1 Einleitung

Dieser Beitrag fragt, wovon der Umgang mit dem Internet abhängt und welche sozialen Folgen die Nutzung hat. Obwohl in Deutschland inzwischen fast 75 % der Menschen Onliner sind (vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 335), wird das Internet nach wie vor keineswegs einheitlich genutzt. Um die Unterschiede zu verstehen, hat sich die Forschung vor allem auf den Einfluss des Geschlechts (gender gap), des Alters (generation gap) und der Bildung (education gap) konzentriert. Genau wie bei Studien zur sozialen Position (vgl. Zillien2008; Zillien und Hargittai2009) geht es dabei unter dem Schlagwort „digitale Spaltung“ (digital divide) um die Vermutung, dass das Internet Lebenschancen beeinflusst (vgl. Zillien2009, S. 87): Wenn eine Bevölkerungsgruppe von der Nutzung stärker profitiert als andere, sind Gleichheit und Gerechtigkeit bedroht.

Die vorliegende Studie schließt an diese Untersuchungen an. Um systematisch nach Einflussfaktoren und Folgen fragen zu können, wird die Internetnutzung in die Habitus-Kapital-Theorie eingebettet. Bei Bourdieu bestimmt die soziale Position den Spielraum des Einzelnen und damit auch den Umgang mit dem Internet. Messen lässt sich diese Position über die Dispositionen und die aktuelle Lebenssituation. Die Internetnutzung wird in diesem Beitrag folglich mit Hilfe gesellschaftlicher Bedingungen erklärt. Die Studie konzentriert sich dabei nicht auf spezielle Online-Aktivitäten, bestimmte Informationen (zum Beispiel Politik oder Gesundheit) oder einzelne Gruppen (etwa: Spieler oderFacebook-Mitglieder), sondern auf die Internetnutzung insgesamt. Anders als in der Studie von Meyen et al. (2009), die mit Hilfe von Leitfadeninterviews zeigte, dass die Internetnutzung einerseits vom Alter, vom Geschlecht, vom Umfeld sowie von der sozialen Position abhängt und andererseits dazu beiträgt, die eigene soziale Position zu halten oder sogar zu verbessern, wird hier mit Hilfe eines repräsentativen Datensatzes (der ACTA 2008) und statistischer Methoden gearbeitet (lineare und logistische Regressionen). Die Studie ist damit auch ein Beitrag zur Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften: Können qualitative Studien, die sich auf das Auswahlverfahren der theoretischen Sättigung stützen, tatsächlich Aussagen über Zusammenhänge zwischen Variablen und möglicherweise sogar über Größenordnungen sowie Verteilungen machen und damit in die Domäne quantitativer Sozialforschung eindringen?

2 Digital Divide

Die Diskussion um die digitale Spaltung der Gesellschaft (digital divide), die in der Wissenskluftthese wurzelt (vgl. Tichenor et al.1970; Bonfadelli1994), hat sich vom Zugang auf den Umgang mit dem Internet und seinen Anwendungen sowie in Richtung Fähigkeiten verlagert. Van Dijk (2005, S. 15) hat die Wissensakkumulation über das Netz als Spiral-Prozess mit mehreren Stufen beschrieben. Am Anfang stehen bei ihm Ungleichheiten in der Gesellschaft, die zu einer ungleichen Verteilung von Ressourcen und so zu einem ungleichen Zugang zu digitalen Technologien führen. Der Zugang hängt zwar auch von den Merkmalen der Technologien ab, löst aber trotzdem Ungleichheiten bei der Partizipation aus und verstärkt so wiederum die ungleiche Verteilung von Ressourcen.

Da angenommen wird, dass Informationen Lebenschancen verbessern, ist von einer neuen Form der sozialen Ungleichheit die Rede (vgl. Zillien und Hargittai2009, S. 275). Norris (2001) hat neben dem Zugang zu Informationen (social divide) zwei weitere Arten digitaler Ungleichheit unterschieden:democratic divide (Partizipation über Internetanwendungen) undglobal divide (Entwicklungs- und Industrieländer). Direkt nach Aufkommen des Internets stand besonders die demokratische Kluft im Mittelpunkt vieler Studien. Jedoch wurde bald klar, dass „digital politics functions mainly to engage the engaged“ (Norris2001, S. 22, vgl. auch Marr2004, S. 87). Die Forschung zur sozialen Kluft (als Ursache) setzte sich schließlich unter dem Stichwort „digital divide“ (als Wirkung) durch. Zahlreiche Studien haben damals belegt, dass der Internetzugang von Alter, Geschlecht und Bildung abhängig ist.

Um dieses Problem zu lösen, wurde vorgeschlagen, ein „Internet für alle“ zu schaffen (vgl. Kubicek und Welling2000). Andere Forscher haben nicht nur den Sinn einer solchen politischen Intervention bezweifelt (vgl. Riehm und Krings2006), sondern auch die Existenz einer digitalen Spaltung (vgl. Marr2004). Das Zugangsproblem hat durch die Verbreitung des Internets an Relevanz verloren. Vor allem in den jüngeren Generationen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, kann inzwischen von Vollversorgung gesprochen werden. Bei den 14- bis 19-Jährigen wurde in der ARD/ZDF-Online-Studie 2010 erstmals die 100-Prozent-Marke erreicht (vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 336).

