1 Theoretische Grundlagen

1.1 Kultur

Der Begriff „Kultur“ leitet sich vom lateinischen cultura (Ackerbau, Bearbeitung, Pflege) ab und bezeichnet das, was sich der Mensch in der Aneignung und Gestaltung der Natur erschaffen hat. Er umfasst die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Gemeinschaft und schließt die sie tragenden geistigen Haltungen mit ein. Zu den Manifestationen des kulturellen Prozesses gehören also nicht nur z. B. Kleidung, Wohnstätten, Arbeitsgeräte im materiellen Sinn, sondern auch nicht-stoffliche Phänomene wie Prinzipien und Normen für das soziale Miteinander, richtiges Verhalten und die Gestaltung der Lebensräume. Insofern kann auch eine Gruppe von Menschen, z. B. in einem Betrieb oder in einer Schule, eine eigene Kultur entwickeln, wenn es dabei zur Ausbildung von charakteristischen Werthaltungen und Handlungsmustern kommt (Schaub 2007).

Das Kultur-Ebenen-Modell des US-amerikanischen Organisationspsychologen Edgar Schein (1995, S. 29 ff.) unterscheidet drei Ebenen von Kulturphänomenen in Organisationen:

  • An der Oberfläche liegen die sichtbaren Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen, wie z. B. durchgeführte Projekte, Schulfahrten, gegenseitiger Umgang im Kollegium und mit Schülern.

  • Unter dieser Ebene liegt das Gefühl, wie die Dinge sein sollen; das sind kollektive Werte, wie z. B. „Ehrlichkeit“, „Freundlichkeit“, „Traditionsbewusstsein“ (bei einer sehr langen Schulgeschichte), also Einstellungen, die das Verhalten der Mitglieder der Schulgemeinschaft bestimmen; dieser Wertekonsens äußert sich beispielsweise in der Veröffentlichung einer Schulcharta oder eines Leitbildes.

  • Auf der tiefsten Ebene finden sich Grundannahmen, die nicht hinterfragt oder diskutiert werden; sie sind tief im Denken der Mitglieder einer Organisation verwurzelt und werden nicht bewusst wahrgenommen, gleichzeitig aber als selbstverständlich vorausgesetzt für die Art und Weise, wie man auf die Umwelt reagiert. Diese grundlegenden Annahmen werden entwickelt, während eine Gruppe lernt, mit den Problemen der „externen Adaption und internen Integration“ (Schein 1995) umzugehen.

Nach der Auffassung von G. Schreyögg (1997) verläuft Kulturwandel als Prozess in verschiedenen Schritten. Weiter unten werden wir begründen, dass dieses Verständnis die Nachhaltigkeit kultureller Veränderung am besten sichert. In drei Schritten sind auch Organisationskulturen einem Wandel zugänglich: In einer vorgeschalteten Diagnose geht es um die Bewusstmachung der bestehenden Kultur. Daran schließt sich die Beurteilung an, in der abgeklärt werden muss, inwieweit die bestehende Kultur verändert werden muss; in dieser Phase sieht Schreyögg die Gefahr von schweren Konflikten. Schließlich können in einem dritten Schritt Maßnahmen für eine „Kurskorrektur“ beschlossen werden. Diese Kulturveränderungen können nicht von außen oder von oben verordnet werden, sondern sie müssen von der gesamten Organisation getragen werden, verbunden mit der generellen Bereitschaft und Motivation, etwas Neues auszuprobieren.

Schule hat als pädagogische Einrichtung die Aufgabe, Fähigkeiten und Verantwortung für die bewusste Gestaltung des sozialen Miteinanders zu fördern. So kann bereits das subjektive Gefühl, abgelehnt oder missachtet zu werden, eine Spirale von Enttäuschung, Distanzierung und schließlich abweichendem Verhalten bis hin zu Gewalt hervorrufen. Subjektive Wahrnehmung, negative Interpretation und das daraus resultierende Gefühl, nicht ausreichend geachtet zu werden, verstärken sich dann gegenseitig. Gegenseitiger Respekt und Anerkennung, nicht nur in einer Schulklasse isoliert, sondern als Werthaltung der gesamten Schulgemeinschaft kommen dem ureigenen menschlichen Bedürfnis nach Wertschätzung entgegen und ermöglichen letztendlich ein konstruktives soziales Miteinander.

1.2 Schulkultur

„Schulkultur“ verdeutlicht die neue Kultur schaffende Bedeutung der Schule als Lebensraum und die damit verbundene Überwindung ihrer Beschränkung auf reinen Unterricht und Wissensvermittlung; die Schule wird Teil eines ganzheitlichen pädagogischen Erziehungskonzepts. Die kulturbezogene und gemeinwesenorientierte Schule kann somit zu einem Lebens-, Lern- und Erfahrungsraum für Schüler, Lehrer und Eltern werden (Schaub 2008).

Möglichkeiten der Schüler-Mitbestimmung, des Einflusses und der Eigensteuerung schulischen Lernens und Lebens sind eminent wichtig für die Entwicklung eines moralischen Denkens. Ebenso bedeutsam ist es, regelmäßige Möglichkeiten zur gegenseitigen Hilfe und Zusammenarbeit mit anderen zu schaffen und auf der Schulebene gemeinsame Ziele und Ideale zu entwickeln und zu benennen. Die Schule muss wichtige soziale Erfahrungen ermöglichen (Leymann 1993) – und das wiederum ist abhängig von der Ausgestaltung der jeweiligen Schulkultur. Weiterhin müssen sich die Wertvorstellungen auch im Verhalten manifestieren, d. h. es müssen genügend Handlungsfelder für die Entwicklung sozialer Kompetenzen angeboten werden.

