1 Einleitung und Forschungsstand

Sowohl in der Tagespresse als auch in der Wissenschaft (vgl. Abold 2005; Arnold und Neuberger 2005; Zimmermann 2006; Schweitzer 2006; Chadwick 2009; Zittel 2010; Lilleker und Jackson 2011; Dahlgren 2005; Chadwick und Howard 2009; Pannen 2010) wurde und wird darüber diskutiert, inwieweit Social Media Anstöße zu einer partizipatorisch geprägten Demokratiebewegung geben könnten bzw. selbst Teil einer Partizipationsbewegung und eines neuen Strukturwandels der Öffentlichkeit sind (vgl. Shirky 2008; Li und Bernoff 2008). In dieser Debatte scheinen erneut die Argumente auf, die schon bei der flächendeckenden Verbreitung des Internets der Generation 1.0 ins Feld geführt wurden (vgl. Möller 2005).

So weckten auch die Social Media Hoffnungen, durch neue Medien neue politische Diskurse befördern zu können, mehr partizipative Elemente in das bestehende System einfließen zu lassen oder durch neue deliberative Demokratieformen die Zivilgesellschaft zu stärken (vgl. Siedschlag 2002). Ein Großteil der frühen Literatur war – wie Emmer und Vowe konstatieren – „getragen von der Hoffnung, das Internet erweitere und erneuere die politische Beteiligung“ (Emmer und Vowe 2004, S. 192). Dabei verweisen sie auf die Studien von Grossmann (1995), Rheingold (1994), Schwartz (1996) und Leggewie (2000). Die jüngeren Forschungsergebnisse hierzu sind jedoch stark heterogen (vgl.u. a. Bräuer et al. 2008; Coenen 2005; Kimpeler et al. 2007; Münker 2009; Schrape 2010; Wolling et al. 2010; Vowe et al. 2007) und in Bezug auf den Deliberations- und Partizipationsgedanken zum Teil ernüchternd. Ebenso wenig wie das Internet der ersten Generation können die neuen sozialen Netzwerkstrukturen demnach grundsätzlich neue Demokratieformen konstituieren. Audenhove et al. (2005) sehen daher auch das Phänomen Social Media in Bezug auf politische Partizipation skeptischer bzw. weniger visionär-utopisch und fordern eine genauere Betrachtung und empirische Analyse ein. Auch die These, dass die pure Existenz neuer Medien neue politische Impulse auslöst, hat sich inzwischen als normatives Postulat herausgestellt, das empirisch nicht belegt werden konnte: „Festzuhalten ist, dass es bisher kaum Befunde gibt, die einen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen der Internetkommunikation und einem Zuwachs politischer Partizipation belegen“ (Thimm et al. 2012, S. 296).

Neue technische Möglichkeiten und Netzwerke können jedoch grundsätzlich die Voraussetzung für ein sich wandelndes Kommunikationsverhalten sein. So geht die Mediatisierungsforschung davon aus, dass medientechnische Innovationen indirekt auch politische Kommunikationsformen strukturell verändern können (vgl. Vowe 2006; Donges 2008; Tenscher 2010). Jedoch werden dadurch keinesfalls „positive“ Effekte präjudiziert. Pessimistische Stimmen nehmen sogar an, dass das Internet nicht nur eine fragmentierte Öffentlichkeit widerspiegele – hier sei nur kurz auf das Stichwort „Teilöffentlichkeiten“ verwiesen (vgl. Leggewie 2002) –, sondern selbst zur weiteren Fragmentierung beitrage (vgl. Rössler 2000; Wilhelm 2000). Neben der Fragmentierungsthese stellt ein weiterer Ansatz der als realistisch bis pessimistisch einzuordnenden Arbeiten den Aspekt des „digital“ bzw. „democratic divide“ (vgl. Norris 2001) heraus. Im Internet würden sich verstärkt Netzeliten bilden, die sich aus in der angelsächsischen Literatur als „attentive“ (vgl. Zukin 1981) oder „sophisticated publics“ (vgl. Neumann 1986) bezeichneten Bevölkerungsgruppen rekrutierten. Im deutschsprachigen Raum nehmen diese Ansätze gedanklich den Faden der Wissensklufthypothese (vgl. Bonfadelli 1994) wieder auf – teilweise allerdings ohne den Begriff explizit zu nennen. Die These von der Spaltung der Gesellschaft in besser und schlechter Informierte und der Zusammenhang mit der Art und Weise ihres Medienkonsums wird weiterentwickelt und auf das Internetzeitalter übertragen (vgl. Bonfadelli 2002). Schulz verweist in diesem Zusammenhang auf die demokratische Freiheit hin, sich politisch nicht zu informieren (Schulz 2009, S. 163 ff.), und diskutiert, inwieweit die Grundannahme eines an politischen Informationen interessierten „Superbürgers“ (vgl. Dalton 1996, S. 15) – unabhängig von dem Medienkanal, aus dem er sein Informationen bezieht – ein niemals einzulösendes Postulat bleiben muss. Er nimmt an, dass es sich bei derlei Typisierungen stets um eine Disposition von Teilöffentlichkeiten und nicht um deren tatsächlichen politischen Aktivierungsgrad handelt (vgl. Schulz 2009, S. 165, dort Fußnote 7). Dalton spricht von einer „kognitiven Mobilisierung“, die durch den Medienwandel und gesunkene Zugangsschranken zu politischer Information verursacht werde (vgl. Dalton 2007, S. 276), was wiederum einen Rückbezug auf die „strukturellen“ Veränderungen nahelegt.

