = 0.08) und ‚Klarheit und Strukturiertheit‘ (Partielles Eta2 = 0.35; p = 0.098) nur knapp nicht signifikant. Die Beurteilungen der Unterrichtsqualität für den Übergang in den Beruf und das erste Berufsjahr zeigen, dass gesamthaft gesehen (Gesamtwert) und bezogen auf die vier Dimensionen die durchschnittliche Unterrichtsqualität nicht einbricht. Hohe Konstanz und Übereinstimmung mit den Praxislehrpersonen sind wie beim Planungswissen auch für die Unterrichtsqualität das Kennzeichen des Übergangs in den Beruf und des ersten Berufsjahres.

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass es der Ausbildung noch nicht gelingt, die Studierenden in allen vier Dimensionen der Unterrichtsqualität in gleicher Weise zu fördern. Zwischen der am Ende des Studiums (t3a + t3b) am stärksten ausgeprägten ‚Schülerorientierung‘ (M = 4.29) und der zu t3a + t3b am tiefsten eingeschätzten ‚kognitiven Aktivierung‘ (M = 3.54) besteht ein Unterschied in der Größenordnung von mehr als einem halben Punkt auf der sechsteiligen Beurteilungsskala. Am Ende des ersten Berufsjahres (t5) bewegt sich die durchschnittliche ‚kognitive Aktivierung‘ mit M = 3.53 verglichen mit M = 3.49 am Ende des Studiums (t3b) im Rahmen der zufälligen Streuung. Für die Ausbildung wiederum spricht, dass der Qualitätszuwachs von t1 bis t3a bei der ‚kognitiven Aktivierung‘ signifikant ist. Ebenso liegt für die Zeit des Studiums beim ‚Pacing‘ ein signifikanter Zuwachs vor, während für die ‚Schülerorientierung‘ und die ‚Klarheit und Strukturiertheit‘ keine signifikanten Zuwächse festgestellt werden konnten. Die Zuwächse scheinen allerdings ebenfalls in die erwünschte Richtung zu gehen.

Auch bei den Praxislehrpersonen ist die ‚kognitive Aktivierung‘ am tiefsten von allen vier Dimensionen. Mit M = 3.57 unterscheiden sich diesbezüglich die Praxislehrpersonen im Durchschnitt nicht vom Durchschnitt der Studierenden am Ende der Ausbildung (M = 3.54 zu t3a + t3b) und ebenfalls nicht vom Durchschnitt am Ende des ersten Berufsjahres (M = 3.53 zu t5). Dies weist auf ein grundsätzliches Problem der Ausbildung hin. Der kognitiven Aktivierung kommt sowohl bei den Studierenden wie bei den Praxislehrpersonen noch nicht die ihr aufgrund der Erkenntnisse der Lehr- und Lernforschung beizumessende Bedeutung zu (z. B. Danielson 2009; Klieme und Rakoczy 2008; Pauli et al. 2008; vgl. auch Heft 3/2010 der Zeitschrift „Unterrichtswissenschaft“).

Entwicklungsbedürftige Bereiche der Ausbildung zeigen sich auch aufgrund der Ergebnisse des niedrig-inferenten Kodierens. Die sowohl von den Praxislehrpersonen wie von den Studierenden und Berufseinsteigenden weitaus am meisten praktizierte Unterrichtsart ist der Klassenunterricht, bei dem die Lehrperson am meisten spricht, die Schüler/innen am wenigsten. Interessanterweise sprechen die Praxislehrpersonen und ihre Schüler/innen im Unterricht mehr als die Studierenden als Lehrpersonen am Ende der Ausbildung und ihre Schüler/innen. Mit weiterführenden Analysen (Baer et al. 2008) wird zurzeit untersucht, von welcher Qualität die Auftragserteilung und das Frageverhalten der jungen Lehrpersonen ist (welches ausschlaggebend für die kognitive Aktivierung ist) und wie sich die Erfahrung des täglichen Unterrichtens im ersten Jahr der Berufstätigkeit auf die Qualität der Aufträge und Fragen auswirkt. Die bisherigen Analysen der Unterrichtsstunden der Lehrpersonen im ersten Berufsjahr lassen unbefriedigende Kompetenzstände vermuten. Nicht nur scheinen sich die Beiträge der Schülerinnen und Schüler vorwiegend auf Stichwortgeber-Antworten zu beschränken (daher ihre niedrigen Zeitanteile an der Kommunikation im Unterricht), sondern vor allem entspricht der klassische Klassenunterricht mit Fragen der Lehrperson, die von einzelnen Schülerinnen und Schülern für die ganze Klasse beantwortet werden, nicht einem Unterricht, bei dem die individuellen konstruktiven Lernprozesse für alle Schüler/innen im Zentrum stehen, wie dies nach dem Lehr-Lernverständnis der modernen Unterrichtsforschung zentral ist:

Learning is a set of constructive processes in which the individual student (alone or socially) builds, activates, elaborates, and organizes knowledge structures. From this conception of learning, it follows that teaching should maximize the opportunity for students to engage in activities that promote higher order learning. (Seidel und Shavelson 2007, S. 459)

Dieses Verständnis trägt auch dem selbstregulierten Lernen und damit der Metakognition Rechnung:

Thus, teachers should create an environment in which students are able to engage in domain-specific learning activities. […] Learning includes a regulative component. Students have the opportunity to internalize processes of stimulating, monitoring, and regulating learning. Teaching can, for example, guide and facilitate these regulative processes by providing scaffolding, feedback, and support or by teaching students strategies for self-regulation. (Seidel und Shavelson 2007, S. 459 f.)

In keiner der 182 niedrig- und hoch-inferent analysierten Unterrichtsstunden, die dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen, wurde selbstgesteuertes Lernen beobachtet; ebensowenig Differenzierungen wegen der Heterogenität der Lernenden (Beck et al. 2008) und Strukturierungen (z. B. Ziel und Ablauf, Rückschau auf und Zusammenfassung der Stunde). Für das Studium bedeutet dies: Die angehenden Lehrpersonen lernen, traditionellen Klassenunterricht zunehmend besser durchzuführen, was im Gegensatz zu dem steht, was ihnen im Studium „theoretisch“ vermittelt wird. Die Praxiserfahrung in den Praktika verändert an dieser Art des Unterrichtens kaum etwas. Diese Unterrichtsart wird im Gegenteil von den Studierenden am Ende der Ausbildung und den Berufseinsteigenden ebenso erfolgreich durchgeführt wie von den erfahrenen Praxislehrpersonen. Das bedeutet indessen auch, dass die Studierenden das Modell für ihren Unterricht bei den Praxislehrpersonen finden, die ihnen als Betreuer ihrer Praktika als Rollenmodelle erscheinen. Zudem entspricht er wohl weitgehend der eigenen Schulerfahrung. Damit perpetuiert sich jedoch dieses Unterrichtsmodell unabhängig von den seit den 1970-Jahren erfolgten Veränderungen im wissenschaftlichen Verständnis des Lernens und Lehrens, das die Studierenden in den Ausbildungsmodulen an der Pädagogischen Hochschule kennenlernen. Den beiden an der Untersuchung beteiligten Pädagogischen Hochschulen ist es noch nicht gelungen, ihre „Meisterlehrer/innen“, die Praxislehrpersonen, auf ein anderes Unterrichtsverständnis und seine Umsetzung mit den Studierenden in den von ihnen betreuten Praktika hin weiterzubilden, wie aus den Kodierungen der videografierten Unterrichtsstunden hervorgeht. Zu erwähnen ist indessen auch, dass auf das Ende des ersten Berufsjahres hin (t3b bis t5) bei den Berufseinsteigenden eine signifikante Entwicklung zu mehr kooperativen Formen zu beobachten ist.

Die dargestellten Ergebnisse bestätigen diejenigen einer Pilotstudie (Kocher et al. 2010). Während von den vier Dimensionen der Unterrichtsqualität die Schülerorientierung am stärksten ausgeprägt ist, zeigt sich bezüglich der oben dargestellten Kriterien guten Unterrichts sowohl bei den Berufsteinsteigenden wie bei den erfahrenen Lehrpersonen Entwicklungsbedarf bei der kognitiven Aktivierung, dem Umgang mit Heterogenität und bei der Angebotsvariation; womit sich auch zeigt, inwiefern in Bezug auf die Professionalisierung von Lehrpersonen Entwicklungsbedarf vorhanden ist. Interessante Fragestellungen ergeben sich aus der Feststellung, dass die Praxislehrpersonen im Durchschnitt nicht besser unterrichten als es die Studierenden am Ende der Ausbildung durchschnittlich tun. Langjährige Praxiserfahrung allein ist offensichtlich nicht Bedingung genug für die Entwicklung von Expertise.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass zwischen dem Planungswissen und der Unterrichtsqualität (Gesamtwert) eine einzige knapp signifikante Korrelation von r = 0.22 (p = 0.052) (Kendalls-Tau) für den Zeitpunkt am Ende des Studiums (t3a + t3b) ermittelt werden konnte. Zwischen den Dimensionen Didaktik bzw. Diagnostik des Planungswissens und der Unterrichtsqualität konnten keine signifikanten Korrelationen festgestellt werden. Das Planungswissen und die Unterrichtsqualität scheinen bei den in die Untersuchungen einbezogenen Versuchspersonen kaum miteinander verbunden zu sein.