1 Einleitung

In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, die Feldtheorie Bourdieus für die Journalismusforschung zu nutzen. Obwohl Massenmedien in der Kulturtheorie des französischen Soziologen nur eine untergeordnete Rolle spielen und obwohl in dieser Zeitschrift bezweifelt wurde, dass das Konzept des journalistischen Feldes einen Erkenntnisgewinn bringt (vgl. Bastin 2003; Averbeck 2003; Raabe 2003), hat sich in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion zu diesem Thema entwickelt. Im deutschsprachigen Raum wurde die Soziologie Bourdieus dabei in erster Linie als „integrativer Ansatz“ rezipiert, der helfen könne, die Gegensätze zwischen den „Basisparadigmen“ System- und Akteurstheorie zu überwinden (Hanitzsch 2007, S. 239 f.; vgl. Raabe 2003, 2005; Schäfer 2004, 2007; Willems 2007). Die internationale Debatte hat sich dagegen vor allem an der Streitschrift „Über das Fernsehen“ entzündet. Bourdieu hatte 1996 in zwei Fernsehvorträgen gefordert, „im Namen der Demokratie“ gegen die Einschaltquote zu kämpfen, weil sie das journalistische Feld „dem Verdikt des Marktes“ unterwerfe und die Politik aus dem Programm vertreibe. Die Konkurrenz um Marktanteile verstärke die Jagd nach Sensationen und habe Folgen für alle Felder der Kulturproduktion, weil es „keinen Diskurs“ gebe, der nicht „die Probe der journalistischen Auswahl bestehen“ müsse (Bourdieu 1998a, S. 67, 72, 108–111). Während diese Polemik und der Verzicht auf empirische Absicherung für Befremden sorgten (vgl. Marliere 1998; Hesmondhalgh 2006), haben Schüler und Gefolgsleute Bourdieus die Feldtheorie als eine neue Möglichkeit gesehen, die Zwänge zu verstehen und zu erklären, die bei der Produktion von Medienangeboten eine Rolle spielen (vgl. Benson u. Neveu 2005a, S. 1; Benson u. Neveu 2005b; Accardo 1998). Dabei wurde allerdings das (negative) Journalismusbild Bourdieus genauso übernommen wie sein Unverständnis für die Massenkultur und sein normatives Wissenschaftsverständnis (Veränderung der Gesellschaft durch Aufdecken der Mechanismen, die die Benachteiligung der dominierten Bevölkerungsgruppen fortschreiben, vgl. Schwingel 2005; Grenfell 2008a).

Die Untersuchung, die in diesem Beitrag präsentiert wird, hat den Anspruch, sich von solchen Fesseln zu lösen und ein Konzept des journalistischen Feldes zu entwickeln (Abschnitt 1), das sich auf empirische Forschung stützen kann (Abschnitte 3 bis 5). Materialbasis sind dabei 501 Leitfadeninterviews mit deutschen Journalisten, die zwischen 2005 und 2008 zu ihrem Werdegang, ihren Arbeitsbedingungen und ihrem Selbstverständnis befragt wurden (Abschnitt 2). Bourdieus Begriffe Feld, Kapital und Habitus werden in diesem Beitrag als Denkwerkzeuge verstanden, die den Forschungsprozess anleiten – ganz im Geiste ihres Erfinders, der „Theoriearbeit nie um der Theoriebildung betreiben“ wollte, sondern immer nur mit Blick auf konkrete Probleme (Raabe 2003, S. 472; vgl. Grenfell 2008b, S. 2). Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt auf der Hand: Die Journalismusforschung wird so in einer Gesellschaftstheorie verortet, die nach den Beziehungen zwischen den verschiedenen Feldern fragt, auf jede Form sozialer Praxis angewendet werden kann und zugleich den Anspruch hat, den Antagonismus von Struktur und Handlung zu überwinden (vgl. Marliere 1998, S. 220; Hesmondhalgh 2006, S. 217). Wenn dabei Bourdieus Vorstellungen vom journalistischen Feld modifiziert werden, dann liegt dies auch daran, dass er dem eigenen Anspruch (Theorie als Mittel zum Zweck) in seinen Arbeiten zum Thema nicht gerecht geworden ist und auf empirische Untersuchungen verzichtet hat.

2 Theorie des journalistischen Feldes

2.1 Feld, Kapital und Habitus

Bourdieus Soziologie setzt bei einem Menschen an, der sich von anderen Menschen abheben will. „Ein Punkt, ein Individuum in einem Raum sein“ und damit „etwas bedeuten“ heiße nichts anderes als „sich unterscheiden“ (Bourdieu 1998b, S. 22). Real ist für Bourdieu der Abstand zum Gegenüber. Dieser Abstand wird immer wieder aufs Neue markiert, ohne dass uns dieses Ziel bewusst sein muss (vgl. Benson u. Neuveu 2005a, S. 3). Ausgetragen werden die Kämpfe in sozialen Feldern, die Bourdieu als „Netze“ oder „Konfigurationen“ definiert hat – als Netzwerke „von objektiven Relationen zwischen Positionen“ (Bourdieu u. Wacquant 1996, S. 127). Wie die Systemtheorie argumentiert die Feldtheorie mit funktionaler Differenzierung, und genau wie Luhmanns Systeme sind Bourdieus soziale Felder „relativ autonome Räume“, die nach „eigenen Gesetzen“ arbeiten (Bourdieu 1998c, S. 18; vgl. Kneer 2004).

Ansonsten gibt es zwischen beiden Theorien allerdings mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten (vgl. Nassehi u. Nollmann 2004). Luhmann ging davon aus, dass ein System nach einem bestimmten Code arbeitet und von außen weder zu steuern noch zu kontrollieren ist. Seine Systeme reagieren zwar auf Umweltreize, verarbeiten diese aber nach eigenen Regeln, um ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen und sich selbst zu erhalten. Da die Systemstrukturen kontingent sind und da der Mensch in dieser Theorie lediglich als „Umwelt“ von sozialen Systemen auftaucht, verbieten sich Kausalaussagen genauso wie moralische Urteile und Fragen nach individueller Verantwortung (vgl. Joas u. Knöbl 2004, S. 364, 382). Bourdieus soziale Felder bestehen dagegen aus Akteuren und aus „den objektiven Beziehungen“ zwischen diesen Akteuren (Bourdieu 1998c, S. 20). Wie autonom ein Feld ist, wird hier genauso zur Forschungsfrage wie die Logik, nach der es arbeitet. Zum einen sind die Spielregeln, die am Ende auch über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, jeweils selbst Kampfobjekt und können sich folglich ändern, und zum anderen werden äußere Zwänge zwar durch die Logik des Feldes gebrochen, diese „Übersetzungsmacht“ ist aber keineswegs überall gleich groß, sondern für Bourdieu im Gegenteil „der entscheidende Hinweis auf den Grad der Autonomie“. Je weniger ein Feld der Kulturproduktion zum Beispiel den Zwängen von Auftraggebern und Sponsoren nachgibt und je stärker dieser „Mikrokosmos“ seinen „internen Maßgaben“ folgt, desto autonomer ist er (Bourdieu 1998c, S. 19).

Die Entscheidung für die Feldtheorie hat Folgen für den Forschungsprozess. Mit Bourdieu geraten neben der Autonomie des Journalismus und den Spielregeln des Feldes die Unterschiede zwischen Journalisten und Medieneinrichtungen in den Blick. Ein Feld ist in erster Linie eine soziale Welt mit Herrschern und Beherrschten sowie mit all den Zwängen, die von solchen Beziehungen ausgehen. Dabei legt die „Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Akteuren“ (zwischen Personen oder Institutionen) fest, „was sie tun können und was nicht“ (Bourdieu 1998c, S. 20). Um den Handlungsspielraum des einzelnen Akteurs messen zu können, arbeitet Bourdieu mit dem Kapital-Konzept. Er unterscheidet vier Kapitalformen (Bourdieu 1983): ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital (Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen), soziales Kapital (Beziehungen zu anderen Akteuren) und symbolisches Kapital (Reputation). Vergleicht man die Kämpfe in sozialen Feldern mit einem Kartenspiel (was Bourdieu oft getan hat), dann sind die verschiedenen Formen von Kapital zum einen „Einsätze“ (das, was auf dem Spiel steht und für die Teilnehmer zu gewinnen ist) und zum anderen „Trümpfe“, die darüber entscheiden, wie groß die Chance auf den Sieg ist (Bourdieu 1985, S. 10). Die Begriffe Feld und Kapital gehören dabei zusammen, weil in jedem sozialen Feld eine andere Kapitalmischung Erfolg verspricht und weil in den einzelnen Feldern jeweils spezifische Formen von Kapital entstehen.