Die „Mobilisierungsthese“ (vgl. Dalton 2007) wiederum geht davon aus, dass „über das Internet Teile der Bürgerschaft in die politische Willensbildung einbezogen werden, die über andere Kanäle nicht (mehr) erreichbar sind“ (Emmer und Vowe 2004, S. 193). Im Gegensatz zu dieser dem Gedanken der „Inklusion“ verpflichteten Hypothese steht die „Abkehrhypothese“ – also das Momentum der „Exklusion“–, die das Gegenteil vermutet. Dialektisch betrachtet könnte als Synthese dieser beiden Antipoden die „Indifferenzhypothese“ (oder Nullhypothese) genannt werden, die annimmt, dass das Internet weder eine positive noch eine negative Medienwirkung auf die politische Beteiligung der Bürger hat (vgl. Jarren 1998).

Die vorliegende Studie untersucht die Entwicklung nach 2009 auf Ebene der Länder. Zwar gibt es zu Internetaktivitäten von Parteien und zu Politikerblogs schon einige Fallstudien (vgl.u. a. Schweitzer 2010; Schweitzer 2012; Gerhards und Schäfer 2007; Koopmans und Zimmermann 2010; Kluver und Jankowski 2007; Ferdinand 2004; Coenen 2005; Coleman 2004). Ebenso wurde aus soziologischer Sicht der Aspekt des „Netzpolitik-Aktivismus“ beforscht (vgl. z. B. Wendelin und Löblich 2013). Breiter angelegte Querschnittsuntersuchungen, die speziell auf die neuen Social-Media-Kanäle Facebook und Twitter in Hinblick auf Wahlkampfkommunikation eingehen, sind in Deutschland jedoch bis auf Ausnahmen (vgl. z. B. Thimm et al. 2012; Marcinkowski und Metag 2013) wissenschaftliches Neuland. Deshalb versteht sich die vorliegende Arbeit als explorative Fallstudie, von der noch keine endgültigen und belastbaren Ergebnisse erwartet werden dürfen.

Die Frage der Mobilisierung wurde bisher auf der Mikroebene untersucht, etwa von Schulz (2009), Baringhorst (2009), Vowe, Emmer und Seifert (2007) sowie von Emmer und Vowe (2004). Die Mobilisierungsthese geht im Wesentlichen der Frage nach, inwieweit bislang nicht politisch aktive Bürger – durch neue Medien – in den politischen Willensbildungsprozess einbezogen werden können. Eine Vielzahl von Studien (vgl. etwa Lilleker und Jackson 2011; Anstead und Chadwick 2009; Kluver und Jankowski 2007) weist zudem auf einen Funktionswandel des Internets hin. „Wurde das Web anfänglich vor allem als Organisationstechnologie benutzt, fungiert es heute zumindest bei den größeren Parteien zunehmend als Instrument der direkten Wähleransprache und mobilisierung.“ (Marcinkowski und Metag 2013, S. 25) Um diese direkte Wählermobilisierung soll es hier gehen. Somit wechselt diese Studie einerseits von der Mikro- auf die Mesoebene, andererseits untersucht sie nur noch indirekt, wie neue Wählerschichten inkludiert werden. Vielmehr liegt der Schwerpunkt darauf, wie und wann die bestehenden Nutzer von parteipolitischen Angeboten in Social Media mobilisiert und ob dadurch neue Interaktionen oder gar ein Dialog mit dem potentiellen Wähler befördert werden.

Denn bislang setzt man voraus, dass das Internet im Wahlkampf vor allem „zur unidirektionalen Verbreitung von Wahlkampfbotschaften“ (Marcinkowski und Metag 2013, S. 25) eingesetzt wird, während der interaktive Dialog mit den Wähler nur eine nachrangige Rolle spiele (vgl. Kluver und Jankowski 2007; Schweitzer und Albrecht 2011, S. 39). Dies sind jedoch Befunde, die im Wesentlichen noch das Internet der ersten Generation betreffen. Wie steht es aber um das Web 2.0.? Hier wird im Allgemeinen der kollaborative Gedanke betont (vgl. Münker 2009; Benkler 2006; Gladwell 2000; Howe 2008). Im deutschen Sprachraum findet dies im Begriff des Mitmach-Netzes seinen Ausdruck. Doch gerade wenn dieser Mitmachgedanke betont wird, liegt es nahe zu überprüfen, ob auch die Parteien selbst „mitmachen“. Denn es „muss auch die Interaktion mit der Politik selbst gewährleistet sein, indem sich Entscheidungsträger bspw. aktiv an den Debatten beteiligen oder zumindest über das Internet erreichbar sind“ (Thimm et al. 2012, S. 295).

2 Theoretische Vorüberlegungen und zentrale Begriffe

Versteht man unter Mobilisierung in Anlehnung an Vowe und Emmer (2004) eine Zunahme der politischen Aktivitäten der Bürger, so ist zu klären, welche Formen politischer Aktivität eingeschlossen bzw. möglich sind. Politische Aktivität wird häufig mit politischer Beteiligung gleichgesetzt und ist auch als solche zu verstehen. Die Beteiligungsmöglichkeiten im politischen System sind jedoch zahlreich. Kaase (2003, S. 495) fasst sie als Verhaltensweisen von Bürgern unter dem gemeinsamen Ziel zusammen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Klassisches Beispiel für eine verfasste Form der Beteiligung ist die Teilnahme des Bürgers an Wahlen. Versuchen politische Parteien über Social Media zu mobilisieren, so vermag die Mobilisierung zur Wahlteilnahme und Entscheidung zu ihren Gunsten eines ihrer primären Ziele sein. Dieser Frage gingen zuletzt Marcinkowski und Metag (2013) nach; sie konnten keinen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Web-2.0-Applikationen und Kandidaten bzw. Stimmengewinnen nachweisen. Auch in dieser Studie kann kein Zusammenhang zwischen Quantität der Parteienkommunikation über Social Media und Wahlerfolg einer Partei oder eines Kandidaten empirisch nachgewiesen werden. Die Frage des Wahlerfolges oder der Wahlbeteiligung steht hier allerdings auch nicht im Vordergrund.

