1. Einleitung

„Globalisierung“ ist sicherlich eines der am meisten benutzten Modewörter der letzten zehn Jahre zur Beschreibung des Strukturwandels gegenwärtiger Gesellschaften. Die Diskussion politischer Reaktionsmöglichkeiten auf Globalisierungsprozesse steht zudem ganz oben auf der politischen Agenda von fast allen nationalen wie internationalen Akteuren. Dies gilt auch für die Europäische Union. So steht die Lissabon-Strategie, welche die EU wieder auf Wettbewerbskurs bringen soll, „der in einer modernen globalisierten Wirtschaft Garant für Wachstum und Arbeitsplätze ist“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005), ganz im Zeichen der Globalisierung. Auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2006 wurde entsprechend beschlossen, die Arbeiten im Rahmen der erneuerten Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung zu intensivieren und dadurch die europäische Wirtschaft fit für die Herausforderungen der Globalisierung zu machen. Dabei versteht sich die Europäische Union selbst als einen der zentralen Akteure, der den Prozess der Globalisierung aktiv zum Wohl der Mitgliedsländer und ihrer Bürger mitgestalten will: „Bei der Europäischen Union müssen alle Fäden der Globalisierungsdebatte zusammenlaufen. Sie muss eine gemeinsame Antwort auf die schwierigste aller Herausforderungen bieten, nämlich den Bürgern deutlich zu machen, dass die Europäer nur mit der EU in der Lage sind, die Globalisierung mit zu gestalten“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007c). Richard Münch und Stefan Bernhard haben jüngst (2009) die Lissabon-Strategie der EU als hegemoniales Liberalisierungsprojekt interpretiert.

Während die EU ein positives Bild vom Prozess der Globalisierung zeichnet und dabei auf die positiven Effekte einer globalen Marktöffnung verweist, mag die Einschätzung der Bürger ambivalenter ausfallen. Für die Einen kann der Prozess der Globalisierung neue Möglichkeiten und Chancen eröffnen und mit positiven Erwartungen verbunden sein. Für Andere mag der Prozess eher mit Verlustängsten und Schließungsreaktionen verknüpft sein. Sie sehen Arbeitsplätze bedroht, fühlen sich von Migrationsbewegungen in ihrer nationalen Identität herausgefordert oder befürchten eine Schwächung „ihres“ sie schützenden Nationalstaates.

Wir werden in diesem Artikel in einem ersten Schritt auf der Basis einer Interpretation von Gesetzestexten und von öffentlichen Verlautbarungen der Institutionen der EU genauer untersuchen, welche Globalisierungsvorstellungen die EU entwickelt hat und welche Globalisierungspolitik sie betreibt. Wir bezeichnen diese Vorstellungen als das Globalisierungsskript der EU. Auch wenn sich die Globalisierungsvorstellungen der EU auf mehrere Politikfelder beziehen (Wirtschaft, Politik, Umwelt, Soziales), so stehen doch Überlegungen im Vordergrund, die sich auf eine globalisierte Wirtschaft beziehen. Wir werden unsere Ausführungen entsprechend auf diese Dimension konzentrieren.

Im zweiten Schritt (3.) untersuchen wir dann, ob und in welchem Maße die Bürger der Mitgliedsländer der EU den Globalisierungsoptimismus der EU teilen. Grundlage unserer empirischen Analyse bildet eine Sekundäranalyse eines Eurobarometers (Flash EB 151b – „Globalisation“) aus dem Jahr 2003. Der Datensatz bietet die Möglichkeit, die Haltungen der Bürger zur ökonomischen Globalisierung zu operationalisieren. Wir gehen dabei von der Annahme aus, dass die Unterstützung des im Handeln der EU institutionalisierten Globalisierungsskripts durch die Bürger nicht unerheblich für die Legitimität der EU-Politiken ist. Eine Ablehnung der Globalisierungspolitik der EU kann erhebliche Legitimationseinbußen nach sich ziehen. So wurde z. B. der Diskurs über die EU-Verfassung in Frankreich in hohem Maße vom Thema Globalisierung überlagert (Schild 2005). Zudem scheint für einige Akteure eine Opposition gegen Globalisierungsprozesse gleichbedeutend mit einer Opposition gegenüber der EU zu sein, sodass man von einer diskursiven Überlagerung der beiden Themenbereiche sprechen kann (Rosamond 2002: 2). Gerade nationalistische Bewegungen und Parteien, die sich als Fürsprecher der Bewahrung nationaler Identität und Souveränität profilieren, sind häufig gleichermaßen Globalisierungs- und EU-Kritiker (vgl. Kriesi et al. 2006).

Die deskriptiven Befunde werden zeigen, dass etwas mehr als 62 % der befragten EU-Bürger den Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung grundsätzlich unterstützen. Das ist eine überraschend hohe Unterstützungsquote, bedenkt man die Skepsis, mit der ökonomische Globalisierungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit kommentiert werden. Zugleich zeigen sich aber deutliche Unterschiede im Unterstützungsniveau des EU-Skripts zwischen den verschiedenen Ländern und innerhalb der Länder. Wir werden dann (4.) entsprechend versuchen, die Unterschiede in den Einstellungen zur Globalisierung zu erklären. Dabei gehen wir von der Hypothese aus, dass diejenigen, die durch Globalisierungsprozesse benachteiligt werden, sich eher gegen den Globalisierungsprozess aussprechen als diejenigen, für die dies nicht gilt. „Benachteiligung“ kann sich in drei Dimensionen manifestieren: in den vom Befragten subjektiv erwarteten negativen bzw. positiven Folgen der Globalisierung, in den Nachteilen, die sich aus der objektiven sozialstrukturellen Lage des Individuums (z. B. Arbeitslosigkeit) ergeben und aus den Vor- oder Nachteilen, die aus der ökonomischen Situation des Landes resultieren.

Die Fragestellung und der Aufbau des Artikels folgen anderen Analysen, die wir durchgeführt haben. Wir haben für unterschiedliche Politikbereiche der EU genauer beschrieben, welche Vorstellungen der inhaltlichen Ausgestaltung die EU jeweils entwickelt hat (Religion, Familie und Geschlechterrollen, Demokratie und Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Umwelt etc.) und in welchem Maße diese Vorstellungen von den Bürgern unterstützt werden (vgl. z. B. Gerhards/Hölscher 2003; Gerhards 2007; Hölscher 2006; Gerhards/Lengfeld 2006, 2008; Gerhards 2008; Gehards/Kämpfer/Schäfer 2009). In diesem Beitrag knüpfen wir an diese Analysen an und ergänzen sie um eine Analyse der Globalisierungsvorstellungen der EU und deren Unterstützung durch die Bürger.

2. Das Globalisierungsskript der Europäischen Union

Vertreter des Neoinstitutionalismus interpretieren Institutionen im Allgemeinen und die EU im Besonderen als Träger von Ideen und Skripten (Stone Sweet/Sandholz/Fligstein 2001). Theoretisch und empirisch wurde das Skript-Konzept am prominentesten von John Meyer ausgearbeitet. Ausgangspunkt seiner Studien, insbesondere über die Diffusion von Kindheitsrechten und Bildungssystemen, war die Beobachtung, dass sich in einer wachsenden Anzahl von Ländern der Welt ähnliche Vorstellungen durchsetzen und politisch implementiert werden. Die Erklärung für diese Entwicklung sieht Meyer darin, dass internationale Organisationen normative Vorstellungen bezüglich verschiedener Politikbereiche formulieren und diese durchzusetzen versuchen (Meyer et al. 1997; Meyer/Boli/Ramirez 1985; Meyer 2000). Die EU ist eine der internationalen Institutionen, die Träger von Vorstellungen einer wünschenswerten Gesellschaft sind (dazu genauer Gerhards 2007; Wobbe 2001; Wobbe/Biermann 2007). Sie ist zudem eine Organisation, die mit entsprechender Autorität und Sanktionsgewalt ausgestattet ist, um ihre Vorstellungen gegenüber den Mitgliedsländern auch durchsetzen zu können.

