1 Einleitung

Kein anderes politisches Thema beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Jahren in ähnlicher Weise wie die sogenannte Flüchtlingskrise, die im Jahre 2015 ihren Anfang nahm. Als im Verlauf des Jahres erkennbar wurde, dass immer mehr Menschen aus Syrien und anderen Ländern versuchten, über das Mittelmeer und den Landweg nach Mitteleuropa zu gelangen, war die Politik in Deutschland und Europa lange uneins darüber, wie sie mit dem zu erwartenden Anstieg der Zuwanderung umgehen sollte. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende August entschieden hatte, die deutschen Grenzen für Zuwanderer nicht zu schließen („Wir schaffen das!“), gelangten im Laufe des Jahres rund eine Millionen Menschen nach Deutschland. Die zunächst überwiegend positive Grundstimmung gegenüber den Zuwanderern („Willkommenskultur“) drehte sich im Verlauf des Jahres angesichts der stark steigenden Zahl an Zuwanderern und insbesondere nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015/16, in der es in Köln und anderen deutschen Städten zu einer Reihe von sexuellen Übergriffen auf Frauen kam, an denen auch Zuwanderer beteiligt waren. Im März 2016 trat schließlich ein Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft, das die Zahl der nach Mitteleuropa kommenden Zuwanderer deutlich sinken ließ.

Die Flüchtlingskrise erschien vielen zugleich aber auch als eine Krise der Medienberichterstattung. Die zunächst vor allem von rechtspopulistischen Gruppierungen verbreiteten Lügenpresse-Vorwürfe führten im Verlauf des Jahres zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Medienberichterstattung. Im November 2015 veröffentlichte das Institut für Demoskopie Allensbach dazu erste Befragungsdaten. Demnach glaubten mehr als die Hälfte der Deutschen, die Medien vermittelten kein zutreffendes Bild von Alter und Geschlecht der Einwanderer, die nach Deutschland kommen. Nur ein Drittel hielt die Berichterstattung über Flüchtlinge für ausgewogen (vgl. Köcher 2015). Im Februar 2017, als die Zahl der Zuwanderer bereits wieder deutlich gesunken war, zeigten neue Befragungsdaten desselben Instituts, dass sich an der Skepsis der deutschen Bevölkerung gegenüber der Flüchtlingsberichterstattung nichts geändert hatte. Während die Befragten die Medienberichterstattung über eine Vielzahl anderer Themen für glaubwürdig hielten, gaben rund zwei Drittel an, Medienberichten über „die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen“ nicht zu vertrauen. Sogar rund drei Viertel misstrauten der Berichterstattung über die Kriminalität von Flüchtlingen. Zudem war fast die Hälfte (42 %) der Meinung, an dem Vorwurf der Lügenpresse sei „zumindest etwas dran“ (vgl. Köcher 2017). Diese Befunde finden sich schließlich auch in wissenschaftlichen Studien wieder. In einer zweiwelligen Repräsentativbefragung gaben 2016 und 2017 jeweils rund 40 % der Befragten an, die Berichterstattung über Flüchtlinge sei „stark verzerrt“. Über die Hälfte der Befragten hielt sie zudem für „zu positiv“. Beides galt vor allem für Menschen, die viele mediale Informationen zum Thema genutzt hatten (vgl. Arlt und Wolling 2017).

Weite Teile der deutschen Bevölkerung kritisierten die Medienberichterstattung folglich aus zwei Gründen: Sie entspreche erstens nicht den Tatsachen, weil sie z. B. falsche Eindrücke von der Zahl und den soziodemografischen Merkmalen der Einwanderer vermittele. Sie sei zweitens nicht ausgewogen, weil sie Zuwanderer einseitig positiv darstelle und mögliche Gefahren der Zuwanderung nicht thematisiere. Belastbare Daten zur Richtigkeit und Ausgewogenheit der Medienberichterstattung lagen zu dieser Zeit freilich niemandem vor. Wir wollen solche Daten in dieser Studie präsentieren. Dazu diskutieren wir zunächst die beiden Konzepte „Richtigkeit“ und „Ausgewogenheit“ der Medienberichterstattung aus theoretischer und methodischer Perspektive. Anschließend präsentieren wir Daten einer Inhaltsanalyse von drei führenden Tageszeitungen und drei reichweitenstarken Fernsehnachrichtensendungen zur Flüchtlingsberichterstattung zwischen Mai 2015 und Januar 2016.

2 Richtigkeit und Ausgewogenheit der Medienberichterstattung: Theorie und Daten

2.1 Richtigkeit der Berichterstattung

Bei der Richtigkeit der Berichterstattung geht es um die Frage, ob die Medienberichte Fakten korrekt wiedergeben. Die Forderung nach wahrheitsgemäßer Berichterstattung findet sich beispielsweise im Pressecodex des deutschen Presserats (vgl. Deutscher Presserat 2017, S. 4). Die Richtigkeit der in den Medien präsentierten Fakten ist zudem ein zentraler Indikator in kommunikationswissenschaftlichen Modellen zur Objektivität (vgl. Westerståhl 1983) oder Qualität (vgl. Schatz und Schulz 1992) der Medienberichterstattung. Rund drei Viertel der deutschen Journalisten halten es denn auch für ihre Aufgabe, „die Realität so abzubilden, wie sie ist“ (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 102). Ob es sinnvoll und möglich ist, die Medienberichterstattung auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen, ist zunächst eine erkenntnistheoretische Frage. Vertreter des Konstruktivismus lehnen Vergleiche zwischen Berichterstattung und Realität ab, weil es keine vom Beobachter unabhängig erkennbare Realität gebe. Die Realität werde von jedem Beobachter vielmehr vollständig subjektiv konstruiert, wobei keine der subjektiven Konstruktionen für sich reklamieren könne, besser oder richtiger zu sein als die anderen (vgl. Völker und Scholl 2014; Hepp et al. 2017). Verschiedene Autoren haben aber gerade angesichts aktueller Diskussionen um Lügenpresse, alternative Fakten und Fake News dafür plädiert, die Möglichkeit, zwischen mehr oder weniger richtigen Mediendarstellungen zu unterscheiden, nicht vorschnell zu verwerfen (vgl. Maurer 2014; Neuberger 2017).

