1 Einleitung

Die Finanzkrise vom Herbst 2008 bedeutet nicht nur eine Herausforderung für das globale Wirtschaftssystem, sondern auch einen Wendepunkt für die internationalen politischen Beziehungen. Das Symbol dieses Wendepunktes war der G20-Gipfel vom 15. November 2008: Die ökonomisch lange dominierende westliche Welt, also die Welt der G7-Länder, reklamierte die Hauptverantwortung zur Bewältigung der Krise nicht länger für sich. Nicolas Sarkozy, der amtierende Ratsvorsitzende der Europäischen Union, als Initiator und US–Präsident George W. Bush als Gastgeber des G20-Gipfels übertrugen die Verantwortung auf eine Vielzahl von Staaten mit stark gewachsenem ökonomischem Potential. Der Westen setzt dabei nun maßgeblich auf Unterstützung unter anderem von Brasilien, China, Indien, Saudi-Arabien und Südafrika. So war der G20-Gipfel das Symbol einer Entwicklung, die jüngst der südafrikanische Politikwissenschaftler Garth Le Pere mit der Bemerkung charakterisierte, die Kandidaten für die Erweiterung der G8 (G7 plus Russland) kämen besser ohne die G8 zurecht als umgekehrt.Footnote 1

Dass die Welt nun ihre Hoffnung eher auf die G20 zu setzen scheint, bedeutet zugleich, dass die Führungsrolle der G7/G8 sowohl wegen ihrer Zusammensetzung als auch wegen ihrer geringer werdenden Problemlösungsfähigkeit in Frage gestellt wird. Kritiker haben freilich seit Jahrzehnten immer wieder gegen die Politik der G7/G8 und insbesondere gegen ihre als Anmaßung wahrgenommene Selbstzuschreibung von weltweiter Zuständigkeit protestiert, und diese Proteste begleiten die Gipfeltreffen der heutigen G8 schon seit ihrer Gründung im Jahr 1976, als sie noch als G6 firmierte. Spätestens seit dem Gipfel 1998 in Birmingham, der geprägt war von der Kampagne „Jubilee 2000“ zugunsten eines Schuldenerlasses für afrikanische Staaten, ist diese nach wie vor allenfalls schwach institutionalisierte und betont informelle Einrichtung vollends zum Adressaten kontinuierlicher Proteste und zum alljährlichen Gegenstand medialer Aufmerksamkeit geworden. Einen Höhepunkt in Bezug auf Umfang und Intensität der Proteste stellte der Gipfel in Genua 2001 dar, in dessen Verlauf der Demonstrant Carlo Giuliani getötet wurde. Die auch in den Folgejahren nicht abreißenden Proteste und internationalen Kampagnen können als sichtbares Indiz für die Infragestellung der G8 bewertet werden. Vergleicht man die G8 mit anderen internationalen Institutionen, erscheint die Dauerhaftigkeit dieser politischen Mobilisierung sogar einzigartig. Ein zweites „Seattle 1999“ gegen die Welthandelsorganisation (WTO) gab es bisher nicht, und die Massenproteste gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank können mit Blick auf die nördliche Hemisphäre als Phänomen der 1980er Jahre bewertet werden. Die “Gruppe der Acht” (G8) hat sich mithin als Fokus internationaler Proteste etabliert.

Diese langjährige Protesttradition ebenso wie die aktuelle Delegation von Verantwortung an die G20 lassen sich als Anzeichen dafür werten, dass die G8 mit einem beträchtlichen Legitimationsproblem zu kämpfen hat. Aber kann man eine solche verallgemeinernde Feststellung auf Grundlage jener doch sehr eingeschränkten Öffentlichkeit – der Protestöffentlichkeit der Globalisierungskritiker – vornehmen? Weitere Indizien scheinen gefordert zu sein. Zweifellos erhält man einen besseren Überblick über die (mangelnde) Legitimität der G8, wenn man die mediale Berichterstattung in Augenschein nimmt. Mediale Kommunikation spielt für die G8 eine entscheidende Rolle: „Most of the world learns about the G8 through the media, overwhelmingly from the coverage of and at annual summits“ (Kirton 2006, S. 329). Wir untersuchen im Folgenden Medienöffentlichkeiten in vier Ländern (Deutschland, Großbritannien, Schweiz, USA) für den Zeitraum von 1998 bis 2007 und wenden uns dabei insbesondere der meinungsführenden Qualitätspresse zu, die für ihre jeweilige Medienlandschaft eine „Vorbild- und Anregungsfunktion“ hat (Habermas 2008, S. 176).