Zu den Vorstellungen einer idealen europäischen Gesellschaft gehören auch Annahmen über die Vor- und Nachteile von Globalisierungsprozessen und die Rolle, die Europa in diesem Prozess spielen soll. Das Globalisierungsskript der EU weist verschiedene Dimensionen auf, wobei die ökonomische Dimension die dominante Dimension des Globalisierungsskripts darstellt. Wir werden uns in erster Linie auf eine Beschreibung dieser Dimension konzentrieren. Die Vorstellungen der EU bezüglich einer globalisierten Wirtschaft sind unmittelbar abgeleitet aus den Vorstellungen, die die EU für ihren eigenen – den europäischen – Wirtschaftsraum entwickelt hat. Diese hat Michael Hölscher genauer analysiert (Hölscher 2006). Die EU ist als Wirtschaftsgemeinschaft mit dem vordersten Ziel der Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes gegründet worden. Dies beinhaltete die Durchsetzung der sogenannten „Vier Freiheiten“ (der Freiheit von Gütern, Dienstleistungen, Personen und Kapital), was schließlich dazu führte, dass der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten heute grundsätzlich keinen Beschränkungen unterworfen ist. Die Herstellung von Märkten und die Erzeugung von Wettbewerb sind keine „Endziele“, sondern Mittel für einen bestimmten Zweck. Die EU verfolgt mit ihren Wirtschaftsvorstellungen vor allem ein zentrales „Megaziel“. Sie möchte die ökonomische Wohlfahrt aller Bürger der Mitgliedsländer erhöhen. Die Herstellung von Wettbewerb und die Liberalisierung wettbewerbsbehindernder Reglementierungen verbindet die EU mit der wirtschaftspolitischen Hoffnung auf Erzeugung von Wachstum, Fortschritt und Prosperität. Diese, auf den innereuropäischen Raum bezogene Wirtschaftsphilosophie wird nun von der EU auch auf die Weltgesellschaft übertragen. Vor allem die Europäische Kommission als Trägerin des EU-Globalisierungsskripts verfolgt die Idee, dass Marktöffnung und Handel die besten Quellen für Dynamisierung, Wandel und wirtschaftliches Wachstum sind (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007a: 2; Europäischer Rat 2007). Entsprechend heißt es etwa in einer Mitteilung der Kommission: „Ein offener europäischer Markt ist unverzichtbar für Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa und für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wenn wir offen sind für globalen Handel und Investitionen, können wir auch die Vorteile eines funktionierenden Binnenmarktes besser nutzen“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2006).

Die Institutionalisierung des gemeinsamen Marktes und die Öffnung der EU für einen globalen Welthandel bringt aus der Perspektive der EU aber nicht nur Vorteile für die Unternehmungen und die Wirtschaft, sondern auch für die Bürger: „Ziel ist ein Europa, (…) in dem Verbraucher und Unternehmen die Vorteile des Binnenmarkts in vollem Umfang wahrnehmen“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2004: 4). Die EU geht dabei davon aus, dass die Bürger die Globalisierung vor allem entlang dieser Nutzendimension beurteilen werden: „Wachstum und Arbeitsplätze und die damit verbundenen Chancen sind das Kernstück der Kommissionsagenda für Europa. Sie sind eine wesentliche Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung und dafür, dass die Europäer die Globalisierung bewältigen können. Außerdem werden die Bürger vor allem anhand dieser Kriterien beurteilen, ob Europa für ihren Alltag wirklich ein Gewinn ist“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2006). Insbesondere die im Jahr 2000 in Lissabon vereinbarte Reformstrategie bildet die Grundlage für die konkreten Reaktionen der EU auf die Globalisierungsfolgen (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2007c).

Die Ziele der EU bezüglich ihres Verhältnisses zu außereuropäischen Ländern sind in Art. 131 des EG-Vertrages niedergelegt. Demgemäß beabsichtigen die Mitgliedsstaaten, zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und zum Abbau der Zollschranken beizutragen. Mit Hilfe der gemeinsamen Handelspolitik als vergemeinschaftetem Politikbereich hat die EU sowohl in bi- und multilateralen Verhandlungen einen maßgeblichen Beitrag zur Reduzierung sowie Beseitigung der in Art. 131 EGV genannten tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnisse geleistet (Meunier/Nicolaïdis 2005: 26). Die Europäische Kommission vertritt, in Analogie zu den Erfahrungen und Regeln des gemeinsamen Marktes, eine Politik, die auf die Schaffung eines auf Regeln basierenden Welthandels abzielt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Zusammenarbeit bei der Rechtsetzung, die Konvergenz der Normen und die Gleichwertigkeit der Vorschriften (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2004: 6). Neben einer von der EU propagierten Beseitigung bzw. einem Abbau von Zöllen setzt sich die EU vor allem auch für den weiteren Abbau nicht-tarifärer Handelsschranken sowie „international vereinbarte Regeln in Bezug auf fairen Wettbewerb und Schutz der Rechte an geistigem Eigentum“ (Europäischer Rat 2007) ein.

Auch wenn die EU sowohl eine Binnenliberalisierung als auch eine Liberalisierung des Welthandels ausdrücklich begrüßt und mit ihrer Politik unmissverständlich zu einer wirtschaftlichen Globalisierung beiträgt, betont sie zugleich in den letzten Jahren, dass mit der Globalisierung auch negative Effekte verbunden sein können, insofern die aus der Globalisierung entstandenen Vorteile ungleich auf verschiedene Länder und auf verschiedene Bevölkerungsgruppen in diesen Ländern verteilt sein können. Mögliche negative Effekte sollen durch einen fairen Welthandel und starke internationale Institutionen und Regulierungen abgemildert werden. Entsprechend wurde von der Kommission ein Arbeitsprogramm mit dem Titel „Programm für nachhaltige Entwicklung“ verabschiedet. Darin heißt es unter anderem: „Der Globalisierungsprozess hat für viele Menschen in der ganzen Welt beträchtliche Fortschritte mit sich gebracht. Ohne weltweit wirksame politische Entscheidungsstrukturen führt das derzeitige Globalisierungsmodell jedoch zu unausgewogenen Ergebnissen, weshalb es einer nachhaltigen globalen Entwicklung nicht zuträglich sein dürfte. Nicht alle Länder und Regionen profitieren gleichermaßen von der Globalisierung“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2004: 1). Die EU müsse daher „auch ihre außenpolitische Tätigkeit so gestalten, dass die Globalisierung allen Gesellschaftsgruppen in allen Partnerländern und Regionen einen optimalen Nutzen bringt“ (ebd.: 2). Um von der Globalisierung negativ betroffene Arbeitnehmer innerhalb der EU zu stützen, wurde im Jahr 2005 der mit jährlich 500 Millionen Euro ausgestattete „Europäische Globalisierungsfonds“ (EGF) als Anpassungshilfe und Zeichen der Solidarität eingerichtet. Dieser Fonds soll Arbeitnehmern, die „ernsthaft und persönlich betroffen sind von durch Änderungen im Handelsgefüge bedingter Arbeitslosigkeit“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2005: 4), die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die Bemühungen der EU, die möglichen negativen Effekte einer liberalisierten globalisierten Wirtschaft abzufedern, stellen aber in keiner Weise die Grundphilosophie des Wirtschaftsskripts der EU infrage; die sozialen Maßnahmen sind ergänzende, vom Volumen her betrachtet eher harmlose Interventionen.