Schließt man sich dieser Position an, lässt sich die Richtigkeit der Berichterstattung empirisch am ehesten durch Vergleiche der Mediendarstellung mit externen Realitätsindikatoren untersuchen (Extra-Media-Vergleich; vgl. Rosengren 1970; Best 2000). Dabei lassen sich drei Arten von Realitätsindikatoren unterscheiden: Erfahrungsberichte von Augenzeugen eines Ereignisses (vgl. Lang und Lang 1953), Einschätzungen von Experten (vgl. Post 2008) und statistische Informationen, die mit weitem Abstand am häufigsten für Extra-Media-Vergleiche herangezogen werden (vgl. z. B. Best 2000; Henn und Vowe 2015; Hagen und Seifert 2015).

Die Bedingungen, unter denen Vergleiche der Medienberichterstattung mit externen Statistiken sinnvoll und möglich sind, lassen sich in Anforderungen an die zu analysierenden Ereignisse und in Anforderungen an die Statistiken unterscheiden (vgl. Rosengren 1970; Best 2000).

Die Ereignisse müssen drei Bedingungen erfüllen: Sie müssen (1) eindeutig erkennbar sein, (2) wiederholt stattfinden und (3) berichtenswert sein. Die eindeutige Erkennbarkeit von Ereignissen gewährleistet, dass sich geeignete Indikatoren für den Vergleich der Berichterstattung mit Statistiken finden lassen. Eine räumliche und zeitliche Begrenzung von Ereignissen und eine klare Definition ermöglichen, dass quantitative Kennzahlen identifiziert werden, die das Ereignis beschreiben. Dass Ereignisse wiederholt stattfinden, ist eine Voraussetzung für die Messung von zeitlichen Entwicklungen und garantiert auch die Wiederholbarkeit des empirischen Vergleichs. Dass Ereignisse berichtenswert sind, ist deshalb eine notwendige Bedingung, weil die Ereignisse so relevant sein müssen, dass mediale Berichterstattung über sie wahrscheinlich ist.

Die Statistiken müssen (1) verfügbar sein, (2) medienunabhängig sein, (3) im Zeitverlauf stabile Zugriffskriterien haben und (4) stabile Dunkelziffern besitzen. Die Verfügbarkeit von Statistiken ist besonders beim Vergleich von Zeitreihen relevant. Zu den Messzeitpunkten der Medieninhaltsanalyse müssen auch statistische Kennzahlen verfügbar sein. Für die Analyse der Richtigkeit der Berichterstattung ist es nötig, Statistiken heranzuziehen, bei denen der direkte Einfluss der Medienberichterstattung auf die Statistiken möglichst gering ist. So eignen sich Umfragedaten vergleichsweise schlecht als externe Realitätsindikatoren, weil die Bevölkerungsmeinung auch von der Medienberichterstattung beeinflusst wird. Dagegen sind amtliche Statistiken (z. B. Bevölkerungsstatistik, Arbeitslosenstatistik, Kriminalitätsstatistik) gut geeignet, weil sie von der Medienberichterstattung vollkommen unabhängig erhoben werden. Im Zeitverlauf stabile Zugriffskriterien sind wichtig, damit die Bewertungsgrundlage des Vergleichs konstant bleibt. Ereignisse in der Statistik sollten im Zeitverlauf aufgrund identischer Merkmale aufgenommen worden sein. Quantitative Schwankungen in der Berichterstattung könnten andernfalls auf Änderungen in der Statistik oder auf Änderungen der journalistischen Selektionskriterien beruhen. Eine ähnliche Problematik betrifft das Kriterium, dass Dunkelziffern im Zeitverlauf stabil sein müssen. Dunkelziffern sind vor allem bei der Kriminalitätsstatistik relevant. Vergleichbarkeit ist dann gegeben, wenn sich weder die Anzeigebereitschaft noch die Verbrechensbekämpfung beim betrachteten Delikt verändert haben. Das bedeutet, es muss plausibel werden, dass es im Untersuchungszeitraum keine externen Einflüsse auf die Bereitschaft, eine Straftat anzuzeigen, gegeben hat (vgl. Best 2000, S. 56). Alles in allem stellen Vergleiche der Medienberichterstattung mit externen Realitätsindikatoren folglich außerordentlich hohe Anforderungen an die zugrundeliegenden Statistiken und sind deshalb nur in relativ wenigen Fällen sinnvoll und möglich.

Empirische Studien zum Vergleich der Medienberichterstattung über Asylbewerber oder Migranten mit externen Realitätsindikatoren zeigen zum Teil erhebliche Differenzen zwischen der Berichterstattung und amtlichen Statistiken auf: So bestehen zwischen der statistisch erfassten Zahl der Asylanträge und der Medienberichterstattung über Migration im Zeitverlauf nur geringe, gar keine oder sogar gegenläufige Zusammenhänge (vgl. Vliegenthart und Boomgaarden 2007; van Klingeren et al. 2015). Männliche Migranten sind in deutschen Fernsehnachrichten im Vergleich zu weiblichen deutlich überrepräsentiert (vgl. Krüger und Simon 2005). Zugleich thematisieren die Massenmedien in Deutschland Migranten aus bestimmten Ländern, z. B. der Türkei und Marokko, deutlich stärker, als es ihrem Anteil in der Bevölkerung entspricht (vgl. Sommer und Ruhrmann 2005). Die Kriminalitätsberichterstattung lokaler Tageszeitungen thematisiert in Bezug auf nahezu alle Delikte die Kriminalität von Migranten überproportional häufig. Nur Tötungsdelikte von Migranten werden im Vergleich zur Kriminalitätsstatistik unterproportional berichtet (vgl. Handel 1998). Dabei führen sogenannte Schlüsselereignisse, also z. B. besonders spektakuläre Verbrechen wie die Kölner Vorfälle in der Silvesternacht 2015/16 dazu, dass die Massenmedien verstärkt über die Kriminalität von Zuwanderern berichten, obwohl diese faktisch nicht zugenommen hat (vgl. Arendt et al. 2017).

2.2 Ausgewogenheit der Berichterstattung

Unter Ausgewogenheit versteht man allgemein die Tatsache, dass in der Medienberichterstattung verschiedene Akteure, Themen und Standpunkte etwa gleichermaßen bzw. „gerecht“ (vgl. Hagen 1995, S. 120) repräsentiert sind. Das Bundesverfassungsgericht erwartet von den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern eine ausgewogene Berichterstattung (vgl. BVerfG 1961). Zugleich ist die Forderung nach Ausgewogenheit in vielen Landesmediengesetzen enthalten. Ähnlich wie die Richtigkeit der Medienberichterstattung wird auch ihre Ausgewogenheit häufig als Indikator für die Objektivität oder Qualität von Medieninhalten herangezogen (vgl. Westerståhl 1983; Schatz und Schulz 1992; im Überblick auch Maurer und Reinemann 2006, S. 28–33). Der Begriff bleibt dabei aber häufig weitgehend undefiniert. Entsprechend heterogen fällt die empirische Forschung zur Ausgewogenheit der Medienberichterstattung aus.