Neben der Frage, ob die G8 eher als legitim oder nicht legitim betrachtet wird, interessieren uns besonders die Gründe, die diesen Betrachtungen zugrunde liegen. Die Argumente der jährlich wiederkehrenden Proteste wie auch der wissenschaftlichen Literatur (Dobson 2007, S. 81–93) vor Augen sollte man annehmen, dass ein zentrales Problem der G8 in ihrer Exklusivität besteht, die sowohl andere Staaten als auch die Zivilgesellschaft daran hindert, an der Weltpolitik zu partizipieren. Würde die G8 vor allem in diesem Sinne als „Club der Reichen und Mächtigen“ (FAZ vom 3.6.2007) kritisiert, könnte man in Anlehnung an die Literatur zur Legitimationsforschung (z.B. Scharpf 1999; Keohane 2008) von einer Legitimationskrise sprechen, die sich auf die „Input“-Dimension demokratischer Politik bezieht. Gleichzeitig wird aber auch die mangelnde Transparenz der Agenda-Gestaltung und des politischen Prozesses sowie die Abgeschiedenheit der festungsgleichen Orte kritisiert, an denen die Gipfel stattfinden. Schlüge sich diese Kritik auch in der veröffentlichten Meinung massiv nieder, käme das einer Krise in Bezug auf die Verfahren („Throughput“) gleich. Die „Output“-Dimension schließlich – also die Problemlösungsfähigkeit der G8 – wurde bislang weniger häufig thematisiert als die beiden anderen Dimensionen der Legitimitätsfrage. Die G8 wurde, wie auch die wissenschaftliche Literatur konstatiert, vor allem wahrgenommen als „unelected seemingly unaccountable grouping […] without any legal basis or criteria for membership. […]. It is this lack of legitimacy and transparency that is probably the most common criticism that has been made of the G8“ (Dobson 2007, S. 81f.). Insofern müsste eine Legitimationskrise der G8 in Bezug auf ihre Problemlösungskapazität, wie sie sich in der gegenwärtigen Finanzkrise andeutet, ein relativ neues Phänomen sein.Footnote 2

Allerdings zeigt die im Folgenden dargestellte Analyse der Qualitätspresse über einen Zeitraum von zehn Jahren ein Bild, das die Ausgangsannahme einer Legitimationskrise bestätigt, nicht aber die Vermutungen über die Begründungen dieser Kritik. Die Qualitätspresse in Deutschland, Großbritannien, der Schweiz und den USA missbilligt nur in vergleichsweise geringem Ausmaß die fehlende Repräsentativität und Intransparenz der G8. Im Zentrum der Kritik stehen vielmehr über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg der Showcharakter und die wenig überzeugenden Ergebnisse der Gipfelveranstaltungen. Während man im alten Rom das Volk durch Brot und Spiele zu beruhigen versuchte, erscheinen die G8-Gipfel der Gegenwart gewissermaßen als Spiele ohne Brot. Was sich die G8 also heute, im Angesicht der Finanzkrise, zusehends selbst eingesteht, nämlich die Probleme der Welt nicht allein lösen zu können, beherrscht den G8-Diskurs der veröffentlichten Meinung schon seit geraumer Zeit.

2 Medienresonanz

Die Gipfeltreffen der G8 sind der „sichtbare“ Teil des G8-Prozesses. Die Treffen sind für die Staats- und Regierungschefs eine gute „photo opportunity“ (Guardian vom 5.6.2003), woran z. B. der überdimensionale Strandkorb in Heiligendamm 2007 und die gemeinsame Pflanzung von Bäumen auf Hokkaido 2008 im Zeichen des Klimawandels erinnern. Die Gipfeltreffen lassen sich also von Seiten der Politik wie der Medien besonders gut als Ereignis inszenieren (Couldry et al. 2009; Hepp 2004), weshalb es nicht überrascht, dass die Intensität der Berichterstattung in den vier Untersuchungsländern um die Gipfeltage herum stark ansteigt. Berichte über die Ergebnisse der Ressortministertreffen, die den Gipfeln zeitlich vorgelagert sind, finden dagegen eine sehr geringe öffentliche Aufmerksamkeit. Wir konzentrieren unsere Untersuchungen deshalb auf einen Zeitraum von jeweils zehn „Zeitungstagen“ um die Gipfeltreffen von 1998 bis 2007.Footnote 3

In jeweils zwei Qualitätszeitungen unserer vier Untersuchungsländer Deutschland, Großbritannien, Schweiz und USAFootnote 4 wurden alle Aussagen erhoben, die sich als Bewertungen der G8 als Regime, des G8-Führungspersonals oder der materiellen G8-Politik (ihrer „Policies“) interpretieren lassen.Footnote 5 Das erste Ergebnis der Analyse ist, dass die G8 in den Medien regelmäßig zum Gegenstand sowohl von legitimierenden als auch delegitimierenden Aussagen wird; sie wird also häufig anhand von Legitimationskriterien bewertet und kann somit nicht als „a-legitim“ gelten (Steffek 2007, S. 109). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Anzahl der bewertenden Aussagen nach Land und Jahr.