Der Kapitalbesitz bestimmt die Erfahrungen, die ein Mensch machen kann, und damit seinen Habitus. Dieser dritte Grundbegriff Bourdieus meint „Systeme dauerhafter Dispositionen“, die als „strukturierende Strukturen“ wirken (Bourdieu 1976, S. 165), als „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1987, S. 101). Das Habitus-Konzept ist damit auch ein Schlüssel zur Arbeit von Journalisten. Um konkrete Praxisformen (etwa die Arbeit eines Redakteurs) untersuchen zu können, hat Bourdieu vorgeschlagen, den Habitus analytisch zu teilen – in einen „opus operatum“ und einen „modus operandi“. Der „modus operandi“ (wie und warum handelt man) wird dabei durch den „opus operatum“ definiert, durch die Lebensgeschichte, die sich an soziodemografischen Merkmalen festmachen lässt (Alter, Geschlecht, Aussehen), an der Sozialisation (Herkunft, Ausbildung, Berufsstationen) und an der Lebenssituation (Familie, Kinder, Kapitalausstattung, Aktivitäten außerhalb des Berufs, Zukunftsperspektiven). Bei Bourdieu denken die Akteure über solche Voraussetzungen normalerweise nicht nach, sondern entwickeln einen „praktischen Sinn“, der wie ein Instinkt funktioniert und ihnen erlaubt, „auf alle möglichen ungewissen Situationen“ zu reagieren (Bourdieu 1987, S. 190 f.). Die Habitus-Feld-Theorie ist deshalb auch als Mittelweg „zwischen Subjektivismus und Objektivismus“ beschrieben worden. Habitus („Leib gewordene Geschichte“) und Feld („Dingcharakter gesellschaftlicher Verhältnisse“) gehören bei Bourdieu zusammen, weil „die objektiven sozialen Strukturen den Habitus ebenso strukturieren“ wie dieser die Praxis (Schwingel 2005, S. 73 f.).

2.2 Das journalistische Feld bei Bourdieu

Dass die Journalismusforschung bis heute eher ratlos mit diesen Denkwerkzeugen spielt, liegt auch an dem Bild, das Bourdieu selbst vom journalistischen Feld entworfen hat (vgl. Abb. 1). Dieses Feld ist bei ihm Teil eines größeren Feldes (Feld der kulturellen Produktion), das wiederum in das Feld der Macht eingebettet ist – ein Feld, zu dem die Akteure gehören, die „in ausreichendem Maße“ über eine der Kapitalsorten verfügen und deshalb eines der anderen Felder beherrschen könnten. Im Feld der Macht kämpfen sie um den „relativen Wert der verschiedenen Kapitalsorten“ (Bourdieu 1998b, S. 51). Wie viel Einfluss ist zum Beispiel mit einem Hochschulabschluss verbunden – wie viel im Vergleich zu Aktien- oder Landbesitz?

Abb. 1
figure 1

Das Feld der kulturellen Produktion (Bourdieu 1999, S. 203)

Das Diagramm in Abb. 1 steht für einen nationalen sozialen Raum, in dem kapitalstarke Akteure dominieren. Bourdieu hat das Feld der kulturellen Produktion im Feld der Macht in einer untergeordneten Position eingezeichnet, am linken Rand, wo es vergleichsweise viel kulturelles Kapital gibt und wenig ökonomisches. Dass er nach dem Grad der Autonomie noch einmal zwei Subfelder unterscheidet und dabei im Feld der eingeschränkten Produktion von „reiner“ Kunst spricht und im Feld der Massenproduktion von kommerzieller Kultur (vgl. Hesmondhalgh 2006, S. 214), erinnert an die Theorie der Kulturindustrie. Auch Horkheimer u. Adorno (1969) haben Kunstwerke als Gegensatz zu den Produkten der Kulturindustrie konstruiert und nur das als Kunst gelten lassen wollen, was sich Marktbedingungen widersetzt (vgl. Gebur 2002, S. 407). Bei Bourdieu wird dieser Zusammenhang aufgebrochen. Während die Bohème im Subfeld der „eingeschränkten Produktion“ ganz im Sinne der Frankfurter Schule auch symbolisches Kapital meidet, gibt es dort bei ihm auch eine Avantgarde, die Preise sammelt oder Akademie-Mitgliedschaften (vgl. Hesmondhalgh 2006, S. 215).

Bourdieu-Interpreten haben vermutet, dass es eine solche Zweiteilung (inzwischen) auch im Subfeld der „Massenproduktion“ geben müsse (Angebote für ein gehobenes Publikum und Unterhaltung für die Massen; vgl. Hesmondhalgh 2006, S. 215; Hanitzsch 2007, S. 248). Zum einen gibt es darauf aber in Bourdieus Diagramm keinen Hinweis, und zum anderen hat er selbst sich überhaupt nicht für die Teile der „kulturellen Produktion“ interessiert, die auf einen größeren Markt zielen, sondern ausschließlich für Kunst, Prestigemedien oder Spezialangebote, die eher in das Subfeld der „eingeschränkten Produktion“ gehören. Das journalistische Feld war für ihn ganz stark fremdbestimmt (vgl. Benson u. Neveu 2005b, S. 5). In seinen Fernsehvorträgen von 1996 beschrieb er die Konkurrenz um das „leichtverderbliche Produkt Neuigkeiten“ als Logik des Feldes und meinte, dass sich die „Autonomie eines Presseorgans“ sowohl „an der Konzentration der Anzeigenkunden“ messen lasse als auch daran, „wie weit es von Werbung und Staatssubventionen (in Form von Anzeigen oder Geldzuweisungen) unabhängig ist“ (Bourdieu 1998a, S. 105, 109). Einer seiner Gefolgsleute hat im journalistischen Feld neben spezialisierten und allgemeinen Medien folgerichtig einen „kommerziellen“ und einen „intellektuellen Pol“ unterschieden: auf der einen Seite ökonomisches Kapital, aber dafür Fremdbestimmung und wenig Ansehen, und auf der anderen Seite Autonomie und viel symbolisches Kapital, aber wenig Geld (Marchetti 2005, S. 71; vgl. Hanitzsch 2007, S. 250; Kneer 2004, S. 48). Zweifel an diesem Schwarz-Weiß-Schema sind nicht nur wegen der französischen Besonderheit der Staatssubventionen angebracht. Ein Journalist, der über viel symbolisches Kapital verfügt, dürfte kaum für wenig Geld arbeiten. Genährt werden diese Zweifel dadurch, dass es zum journalistischen Feld entweder nur theoretische und polemische Beiträge gibt (wie von Bourdieu selbst) oder Fallstudien, die sich auf kleine Ausschnitte beschränken und die Ansichten Bourdieus weitgehend ungefiltert übernehmen (vgl. Benson u. Neveu 2005a; Schäfer 2007; Hanitzsch 2007).

2.3 Kapitalformen und Akteure im journalistischen Feld

Die Untersuchung, die in diesem Beitrag präsentiert wird, hat das Ziel, die theoretische Diskussion über die Gesetze und Strukturen des journalistischen Feldes in Deutschland empirisch zu stützen. Obwohl es nicht einfach ist, das Menschen- und Gesellschaftsbild Bourdieus grafisch zu veranschaulichen, sollen die Abb. 2 und 3 die Annahmen auf den Punkt bringen, die die Studie geleitet haben. Wie bei Bourdieu gehört das journalistische Feld (Abb. 2) hier zu einem nationalen sozialen Raum, in dem Kapitalvolumen und Kapitalstruktur über die Position der Akteure entscheiden. In diesem Feld gibt es zwei „Trümpfe“: ökonomisches Kapital und journalistisches Kapital – verstanden als Summe aus (jeweils feldspezifischem) kulturellem Kapital (journalistische Kompetenzen), sozialem Kapital (Netzwerke) und symbolischem Kapital (berufliche Reputation). Journalistisches Kapital ist mehr als symbolisches Kapital, weil bestimmte Fähigkeiten (Recherche, Schreiben, Redigieren) und Kontaktchancen (etwa: Handy-Nummern von Politikern oder Sportstars) im Feld auch objektiv einen Vorteil versprechen.