Dabei kann man zunächst festhalten, dass unterschiedliche Studien verschiedene Operationalisierungen von Ausgewogenheit verwenden (vgl. D’Allesio und Allen 2000; Eberl et al. 2017). Die am häufigsten verwendeten Operationalisierungen sind dabei (1) die Sichtbarkeit und (2) die Bewertung von Akteuren oder Standpunkten. Bei der Sichtbarkeit geht es um die Frage, ob unterschiedliche oder konkurrierende Akteure in der Berichterstattung gleichermaßen vorkommen. Die Forderung nach Ausgewogenheit der Medienberichterstattung in diesem Sinn lässt sich mit der Tatsache begründen, dass die Sichtbarkeit für Akteure per se vorteilhaft ist, weil sie ihre Bekanntheit erhöht (vgl. Geiß und Schäfer 2017). Bei der Bewertung von Akteuren oder Sachverhalten geht es z. B. um die Frage, ob Argumente für und gegen einen Akteur oder eine Position in der Berichterstattung gleichermaßen präsent sind. Diese Forderung lässt sich im Wesentlichen damit begründen, dass sich die in den Medien präsentierten Argumente und Bewertungen in der politischen Urteilsbildung der Rezipienten niederschlagen (vgl. im Überblick Reinemann et al. 2013).

Darüber hinaus liegen den Studien zwei verschiedene normative Konzeptionen von Ausgewogenheit zugrunde (vgl. Hopmann et al. 2011). Hierbei geht es um die Frage, unter welchen Bedingungen man die Medienberichterstattung als ausgewogen betrachtet. Zum einen kann man die Medienberichterstattung als ausgewogen bezeichnen, wenn Akteure und Standpunkte in den Medien etwa gleich häufig repräsentiert sind. So wird es z. B. als ausgewogen betrachtet, wenn über die beiden Kanzlerkandidaten vor Bundestagswahlen ähnlich häufig berichtet wird oder die unterschiedlichen Standpunkte der Gegner in einem politischen Konflikt ähnlich thematisiert oder bewertet werden (vgl. Maurer und Reinemann 2006, S. 129–132). Zum anderen wird unter Ausgewogenheit aber auch die proportionale oder maßstabsgerechte Darstellung von verschiedenen Akteuren oder Meinungslagern verstanden (vgl. Mothes 2014). Hier geht es folglich nicht mehr um eine Gleichverteilung, sondern um eine Verteilung, die im weitesten Sinne reale Verhältnisse abbildet. So gilt die Berichterstattung z. B. als ausgewogen, wenn über die beiden großen Volksparteien vor Bundestagswahlen häufiger berichtet wird als über die kleineren Parteien, weil diese bei vorherigen Bundestagswahlen weniger Stimmen erhalten haben (vgl. Jandura 2007, S. 166–170). Zugleich kann man es als ausgewogen betrachten, wenn konkurrierende Meinungslager nicht gleichermaßen, sondern entsprechend ihrer Verteilung in der Gesellschaft zu Wort kommen (vgl. Boykoff und Boykoff 2004). In der zweiten Konzeption von Ausgewogenheit vermischen sich folglich Ausgewogenheit und Richtigkeit der Berichterstattung, weil Ausgewogenheit an der Übereinstimmung mit den realen Akteurs- und Meinungsverteilungen gemessen wird.

Schließlich untersuchen die bisherigen Studien die Ausgewogenheit der Berichterstattung auf unterschiedlichen Analyseebenen (vgl. McQuail 2010, S. 224). Dabei geht es erstens darum, ob einzelne Medienbeiträge in sich ausgewogen sind, also z. B. ähnlich viele Argumente für und gegen eine bestimmte Position enthalten. Zweitens geht es darum, ob die Berichterstattung eines Mediums insgesamt ausgewogen ist. Hier kann man z. B. untersuchen, ob eine bestimmte Tageszeitung in einem Konflikt insgesamt ähnlich viele Argumente für und gegen die jeweiligen Konfliktparteien publiziert hat. Schließlich geht es darum, wie ausgewogen die Berichterstattung der Medien insgesamt ist. Hier kann man z. B. untersuchen, ob sich die Massenmedien in einem Konflikt kollektiv hinter eine Konfliktpartei stellen oder unterschiedliche Positionen einnehmen.

Betrachtet man die bisherige Forschung zur Ausgewogenheit der Medienberichterstattung über Asylbewerber und Migranten im Allgemeinen, wird zunächst deutlich, dass sie sich weitgehend auf die Frage konzentriert, ob die Medien ein einseitig negatives Bild von Zuwanderern vermitteln. Dabei zeigt sich zunächst, dass Migranten in den Massenmedien in der Regel tatsächlich einseitig negativ dargestellt werden. Positive Eigenschaften von Migranten werden nur selten thematisiert (vgl. Hömberg und Schlemmer 1994). Der Grad der negativen Darstellung ist allerdings zum einen vom Herkunftsland der Migranten abhängig, wobei vor allem Migranten aus muslimischen Ländern einseitig negativ charakterisiert werden (vgl. Merten 1986; Goedeke Tort et al. 2016). Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass über Muslime häufig im Zusammenhang mit Terrorismus und Kriminalität berichtet wird (vgl. Sommer und Ruhrmann 2010; Ahmed und Matthes 2017). Im Zusammenhang mit anderen Themen erscheinen Migranten dagegen meist als Opfer (vgl. Greussing und Boomgaarden 2017). Zum anderen zeigen sich teilweise erhebliche Unterschiede in der Berichterstattung verschiedener Medien. Dabei stellen linksliberale Medien Zuwanderer deutlich positiver dar als konservative (z. B. Geißler 2000).