Tab. 1 Bewertungsaussagen nach Land und Jahr

Für den Gesamtzeitraum von zehn Jahren konnten in den vier untersuchten Ländern insgesamt 2076 bewertende Aussagen identifiziert werden. Für jede Aussage wurde der Bewertungstyp unterschieden (G8 als gesamtes Regime, das G8-Führungspersonal oder einzelne Politikmaßnahmen der G8). Des Weiteren wurden für jede Aussage die Sprecherin, der thematische Kontext, die positive oder negative Ausrichtung der Bewertung sowie das verwendete Evaluationskriterium (Bewertungs-, Legitimationsmuster) analysiert.Footnote 6

Im Ländervergleich ist die bewertende Darstellung der G8 in Deutschland und Groß britannien insgesamt am meisten verbreitet, während sie in den USA und der Schweiz weniger häufig ist. Die geringere Zahl an bewertenden Aussagen in der Schweiz lässt sich durch die reine Beobachterposition des Landes als Nicht-Mitglied der G8 erklären. Die Aufmerksamkeit der Schweizer Medien – gemessen an der Zahl dieser Legitimationsaussagen – stieg jedoch mit dem Gipfel in Évian 2003, der von grenzüberschreitenden Protestaktionen der globalisierungskritischen Bewegung begleitet war. Umgekehrt ist eine naheliegende Erklärung für die geringe Verbreitung bewertender Aussagen in den USA die Mitgliedschaft des Landes in einer Vielzahl internationaler Institutionen und Bündnisse. Die Tatsache, dass die Mitgliedschaft in der G8 für die USA nur eine unter vielen ist und im Vergleich zu den europäischen Mitgliedsstaaten eine geringere Bedeutung hat, dämpft offensichtlich die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit für die jährlichen G8-Gipfel.

3 Warum kann von einer Legitimationskrise der G8 gesprochen werden?

Möchte man etwas über die mediale Akzeptanz der G8 erfahren, kann als Indikator der Anteil positiver Bewertungen in unserem Material herangezogen werden. Von einer Akzeptanzkrise sprechen wir im Folgenden dann, wenn wenigstens zwei Drittel aller Bewertungsaussagen negativ sind. Eine solche Krise lässt sich für die G8 konstatieren: Von den 2076 identifizierten Aussagen sind etwa 70 Prozent negativ. Die Bewertungen der G8 lassen sich allerdings auch differenzierter einordnen. David Easton (1965, 1975) folgend unterscheiden wir zwischen Bewertungen der G8 als Gesamtregime, ihres wechselnden Führungspersonals und ihrer Policies. Diese Bewertungstypen unterscheiden sich nach Häufigkeit wie nach dem Urteilstenor der Aussagen, die sich auf sie beziehen: 58,3 Prozent aller Bewertungen entfallen auf die G8 als Regime, 35,9 Prozent auf ihre materielle Politik und nur 5,8 Prozent auf ihr Führungspersonal. Abbildung 1 dokumentiert den Urteilstenor der verschiedenen Bewertungstypen. Dabei zeigt sich, dass die G8 als Regime am kritischsten beurteilt wird (76 Prozent negativ), gefolgt von Bewertungen ihrer Politik (64 Prozent). Die – vergleichsweise wenigen – Aussagen über das Führungspersonal bilden insofern eine Ausnahme, als sie mehrheitlich positiv sind (nur 44 Prozent negative Bewertungen).

Abb. 1
figure 1

Bewertungstypen und ihr Urteilstenor

Es scheint uns von zentraler Bedeutung, dass die Bewertungen der G8 als Gesamtregime im Verhältnis zu den anderen Bewertungstypen sehr negativ ausfallen. Denn man kann – wiederum in Anlehnung an Easton (1965, 1975) – der Negativbewertung eines Regimes stärkere Krisenhaftigkeit zuschreiben als einer bloßen Negativbewertung seines Führungspersonals oder seiner Politik. Der Grund hierfür besteht darin, dass die Kritik eines Regimes, also der Grundprinzipien und institutionellen Basisstrukturen einer politischen Ordnung, eine Infragestellung seiner Legitimität und damit seiner Existenz bedeutet, wohingegen Kritik an materieller Politik oder Personal durch eine Änderung von Policies oder einen Austausch des Personals aufgefangen werden kann. Die extreme Negativbewertung des Regimes G8 (d. h. wenigstens zwei Drittel aller Aussagen sind negativ) ist einer der beiden Gründe dafür, dass wir nicht nur von einer Akzeptanzkrise der G8, sondern von einer verschärften Form von Krisenhaftigkeit – einer Legitimationskrise – sprechen.

Der zweite Grund ist die kontinuierliche und starke Legitimationsschwäche des Regimes G8 über einen langen Zeitraum hinweg, wie sie Abb. 2 illustriert. Tatsächlich waren in neun von zehn Jahren mehr als zwei Drittel der Aussagen über die Legitimität der G8 auf der Regime-Ebene negativ. Nur im Jahr 2005 anlässlich des Gipfels von Gleneagles lag der Anteil kritischer Bewertungen sehr knapp unter diesem Schwellenwert (bei 66,2 Prozent). In diesem Jahr wurde die G8 vergleichsweise gnädig bewertet, weil Gleneagles von vielen Beobachterinnen als ernsthafter Beitrag zur Bewältigung des Schuldenproblems der Entwicklungsländer gewertet wurde. In den Folgejahren wurde hingegen oft kritisiert, dass sich die von Gleneagles ausgehenden Hoffnungen nicht erfüllt hätten.