Abb. 2
figure 2

Das journalistische Feld

Abb. 3
figure 3

Der Journalist und sein Selbstverständnis

Die Ellipsen in Abb. 2 stehen für kollektive Akteure – für Medieneinrichtungen (Sender, Verlage) und Redaktionen. Willems (2007, S. 226) hat von einer „doppelten Positionierung“ der einzelnen Journalisten gesprochen. Natürlich bringt sie oder er kulturelles, soziales und symbolisches Kapital mit (handwerkliches Können, Freunde und Familie sowie die Anerkennung, die man sich erarbeitet hat). Die Arbeitsbedingungen von Journalisten und ihre Wahrnehmung durch andere hängen aber zuallererst von der Organisation oder von dem Produkt ab, für das sie arbeiten. Medienunternehmen, Redaktionen und einzelne Abteilungen haben sowohl ökonomisches Kapital (Geld, mit dem sich Personal, Technik und Vertrieb bezahlen lässt) als auch journalistisches Kapital. Dazu gehören inkorporiertes und institutionalisiertes kulturelles Kapital (Mitarbeiter mit bestimmten Fähigkeiten, Auszeichnungen), soziales Kapital (Kontakt-Datenbanken, Netzwerke in einer Region oder einem anderen sozialen Feld) und feldspezifisches symbolisches Kapital (Anerkennung früherer Leistungen durch die Mitbewerber im Feld und von außen). Der einzelne Journalist kann dieses Kapital nutzen – allerdings nur, solange er zu der jeweiligen Organisation gehört. Die kollektiven Akteure sind im Feld als Ellipsen eingezeichnet worden und nicht als Punkte, um zu verdeutlichen, dass sich die Positionen der einzelnen Journalisten und von Unterorganisationen (etwa: Ressorts) innerhalb des Rahmens, den die Organisation vorgibt, noch einmal unterscheiden können.

Abbildung 2 weist außerdem auf die ökonomische Logik, auf den Diskurs über journalistische Normen sowie auf die anderen sozialen Felder hin – auf die drei Faktoren, die die Autonomie des journalistischen Feldes beschneiden (können). Die ökonomische Logik (Publikumswünsche, Werbekunden, Renditeziele) hat Bourdieu selbst in seinen Fernsehvorträgen von 1996 genannt. Dass der Norm-Diskurs, der nicht nur im Feld der kulturellen Produktion (Wissenschaft, Rechtssprechung), sondern im gesamten sozialen Raum geführt wird, die Logik beeinflusst, nach der das journalistische Feld funktioniert, liegt ebenfalls auf der Hand. Der mögliche Einfluss der anderen sozialen Felder (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Wissenschaft, Tourismus usw.) ergibt sich aus der Konkurrenz der jeweiligen Logiken und aus dem Versuch der Akteure, journalistische Produkte für eigene Ziele einzuspannen.

Abbildung 3 zielt auf den einzelnen Journalisten (vor allem auf sein Selbstverständnis und damit auf den „praktischen Sinn“, den er mit seiner Arbeit verbindet). Da dieser Journalist ein „Punkt“ im sozialen Raum und hier wiederum ein Punkt im journalistischen Feld ist, wird sein Habitus nicht nur durch das Kapital strukturiert, über das er ganz persönlich verfügt, sondern auch durch die Logik des Feldes und durch die Position der Medienorganisation(en), für die er arbeitet. Die Dimensionen, die in Abb. 3 genannt werden, sind dabei als Untersuchungskategorien zu verstehen. In den Leitfadeninterviews ging es neben dem Kapitalbesitz (institutionell und individuell) um die geronnene Lebensgeschichte (Habitus als „opus operatum“: soziodemografische Merkmale, Sozialisation, aktuelle Lebenssituation) und um den Arbeitsalltag (Habitus als „modus operandi“: Selbstverständnis).

Dass der Habitus als „modus operandi“ in dieser Abbildung vor allem über das Selbstverständnis der Befragten erschlossen werden soll, ist erklärungsbedürftig. Zu keinem anderen Thema gibt es im Bereich Journalismus mehr Untersuchungen, und kein Thema ist stärker umstritten (vgl. Löffelholz 2003, S. 47). Was Journalisten als Ziele nennen, wird von der Wissenschaft benutzt, um die Qualität ihrer Arbeit zu beurteilen (vgl. Donsbach 2008a). Dahinter steht die Annahme, dass das subjektive „Rollen- oder Aufgabenverständnis“ Einfluss darauf hat, was in den Medien wie berichtet wird (Donsbach 2002, S. 116). Um diesen Einfluss messbar zu machen, hat das Forschungsteam um Siegfried Weischenberg neben der Rollenselbstzuschreibung immer auch die „Handlungsrelevanz“ erhoben (die Möglichkeit, das Selbstverständnis umzusetzen; Weischenberg et al. 2006, S. 100). Da Bourdieus „praktischer Sinn“ wie ein Instinkt funktioniert und normalerweise unterhalb der Bewusstseinsschwelle liegt, wurden die Journalisten in der vorliegenden Untersuchung nicht nur direkt nach ihren Arbeitszielen gefragt, sondern auch indirekt. Die Indikatoren Publikumsbild, Wirkungsvorstellungen, Ethik und Tätigkeiten (recherchieren, produzieren, organisieren) sollten genau wie die Arbeitsbedingungen (individuelles und kollektives ökonomisches und journalistisches Kapital) Rückschlüsse auf die journalistische Praxis erlauben.

3 Untersuchungsdesign: Leitfadeninterviews mit Journalisten

In dieser Studie wurde nach den Strukturen des journalistischen Felds in Deutschland gefragt: Nach welcher Logik arbeitet das Feld? Wie sind ökonomisches und journalistisches Kapital verteilt, und welche objektiven Beziehungen gibt es folglich zwischen den (kollektiven und individuellen) Akteuren? Wie autonom ist das Feld, welchen Habitus haben die Akteure, und welchen „praktischen Sinn“ verbinden sie mit ihrer Arbeit? Da Bourdieus Begriffe Habitus und Kapital komplex sind und da der „praktische Sinn“ genau wie Feldlogik und Feldstrukturen kaum standardisiert erfasst werden können, wurde mit Leitfadeninterviews gearbeitet. Qualitative Methoden sind bei der Frage nach der Bedeutung bestimmter Praxisformen vorzuziehen, weil die Untersuchungspersonen hier die Möglichkeit haben, frei über ihren Lebenslauf, ihr persönliches Umfeld und ihren Arbeitsalltag zu sprechen, über ihre Einstellung zum Beruf und über ihre Wünsche für die Zukunft. Sie geben so Hinweise für die Deutung ihrer Handlungen. Auch solch ein offenes Gespräch garantiert natürlich nicht, dass man bis zum „praktischen Sinn“ vordringt, den Journalisten mit ihrer Arbeit verbinden. Für eine Beobachtung des journalistischen Feldes durch „die Augen“ der Beteiligten hat aber gesprochen, dass die objektiven Beziehungen zwischen den Akteuren in einem sozialen Feld häufig unsichtbar bleiben und die Logik, nach der solche Felder funktionieren, von außen nicht einfach bestimmbar ist (vgl. Hanitzsch 2007, S. 253, 257).

3.1 Auswahl der Befragten

Von zentraler Bedeutung bei jedem qualitativen Untersuchungsdesign sind das Auswahlverfahren und die Reichweite der Befunde. Tiefeninterviews setzen die Bereitschaft voraus, einem Fremden etwas aus seinem Leben zu erzählen. Vor allem stark beschäftigte und am Gegenstand nur wenig interessierte Personen sind normalerweise nicht bereit, diese Belastung auf sich zu nehmen. Qualitative Verfahren können deshalb zwar typische Varianten beschreiben, aber niemals Aufschluss über die Verteilung von bestimmten Mustern in der Grundgesamtheit geben (vgl. Fuchs-Heinritz 2000). Um trotzdem nicht auf Verallgemeinerungen verzichten zu müssen, sind die Befragten nach dem Verfahren der „theoretischen Sättigung“ ausgewählt worden. Dieses Verfahren geht davon aus, dass es im journalistischen Feld nicht unendlich viele Praxisformen gibt. Um das Feld analysieren zu können, müssen die Befragten für möglichst unterschiedliche Varianten stehen. Ausgangspunkt der Auswahl war die Theorie des journalistischen Feldes, die im ersten Kapitel skizziert wurde. Journalist ist danach, wer für ein Medienunternehmen arbeitet und sich für journalistisches Kapital interessiert – für den Einsatz, um den gespielt wird (vgl. Bourdieu 1998c, S. 27). Da die Feldgrenzen selbst Gegenstand von Definitionskämpfen sind und Felder im Gegensatz zu sozialen Systemen keine eindeutigen Grenzen haben (vgl. Kneer 2004, S. 50 f.), ist diese Definition etwas weiter als in den Repräsentativbefragungen, die das Weischenberg-Team organisiert hat, wo auch „Hauptberuflichkeit“ verlangt wurde (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 30 f.).