Die Forschung konzentriert sich jetzt folgerichtig auf den Umgang mit dem Netz, auf die Folgen der Nutzung und auf spezielle Themen (neben der Politik zum Beispiel Informationen aus dem Gesundheitsbereich). Auch hier geht es nicht mehr um das Ob (Zugang), sondern um das Wie (Nutzung) und um die Wirkung: Welches Seitenspektrum wird genutzt, mit welcher Effektivität werden die Ziele erreicht, und wie hängen Fähigkeiten und Nutzung zusammen (vgl. Zillien2009)? Während van Dijk (2005) zum Beispiel annimmt, dass die Internetnutzung die operationalen, informationsbezogenen und strategischen Internetfertigkeiten verbessere, argumentieren Hargittai und Hinnant (2008) genau umgekehrt: Eine digitale Spaltung sei unausweichlich, weil bessere Internetfähigkeiten zu einer stärkeren Nutzung führten. Obwohl sich die Geschlechterkluft zumindest in Deutschland langsam zu schließen scheint und sich die Generationskluft nach hinten verschiebt und jetzt an der Linie von 70 Jahren verläuft (vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 336), hat die „neue“ Forschung die alten Klüfte bestätigt:

  • Gender gap (Geschlechterkluft): Männer sind häufiger im Internet, nutzen mehr Anwendungen und sind länger online. Einzige Ausnahme in der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie: Communities (vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 336, 340).

  • Generation gap (Alterskluft): Bei aller Annäherung zwischen den Alterskohorten finden Angehörige der „Millenial Generation“ (die heute 18- bis 33-Jährigen) nicht nur schneller Informationen im Netz, sondern nutzen auch das Web 2.0 eher als Ältere (vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 335; Haas et al.2007).

  • Education gap (Bildungskluft): Wer höher gebildet ist, nutzt eher Suchmaschinen (vgl. Schweiger2003) und das Web 2.0 (vgl. Haas et al.2007), schreibt mehr E-Mails und sucht im Netz häufiger nach Informationen (vgl. Hargittai und Hinnant2008). Die Chat- und Blognutzung hängt dagegen offenbar stärker mit niedriger Bildung zusammen (vgl. Iske et al.2007).

Dass die sozialen Folgen des unterschiedlichen Umgangs mit dem Netz bisher nur teilweise geklärt sind, hat auch mit den Trends in der Forschung zu tun. Während kommerzielle Studien große, repräsentative Stichproben nutzen, um Reichweiten ermitteln und Zielgruppen beschreiben zu können (in Deutschland etwa jährlich die ACTA oder die ARD/ZDF-Onlinestudie), hat sich die akademische Community spezialisiert (auf bestimmte Anwendungen oder Themen, auf einzelne Onliner-Gruppen oder auf die Internetkompetenz) und dabei das „Netz als Ganzes“ genauso aus dem Blick verloren wie den Anspruch, die Gesamtbevölkerung zu untersuchen oder wenigstens alle Onliner. Die Uses-and-Gratifications-Forschung legt dabei nahe, dass einzelne Anwendungen funktional äquivalent sein können, dass die Internetnutzung sowohl von der sozialen und psychologischen Situation abhängt als auch vom Alltag und dass die Nutzung selbst wiederum auf die Bedürfnisse zurückwirkt (vgl. Blumler und Katz1974; Schweiger2007). Meyen et al. (2009) haben zwar gezeigt, dass die Bedeutung, die das Internet für den Einzelnen hat, und der Umgang mit dem Netz vor allem vom Alter, vom Geschlecht, vom persönlichen Umfeld und von der sozialen Position bestimmt werden und dass das Internetrepertoire umgekehrt dazu beiträgt, die eigene Position zu halten oder zu verbessern. Die Studie stützt sich aber auf Leitfadeninterviews und erlaubt damit erstens keine Aussagen über Größenordnungen und Verteilungen und bietet zweitens nur Plausibilität und keinen Wahrscheinlichkeitsbeweis.

Abb. 1
figure 1

Habitusmodell der Internetnutzung

3 Habitusmodell der Internetnutzung

Der vorliegende Beitrag hat den Anspruch, diese Forschungslücke zu schließen. Um die Frage zu beantworten, welche Faktoren den Umgang mit dem Internet beeinflussen und welche sozialen Folgen die Nutzung hat, betrachtet die Studie das gesamte Internetrepertoire und nutzt einen repräsentativen Datensatz (die ACTA 2008). Theoretischer Hintergrund ist die Habitus-Kapital-Theorie. Bourdieus Denkwerkzeuge bieten sich an, weil sie erstens für die Untersuchung von sozialer Ungleichheit entwickelt wurden (vgl. Bourdieu1976, S. 148), zweitens im Gegensatz etwa zur Theorie von Marx als Versuch rezipiert wurden, die Gegensätze zwischen Struktur- und Akteurstheorie zu überwinden, und drittens in der Mediennutzungsforschung etabliert sind (vgl. Scherer et al.2009; Jandura und Meyen2010). Bourdieus Theorie hat den Anspruch, alle Handlungen (und damit auch die Internetnutzung) durch den gesellschaftlichen Status der Menschen erklären zu können, und fragt zugleich nach den Folgen jeder Handlung für die Position im sozialen Raum (Kapitalakkumulation). DasHabitusmodell der Internetnutzung in Abb. 1 konkretisiert diese Zusammenhänge und integriert dabei Einflussfaktoren, Motive und Handlungen. Wichtigstes Element des Modells ist die Verortung der Menschen im sozialen Raum: Über die Wahrnehmung der sozialen Positionen (der eigenen und der der anderen) finden wir uns im Leben zurecht (vgl. Bourdieu1998, S. 22).