Fassen wir die Ergebnisse zusammen: Die EU verfolgt mit ihren Wirtschaftsvorstellungen vor allem ein zentrales „Megaziel“. Sie möchte Wachstum, Fortschritt und Prosperität für alle Bürger der Mitgliedsländer, dann aber auch für alle Weltbürger erzeugen. Dieses Ziel sieht die EU am besten erreichbar, wenn Wettbewerb, Marktbedingungen und die Liberalisierung wettbewerbsbehindernder Reglementierungen institutionalisiert werden. Dabei transportiert sie ihre Vorstellungen und Erfahrungen, die im Kontext der Herstellung eines europäischen Wirtschaftsraumes entwickelt wurden, auf die Weltgesellschaft insgesamt. Die Liberalisierung der globalen Märkte bringt Vorteile für alle beteiligten Akteure, so der Grundtenor des Wirtschaftsskripts der EU. Ob diese Sichtweise von den Bürgerinnen und Bürgern der EU geteilt wird, werden wir im folgenden Kapitel untersuchen.

Im Vordergrund des Globalisierungsskripts der EU steht die Wirtschaft. Daneben hat die EU aber auch bezüglich anderer Politikfelder Globalisierungsvorstellungen entwickelt, die wir zumindest kurz erwähnen wollen. Die Europäische Union betreibt zum einen seit den 1970er Jahren eine aktive Umweltpolitik (Barnes/Barnes 1999; Bailey 2003; Knill 2003; Gerhards/Lengfeld 2008) und hat dieses Engagement gerade im Kontext der Klimaschutzpolitik zunehmend globalisiert (Vogler 1999; Anderson et al. 2007). Sie hat wesentlich dazu beigetragen, dass 1997 in Kyoto ein Protokoll zum Schutz des Klimas verabschiedet werden konnte. Die Europäische Union hat weiterhin Vorstellungen über die Rolle und die Inhalte von Politik im Zeitalter der Globalisierung entwickelt. Diese Vorstellungen beziehen sich zum einen (a) auf Strukturmerkmale der Organisation von Politik, zum anderen (b) auf die inhaltliche Ausgestaltung des Politischen. (a) Die EU versteht sich als regional integriertes politisches System, das als Vorbild für andere Länder bzw. Weltregionen dienen soll (Fligstein/Mérand 2001: 26). Als Freihandelszone und Zollunion hat sie eine Vorbildwirkung und gab den Anstoß für andere Formen regionaler Integration wie die NAFTA, die APEC und Mercosur (Laffan 1998: 238). Die Europäische Kommission scheint eine weltpolitische Landkarte zu favorisieren, welche durch stark integrierte Regionen gekennzeichnet ist, zwischen denen eine institutionalisierte und auf rechtlichen Grundlagen fußende Kooperation stattfindet.Footnote 1 Darüber hinaus setzt sich die EU für eine Stärkung internationaler Organisationen ein.Footnote 2 (b) Die EU spricht sich auf globaler Ebene mit Nachdruck für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als Elemente einer „good governance“ aus. Tanja Börzel und Thomas Risse (2009) haben genau analysiert, wie die Modellvorstellungen der EU diesbezüglich aussehen. Sie beschreiben, wie sich das Demokratieskript der EU im Zeitverlauf entwickelt hat und mit welchen Maßnahmen dieses in Richtung Entwicklungs- und Beitrittsländer als spezifisch europäisches Modell exportiert wurde.Footnote 3

3. Die Einstellung der EU-Bürgerinnen und Bürger zu den Globalisierungsvorstellungen der EU

Die EU ist, wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, ein entscheidender Befürworter einer ökonomischen Globalisierung und verspricht sich durch eine Öffnung der Märkte Wachstum und Wohlstand für alle Bürger. Ob dieser Globalisierungsoptimismus von den Bürgern geteilt wird, ist eine empirisch offene Frage. Wir gehen von der Vermutung aus, dass die Bürger den Prozess der ökonomischen Globalisierung eher skeptisch bewerten und die ablehnenden Einstellungen überwiegen, und dies aus folgendem Grund:

Die Diskussion der Folgen der Globalisierung beherrscht die wissenschaftliche und politische Debatte der letzten zehn Jahre. Täglich finden sich Nachrichten, die innerstaatliche und internationale Themen und Problemlagen mit Prozessen der ökonomischen Globalisierung in Verbindung bringen. Dabei werden einerseits die Vorteile und Chancen diskutiert, die mit einer Öffnung der Märkte verbunden sein können; andererseits aber scheint noch die Thematisierung möglicher negativer Folgen die Debatte zu majorisieren. Von einigen Analysten wird betont, dass unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung bestimmte Sektoren der einheimischen Wirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig sind, weil ausländische Unternehmungen die hergestellten Produkte auf der Basis wesentlich geringerer Löhne preiswerter herstellen und anbieten können. Dies gilt vor allem für die Sektoren, die einfache und standardisierte Güter herstellen und diese mit einer gering qualifizierten Belegschaft produzieren. Die Folge einer nachlassenden Konkurrenzfähigkeit ist eine Zunahme von Konkursen, die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland und ein erhöhter Druck auf die Technisierung und Rationalisierung der Produktion. All dies führt zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit vor allem unter den gering qualifizierten Erwerbspersonen und zu einem stagnierenden oder degressiven Nettoeinkommen der Beschäftigten (Altvater/Mahnkopf 1999). Begleitet wird dieser Prozess durch eine Schwächung der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, bedingt durch die Erhöhung der „Austrittsmöglichkeiten des Kapitals“ (Streeck 1998: 186). Zugleich erhöht sich durch diesen Prozess die Ungewissheit im Hinblick auf die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes.

Ein weiterer Diskussionsstrang in der Debatte über die Folgen von ökonomischen Globalisierungsprozessen bezieht sich auf das veränderte Verhältnis von Wirtschaft und Staat (vgl. zusammenfassend Beck 1997; Zürn 1998). Manche Autoren gehen davon aus, dass die Wirtschaft zunehmend aus der gesellschaftlichen und vor allem der politischen Kontrolle „entbettet“ wird (Altvater/Mahnkopf 1999: 116 ff.), die Märkte der Politik davonlaufen (Habermas 1998a) und damit dem Staat zentrale Ressourcen und Kontrollmöglichkeiten entzogen werden. Wenn mit einer Zunahme der Globalisierung auch eine Zunahme der Arbeitslosigkeit verbunden ist, dann mindert dies zugleich die Steuereinnahmen des Staates und damit seine Handlungsfähigkeit. Offene Grenzen ermöglichen es den Unternehmungen zudem, in sogenannte Steueroasen abzuwandern oder zumindest eine Abwanderung wegen zu hoher einheimischer Steuersätze anzudrohen, um damit eine Senkung der Unternehmenssteuer im eigenen Land zu erwirken (Zürn 1998; Habermas 1998a). Auch dies hat negative Auswirkungen auf die Steuereinnahmen des Staates. Die dadurch mit ausgelöste Krise der öffentlichen Haushalte führt zu einem Abbau des Sozialstaates und erhöht die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft (Habermas 1998b), so zumindest ein häufig in der Debatte formuliertes Argument.