Abb. 2
figure 2

Anteil der negativen Aussagen im Zeitverlauf

Im Folgenden blenden wir die Bewertungen materieller Politik und des Führungspersonals der G8 aus. Im Mittelpunkt stehen also ausschließlich die Bewertungen des G8-Regimes und damit die eingehendere Untersuchung dessen, was wir als Legitimationskrise der G8 bezeichnen. Zunächst können wir feststellen, dass die Häufigkeit bewertender und der Anteil kritischer Aussagen von Gipfel zu Gipfel oft stark variieren. Mögliche Erklärungen dafür ergeben sich aus dem wahrgenommenen Erfolg oder Misserfolg, der Ortswahl und – damit verbunden – der Protestintensität gegen einzelne Gipfel. Die letzten beiden Spalten der Tab. 2 illustrieren die Verbreitung und das Ausmaß der Legitimitätskritik im Zeitverlauf und verdeutlichen so die Besonderheiten einzelner Gipfel.

Tab. 2 Protestintensität, Anzahl bewertender und Anteil kritischer Aussagen (1998–2007)

So wurden der Kölner Schuldengipfel 1999 und seine thematische Fortführung in Gleneagles 2005 vergleichsweise positiv bewertet. Der Gipfel von Genua 2001 erreicht ein höheres, wenn auch keineswegs das höchste Niveau der Kritik an der Legitimität der G8. Die schärfste Kritik der Qualitätspresse zogen die schwer zugänglichen Gipfel in Kananaskis 2002, Évian 2003 und Sea Island 2004 auf sich. Bereits die Austragungsorte dieser Gipfel symbolisieren für viele Kritikerinnen die Unerreichbarkeit der versammelten Staats- und Regierungschefs. Nur bei einem Gipfel, Heiligendamm 2007, stehen sich hohe Öffentlichkeitswirkung (eine Vielzahl von Bewertungsaussagen) und ein vergleichsweise positiver Urteilstenor über das Ereignis gegenüber. Bemerkenswert ist, dass es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Intensität des Protests und dem Ausmaß der Berichterstattung und der Kritik in der Presse gab: Tab. 2 zeigt, dass Protestintensität und Stärke der medialen Kritik an der Legitimität der G8 bisweilen gleichgerichtet sind (so etwa in Genua und v.a. Évian), bisweilen indes auch nicht (so etwa – mit umgekehrten Vorzeichen – auf Okinawa und Sea Island).

4 Fehlende Unterstützung: Wer verteidigt und wer kritisiert die G8?

Die Teilnehmerinnen an evaluierenden Diskursen über die G8 haben wir in vier größere Gruppen von Sprecherinnen zusammengefasst: Journalistinnen selbst, Akteurinnen der nationalen Politik, Vertreterinnen internationaler Organisationen (darunter die G8-Vorsitzenden) und zivilgesellschaftliche Akteurinnen (darunter v.a. NGO-Vertreterinnen). Mit weit über der Hälfte aller Aussagen (60,2 Prozent) sind Journalistinnen wie erwartbar die wesentlichen Gestalterinnen der Debatten zum G8-Regime. Die zweitgrößte Gruppe stellen mit etwa einem Viertel aller Aussagen über die Legitimität der G8 (28,6 Prozent) zivilgesellschaftliche Akteurinnen (10,9 Prozent entfallen dabei allein auf Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen). Sprecherinnen aus der Zivilgesellschaft verfügen demnach über eine deutlich wahrnehmbare Stimme in der Qualitätspresse. Wie mit ihren Anliegen in den Medien umgegangen wird, ist auch ein Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Analyse von Protestereignissen. So haben Dieter Rucht und Simon Teune im Zusammenhang mit dem Gipfel in Heiligendamm 2008 herausgefunden, dass die von ihnen aufgestellten Qualitätskriterien eines demokratischen Journalismus in Bezug auf die Protestanliegen weitestgehend unerfüllt blieben (Rucht u. Teune 2007). Die drittgrößte aggregierte Sprecherinnengruppe über alle Länderdiskurse hinweg ist die der jeweiligen nationalen Politikerinnen mit nur noch 8,8 Prozent. Sprecherinnen, die internationale Organisationen vertreten, finden sich vergleichsweise selten (2,4 Prozent). Wenig überraschend beurteilen die vier Sprecherinnengruppen die G8 sehr unterschiedlich, wie Abb. 3 zeigt.