Das Bewertungssystem, mit dem Positionen und Abstände gemessen werden, nennt Bourdieu Kapital (1983, S. 183). Er unterscheidet dabei bekanntlichökonomisches Kapital (alles, was in Geld konvertiert werden kann),kulturelles Kapital (Kompetenzen, Abschlüsse, Titel), soziales Kapital (Beziehungsnetz) sowiesymbolisches Kapital (Anerkennung durch andere, vgl. Bourdieu1983, S. 185–192). Die Position, die eine Person im sozialen Raum einnimmt, hängt direkt mit ihremHabitus zusammen. Nach Bourdieu (1987a, S. 277) ist der Habitus der Rahmen für Handlungen, Einstellungen zu Handlungen und Ursachen für Handlungen – das „Erklärungsprinzip“, auf dem alles basiert und von dem alles abhängt. Analytisch ist der Habitus in zwei Teile zu trennen: in denopus operatum als strukturierendes Element und denmodus operandi als strukturiertes Element. Im opus operatum (im „Ursprung“ des Habitus) wird die soziale Position sichtbar. Wenn wir einem Menschen begegnen, nehmen wir zuerst das Äußere wahr: die Grundmerkmale Alter und Geschlecht sowie physische Merkmale wie Körpergröße, Haarfarbe und Aussehen, aber auch Kleidung, Gestik und Mimik. Dazu kommen weitere sozialisierte Merkmale (Herkunft, Schulausbildung, berufliche Laufbahn) und Merkmale der aktuellen Lebenssituation wie Familienstatus, Kapitalausstattung und Zukunftsperspektiven. Der Kapitalbesitz einer Person wird inkorporiert und so indauerhaften Dispositionen Teil des Habitus (vgl. Bourdieu1983, S. 187), Bildung beispielsweise als kulturelles Kapital. Das System dieser Dispositionen ist nicht starr, sondern wird immer wieder modifiziert (vgl. Bourdieu1987b, S. 105–107).

Immodus operandi wird der Habitus zum „Erzeugungsprinzip von Praxisformen“ (Bourdieu1976, S. 165). Der modus operandi legt fest, in welchem Rahmen wir handeln können. Die Position im sozialen Raum, die von den dauerhaften Dispositionen beeinflusst wird, gibt diese Grenzen vor (vgl. Bourdieu1987b, S. 102–103). Wie Spieler, die Spielregeln verinnerlicht haben, handeln Menschen entsprechend ihrer Habitusform, ohne sich dessen bewusst sein zu müssen (vgl. Bourdieu1998, S. 168). So ist auch „rational“ vorherbestimmt (vgl. Bourdieu1998, S. 17), ob jemand regelmäßig online Nachrichten liest oder mit Freunden chattet.

Folgt man Bourdieu, dann ist die Zuwendung zu Onlinediensten nicht ohne den Habitus und die soziale Position zu erklären. Um den praktischen Sinn zu verstehen, den ein Mensch mit der Internetnutzung verbindet (Habitus als modus operandi), muss ich wissen, wie er sozialisiert wurde, wie er lebt und über welche Dispositionen er verfügt (Habitus als opus operatum), wie viel Kapital er besitzt und wie sich dieses Kapital zusammensetzt (Position im sozialen Raum). Außerdem dürfte auch das Internet genutzt werden, um Kapital zu akkumulieren (Kapitalmanagement), um die eigene Position zu erkennen und um diese Position zu markieren (Identitätsmanagement). Diese Arbeit am „Ich“ (Scherer und Wirth2002, S. 339 f.) kann über Homepages erfolgen, über Social Network Sites, Rollenspiele oder Seiten für Spezialinteressen – Angebote, die sowohl dazu dienen, Signale in den sozialen Raum zu senden (das ist mein Kapital, diesen Normen und Werten fühle ich mich verpflichtet), als auch diesen Raum zu beobachten und so die eigene Position zu bestimmen.

Wie Zeitungen, Zeitschriften oder TV-Sendungen versprechen Internetangebote kulturelles und symbolisches Kapital (Medienwissen und Medienrepertoires als „Unterscheidungszeichen“, vgl. Meyen2007) und können darüber hinaus zum sozialen und zum ökonomischen Kapital beitragen. Es ist bekannt, dass „Verbraucherinformationen, Markttransparenz und Online-Shopping“ eine Ursache für die Internetausbreitung sind (Röser2007, S. 159). In der Studie von Meyen et al. (2009) haben die meisten Befragten zwar online eingekauft und Preise verglichen, als Unterscheidungskriterium bot sich dort aber neben der Akkumulation von kulturellem Kapital eher das soziale Kapital an. Das Internet erlaubt, Freundschaften und Bekanntschaften zu pflegen und bietet über E-Mails, Instant Messenger und Social Network Sites sofort Kontakt und schnelle Erreichbarkeit. So dienen vor allem Social Network Sites dazu, weniger enge Beziehungen zu pflegen. Schon vor dem Siegeszug des Internets war bekannt, dass sich der Informationsfluss und die beruflichen Chancen verbessern, wenn man entfernte Bekannte „verfügbar“ halten kann (vgl. Granovetter1985). Es ist deshalb zu vermuten, dass das soziale Kapital, das über die Internetnutzung gesammelt wird, langfristig zum ökonomischen Kapital beiträgt. Dies gilt auch für kulturelles Kapital, das zum einen latent die Position auf dem Arbeitsmarkt verbessert und zum anderen auch direkt im beruflichen Kontext eingesetzt wird und so die Mobilität in einem Unternehmen oder in einer Branche beeinflusst. Da sich solche indirekten Folgen nur schwer messen lassen, konzentriert sich die empirische Umsetzung auf die Akkumulation von sozialem und kulturellem Kapital.

Bei Bourdieu streben letztlich alle Menschen nach Kapital, um sich von anderen abzuheben und ihre Position zu verbessern. Da allerdings erstens in jedem sozialen Feld eine andere Kapitalmischung Erfolg verspricht und da die Investition in bestimmte Kapitalarten zweitens auch von der Einschätzung der eigenen Position und damit der Erfolgsaussichten abhängt (vgl. Jandura und Meyen2010), dürften sich die Internetnutzer sowohl bei der konkreten Kapitalakkumulation unterscheiden als auch in der Bedeutung, die sie dem Internet insgesamt oder einzelnen Anwendungen zugeschrieben. Digitale Klüfte können sich so auf allen vier Kapital-Dimensionen ergeben. Das Habitus-Modell der Internetnutzung geht damit über Studien hinaus, die sich auf Informationen aus dem Internet beschränken und damit auf Angebote, die gesellschaftlich für relevant gehalten werden. Aus dem Habitusmodell der Internetnutzung und den gerade skizzierten Annahmen zur Kapitalakkumulation im Netz ergibt sich folgende Argumentation:

  1. 1.