1.3 Fakten zu Mobbing – Exkurs „Cyber-Mobbing“

Der Begriff „Mobbing“ wird mitunter inflationär und nicht immer korrekt gebraucht; häufig etikettiert man damit Konflikte, denen das Charakteristikum des Machtungleichgewichts der beiden Parteien fehlt. Gerade im schulischen Kontext wird selten auf Grund eines Interessengegensatzes – typisch für Konflikte – gemobbt, sondern von Seiten der Täter häufig beliebig und willkürlich. Unter Mobbing versteht man verbale oder physische Attacken einer oder mehrerer Personen, die systematisch, wiederholt, direkt oder indirekt, über einen längeren Zeitraum und mit einem Machtungleichgewicht erfolgen, sodass sich die gemobbte Person nicht mit eigener Kraft aus dieser Situation befreien kann (Cronenberg und Gastl 2008).

Einige Zahlen zur Prävalenz von Mobbing: Laut Spröber et al. (2008) sind jüngsten Untersuchungen zufolge 10 % der Schüler in Deutschland Opfer von Mobbing; ebenso groß ist der Kreis der Täter. Allerdings gibt es einen bedeutsamen Geschlechter-Unterschied: Nahezu dreiviertel der Täter sind Jungen (72 %), während das Geschlechter-Verhältnis bei den Opfern beinahe ausgeglichen ist (56 % Jungen).

Ziel von präventiven Maßnahmen bei Mobbing kann realistischerweise sein, zum Einen das Problemverhalten zu reduzieren und zum Anderen die Schutzfaktoren gegen Mobbing zu fördern, wozu Sozialkompetenz, Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit gehören. Dermaßen geförderte Schüler werden seltener viktimisiert, schikanieren seltener andere und sehen seltener tatenlos zu, wie ein anderes Kind drangsaliert wird (Spröber et al. 2008). Als besonders wirkungsvoll haben sich dabei Mehr-Ebenen-Programme erwiesen, die neben der individuellen Schüler-Ebene die Klassen-Ebene (und damit die der Peers) und die Schul-Ebene mit einbeziehen; schließlich ist auch die Elternarbeit von großer Bedeutung für eine nachhaltige Mobbing-Prävention (Spröber et al. 2008; Olweus 2008).

An dieser Stelle soll die hohe Bedeutung des sozialen Umfelds betont werden. Kinder und Jugendliche befinden sich in einem fortlaufenden Austauschprozess mit ihrer sozialen Umwelt; daraus resultieren ihre Einstellungen, ihr Verhalten und ihre Kognitionen. Verhalten kann verstärkt, verändert oder nachhaltig gefestigt werden, dabei ist jeweils entscheidend, wie die erwarteten Konsequenzen einer beabsichtigten Handlung eingeschätzt werden (Olweus 2008). Inkonsistentes Verhalten der Mitschüler und auch der Lehrer kann unangemessenes Sozialverhalten in seinen Konsequenzen als zu positiv erscheinen lassen. So empfindet laut Spröber et al. (2008) ein Drittel einer Klasse Belustigung, wenn jemand drangsaliert wird; knapp die Hälfte davon wiederum beteiligt sich aktiv daran. Durchschnittlich verhalten sich 57 % der Mitschüler dem Täter gegenüber freundlicher als dem Opfer; nur 31 % stehen auf Seiten des viktimisierten Schülers. Allein das Beobachten von Mobbing durch Klassenkameraden kann auf die Täter verstärkend wirken; folglich sind auf gewisse Art und Weise alle Schüler irgendwie beteiligt – Mobbing ist damit ein Gruppengeschehen und wird letztendlich durch das gesamte Beziehungsgefüge in einer Klasse getragen.

Durch die Möglichkeiten unserer modernen Medien (z. B. „social networks“ im Internet) ergeben sich im Kontext von Mobbingsituationen unter Schülern ganz neue Dimensionen. Via Internet werden im schulischen Umfeld beginnende Mobbinghandlungen im Freizeitbereich weitergeführt und häufig auf ganz andere Gruppenkontexte über den Schul- bzw. Klassenverband hinaus übertragen. Hier wird auch die Grenze schulischer Zuständigkeit überschritten. Aufgabe der Schule kann es sein, Aufklärung über Gefahren des Internets, ethische und rechtliche Aspekte im Umgang mit neuen Medien zu betreiben und Schülern Hilfestellungen zum Umgang mit Cybermobbing zu geben. Die Ahndung solcher Schikane geht über den schulischen Bereich und über pädagogische Maßnahmen hinaus; nach einer Sicherung von Beweisen wird hier sogar die Polizei einbezogen. Bei einer Ausweitung der Mobbinghandlungen auf die Internetkommunikation sind die psychischen Folgen für betroffene Schüler ungleich höher einzuschätzen, da die Schädigung des Ansehens und die Ausgrenzung weitere Kreise zieht (z. B. Wohnort, Stadtteil, Sportverein).

1.4 Prävention

Der Begriff Prävention wurde im medizinischen Bereich im Kontext von Gesundheitsfürsorge geprägt. Dabei wird zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention unterschieden (Faltermaier 2005), die Grenzen zwischen den Bereichen sind fließend:

  • Primärprävention umfasst alle Maßnahmen, die Gesundheit erhalten und Krankheit verhindern (allgemeine Prophylaxe an unselektierten Personengruppen).

  • Sekundärprävention hat zum Ziel, Erkrankungen in einem möglichst frühen Stadium zu erkennen und durch entsprechende Therapien das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, die Dauer zu verringern und eine Heilung zu ermöglichen (Behandlung von Hochrisikogruppen).