Diese Untersuchung konzentriert sich ausschließlich auf die quantifizierbaren Variablen der Web-2.0-Kommunikation. Denn eine weit weniger verfasste, aber ebenso relevante Form der politischen Beteiligung ist die Teilnahme am Diskurs durch Kommunikation. Kommunikation wird hier im Sinne von Habermas als verständigungsorientiertes Handeln interpretiert (vgl. Habermas 1999). Dieser Ansatz ist eng verknüpft mit dem Gedanken der Deliberation und basiert auf einer partizipatorischen Demokratietheorie (vgl. Schmidt 1995, S. 251 ff.) Durch aktive Teilnahme können möglichst viele Bürger auch Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen, so die Grundannahme – die man nicht unumwunden teilen muss, um sie zu überprüfen. In Bezug auf die politische Kommunikation im Web 2.0 und dessen Mitmachgedanken ist es jedoch verständlich, warum diese Theorie so oft bemüht wird.Footnote 1 Hier sei betont, dass durch die offene und transparente Kommunikation über Social Media durchaus Teilhabemöglichkeiten gegeben sind.

Doch können politische Parteien durch ihre Social-Media-Aktivitäten Bürger auch zum Dialog oder gar zum Diskurs mobilisieren? Dialog wird wie oben erläutert in dieser Studie als aktives Handeln, nicht als passive Rezeption von Inhalten verstanden. Für Jarren und Donges (2006, S. 21) gilt Politik per se als Interaktion, Bohnsack (1995, S. 38) kann aus soziologischer Perspektive keinen systematischen Unterschied zwischen Kommunikation und Interaktion finden. Neuberger (2007, S. 43–44) stellt heraus, dass Interaktion eine Teilmenge der Kommunikation ist, die in einem deliberativen Öffentlichkeitsmodell normative Anforderung sei. Kommunikation ist demnach interaktiv, wenn ein menschliches Gegenüber auf eine Anfrage individuell reagiert und sich daraus eine mehr oder weniger lange Kette von Interaktionen ergibt. Interaktive Kommunikation bedürfe einer zeitlichen Folge sowie einer sachlichen Bezugnahme (Neuberger 2007, S. 46). In der Intensivierung des Diskurses wird im Allgemeinen die Möglichkeit gesehen, „den Kreis der Stimmberechtigten [zu] vergrößern und die Beteiligung der Stimmbürgerschaft an der Aussprache, der Willensbildung und der Entscheidung über öffentliche Angelegenheiten [zu] erweitern und [zu] intensivieren“ (Schmidt 1995, S. 169). In dieser Form der Herstellung von Öffentlichkeit liege prinzipiell die Chance, die Beteiligung des Einzelnen vor den politischen Abstimmungsprozess zu verlagern (vgl. Lösch 2005).

Wie ersichtlich wurde, gibt es unterschiedliche definitorische Ansätze für die Begriffe Partizipation, Interaktion, Dialog und Diskurs. Zudem sind diese für die vorliegende Untersuchung so zentralen Termini in Bezug auf das Web 2.0 zu konkretisieren. Grundsätzlich stellt das Web 2.0 nämlich bereits durch seine technische Haptik niedrigschwellige Angebote zur Partizipation bereit. So ist das „Liken“ bei Facebook durchaus als Willensbekundung zu sehen, und es ist minimal aktiv; der Nutzer muss zumindest einmal klicken und liest nicht nur passiv mit. Er tritt auch in Interaktion mit der Partei, da er dieser seine Sympathie zeigt.Footnote 2

Wenn in dieser Studie also bereits ein Facebook-Like oder ein Re-Tweet bei Twitter als minimal aktive Partizipation und Interaktion gilt, wird dies definitiv nicht als Dialog oder gar als Diskurs verstanden. Hier schließt sich der Verfasser Neuberger an, der von einer „Kette von Interaktionen“ spricht, die letztlich einen Dialog und gelungene Kommunikation ermöglichen. „Dialog“ setzt immer eine direkte und individuelle Reaktion auf den „Post“ einer Partei voraus – richtet sich diese nun an die Partei selbst oder an andere User. Im ersten Fall würde ein Dialog zwischen Partei und User etabliert, im letzteren zwischen verschiedenen Usern. In beiden Fällen aber hätte die Partei zur Teilnahme am Dialog im Web 2.0 mobilisiert. Ein Diskurs entstünde dann, wenn der Dialog zwischen Partei und Nutzern oder zwischen den Nutzern mehrmals wechseln würde und nicht nur ein einmaliges Antwortmuster erkennbar ist.