Abb. 3
figure 3

Verteilung der Sprecherinnengruppen und Urteilstenor

Nach den Analysen von Bennett et al. (2004) über das World Economic Forum wäre zu erwarten, dass die berichtenden und kommentierenden Journalistinnen eher die Selbstdarstellung der zentralen Akteurinnen eines Gipfeltreffens übernehmen als die Wertungen der Protestgruppen. Doch nur rund zwanzig Prozent der G8-Evaluierungen von Journalistinnen fallen positiv aus. Nur zivilgesellschaftliche Akteure urteilen noch kritischer. Die seriöse Presse tritt trotz des Verfehlens bestimmter Standards demokratischer Berichterstattung weithin kritisch auf, während die Vertreterinnen der nationalen und internationalen Politik die G8 deutlich häufiger legitimieren. Bei den positiven Aussagen dieses Sprecherinnentypes handelt es sich überwiegend um Selbstlegitimationen G8-naher Politikerinnen, wie die folgenden zwei Beispiele verdeutlichen:

On the ‚frequently asked questions‘ page of the British government’s G8 website, an imagined seeker asks: ‚What legitimacy does the G8 have?‘ Good question, Sir Nigel. And the answer? ‚G8 countries are represented at the summit at the level of heads of state or government: these individuals have been democratically elected to lead the governments of their countries‘ (Guardian vom 7.7.2005).

Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul verteidigt die G8 2007 in Bezug auf die Afrikapolitik mit den folgenden Worten: „Vieles von dem, was sie [die Demonstrantinnen] oder manche Nichtregierungsorganisation fordern, ist genau das, was wir auf dem Gipfel für Afrika tun“ (FAZ vom 4.6.2007). Die G8 steht also einer kritischen „vierten Gewalt“ – den Medien – und einer kritischen Zivilgesellschaft gegenüber, während Vertreterinnen der sie tragenden institutionalisierten Politik vor allem lobende Worte für das Regime übrig haben.

Nachdem wir nun das Feld der Legitimationskommunikation über die G8 grob abgesteckt haben, wollen wir genauer darstellen, aus welchen Gründen die G8 mit einer Legitimationskrise zu kämpfen hat. Wir betrachten dabei nacheinander die Dimensionen der Input-, der Throughput- (oder Verfahrens-) und der Output-Legitimität und nehmen dabei insbesondere die drei mutmaßlich größten Legitimationsprobleme – Repräsentation, Transparenz und Effektivität – unter die Lupe.

5 „World’s Most Exclusive Summer Camp?“ Input-Argumente im Legitimationsdiskurs

Wenn Legitimität in der wissenschaftlichen Literatur und wie im Fall der G8 auch seitens der Protestierenden diskutiert wird, dann stehen meistens Fragen im Zentrum, die den Kern demokratischer Ordnungen betreffen: Repräsentativität und Partizipationsmöglichkeiten der (Welt-)Bürgerinnen. Folgt man der Argumentation und Selbstbeschreibung der G8, so sind diese klassischen Input-Kriterien für die Legitimität der G8 erfüllt: Die Regierungen der Mitgliedsstaaten sind demnach durch demokratische Wahlen auf nationaler Ebene legitimiert, eine intergouvernementale Einrichtung aufzubauen und für gemeinsame Diskussionen und Vereinbarungen zu nutzen. Zudem erfolgt dieser Zusammenschluss vor dem Hintergrund eines gemeinsamen demokratischen Wertekanons, wie in den Abschlussdokumenten der G8 betont wird. Bereits im Gründungskommuniqué von Rambouillet 1975 wird die Legitimität der jährlichen Gipfeltreffen über einen solchen normativen Grundkanon freiheitlich-demokratischer Werte in den Mitgliedsstaaten (und auch über den sozialen und ökonomischen Fortschritt in diesen Ländern) begründet:

We came together because of shared beliefs and shared responsibilities. We are each responsible for the government of an open, democratic society, dedicated to individual liberty and social advancement. Our success will strengthen, indeed is essential to, democratic societies everywhere. The growth and stability of our economies will help the entire industrial world and developing countries to prosper.Footnote 7

Besonders deutlich ist die Selbstpräsentation der G8 als Forum auf nationaler Ebene gewählter und damit demokratisch legitimierter Politikerinnen in einer Sondererklärung in Reaktion auf die Proteste in Genua 2001 und den Tod des Demonstranten Giuliani: „It is of vital importance that democratically elected leaders, legitimately representing millions of people, can meet to discuss areas of common concern.“Footnote 8 Die Legitimitätsbasis der G8 wird hier aus Wahlen auf der nationalen Ebene hergeleitet. Solange eine Legitimationskette existiere, die das Wahlvolk mit der fraglichen Einrichtung verbinde, könne diese – in einem eher juridischen Sinne – als legitim angesehen werden (vgl. Böckenförde 1991, S. 289–378). Legitimität wird so aus dem nationalstaatlichen Kontext in die internationale Sphäre übertragen.

Allerdings behandelt die G8 eine Vielzahl von Fragen, die nicht nur die nationalen Territorien ihrer Mitgliedsstaaten betreffen. Ihre Legitimationskette reißt ab, sobald sie ihrem Aufgabenverständnis nach Themen mit weltpolitischer Bedeutung und intensiven Wirkungen für eine große Zahl nicht beteiligter Staaten verhandelt. Daher stellt sich die Frage nach der Repräsentativität und dem Inklusionsgrad der G8 – zunächst auf Ebene der betroffenen politischen Gemeinschaft, die im Hinblick auf die behauptete globale Zuständigkeit der G8 als Weltzivilgesellschaft gedacht werden kann. Das Ziel, Gutes für alle – „[for] our people and [for] the wider world“Footnote 9 – zu verwirklichen, führt zu einer mangelnden Kongruenz zwischen der Gemeinschaft der Mitgliedsstaaten und der Weltzivilgesellschaft („Kongruenz-Dilemma“, vgl. DeBardeleben u. Hurrelmann 2008).

