1 Einleitung

Politikberatung ist in den vergangenen Jahren zu einem Modethema in der deutschen Politikwissenschaft geworden.Footnote 1 Neben einer großen Zahl an Sammelbänden und Dissertationen gab es zahlreiche Konferenzen; es erscheint inzwischen auch eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift für Politikberatung.

Doch nicht alles, was diskutiert wird, ist wirklich neu: Weiterhin strukturiert eine Unterscheidung aus den 1960er-Jahren zum Zusammenhang von Politik und Wissenschaft die Debatte (vgl. Habermas 1974; Lompe 1966). Im Vordergrund steht die Frage, ob die Wissenschaft nur Vorschläge macht, aus der die Politik dann eine genehme Handlungsalternative auswählt („Dezisionismus“), umgekehrt der wissenschaftliche Berater den besten Weg identifiziert, welcher von der Politik nur „abgenickt“ – eleganter: ratifiziert – werden kann („Technokratie“) oder ob ein Wechselspiel stattfindet, bei dem beide Seiten in einem diskursiven Austausch stehen („pragmatistisches Modell“). Wer versucht, solche Beziehungen auch nur für den Einzelfall nachzuweisen oder sie gar für die empirische Forschung allgemein zu operationalisieren, muss schnell feststellen, dass in der Praxis keiner dieser einfachen Wirkungszusammenhänge belegt werden kann. Um über die phänomenologische Betrachtung von Einzelfällen hinausgehen und Beratungsprozesse politikwissenschaftlich fundiert untersuchen und bewerten zu können, wäre daher eine neue Theorie mittlerer Reichweite, zumindest ein allgemein anwendbares Modell für die Politikberatung erforderlich.

In der Hoffnung auf eine brauchbare Strukturierung des Gegenstandes konnte man Mitte 2007 in der Politischen Vierteljahresschrift einen Artikel mit dem Titel „Kooperative Politikberatung. Ein neues Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Politikberatung?“ lesen. Falk et al. (2007), die sich in den vergangenen Jahren ausführlich mit dem Thema befasst haben,Footnote 2 bezeichnen dort Politikberatung als „eine outgesourcte Leistung“, die sich auf die „neuen Rahmenbedingungen“, insbesondere „veränderter Staatlichkeit“, einstellen müsse. Sie formulieren die Einschätzung, dass die „Verzahnung von Wissenschaft und Politik […] zunehmend einen institutionalisierten Charakter“ erhalte (Falk et al. 2007, S. 322, 335). Auch wenn dies so nicht benannt wird, kann man darin eine Fortentwicklung des „pragmatistischen Modells“ der Beratung sehen: Der diskursive Austausch wird organisatorisch verfestigt. Doch gerade diese zentrale Diagnose stellen Koppo u. Schölzel (2009) infrage. Anhand eines Beispiels aus der Wirtschaftspolitik zeigen sie gegenläufige Entwicklungen auf, die auf eine stärkere Steuerung von Beratungsprozessen und -ergebnissen hindeuten. Dies entspricht eher der Logik im „dezisionistischen Modell“: Politische Akteure versuchen schon während der Beratungsprozesse Einfluss auf die Ergebnisse zu nehmen, um sich später gezielt die gewünschten Ergebnisse auswählen zu können.

Es wird deutlich, dass diese klassische Typologie zwar weiterhin als Gedankenmodell hilft, aber fortentwickelt, ergänzt oder sogar ersetzt werden muss, um der Realität gerecht zu werden. Der vorliegende Beitrag kann keine alternative Theorie mittlerer Reichweite entwickeln, soll aber Anregungen für die weitere politikwissenschaftliche Modell- und Theoriebildung geben. Hierzu wird auf zwei zentrale Probleme verwiesen, die die wissenschaftliche Beschäftigung mit Politikberatung beachten muss: (1) den verwendeten Begriff der Politikberatung und (2) die Diagnose veränderter Staatlichkeit.