  • Tertiärprävention schließt Maßnahmen ein, die Auswirkungen einer Krankheit verringern (Rückfallprophylaxe bei manifest Erkrankten).

Das Projekt zur Mobbingprävention an Schulen umfasst demnach die eigentliche Vorsorge an unspezifischen Personengruppen zur Stärkung sozialer Kompetenz und Verhinderung von Mobbinghandlungen, die konkrete Intervention bei evidenten Mobbinghandlungen, um eine Chronifizierung zu verhindern, sowie die Nachsorge und Rückfallprophylaxe bei manifesten Mobbingstrukturen im Klassenverband oder darüber hinaus.

1.5 Nachhaltiger Kulturwandel durch Prozessbegleitung

G. Schreyögg (1997) beschreibt Kulturwandel in Organisationen als Prozess, der in drei Schritten (Diagnose, Planung von Zielen kultureller Veränderungen und Maßnahmen zur Kurskorrektur) abläuft und die Bereitschaft und Motivation von Organisationsmitgliedern für Neues voraussetzt. Solche Prozesse werden durch das Mobbingpräventionsprojekt auf den verschiedenen Ebenen (Schulebene, Klassenebene, Individualebene) der Organisation in Gang gesetzt.

Vergleichbar sind in der Supervisionsliteratur dargestellte Ausführungen zur Begleitung von Entwicklungsprozessen in Teams (Francis und Young 1998). Um einen geplanten organisatorischen Wandel zu erreichen, wird zunächst genau diagnostiziert, der Zielzustand definiert, dann eine Intervention geplant und durchgeführt sowie nach einer Phase der Erprobung eine Evaluation vorgenommen. Notfalls wird derselbe Prozess wieder durchlaufen im Sinne des Test-Operate-Test-Exit-Modells, bis ein Ergebnis erzielt wird, das die Lebenswelt der Schüler positiv verändert hat. Veränderungen werden dabei zwar auf der Verhaltensebene sichtbar, gleichzeitig wird natürlich ein Wandel von Einstellungen, Überzeugungen, Wertvorstellungen und zu Grunde liegenden Basisannahmen intendiert und erreicht (im Sinne von Schein).

Soll der Kulturwandel zum Thema Mobbing nachhaltig sein, genügt es nicht, eine einmalige Präventionsveranstaltung oder Intervention durchzuführen; vielmehr müssen Mobbingverläufe als prozesshaftes Geschehen betrachtet werden; das Schulpersonal (Schulleitungen, Beratungsfachkräfte oder Lehrkräfte) wird zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf verschiedenen Systemebenen (Individual-, Klassen-, Schulebene) einbezogen und ist herausgefordert, sich auf die Begleitung nachhaltiger Veränderungsprozesse einzulassen. Dabei können Präventions- und Interventionsmaßnahmen auf Schulebene als Schulentwicklungsprozesse, auf Klassenebene als Teamentwicklung und auf Individualebene als Persönlichkeitsentwicklung betrachtet werden; die Folie für Prozessbegleitung kann gleichermaßen über diese Vorgänge gelegt werden, aber auch modellhaft über den Ablauf des Präventionsprojekts.

Interessant an Schreyöggs Position zum Kulturwandel ist, dass Veränderung die Gefahr von Konflikten nach sich zieht; d. h. wenn in ein Mobbinggeschehen eingegriffen wird, wird eine positive Veränderung u. U. nicht widerstandslos geschehen. A. Schreyögg (2004, S. 296) erwähnt dazu das Prozessmodell der Lewin-Schule: Verhaltensänderungen von Gruppenmitgliedern im Rahmen des gruppalen Prozesses werden hier in drei Phasen beschrieben:

  1. 1.

    „unfreezing“: Verhaltensänderung in der Gruppe vollzieht sich, wenn die Gruppe durch äußere Ereignisse eine normative Offenheit bzw. Aufgeschlossenheit für Veränderungen erwirbt.

  2. 2.

    „change“: Die Phase der Veränderung schlägt sich in neuen kollektiven Verhaltensmustern nieder.

  3. 3.

    „refreezing“: Veränderungen festigen sich, d. h. sie werden in das kollektive System von Normen und Standards integriert.

Der Gruppenleiter als „change agent“ hat die Aufgabe, Veränderungen zu fördern, im ersten Stadium Innovationsbereitschaft anzustoßen, im zweiten Verhaltensänderungen zu unterstützen und im dritten die Festigung neuer Normen und Verhaltensstandards methodisch stabilisieren zu helfen. Geplanter organisatorischer Wandel nichtstofflicher Phänomene beim Eingreifen in Mobbinggeschehnisse sollte nicht auf einem naiven Harmoniebedürfnis beruhen, sondern auf professionellem Wissen um Gruppenprozesse, Handlungs- und Interventionsmethoden, Entwicklungsarbeit und Umgang mit Konflikten und Widerständen, mit einem Handlungsrepertoire zur Begleitung von Entwicklungsprozessen auf Schulebene, Klassenebene, individueller Ebene.

2 Konzeption des Mobbing-Präventions-Projekts: „Schule als Lebensraum – ohne Mobbing!“

2.1 Organisation

Obwohl bereits langjährig in Lehrplanfestschreibungen enthalten, ist spätestens seit den Amokläufen von Winnenden und Ansbach die Frage, wie das soziale Miteinander an der Schule nachhaltig positiv beeinflusst werden kann, noch deutlicher in den Mittelpunkt gerückt. Als eine der Konsequenzen daraus hat das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen beauftragt, ein Fortbildungskonzept zur Prävention von Mobbing unter Schülern zu erarbeiten und durchzuführen. Das bayerische Projekt greift vorhandene personelle Ressourcen, Ideen und Fachwissen auf, bündelt, ergänzt, strukturiert und differenziert und gießt das Ganze in einen organisatorischen Rahmen, um professionelles Denken und Handeln im Kontext von Mobbing und Cybermobbing weiterzuentwickeln.