Im Kommunikationsmedium Twitter können die Unterschiede zwischen Interaktion und Dialog anhand der Rollen bzw. Funktionen „Follower“, „Re-Tweet“ und „@-Tweet“ deutlich gemacht werden. Ein „Follower“ zu sein, wird hier als niedrigschwellige Partizipation und Interaktion verstanden. Der Nutzer muss mindestens einmal „aktiv“ werden, indem er sich „einschreibt“. Selbstredend können Nutzer „Tweets“ einer Partei auch mitlesen, ohne ihr zu „folgen“. Das ist aber im Zusammenhang dieser Arbeit irrelevant, da es keine Interaktion bedeutet. Ein „Re-Tweet“, also das Weiterleiten eines Tweets, kann hingegen durchaus als Interaktion gewertet werden. Hier teilt der Nutzer eine Information mit anderen, indem er sie verbreitet. Dies bedeutet eine aktive Handlung – der Nutzer interagiert mit Dritten. Von einem Dialog indes soll nur dann die Rede sein, wenn es sich um ein „@-Tweet“ handelt oder bei Facebook um einen User-Kommentar zu einem Post. Erst dann ist ein messbarerer Dialog erkennbar. Dessen Charakteristikum ist gerade die Wechselseitigkeit – der User hat auf das Post der Partei geantwortet. Interessant ist es in diesem Zusammenhang zu beobachten, ob die Partei wiederum auf die Antwort antwortet und damit eine „Interaktionskette“ bzw. einen Diskurs in Gang setzt. Mit anderen Worten: In der Antwort auf einen User-Kommentar würde sich das Interesse der Partei an einem Dialog mit den Web-2.0-Nutzern zeigen.

3 Untersuchungsdesign und Operationalisierung

Die Social-Media-Kommunikation wurde bei allen sieben Landtagswahlen für jeweils sechs Parteien analysiert (insgesamt 42 Einzelauswertungen), um Unterschiede in verschiedenen Bundesländern ausmachen zu können. Von den zu den jeweiligen Landtagswahlen antretenden Parteien wurden wiederum diejenigen ausgewählt, die in die Landtage eingezogen waren. Hinzu kam die Piratenpartei, da deren Anhängerschaft eine besonders hohe Affinität zu Social-Media-Angeboten aufweist.Footnote 3 Die quantitative Inhaltsanalyse konzentrierte sich auf dialogische und interaktive Kommunikationsmuster. Die jeweiligen Accounts und Profile wurden durch Gegenrecherche beim entsprechenden Landesverband überprüft, um mögliche Fälschungen auszuschließen. Da sich die politische Kommunikation der Parteien rund um die Wahlen konzentriert und dort der Mobilisierungsansatz besonders deutlich wird, betrug der Untersuchungszeitraum pro Landtagswahl einen Monat – insgesamt also sieben Monate. So konzentrierte sich die Analyse nicht nur auf die Woche unmittelbar vor dem Wahltag, die im Allgemeinen als „heiße Phase“ des Wahlkampfes gilt, sondern auf jeweils zwei Wochen davor und danach. Dadurch ließen sich Veränderungen im Social-Media-Verhalten der Parteien in Bezug auf den Wahltermin feststellen.

Die Untersuchung umfasste drei Schritte. Zunächst wurden in Schritt A) die Social-Media-Kanäle recherchiert, die für die Parteien relevant waren. Bereits an diesem Punkt ließen sich erste Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede feststellen. Dies erklärt auch die Konzentration auf Twitter und Facebook, denn andere Social-Media-Kanäle nutzten die Landesparteien so gut wie gar nicht. In Schritt B) wurde dann die Menge an Kommunikation in den beiden Kanälen gemessen – also der Kommunikationsoutput der jeweiligen Parteien. Wie viele Tweets setzte eine Partei ab? Wie viele eigene Einträge waren in den Facebook-Profilen zu finden? Zunächst wurden die im jeweiligen Account erschienenen Tweets bzw. Posts archiviert (Speicherung der Web-Version als txt.-Datei), später formatiert und in eine pdf-Datei überführt. Dieser Schritt gewährleistete die Überprüfung bzw. Nachverfolgung der Daten zu jedem beliebigen Zeitpunkt der Studie. Nach der ersten Sichtung des Gesamtmaterials wurde in Schritt C) die Interaktivität und Dialogbindung der einzelnen Angebote überprüft. Um Interaktivität und Dialog zu operationalisieren, wurden gemäß den theoretischen Vorüberlegungen Tweets, Re-Tweets, Posts auf den Pinnwänden der Parteien, User-Kommentare und Reply-Funktionen (@-Tweets) sowie bei Facebook Kommentare der Partei auf User-Kommentare manuell gezählt und in absoluten Zahlen dokumentiert. Darüber hinaus wurde bei Facebook nicht nur die Anzahl der Kommunikate ermittelt, sondern auch die Anzahl der Kommunikatoren. So ließ sich feststellen, wie viele verschiedene Kommunikatoren sich beteiligten. Ob es sich um Parteimitglieder, Parteigegner oder Neutrale handelte, blieb dabei außer Betracht. Dies zu ermitteln wäre im Sinne des Erkenntnisinteresses durchaus wünschenswert gewesen, ließ sich bei der Datenmenge jedoch nicht bewältigen. Das Gesamtmaterial der vorliegenden Studie umfasste mehr als zehntausend Posts und Tweets (n = 10.044). Hier bietet der vorliegende Datensatz durchaus Potenzial zu vertieften – auch qualitativen – Analysen und weiterer Anschlussforschung.

Durch die Einteilung der Erhebung in vier Untersuchungswochen konnte zudem festgestellt werden, wann Parteien und User agierten. Dies ist in Bezug auf den Wahltermin und den Effekt einer kurzfristigen Mobilisierung relevant, wie die Ergebnisse deutlich machen werden.