Ob sich nun diese und andere Argumente, die den Prozess der ökonomischen Globalisierung eher skeptisch beurteilen, in den Köpfen der Bürger verfangen und sie zu einer eher globalisierungsskeptischen Einstellung motivieren oder ob die Bürger den globalisierungsoptimistischen Kurs der EU unterstützen, wollen wir im Folgenden prüfen. Als Datenbasis für unsere Analyse greifen wir auf die Eurobarometer-Umfrage Flash EB 151b „Globalisation“ mit insgesamt 7.515 Befragten aus dem Jahre 2003 zurück. Weil die Umfrage noch vor der EU-Erweiterung 2004 durchgeführt wurde, beschränkt sich unsere Analyse auf die „alten“ EU-15-Mitgliedsstaaten. Der ausgewählte Datensatz ist der einzige, der die persönliche Zustimmung zur Globalisierung direkt abfragt. Andere Eurobarometer-Umfragen enthalten lediglich einzelne Fragen nach den Auswirkungen der Globalisierung oder der Rolle der EU in diesem Prozess. Der verwendete Fragebogen enthält darüber hinaus einige weitere Fragen zum Thema Globalisierung, die wir für die Erklärung von Globalisierungseinstellungen benutzen können.Footnote 4

Die Einstellung der Bürger zur ökonomischen Globalisierung lässt sich mit folgender Frage sehr gut operationalisieren: „Globalisation is the general opening-up of all economies, which leads to the creation of a truly world-wide market. Are you personally totally in favour, rather in favour, rather opposed or totally opposed to the development of globalisation?“ Die der eigentlichen Frage vorangestellte Erläuterung richtet den Fokus des Verständnisses von Globalisierung eindeutig auf die wirtschaftlichen Aspekte dieser Entwicklung und insbesondere auf die Schaffung eines weltweiten Marktes und entspricht damit sehr genau den Vorstellungen der EU im Hinblick auf eine ökonomische Globalisierung. Insofern scheint uns die Frage sehr gut geeignet zu sein, die Einstellungen zur wirtschaftlichen Globalisierung zu operationalisieren.

Abbildung 1 fasst die Zustimmungen der Bürger in 15 europäischen Ländern zu einer ökonomischen Globalisierung zusammen. Rund 62 % der befragten EU-Bürger unterstützen die Entwicklung einer ökonomischen Globalisierung. Von 62,45 % sind ein Anteil von 47,95 % „eher dafür“ und 14,5 % „absolut dafür“. Auf der anderen Seite sind von den 28,36 % der Befragten, welche den Globalisierungsprozess tendenziell negativ bewerten, lediglich 8,01 % „absolut gegen“ eine ökonomische Globalisierung. Bis auf Griechenland gibt es in allen Ländern eine Mehrheit von Personen, die dem Prozess der Globalisierung positiv gegenüber eingestellt sind. Insgesamt gilt also, dass die Mehrheit der Bürger eine Öffnung der Märkte unterstützt. Bedenkt man, mit welcher Skepsis ökonomische Globalisierungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit beobachtet und kommentiert werden und in welchem Maße negative Effekte der Globalisierung – Arbeitsplatzverluste, Zunahme sozialer Ungleichheit, Verlust von nationaler Identität durch Zunahme von Migration, Kapital- und Steuerflucht in Niedriglohnländer oder Steueroasen – fokussiert werden, dann ist es schon überraschend, dass fast zwei Drittel der Bürger eine ökonomische Globalisierung eher befürworten als ablehnen.Footnote 5

Abb. 1
figure 1

Zustimmung zur ökonomischen Globalisierung in 15 Ländern der EU (in %)

Zugleich fallen die Unterstützungsraten in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich aus. Dabei haben die Bürgerinnen und Bürger der Niederlande (77,8 % Zustimmung), Deutschlands, Finnlands, Italiens, Portugals und Irlands (67–70 % Zustimmung) die positivste Einstellung zur Globalisierung. Griechenland ist das einzige Land, in welchem die Bevölkerung gegenüber der Globalisierung mit 47,4 % Zustimmung gegenüber 50,8 % Ablehnung mehrheitlich negativ eingestellt ist. Spanien (50,1 %) und Österreich (50 %) zeichnen sich ebenfalls durch eine vergleichsweise geringere Anzahl von Globalisierungsunterstützern aus.Footnote 6

Versucht man die Länderunterschiede zu interpretieren, so findet sich auf den ersten Blick kein klar erkennbares Strukturmuster: Weder gruppieren sich die Länder in ihrer Unterstützung für den Globalisierungsprozess nach reichen und vergleichsweise ärmeren EU-Ländern, noch lässt sich erkennen, dass Wohlfahrtsstaatsregime einen Einfluss auf die Zustimmungsraten haben, noch scheint die Größe eines Landes und damit die Abhängigkeit vom Welthandel einen Einfluss auf den Globalisierungsoptimismus zu haben.

4. Gewinner und Verlierer: Hypothesen zur Erklärung der Unterschiede in den Einstellungen zur Globalisierung

Wir hatten im letzten Kapitel gesehen, dass die Einstellungen zur ökonomischen Globalisierung zwischen den Ländern und zwischen den Individuen innerhalb eines Landes zum Teil beträchtlich variieren. Zur Beantwortung der Frage, wie man diese Unterschiede erklären kann, greifen wir auf ein allgemeines und zugleich einfaches Theorem zurück, das wir durch drei Gruppen von Bestimmungsfaktoren weiter spezifizieren. Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die durch Globalisierungsprozesse benachteiligt werden, sich eher gegen eine ökonomische Globalisierung aussprechen als diejenigen, für die dies nicht gilt. „Benachteiligung“ kann sich auf drei unterschiedlichen Ebenen manifestieren, die wie drei konzentrische Kreise einen jeweils unterschiedlichen Radius haben.

Den engeren Kreis bilden die subjektiven Einschätzungen der Befragten, in welchem Maße der Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung ihnen Nachteile bzw. Vorteile bringen wird. Dabei unterscheiden wir zwischen der Einschätzung der individuellen und der volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteile. Den zweiten Kreis bildet die objektive Lage des Befragten, die dieser in der Sozialstruktur seines Landes einnimmt. Wir gehen davon aus, dass mit bestimmten Lagen im Hinblick auf den ökonomischen Globalisierungsprozess eher Vorteile, mit anderen eher Nachteile verbunden sind. Wir werden entsprechend prüfen, in welchem Maße die Berufsposition und die Bildung des Befragten die Einstellungen zur Globalisierung beeinflussen. Schließlich haben Individuen nicht nur subjektive Einschätzungen von Sachverhalten, sind nicht nur Positionsinhaber innerhalb einer Sozialstruktur, sondern sind eingebettet in die objektive Lage des Landes, in dem sie leben. Wir vermuten, dass die Makrokontexte einer Gesellschaft ebenfalls die Einstellungen zur Globalisierung beeinflussen, und gehen davon aus, dass eine hohe Arbeitslosigkeit und eine geringe Marktöffnung eines Landes zu einer verstärkten Ablehnung von Globalisierungsprozessen führen und vice versa. Die drei Theoreme werden im Folgenden Schritt für Schritt erläutert.