2 Der expandierende Begriff der Politikberatung

Eine politikwissenschaftliche Theorie der Politikberatung bedarf zunächst einer realistischen Beschreibung und klaren Eingrenzung des Gegenstandes. Dabei sind Bedeutungsverschiebungen herauszuarbeiten, und es ist ihnen bei Bedarf entgegenzuwirken. Der Aufsatz von Falk et al. leistet dies leider nicht, denn der Begriff Politikberatung wird hier nicht nur – wie inzwischen verbreitet – von der Policy- auf die Politics-Ebene ausgedehnt, sondern er soll nun zugleich für alle Adressaten gelten: Auch Verbände, NGOs, ja sogar Medien seien auf Politikberatung angewiesen, und zwar „inhaltlich, strategisch und kommunikativ“ (Falk et al. 2007, S. 329). Es gilt offenbar: Politikberatung ist Beratung von allen, durch alle und zu allem!

Dies entspricht einer allgemeinen Entwicklung: Der „schillernde Begriff“ der Politikberatung (Bogumil u. Jann 2009, S. 181) hat in den vergangenen Jahren einige Ausweitungen erfahren, die im Folgenden kritisch dargestellt und jeweils bewertet werden: Die erste Ausweitung ist notwendig, die zweite akzeptabel – wenn entsprechende Begriffsunterteilungen stattfinden – und die dritte erscheint nicht nur überflüssig, sondern auch kontraproduktiv.

2.1 Erste Ausweitung: Politikberatung ist nicht nur wissenschaftlich

Lange Zeit lag der Fokus der Beschäftigung mit Politikberatung allein auf ihrer wissenschaftlichen Variante. Herausgearbeitet wurden insbesondere Kommunikationsprobleme an der Schnittstelle zwischen „Macht und Wahrheit“ (Wildavsky 1979), die auf unterschiedliche Verständigungsformen und gegensätzliche Handlungslogiken zurückzuführen seien. Doch in der politischen Realität existierte ein absolutes Beratungsmonopol der Wissenschaft nie. Es wäre auch vollkommen unrealistisch, als Akteure der Politikberatung nur vorgeblich dem „reinen“ Wissen verpflichtete unabhängige Instanzen zu erfassen. Vielfach ist gezeigt worden, dass es diese pure Sachlichkeit nicht gibt und überdies eine Politisierung der Beratung festzustellen ist (vgl. Krevert 1993, S. 270; Weingart 2001, S. 168). Zudem sind auch in Deutschland inzwischen zahlreiche organisatorisch eigenständige Einrichtungen der öffentlichkeitsorientierten Beratung geschaffen worden (vgl. Thunert 1999, S. 232–237), die den akademischen Anspruch nicht mehr in den Vordergrund ihrer Tätigkeit stellen.

Zu Recht definiert daher Wollmann (2007, S. 413) Politikberatung als „das Verfügbarmachen von Informationen und Handlungsempfehlungen für politisch Handelnde und Entscheidende durch Wissenschaftler sowie durch Fachleute aus Wirtschaft und Gesellschaft“. Damit ist zweierlei betont: Erstens ist Beratung im politischen Prozess eindeutig abzugrenzen und nur als Teil der Vorbereitung allgemein verbindlicher Entscheidungen zu verstehen. Zweitens sind Akteure der Politikberatung keineswegs nur Wissenschaftler, sondern unterschiedliche Träger von Fachwissen aus Theorie und Praxis.

Viel wertvolles und nutzbares Fachwissen ist bei den Vertretern von Sonderinteressen vorhanden, und die Einbeziehung des interessierten Sachverstands in politische Beratungsgremien hat in Deutschland eine lange und zweckmäßige Tradition. Sie fand ihren Ausdruck schon während der Industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts in der Einrichtung der „Dampfkesselausschüsse“, die nicht nur Beratungs-, sondern auch weitgehende Selbststeuerungstätigkeiten übernahmen. Mit den vielen Räten und Beiräten in der Weimarer Republik wurde die Einbindung der Tarifpartner verstärkt praktiziert, und auch in die Expertenkommissionen der rot-grünen Bundesregierung in den Jahren 1998 bis 2005 wurden unterschiedlichste Interessengruppen in großer Zahl berufen (vgl. Siefken 2007, S. 292). Der internationale Vergleich zeigt, dass Politikberatung in Nord- und Mitteleuropa ohnehin deutlich korporatistisch angelegt ist (vgl. Renn 1995, S. 152).