    Die Anstrengung, die eine Person im Internet in die Kapitalakkumulation investiert, hängt von der Bedeutung ab, die sie dem Netz zuspricht.

  2. 2.

    Diese Bedeutung hängt von der sozialen Position ab. Menschen in einer untergeordneten Position dürften weniger Interesse an der Kapitalakkumulation über das Internet haben als Menschen in gehobenen Positionen.

  3. 3.

    Soziales und/oder kulturelles Kapital, das über das Internet akkumuliert wird, verbessert die soziale Position.

  4. 4.

    Im Umkehrschluss gilt aber auch: Wer auf dieses Kapital verzichtet, läuft Gefahr, im sozialen Raum (relativ) zu sinken.

  5. 5.

    Diese Spiralwirkung verstärkt die Ungleichheit in der Gesellschaft (vgl. Abb. 2).

    Abb. 2
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    Spiralwirkung der Internetnutzung

Die Forschung zur digitalen Spaltung stützt diese Argumentation einerseits (Männer und Menschen mit höherer Bildung und damit mit mehr kulturellem Kapital nutzen das Internet intensiver), andererseits aber ist das Netz eine Domäne jüngerer und damit eher kapitalschwacher Menschen. Da dieser Bruch die Aufstellung von Hypothesen erschwert, werden die Annahmen für die empirische Umsetzung hier weicher formuliert:

  1. 1.

    Der Umgang mit dem Netz lässt sich über die Dimensionen Bedeutung, soziales und kulturelles Kapital unterscheiden.

  2. 2.

    Die soziale Position beeinflusst die Internetnutzung: Männer, höher Gebildete, Berufstätige, Menschen mit einem hohen Einkommen und Angehörige der oberen Schichten schreiben dem Netz eine höhere Bedeutung zu als die jeweiligen Gegengruppen und akkumulieren dort mehr kulturelles und soziales Kapital.

  3. 3.

    Auch Alter, Sozialisation und Lebenssituation beeinflussen die Internetnutzung. Da jüngeren Menschen die Kapitalakkumulation über das Internet leichter fällt als Älteren, schreiben sie dem Netz auch eine größere Bedeutung zu – vermutlich vor allem dem sozialen Kapital, da in der Jugend die peer group eine besondere Rolle spielt.

4 Untersuchungsdesign

Da Reichweiten und Zuwachsraten nur einen eingeschränkten Blick auf digitale Klüfte erlauben (vgl. Riehm und Krings2006) und da die Ermittlung von Einflussfaktoren statistische Verfahren verlangt, wurde eine Repräsentativ-Befragung genutzt – die Allensbacher Computer- und Technik-Analyse (ACTA) 2008. Eine Sekundäranalyse hat Vorteile (Kostenersparnis und Fallzahlen, die in akademischen Studien anders kaum erreichbar sind), aber auch Nachteile (vgl. Hyman1972). Nach einem Kurzporträt der Basis-Erhebung werden deshalb die Kompromisse diskutiert, die bei der Operationalisierung eingegangen werden mussten.

4.1 Die ACTA 2008

Die ACTA wird jährlich vom Institut für Demoskopie Allensbach erhoben. Trotz ihrer primär kommerziellen Ausrichtung bietet sie eine detaillierte Dokumentation von Einstellungen, Verhaltensweisen und Interessen in Sachen neue Medien (Zillien2008, S. 213 f.). Der Untersuchungszeitraum der ACTA 2008 (vgl. Institut für Demoskopie2008) reichte von Januar bis August 2008. Grundgesamtheit ist die deutsche Bevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren. Die Stichprobe (10.012 Personen insgesamt, davon 7.568 Internet-Nutzer) wurde über ein Quoten-Verfahren ausgewählt. Das Institut für Demoskopie arbeitet bei der ACTA mit einem disproportionalen Stichprobenansatz, um die Fallzahlen im Segment der 14- bis 45-Jährigen zu vergrößern. Durch faktorielle Gewichtung wurde die Disproportionalität der Stichprobe aufgehoben und der amtlichen Statistik angeglichen (vgl. Institut für Demoskopie2008). Neben der großen Fallzahl und der Repräsentativität sprechen die lange Allensbacher Forschungstradition und der wissenschaftliche Anspruch des Instituts für den Datensatz, da von einer professionellen und fehlerfreien Datenerhebung ausgegangen werden kann (vgl. Zillien2008, S. 218). Der Streit um das Quotenverfahren dürfte ausgestanden sein, da es sich in der Praxis bewährt hat (vgl. Noelle-Neumann und Petersen2005, S. 263–269). Das Institut für Demoskopie hat eine Formatierungsgebühr erhoben und sich als Kooperationspartner erwiesen, der unkompliziert auf die Wünsche der akademischen Forschung eingeht. Der Datensatz musste allerdings mit erheblichem Aufwand in das Statistik-Programm SPSS eingelesen werden, da Allensbach mit einem anderen Auswertungsprogramm arbeitet.

4.2 Operationalisierung

Der Datensatz enthält sehr viele Variablen, die denHabitus als opus operatum beschreiben. Zwar erfasst die ACTA weder physische Merkmale noch Elternhaus und Erziehung oder Wertorientierungen. Zum einen gibt es hier aber Ersatzindikatoren (Examina, Beruf), und zum anderen konnte vor allem die Lebenssituation detailliert gemessen werden:

  • Grundmerkmale: Geschlecht; Alter (in Jahren);

  • Sozialisation: Schulabschluss; höchster Ausbildungsabschluss; (erlernter) Beruf;

  • Aktuelle Lebenssituation: Berufskreis; Anstellungsverhältnis (Vollzeit, Teilzeit, stundenweise, nicht berufstätig); Tätigkeit; Mobilität im Beruf; Führungsposition; in der EDV-Abteilung beschäftigt; Hauptverdiener (ja/nein); Berufskreis und Einkommen des Hauptverdieners; Haushaltseinkommen (14 Gruppen); Berufstätige im Haushalt; verfügbares Geld; Herkunft (Ost/West); Einwohnerzahl des Wohnorts; Wohnsituation (Eigenheim, Eigentumswohnung, Miete, andere); Familienstand; Kinder (gruppiert nach Zahl und Alter); Schicht (Interviewereindruck); Status (siebenstufiger Index aus Schul- und Berufsbildung; Berufskreis; Einkommen des Hauptverdieners und sozialer Schicht).