4.1 Subjektiv erwarteter Globalisierungsnutzen

Zur Begründung unserer ersten Hypothese nehmen wir Bezug auf die Wert-Erwartungs-Theorie, wie sie in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Sozialpsychologen Martin Fishbein (1963) eingeführt und dann in Zusammenarbeit mit Icek Ajzen zur „Theory of Planned Behaviour“ weiterentwickelt wurde (Fishbein/Ajzen 1975). Die Theorie von Fishbein und Ajzen möchte an sich keine Einstellungen, sondern die Handlungen von Menschen erklären. Das allgemeine Modell der Handlungserklärung sieht folgendermaßen aus: Eine Handlung einer Person wird am stärksten von der Handlungsintention der Person determiniert, welche wiederum auf zwei Dimensionen zurückgeführt werden kann: auf eine Einstellungskomponente und eine soziale Normkomponente. Personen intendieren, diejenige Handlung auszuführen, die sie (a) selbst positiv bewerten und von der sie (b) glauben, dass für sie bedeutsame Personen es positiv bewerten würden, wenn sie dieses Verhalten zeigen würden. Da wir Einstellungen von Befragten (in unserem Fall zur Globalisierung) erklären wollen, benötigen wir aus der Theorie von Fishbein und Ajzen nur den Teil aus der Kausalkette, der sich mit den Faktoren beschäftigt, die wiederum die Einstellungen erklären können.

Gemäß dem Wert-Erwartungs-Modell hängt die Einstellung einer Person gegenüber einem spezifischen Einstellungsobjekt wie z. B. „Globalisierung“ von dem positiven oder negativen Wert ab, den sie mit dem Einstellungsobjekt verbindet, und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der der jeweilige Wert eintritt. Je stärker negativ bewertete Attribute und je schwächer positiv bewertete Attribute mit einem bestimmten Einstellungsobjekt assoziiert werden, desto negativer ist auch die Einstellung gegenüber diesem Objekt. Die Einstellung gegenüber einem Einstellungsobjekt besteht also aus einer einfachen Produktsumme der Einstellungen (subjektive Wahrscheinlichkeiten, dass das Objekt X das Merkmal Y besitzt) und den Bewertungen dieser Merkmale. Bezeichnet man diese Produktsumme als „Nettonutzen“, so lässt sich zusammenfassen: Je größer der subjektiv erwartete Nettonutzen eines Einstellungsobjektes ist, desto positiver ist die Einstellung gegenüber diesem Objekt.

Da die subjektive Zuschreibung von Merkmalen zu bestimmten Einstellungsobjekten in keiner Weise den objektiven Tatsachen entsprechen muss, eignet sich dieses Modell besonders gut, um Einstellungen gegenüber komplexen Objekten zu erklären, hinsichtlich derer eine Person nur über unvollständiges Wissen verfügt und entsprechend nur annäherungsweise die tatsächlichen Auswirkungen eines Prozesses wie z. B. der Globalisierung einschätzen kann. Übertragen auf unseren Untersuchungsgegenstand erwarten wir auf der Grundlage des Wert-Erwartungs-Modells, dass ein größerer „Nettonutzen“ der Globalisierung mit einer positiveren Bewertung dieser einhergeht. Der von uns ausgewertete Datensatz ermöglicht es, zwei Dimensionen von Nettonutzen zu spezifizieren:

a) Die Befragten wurden zum einen gefragt, ob sie glauben, dass eine weitere Globalisierung für sie und die eigene Familie mehr Vorteile oder mehr Nachteile bringen wird. Wir bezeichnen diese Dimension als erwarteten individuellen Globalisierungsnutzen.

b) Die Interviewten wurden weiterhin gefragt, ob sie glauben, dass 1. Globalisierung für die Firmen ihres Landes eine gute Gelegenheit und 2. dass Globalisierung eine Bedrohung der Beschäftigung darstelle. Wir haben aus diesen beiden Fragen einen additiven Index (siehe Anhang) gebildet und bezeichnen diese Dimension als volkswirtschaftlichen Globalisierungsnutzen.

4.2 Sozialstrukturelle Lage der Befragten

Die Werterwartungstheorie steht im Widerspruch zu den Annahmen des klassischen Rational-Choice-Ansatzes, der nicht den subjektiven Einschätzungen von Nutzen, sondern dem objektiven Nutzen die stärkste Erklärungskraft zubilligt. Die realen Vor- und Nachteile von Individuen ergeben sich häufig aus deren Positionierung innerhalb der Sozialstruktur ihrer Gesellschaft. Von dieser Vermutung gehen wir auch im Hinblick auf die Einstellungen zur Globalisierung aus. Entscheidend scheinen hier vor allem das Bildungsniveau sowie die berufliche Stellung eines Individuums zu sein (Scheve/Slaughter 2006).

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Vorteile, welche aus der zunehmenden Marktliberalisierung als Folge der ökonomischen Globalisierung entstehen, asymmetrisch unter den Bewohnern eines Landes verteilt sind. Personen mit geringem Bildungsgrad und niedriger beruflicher Stellung werden von Globalisierungsprozessen weniger Vor- als Nachteile haben (Gabel 1998: 43 f.), und dies aus folgenden Gründen: Parallel zum Globalisierungsprozess hat die Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften zuungunsten der Nachfrage nach schlechter ausgebildeten Arbeitskräften zugenommen (Slaughter/Swagl 1997: 2). Diese Entwicklung wird von einer Steigerung der Arbeitslosenraten von schlechter ausgebildeten Arbeitskräften begleitet, wobei zwischen Ländern mit flexiblen und eher rigiden Arbeitsmärkten zu unterscheiden ist: In Ländern mit flexiblen Arbeitsregelungen, wie z. B. in den USA, hat dies zu einer Steigerung der Lohnspreizung zwischen besser und schlechter ausgebildeten Arbeitskräften geführt. In Ländern mit rigiden Arbeitsmärkten, wie z. B. Frankreich und Deutschland, resultierte dies hingegen in höheren Arbeitslosenraten für schlechter ausgebildete Arbeitskräfte (ebd.: 4). Auch gibt es Anzeichen dafür, dass die Reallöhne von schlechter ausgebildeten Arbeitskräften von der Auslagerung vor allem von arbeitsintensiver Produktion (Outsourcing) negativ beeinflusst werden, wohingegen höher ausgebildete Arbeitskräfte von diesem Prozess profitieren (Geishecker/Görg 2004). Es ist weiterhin zu erwarten, dass Kapitalbesitzer überproportional durch die Ausweitung von Anlagemöglichkeiten von der Liberalisierung des Kapitalmarkts profitieren. EU-Bürger mit vergleichsweise niedrigen Löhnen werden durch eine Kapitalmarktliberalisierung benachteiligt, da ihre Wohlfahrt primär von den Löhnen und Gehältern sowie staatlichen Transferzahlungen abhängt, die durch die Liberalisierung zunehmend gefährdet werden (Frieden 1991: 434).

All diese Faktoren lassen die Vermutung zu, dass schlechter ausgebildete Arbeitskräfte zu den Verlierern der Globalisierung gehören.Footnote 7 Zu den Gewinnern scheinen vor allem hoch ausgebildete Arbeitskräfte sowie Kapitalbesitzer zu gehören (Sinn 2004: 118). Wir operationalisieren die sozialstrukturelle Position eines Befragten mit Hilfe von zwei Variablen: der Bildung des Befragten (gemessen am Alter, in dem er oder sie die Ausbildung beendet hat) und der Berufsposition des Befragten, wobei die „manuell Tätigen“ die Referenzkategorie darstellen (siehe Anhang).