Doch Politikberatung erfolgt nicht nur in Gremien. Der Großteil des Wissenstransfers in die Politik findet in der vorparlamentarischen Phase der Gesetzgebung im direkten Kontakt von Interessengruppen und Verbänden mit der Ministerialbürokratie statt. Die in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vorgesehene frühzeitige Einbindung von Interessengruppen bereits in die ministerielle Gesetzesvorbereitung liegt ja nicht wesentlich darin begründet, dass auf diesem Weg Akzeptanz für die spätere Entscheidung geschaffen werden soll; dies kann ein angenehmer Nebeneffekt sein. Vielmehr soll deren Fachwissen aufgenommen werden und das in der Ministerialbürokratie selbst vorhandene umfassende Wissen ergänzen. Zutreffend wurde die Ministerialbürokratie daher „insgesamt als ein Politikberatungsgremium“ bezeichnet (Murswieck 1994, S. 11), und sie dient auch in Folge ihrer erheblichen Konstanz gleichsam als „Gedächtnis der Bundesregierung“ (König u. Knoll 2001, S. 300). Es ist festzuhalten, dass der Weg des Wissens in die Politik mehrstufig und in vielfältigen Kanälen verläuft, wobei die interne Politikberatung durch die Ministerialbürokratie unter Einbeziehung von Interessengruppen und Verbänden eine maßgebliche Rolle spielt. Die begriffliche Ausweitung der Politikberatung auf unterschiedliche Formen der Einbindung von Fachwissen und externem Sachverstand ist also sinnvoll und für ein realistisches Bild der Beratungsprozesse auch erforderlich. Rein wissenschaftliche Politikberatung ist ein seltener Sonderfall.

2.2 Zweite Ausweitung: Politikberatung bezieht sich nicht nur auf Inhalte

Während lange galt, dass Politikberatung sich vorrangig auf die Inhalte der Politik, also den Policy-Bereich, bezieht (vgl. Wewer 2009, S. 410), wird diese Begrenzung inzwischen häufig infrage gestellt. Nach neuerem Verständnis umfasst die Beratung auch den Politics-Bereich. So haben etwa Falk et al. (2006, S. 15) in früheren Schriften noch die hilfreiche englischsprachige Unterscheidung zwischen Policy Advice für die inhaltliche und Political Consulting für die prozesshafte Dimension der Politikberatung betont. Im vorliegenden Artikel aber wird diese Differenzierung nicht mehr thematisiert. Andere Autoren halten sie für „eine rein formale Unterscheidung“ (Koppo u. Schölzel 2009, S. 94) oder verweisen darauf, dass man so „nur einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit erfassen“ (Wewer 2009, S. 410) könne.