Die bisherige Forschung legt folglich den Schluss nahe, dass vor allem muslimische Migranten in den Medien im Regelfall einseitig negativ charakterisiert werden, während ein relativ großer Teil der deutschen Bevölkerung die Berichterstattung in der Flüchtlingskrise im Gegenteil als zu positiv wahrnahm. Einen ersten Hinweis darauf, dass die deutschen Medien in der Flüchtlingskrise möglicherweise Zuwanderer tatsächlich positiver dargestellt haben, als sie üblicherweise über Migranten berichten, liefert eine dreiteilige Studie der Otto-Brenner-Stiftung (vgl. Haller 2017). Demnach war die Berichterstattung der überregionalen Tageszeitungen während der Flüchtlingskrise stark meinungsbetont und auf politische Akteure konzentriert. Eine qualitative Analyse der Kommentare dieser Zeitungen zeigt zudem, dass diese vor allem im Sommer und Herbst 2015 nahezu keine Bedenken gegen eine Ausweitung der Aufnahme von Zuwanderern in Deutschland formulierten. In einer automatisierten Analyse der Berichterstattung von 85 Regionalzeitungen zwischen 2005 und 2016 zeigt sich schließlich, dass das Wort „Willkommenskultur“ in der Berichterstattung überwiegend positiv konnotiert war.

Ausgehend von diesen Befunden und den Zweifeln der deutschen Bevölkerung an der Medienberichterstattung in der sogenannten Flüchtlingskrise wollen wir im Folgenden systematisch die Richtigkeit und Ausgewogenheit der Berichterstattung untersuchen. Dabei konzentrieren wir uns auf die in der deutschen Öffentlichkeit diskutierten Streitfragen: (1) Haben die Medien falsche Informationen über die Anzahl, die soziodemografischen Merkmale und die Kriminalität der Zuwanderer verbreitet? (2) Haben die Medien die Zuwanderer einseitig positiv dargestellt und mögliche Probleme durch die Zuwanderung verschwiegen?

3 Methode

3.1 Inhaltsanalyse

Um die Forschungsfragen zu beantworten, haben wir die Berichterstattung über die „Flüchtlingskrise“ in den drei überregionalen Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Bild sowie in den drei Hauptnachrichtensendungen ARD Tagesschau (20:00 Uhr), ZDF heute (19:00 Uhr) und RTL Aktuell (18:45 Uhr) analysiert. Dabei wurden einerseits besonders reichweitenstarke Medien ausgewählt (Fernsehnachrichten, Bild). Andererseits wurden überregionale Qualitätszeitungen (FAZ, SZ) in die Analyse aufgenommen, weil sie vermutlich einen großen Einfluss auf die Berichterstattung anderer Medien haben. Zudem sollten Medien unterschiedlicher Gattungen und mit unterschiedlichen redaktionellen Linien das publizistische Spektrum der deutschen Medien möglichst breit abbilden. Untersucht wurde die Berichterstattung zwischen dem 1. Mai 2015 und dem 31. Januar 2016. Vor Mai 2015 fand praktisch keine Medienberichterstattung über Zuwanderung statt. Der Januar 2016 markiert durch die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln einen möglichen Wendepunkt in der Berichterstattung. Während wir die Beiträge in den Tageszeitungen als Vollerhebung erfasst haben, haben wir für die drei Nachrichtensendungen aufgrund der sehr aufwändigen Bildcodierung auf Einstellungsebene (siehe unten) jeweils eine halbe Stichprobe gezogen. Dabei haben wir das Verfahren der rollenden Woche angewandt.

Das Codebuch enthielt rund 50 Kategorien, die überwiegend auf Beitragsebene codiert wurden, und war grob in drei Teile untergliedert: Im ersten Teil des Codebuchs wurden formale Merkmale der zu untersuchenden Beiträge erfasst. Im zweiten Teil des Codebuchs ging es um inhaltliche Merkmale der verbalen Darstellung der „Flüchtlingskrise“. Dazu gehörten beispielsweise die maximal drei zentralen Beitragsthemen (85 Ausprägungen), die maximal drei zentralen Akteure des Beitrags (360 Ausprägungen) und deren Bewertung, gemessen auf fünfstufigen Skalen („eindeutig positiv“ bis „eindeutig negativ“). Darüber hinaus enthielt das Codebuch eine Reihe von Kategorien, die dezidiert auf die Konfliktlinien in der Flüchtlingskrise abgestimmt waren. So erfassten wir beispielsweise, ob die Zuwanderung in einem Beitrag alles in allem eher als Chance oder als Gefahr für Deutschland dargestellt wurde (fünfstufige Skala von „eindeutig Chance“ bis „eindeutig Gefahr“). Außerdem erhoben wir, ob der Beitrag insgesamt eher den Bedürfnissen der Zuwanderer oder den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung Vorrang einräumte (fünfstufige Skala von „eindeutig Bedürfnisse der Zuwanderer“ bis „eindeutig Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung“). Schließlich enthielt dieser Codebuchteil auch spezifische Kategorien zu den Merkmalen der im Beitrag dargestellten Zuwanderer. Dazu gehören z. B. soziodemografische Merkmale wie Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht. Dabei haben wir sowohl statistische Informationen über die Verteilung soziodemografischer Merkmale der Zuwanderer („Zwei Drittel der Zuwanderer sind männlich“) als auch Beiträge über einzelne Zuwanderer oder Zuwanderergruppen („Der 15-jährige Mohammed ist ohne seine Eltern nach Deutschland gekommen“) erfasst.

Im dritten Teil des Codebuchs wurden inhaltliche Merkmale der visuellen Darstellung der Flüchtlinge erfasst. Dazu haben wir alle Pressefotos zu den Beiträgen codiert. Nachrichtenfilme wurden in Einstellungen zerlegt, die als Bildfolge von Filmaufnahmen ohne Schnitt definiert waren. Eine neue Einstellung begann folglich immer dann, wenn ein Schnitt erfolgte. Pro Fernsehbeitrag wurden die fünf längsten Einstellungen codiert. Von den Variablen auf Bildebene ist hier nur die visuelle Darstellung soziodemografischer Merkmale der Flüchtlinge relevant. Hier haben wir für jede Einstellung erfasst, welches Geschlecht und Alter (Erwachsene versus Kinder) die dargestellten Zuwanderer überwiegend haben.

Die Codierung nahmen sieben intensiv geschulte Codierer vor. Für den Reliabilitätstest wurden vor Codierbeginn von allen Codierern 15 identische Beiträge verschlüsselt. Dabei erreichten die formalen Kategorien im paarweisen Vergleich nach Holsti (Anteil der übereinstimmenden Codierungen an allen Codierungen) Werte zwischen 0,87 (Quelle) und 0,97 (Datum). Die inhaltlichen Kategorien erreichten Werte zwischen 0,72 (Thema) und 0,87 (Herkunftsland der Flüchtlinge).