4 Hypothesenbildung

Ausgehend vom Erkenntnisinteresse dieser Arbeit lautete die zentrale Forschungsfrage: Können die Landesparteien über die Kanäle Twitter und Facebook User zur Interaktion und zum Dialog in Social Media mobilisieren? Um diese Frage zunächst auf der Ebene der Interaktion zu beantworten, wurden zwei zentrale Hypothesen gebildet – differenziert nach den beiden untersuchten Kanälen Facebook und Twitter:

H1F:Je größer die Anzahl der Posts einer Partei ist, umso größer ist die Zahl der User und die Anzahl der Likes.

H1T:Je größer die Anzahl der Tweets einer Partei ist, umso größer ist auch die Anzahl der Re-Tweets.

Entsprechend dazu wurden auf der Frageebene des Dialogs erneut zwei Hypothesen – differenziert nach untersuchtem Ausspielkanal – formuliert:

H2F:Je größer die Anzahl der Posts einer Partei ist, umso größer ist auch die Zahl der User-Kommentare.

H2T:Je größer die Anzahl der Tweets einer Partei ist, umso größer ist auch die Zahl der @-Tweets.

Eine weitere Hypothese betrifft die Dialogbereitschaft der Parteien bei Facebook:

H1D:Je größer die Anzahl der User-Kommentare ist, umso häufiger reagiert die jeweilige Partei darauf.

Zur Überprüfung dieser Hypothesen bot sich das Jahr 2011 auch deswegen als übergeordneter Untersuchungszeitraum an, da in diesem Jahr sieben neue Landtage in sehr unterschiedlichen Ländern gewählt wurden – in Flächenstaaten mit eher geringer Bevölkerungsdichte (z. B. Mecklenburg-Vorpommern), in dicht besiedelten Stadtstaaten (z. B. Hamburg und Berlin) und in Bundesstaaten mit vielen regionalen und lokalen Oberzentren (etwa Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg). Bei der Aggregation der Daten konnte somit ausgeschlossen werden, dass es sich um rein regionale Phänomene handelt. Zudem ermöglicht dieser Ansatz umgekehrt – bei der Einzelauswertung – die Differenzierung nach Ländern. Die BevölkerungsdichteFootnote 4 war das wesentliche Unterscheidungsmerkmal – sie wurde dem Wortsinn folgend als ausschlaggebender Faktor für Urbanität definiert. In Bezug auf die Anzahl von Internetbreitbandverbindungen, Alter, Geschlecht und den Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung zeigen sich zwischen den ausgewählten Bundesländern hingegen keine wesentlichen Unterschiede mehr.Footnote 5

Bislang wurde bei den Mediennutzungsanalysen zum Web 2.0 neben den Faktoren Geschlecht und Alter vor allem der Faktor Urbanität angeführt. Daher wird hier auch in Bezug auf die politische Kommunikation im Web 2.0 angenommen, dass dieses Merkmal Einfluss auf die Social-Media-Nutzung von Parteien und Usern hat. Diese Annahme führte zu einer sechsten Hypothese:

H1L:Je dichter ein Bundesland besiedelt ist, umso häufiger agieren Parteien und reagieren User auf Parteiaktivtäten in Social Media.

5 Ergebnisse

Zunächst sollen die auf die jeweiligen Parteien bezogenen Ergebnisse der Untersuchung dargestellt werden. Anschließend erfolgt eine Überprüfung der Hypothesen.

5.1 Parteien und Facebook

Bei der Nutzung der Social-Media-Plattform Facebook durch deutsche Parteien in den Landtagswahlkämpfen 2011 zeigt sich ein stark heterogenes Bild (vgl. Abb. 1). So bestätigt sich zwar die Annahme, dass die Piratenpartei als Partei mit einer besonderen inhaltlichen Ausrichtungen auf Internetthemen soziale Medien besonders stark nutzt. Allerdings geht der Vorsprung der Piraten nur auf einige Bundesländer zurück. So postete die Partei in Sachsen-Anhalt im Untersuchungszeitraum von vier Wochen 606-mal, in Bremen 310-mal, in Baden-Württemberg aber gar nicht. An zweiter Stelle unter den im bundesweiten Vergleich aktivsten Parteien findet sich die FDP, die wiederum in Baden-Württemberg am häufigsten auf Facebook postete (434-mal). CDU, SPD und Linke nehmen Positionen im Mittelfeld ein, während überraschenderweise die Grünen im bundesweiten Vergleich am wenigsten posteten, dafür aber im Gegensatz zu allen anderen untersuchten Parteien in allen sieben Ländern auf Facebook aktiv waren. Diese Platzierungen machen deutlich, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Mitgliederzahl, der Ausrichtung der Partei im Rechts-Links-Spektrum und den Facebook-Aktivitäten gibt. Vielmehr zeigt sich, dass die Parteien auf Landesebene sehr unterschiedlich agieren.

Abb. 1:
figure 1

Parteien-Posts bei Facebook

5.2 Parteien und Twitter

Bei den Aktivitäten der Parteien auf Twitter kann festgestellt werden, dass ebenfalls die Piraten im Superwahljahr 2011 die meisten Tweets in den Ländern absetzten (vgl. Abb. 2). Noch deutlicher als bei Facebook zeigt sich jedoch bei Twitter, dass einige Landesparteien den Kanal gar nicht nutzten, wie zum Beispiel die CDU in Sachsen-Anhalt, Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Auch bei den Twitter-Posts belegt die FDP den zweiten Platz, was allerdings wie bereits bei Facebook deutlich erkennbar auf ihren hohen Wert (423 Partei-Tweets) in Baden-Württemberg zurückzuführen ist.