Allerdings bleiben die Fragen „Was soll der Staat tun?“ und „Wie handel ich als Akteur im politischen Prozess am besten?“ zwei sehr verschiedene. Vereinfacht gesagt: Die eine richtet sich auf das (Policy-)Ziel, die andere auf den strategischen und taktischen Weg dorthin. Betrachtet man die Beratungspraxis, wird deutlich, dass dabei für unterschiedliche Leistungen verschiedene Anbieter auftreten: Policy Advice wird von Think Tanks, Unternehmensberatungen, Wissenschaftlern oder Stiftungen bereitgestellt. Political Consulting betreiben vor allem Public-Relations-Agenturen und auch die internen politischen Berater aus Ministerien und Parteien. Natürlich gibt es im Einzelfall Überschneidungen. Aber deshalb gleich ganz auf die Unterscheidung zu verzichten, ist unnötig. Diese begriffliche Unterteilung erleichtert es auch, Fragen nach Macht und Interessen der Beteiligten zu behandeln. Politikberatung wird von politischen Akteuren immer auch taktisch genutzt, kann dabei aber durchaus gemeinwohlbezogene Wirkungen haben. Die selektive Nutzung von Informationen, ihre Hintergründe und Motive aufzuzeigen und zu kritisieren, bleibt Aufgabe der miteinander konkurrierenden Akteure im politischen Prozess und sollte auch von der Politikwissenschaft herausgearbeitet werden. Zugleich gilt: Dass Intentionen und Effekte des Handelns politischer Akteure nicht notwendigerweise deckungsgleich sind, ist keine neue Erkenntnis.

Hilfreich ist es also, den Begriff der Politikberatung in seinem weiten Sinne analytisch zu trennen in die Beratung bezüglich politischer Inhalte einerseits (oder auch: Politikberatung im engeren Sinne) und die Beratung bezüglich politischer Prozesse andererseits. Die englischsprachige Unterteilung in Policy Advice und Political Consulting kann – und sollte – dazu weiterhin genutzt werden.

2.3 Dritte Ausweitung: Politikberatung richtet sich nicht nur an die Politik

Die dritte begriffliche Verbreiterung ist erst in den vergangenen Jahren erfolgt. Sie wurde nicht zuletzt von interessierter Seite, namentlich den expandierenden Lobbying- und Public-Relations-Agenturen, betrieben, die mit dem neutraleren Begriff der Politikberatung offenbar ein besseres Image für ihre Dienstleistungen erhoffen, als es der im Ruf einseitiger Interessenspolitik stehende Begriff des Lobbying ermöglicht. Sehr aktiv war in dieser Erweiterung des Beratungsbegriffes insbesondere die „Deutsche Gesellschaft für Politikberatung“ (degepol), die Marketingfunktionen für ihre rund hundert Mitglieder aus dem Lobbying- und Agentur-Bereich übernimmt, in der wissenschaftlichen und publizistischen Außendarstellung aber nicht selten – völlig unzutreffend – als „Sprachrohr der Politikberater“ wahrgenommen wird. Schon die Einführung des Begriffes „Public Affairs“ in Deutschland in den 1990er Jahren hatte nicht zuletzt dem kommunikativen Zweck gedient, das „Negativ-Image von Lobbying auf[zu]lösen“ (Radunski 2006, S. 316). Mit der Erweiterung des Begriffes der Politikberatung kann dieser Zweck noch besser verwirklicht werden. Aus nachvollziehbaren Gründen der Vermarktung wird dies den Wünschen entsprechender Lobbyisten gerecht, hilft für die wissenschaftliche Untersuchung und Diskussion aber nicht weiter.

Grundsätzlich sollte der Begriff der Politikberatung hier analytisch begrenzt werden: Politikberatung ist also sinnvollerweise nicht Beratung irgendwelcher Adressaten zu politischen Themen, sondern die Beratung politischer Entscheidungsträger, d. h. derjenigen, die verbindliche allgemeingültige Entscheidungen treffen. Die Ausweitung des Begriffes der Politikberatung findet übrigens eine Analogie in der alltagssprachlich breiten Anwendung des Politikbegriffes: Auch in großen Firmen, in Familien oder in Vereinen wird hausinterne „Politik“ ausgemacht. Doch da sie eben keine allgemeinverbindlichen Entscheidungen hervorbringt, ist sie auch nicht Gegenstand politikwissenschaftlichen Interesses.