Das Repräsentativitätsproblem stellt sich ebenso auf der Ebene der Staaten. In der ursprünglichen Zusammensetzung der G6 vereinten sich westliche Staaten mit dem Ziel, ihre makroökonomischen Politiken in Krisenzeiten zu koordinieren. 1976 erfolgte die Aufnahme Kanadas, und 1998 wurde Russland mit Beschränkung auf den politischen Teil der G8 integriert. Zusätzlich nimmt die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch den EU-Ratspräsidenten als Beobachter, an den Gipfeltreffen teil. Mehr als dreißig Jahre nach der Gründung findet sich die G8 jedoch in einem multipolaren internationalen Kontext wieder, vor dessen Hintergrund sowohl die Aufnahme Russlands als auch die Nichtaufnahme prosperierender Staaten wie China oder Brasilien unter entweder demokratischen oder ökonomischen Gesichtspunkten fragwürdig erscheint.

Der investigative, G8-kritische Journalist George Monbiot beschreibt die Folgen dieser Repräsentativitäts- und Partizipationsdefizite, die im Widerspruch zur Argumentation der G8 stehen, wie folgt: „They [the G8] are the actors, we the audience“ (Monbiot 2003, S. 84). Die G8 als weltpolitische Akteurin steht einer weltweiten Zivilgesellschaft gegenüber, der nur die Rolle der Zuschauerin bleibt.

Die offenkundigste Kritik ist dabei die an der mangelnden Repräsentativität, die sich auch in der Berichterstattung über die G8 niederschlägt (34,9 Prozent der Input-Legitimationen). Meist wird die Club-Metaphorik verwendet, um die G8 als elitären Zirkel zu kritisieren. Mal wird die G8 als „erlauchte[r] Weltwirtschaftsclub“ (FAZ vom 18.5.1998) bezeichnet, mal als „Klub der westlich orientierten Demokratien“ (FAZ vom 8.6.2007), in dem die „Meister der Welt unter sich“ (SZ vom 2.6. 2003) sind, als „G8 Kings on tour. Never mind the poor“ (Tagesanzeiger vom 4.6.2007), „exclusive club of world leaders“ (Times vom 2.6.2007), „rich men’s club“ (Guardian vom 23.7.2001) oder auch verschwörungstheoretisch angehaucht als „Kungelrunde der Mächtigen und Reichen dieser Welt“ (FAZ vom 4.6.2003). Die Gipfel werden in Anlehnung an den Gründungsmythos als „Kaminkränzchen“ (SZ vom 7.7.2005) oder in englischer Entsprechung als „fireside chat“ (Guardian vom 23.7.2001) tituliert. Und mit Wendungen Und mit Wendungen wie „Stammtischrunden am Wochenende“ (FAZ vom 19.5.1998) oder gar „Politiker-WG“ (FAZ vom 20.7.2001) wird es dann ganz privat.

Dass die Bürgerinnen der Welt keine wie auch immer geartete Chance der Partizipation besitzen, wird nicht nur in der zitierten Aussage von Monbiot und den Club-Etikettierungen sichtbar, sondern auch in Hinweisen auf die Ausgeschlossenen – auf diejenigen also, die „von den Mächtigen draußen in Kananaskis eben nicht repräsentiert werden“ (FAZ vom 27.6.2002). Die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen, der Bürgerinnen oder Kritikerinnen an der G8 stellen in der Tat den häufigsten Kritikpunkt in der Dimension der Input-Legitimität dar. Das folgende Zitat bezieht sich kritisch auf den entlegenen Gipfel im kanadischen Kananaskis 2002: „Many protesters, however, were clearly angry about the distance between them and their leaders. ‚Kananaskis is a defensible fort‘, said T.G. Grafton, 27, of Vancouver Island. ‚If they come to a city where people lived and worked, they would be shut down‘ “ (WP vom 27.6.2002). Andere Pressekommentare konzentrieren sich auf die Repräsentativitätsproblematik im Rahmen der Staatenwelt: „Es sind ja nur die acht, die – mit Ausnahme Russlands – auf Grund ihrer wirtschaftlichen Potenz, nicht ihres eigentlichen geopolitischen Gewichts, an diesen exklusiven Rendez-vous teilnehmen. Wichtige Teilhaber der real existierenden multipolaren Welt fehlen“ (NZZ vom 21.7.2001). Oder: „Was die Welt aber wirklich braucht, ist ein Gipfel, der wesentlich mehr Staaten einschließt und der sich ausschließlich auf das Thema Globalisierung konzentriert“ (FAZ vom 16.5.1998).