Abb. 2:
figure 2

Parteien-Tweets bei Twitter

Insgesamt nutzte die FDP Twitter in fünf von sieben untersuchten Ländern. Die Grünen liegen hier auf einem mittleren Platz. Daran zeigt sich, dass die Landesparteien den Kanal Twitter unterschiedlich einsetzen. Twitter wird insgesamt weniger genutzt als Facebook, sehr selektiv eingesetzt, und auch die Unterschiede in der Nutzungsintensität sind bei den Landesparteien sehr groß.

5.3 Parteien und Mobilisierung im Zeitverlauf

Im Vergleich zwischen den Untersuchungswochen (Abb. 3) zeigt sich, dass die Parteien in der zweiten Untersuchungswoche, also direkt vor der Wahl, fast durchgehend die meisten User-Kommentare und Likes erhalten. Hier fällt also ein Zusammenhang mit dem bevorstehenden Wahltermin eindeutig ins Auge.

Abb. 3:
figure 3

Zusammenhänge Partei- und User-Beiträge bei Facebook

Die Bereitschaft der Bürger, sich am Diskurs zu beteiligen, hing also offensichtlich vom Ereignis ab. Wir sehen hier einen intrinsischen, kurzfristigen Mobilisierungseffekt – es handelt sich im Wesentlichen um eine Selbstmobilisierung der User. Auch wenn die Parteien ebenfalls in der Woche vor der Wahl am aktivsten waren, so steht diese Aktivität nicht direkt proportional im Verhältnis zur Aktivität der User (vgl. Abb. 3). Das Reaktionsverhalten der Parteien, als Indiz für Interaktion, bricht nach der Wahl (dritte Untersuchungswoche) eindeutig ab. Ein langfristiger Dialog über das relevante Ereignis – die jeweilige Landtagswahl – hinaus findet nicht statt. Insgesamt kann aufgrund der geringen Anzahl von Parteikommentaren zu User-Kommentaren kein Dialoginteresse ausgemacht werden. Ebenso wenig ist ein Indiz für einen beginnenden Diskurs erkennbar. Vielmehr reißt die „Interaktionskette“ an dieser Stelle auffällig ab.

5.4 Überprüfung der Hypothesen

Um die Diskursteilnahme der User auf Facebook-Parteiseiten zu erfassen, wurden deren Anzahl, die Anzahl der Kommentare durch User, die Anzahl der Kommentare durch die Parteien und die Anzahl der Likes gemessen. Zunächst interessierte, ob es einen Unterschied zwischen Parteien bei den User-Kommentaren, Likes und der User-Anzahl gibt. Der durchgeführte Kruskal-Wallis-Test konnte zwischen den einzelnen Parteien keinen signifikanten Unterschied aufzeigen (Signifikanzen zwischen 0,5 und 0,9).

Allerdings hat die Facebook-Aktivität einer Partei bezogen auf den Gesamtuntersuchungszeitraum doch einen messbaren Einfluss auf die Teilnahme am Diskurs durch die User. Um diesen Zusammenhang zu messen, wurde – da die Daten zwar intervallskaliert, aber nicht normalverteilt sind – der Korrelationskoeffizient nach Spearman bestimmt (vgl. Tab. 1). Er belegt einen signifikanten linearen Zusammenhang zwischen Partei-Posts auf Facebook und User-Kommentaren oder Likes. Parteien können also durch eigene Facebook-Posts zur Diskursteilnahme mobilisieren. Dies gelingt auch mit Kommentaren, mit denen eine Partei wiederum auf User-Kommentare reagiert. Sie stehen in einem deutlichen signifikanten Zusammenhang mit der Anzahl der Likes. User liken also häufiger, wenn die Parteien mehr kommentieren. Allerdings hängt die Zahl der Partei-Kommentare auch deutlich und signifikant mit der Zahl der User-Kommentare zusammen, auf die sie reagieren. Diese wiederum hängt logischerweise in sehr hohem Maße signifikant von der Anzahl der User ab, ebenso wie die Zahl der Likes. So ist beides sinnvoll auf die User-Anzahl zurückzuführen: Hat eine Partei mehr Facebook-Freunde, beteiligen sich auch mehr am Diskurs, posten mehr Kommentare, auf die eine Partei häufiger reagieren kann, und liken mehr. Es handelt sich also um eine Wechselwirkung. Die Ergebnisse aus der Untersuchung des Zeitverlaufs werden dadurch nicht widerlegt – hier handelt es sich um eine Aussage über den gesamten Untersuchungszeitraum. In einzelnen Wochen (vgl. Abb. 3) kann dies jedoch sehr unterschiedlich aussehen.

Tab. 1 Zusammenhänge Partei- und User-Beiträge bei Facebook

Die beiden auf Facebook bezogenen Hypothesen (H1F) und (H2F) können somit bestätigt werden. Es gibt einen statistisch nachweisbaren signifikanten Zusammenhang zwischen Partei-Posts und Likes bzw. zwischen Parteiposts und User-Kommentaren. Die dritte Hypothese H1D („Je größer die Anzahl der User-Kommentare (auf Facebook) ist, umso häufiger reagiert die jeweilige Partei darauf“), kann ebenfalls bestätigt werden. Hier gibt es einen deutlichen signifikanten Zusammenhang.