Dieses Multiplikatorenprojekt gliedert sich in drei Phasen und die Evaluation:

  • Phase 1: Ausbildung von Trainern (v. a. Schulpsychologen)

  • Phase 2: Ausbildung von Multiplikatoren (v. a. Beratungslehrkräfte und Schul-psychologen) durch die Trainer bzw. externe Experten

  • Phase 3: Fortbildung vor Ort/Moderation/Implementierung, Umsetzung

  • Evaluation: Auswertung mit wissenschaftlicher Begleitung.

In Phase 1 werden aus jedem Regierungsbezirk Schulpsychologen als Trainer für die spätere Multiplikatorenausbildung, die Koordination der Fortbildungsaktivitäten in den Regierungsbezirken über verschiedene Schularten und das Coaching der Multiplikatoren geschult.

In Phase 2 werden die Multiplikatoren ausgebildet: Sie werden in einem Wochenlehrgang geschult,

  • an Schulen einen Prozess zu moderieren, in dem ein schulinternes Mobbing-Präventionskonzept entwickelt wird,

  • bei Bedarf begleitende regionale, lokale und schulinterne Fortbildungen zur Thematik Mobbing-Prävention (im Sinne von Primär-, Sekundär-, Tertiärprävention) durchzuführen,

  • als Ansprechpartner im MB- bzw. Schulamtsbezirk für die Thematik „Mobbing und Mobbing-Prävention“ zur Verfügung zu stehen und ggf. einen Arbeitskreis zu leiten.

Phase 3:

Nach Abschluss der Multiplikatorenschulung unterbreiten die Trainer den Schulaufsichten regional mögliche Angebote. Die Multiplikatoren können als Prozessbegleiter zur Reflexion und Koordination schulinterner Präventionsmaßnahmen angefordert werden. Bei Bedarf führen sie Fortbildungen auf regionaler, lokaler und schulinterner Ebene durch. Fortbildungen für spezielle Bezugsgruppen können über die staatlichen Schulberatungsstellen, die RLFB, die Schulämter oder die Schulen selbst angeboten und organisiert werden.

Diese Organisation soll sicherstellen, dass jede Schule in Bayern innerhalb eines Zeitraums von zwei bis drei Jahren das Thema Mobbing mit Unterstützung der Multiplikatoren aufgreifen und an die spezifische Schulsituation adaptierte Maßnahmen einleiten kann. Dies können Präventionsveranstaltungen für Schüler, Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte, der Einsatz spezieller Interventionsgruppen, Ausbildungsbausteine für peer-education-Ansätze usw. sein.

Schule ist auch heute noch in der Regel als bürokratische Organisation einlinig hierarchisch organisiert mit einem hohen bürokratischen Organisationsgrad und einer flachen Hierarchie. In diese Organisationsform wird nun eine Projektidee installiert, die nicht in hierarchischer Linie verordnet werden kann, sondern die ein hohes Maß an Überzeugungsarbeit vor Ort benötigt, die allerdings von der Basis aus der Not aktuellen Handlungsdrucks heraus dankbar angenommen wird. Die Umsetzung des Projekts gelingt durch Vernetzung mit vorhandenen Fortbildungssystemen (Akademie für Lehrerfortbildung, regionale Lehrerfortbildung, schulinterne Lehrerfortbildungen, Schulberatungsstellen) und Schulaufsichtsebenen, Regierungen und Dienststellen der Ministerialbeauftragten sowie externen Expertensystemen.

2.2 Zielsetzung

Es sei hier an die Differenzierung von Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention erinnert und an die Prozesshaftigkeit von Mobbingvorkommnissen sowie an nachhaltigen kulturellen Wandel durch Begleitung von Entwicklungsprozessen auf Schul-, Klassen- und Individualebene Diese Konzepte sollten Trainer und Multiplikatoren bei der Zusammenarbeit mit entsprechenden Schulgremien leiten, dann lassen sich individuell angepasste Angebote entwickeln und umsetzen. Dabei werden sie eine genaue Diagnose und Problempräzisierung vornehmen, mit Hilfe des Auftraggebers die Zielsetzung klären, eine Interventions- bzw. Präventionsmaßnahme planen, durchführen und überprüfen, ob die gesetzten Ziele erreicht sind oder nachjustiert werden müsste.

Die Multiplikatoren, die auch in Tandems oder Gruppen arbeiten können, sollen maßgeschneiderte Lösungen für die Auftraggeber (Schulen oder Schulaufsichten) erarbeiten, die zur Stärkung sozialer Kompetenzen der Schüler, zur Verhinderung und Eindämmung von Mobbing- und Cybermobbing führen. Die geplanten Veränderungen zielen nicht nur auf die Verhaltensebene ab, sondern sollen Einstellungen und Wertvorstellungen beeinflussen und nachhaltig ein gedeihliches Klima fördern.