Die hier vermutete Wirkungsweise von Bildung und Berufsposition auf Globalisierungseinstellungen mag aber je nach Kontext, indem ein Individuum platziert ist, unterschiedlich ausfallen. Mit Bezug auf die Arbeit von O’Rourke (2003) vermuten wir, dass in reichen Ländern ein hohes Ausbildungsniveau und eine hohe berufliche Stellung einen positiven Einfluss auf die Einstellung gegenüber Globalisierung haben, in ärmeren Ländern sollte dagegen ein gegenteiliger Effekt vorzufinden sein. O’Rourke erläutert diesen Zusammenhang unter Rückgriff auf das Heckscher-Ohlin-Theorem beispielhaft für den Fall einer Wirtschaft mit lediglich zwei Gütern, in der sich die Länder ausschließlich durch ihre Ausstattung mit qualifizierten Arbeitskräften unterscheiden. Die verhältnismäßigen bzw. relativen Löhne sind – unter der Ceteris-paribus-Annahme – in Ländern mit einem hohen Qualifikationsniveau bzw. reichen Ländern niedriger als in Ländern mit geringerem Qualifikationsniveaus und einer höheren Gewichtung des Produktionsfaktors Arbeit. Dies führt dazu, dass die reichen Länder unter Ausnutzung ihres komparativen Kostenvorteils wissensintensive Güter herstellen und exportieren werden, wogegen ärmere Länder weniger wissensintensive und eher arbeitsintensive Güter herstellen werden. Werden nun Handelsschranken abgebaut, führt dies zu einer Angleichung der Faktorpreise: So steigt der relative Lohn wissensintensiver Produktion in reichen Ländern, wogegen er in ärmeren Ländern fällt. Die relativ häufigeren Produktionsfaktoren gewinnen so an realen Werten, während die selteneren an Wert verlieren. Gut ausgebildete Personen sollten daher in reichen Ländern Globalisierung im Sinne einer Marktöffnung unterstützen, wohingegen sie in ärmeren Ländern Globalisierung ablehnen sollten (ebd.: 6). Ob Bildung und Berufsposition in reichen und in armen Ländern einen unterschiedlichen Einfluss auf die Einstellungen zur Globalisierung haben, prüfen wir, indem wir in der multivariaten Analyse eine Interaktionsvariable, gebildet aus der Bildung des Befragten und dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, berücksichtigen.

4.3 Makroökonomische Situation des Landes

Auch die makroökonomische Situation eines Landes, in dem ein Befragter lebt, sollte unserer Annahme nach einen Einfluss auf seine Bewertung der Globalisierung ausüben, wobei insbesondere zwei Bestimmungsmerkmale in der Literatur diskutiert werden.

1. Wir gehen davon aus, dass die Arbeitslosenrate eines Landes einen Einfluss auf die individuelle Bewertung der Globalisierung hat. Wie wir bereits ausgeführt haben, besteht Grund zu der Annahme, dass der Prozess der Globalisierung vor allem in Ländern mit rigiden Arbeitsmärkten mit einer Steigerung der Arbeitslosenrate insbesondere für schlechter ausgebildete Arbeitskräfte einhergeht. Hohe Arbeitslosenraten sind dabei nicht nur negativ für die betroffenen Personen, sondern – durch steigende Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme sowie einen Verlust an Produktionsleistung – auch für die gesamte Volkswirtschaft und tangieren damit mittelbar alle Bürger. Die Arbeitslosenrate ist darüber hinaus ein maßgeblicher Wirtschaftsindikator. Sie wird in den Medien vielfach zitiert und ebenso häufig mit Globalisierungsprozessen in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht (Slaughter/Swagl 1997: 4). Wir erwarten deshalb, dass in Ländern mit einer hohen Arbeitslosenrate die Zustimmung zur Globalisierung geringer ausfällt als in Ländern mit niedriger Arbeitslosenquote. Wir haben entsprechend die Arbeitslosenrate zum Zeitpunkt der Erhebung der Eurobarometerumfrage (2003) in der multivariaten Analyse berücksichtigt.

2. Die ökonomische Offenheit eines Landes im Sinne der Integration einer Volkswirtschaft in den Weltmarkt durch Handel und Kapitalströme sollte ebenfalls einen Einfluss auf die individuelle Globalisierungsbewertung haben. In welche Richtung dieser Einfluss wirkt, ist aber in der Literatur umstritten. Die Integration in den Weltmarkt beeinflusst Länder in vielerlei Hinsicht. Zunächst einmal profitieren Länder von den Gewinnen aus dem Außenhandel, was ein wichtiger Anreiz für den Aufbau von Handelsbeziehungen mit anderen Ländern ist und zur weiteren ökonomischen Globalisierung beiträgt (Koster 2007: 4). Weiterhin beeinflusst die Integration in den Weltmarkt die Politik von Regierungen, insbesondere bezüglich wohlfahrtsstaatlicher Sicherungsprogramme. So kann wirtschaftliche Offenheit zu einer Spaltung zwischen gut ausgebildeten und weniger gut ausgebildeten Arbeitern führen, da Letztere durch die gestiegene Mobilität von Produktionsfaktoren eher um den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchten müssen. Eine hohe Abhängigkeit vom Außenhandel kann weiterhin zu einer Unterminierung von nationalen Normen und sozialen Institutionen führen, da die Regierungen nicht mehr in der Lage sind, soziale Sicherung in ausreichendem Maße zu gewährleisten (Koster 2007: 4). An anderer Stelle wurde in diesem Zusammenhang argumentiert, dass viele Personen ein höheres Maß an Unsicherheit aufgrund von wirtschaftlicher Offenheit wahrnehmen (Blossfeld/Buchholz/Hofäcker 2006; Scheve/Slaughter 2004). Die Frage, ob die Offenheit einer Volkswirtschaft eher mit Vor- oder mit Nachteilen für die Bürger verbunden ist, ist also eine in der Literatur offene Frage. Wir haben entsprechend diesbezüglich keine gerichtete Hypothese formuliert. Die ökonomische Offenheit eines Landes haben wir in der multivariaten Analyse durch den sogenannten „KOF-Globalisierungsindex“ (Dreher 2006) operationalisiert, der verschiedene Indikatoren über die ökonomische und soziale Offenheit eines Landes enthält (siehe Anhang).

5. Empirische Prüfung der Hypothesen

Die von uns im letzten Kapitel begründeten unabhängigen Variablen lagern auf zwei unterschiedlichen Ebenen: auf der der befragten Individuen und auf der Ebene der Makrokontexte der Länder (Arbeitslosenrate und Offenheit der Volkswirtschaft). Um dieser Datenstruktur methodisch gerecht zu werden, ist eine Mehrebenenanalyse an sich das angemessene Verfahren. Diese haben wir in einem ersten Schritt auch durchgeführt. Die Ergebnisse, die hier nicht separat ausgewiesen werden, zeigen, dass der Einfluss der beiden Kontextvariablen nicht signifikant ist. Auch die Erklärungskraft des Modells erhöht sich nicht, wenn man zusätzlich zu den Individualvariablen die beiden Kontextvariablen berücksichtigt. Wir beschränken uns deswegen im Folgenden auf die Darstellung der Ergebnisse der einfachen Regressionsanalysen, die für den Leser auch besser nachzuvollziehen sind.