Wenn man annimmt, dass die Praxis von Journalisten von der Position der Redaktion abhängt, für die sie arbeiten, ergeben sich folgende Auswahlkriterien:

  • Mediengattung: Fernsehen, Hörfunk, Tagespresse, Publikumszeitschriften, Wochenzeitungen, Online-Medien, Nachrichtenagenturen

  • Organisationsform: privatwirtschaftlich, öffentlich-rechtlich

  • Verbreitungsgebiet: national, regional, lokal

  • Marktsituation: Monopol, Konkurrenz (Marktführer, untergeordnete Position)

  • Ressort: Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Lokales, Wissenschaft, Service, Vermischtes

Da sich die Positionen der Journalisten innerhalb des Rahmens, den die Organisation vorgibt, noch einmal unterscheiden können, wurden außerdem solche Habitus-Bestandteile berücksichtigt, die sich von außen beobachten lassen:

  • Soziodemografische Merkmale: Geschlecht, Lebensphase

  • Anstellungsverhältnis: Führungsposition, Festanstellung, Freiberufler

Dies bedeutet nicht, dass die anderen Habitus-Bestandteile, die in Abb. 3 genannt worden sind, in der journalistischen Praxis „verschwinden“. Berufszufriedenheit, Zukunftsperspektiven oder Herkunft eignen sich aber nicht als Auswahlkriterien, weil sie schlecht vorab zu ermitteln sind. Mit der Auswahl über die Redaktion, über zentrale soziodemografische Merkmale und über das Anstellungsverhältnis war die Hoffnung verbunden, dass die anderen Habitus-Bestandteile und der individuelle Kapitalbesitz gewissermaßen „von selbst“ variieren. Die Stichproben-Struktur (n = 501) zeigt, dass sich diese Hoffnung erfüllt haben dürfte:

  • Geschlecht: 343 Männer, 158 Frauen

  • Alter: 56 Befragte jünger als 30 Jahre, 191 zwischen 30 und 39, 154 zwischen 40 und 49, 82 zwischen 50 und 59; 18 noch älter

  • Anstellungsverhältnis: 131 Befragte in Führungspositionen, 118 Freiberufler

  • Mediengattung: 93 Fernsehen (68 öffentlich-rechtlich), 70 Hörfunk (55 öffentlich-rechtlich), 189 Tageszeitung, 15 Wochenzeitung, 97 Publikumszeitschrift, 19 Nachrichtenagentur, 18 Online

  • Ressort: 65 Politik, 25 Wirtschaft, 43 Kultur, 32 Lokales, 57 Sport, 34 Wissenschaft, 43 Service, 23 Vermischtes, 179 ohne feste Zuordnung

  • Ausbildung: 357 Hochschulabschluss, 175 Volontariat, 61 Journalistenschule

3.2 Rekrutierung, Gesprächsablauf und Auswertung

Die für eine qualitative Untersuchung ungewöhnlich große Stichprobe hat weniger mit dem Verfahren der „theoretischen Sätti20/08/2009gung“ zu tun, sondern vor allem mit den Rekrutierungsbedingungen. Die Interviews wurden von Studenten geführt, die für ihre Abschlussarbeit jeweils einen speziellen Feld-Ausschnitt behandeln sollten (etwa: Frauenzeitschriften, Lokalreporter, Wirtschaftsredakteure). Damit diese Arbeiten für sich funktionieren konnten, wurden insgesamt deutlich mehr Interviews geführt, als für eine „Sättigung“ nötig gewesen wäre. Die Einzeluntersuchungen haben aber zum einen geholfen, die Ausgangsannahmen zu verfeinern (so wurden in der Endphase zum Beispiel gezielt Journalisten mit einer DDR-Vergangenheit gesucht, weil die ersten Interviews vermuten ließen, dass diese Kollegen deutlich unzufriedener sind), und zum anderen die konkreten Auswahlpläne der nächsten Studie mitbestimmt. Um dies nur am Beispiel Tagespresse zu illustrieren: Aus den Kriterien Verbreitungsgebiet und Konkurrenzsituation ergibt sich ein Quotenplan mit sechs Ausprägungen. Ob im Feld „Regionalblatt in einer Konkurrenzsituation“ am Ende ein Politikredakteur der Sächsischen Zeitung oder des Münchener Merkurs befragt wurde, blieb den Interviewern überlassen.

Startpunkt war ein Hauptseminar im Sommersemester 2005, in dem die Interviewer intensiv geschult wurden und einen Leitfaden entwickelten. Er gab nur vor, welche Themen überhaupt berührt werden sollten, und erlaubte es den Befragten so, ihre eigene Sicht darzulegen, Episoden anzubringen, Schwerpunkte zu setzen. Die drei Themenkomplexe lassen sich mit der Theorie des journalistischen Feldes begründen:

  • Lebenslauf und Karriere: Habitus als „opus operatum“ (Sozialisation, aktuelle Lebenssituation), individueller Kapitalbesitz

  • Arbeitsbedingungen: Position des Arbeitgebers im journalistischen Feld (ökonomisches und journalistisches Kapital: Ressourcen, Arbeitszeiten, Verhältnis zu den Kollegen), Autonomie (redaktionelle Vorgaben, innere Medienfreiheit, Einflüsse von Anzeigenkunden und anderen Interessengruppen)

  • Arbeitsalltag und Selbstverständnis: Habitus als „modus operandi“ (Tätigkeiten, Ziele, Publikumsbild, Wirkungsvorstellungen, Medienethik)

Bedingung war, dass sich die Gesprächspartner vorher nicht kannten. In den allermeisten Fällen begann die Rekrutierung mit einer Anfrage an eine Redaktion. Die Interviews wurden mit einem Tonband aufgezeichnet. Zu jedem Gespräch gibt es außerdem ein Protokoll, in dem Auffälligkeiten und Informationen über den Befragten festgehalten wurden. Solche Informationen helfen bei der Interpretation des Materials. An dieser Stelle bieten qualitative Studien die größte Angriffsfläche. Um das Qualitätskriterium „intersubjektive Nachvollziehbarkeit“ zu bedienen, wurden die Interviewer zum einen gebeten, ihre Gespräche ebenfalls zu deuten (in einer Haus- oder einer Examensarbeit). Zum anderen wurde mit Hilfe von Bourdieus Denkwerkzeugen ein Kategoriensystem für eine qualitative Inhaltsanalyse entwickelt, das wie die Theorie insgesamt einen Interpretationsrahmen absteckt (vgl. Mayring 2002; Lamnek 1998):

  • Habitus als opus operatum: soziodemografische Merkmale, Sozialisation, berufliche Laufbahn, Lebenssituation (vgl. Abb. 3)

  • Position im journalistischen Feld: Arbeitgeber (ökonomisches und journalistisches Kapital), Anstellungsverhältnis (Position, Gehalt), Arbeitszeiten

  • Funktionen des Journalismus in der Gesellschaft: Welche Aufgaben schreibt der Befragte dem Journalismus zu, und welches Image hat der Beruf seiner Meinung nach?

  • Selbstverständnis: Tätigkeiten, Ziele, Wirkungsvorstellungen, Publikumsbild, Medienethik

Die beiden letzten Kategorien laufen auf ein Porträt des Befragten hinaus, auf eine Interpretation im Lichte der Theorie des journalistischen Feldes. Die ersten beiden Kategorien sollten dann helfen, die Unterschiede zwischen den einzelnen Personen zu erklären.

4 Habitus und Kapital von Journalisten in Deutschland

Journalismus ist heute kein Beruf (mehr), für den man sich entscheidet, wenn man merkt, dass andere Tätigkeiten (etwa für den Staat oder in der Wirtschaft) nicht in Frage kommen oder wenn man dort einen Karriereknick erlebt. Viele der Befragten wussten schon sehr früh, was sie werden wollen, und die allermeisten haben sich gezielt vorbereitet: über Praktika und Volontariate, an Journalistenschulen und auf Universitäten. Dieser Befund widerlegt keineswegs Kepplingers These vom Beruf der späten Quereinsteiger (vgl. Kepplinger 1979, S. 9). Der Ausbau und die Ausdifferenzierung des Medienangebots in den 1960er und 1970er Jahren haben den Arbeitsmarkt für Journalisten deutlich vergrößert und damit die Präsenz des Berufes in der Gesellschaft erheblich verstärkt. Wer in dieser Zeit (und erst recht 20 Jahre später) aufgewachsen ist, fand in seinem Umfeld viel eher Menschen, die etwas mit dem Beruf anfangen konnten, als die älteren Kohorten. Wer schon länger Journalist ist, hat die Veränderungen im Berufszugang selbst beobachtet. Ein TV-Redakteur, 64, sagte, sein „Werdegang“ sei heute „völlig undenkbar“. Da man in den Rundfunkanstalten vor 40 Jahren über jeden froh gewesen sei, „der kam“, habe er sich damals schnell bis in ein Politik-Magazin hocharbeiten können – ohne journalistische Ausbildung und ohne Universitätsabschluss. Ein etwas jüngerer Nachrichtenchef, 50, der seinerzeit „durch Zufall“ in den Journalismus gekommen war, bestätigte, dass „Quereinsteiger“ heute „kaum eine Chance“ hätten. Die Konkurrenz sei einfach zu groß.