2.3 Konkretisierung der Ziele auf den drei Ebenen der Prävention

2.3.1 Schulebene

Als Diagnoseinstrument für die Ist-Stand-Analyse von Mobbing-Vorkommen steht ein Fragebogen zur Verfügung (erarbeitet von Frau Dr. Spröber, Universität Ulm, in Kooperation mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen). Von Seiten des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus werden Bayerns Schulen aufgefordert, im Zuge von Gewaltprävention schulinterne Teams zu installieren, mit Personal aus dem organisatorischen, technischen und pädagogisch-psychologischen Bereich. Diese sollen in Krisenfällen, aber auch bereits im Vorfeld aktiv an Gewaltprävention arbeiten. Auf Schulebene kommen folgende Maßnahmen der Mobbing-Prävention und -Intervention in Betracht:

  • Durchführung des Fragebogens zur Ist-Stand-Analyse, Vorstellen der Fragebogen-Ergebnisse und entsprechende Zielvereinbarung

  • Entwicklung einer Schul-Charta

  • Gestaltung eines Pädagogischen Tags zum Thema „Mobbing“ und der Notwendigkeit einheitlicher und verbindlicher Regeln

  • Angebot einer schulinternen Lehrerfortbildung beispielsweise zu Interventionsstrategien bei Mobbing auf Klassenebene

  • Klärung von Zuständigkeiten für Mobbinghandlungen, Übergabekultur, case-management

  • Verstärkte Pausenaufsichten und Etablierung einer Kultur der Achtsamkeit im Kollegium

  • Gestaltung des Schulgebäudes und der Außenanlagen

  • Verstärkte Elternarbeit

  • Medienerziehung und Aufklärung über rechtliche und ethische Fragen im Zusammenhang mit Cybermobbing.

Hier seien nur einige der zahlreichen Möglichkeiten erwähnt, insgesamt geht es um das Ausschöpfen vorhandener Ressourcen, um ein gedeihliches Klima und ein Wertemodell des Miteinanders zu schaffen. Die Veränderungen sollen also nichtstoffliche Phänomene auf Schulebene erreichen und damit einen Wandel der bestehenden Kultur.

2.3.2 Klassenebene

Auch auf Klassenebene ist es von zentraler Bedeutung, mit Hilfe verschiedener Diagnosemöglichkeiten (Fragebogen, Interviews, Beobachtungen von Lehrkräften) und in enger Kooperation mit der Klassenleitung als Führungsperson in dieser Gruppe bedarfsspezifische Angebote zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Dabei können Multiplikatoren z. T. als externe Experten Beiträge bringen oder die Klassenleitung oder ein Expertenteam in ihrer Arbeit begleiten bzw. Fortbildungsangebote zu einzelnen Maßnahmen machen. Auch auf Klassenebene geht es um die Einflussnahme auf die Normen und Wertvorstellungen der Gruppe. Hier seien nur einzelne Beispiele möglicher Präventivmaßnahmen auf Klassenebene erwähnt:

  • Klassen-Regeln

  • Einführung eines Klassenrats zur Entwicklung einer Gesprächs- und Streitkultur

  • Durchführung einer Projekt-Woche zum Thema „Mobbing-Prävention“, z. B. mit dem Material des Koffers der Techniker Krankenkasse „Mobbingfreie Schule“

  • Hilfreich in diesem Zusammenhang sind alle Lebenskompetenz-Übungen, die darauf abzielen, die Ich- und Sozial-Kompetenz der Schüler zu fördern

  • Klare Führung durch den Lehrer im Sinne des Classroom-Managements

  • Kooperatives Lernen und Arbeiten (z. B. nach Norm Green)

2.3.3 Individualebene

Das Projekt zielt darauf ab, spezielle Zielgruppen im Schulbereich zu befähigen, auf Individualebene nach dem bewährten Vorgehen (Diagnose, Zielpräzision, Planung und Durchführung einer Präventions- oder Interventionsmaßnahme, Auswertung der Ergebnisse) zu verfahren, z. B. Schulpsychologen, Beratungslehrkräfte, Verbindungslehrer, pädagogisch-psychologisches Fachpersonal in schulinternen Präventionsteams, Wertemultiplikatoren, IT-Fachschaften usw. In diesem Zusammenhang ist also weniger daran gedacht, Multiplikatoren des Projekts zur Individualbetreuung von Schülern einzusetzen, sondern spezifische Fortbildungsangebote zu machen, um die genannten Berufsgruppen für eine Arbeit mit den Schülern vor Ort zu unterstützen. Inhalte solcher Fortbildungsbausteine könnten beispielsweise Gruppendynamiken bei Mobbingprozessen oder spezielle Interventionsmethoden sein wie etwa:

  • Farsta-Methode (konfrontativ)

  • Anti-Bullying-Konzept nach Olweus

  • No Blame Approach

  • Shared Concern (jeweils systemisch und lösungsorientiert)

Auch das Training spezieller Gesprächsführungstechniken, Präventivmaßnahmen wie Training sozial kompetenten Verhaltens, Classroom-Management oder eine Übersicht über Präventionsmaterialien oder einzelne Bausteine für präventive Arbeit in Klassen sowie der Bezug zum Thema Cyber-Mobbing könnten hier eine Rolle spielen. Auf allen Ebenen im Schulsystem geht es nicht ausschließlich um Verhaltensänderung, sondern auch jeweils um veränderte Werthaltungen und Einstellungen, also Kulturphänomene, um einen Wandel des „Geistes“ von Gruppen.

3 Bedeutung der Anti-Mobbing-Maßnahmen für den kulturellen Wandel anhand von Beispielen

3.1 Projektebene

Insgesamt kann die Gestaltung, Organisation und Durchführung des Projekts modellhaft als Prozessbegleitung für nachhaltigen organisatorischen und kulturellen Wandel nach dem top-down-Prinzip betrachtet werden.