Für den Weg der indirekten Beratung der Politik auf dem „Umweg“ über die Öffentlichkeit hat daher Leggewie (2007) mit „Gesellschaftsberatung“ bewusst einen anderen Begriff gewählt. Wenn die Adressaten privatwirtschaftliche Einrichtungen sind, dann ist der sinnvolle Oberbegriff „Unternehmensberatung“ (vgl. Raffel 2006, S. 47), unterhalb dessen dann unterteilt werden kann in Fragen der hausinternen Politik (Corporate Governance), der Einflussversuche auf die Öffentlichkeit (Public Relations) und auf politische Entscheidungsträger (Lobbying oder Public Affairs) sowie die gewöhnliche Strategie- und Organisationsberatung.

Insofern sind bei der Untersuchung politischer Beratungsprozesse im Einzelfall auch Public-Affairs-Agenturen als Akteure der Politikberatung zu berücksichtigen. Dies ist der Fall, wenn sie tatsächlich konkrete Policy-Vorschläge ihrer Auftraggeber gegenüber politischen Entscheidungsträgern kommunizieren. Sie rundheraus als Politikberater zu konzeptualisieren wird ihrer Tätigkeit nicht gerecht, denn sie beraten in erster Linie Unternehmen zu der Frage, wie politische Entscheidungsprozesse beeinflusst werden können, unterstützen durch Leistungen im politischen Themenmonitoring und durch Ausschnittdienste und betätigen sich nicht selten als reine Veranstaltungsmanager. Über ihre Rolle im politischen Prozess gibt es empirisch bislang kaum gesicherte Erkenntnisse, und viele Überblicksartikel sind gerade von entsprechenden Praktikern verfasst worden – und daher auch als ein Marketing-Instrument zu verstehen, mit dessen Hilfe die eigene Bedeutung tendenziell eher überzeichnet wird.

Es ist für die wissenschaftliche Untersuchung nicht sinnvoll, den Politikberatungsbegriff auf die Frage „Was muss ich tun, damit ich meine Interessen besser verwirklichen kann?“ auszuweiten und somit zu privatisieren. Die Beratung von Unternehmen zur Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse oder die gezielte auftragsgemäße Übernahme solcher Einflussversuche sind davon abzugrenzen.

3 Diagnose verstärkter Kooperation

Die konkrete Ausformung der Beratung politischer Entscheidungsträger hängt vom politischen System ab, in dem diese erfolgt. Wenngleich Politikberatung meist im Kontext demokratischer Staaten untersucht wird, findet man entsprechende Konstellationen ebenso beispielsweise in autokratischen oder semi-autoritären Systemen. Die institutionelle Ausgestaltung und insbesondere die Anforderungen an Transparenz und Öffentlichkeit sind dabei jedoch – wie für das gesamte System – entsprechend schwächer, was ihre empirische Untersuchung erschwert.

Auch aktuelle Wandlungsprozesse politischer Entscheidungsfindung innerhalb demokratischer Systeme dürften Einfluss auf die Ausgestaltung von Politikberatung nehmen. Beispielsweise ist dabei an „Aufstieg, Niedergang und Transformation“ der Steuerungstheorie (Mayntz 1995) und die darauf aufbauende übergeordnete Governance-Debatte zu denken. Dies machen auch Falk et al. zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen mit der Feststellung: „An die Stelle eines hierarchisch-dirigistischen Politikstils tritt ein eher horizontal-informeller Modus öffentlicher Politikgestaltung durch temporäre Bündnisse in Politiknetzwerken“ (Falk et al. 2007, S. 328). Allerdings ist die – wenngleich verbreitete – These noch empirisch zu belegen, dass der Staat heute nur Moderator und primus inter pares sei. Ist es nicht weiterhin so, dass der Staat bzw. das politisch-administrative System die zentrale Steuerungsfunktion der Gesellschaft wahrnimmt? Ist dies im Zuge der weltweiten Finanzkrise nicht gerade wieder stärker sichtbar geworden? Wenngleich „der moderne Staat in vielen Aufgabenbereichen auf Verhandlungen und Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen angewiesen“ ist (Bogumil u. Jann 2009, S. 177), verbleibt doch die Letztverantwortung beim Nationalstaat und seinen politischen Akteuren, wie Leibfried (2008, S. 84) im Ergebnis des Sonderforschungsbereiches „Staatlichkeit im Wandel“ festhält. Die vollständige gesellschaftliche Selbstregelung im „Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1991, S. 629) jedenfalls ist wohl eher als eine beachtenswerte Erscheinung in Spezialbereichen verschiedener Politikfelder anzusehen.

