Zusammenfassung
Fürsorge und Selbstsorge werden den Strategien der Selbstoptimierung gegenübergestellt. Konflikte um die Anerkennung von Fürsorgebedürfnisse sind ein kritischer Fokus zur Betrachtung der Prozesse, die als „Krise des flexiblen Menschen“ diagnostiziert wurden. Die Bedeutung des Sorgens als Beziehung und Kommunikation für die Lebensgestaltung von Frauen und Männern einerseits und für die demokratische Aktivität von Bürgerinnen und Bürger andererseits wird aus der feministischen Theorie zu „Care“ entwickelt. Die Fähigkeit und Erfahrung des Sorgens ist intersubjektiv vermittelt und von gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere den Geschlechterverhältnissen, beeinflusst. Die bürgerlich-industrielle Geschlechterordnung ist gegenwärtig im Umbruch und macht neue Geschlechterarrangements zur Verbindung fürsorglicher Praxis mit Strategien der ökonomischen Existenzsicherung und eine Neubestimmung des Privaten notwendig und möglich.
Abstract
Caring is conceived as a corrective to a self-optimizing behaviour that follows the strategies of the market. The perspective on conflicts about the recognition of needs for care is used as a focus to look at processes diagnosed as the „corrosion of character“. Following feminist theories, care is conceptualised in its meaning as relationship and communication, on the one hand and as a basic experience to foster democratic activities of women and men as citizens, on the other. The intersubjective constitution of the capability for and experience of care is influenced by social conditions, especially those of gender relations. Where the bourgeois-industrial gender order is eroding new gender arrangements are possible and necessary to combine caring practices and strategies to secure economic existence, and also to redefine privacy.
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Christel Eckart Prof. Dr. phil., promovierte und habilitierte in Frankfurt in Soziologie; war ab 1972 Mitarbeiterin im Institut für Sozialforschung, Frankfurt, mit Gastaufenthalten im In-und Ausland; Mitbegründerin der Zeitschrift Feministische Studien; seit 1993 Professorin für Frauen-und Geschlechterforschung an der Universität Kassel; dort u. a. Sprecherin der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen-und Geschlechterforschung und Mitglied des Graduiertenkollegs „Öffentlichkeiten und Geschlechterverhältnisse. Dimensionen von Erfahrung“; ein Arbeitsgebiet ist der Wandel der Arbeitsgesellschaft und der Geschlechterverhältnisse.
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Eckart, C. Fürsorgliche Konflikte. ÖZS 29, 24–40 (2004). https://doi.org/10.1007/s11614-004-0012-8
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