Nach der Beauftragung durch das Kultusministerium wurde von den Projektorganisatoren in zahlreichen Gremien und unterschiedlichen Gruppierungen eine differenziertere Bedarfsanalyse vorgenommen. Dadurch wurde gewährleistet, dass die Bedürfnisse des Systems Schule erfasst und eine zielgerichtete Vorbereitung der Trainer und Multiplikatoren stattfinden konnte. Zunächst erfolgte also die Diagnose: Wo steht das System Schule, welche Ressourcen sind bereits vorhanden, welche Netzwerke können geknüpft werden, wo ist Kooperation innerhalb der vorhandenen Fortbildungssysteme möglich? Daraufhin wurde die Organisationsform und der Verlauf des Projekts geplant, und durch Aus- bzw. Fortbildungsmaßnahmen der Trainer und Multiplikatoren wurde die Grundlage für deren Einsatz in den Bezirken geschaffen. Gleichzeitig wurde in diversen Gremien bei verschiedensten Veranstaltungen und koordinierenden Sitzungen Überzeugungsarbeit geleistet, sodass bereits erste Veränderungen von Einstellungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen stattgefunden haben, die in Handlung umgesetzt werden.

Beispiel:

In koordinierenden Sitzungen der Schulberatungsstellen mit den Schulaufsichten werden diese überzeugt, dass das Thema Mobbingprävention bei Schulleitertagungen aufgegriffen werden muss und in der regionalen Lehrerfortbildung spezielle Berufsgruppen, wie z. B. Beratungsfachkräfte, Verbindungslehrer, Wertebeauftragte oder Sicherheitsbeauftragte erfasst werden sollten. Daraufhin folgen konkrete Fortbildungsangebote in den Folgejahren als konkrete Handlungsergebnisse und die Erfahrung einer konstruktiven Zusammenarbeit mit entsprechenden Überzeugungen, dass dies auch bei weiteren Themen Synergieeffekte zeigen könnte.

Die Projektorganisatoren begleiten das Projekt, das als längerfristiger Prozess über zwei bis drei Jahre angelegt ist, indem sie regelmäßig koordinierende Treffen der Trainer organisieren, teilweise an die Schulberatungsstellen delegieren, insgesamt für Rückmeldung und Vernetzung sorgen, bei Bedarf nachjustieren mit weiteren Fortbildungseinheiten für Trainer und/oder Multiplikatoren und eine Abschlussevaluation vorbereiten. Auf diesem Weg wird die Nachhaltigkeit von Veränderungsprozessen gewährleistet. In den einzelnen Bezirken werden Ressourcen des Schulpersonals gehoben, weiterentwickelt, gebündelt und zielgerecht für die Weiterentwicklung von Schulen, Klassen oder Individuen eingesetzt.

Kulturelle Veränderungen geschehen bei dieser Arbeit durch die bewusste Konzentration auf erzieherische Themen wie z. B. den Aufbau sozialer Kompetenzen an allen Schularten, auch an weiterführenden Schulen, die sich bislang noch mit einem hohen Spezialisierungsgrad als Vermittler von Fachwissen definieren.

3.2 Schulebene

Kultureller Wandel kann nicht von oben vorgeschrieben werden, er muss von der Basis gewollt und mitgetragen werden, dies wird durch das Präventionsprojekt ermöglicht. Wird ein Multiplikator oder Multiplikatorentandem von einer Schule angefragt, so wird zunächst der Auftrag präzise mit der entsprechenden Schule geklärt. Denkbar als Zielsetzungen sind kleinere Überblicksreferate oder Fortbildungseinheiten für Kollegien oder Teilgruppen von Kollegien, aber auch Prozessbegleitung einer an der Schule aktiven Gruppe bis hin zu großen Schulentwicklungsprozessen, die u. U. mit dem Instrumentarium des genannten Fragebogens eingeleitet würden. Anschließend würden entsprechende Maßnahmen durchgeführt und in Abschlussbesprechungen oder in einer Evaluation die Wirksamkeit überprüft und mögliche weiter Angebote eruiert.

Nach einer vorgeschalteten Diagnostik geht es somit um ein Bewusstmachen der bestehenden Kultur, um die Beurteilung möglicher Veränderungen und die gemeinschaftlich getragene Bereitschaft, Neues auszuprobieren und auftretende Konflikte zu regeln. Dabei ist eine individuelle Abstimmung von vorhandenen Bedürfnissen, bereits genutzten Möglichkeiten und ein Ausschöpfen vorhandener Ressourcen notwendig.

Beispiel für die Entwicklung präventiver Maßnahmen auf Schulebene an einer von mir begleiteten Realschule: An der Schule fand sich eine Arbeitsgruppe, ausgehend von zunehmend problematischeren Mobbingstrukturen bereits in 5. und 6. Klassen, die in den letzten Jahren subjektiv erlebt werden. Die Steuergruppe für primärpräventive Maßnahmen in 5. und 6. Jahrgangsstufen entwickelte Handlungsmöglichkeiten, die sowohl externe Netzwerke als auch innerschulische Ressourcen berücksichtigen:

  • Mitglieder des Personalrats überarbeiten Pausenregelung und Aufsichtspläne. Die Fachschaft Sport wird verstärkt erlebnispädagogische Übungen und Spiele zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in den Unterricht einbeziehen. Ferner wird angeregt, fächerverbindend in den Fachschaften Ethik, Deutsch, Sport, Religion usw. einen Tag zum Thema Mobbing und soziale Kompetenzen zu gestalten.

  • Bei der Streitschlichterschulung, Tutorenausbildung und bei SMV-Tagungen wird das Thema Mobbing aufgegriffen und die Handlungsmöglichkeit von Peers reflektiert; dabei werden auch die Grenzen angesprochen und die Möglichkeit, Hilfe zu holen.

  • Für die 6. Klassen wird ein Theaterpädagogisches Präventionsprojekt durchgeführt; es werden also externe regionale Ressourcen genutzt und die Inhalte weiter in den Klassen begleitet, etwa bei Schullandheimaufenthalten oder in Klassenleiterstunden.