Besonders angreifbar scheint die Operationalisierung desHabitus als modus operandi. Dies gilt weniger für dieBedeutung des Internets, für die sich im Datensatz neben einem subjektiven Indikator (Bindung) zwei objektive Kategorien finden (Häufigkeit, Dauer). Je häufiger und je länger ein Mensch etwas tut, desto wichtiger dürfte ihm dies sein. Ein vierter möglicher Indikator, der zugleich in den Bereich des kulturellen Kapitals reicht („Für meine tägliche Information sind PC und Internet unverzichtbar“), korrelierte stark mit den drei anderen Bedeutungsdimensionen und wurde deshalb nicht genutzt.

Um die Kapitalakkumulation messen zu können, wurden Items gesucht, die zwei Bedingungen erfüllen: Distinktionspotenzial und eine gewisse Reichweite. Während E-Mails zum Beispiel von nahezu allen Onlinern genutzt werden (in der ACTA 2008 von insgesamt 87,9 % wenigstens „ab und zu“) und sich deshalb kaum eignen, um Unterschiede bei der Internetnutzung zu beschreiben, sind Singlebörsen eine Sache von Minderheiten (9,6 % wenigstens „ab und zu“). Wegen zu geringer Reichweiten wurden auch die Items Börsenkurse, Zeitungsarchive, Computernachrichten, Wirtschaftsnachrichten, Sportnachrichten und Politiknachrichten nicht aufgenommen. Während es im Bereich deskulturellen Kapitals trotzdem ausreichend Indikatoren gibt, beschränkt sich die Operationalisierung im Bereich des sozialen Kapitals auf zwei Items. Der Indikator Chatten (33,6 % wenigstens „ab und zu“) wurde nicht aufgenommen, weil dieses Nutzungsmuster über Community-Mitgliedschaft und Instant Messaging abgedeckt sein dürfte, und bei der Nutzung von Blogs sowie Onlinespielen kann zwar auch soziales Kapital gewonnen werden, im Vordergrund stehen hier aber Identitätsmotive (vgl. Meyen et al.2009). Für die Erfassung desHabitus als modus operandi wurden folgende Indikatoren genutzt:

  • Bedeutung des Internets: Bindung („Das Internet gehört zum täglichen Leben dazu“); Nutzungshäufigkeit und Nutzungsdauer (jeweils sechs Gruppen);

  • Akkumulation von kulturellem Kapital: Nachschlagewerke; Suchmaschinen; Informationen für Schule, Studium, Beruf; Informationen über Produkte und Dienstleistungen/Preisvergleiche (Ausprägungen jeweils: häufiger, ab und zu, selten, nie);

  • Akkumulation von sozialem Kapital: Instant Messaging (häufiger, ab und zu, selten, nie); Mitglied in Communities (ja/nein). Da beide Anwendungen in der ACTA 2008 auf Reichweiten von nur knapp über 20 % kamen, versprechen bereits die eigentlich wenig aussagekräftigen Skalen ausreichend Differenzierung.

5 Ergebnisse: Einflussfaktoren und Nutzertypen

Um die Dimensionen Bedeutung, soziales und kulturelles Kapital nach ihrer Erklärungskraft gewichten zu können, wurde zunächst eine konfirmatorische Faktorenanalyse durchgeführt. Sie zeigt, dass sich aus den Nutzungsmerkmalen drei Faktoren bilden lassen, die den theoretischen Vorannahmen entsprechen (vgl. Tab. 2 im Anhang).

Die Einflussfaktoren auf die Dimensionen wurden anschließend mit blockweisen linearen Regressionen mit drei Blöcken (Grundmerkmale, Sozialisation, aktuelle Lebenssituation) überprüft. Die Erklärungskraft dieser Blöcke wird am Bestimmtheitsmaß R² abgelesen. Tabelle 3 im Anhang zeigt ausgewählte Einflüsse auf die Internetnutzung (auf die gebildeten Faktoren). Eine höhere Bedeutung haben das Internet sowie die Akkumulation von kulturellem und sozialem Kapital im Netz für Männer, Jüngere und höher Gebildete. Nur der Einfluss der Bildung entspricht nicht den Erwartungen: Soziales Kapital sammeln im Internet überwiegend Schüler und Studenten. Auch an anderer Stelle unterscheiden sich die Einflussfaktoren nach den Kapitalarten: Kulturelles Kapital akkumulieren eher Hauptverdiener und Personen, die in der EDV-Abteilung beschäftigt sind; soziales Kapital eher Arbeitslose, Personen in Mutterschutz und Ledige. Tabelle 1 zeigt, dass die Akkumulation von sozialem Kapital am stärksten durch die Grundmerkmale Alter und Geschlecht beeinflusst wird (Änderung in R²: 0,22). Die Sozialisation wiederum wirkt sich am stärksten auf die Akkumulation von kulturellem Kapital aus (Änderung in R²: 0,14). Der Einfluss der Lebenssituation ist bei allen drei Dimensionen eher gering.