3.2 Externe Realitätsindikatoren

Um die Richtigkeit der Darstellung zu untersuchen, ziehen wir eine Reihe externer Realitätsindikatoren heran, die wir mit der Berichterstattung vergleichen. Als Indikator für die Anzahl und Soziodemographie der Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, greifen wir auf Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zurück. Dabei verwenden wir zwei unterschiedliche Datenquellen: (1) In der sogenannten EASY-Datei werden alle Zuwanderer erfasst, die die Grenzen nach Deutschland überschreiten. 2015 waren das 1.091.894 Menschen. Allerdings berücksichtigt diese Zählung keine Personenmerkmale. (2) In der Asylstatistik werden Geschlecht, Alter, Bildungsgrad und Religionszugehörigkeit derjenigen Zuwanderer erfasst, die in Deutschland einen Asylantrag stellen. Aufgrund der im Jahr 2015 stark gestiegenen Zahl an Asylsuchenden konnten jedoch bei Weitem nicht alle Zuwanderer noch im selben Jahr einen Asylantrag stellen. Tatsächlich stehen mehr als einer Million in der EASY-Statistik registrierten Zuwanderern nur rund 442.000 Erstanträge auf Asyl gegenüber. Wir werden deshalb die in der EASY-Statistik registrierten Flüchtlinge als Indikator für die Gesamtzahl der Zuwanderer heranziehen, während wir auf die Asylstatistik zurückgreifen, um die soziodemografischen Merkmale der Migranten in Berichterstattung und Statistik miteinander zu vergleichen. Dabei nehmen wir mit dem BAMF (2016) an, dass die demografische Struktur der Asylerstantragsteller in etwa auf die Alters- und Geschlechtsstruktur aller Zuwanderer übertragbar ist, weil beim Asylverfahren keine Personengruppen systematisch bevorzugt werden. Dafür spricht auch, dass sich die soziodemografischen Merkmale der Zuwanderer, die erst 2016 einen Asylantrag stellten, kaum von denjenigen unterscheiden, die dies bereits 2015 getan haben.

Um die Kriminalität von Zuwanderern zu erfassen, greifen wir auf Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) zurück, die sich im Besonderen mit tatverdächtigen Zuwanderern beschäftigen. Dabei gelten als Zuwanderer Asylbewerber, geduldete Personen, sogenannte Kontingentflüchtlinge bzw. Bürgerkriegsflüchtlinge und Personen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten (vgl. BKA 2015). Mithilfe dieser Daten lassen sich zudem verschiedene Kriminalitätsfelder (Eigentumsdelikte, Gewaltdelikte usw.) unterscheiden.

Wir greifen folglich in allen Fällen auf offizielle und etablierte Statistiken zurück. Sie sind medienunabhängig, ihre rechtlichen Grundlagen haben sich im Verlauf unseres Untersuchungszeitraums nicht verändert, und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich Dunkelziffern verändert haben könnten. Das heißt selbstverständlich nicht, dass die von uns verwendeten Statistiken unfehlbar sind. Die in der EASY-Statistik erfassten Zuwanderer sind möglicherweise nicht alle in Deutschland geblieben. Im Asylverfahren werden einige Zuwanderer falsche Angaben über ihre Herkunft oder ihr Alter gemacht haben. Nicht alle Verbrechen von Zuwanderern werden angezeigt usw. Dabei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach aber um Einzelfälle, die die grundsätzliche Aussagekraft der Statistiken nicht infrage stellen.

4 Befunde

Insgesamt enthielten die sechs von uns untersuchten Medien von Mai 2015 bis Januar 2016 4726 Beiträge über die „Flüchtlingskrise“. Die meisten Beiträge erschienen in der FAZ (1733), der SZ (1147) und Bild (628). Unter den Fernsehnachrichtensendungen berichteten die Tagesschau (454) und heute (444) etwas häufiger als RTL aktuell (320). Dabei haben wir die halbe Stichprobe bei den Fernsehnachrichten aus Gründen der Vergleichbarkeit bereits auf eine Vollerhebung hochgerechnet.

4.1 Richtigkeit der Berichterstattung

Wir wollen zunächst die Anzahl der Berichte über Zuwanderung mit der Anzahl der Zuwanderer auf Monatsbasis vergleichen (EASY-Statistik). Dabei knüpfen wir an frühere Studien an (vgl. Vliegenthart und Boomgaarden 2007; van Klingeren et al. 2015) und betrachten die Zahl der Zuwanderer als einen Indikator für die Relevanz des Themas. Die Daten zeigen zunächst einen erheblichen Anstieg der Medienberichterstattung zwischen Juni und September 2015, der weitgehend parallel zum Anstieg der Anzahl der in Deutschland registrierten Zuwanderer verläuft: Je mehr Zuwanderer nach Deutschland kamen, desto intensiver berichteten die Medien über Zuwanderung (Abb. 1). Dieser Zusammenhang löste sich in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums jedoch zunehmend auf. Obwohl die Zuwanderungszahlen bis zum November weiter anstiegen, verloren die Medien bereits ab Oktober zunehmend das Interesse am Thema Zuwanderung. Ab Dezember 2015 sank die Zahl der Zuwanderer erheblich. Dennoch stieg die Berichterstattung über Zuwanderung im Januar 2016 vor allem als Folge der Vorfälle in der Silvesternacht wieder massiv an. Zwischen der statistisch erfassten Menge der Zuwanderer und der Berichterstattung über Zuwanderung bestand folglich nur so lange ein Zusammenhang, wie in den Medien insbesondere über die Zahl der Zuwanderer spekuliert wurde. Als diese Diskussion von anderen Ereignissen verdrängt wurde, spielte die Zahl der Zuwanderer für die Berichterstattungsmenge keine Rolle mehr.