Die G8 hat auf diese kritischen Einwürfe mangelnder Einbeziehung der globalen Zivilgesellschaft und der Regierungen anderer wichtiger Staaten mit einer so genannten Out-reach-Politik gegenüber ausgewählten politischen Bewegungen (NGOs) und einigen (allen voran afrikanischen) Nichtmitgliedsstaaten reagiert. Hinter dem Begriff „Outreach“ steht der Versuch, eine Zwischenlösung für die Erweiterung der G8 zu finden, die im Zuge sich verändernder weltwirtschaftlicher Bedingungen und Kräfteverhältnisse immer dringlicher erscheint. Dabei geht es vor allem um die Einbeziehung der fünf aufstrebenden Schwellenländer China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika.Footnote 10 Gerade im Hinblick auf die Legitimationserwartungen an die G8 kann die Erweiterung des Gesprächskreises eine hohe symbolische Wirkung ausüben. Jedoch dürfte die nicht institutionalisierte Form der Einbeziehung sowie die Frage der Abgrenzung einer solchen zweiten, um die Kern-G8 angesiedelten Gruppe die Kritik nicht wirklich zum Verstummen bringen.Footnote 11

Ein weiterer Kritikpunkt, den man hätte erwarten können, wäre der Vorwurf einer Kompetenzanmaßung der G8 gegenüber der UNO, der Weltbank und dem IWF. Eine derartige Bewertung der Legitimationskonkurrenz zwischen global wirksamen Einrichtungen findet sich in den Medien aber kaum. Auch die Chance der G8-Länder, aufgrund der Stimmverteilung in den zentralen wirtschaftsbezogenen internationalen Organisationen und Regimes von Weltbank und IWF die Rolle einer Denkfabrik und Vorprogrammierungsinstanz für Entscheidungen dieser Institutionen zu spielen, steht nicht im Fokus der Kritik.

Das Input-Argument schlechthin, Volkssouveränität, belegt Platz zwei in der Gruppe der Input-Legitimationen (19,7 Prozent) und wird besonders häufig negativ gewendet. In der Begründung einer Agit-Prop-Aktion am Rande des Heiligendamm-Gipfels 2007 zieht ein Protestierender sogar eine historische Analogie zum Mittelalter: „We are trying to show the similarities between the kings of the dark ages and how the Group of 8 behave today, said […] a Danish student dressed as a monarch“ (NYT vom 3.6.2007). Aus Sicht einer unfreiwilligen „Gastgeberin“ im Jahr 2003 – Protestaktivitäten gegen den französischen Gipfel in Évian wichen auf das nahe Genf aus – kommt Micheline Calmy-Rey, damaliges Mitglied des Schweizer Bundesrats, zu einer ähnlichen Infragestellung der demokratischen Qualität der G8 wie der dänische Student, denn „sie [Calmy-Rey] hätte die anstehenden Probleme lieber mit Nichtregierungsorganisationen diskutiert als am G8, bei dem sie ‚gerade dieses Recht des Stärkeren, dieser undemokratische Zug‘ stört“ (TA vom 2.6.2003).

Ein ebenso häufiges Bewertungskriterium in den Mediendiskursen ist die Handlungsfähigkeit der G8 bzw. die Macht(-losigkeit) dieser Staatengemeinschaft. Viele der für die G8 verwendeten Etikettierungen sprechen von den „reich(st)en“, „mächtig(st)en“ oder „wichtig(st)en“ Staaten der Welt. Diesen Etikettierungen nach Weltrang steht indes eine große Zahl von delegitimierenden Aussagen gegenüber, die – wie das folgende Zitat veranschaulicht – gerade die mangelnde Handlungsfähigkeit der G8 kritisieren:

These talks, now known as the G-7, the G-8 or the G-Whatever, have become the ultimate BOGSAT (Bunch of Guys Sitting Around a Table). These talks are no longer about power. They are about the illusion of power, created and sustained in the summit’s press releases and wall-to-wall puffery (WP vom 13.5.1998).

Das Machtargument wird gelegentlich aber auch anders gewendet; Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist dann ein Zuviel an Macht. Die Zentrierung von Macht in der G8 als „Gruppenhegemon […], [der] auf marktwirtschaftlichen und liberaldemokratischen Prinzipien und multilateralen, konsensualen Entscheidungsverfahren beruht“ (Gstöhl 2005, S. 406) wird jedoch insgesamt selten und fast ausschließlich von Journalistinnen und Sprecherinnen aus der Zivilgesellschaft problematisiert. Wie auch immer angeeignete übergroße Machtfülle ist also kein zentrales legitimatorisches Problem der G8.

Interessanterweise fällt die Verwendung des vierthäufigsten Legitimationsmusters, der globalen Führungsqualität der G8 (13,0 Prozent der Input-Legitimationen), deutlich positiver aus als die Bezugnahmen auf Partizipation, Handlungsfähigkeit oder Volkssouveränität. Somit stellt ihre Führungsrolle eine der wenigen häufiger positiv wahrgenommenen Eigenschaften der G8 dar. Tony Blair als Vorsitzender des Gipfels in Gleneagles 2005 betont die Führungsrolle der G8 wie folgt:

It is in the nature of politics that you do not achieve absolutely everything you want to achieve. […]. We do not simply by this communiqué make poverty history. […]. But we do show how it can be done. And we do signify the political will to do it (WP vom 9.7.2005).