Tab. 2 Zusammenhänge Partei- und User-Beiträge bei Twitter

Untersucht man die Frage, welche Parteien ihre User am stärksten zu Dialog und Partizipation auf Twitter mobilisieren können, so zeigt der Kruskal-Wallis-Test, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen den Parteien bei Re-Tweets und @-Tweets gibt (Signifkanzen zwischen 0,28 und 0,04). Dieser Unterschied wird im Wesentlichen von den Piraten bestimmt. Sie erzielten insgesamt 119 Re-Tweets, fast fünfmal so viele wie die SPD mit 24 Re-Tweets. Zwischen den anderen Parteien besteht kein signifikanter Unterschied. Den Piraten gelingt es also besser als anderen Parteien, ihre User zur Diskursteilnahme zu mobilisieren.

Geht man dieser Frage parteiübergreifend durch Bestimmung des Korrelationskoeffizienten nach Spearman nach, kann ein deutlicher signifikanter Zusammenhang zwischen den Tweets einer Partei und der Mobilisierung der User zum Dialog oder zur Partizipation durch Re-Tweets und @-Tweets festgestellt werden (vgl. Tab. 2). Die Teilnahme der User hängt also davon ab, wie oft eine Partei tweetet. Daher können auch die entsprechenden Hypothesen zu Twitter (H1T und H2T), analog zu Facebook, bestätigt werden. Allerdings sei darauf verwiesen, dass die Anzahl der Re-Tweets und @-Tweets insgesamt sehr gering ist. Auf einen Partei-Tweet kommen über alle Parteien und Länder hinweg nur 0,3 Re-Tweets und 0,2 @-Tweets.

5.5 Bundesländer und Social-Media-Aktivität

Da die Mobilisierung der User auf Twitter und Facebook nicht wesentlich von der Partei abhängt, soll nun die Möglichkeit dieser länderübergreifenden Untersuchung genutzt werden, um mögliche Unterschiede in den Bundesländern festzustellen. Dabei zeigt sich, dass es signifikante Unterschiede zwischen der Anzahl der Parteiaktivitäten bei Twitter und Facebook zwischen den einzelnen Ländern gibt. Der Kruskal-Wallis-Test misst hier bei den Partei-Tweets eine Signifikanz von 0,008. Bei den Facebook-User-Kommentaren und -Likes wird der Unterschied mit einer Signifikanz von 0,004 bzw. 0,007 festgestellt.

Diese Unterschiede zeigen sich auch in Abb. 4. Partei-Posts und -Tweets werden in den Ländern mit unterschiedlicher Häufigkeit eingesetzt. Allerdings ist ein Zusammenhang von Tweets und Facebook-Posts ersichtlich. In den Bundesländern, in denen Facebook häufiger und intensiver genutzt wird, wird auch Twitter intensiver genutzt. Die Untersuchung der Zusammenhänge mithilfe des Korrelationskoeffizienten nach Spearman zeigt, dass der oben beschriebene Unterschied in der Anzahl der Partei-Posts auf Facebook nicht auf die Bevölkerungsstärke eines Bundeslandes zurückgeführt werden kann. Hier gibt es keinen signifikanten Zusammenhang. Anders als Facebook wird Twitter indes in bevölkerungsstarken Bundesländern häufiger und intensiver genutzt. Hier besteht ein deutlicher signifikanter Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Partei-Tweets. Die Bevölkerungsdichte eines Bundeslandes, Kenngröße für Urbanität, steht hingegen in keinem Zusammenhang mit den Aktivitäten von Parteien – weder bei Twitter noch bei Facebook. Es geht dabei nur um die absolute Anzahl der Einwohner in einem Land.

Abb. 4:
figure 4

Facebook- (Säulen) und Twitterbeiträge (Linie) der Parteien in den Bundesländern

Tab. 3 Zusammenhänge der Eigenschaften der Bundesländer mit Partei- und User-Beiträgen

Bei den User-Aktivitäten zeigt sich ein anderes Bild: So ist bei Facebook ein deutlicher Zusammenhang mit der Bevölkerungsdichte eines Bundeslandes zu erkennen. In urbaneren Ländern können mehr User zum Diskurs über Facebook mobilisiert werden. Bei Twitter wiederum ist dieser Zusammenhang statistisch nicht nachweisbar. Die Hypothese H1 L wird also nur teilweise bestätigt. Die Bevölkerungsdichte eines Landes steht in keinem Zusammenhang mit Parteiaktivitäten, aber teilweise in einem signifikanten Zusammenhang mit der User-Mobilisierung. Auch andere mögliche Indikatoren einer urbanen Gesellschaft, wie der Anteil der Studierenden oder der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche eines Bundeslandes, lieferten ähnlich erkennbare Zusammenhänge, weil sie wohl eng mit der Bevölkerungsdichte verbunden sind. Die signifikanten Zusammenhänge zwischen Einwohnerzahl und User-Aktivitäten bei Twitter und Facebook lassen sich also logisch begründen: Je mehr Einwohner ein Bundesland hat, umso mehr User beteiligen sich auch am Diskurs bei Facebook und Twitter. Hier ist die Steigerung der Teilnehmerzahl einfach auf eine Steigerung der Zahl potentieller Teilnehmer zurückzuführen. Betrachtet man hingegen die Aktivitäten der Parteien, sieht es allerdings anders aus. Sie orientieren sich ganz offensichtlich nicht an der Größe und Urbanität eines Bundeslandes. Dies war so nicht zu erwarten.