Wer als Journalist arbeitet, hat in aller Regel sein Hobby zum Beruf gemacht oder (etwas neutraler formuliert): Er berichtet heute über das, was ihn schon immer stark interessiert hat. Auf den ersten Blick einleuchtend ist dies im Ressort Sport, wo fast alle Befragten erzählten, dass sie ohnehin ins Stadion gingen und jetzt schon deshalb glücklich seien, weil sie dafür auch noch Geld bekommen. Ganz ähnlich läuft es offenbar in der Kultur. Jeder Musikkritiker „wäre auch gern Musiker geworden“, sagte ein Chefredakteur, Mitte 30, der eine Musikzeitschrift leitet. Wenn Bourdieu Recht hat und wir uns ständig im sozialen Raum positionieren, dann dürfte die Entscheidung für den Journalistenberuf auch das Ergebnis solcher Vergleichsprozesse sein: Was kann ich und was können die anderen, die mit mir konkurrieren und sich für die gleichen Dinge interessieren? In welchem sozialen Feld habe ich die größten Chancen, Kapital zu akkumulieren? Einige der Befragten haben ausdrücklich von solchen Denkprozessen berichtet. „Ich hatte überlegt, ob ich in die Forschung gehen möchte“, sagte ein promovierter Wissenschaftsjournalist, 35. „Die Quantenoptik schien mir aber zu schwierig. Ich war zwar gut, aber nicht brillant. Darum bin ich dann in den Journalismus.“ Kepplinger hat vor 30 Jahren von einer „Legitimationskrise“ gesprochen und gefragt, woher Journalisten das Recht nehmen, Sachverhalte und Entscheidungen zu kritisieren, für die sie nicht kompetent sind (vgl. Kepplinger u. Vohl 1979, S. 230). Eine erste Antwort: Aus der Affinität zum Gegenstand, die Journalisten beim Eintritt in das Feld mitbringen, wird im Laufe der Zeit eine Expertise – allein schon dadurch, dass sie sich tagaus, tagein professionell mit einem bestimmten Gebiet beschäftigen. Ein Jazz-Kritiker sagte, er habe „in den letzten Jahren einfach 1.500 Konzerte gehört“, und ein TV-Journalist, knapp 40, verglich Nachrichtenredakteure mit gutem Wein: „Sie werden mit der Zeit immer besser, weil die Menge an Informationen, die man liest, die man verarbeitet, sich setzt und eine riesige Schicht an Hintergrundwissen bildet.“ Wie noch zu zeigen sein wird, hängt es allerdings von der Position im Feld ab, wie stark ein Journalist seine Expertise ausbauen kann.

Dass zum Habitus von Journalisten Zufriedenheit gehört, ist bekannt, seit es entsprechende Untersuchungen gibt (vgl. Roegele 1981). „Es ist tatsächlich der beste Beruf der Welt“, sagte ein Online-Redakteur, Ende 20. „Wenn alles klappt, kann man seine Interessen mit der Leidenschaft für das Schreiben verbinden und daraus auch noch Ruhm, Ehre und Geld schlagen.“ In den Interviews wurde das Klischee vom Traumberuf zwar mit unterschiedlichen Akzentsetzungen bedient, aber letztlich mit den immer gleichen Argumenten: Der Beruf stillt die Neugier (ein menschliches Grundbedürfnis), er bringt Abwechslung, Selbstverwirklichung und Kontrolle (drei Handlungsziele, die für „angenehmes Erleben“ stehen; vgl. Früh 2003, S. 30), er ist mit Einfluss und Verantwortung verbunden sowie mit einer besonderen Form der Distinktion – mit der Möglichkeit, regelmäßig etwas zu erleben, was anderen Menschen nicht vergönnt ist. Wenn man weiß, dass Journalismus kein Beruf mit „natürlicher Erbfolge“ ist (nur wenige der Befragten hatten Eltern oder Verwandte, die in den Medien arbeiten) und dass die allermeisten Journalisten aus der Mittelschicht kommen (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 69), dann wird deutlich, dass mit der Entscheidung für den Beruf ein sozialer Aufstieg verbunden ist: Man verdient (meist) nicht mehr Geld als die Eltern, erreicht aber eine Position, die Aufmerksamkeit und Ansehen im sozialen Raum garantiert. Die Wertschätzung im persönlichen Umgang, von der in fast allen Interviews die Rede war, dürfte zwar auch mit dem Seltenheitswert zu tun haben (es gibt in Deutschland 750.000 Lehrer, aber nur rund 50.000 Journalisten) und mit dem „Blick hinter die Kulissen“, den ein Gespräch mit Journalisten verheißt, vor allem aber mit dem Einfluss, der sich aus der Öffentlichkeitswirkung ergibt. „Die Leute behandeln dich ganz anders, wenn du Journalist bist“, sagte ein Chef vom Dienst, 40, der für ein Privatradio arbeitet.

Zum Habitus von Journalisten gehört das Gefühl, immer im Dienst zu sein. „Auch wenn man schläft, ist man Journalist“, sagte ein Lokalredakteur. Viele der Befragten haben von Abend- und Wochenend-Verpflichtungen berichtet und von der ständigen Suche nach Themen und Ideen. Eine Bild-Redakteurin, 30, sagte, Journalismus sei „kein Job“, sondern „ein Lebensinhalt“. Konnten Journalisten auch „früher“ (in den „alten“ Medien) nicht wirklich zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden, löst sich das Modell, Berufs- und Privatleben zu trennen, in den Online-Redaktionen endgültig auf. „Weil nie ein Endpunkt erreicht ist, weil man immer und überall Zugriff hat“, sagte ein Chefredakteur, Anfang 30, für den es völlig normal ist, dass er zu Hause „da noch mal“ reinschaut. Keineswegs nur Frauen haben darüber geklagt, wie schwierig es sei, als Journalist eine Familie zu gründen (vgl. Weischenberg et al. 2006, S. 46). Wer immer im Dienst ist, kann es sich außerdem kaum leisten, „weit weg“ zu wohnen. Ein Musikkritiker, Mitte 40, meinte, für ihn wäre es „absurd“, „auf dem Land zu leben“. Er müsse „wissen, was gerade en vogue ist in den Kreisen, die sich für Kultur interessieren. Man muss etwas über das Zeitgefühl wissen, über die Moden. Vor diesem Hintergrund schreibt man.“ Die Anforderungen des Berufs prägen auch den Arbeitsalltag. Was man Wirten oft nachsagt, gilt hier uneingeschränkt: Der beste Kunde des Journalisten ist der Journalist (vgl. Reinemann 2003). Alle Befragten haben berichtet, dass sie intensiv die Produkte der Konkurrenz studieren – um Anregungen zu bekommen, um die eigene Arbeit zu überprüfen und Entscheidungen zu legitimieren, um zu recherchieren, um zu lernen und um die eigene Position im journalistischen Feld zu bestimmen.

Man kann die Folgen für die Medieninhalte beklagen – etwa unter den Schlagworten „mediale Selbstreferenz“, Konsonanz und „Journalismusjournalismus“ (Malik 2004) oder wie Bourdieu mit dem Hinweis, dass Journalisten zwar das Informationsmonopol haben, ihre Informationen aber vorzugsweise bei „anderen Informanten“ einholen (Bourdieu 1998a, S. 34). Es gibt aber auch eine positive Interpretation: Im journalistischen Feld ist ein Mechanismus der Selbstkontrolle eingebaut. Jeder Akteur wird pausenlos von Kollegen beobachtet und im Zweifelsfall korrigiert. Einige der Befragten haben gerade darin einen besonderen Reiz gesehen. „In keinem anderen Beruf hast du so einen erbarmungslosen Vergleich“, sagte ein 40-jähriger Ressortleiter, der für ein Wirtschaftsblatt schreibt. Wie jeder gute Wirt hat auch ein guter Journalist seine besten Kunden stets im Hinterkopf. „Man sendet natürlich immer auch für die Kollegen“, sagte eine Radioredakteurin, Mitte 40. Auch wenn der Journalismus Abwechslung bringt und Kreativität verlangt, wird der Arbeitsalltag durch Routine und Handwerk geprägt. Der Beruf habe „einen ganz starken Ausbildungscharakter“ und bestehe aus Dingen, die man „lernen“ könne, sagte ein Online-Journalist, Anfang 30. Ein TV-Redakteur, Ende 40, fand für diese „Dinge“ einen Dreiklang („Recherche, Telefonieren, Abchecken“) und sagte dann, man müsse „einfach eine Geschichte erzählen“ können, „die fair ist, die den Fakten entspricht“ und in der man die üblichen „Stilmittel“ benutze.