Tab. 1 Einfluss der sozialen Position auf die Internetnutzung

Um die Unterschiede zwischen den Nutzern veranschaulichen und besser erklären zu können, wurde in einem zweiten Schritt eine Typologie gebildet. Typologien vereinfachen komplexe Strukturen und können zentrale Muster beschreiben (Haas und Brosius2006, S. 161). Sie eignen sich deshalb einerseits gut, um Einflussfaktoren zu ermitteln, und erlauben andererseits Aussagen über Größenordnungen und Verteilungen. Bislang wurde hauptsächlich mit Typologien gearbeitet, die deskriptiv angelegt sind (zum Beispiel in der ARD/ZDF-Online-Studie), theoretisch entwickelt wurden (vgl. Castells2005) oder sich auf qualitative Interviews stützen (Meyen et al.2009). Eine repräsentative Typologie der Internetnutzer, die sich auf ein theoretisches Konzept stützt, gibt es bislang nicht. Um diese Lücke zu füllen, wurde eine Clusteranalyse eingesetzt. Vor allem bei großen Fallzahlen empfiehlt sich dabei eine Clusterzentrenanalyse (vgl. Backhaus et al.2008, S. 444). Die Faktoren wurden dafür standardisiert. Nach Abwägung der Gütekriterien (F-Wert, korrigiertes R², Gruppengröße, korrekt zugeordnete Fälle) fiel die Entscheidung für ein Cluster mit sieben Typen. Die Unterscheidungskriterien spannen einen dreidimensionalen Raum der Internetnutzung auf (vgl. Abb. 3, Tab. 4 im Anhang). Die Typennamen sind der Versuch, die Nutzungsmuster auf einen Begriff zu bringen.

Abb. 3
figure 3

Raum der Internetnutzung

Im letzten Schritt wurde der Einfluss der sozialen Position auf die Typen getestet. Da es sich um 0/1-codierte Variablen handelt, wurden hier logistische blockweise Regressionen durchgeführt (Methode: Vorwärtsselektion). Tabelle 5 im Anhang zeigt die Einflussstärke der einzelnen Blöcke. Ausgewählte Koeffizienten sind im Anhang dokumentiert (vgl. Tab. 6).

Die Fans (11,8 %).

Dieser Typ hat auf allen drei Dimensionen die stärkste Ausprägung. Er nutzt das Netz am häufigsten und am längsten, ist im Alltag am stärksten an das Web gebunden und akkumuliert sowohl soziales als auch kulturelles Kapital auf hohem Niveau. Die Erklärungskraft von Alter und Geschlecht ist bei diesem Typ höher als bei den anderen Internet-Typen (Nagelkerkes R²: 0,145). Die Sozialisation erklärt 7,9 %, die Lebensphase 3,0 %. Die Fans sind signifikant jünger und eher männlich. Die VariableAbitur hat einen positiven Einfluss auf die Typzugehörigkeit. Zu den Fans gehören eher Studenten und Personen, die einen EDV-Beruf haben (das Internet ist hier also auch beruflich von Bedeutung). Verheiratet sind die Fans seltener, und sie kommen eher aus dem Westen.

Die Netzwerker (6,7 %).

Nur dieser Typ sucht im Internet vor allem soziales Kapital und kaum Wissen. Er ist stark an das Netz gebunden, nutzt es signifikant häufiger und länger als der Durchschnitt – aber weniger als die Fans. Auffallend ist wie bei den Fans die relativ hohe Erklärungskraft der Grundmerkmale (Nagelkerkes R²: 0,126). Auch die Netzwerker sind eher jung und männlich. Zudem ergab die Regressionsanalyse eine niedrige Formalbildung dieses Typs (positiver Einfluss der ItemsHauptschulabschluss,ohne Schulabschluss undkeine abgeschlossene Berufsausbildung, negativer Einfluss des ItemsAbitur). Studenten und Auszubildende sind weniger vertreten. Netzwerker kommen eher aus dem Westen und haben ein signifikant geringeres Haushaltseinkommen als die übrigen Internetnutzer-Typen. Sozialisation und Lebenssituation haben mit rund zwei Prozent aber eine geringe Erklärungskraft.

Die Arbeiter (20,2 %).

Die Bezeichnung ist zwar historisch und soziologisch belegt und so möglicherweise missverständlich, beschreibt aber am besten, was dieser Typ im Netz tut: Er konzentriert sich ausschließlich auf kulturelles Kapital. Die Arbeiter sind öfter und kürzer online als die Netzwerker, schreiben dem Internet aber eine vergleichbare Bedeutung zu: Für 90 % gehört es zum täglichen Leben. Die Arbeiter sind eher männlich; das Alter hat keinen signifikanten Einfluss. Mit einem Nagelkerkes R² von drei Prozent haben die Grundmerkmale eine sehr geringe Erklärungskraft. Am stärksten determiniert die Sozialisation diesen Typ (Änderung in R²: 0,081). Signifikant sind vor allem die Bildungsvariablen: Die Arbeiter sind höher gebildet als die anderen Internetnutzer und haben eher eine abgeschlossene Berufsausbildung. Der Einfluss der Lebenssituation ist wie der der Grundmerkmale gering (Änderung in R²: 0,031). Die signifikanten Einflüsse deuten an, dass dieser Typ eher der Hauptverdiener der Familie und verheiratet ist sowie über ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen verfügt.

Die Surfer (14,3 %).

Für diesen Typ ist das Internet weniger wichtig als für die Fans, aber genauso wichtig wie für Arbeiter und Netzwerker. Die Surfer sind aber etwas seltener und dann auch nicht so lange im Netz. Im Raum der Internetnutzung liegen sie im hinteren Bereich des Würfels (in der Tiefe): Surfer akkumulieren weder soziales noch kulturelles Kapital. Die dauerhaften Dispositionen haben bei diesem Typ eine geringe Erklärungskraft (je etwa zwei Prozent bei den Blöcken 1 und 2, etwa ein Prozent bei Block 3). Alter und Geschlecht zeigen für diesen Typen keine signifikanten Einflüsse. Die Surfer haben eher einen Hauptschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung, seltener Abitur. Wie die Arbeiter sind sie häufiger in EDV-Berufen und eher der Hauptverdiener der Familie.