6 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Die Aktivitäten der deutschen Landesparteien bei Facebook und Twitter lassen sich also nicht in einfache Erklärungsmuster pressen. Schaut man auf die zentrale Forschungsfrage, die klären sollte, ob Parteien durch die Social-Media-Aktivitäten zu mehr politischer Interaktion und Dialog mobilisieren können, so kann diese auf Basis der vorliegenden Ergebnisse bejaht werden. Allerdings kann diese quantitative Analyse keinerlei Aussagen über die Qualität des Dialogs treffen. Ebenso ist der gemessene Dialog wesentlich geringer als die reine Interaktion, die hier schon bei minimal aktiven Handlungen („liken“) konstatiert wurde. So messen die ermittelten Korrelationskoeffizienten zwar den Zusammenhang. Das Verhältnis zwischen Partei-Aktivitäten und User-Aktivitäten können sie aber nicht darstellen. Die absolute Zahl der Re-Tweets und @-Tweets, aber auch der Likes ist deutlich geringer als die Zahl der Partei-Tweets und Partei-Posts. Hier soll im Anschluss an diese Studie eine vertiefte Analyse weitere Aufschlüsse bringen.

Die aufgestellte Hypothese „Je dichter ein Bundesland besiedelt ist, umso häufiger agieren Parteien und reagieren User auf Parteiaktivitäten in Social Media“ kann nur teilweise bestätigt werden. Die Parteien lassen sich in ihren Aktivitäten nicht von den Strukturmerkmalen der Länder beeinflussen. Die weiteren Annahmen „Je größer die Anzahl der Posts einer Partei ist, umso größer ist die Zahl der am Diskurs beteiligten User und die Anzahl der Likes“ und „Je größer die Anzahl der Tweets einer Partei ist, umso größer ist die Anzahl der @-Tweets und Re-Tweets der User“ konnten statistisch bestätigt werden. Die Teilnahme der User am Dialog hatte bei Facebook Auswirkungen auf die Reaktionshäufigkeit der Parteien. Dennoch bleiben Zweifel an der generellen Dialogbereitschaft. Hier sei auf das Abreißen der „Interaktionskette“ in der dritten Untersuchungswoche verwiesen – also nach der Wahl. Die Interpretation, dass ein Dialog nur in Hinblick auf den Wahltermin erwünscht ist, liegt nahe.

Auf der Mesoebene (also bei den zweckorientierten Strukturen der Parteien selbst) fällt die Antwort ambivalent aus. Einerseits nutzen nahezu alle Parteien in fast allen Bundesländern Social Media für ihr „campaigning“ und den Kontakt zum Wähler; andererseits gibt es sehr auffällige Ausnahmen und Abweichungen (z. B. Mecklenburg-Vorpommern oder die Twitter-Angebote in Bremen). Auch innerhalb der Parteien lässt sich keine einheitliche Linie erkennen. So kam es durchaus vor, dass ein und dieselbe Partei in einem Bundesland sehr kommunikationsaktiv war und auch gute Reaktionsraten erzielte, in einem anderen Bundesland hingegen wiederum sehr zurückhaltend bzw. mit wenig Erfolg in Bezug auf die Intensivierung eines Dialoges agierte. Die strukturellen Daten der Länder hatten darauf keinen Einfluss. Es liegt also offenbar an den einzelnen Landesverbänden selbst, wie stark sie sich einbringen – es ist keine abgestimmte Strategie erkennbar. Ebenso wenig war ein direkt-proportionaler Zusammenhang zwischen Kommunikationsaktivität und Wahlerfolg messbar. So erzielte die Piratenpartei in Berlin mit rund neun Prozent der Stimmen einen großen Erfolg – in den anderen Ländern hingegen zog sie nicht in die Landtage ein, obwohl sie dort nicht weniger aktiv gewesen ist. Alle politischen Parteien waren vor allem unmittelbar vor der Wahl (zweite Untersuchungswoche) tätig und erhielten dort auch die meisten Rückmeldungen. Tendenzen zu einem längerfristigen Dialog mit den Wählern sind in Social Media hingegen nicht erkennbar. Zudem besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen der politischen Ausrichtung einer Partei und ihren Social-Media-Aktivitäten.

Begreift man politische Kommunikation in Social Media nicht nur als das Aussenden von Werbebotschaften, sondern als Mittel des Diskurses in einer Informationsgesellschaft (vgl. Sarcinelli 2009, S. 17), wird man stets die Reaktionen auf Tweets und Posts und die daraus resultierenden Interaktionsmuster im Auge behalten müssen. In diesem Sinne bedarf es aus Sicht der Forschung weiterer qualitativer Analysen, die vor allem auf der Meso- und Mikroebene ansetzen. Diese sollten aber nicht einer breiter angelegten quantitativen Untersuchung wie dieser entgegengestellt werden, sondern sie ergänzen. Diese Untersuchung konnte zudem die bestehenden Forschungsergebnisse bestätigen, die davor warnen, von der rein technischen Existenz neuer Kommunikationsmittel Rückschlüsse auf ihren Einfluss zu ziehen bzw. einen generell veränderten Kommunikationsprozess zu erwarten (vgl. van Audenhove et al. 2005, S. 287). Denn wie diese Studie gezeigt hat, können neue Kommunikationsmittel des Web 2.0 völlig unterschiedlich genutzt werden – sowohl in ihrer Frequenz als auch inhaltlich, vor allem aber in Bezug auf ihre Dialogorientierung. Studien zum Stand der digitalen Demokratie in Europa kamen in den vergangenen Jahren übereinstimmend zu dem Schluss, dass in diesem Bereich noch erheblicher Forschungsbedarf besteht (vgl. Trechsel et al. 2004, ITA 2005; van Audenhove et al. 2005). Dasselbe gilt für die deutschen Parteien in Bezug auf Twitter und Facebook.