  • In den Klassentagebüchern werden Vordrucke für Rückmeldungen an die Klassenleitungen (Kummerkasten) hinterlegt, sodass Schüler problematische Vorkommnisse melden können.

  • Die Zusammenarbeit mit der Polizei oder der Kriminalpräventionsstelle wird vor allem im Hinblick auf Cybermobbing ausgebaut, ein Thema, das im Rahmen der Medienerziehung sowohl von den Informationstechnologie-Lehrkräften im Unterricht aufgegriffen wird als auch durch peer-education (Tutoren) geleistet werden soll.

  • Den Klassenleitern werden Stundenentwürfe zum Erarbeiten von Regeln zur Verfügung gestellt und bei Schullandheimaufenthalten Einheiten zum Training sozialer Kompetenzen durchgeführt. Die Zusammenarbeit mit den Beratungsfachkräften (Schulpsychologin, Beratungslehrkraft) wird verstärkt.

  • Die IT-Fachschaft wird den Schwerpunkt Medienerziehung (Persönlichkeitsrechte, Cybermobbing, rechtliche Implikationen, aber auch Gefahren von Facebook und anderen virtuellen Darstellungen, die Überprüfung von Internetprofilen durch potenzielle Arbeitgeber) intensivieren und in frühere Jahrgangsstufen hineinverlagern.

  • Des Weiteren wird die Elternarbeit verstärkt, und der Schulleitung werden einige strukturelle Vorschläge unterbreitet.

  • Im Fach Wirtschafts- und Rechtslehre werden in höheren Jahrgangsstufen Experten zur Rechtslage bei Cybermobbing eingeladen.

Neu an dieser Vorgehensweise ist das koordinierte Arbeiten und die gezielte Nutzung aller im Schulsystem bereits vorhandener Ressourcen, die Kooperation mit internen Fachkräften und externen Experten an den zentralen Schnittstellen (Personalrat, Beratungsfachkräfte, Informationstechnologie- und Religionsfachschaften, Medien- und Informationstechnische Berater, Medienerzieher, Peers-Tutoren und Streitschlichter, Theaterpädagogen, Polizeibeamte usw.). Neu sind die Vernetzung, das gezielte Aufgreifen eines erzieherischen Themas und die Bündelung aller Kräfte. Die entstehenden Erfahrungen werden Auswirkung auf die Einstellung der Beteiligten und damit kulturverändernde Folgen haben.

3.3 Klassenebene

Werden auf Klassenebene Präventionsmaßnahmen geplant oder Interventionen notwendig, werden wieder die typischen Schritte durchlaufen, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Es geht um eine genaue Diagnose der Situation, um eine Auftragsklärung, eine zielgenaue Planung der Intervention, deren Durchführung und die Überprüfung des Erfolgs.

Beispiele:

Als Schulpsychologin werde ich zu verschiedenen Zeitpunkten in Mobbingprozesse mit einbezogen; die Erwartungen an eine externe Expertin als Heilbringerin sind dabei teilweise sehr hoch.

Der Klassenleiter einer 10. Klasse bittet mich, mit seiner Klasse zu arbeiten, da dort ein Schüler krankenhausreif geschlagen wurde. Im Nachklang wurde klar, dass dies das Ende eines zweijährigen Mobbingprozesses war, die Mitschüler hatten den Gemobbten ermutigt, sich endlich zur Wehr zu setzen. Da dessen Handlung zu extremen Folgen führte, bestanden jetzt große Schuldgefühle bei den Klassenkameraden und eine ungeklärte Beziehung zwischen den unmittelbaren Kontrahenten. Die Intervention musste also die Klärung zwischen den beiden betroffenen Schülern umfassen sowie eine moderierte Unterrichtssequenz zum Aufarbeiten der Klassensituation, dabei wurde größter Wert auf die Zusammenarbeit mit dem Klassenleiter gelegt, da dieser die Klassenführung langfristig in der Hand hat.

Streitschlichter bitten mich als Schulpsychologin, Trainingseinheiten zur sozialen Kompetenz beim Schullandheimaufenthalt einer Klasse zu gestalten, da sie durch Mobbingprozesse, die ihnen zugetragen wurden, einen Anlass dazu sehen. Hier geht es um eine Auftragsklärung, Einbeziehen der Klassenleitung, das Herausarbeiten einer gemeinsamen Zielsetzung und die Durchführung sowie rückwirkende Bewertung. Gleichzeitig muss betont werden, dass Streitschlichtung bei Mobbing-Handlungen kontraindiziert ist; den Mediatoren müssen Möglichkeiten und Grenzen bezüglich Mobbing klar sein.

In einer Klasse werden Mobbinghandlungen gegen einen Mitschüler evident, die das Eingreifen mit Hilfe der Methode „no blame approach“ als sinnvoll erachten lassen. Nach Rücksprache mit der Klassenleitung werden die sozialen Kompetenzen einer Unterstützergruppe genutzt. Bei den entsprechenden Schülern wird nicht nur das Verhalten geändert, sondern auch dahinter stehende Einstellungen, Überzeugungen, Wertvorstellungen und Grundannahmen.

Bei diesen herausgegriffenen Beispielen geht es um Gruppenentwicklungsprozesse in Schulklassen, dabei wird deutlich, dass nicht immer dasselbe Instrument angesetzt werden kann und es geradezu fatal wäre, bei jedem Mobbingfall eine Liste von Interventionsschritten abzuarbeiten. Vielmehr bedarf es eines umfassenden Wissens über Gruppenprozesse und ihre Beeinflussung, Mobbingdynamiken, Interventionsmethoden und ihre Indikation, aber auch Moderationstechniken, kreatives Geschick, Prozessbegleitung usw. Dieses Handlungsrepertoire kann hilfreich eingesetzt werden, um den Veränderungsprozess auf Klassenebene zu gestalten und zu begleiten und auf die Einstellungsebene zu vertiefen, sodass der „Geist“ der Gruppe sich verändert, also ein Kulturwandel erreicht wird.