5 Die Logik der Exklusivnachrichten und die Hierarchie im journalistischen Feld

Wie von Bourdieu behauptet, geht es im journalistischen Feld tatsächlich um das „leichtverderbliche Produkt Neuigkeiten“ (Bourdieu 1998a, S. 105, 109). Die Ökonomisierung der Medien, die Digitalisierung und die damit verbundene Ausweitung des Medienangebots haben den Kampf um dieses Produkt in den vergangenen beiden Jahrzehnten erheblich verschärft. „Die Exklusivnachricht, der Scoop, hat heute ein viel größeres Gewicht“, sagte ein Politikredakteur, Mitte 50, der für eine überregionale Tageszeitung arbeitet. „Wer wird wie oft zitiert? Wir nehmen das viel wichtiger als der Leser. Aber kein Leser wird sich auf Dauer gefallen lassen, dass seine Zeitung ständig hinterherhängt.“ Dies gilt keineswegs nur für die „harten“ Themen, sondern auch beim Sport oder im Boulevard. Ein Fußballjournalist, Ende 40, sagte, wenn ein Reporter „irgendeine Meldung exklusiv“ habe, bekomme er zwar „nicht mehr Geld“, aber letztlich sei das für ihn nichts anderes als „ein Tor für einen Stürmer“. Der Torhunger hat dabei offenbar längst alle Tugenden vergessen lassen. Der „Ehrenkodex“ („sollte es das mal gegeben haben“), vertrauliche Informationen für sich zu behalten, sei „schon lange zerstört“, sagte ein Spiegel-Redakteur, Anfang 30. „Was aber auch sehr natürlich ist. Ich finde, wenn man etwas Brisantes erfährt, dann muss man es auch berichten.“

Den Kampf um Exklusivnachrichten kann man nur gewinnen, wenn man im journalistischen Feld eine Machtposition besetzt. Ein Scoop setzt entweder (Recherche-)Zeit voraus (und damit ökonomisches Kapital) oder journalistisches Kapital, vor allem Kontakte (soziales Kapital) und Reputation (symbolisches Kapital), aber auch Recherche-Fähigkeiten (kulturelles Kapital). Ein TV-Journalist, Ende 50, sagte, die Informanten „melden sich schon, wenn man einen bestimmten Ruf hat“. Die meisten der befragten Berliner Korrespondenten haben von ständigem Telefonkontakt mit Parteibüros und Ministerien berichtet. Es gehöre außerdem zum ganz „normalen Betrieb“, dass „Politiker anrufen und sagen, pass mal auf, ich habe da ein Papier“, meinte ein Parlamentsjournalist, Anfang 40. Wenn es sich dabei um etwas handelt, was brisant ist (weil es viele Menschen betrifft, weil es überraschend ist oder skandalträchtig), dann lässt die Logik des Feldes den Akteuren gar keine Wahl. „Wenn wir so etwas in den Papierkorb schmeißen“, sagte ein Nachrichtenmagazin-Redakteur, Mitte 40, „dann bekommt unsere Konkurrenz das Papier, weil der Politiker sagt: Entschuldigung, wozu habe ich euch das gegeben, wenn ihr damit nichts macht?“

Wenn exklusive Nachrichten der Einsatz sind, um den im journalistischen Feld gespielt wird, dann muss die Hierarchie in diesem Feld schon deshalb zwangsläufig gebrochen sein, weil nicht jede Information (und sei sie noch so exklusiv) für „alle“ gleichermaßen von Interesse ist. Der Kommunalpolitiker, der einen Korruptionsfall im Rathaus aufdecken will, geht damit besser nicht zum Spiegel, und auch der Krach in einer Szene-Band gehört dort nicht hin. Für die Position im journalistischen Feld insgesamt gibt es allerdings ein klares Kriterium: die Zeit, die für Recherchen zur Verfügung steht. In vielen Interviewtranskripten finden sich entsprechende Vergleiche, vor allem bei den Journalisten, die an der Spitze der Hierarchie arbeiten. „Ich mag einfach rausgehen und recherchieren“, sagte eine Hörfunkreporterin, die für einen öffentlich-rechtlichen Sender arbeitet. „Dafür hast du beim Privatradio nicht die Zeit.“ Auch bei den Printprodukten gibt es einen ähnlichen Graben: „Ich kann noch Reportergeschichten machen, ich kann noch ein bisschen länger recherchieren als die Kollegen von den Regionalblättern“, sagte ein Politikredakteur, Anfang 30, der für eine überregionale Tageszeitung arbeitet. Ein Sportressortleiter bei einer bayerischen Heimatzeitung, Ende 40, sagte dagegen fast entschuldigend, dass er „eine kleine Redaktion“ habe und gar nicht über „die finanziellen Möglichkeiten“ verfüge, um so „viel Eigenleistung“ zu bringen wie zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung, die von fast allen Befragten als „Spitzenprodukt“ beschrieben wurde. „Wir haben eben sehr viel Material von den Agenturen.“

Selbst von den überregionalen Tageszeitungen noch einmal deutlich abzugrenzen sind Der Spiegel, Focus und Stern. Ein Stern-Redakteur, etwa 40, kann sich „sicher so einen Monat“ Zeit nehmen für einen Beitrag, ohne am Ende eine Garantie zu haben, dass der fertige Text wirklich erscheint. Auch bei den Nachrichtenmagazinen Spiegel und Focus gibt es „jede Woche ein totales Überangebot an Geschichten“ (leitender Redakteur, Anfang 40). „Jede Woche. Ich würde sagen, wir haben drei- bis viermal so viele Geschichten, wie wir im Heft abdrucken können. Es gibt bei uns gut bezahlte Redakteure, die im ganzen letzten Jahr vielleicht einen Artikel veröffentlicht haben. Obwohl die nicht faul waren, obwohl die keine schlechten Geschichten hatten.“ Selbst ein Reporter der Bild-Zeitung, die mit Blick auf die Kriterien Exklusivnachrichten und Recherchezeit zweifellos eine Spitzenposition im Feld einnimmt, ein Mann, der wie alle befragten Redakteure des Blattes mit den Arbeitsbedingungen mehr als zufrieden ist („ein Traum“), würde „mal gern für den Spiegel schreiben“. Warum? „Weil das irgendwie der Journalisten-Olymp ist.“ Die Wochenzeitung Die Zeit spielt dagegen offenbar eine Liga tiefer. Dass ein Text nicht gedruckt werde, sei „extrem selten“, sagte ein Ressortleiter.

Je weiter man sich vom Machtpol entfernt (weg von den Nachrichtenmagazinen und den überregionalen Blättern hin zu Heimatzeitungen und regionalen Radiostationen), desto eher findet man Journalisten, die so gut wie überhaupt keinen Spielraum für intensive Recherchen und die Produktion eigener Geschichten haben. Die Zeit für das „Schreiben“ müsse sie sich „rausschnitzen“, sagte eine Reise-Redakteurin. Da im Feld um exklusive Nachrichten gespielt wird und die Position folglich von der Zeit abhängt, die für Recherche und Eigenproduktion zur Verfügung steht, haben viele der Befragten den Rückgang der Werbeerlöse ab Mitte 2001 als Angriff auf ihre persönlichen Aufstiegsmöglichkeiten erlebt. Er habe heute „viel mehr Organisationsaufwand“, weil „das Budget reduziert“ worden sei, sagte ein Lokalredakteur, Mitte 30. Früher seien „Stellen schneller nachbesetzt“ und „mehr Freie beschäftigt“ worden, und er arbeite heute „mit Sicherheit noch einmal deutlich länger“. Dieser Prozess habe aber eigentlich schon vor der Medienkrise angefangen, mit dem Einzug der Computer in die Redaktionen. „Wir haben keinen Layouter mehr. Ich layoute selbst. Meine Bilder organisiere ich auch selbst.“

Da die Position von Medieneinrichtungen und Redaktionen im journalistischen Feld von den Ressourcen abhängt, die für die Recherche eingesetzt werden (können), wirkt diese Position nicht nur indirekt auf den Kapitalbesitz und den Habitus der Journalisten zurück. Wo mehr Personal ist, kann man seine Expertise für einen bestimmten Gegenstand weiter vertiefen und so eher auf Augenhöhe mit den Akteuren aus anderen sozialen Feldern verkehren. Wenn der „Journalistenolymp“ nicht schon durch den Spiegel besetzt wäre, könnte man diesen Begriff auch in den anderen Mediengattungen und in den verschiedenen Subfeldern verwenden – für Spiegel Online zum Beispiel („die haben eine Gatekeeper-Funktion, die schon erschreckend ist“, Ressortleiter bei der Financial Times Deutschland), für die dpa im Bereich der Nachrichtenagenturen, für das Fernsehen im Rundfunkbereich, hier dann wieder für die öffentlich-rechtlichen Anstalten und dort noch einmal für die Angebote mit den meisten Ressourcen. Ein Tagesschau-Redakteur sagte, für ihn als Fernsehnachrichtenmann gebe „es sicherlich kein Ziel mehr. Ich arbeite beim Marktführer. Ich kann nur noch innerhalb des Ladens aufsteigen“.