Zur Prüfung unserer Hypothesen haben wir insgesamt drei Regressionsmodelle berechnet (Tabelle 1). Die genaue Beschreibung der Variablen zur Operationalisierung der theoretischen Konstrukte findet sich im Anhang. Das Modell 1 überprüft den Einfluss des subjektiv erwarteten persönlichen sowie volkswirtschaftlichen Globalisierungsnutzens auf die Einstellung zur Globalisierung. Modell 2 überprüft, ob die beiden sozialstrukturellen Individualmerkmale – berufliche Stellung und Bildungsniveau – einen eigenständigen Effekt auf die Globalisierungseinstellung besitzen. Da wir davon ausgehen, dass die Wirkungsweise dieser beiden Faktoren je nach Wohlstand des Landes variiert, haben wir zusätzlich eine Interaktionsvariable (gebildet aus dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf des Landes und der Bildung des Befragten) in der Analyse berücksichtigt. Modell 3 enthält dann zusätzlich die beiden Makrovariablen.

Tabelle 1 Erklärung der Einstellung zur Globalisierung. Lineare Regressionen

Blicken wir zunächst auf unser Ausgangsmodell (Modell 1) in der zweiten Spalte von Tabelle 1. Wie vermutet, haben die subjektiven Nutzenerwartungen einen stark positiven und signifikanten Effekt auf die Einstellung zum Globalisierungsprozess. Je stärker Befragte glauben, dass eine weitere Globalisierung für sie und die eigene Familie Vorteile bringen wird, und je stärker sie glauben, dass auch die eigene Volkswirtschaft von der Globalisierung profitieren wird, desto höher ist der antizipierte Nutzen und desto stärker fällt die Unterstützung für den Globalisierungsprozess aus. Die Erklärungsmächtigkeit der beiden Variablen ist mit einer Varianzaufklärung von rund 25 % sehr hoch.

Modell 2 prüft, in welchem Maße die sozialstrukturellen Variablen Berufsstatus und Bildungsniveau einen Einfluss auf die Globalisierungseinstellungen haben. Die Erklärungskraft der beiden Variablen ist, wie man an dem R2 sieht, vernachlässigend gering. Von den Berufskategorien sind lediglich die „Angestellten“ etwas globalisierungsfreundlicher eingestellt als die Arbeiter. Der Effekt ist aber so gering, dass er kaum zu interpretieren ist. Das Bildungsniveau des Befragten, gemessen am Alter bei Beendigung der Vollzeitbildung, hat – entgegen der Erwartung, dass höher gebildete Personen eine positivere Einstellung zur Globalisierung besitzen – einen negativen Einfluss auf die individuelle Globalisierungseinstellung. Die Tatsache, dass die Interaktionsvariable – gebildet aus dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sowie dem Bildungsniveau – einen signifikant positiven Effekt auf die Einstellung zur Globalisierung besitzt, scheint die Annahme des Heckscher-Ohlin-Theorems zu stützen, dass Bildung und Berufsposition in reichen und in armen Ländern einen unterschiedlichen Einfluss auf die Einstellungen zur Globalisierung haben können.

In Modell 3 haben wir zusätzlich die beiden makroökonomischen Kontextvariablen berücksichtigt. Wie in der Mehrebenenanalyse zeigt sich auch hier, dass weder die Arbeitslosenrate noch der Grad der ökonomischen Offenheit eines Landes einen signifikanten Einfluss auf die individuelle Globalisierungseinstellung haben. Zudem werden die Bildungsvariable und die Interaktionsvariable in ihrem Effekt auf die Globalisierungseinstellung insignifikant, sodass – betrachtet man das Gesamtmodell – nur die individuellen Nutzenerwartungen die Einstellung zur Globalisierung erklären können.

Bilanzieren wir unsere Befunde mit Rückgriff auf unsere Hypothesen: Einstellungen zur Globalisierung werden nahezu ausschließlich durch die subjektiven Nutzenerwartungen der Bürger beeinflusst. Erwartet ein Befragter einen positiven Nutzen von der Globalisierung für sich sowie die heimische Volkswirtschaft, so geht dies mit einer positiven Bewertung der Globalisierung einher. Die Vermutung, dass schlechter ausgebildete Personen und Personen mit einem niedrigen sozialen Status, die potenziell zu den Verlierern der Globalisierung gehören, Globalisierungsbestrebungen eher ablehnen, kann nicht bestätigt werden. Und auch die Kontextfaktoren der Länder – Arbeitslosenrate und Offenheit der Volkswirtschaft – haben entgegen der theoretischen Erwartung keinen Einfluss auf die Globalisierungseinstellung der Bürger.

Wir haben unsere empirischen Analysen durch eine zusätzliche Auswertung ergänzt. Die Werterwartungstheorie legt nahe, dass die drei Variablengruppen in einer Kausalkette hintereinander gelagert sind, sodass die subjektiven Nutzenerwartungen die Globalisierungseinstellungen beeinflussen, sie aber wiederum durch die sozialstrukturellen Merkmale der Befragten beeinflusst werden. Wir haben entsprechend geprüft, in welchem Maße die Bildung und die Berufsposition des Befragten den subjektiv erwarteten Globalisierungsnutzen beeinflussen. Die Ergebnisse der Analyse sind im Pfaddiagramm in Abb. 2 dargestellt.Footnote 8

Abb. 2
figure 2

Einfluss der soziodemografischen Individualmerkmale auf die subjektiven Nutzenerwartungen

Die Analysen zeigen, dass Bildung und Berufsposition keinen signifikanten Effekt auf die Nutzenerwartungen der Bürger haben. Es bleibt damit bei dem Befund, dass die Globalisierungseinstellungen der Bürger allein von deren Nutzenerwartungen bestimmt werden, ohne dass diese selbst wiederum sozialstrukturell angebunden sind.

6. Zusammenfassung

Die EU verfolgt mit ihren Wirtschaftsvorstellungen und deren Implementierung durch konkrete Politiken das Ziel, Wachstum, Fortschritt und Prosperität für alle Bürger der Mitgliedsländer und für alle Weltbürger zu erzeugen. Dieses Ziel sieht die EU am besten erreichbar, wenn Wettbewerb, Marktbedingungen und die Liberalisierung wettbewerbsbehindernder Reglementierungen institutionalisiert werden. Dabei transportiert sie ihre Vorstellungen und Erfahrungen, die im Kontext der Herstellung eines europäischen Wirtschaftsraumes entwickelt wurden, auf die Weltgesellschaft insgesamt. Die Liberalisierung der globalen Märkte bringt Vorteile für alle beteiligten Akteure, so die Grundannahme des Wirtschaftsskripts der EU.

Ob diese Sichtweise von den Bürgerinnen und Bürgern der EU geteilt wird, haben wir auf der Grundlage einer Auswertung des Eurobarometers für 15 Länder der EU geprüft. Das Ergebnis ist überraschend: Über 62 % der befragten EU-Bürger unterstützen die Entwicklung einer ökonomischen Globalisierung. Bis auf Griechenland gibt es in allen Ländern eine Mehrheit von Personen, die gegenüber dem Prozess der Globalisierung positiv eingestellt sind. Angesichts der Skepsis, mit der ökonomische Globalisierungsprozesse in der massenmedialen Öffentlichkeit kommentiert werden, ist die hohe Zustimmungsrate zu einer ökonomischen Globalisierung im Sinne einer Marktliberalisierung erstaunlich. Dies mag die Frage provozieren, ob es sich bei unserem Ergebnis nicht um ein methodisches Artefakt handelt. Zum einen könnte man vermuten, dass die Frageformulierung zu unspezifisch ist, um die Unterstützung einer wirtschaftlichen Globalisierung im Sinne einer Markliberalisierung zu messen. Dieses Argument scheint uns nicht plausibel zu sein, da im Fragetext der Begriff Globalisierung relativ genau und im Sinne der EU-Vorstellung definiert wurde. Insofern scheint es sich bei dem von uns benutzten Indikator um eine valide Messung des theoretischen Konstruktes (Globalisierungsskript der EU) zu handeln. Auch der Einwand, das Antwortverhalten könnte ein Ausdruck der Reaktion auf Erwartungen sozialer Erwünschbarkeit sein, scheint uns nicht überzeugend zu sein. Die Diskussion der Nachteile von Globalisierungsprozessen ist ein fester Bestandteil der öffentlichen Debatte in allen Ländern der EU, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass die Zustimmung zu einer wirtschaftlichen Liberalisierung eine hegemoniale Position darstellt, an die man sich in der eigenen Meinungsäußerung in einer Umfrage anpassen muss.