Abb. 1
figure 1

Anzahl der Zuwanderer und Medienberichterstattung über Zuwanderung. Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai 2015 und Januar 2016 (n = 4726). (Quelle: BAMF 2016)

In der Öffentlichkeit wurde vor allem unterstellt, die Medien berichteten überproportional über Frauen und Kinder, während es sich bei den Zuwanderern tatsächlich bei Weitem überwiegend um Männer handele (vgl. Bär 2015). Um zu prüfen, ob dies zutrifft, verglichen wir die verbalen und visuellen Hinweise auf Alter und Geschlecht der Zuwanderer in den Medien (Inhaltsanalysedaten ohne Januar 2016) mit den entsprechenden Informationen aus der Asylstatistik 2015. Dass wir die Monate Januar bis April 2015 in unserer Inhaltsanalyse nicht erfasst haben, ist für diesen Vergleich irrelevant, weil in diesen Monaten nicht über Zuwanderung berichtet wurde. Tatsächlich zeigt die Asylstatistik, dass es sich bei etwas mehr als der Hälfte der Zuwanderer um männliche Erwachsene handelte. Erwachsene Frauen machten etwas weniger als 20 % der Zuwanderer aus, die restlichen 30 % waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Entgegen den Eindrücken eines großen Teils der Bevölkerung entsprachen die Mediendarstellungen diesen Verteilungen in Text und Bild fast exakt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Soziodemographie der Zuwanderer und ihre Darstellung in den Medien. Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai und Dezember 2015 (Text: n = 672; Bild: n = 652). (Basis: BAMF 2016)

Eine bemerkenswerte Ausnahme stellte allerdings die Tagesschau dar. Hier wurden verbal deutlich häufiger Frauen und Kinder (64 %) als Männer (37 %) thematisiert. Zugleich waren auch auf den Fernsehbildern überwiegend Frauen und Kinder (54 %) zu sehen.

Auch im Hinblick auf die Herkunftsländer der Einwanderer zeigen sich nur geringe Differenzen zwischen der Asylstatistik und der Medienberichterstattung. Syrer waren sowohl in der Asylstatistik (36 %) als auch in der Medienberichterstattung (40 %) die mit Abstand häufigste Bevölkerungsgruppe. Die von uns untersuchten Medien berichteten allerdings überproportional häufig auch über Zuwanderer aus anderen, Syrien relativ ähnlichen Krisengebieten wie Afghanistan und Irak, während sie unterproportional über Zuwanderer aus Ländern wie Albanien und dem Kosovo berichteten, die in der Asylstatistik vordere Plätze einnahmen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Herkunft der Zuwanderer in der Asylstatistik und in der Medienberichterstattung. Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai und Dezember 2015 (n = 1753). (Quelle: BAMF 2016)

Schließlich wollen wir uns mit der Medienberichterstattung über die Kriminalität von Zuwanderern beschäftigen. Dazu vergleichen wir die Berichterstattung über verschiedene Delikte mit Daten der Kriminalstatistik des BKA (2015). Lässt man ausländerrechtliche Vergehen (z. B. Auflagen gegen die Meldevorschriften) außen vor, haben Zuwanderer im Jahr 2015 114.238 Kriminalitätsdelikte begangen, darunter etwa 27.000 Fälle von Gewaltkriminalität. Zu diesen Delikten veröffentlichten die von uns untersuchten Medien im Jahr 2015 zusammengenommen 92 Berichte (2 % aller Beiträge über Zuwanderer). Um diese Zahlen einordnen zu können, müssten wir sie eigentlich mit der Menge der Berichterstattung über entsprechende Delikte vergleichen, die durch andere Bevölkerungsgruppen verübt wurden. Diese Zahlen liegen uns allerdings nicht vor, weil wir hier nur Beiträge mit Bezug zu Zuwanderern untersucht haben. Um zumindest näherungsweise entscheiden zu können, ob über die Kriminalität von Zuwanderern im vorliegenden Fall über- oder unterproportional berichtet wurde, betrachten wir hier frühere Studien als Vergleichsmaßstab, in denen der Anteil der Kriminalitätsberichterstattung an der Gesamtberichterstattung der deutschen Medien ermittelt wurde. Wir vergleichen dabei den Anteil der Berichterstattung über die Kriminalität von Flüchtlingen an der gesamten Flüchtlingsberichterstattung in unserer Studie mit dem in anderen Studien ermittelten Anteil der Berichterstattung über Kriminalität insgesamt an der gesamten Medienberichterstattung. Diese Studien (vgl. z. B. Henn und Vowe 2015; Krüger und Zapf-Schramm 2016; zusammenfassend Maurer und Reinemann 2006, S. 189–195) zeigen, dass die allgemeine Kriminalitätsberichterstattung in Deutschland üblicherweise zwischen 3 und 11 % der Gesamtberichterstattung ausmacht. Vor diesem Hintergrund können wir festhalten, dass die Berichterstattung über Kriminalität von Zuwanderern im Jahre 2015 im Vergleich zur üblichen Kriminalitätsberichterstattung vergleichsweise gering ausfiel. Dieses Berichterstattungsmuster drehte sich allerdings durch die Vorfälle in der Silvesternacht 2015/16 völlig. Allein im Januar 2016 berichteten die sechs Medien 196-mal über Flüchtlingskriminalität (26 % aller Beiträge). Rechnet man die Beiträge ab, die sich direkt mit den Vorfällen in Köln befassten, berichteten die Medien in diesem Monat noch immer fast genauso häufig über andere Fälle von Flüchtlingskriminalität (86 Beiträge) wie im gesamten Jahr 2015. Detaillierte Analysen zeigen zudem, dass sich die Berichterstattung bereits 2015 vor allem auf Gewalt- (74 %) und Sexualdelikte (15 %) konzentrierte, während sie Eigentumsdelikte weitgehend ignorierte (7 %). Tatsächlich registrierte die Kriminalitätsstatistik aber vor allem Eigentumsdelikte von Zuwanderern (71 %), Gewaltdelikte machten 28 %, Sexualdelikte sogar nur ein Prozent aus.