Die Pragmatiker (6,7 %).

Dieser Typ häuft in kurzer Zeit viel Kapital an – soziales und kulturelles. Die Pragmatiker müssen nicht täglich online sein, und die Bindung ist niedrig. Die Zeit, die die Pragmatiker im Internet sind, wird sehr kapitalintensiv genutzt. Auf der Dimension des sozialen Kapitals liegt dieser Typ nur wenig hinter Fans und Netzwerkern. Pragmatische Onliner sind überwiegend Frauen und jüngere Menschen (Erklärungskraft der Grundmerkmale: 9,1 %). Das Durchschnittsalter von 29 Jahren deutet eine mögliche Ursache für den effektiven Umgang mit dem Internet an: Die Pragmatiker sind mit dem Internet aufgewachsen. Sozialisation und Lebenssituation haben einen geringen Einfluss auf die Typzugehörigkeit (0,8 und 2,3 %). Etwas häufiger hat dieser Typ keinen Schulabschluss und etwas seltener einen Hauptschulabschluss. Die Pragmatiker sind eher Auszubildende, seltener Hausfrauen oder Studenten.

Die Gäste (22,3 %).

Dies ist das größte Cluster – ein Typ, der dem Internet genau wie die Pragmatiker eher wenig Bedeutung zuschreibt. Die Gäste sind in der Regel nicht jeden Tag online und dann auch nur für eine halbe Stunde oder weniger. Das Netz gehört für sie nicht zum Alltag. Wenn dieser Typ ins Internet geht, dann sucht er Fakten oder spezielle Informationen. Soziales Kapital über Communities oder Instant Messaging sammeln die Gäste gar nicht. Dieser Typ ist älter und „weiblicher“ als die meisten anderen Typen. Die Grundmerkmale erklären 4,9 % der Varianz. Dagegen haben Sozialisation und Lebenssituation kaum Einfluss (Änderung in R²: 0,014 und 0,023). Die Gäste haben eher eine Berufs- und Fachschulausbildung. Sie arbeiten seltener Vollzeit, sind eher nicht der Hauptverdiener im Haushalt und kommen häufiger aus dem Osten Deutschlands.

Die Außenseiter (18,0 %).

Dieser Typ ist noch seltener im Netz als die Gäste (fast die Hälfte nur einmal pro Woche und weniger). Bei drei von vier Außenseitern liegt die Nutzungsdauer unter einer Stunde pro Tag. Wenn sie ins Internet gehen, dann nutzen sie Suchmaschinen wieGoogle. Die übrigen Anwendungen, die kulturelles Kapital versprechen, nutzen sie allenfalls selten. Auch soziales Kapital über Communities und Instant Messenger akkumuliert dieser Typ nicht. Die logistische Regression zeigt, dass die Außenseiter eher weiblich und älter sind. Die Grundmerkmale erklären aber nur 3,7 % der Varianz. Dagegen haben die Sozialisationsvariablen eine Erklärungskraft von 10,3 %. Während sich niedrige Bildungsabschlüsse sowie das Itemkeine abgeschlossene Berufsausbildung als positive Determinanten erweisen, hat die VariableAbitur einen negativen Einfluss. Studenten und Auszubildende sind weniger in diesem Typ vertreten, Hausfrauen häufiger. Die Lebenssituation hat aber mit 4,7 % eine mäßige Erklärungskraft.

6 Diskussion

Die Internetnutzung hat sich seit 2008 noch einmal deutlich verändert. Die Werte für die Mitgliedschaft in Online-Communities zum Beispiel, die der hier genutzte Datensatz ausweist (20,3 %), sind inzwischen Geschichte (ARD/ZDF-Online-Studie 2011: 36 %; vgl. van Eimeren und Frees2011, S. 340). Die Studie hat sich außerdem auf vergleichsweise wenige Anwendungen beschränkt (vor allem im Bereich des sozialen Kapitals), um Unterschiede zwischen den Nutzern herausarbeiten zu können. Trotzdem zeigt die Sekundäranalyse, dass viele deutsche Internetnutzer nur selten im Netz sind und ein eher kleines Seitenspektrum nutzen (2008 fast 50 %: die Pragmatiker, die Gäste und die Außenseiter). Auch in einer Gesellschaft, in der fast drei Viertel der Erwachsenen zu den Onlinern gerechnet werden, ist damit die Frage nach Ursachen und Folgen digitaler Ungleichheit hochaktuell. Die Studie belegt zunächst, dass die soziale Position die Internetnutzung beeinflusst. Wie gut die Infrastruktur auch ausgebaut sein mag (Stichwort „Internet für alle“): Bevor es zu einer „Wissenskluft“ kommen kann (vgl. Tichenor et al.1970; Bonfadelli1994), muss es eine Bedürfniskluft geben, die wiederum mit Arbeitsteilung und sozialer Schichtung zu erklären ist (und möglicherweise auch mit einer intellektuellen Kluft).

Alter und Geschlecht können dabei in erster Linie die Orientierung an sozialem Kapital aus dem Internet erklären. Besonders die beiden Typen Fans und Netzwerker werden durch die Grundmerkmale determiniert. Auch wenn sich diegender gap mit Blick auf den Netzzugang langsam schließt (vgl. van Eimeren und Frees2011): Für Männer hat das Internet immer noch eine höhere Bedeutung als für Frauen. Männer nutzen das Netz häufiger und sind stärker darauf angewiesen. Widerlegt wird in dieser Studie, dass Frauen im Netz eher an Kommunikation interessiert sind (vgl. Amann und Martens2008). Die Sekundäranalyse der ACTA 2008 zeigt, dass Männer stärker Instant Messenger nutzen, eher Mitglied einer Community sind und damit im Internet nicht nur mehr kulturelles Kapital akkumulieren als Frauen, sondern auch mehr soziales Kapital.