6 Die Autonomie des journalistischen Feldes

Am Machtpol des journalistischen Feldes ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man sich der ökonomischen Logik und dem Einfluss des Publikums entziehen kann. Leser, Hörer und Zuschauer sind zum einen ein wichtiger Themenlieferant (neben anderen Medien, Informanten, eigenen Erlebnissen und den „Ereignissen“, die in den verschiedenen sozialen Feldern zwangsläufig anfallen oder von Öffentlichkeitsarbeitern produziert werden), und bestimmen zum anderen direkt und indirekt, was wie berichtet wird. Treibende Kräfte dieser „Diktatur des Publikums“ sind die Ökonomisierung und die Digitalisierung. Zwar gaben viele der Befragten an, eine genaue Vorstellung von ihrem Publikum zu haben (weil man die Menschen auf Veranstaltungen sieht oder in der S-Bahn, weil sie Briefe schreiben, anrufen oder in die Redaktionen kommen und weil es Mediaforschung gibt); nirgendwo schlagen die Wünsche des Publikums aber so deutlich durch wie bei den Online-Medien. Eine Chefin vom Dienst, 30, die für das Portal einer überregionalen Tageszeitung arbeitet, nannte die Klickzahlen eine „dauerhafte Fernsehquote in Echtzeit“. Dies wird offenbar keineswegs als Einschränkung empfunden, sondern als Herausforderung. „Es kann unglaublich befriedigen, wenn man sieht, dass ein Artikel läuft“, sagte ein Politikredakteur, Mitte 30, der eine „Kundschaft bedient“. Welcher Redakteur wird es sich im Zeitalter der „Echtzeit“-Quote leisten können, Texte, Bilder und Töne zu produzieren, für die es keinen Bedarf gibt?

Der Dienst am Publikum ist natürlich keine Erfindung des Online-Zeitalters. Wie stark die Wünsche der Nutzer die redaktionellen Inhalte beeinflussen, hängt von mehreren Faktoren ab:

  • im Rundfunk von der Organisationsform (öffentlich-rechtlich vs. kommerziell) und von der Zielgruppengröße (Massenmarkt vs. Nischenangebote),

  • in allen Mediengattungen von der Stellung auf dem Werbemarkt und vom ökonomischen Kapital, das zur Verfügung steht, weil diese beiden Faktoren bestimmen, wie viel Geld ein Medienunternehmen in die Publikumsforschung investiert,

  • bei Printprodukten außerdem vom Vertriebsweg (Abonnement vs. freier Verkauf) und

  • bei allen Angeboten von der Bedeutung, die dem Thema oder dem Themenbereich im journalistischen Feld und im sozialen Raum insgesamt zugeschrieben wird.

Die befragten Serviceredakteure orientieren sich zum Beispiel deutlich stärker an den (angenommenen) Leserwünschen als ihre Kollegen aus den Ressorts Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Leiter einer Zeitungsbeilage, Mitte 40, nimmt den Begriff Service „wirklich wörtlich“ und hat kein Problem damit, redaktionelle Texte und Anzeigen zu vermischen. „Viele Leser merken den Unterschied gar nicht. Mein Job hängt da dran, ob man das jetzt mag oder nicht. Ohne solche Anzeigen könnten wir die Beilage gar nicht machen.“ Sieht so eine „Gegenelite“ aus, die sich als „Vertreter unterprivilegierter Bevölkerungsteile“ versteht (Kepplinger 1979, S. 25)? Wo sind die Missionare, die Renate Köcher (1986) einst in den deutschen Redaktionsstuben fand, und wo die „angepassten Außenseiter“ (Kepplinger 1979)? Ein Boulevardzeitungsredakteur, Mitte 50, beschrieb einen Trend, der weit über den Servicejournalismus hinausreicht. Er sei in den 1970er Jahren mit einem „missionarischen Gedanken“ angetreten. Während die Presse damals eine „Macht im Staate“ gewesen sei, „Hüterin der Demokratie und öffentliches Gewissen“, gehe es jetzt um „Entertainment“, um „die Auflage“ und um „Leser-Blatt-Bindung“. Ein 20 Jahre jüngerer Kollege meinte, dass „unser Leser“ täglich am Kiosk darüber abstimme, welches Thema „denn nach vorn kommt“.

Während Zeitungs- und Zeitschriftenleser das Blatt noch als Ganzes kaufen müssen und sich nur über ein aufwendiges und auch umstrittenes Verfahren (Readerscan) ermitteln lässt, welche Artikel tatsächlich gelesen werden, leistet die Einschaltquote für das Fernsehen genau dies – wenn auch nicht in „Echtzeit“, sondern mit einem Tag Verspätung. Ein Chefreporter, Mitte 30, der für ein kommerzielles TV-Magazin arbeitet, berichtete von „Beamer-Projektionen“ in den Redaktionskonferenzen. „Wir sehen, in welcher Sekunde wie viele Menschen zugeschaut haben. Man sieht sogar, von welchem Sender die zu uns gewandert sind oder wo sie hingegangen sind. Wo ist die Zuschauerzahl gewachsen und wo ist sie gesunken? Bei welchem Thema, bei welchen Geräuschen, bei welchen Bildern?“ Die Folge: Die Sendung sieht heute in jeder Hinsicht (thematisch, optisch) anders aus als beim Start – und zwar so, wie es die Beamer-Kurve vorgegeben hat. Auch der Leiter eines öffentlich-rechtlichen Wissenschaftsmagazins, Anfang 40, spürt den Quoten-Druck. „Eine gewisse Anzahl an Zuschauern müssen wir einfach haben. Wir können deshalb nicht jedes Thema auswählen.“ Trotzdem haben die meisten Befragten aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Arbeitsbedingungen gelobt. Es gibt dort Nischen, in denen sehr autonom (weitgehend unabhängig vom Publikumsgeschmack und von den Zwängen des Werbemarktes) gearbeitet werden kann – überall dort, wo vergleichsweise wenige Menschen zuschauen oder zuhören und wo deshalb nur bedingt die Mechanismen wirken, die sich aus dem Zwang zur Gebühren-Legitimation ergeben. Öffentlich-rechtliche Programme, die nicht auf Nutzermaximierung ausgerichtet sind, stehen für eine Erscheinung, die sich offenbar in jedem Subfeld findet. Das Interviewmaterial erlaubt die Vermutung, dass es für jedes Themengebiet und auf jedem Verbreitungsweg Angebote gibt, die sich der Diktatur des Publikums weitgehend entziehen und gerade deshalb ein (begrenztes) Publikum finden.

Ansonsten ist die Unabhängigkeit vom Publikum dort am größten, wo ohnehin die Macht im Feld liegt: bei den Nachrichtenmagazinen, bei den überregionalen Tageszeitungen und bei den Wochenblättern mit überregionalem Anspruch und einem Schwerpunkt in den Bereichen Politik, Wirtschaft oder Kultur. Dort kann man nicht nur der Diktatur des Publikums ausweichen, sondern auch dem Druck des Werbemarktes. Während eine Regionalzeitungsredakteurin, Ende 30, von der „unglaublichen Macht“ der Anzeigenkunden sprach und von „bestimmten Geschäften“, die „wir nicht erwähnen dürfen“ („es ist ja allgemein bekannt, dass Aldi sein Personal nicht wirklich toll behandelt“), konnte ein Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung das so nicht bestätigen. Als Aldi einmal für eine ganze Weile alle Anzeigen gesperrt habe (wegen eines Berichts über Betriebsratspläne), sei von der Chefredaktion lediglich die Bitte gekommen, künftig einbezogen zu werden, wenn über das Thema berichtet wird. „Es gab keine Anweisung, nicht mehr über Betriebsräte bei Aldi zu schreiben.“ Dieser Tenor zieht sich auch durch die Gespräche mit anderen Journalisten aus kapitalstarken Verlagen. „Das ist mir noch nie passiert“, sagte eine Redakteurin der Bild-Zeitung, Anfang 30, als sie gefragt wurde, ob sie auf Anzeigenkunden Rücksicht nehmen müsse. Glaubwürdig ist dies nicht nur wegen der Ressourcen, die ihr zur Verfügung stehen. Die Nutzung der entsprechenden Angebote verspricht sowohl dem Publikum Distinktion als auch den Werbekunden. Eine Anzeige im Spiegel kann durch eine Seite im Playboy nicht wirklich ersetzt werden.