4.2 Ausgewogenheit der Berichterstattung

Entsprechend den eingangs diskutierten Zweifeln der deutschen Öffentlichkeit an der Medienberichterstattung und anknüpfend an die bisherige Forschung wollen wir uns hier auf die Frage konzentrieren, ob die Massenmedien einseitig positiv über Migranten und Migration berichtet haben (Bewertung von Akteuren). Dazu betrachten wir zunächst die positive oder negative Darstellung der Zuwanderer selbst. Diese wurde für alle Beiträge codiert, in denen Zuwanderer zu den drei Hauptakteuren gehörten. Wir beziehen in diese Analyse nur die 357 Beiträge ein, die Wertungen enthielten. Dabei zeigt sich zunächst einmal, dass nur sehr wenige der wertenden Beiträge (10 %) in sich selbst ausgewogen waren, also etwa gleich viele positive wie negative Bewertungen von Zuwanderern enthielten. Lässt man diese Beiträge außen vor und berechnet den Saldo aus positiven und negativen Darstellungen, zeigt sich eine bemerkenswerte Entwicklung im Zeitverlauf: Bis in den Herbst 2015 wurden Zuwanderer in den von uns untersuchten Medien fast ausschließlich positiv bewertet. Nach der Entscheidung, die Grenzen nicht zu schließen, ließ die Medieneuphorie zunächst merklich nach. Zur Weihnachtszeit verbesserte sich das Bild, das die Medien von den Zuwanderern zeichneten, wieder deutlich, bevor die Vorfälle in der Silvesternacht die mediale Stimmung endgültig ins Negative kippen ließen (Abb. 4). Zugleich zeigten sich bemerkenswerte Unterschiede zwischen den von uns untersuchten Medien. Betrachtet man den gesamten Untersuchungszeitraum, enthielt allein Bild (−3 %) etwa gleich viele positive wie negative Bewertungen der Zuwanderer. FAZ (+16 %) und Süddeutsche Zeitung (+26 %) berichteten überwiegend positiv, vor allem die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender (+73 % bzw. +75 %) stellten Zuwanderer fast ausschließlich positiv dar (Abb. 5).

Abb. 4
figure 4

Tendenz der Berichterstattung über Zuwanderer im Zeitverlauf (Saldo). Basis: Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai 2015 und Januar 2016 (n = 357)

Abb. 5
figure 5

Tendenz der Berichterstattung über Zuwanderer in unterschiedlichen Medien (Saldo). Basis: Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai 2015 und Januar 2016 (n = 357)

Als zweiten Indikator für die Ausgewogenheit der Berichterstattung ziehen wir die Darstellung der Zuwanderung als Chance oder Gefahr heran. Die Zuwanderung kann beispielsweise als Chance dargestellt werden, weil sie Deutschland kulturell bereichert oder der Überalterung der deutschen Bevölkerung entgegenwirkt. Sie kann aber auch als Gefahr dargestellt werden, z. B. weil sie mit Kosten verbunden ist oder die Kriminalität erhöht. Dieser Indikator unterscheidet sich von der Bewertung der Flüchtlinge darin, dass es hier nicht um die Zuwanderer als Menschen geht, sondern um einen relativ abstrakten Sachverhalt. Nur ein sehr kleiner Teil (8 %) der insgesamt 1460 Beiträge, die Zuwanderung als Chance oder Gefahr thematisierten, war in sich ausgewogen. In den übrigen Beiträgen wurde die Zuwanderung bei weitem überwiegend als Gefahr dargestellt. Dies galt insbesondere für Bild (Saldo −62 %) und das ZDF (−59 %). Am wenigsten stark war dies in der Süddeutschen Zeitung ausgeprägt (−34 %). Die Medien vermittelten insgesamt folglich keinen ausgewogenen, sondern einen widersprüchlichen Eindruck von der Lage: Während sie die Flüchtlinge als Menschen nahezu einheitlich ausgesprochen positiv bewerteten, stellten sie den abstrakten Sachverhalt der Zuwanderung einheitlich als Gefahr dar.

Als dritten Indikator für die Ausgewogenheit der Berichterstattung betrachten wir schließlich die Frage, ob in einem Beitrag explizit oder implizit den Bedürfnissen der Zuwanderer oder den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung Vorrang eingeräumt wurde. So können Medienbeiträge beispielsweise betonen, dass die finanziellen Mittel für die Flüchtlingshilfe an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt wären (Vorrang der Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung), oder die Position vertreten, dass Zuwanderern in jedem Fall geholfen werden muss (Vorrang der Bedürfnisse der Zuwanderer). Dabei haben wir zudem erfasst, ob in einem Beitrag explizit die Position vertreten wurde, dass es sich hierbei nicht um einen Gegensatz handelt. Solche Beiträge waren aber selten (5 %). Etwas häufiger waren Beiträge, die in sich ausgewogen waren, also nahelegten, dass die Interessen von Einheimischen und Migranten gleichermaßen zu berücksichtigen seien (15 %). Im Gegensatz zur jeweils sehr konsonanten Berichterstattung über Zuwanderer und Zuwanderung wiesen die sechs von uns untersuchten Medien hier erhebliche Unterschiede in ihrer Darstellung auf, die sich im Wesentlichen entlang ihrer grundsätzlichen redaktionellen Linien bewegten. Während Bild (Saldo −3 %) und vor allem die FAZ (−14 %) als konservative Medien überwiegend den Interessen der einheimischen Bevölkerung den Vorrang einräumten, stellten die anderen vier Medien die Interessen der Zuwanderer meist über die Interessen der Einheimischen. Dies galt insbesondere für die Tagesschau (+34 %, Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Darstellung des Vorrangs der Bedürfnisse von Einheimischen oder Zuwanderern in unterschiedlichen Medien (Saldo). Basis: Inhaltsanalyse von sechs Tageszeitungen und Fernsehnachrichtensendungen zwischen Mai 2015 und Januar 2016 (n = 723)

5 Zusammenfassung und Diskussion

Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags waren die empirisch gut belegten und medial stark thematisierten Eindrücke eines großen Teils der deutschen Bevölkerung, dass die Massenmedien in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 Fakten falsch dargestellt und einseitig positiv über die Zuwanderer berichtet hätten. Um dies zu prüfen, untersuchten wir die Berichterstattung von sechs reichweitenstarken deutschen Nachrichtenmedien mit unterschiedlichen redaktionellen Linien zwischen Mai 2015 und Januar 2016 inhaltsanalytisch. Um zu ermitteln, ob diese Medien die Faktenlage richtig dargestellt haben, zogen wir zudem Statistiken zur Anzahl, den soziodemografischen Merkmalen und zur Kriminalität von Zuwanderern als externe Realitätsindikatoren heran.