Unklar bleibt zudem, wie belastbar die generelle Diagnose von Falk et al. tatsächlich ist: Ausdrücklich wird zwar mehrfach auf den empirischen Prüfungsbedarf hingewiesen (vgl. Falk et al. 2007, S. 324, 332). Doch zugleich wird die Schlussfolgerung einer zunehmend institutionalisierten Verzahnung von Politik und Wissenschaft ebenso als Tatsachenbehauptung formuliert wie die „Schaffung gemischt zusammengesetzter Stabsstellen“ (vgl. Falk et al. 2007, S. 333, 335). Wo dies – jenseits des nicht einmal genannten – Einzelfalles tatsächlich systematisch stattfindet, bleibt offen. Wie schon Koppo u. Schölzel (2009) für die Wirtschaftspolitik argumentieren, können anhand der Expertenkommissionen der Bundesregierung im Einzelfall (am Beispiel der „Impulse-Kommission“) eher empirische Anhaltspunkte ausgemacht werden, die auf eine stärkere Steuerung von Beratungsgremien durch die Regierung hindeuten (vgl. Siefken 2007, S. 269). Beides allerdings sind anekdotische Evidenzen, die weiterer Belege bedürfen.

Sollte es künftig zunehmend die Nutzung externer Expertise in der Politikentwicklung geben, wie von Falk et al. vermutet, bedarf es neuer institutioneller Vorkehrungen, um diese zielgerecht zu steuern und einzubinden. In vielen Bereichen staatlicher Vollzugs- und Unterstützungsaufgaben liegen bereits Erfahrungen vor, die es zu berücksichtigen gilt. Man denke nur an den Hoch- und Tiefbau der Länder oder an die Leistungen staatlicher Labore, die die operative Leistungserbringung zusehends an private Dritte übertragen, die Qualität der erbrachten Leistungen aber weiterhin selbst überwachen und verantworten. Sogar Prüftätigkeiten von Rechnungshöfen in den Ländern werden bereits an Externe ausgelagert. Es ist deutlich geworden, dass fremd vergebene Leistungen nur dann im Sinne des Auftraggebers gesteuert werden können, wenn entsprechender Sachverstand auch im eigenen Hause vorhanden bleibt. Ansonsten gehen mit den Aufgaben auch die Kompetenzen zu ihrer Überwachung verloren. Die häufig verkündeten „Rundum-Sorglos-Pakete“ gibt es nicht.

Der Impuls für das „Outsourcing“ politischer Entscheidungsvorbereitung ergibt sich im Übrigen nicht vorrangig daraus, dass dieses inhaltlich notwendig überlegen ist. Vielmehr begründet es sich insbesondere darin, dass der Personalbestand in der Ministerialverwaltung durch Kürzungsvorgaben und globale Minderausgaben kontinuierlich zurückgefahren wird. In Reaktion darauf wurden jedoch selten die Aufgaben und Geschäftsprozesse angepasst, sondern die Grundsatz- und Strategieabteilungen verkleinert und aufgelöst. So nimmt die Versäulung innerhalb der Ministerien zu, und die Kompetenz zur Bearbeitung von Querschnittsproblemen sinkt. Praktiker weisen bereits auf einen daraus resultierenden erhöhten Beratungsbedarf im Strategiebereich hin.Footnote 3 Gestützt wird diese Tendenz möglicherweise durch das Nachwirken von Glaubenssätzen aus dem New Public Management, in dem die privatisierte Aufgabenerledigung nicht selten unreflektiert als die per se bessere Lösung verstanden wurde.