Je größer die Auswahl für beide Kunden (Publikum, Werbepartner) auf den jeweiligen Märkten ist, desto stärker wird der Druck auf die Journalisten, nicht mehr der Logik ihres Feldes zu folgen, sondern Wünschen von außen. Dies beginnt bereits bei den regionalen Tageszeitungen – selbst dort, wo diese Blätter de facto ein Monopol haben. Die Redakteurin, die über die Personalpolitik von Aldi schweigt, sagte, sie müsse „manchmal ins Blatt heben“, „dass Karstadt einen neuen Geschäftsführer“ habe. „Das ist einfach ein Riesen-Anzeigenkunde.“ Bei Publikumszeitschriften und kommerziellen Hörfunkstationen, dort, wo die Konkurrenz um Nutzer und Werbung besonders groß ist, können sich die Redakteure in aller Regel nicht einmal den Luxus leisten, über solche Verquickungen nachzudenken. Die Werbepartner würden erwarten, „dass man ihnen redaktionell wohl gesonnen ist“, sagte der Textchef einer Frauenzeitschrift, Mitte 30. Und für einen Nachrichtenredakteur, Ende 20, on air bei einer Jugendwelle, ist es völlig normal, „manchmal Sachen über die Antenne zu bringen, einfach weil es dafür Geld gibt“. Die Frage nach der „inneren Pressefreiheit“, die Medienpolitik und Kommunikationswissenschaft vor allem in den späten 1960er und in den 1970er Jahren umgetrieben hat (vgl. Noelle-Neumann 1977), wurde nicht nur von den Befragten mit einem Schulterzucken quittiert, die am Rand des journalistischen Feldes überleben müssen. „Politisch gesehen?“, fragte der Jugendradio-Moderator. „Politisch gesehen können wir machen, was wir wollen.“

Wenn man weiß, wie gering die Autonomie in weiten Teilen des journalistischen Feldes ist und wie stark die Diktatur des Publikums, dann verwundert es nicht, dass sich die allermeisten Befragten für kleine Rädchen in einer großen Maschine halten. Wie im Zeitalter der „angepassten Außenseiter“ glaubt die große Mehrheit der Journalisten offenbar auch heute nicht, den Lauf der Zeit nachhaltig beeinflussen zu können (vgl. Kepplinger 1979, S. 17). „Das wird immer überschätzt“, sagte ein Sportjournalist, Ressortchef bei einer Abonnementzeitung. „Spuren im öffentlichen Bewusstsein“ zu hinterlassen, das sei das Äußerste. Dinge „öffentlich machen“ (taz-Redakteurin, Anfang 30) und „den Leuten dadurch die Augen öffnen“ (TV-Journalist, Ende 50) – das ist der erste Teil des kleinsten gemeinsamen Nenners, auf den sich die Antworten zum Thema Macht verdichten lassen und der zur Logik des journalistischen Feldes passt. Der zweite Teil dieses Nenners: Den Akteuren am Machtpol des Feldes wird sehr wohl Wirkungspotenzial zugeschrieben. Fremd- und Selbstbild stimmen hier überein. Ein leitender Bild-Redakteur sagte, es sei vollkommen legitim, die Macht des Blattes einzusetzen. „Auch um die Interessen von Bild zu vertreten. Um gute Geschichten zu kriegen. Um dem Leser die größtmögliche Wahrheit auf den Frühstückstisch legen zu können. Ich kann die Macht aber nicht mit nach Hause nehmen. Meine Macht zieht sich komplett aus der Auflage von Bild.“ Ein Kollege aus der Führungsetage des Blattes sagte, er habe einen „Riesenrespekt vor dem Leser“ und sei „Dienstleister der Masse“: „Wenn die Masse zufrieden ist, bin ich auch zufrieden. Dann ist auch der Journalismus gut.“

7 Fazit

Während das journalistische Feld in Deutschland noch vor drei oder vier Jahrzehnten von Seiteneinsteigern ohne Universitätsabschluss dominiert wurde, die sich vor allem Kritik an Staat und Wirtschaft auf die Fahne geschrieben hatten (vgl. Kepplinger 1979; Köcher 1986), geben heute Informationsprofis den Ton an, die ihr Handwerk beherrschen und die Bedürfnisse ihres Publikums nicht nur sehr genau kennen, sondern auch zum zentralen Maßstab ihrer Arbeit gemacht haben. Dass es für viele Journalisten inzwischen wichtiger ist, das größtmögliche Publikum zu erreichen, als bestimmte Ziele und Normen zu unterstützen (vgl. Donsbach 2008b), und dass die Politik und die Diskussion um journalistische Normen heute deutlich weniger Einfluss auf das Feld haben als die ökonomische Logik, ist auf den Medienwandel zurückzuführen. Die Ökonomisierung, die durch die Zulassung kommerzieller Fernseh- und Radioanbieter ab Mitte der 1980er Jahre und durch den Zusammenbruch des Ostblocks mindestens beschleunigt wurde, die technische Entwicklung, die sich unter dem Stichwort Digitalisierung zusammenfassen lässt, und die mit beiden Prozessen verbundene enorme Ausweitung des Medienangebots haben zu einer Diktatur des Publikums geführt, in der sich viele Journalisten schon deshalb als Diener ihrer Leser, Hörer und Zuschauer verstehen müssen, weil Quoteneinbrüche oder Auflagenverluste ihren Arbeitsplatz gefährden. Die Interviews mit Online-Journalisten deuten darauf hin, dass dieser Wandel noch längst nicht abgeschlossen ist und dass die Digitalisierung die Schraube weiter in Richtung Service und Dienstleistung drehen wird. Ein Problem ist dies nur dann, wenn man sich über die Kaufentscheidungen und Qualitätsurteile des Publikums erhaben fühlt und ganz im Geiste von Adorno und Horkheimer besser zu wissen glaubt, welche Medienangebote und welchen Journalismus „unsere Gesellschaft braucht“ (Weischenberg et al. 2006, S. 16). Ein Blick auf das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert lehrt, dass Ökonomisierung auch und vielleicht sogar vor allem Professionalisierung bedeutet. Die von den Oberschichten verachteten Generalanzeiger waren in jeder Hinsicht moderner als die Partei- und Elitezeitungen, die sie verdrängt hatten – weil sie auf die Leserbedürfnisse reagieren mussten und nicht nur eigene Vertriebsnetze und Anzeigenabteilungen aufbauten, sondern auch einen Nachrichtendienst, ausgedehnte Lokalteile mit Polizeiberichten sowie Redaktionen, die mehr waren als Ein- oder Zwei-Personen-Betriebe (vgl. Wolter 1981).

Die Studie zeigt, dass die Denkwerkzeuge Bourdieus tatsächlich helfen, die Zwänge zu verstehen, die bei der Produktion von Medienangeboten wirken – vor allem dann, wenn man die Begriffe Habitus, Kapital und Feld als Heuristik für empirische Forschung nutzt und wenn man sich von Bourdieus normativem Wissenschaftsverständnis sowie von dem Ziel löst, Gesellschaft verändern und (zunächst) kritisieren zu wollen. Anders als von Bourdieu und seinen Gefolgsleuten vermutet, hat es wenig Sinn, im journalistischen Feld wie in anderen Feldern der Kulturproduktion einen „kommerziellen“ und einen „intellektuellen“ Pol zu unterscheiden. Journalisten sind keine Einzelkämpfer, sondern Teil einer Medienorganisation. Exklusivnachrichten (das, worum es im Feld geht) können sie vor allem dort produzieren, wo es ausreichend Kapital gibt: Geld und Zeit für Recherchen, Netzwerke, gute ausgebildete Kollegen und Reputation. Am Machtpol des Feldes (zu dem vor allem die Nachrichtenmagazine gehören, die überregionalen Tageszeitungen und Zeitschriften für Politik, Wirtschaft und Kultur, öffentlich-rechtliche Angebote und die Marktführer in den verschiedenen Mediengattungen und Subfeldern) kann man sich auch am ehesten der ökonomischen Logik entziehen und dem Einfluss, der vom Publikum und von den Werbekunden ausgeht. Abbildung 2 weist darauf hin, dass die Autonomie des Feldes außerdem vom Diskurs über journalistische Normen und von der Logik anderer sozialer Felder beeinflusst werden kann. Da die Akteure in anderen sozialen Feldern schon wegen des enormen Bedeutungsgewinns von Massenkommunikation ihrerseits darauf angewiesen sind, die Mechanismen der journalistischen Auswahl für ihre Interessen zu nutzen, ist zu vermuten, dass es sich hier um eine Wechselwirkung handelt und die Logik der Exklusivnachrichten auch das Handeln in anderen Feldern beeinflusst – am stärksten dort, wo die Position im Feld von der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit abhängt.