Unsere Analysen zeigen, dass die untersuchten Medien die Faktenlage überwiegend richtig dargestellt haben. Insbesondere der häufig geäußerte Vorwurf, die Medien hätten überproportional über Frauen und Kinder berichtet, obwohl die meisten Zuwanderer Männer waren, trifft nicht zu. Tatsächlich haben die meisten Medien die soziodemografischen Merkmale der Zuwanderer in ihrer Berichterstattung nahezu exakt abgebildet. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellte hier allerdings die Tagesschau dar, deren Berichterstattung tatsächlich überwiegend den Eindruck vermittelte, dass es sich bei den Zuwanderern vor allem um Frauen und Kinder handele. Stärkere Abweichungen der Berichterstattung von der Faktenlage zeigten sich im Hinblick auf die Kriminalität der Zuwanderer. Dabei legen die Analysen zum einen nahe, dass über die Kriminalität von Zuwanderern vor den Vorfällen in der Silvesternacht 2015/16 eher unter-, danach aber eher überproportional berichtet wurde. Zum anderen zeigt sich, dass sich die hier untersuchten Medien in ihrer Berichterstattung über die Kriminalität von Zuwanderern auch vor der Silvesternacht überproportional auf schwere Verbrechen wie Gewalt- und Sexualdelikte konzentriert haben. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um ein Spezifikum der Medienberichterstattung über Flüchtlinge, sondern um einen Befund, der sich in ähnlicher Form auch in der allgemeinen Kriminalitätsberichterstattung findet (vgl. Schönhagen und Brosius 2004).

Zugleich wird allerdings auch deutlich, dass die Medienberichterstattung in der „Flüchtlingskrise“ überwiegend nicht ausgewogen war. Auf der Ebene einzelner Beiträge zeigt sich für alle hier untersuchten Indikatoren gleichermaßen, dass nur sehr wenige Beiträge in sich ausbalanciert waren. Auf der Ebene der Gesamtberichterstattung zeigen sich sehr unterschiedliche Formen von Einseitigkeit: Die Berichterstattung über die Zuwanderer selbst war vor allem bis zum Herbst 2015 und vor allem in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern konsonant und einseitig positiv. Zugleich wurde die Zuwanderung als abstrakter Sachverhalt aber in denselben Medien ebenso konsonant und einseitig als Gefahr für Deutschland dargestellt. Beim Vorrang der Bedürfnisse von Zuwanderern oder Einheimischen zeigen sich schließlich deutliche Unterschiede zwischen den hier untersuchten Medien, die weitgehend ihren redaktionellen Linien folgen. Die Medienberichterstattung war folglich nicht ausgewogen, sondern inkonsistent. Dieses Bild bleibt auch dann bestehen, wenn wir eine Reihe weiterer Indikatoren betrachten, für deren Darstellung wir hier keinen Raum mehr haben. Unsere Befunde zeichnen folglich ein deutlich differenzierteres Bild als die Studie der Otto-Brenner-Stiftung zum selben Thema (vgl. Haller 2017), die den Medien eine einheitlich positive Flüchtlingsberichterstattung unterstellt.

Offensichtlich trafen die Vorwürfe weiter Teile der deutschen Bevölkerung allenfalls teilweise zu: Die Medien stellten die wesentlichen Fakten nicht falsch dar. Sie berichteten zwar einseitig, diese Einseitigkeiten fielen jedoch nicht durchweg zugunsten der Zuwanderer aus. Dass sich die Bevölkerung im Hinblick auf die Richtigkeit der Berichterstattung getäuscht hat, lässt sich vermutlich damit erklären, dass ihr die Fakten gar nicht bekannt waren und sie folglich nicht einschätzen konnte, ob die Medienberichterstattung den Fakten entspricht. Zudem kann man annehmen, dass die Wahrnehmung der Ausgewogenheit von Medienberichten erheblich von den Voreinstellungen der Rezipienten zum Berichterstattungsgegenstand geprägt ist. Dabei nehmen insbesondere Rezipienten mit dezidierten Voreinstellungen selbst neutrale Medienberichte als einseitig gegen ihren eigenen Standpunkt gerichtet wahr (Hostile Media Effect; vgl. im Überblick Perloff 2015). Wenn Massenmedien konsonant und einseitig über einen Sachverhalt berichten, wie es zumindest zu Beginn der „Flüchtlingskrise“ der Fall war, findet ein großer Teil der Rezipienten seinen eigenen Standpunkt in den Medien nicht mehr repräsentiert. Diese Abweichung der Berichterstattung von den eigenen Ansichten führt dazu, dass die Rezipienten auch an der Glaubwürdigkeit der Berichterstattung zweifeln (vgl. Maurer et al. 2018).

Vergleiche der Medienberichterstattung mit externen Realitätsindikatoren sind in der Regel mit Problemen verbunden, so auch im vorliegenden Fall. Unsere Befunde müssen deshalb vorsichtig interpretiert werden. Dennoch glauben wir, dass solche Vergleiche sinnvoll und nötig sind, weil die dabei möglicherweise auftretenden Ungenauigkeiten gering sind, ihr wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Nutzen dagegen groß. Dass Massenmedien ein exaktes Abbild der Realität vermitteln, ist aus mehreren Gründen nicht zu erwarten. Journalistische Selektionskriterien führen beispielsweise dazu, dass über spektakuläre Verbrechen eher berichtet wird als über weniger spektakuläre. Journalistische Stereotype führen angesichts der hohen Zahl syrischer Flüchtlinge dazu, dass über Flüchtlinge aus Syrien vermeintlich ähnlichen Ländern häufiger berichtet wird als über Flüchtlinge aus Ländern, die mit Syrien nur sehr wenig gemein haben. Redaktionelle Linien unterschiedlicher Medien führen dazu, dass ein und dieselben Sachverhalte unter Umständen sehr unterschiedlich dargestellt werden. Diese Darstellungen sind aber gesellschaftlich relevant, weil sie aller Wahrscheinlichkeit nach das Bild prägen, das die Bevölkerung von den Zuwanderern erhält. Ob über Zuwanderer überwiegend im Zusammenhang mit schweren oder überwiegend im Zusammenhang mit vergleichsweise harmlosen Verbrechen berichtet wird, beeinflusst vermutlich den Eindruck, den die Bevölkerung von den Zuwanderern erhält. Gleiches gilt für die Frage, welches Bild die Medienberichterstattung von der Herkunft und den soziodemografischen Merkmalen der Zuwanderer vermittelt.

Die Bedeutung journalistischer Nachrichtenmedien wird künftig aller Wahrscheinlichkeit nach davon abhängen, ob sich die Rezipienten darauf verlassen können, dass Informationen aus journalistischen Quellen zuverlässiger und ausgewogener sind als Informationen aus sozialen Medien und anderen nicht journalistischen Quellen. Die Richtigkeit und Ausgewogenheit der Medienberichterstattung in gesellschaftlich relevanten Streitfragen sollte deshalb auf den Prüfstand gestellt werden – sei es, um Fehler in der Berichterstattung zu identifizieren, oder sei es, um ungerechtfertigte Vorwürfe Dritter zu widerlegen.