Wenngleich die Diagnose von Falk et al. also grundsätzlich plausibel erscheint, basiert sie auf einer übertriebenen Verabsolutierung des Wandels von Staatlichkeit. Es fehlt insbesondere der Beleg anhand der politischen Wirklichkeit für die angesprochenen neuen Formen der institutionellen Verknüpfung.

4 Plädoyer für eine klare Begriffsverwendung

Für die wissenschaftliche Einordnung von Politikberatung ist es notwendig, Entwicklungen im politischen System realistisch aufzunehmen und konzeptionell sauber zu ordnen. Begriffliche Klarheit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Modell- und darauf aufbauend auch Theorieentwicklung. Der Begriff der Politikberatung sollte daher in der Politikwissenschaft beschränkt bleiben auf die Beratung politischer Entscheidungsträger in Bezug auf inhaltliche und prozedural-taktische Fragen. Diese können mit Political Consulting und Policy Advice weiterhin sinnvoll unterschieden werden. Die Beratung privater Akteure zu politischen Fragen ist aus dem Politikberatungsbegriff analytisch ebenso auszuklammern wie die Prozesse des Lobbying, denn sie haben eine andere Logik, betreffen andere Interessen und werden durch andere Akteure betrieben.

Die Akteure der Beratung und die Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten lassen sich sehr klar trennen:

  • die Ministerialverwaltung, die nach wie vor der zentrale Ort der politischen Entscheidungsvorbereitung im parlamentarischen Regierungssystem ist, Informationen aufnimmt, Gesetzentwürfe ausarbeitet und diese frühzeitig mit unterschiedlichen Akteuren abstimmt;

  • Interessengruppen und Verbände, die die spezifischen Interessen ihrer Mitglieder im politischen Entscheidungsprozess vertreten, indem sie ebenfalls Ratschläge und Hinweise für die Inhalte staatlichen Handelns geben;

  • Lobbyisten, die außerhalb der Verbandsstrukturen spezielle Interessen von einzelnen Akteuren vertreten – dies kann entweder durch eigene Beschäftigte (z. B. in den Hauptstadtrepräsentanzen) oder durch Dienstleister (die sogenannten Public-Affairs-Agenturen) erfolgen;

  • Politikberater, die auf Anforderung oder auch aus eigener Initiative konkrete Vorschläge zum staatlichen Handeln entwickeln;

  • Wahlkampf- und Kommunikationsberater, die konkrete Vorschläge zum politisch-taktischen Handeln erarbeiten.

Politikberatung im engeren Sinn richtet sich damit stets auf den inhaltlichen Aspekt, also auf die Frage: „Was soll der Staat tun?“. Dass unterschiedliche Akteure darauf vielfältige und nicht selten gegensätzliche Antworten und Begründungen geben, ist nicht nur legitim, sondern wird in einem pluralistischen System als hilfreich angesehen. Im Sinne der Transparenz ist es für die politische Praxis und insbesondere auch für die wissenschaftliche Untersuchung notwendig, die zugrunde liegenden Interessen klar zu unterscheiden und entsprechend zu benennen. Zum Ausgleich der Interessen und zur abschließenden formal legitimierten Entscheidungsfindung sind Mechanismen etabliert – das spannungsgeladene Feld der Repräsentation mit seinen Polen von Führung und Responsivität gehört insbesondere dazu. Diese Leistungen jedoch kann – und sollte – gewiss nicht die Politikberatung übernehmen.

Tab. 1 Begriffliche Abgrenzung im Bereich der Politikberatung

Nur mit entsprechend klaren Begrifflichkeiten wird es möglich sein, die Rolle von Politikberatung bei einer sich verändernden Bedeutung des Staates zu analysieren – Falk et al. (2007) haben dazu mit ihrem Beitrag in der PVS einen guten Impuls geliefert. Die weitere Untersuchung muss jedoch empirisch stärker fundiert werden und in deutlicher Abgrenzung zu dem Interesse der Praxis an begrifflicher Unschärfe erfolgen.