Neben diesergender gap gibt es weiter einegeneration gap: Die Bedeutung des Internets sinkt mit steigendem Alter. Besonders stark sind die Unterschiede bei der Akkumulation von sozialem Kapital und bei Suchmaschinen. Trotzdem relativieren die Befunde die oft beschworene Kluft zwischen den Generationen. Während einer der vergleichsweise „jungen Typen“, zu dem vorwiegend Menschen gehören, die mit dem Internet sozialisiert wurden, das Internet nur sporadisch nutzt (die Pragmatiker), gehören zwei der „älteren Typen“ (die Arbeiter und die Surfer) eher zu den Vielnutzern, wobei vor allem bei den Arbeitern die starke Integration in das Berufsleben zu Buche schlagen dürfte. Die soziale Position der Pragmatiker (mittlere Formalbildung, Tendenz zur Unterschicht) erlaubt zugleich eine Prognose, die den bisherigen Annahmen widerspricht: Digitale Ungleichheit wird auch dann noch ein Thema sein, wenn die Geburtskohorten aus dem sozialen Leben ausgeschieden sind, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind. Neben der sozialen Position dürfte die Position im Internetraum vor allem davon beeinflusst werden, ob man das Internet für den Beruf benötigt (vgl. Meyen et al.2009). Die Sekundäranalyse der ACTA 2008 hat gezeigt, dass Studenten und EDVler, Hauptverdiener und Westdeutsche häufiger online sind; Hausfrauen seltener. Beruf und Alltagsbelastung scheinen also (inzwischen) einen größeren Einfluss auf den Umfang der Internetnutzung zu haben als die persönliche wirtschaftliche Lage. Am höchsten ist die Erklärungskraft hier noch bei den Außenseitern, die selten im Netz sind.

Neben den bekannten Nutzungsklüften bestätigt die Studie die Existenz einercapital gap. Da ein hohes Kapitalbudget zu einer stärkeren Kapitalakkumulation im Internet-Raum führt, kann die These der doppelten Spiralwirkung bestätigt werden: Internetnutzung verstärkt die soziale Ungleichheit. Personen mit hoher Bildung und hohem sozial-wirtschaftlichen Status sammeln im Internet mehr kulturelles Kapital und verbessern so ihre soziale Position (Aufwärtsspirale). Gefährlich wird dieser Prozess für Personen mit niedriger Formalbildung und prekärer sozio-ökonomischer Ausgangslage: Solche Menschen sammeln im Internet weniger kulturelles Kapital, wodurch das Gesamtkapitalbudget und die soziale Position sinken. Die Studie belegt, dass die Erklärungskraft der Sozialisation beim kulturellen Kapital am höchsten ist. Am stärksten werden die Außenseiter und die Arbeiter durch ihr Bildungsniveau determiniert – zwei Typen, die entweder sehr wenig kulturelles Kapital im Internet akkumulieren oder sehr viel. Die Typologie zeigt zudem, dass die Bedeutung des Internets im Alltag mit der Bildung zunimmt. Bourdieus Annahme, dass eine höhere Bildung, also ein gewisser Anfangsbestand an kulturellem Kapital, weitere Handlungen in diesem Bereich begünstigt (vgl. Bourdieu und Passeron1973), scheint auch im Internet zuzutreffen. Die doppelte Spirale ist allerdings gebrochen, da Nicht-Berufstätige (zum Beispiel auch Arbeitslose oder Personen in Elternzeit) sowie Alleinstehende und damit Personen, die im sozialen Raum eher unten zu finden sind, häufiger Communities und Instant Messenger nutzen als arbeitende Personen und Liierte. Ob sich das soziale Kapital, dass sie auf diese Weise sammeln können, in Berufschancen und damit in ökonomisches Kapital umtauschen lässt, bleibt eine offene Frage.

Dass Antworten neben einer theoretischen Einbettung vor allem nach repräsentativen Datensätzen verlangen, dürfte die vorliegende Studie untermauern. Dabei hat sich die Kooperation zwischen akademischer und kommerzieller Forschung, die in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft bislang kaum praktiziert wird, als gewinnbringend erwiesen, auch wenn der Datensatz nicht für alle theoretisch denkbaren Indikatoren Entsprechungen enthielt und vor allem für die Internet-Nutzung selbst nur relativ wenige Items genutzt werden konnten. Wie notwendig die quantitative Überprüfung von qualitativen Forschungsergebnissen ist, zeigt ein Vergleich mit der Studie „Zuhause im Netz“ (vgl. Meyen et al.2009), in der eine Internetnutzer-Typologie präsentiert wurde, die sich auf Leitfadeninterviews stützt. Während dort drei Typen herausgearbeitet wurden, die im Internet vor allem soziales Kapital sammeln, zeigt die repräsentative Analyse, dass dieser Bereich weit überschätzt wurde: Mit den Netzwerkern managt lediglich ein (sehr kleiner) Typ online eher seine Kontakte, als dass er Wissen sammeln würde. Die große Mehrheit der Nutzer orientiert sich dagegen stärker an kulturellem Kapital. Erklären lässt sich dieser Unterschied neben den Einschränkungen bei der Operationalisierung, die für die Sekundäranalyse der ACTA in Kauf genommen wurden, mit den Besonderheiten der Rekrutierung für qualitative Studien. Selbst wenn die Befragten dort nach dem Verfahren der theoretischen Sättigung ausgewählt werden, dürften sich eher Menschen melden, die erstens ein großes Interesse am konkreten Untersuchungsgegenstand haben (hier: am Internet) und die zweitens den Interviewern einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprechen – auch für den sozialen Vergleich. Wenn die Gespräche von Studenten geführt werden (was die Regel sein dürfte), dann liegt es nahe, dass sie mehr Menschen rekrutieren, die im Internet das tun, was junge Menschen dort viel stärker machen als ältere – Kontaktmanagement. Dieser Mechanismus erklärt auch, warum in solchen Studien die Internetnutzung insgesamt überschätzt werden dürfte.