Problematisch scheint uns der von uns benutzte Indikator aber im Hinblick auf die folgende Dimension zu sein: Wir messen die Zustimmung zur wirtschaftlichen Globalisierung auf einer recht allgemeinen Ebene und nicht auf der Ebene von konkreten Maßnahmen, die im Kontext einer wirtschaftlichen Globalisierung erfolgen können, wie z. B. die Öffnung von Arbeitsmärkten für ausländische Arbeitnehmer. Die Einstellungen zur Globalisierung kann bezüglich konkreter wirtschaftspolitischer Maßnahmen aber recht anders ausfallen, wie wir an anderer Stelle hinsichtlich der Frage der Öffnung der europäischen Arbeitsmärkte gezeigt haben (vgl. Gerhards 2008). Auch die massiven Proteste, die es gegen die Europäische Dienstleistungsrichtlinie, die sogenannte Bolkestein-Richtlinie, gegeben hat, die zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Dienstleistungsbereich beitragen sollte, kann man als Ablehnung konkreter Maßnahmen zur Herstellung von offenen Märkten interpretieren. Insofern muss man unseren Befund, dass die Zustimmung zu einer wirtschaftlichen Globalisierung bei den Bürgern Europas recht hoch ausfällt, einschränken und auf den Bereich der generalisierten Zustimmung zur Globalisierung beziehen.

Unsere Analysen haben auch gezeigt, dass die Unterstützungsraten in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich ausfallen. Während die Bürgerinnen und Bürger der Niederlande zu 77,8 % eine positive Einstellung zur ökonomischen Globalisierung an den Tag legen, sind es in Griechenland nur 47,4 %. Und auch die länderinternen Streuungen sind zum Teil erheblich. Zur Erklärung dieser Unterschiede sind wir von der Annahme ausgegangen, dass diejenigen, die durch Globalisierungsprozesse benachteiligt werden, sich eher gegen den Globalisierungsprozess aussprechen als diejenigen, für die dies nicht gilt. „Benachteiligung“ kann sich dabei in drei Dimensionen manifestieren. Auch unsere Kausalanalyse kann mit einem überraschenden Befund aufwarten. Zwar können wir die Einstellungen der Bürger zur Globalisierung recht gut erklären, allerdings spielen die für Soziologen im Zentrum stehenden Variablen dabei keine bzw. fast keine Rolle. Weder die makroökonomische Situation des Landes noch die sozialstrukturelle Lage des Interviewten haben einen nennenswerten Effekt auf dessen Globalisierungseinstellung. Die Haltung zur Globalisierung wird fast ausschließlich durch den subjektiv definierten Globalisierungsnutzen bestimmt. Nicht die „objektive“ Nutzenkalkulation, die man aus der Struktur des Landes und der Position des Individuums in der Sozialstruktur ableiten kann, bestimmen die Einstellungen zur Globalisierung, sondern allein die durch das Individuum definierten Nutzenerwägungen. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt Steffen Mau in seiner Untersuchung der Unterstützung bzw. Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft: „the self-characterization of personally benefiting from EU membership strongly shapes support for European integration. The explanatory power of this subjective evaluation exceeds the socio-economic determinants and seems to work, to a large part, independently of them. In other words, while ,subjective‘ winning and losing matters, it does not coincide with the ,objective‘ social position“ (Mau 2005: 307).

Nun sollte man auch bezüglich des von uns benutzten Erklärungsmodells diskutieren, ob wir es nicht eventuell mit einem Artefaktergebnis zu tun haben. Dass die aus der Sozialpsychologie abgeleiteten Faktoren des subjektiven Globalisierungsnutzens einen starken Einfluss auf die Globalisierungseinstellung der Bürger haben, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass hier die abhängigen Variablen und die unabhängige Variable recht nahe beieinander liegen, sodass Soziologen, ganz im Unterschied zu der etablierten Sozialpsychologie, vielleicht den Verdacht einer tautologischen Erklärung äußern würden. Auf jeden Fall ist es nicht sehr verwunderlich, dass der subjektive Globalisierungsnutzen einen kräftigen Einfluss auf die Globalisierungseinstellung hat. Erstaunlich ist es allerdings, und dies lässt sich nicht als Artefakt interpretieren, dass die „objektiven“ Faktoren gar keinen Einfluss auf den subjektiven Globalisierungsnutzen haben, wie das Pfadmodell gezeigt hat.

Personen scheinen unabhängig von ihrer objektiven Situation den Globalisierungsprozess vor allem dann zu unterstützen, wenn sie subjektiv der Meinung sind, dass dieser von Nutzen für sie und die heimische Volkswirtschaft ist. Nun kann man die von den Befragten definierten Situationsdefinitionen nicht einfach nur als reine subjektive Konstruktionen abtun. Spätestens seit dem berühmten und vielfach zitierten Theorem von William und Dorothy Thomas (1928: 572) „if men define situations as real, they are real in their consequences“ wissen wir, dass den individuellen Situationsdefinitionen und damit auch den Nutzendefinitionen eine reale Qualität zukommt, insofern sie die Handlungen von Menschen anleiten können. Die subjektive Zuschreibung von Merkmalen zu bestimmten Einstellungsobjekten ist aber besonders für sehr komplexe Einstellungsobjekte und für lebensweltlich ferne Themen von besonderer Relevanz. Bei solchen Themen können Menschen die tatsächlichen Auswirkungen nicht gut einschätzen. Die Merkmale „Komplexität des Themas“ und „Lebensweltferne“ scheinen für das Globalisierungsthema zuzutreffen. Es handelt sich um ein überaus komplexes Themengebiet; die realen Vor- und Nachteile, die mit Globalisierungsprozessen verbunden sein können, sind selbst unter Experten überaus umstritten. Und auch der Bezug zur alltäglichen Lebenswelt der Menschen ist nicht an und für sich gegeben. Ob z. B. die eigene Arbeitslosigkeit in irgendeiner Weise kausal mit der ökonomischen Globalisierung in Verbindung zu bringen ist, ist eine offene Frage und hängt entscheidend von kausalen Attributionsprozessen ab. Diese Ausgangskonstellation macht es möglich, dass sich die Einstellungen auch von der objektiven Lage der Sozialposition des Individuums und der des Landes entkoppeln können. Die Beeinflussbarkeit durch eine öffentliche Neudefinition der Situationen ist entsprechend hoch. Für deutungsoffene Themen gilt aber, dass den Massenmedien eine besondere Bedeutung in der Interpretation der Themen zukommt. Insofern könnte man schlussfolgern, dass die Europäische Union das aus ihrem Blickwinkel Richtige tut, wenn sie Broschüren und Verlautbarungen mit Titeln wie „Globalisierung als Chance für alle“ oder „Globalisierung als Chance nutzen“ herausgibt, um die Akzeptanz für ihr Globalisierungsskript zu erhöhen.