3.4 Individualebene

Auch über die Individualebene lässt sich die beschriebene Folie für Veränderungsprozesse legen: Auftragsklärung, genaue Diagnose der Situation, situationsangemessene Interventionsangebote, Durchführung der Intervention, Erprobungsphase, Evaluation, u. U. neue Schleife. Auch hier ist eine große Spannbreite denkbar, vom palliativen Anhören der Schikane des gemobbten Kindes, die Stärkung des Selbstwertgefühls, das Training von Handlungsmöglichkeiten, über Interventionsmaßnahmen mit den Tätern, Gespräche mit Eltern und dergleichen mehr.

Beispiel für Veränderung nichtstofflicher kultureller Phänomene auf Individualebene:Der Mitläufer von Mobbingakteuren wird in Einzelgesprächen überzeugt, dass seine Unterstützung für einen Mitschüler sehr hilfreich wäre. Er entwickelt im Gespräch konkrete Handlungsideen, dabei erfährt er sich als hilfsbereit, wichtig für das Wohlergehen eines Mitschülers, mächtig im Einfluss auf Klassenkameraden, vorher wirkte er unreflektiert bei den Schikanen gegen Mitschüler mit. Bei der Planung von Hilfsmaßnahmen für einen gemobbten Schüler wird eine Lehrkraft überzeugt, dass das Wort „petzen“ bei der Mitteilung von Mobbinghandlungen keinen Platz hat, weil der schikanierte Schüler nach Hilfe sucht und aus eigener Kraft nicht aus der Situation findet. Des Weiteren ändert die Lehrkraft auch ihre Haltung, dass der Schüler durch sein Verhalten die Hänseleien provoziere und die Schuld für die Schikane der Mitschüler selbst trage. Sie erkennt zwar den Eigenanteil des provozierenden Opfers, kann aber überzeugt werden, dass dennoch die Mobbinghandlungen nicht gerechtfertigt sind und nicht toleriert werden können.

Hier geht es über die Veränderung von Verhaltensweisen hinaus auch im Individualfall jeweils um die Korrektur von Wertvorstellungen und Überzeugungen; die Kultur des Miteinander-Umgehens wird sich dadurch wandeln.

4 Schluss: Erste Schritte und aktueller Stand

Erste Schritte am Beispiel des Regierungsbezirks Schwaben:

  • Die Staatliche Schulberatungsstelle greift das Thema Mobbing bei Dienstbesprechungen für Beratungsfachkräfte mit einem jeweils halbtägigen Fortbildungsteil auf. Dadurch werden alle Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen mit aktuellen Informationen zum Projekt und zur Vorgehensweise der Multiplikatoren vertraut gemacht.

  • In koordinierenden Sitzungen werden die Zusammenarbeit von Schulberatungsstelle und Schulaufsichten vorangebracht und organisatorische Absprachen bezüglich der weiteren kooperativen Umsetzung des Projekts getroffen.

  • Die Koordinatoren stellen das Projekt und die im Bezirk vorhandenen Ressourcen der Multiplikatoren bei Schulleitertagungen vor.

  • Die Fortbildungsinhalte werden zunächst regional oder schulartspezifisch für Schulpsychologen vertieft. Inhalte sind Projektaufbau und Organisation, differenziertes Wissen um Mobbingdynamiken, genaue Kenntnis, Indikation und Umsetzung einzelner Interventionsmethoden sowie Präventionsmöglichkeiten (Sozialkompetenztraining, Classroom Management, Unterrichtsmaterialien). Damit wird das Experten-Wissen der Schulpsychologen vor Ort gestärkt, die von Schülern, Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen bei Mobbingstrukturen als Berater und Helfer angefragt werden.

  • In weiteren Schritten können andere spezielle Zielgruppen im Schulbereich gezielt fortgebildet werden wie etwa: Beratungslehrkräfte, Verbindungslehrer, Personalräte, pädagogisches Personal in Krisenteams usw.

  • Erste Anfragen von Schulen gehen ein, die eine grundlegende Information des Kollegiums wünschen oder bereits in verschiedenen Settings das Thema aufgegriffen haben und jetzt eine Vertiefung in Teilbereichen suchen, z. B. welche Materialien oder Stundenentwürfe können in Klassen bei spezifischen Fragestellungen eingesetzt werden.

Empirische Untersuchungen weisen Mobbinghandlungen europaweit nach und ermitteln etwa 10 % der Schülerschaft als unmittelbar Betroffene. Vergleicht man die bekannten Dynamiken, so wird es kaum Jugendliche geben, die im schulischen Kontext nie Zuschauer oder Mitläufer im akuten Mobbinggeschehen waren. Natürlich gehört zum menschlichen Zusammenleben auch der Umgang mit verschiedenen Formen von Konfliktgeschehen. Durch die gemeinsame Reflexion des Themas, die Diskussion von Basisannahmen zur Schulkultur, die Besinnung auf spezifische Wertvorstellungen und ein entsprechendes Verhaltensrepertoire auf Schul-, Klassen- und Individualebene sollte Schule zu einem konstruktiven Zusammenleben erziehen. Vor allem die Bewegung in Richtung Ganztagsschule macht die Auseinandersetzung mit sozialen Kompetenzen dringend erforderlich, um Schülern einen menschlich ansprechenden schulischen Lebensraum zu schaffen und die seelische Gesundheit unserer Jugendlichen nachhaltig zu fördern.