Die positive Bewertung dieser Eigenschaft scheint mit der oben beschriebenen Klage über die Handlungsunfähigkeit bzw. Machtlosigkeit der G8 im Widerspruch zu stehen. Während es sich jedoch bei der vergleichsweise positiv gesehenen Führungsrolle der G8 vor allem um die Fähigkeit handelt, Probleme zu benennen und auf die internationale Agenda zu setzen sowie internationale Organisationen zum Handeln zu ermuntern, akzentuiert die Klage über die Machtlosigkeit der G8 vornehmlich ihre wahrgenommene Unfähigkeit zur Umsetzung der eigenen Politiken.

Die hier vorgestellten Legitimationsaussagen mit Bezug auf Partizipation, Macht und andere Input-Argumente (zusammen 19,7 Prozent aller Legitimationsaussagen) spielen in der Bewertung der G8 zwar eine nicht unbedeutende, keineswegs aber die wichtigste Rolle. Unsere Ergebnisse zeigen überdies, dass die Input-Legitimität der G8 durchaus umstritten ist. Im Vergleich zur Häufigkeit von Argumenten, die sich auf die Legitimation durch Verfahren (Throughput) und die Ergebnisse der G8 (ihren Output) beziehen, sind die kritischen Verweise auf die Input-Dimension der G8 jedoch von untergeordneter Bedeutung. Es bleibt abzuwarten, ob die Verhandlungen mit den Outreach-Ländern und erste Schritte einer formalisierten Einbindung von NGOs als „cosmetic at best“ (Dobson 2007, S. 83) enden oder ernsthaft zu einer Verbesserung der Input-Legitimität führen können.

6 Nutzen oder Nachteil der Informalität? Throughput-Argumente im Legitimationsdiskurs

Die jährlichen Gipfel sind das medienwirksame Aushängeschild einer kontinuierlich gewachsenen G8-Architektur. Im Laufe der Jahre hat die G8 nicht nur die Agenda der jährlichen Treffen ausgeweitet und ihren Aktivitätsradius stetig erweitert, sondern auch auf institutioneller Ebene Anpassungen vorgenommen. Von diesem gewachsenen, differenzierten Unterbau der G8-Gipfel kann jedoch nicht auf einen hohen Institutionalisierungsgrad geschlossen werden. Im Hinblick auf die Legitimität der G8 ist ihr nach wie vor informeller Charakter aus mindestens zwei Gründen problematisch. Zum einen sind die Kriterien für das Handeln der G8 im Einzelfall nicht transparent und nachvollziehbar: Warum werden bestimmte Themen favorisiert und als dringlich angesehen? Warum werden bestimmte Staaten ermahnt, andere nicht? Wie kommt die G8 zu ihren Entscheidungen? Die G8 hat in ihrer Geschichte mehrfach gezeigt, dass sie ad hoc auf internationale Krisen und politische Bedrohungsszenarien reagieren kann, indem sie Ermahnungen oder Empfehlungen ausspricht, die internationale Agenda gestaltet und potentiell zuständige Organisationen zum Handeln ermuntert. Sowohl die Ergebnisse der Agenda-Setzung als auch die ad hoc-Interventionen der G8 auf den Gipfeln erscheinen solange beliebig, bis die Kriterien öffentlich benannt werden.

Zum zweiten ist der geringe Grad der Institutionalisierung auch auf einer räumlich-symbolischen Ebene problematisch, verfügt die G8 doch nicht einmal über ein Sekretariat. Es fehlt sogar eine zentrale Informationsseite im Internet.Footnote 12 Diese räumliche Unerreichbarkeit der G8 spiegelt sich im Slogan „this is what democracy looks like“ wider, der immer wieder in Sprechchören an den Sicherheitszäunen zur „roten Zone“ zu hören ist. Die Sicherheitszäune sind für die Protestierenden ein Symbol fehlender Bürgerbeteiligung und des Mangels an Transparenz. Zusammenfassend könnte aus diesen Problematisierungen der Throughput-Legitimität geschlossen werden, dass die Informalität der G8, die den Befürworterinnen gerade als eine Stärke gilt, im Legitimationsdiskurs zum Ausgangspunkt für Kritikerinnen der G8 wird.Footnote 13

Unsere Ergebnisse relativieren diese zirkulierenden Meinungen: Denn besonders auffällig ist, dass es im Mediendiskurs nicht vorherrschend um Verfahrens- und Entscheidungsfragen geht, deren Kritik sich aus der beschriebenen Informalität ableitet, sondern dass in vielen Pressetexten vor allem der Showcharakter der Gipfel negativ hervorsticht.Footnote 14 Davon zeugen bereits viele Etikettierungen. Die G8 erscheint z. B. als „carnival of debate“ (Guardian vom 12.6.2007), „annual gabfest“ (NYT vom 12.5.1998), „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ (SZ vom 2.6.2007), „pseudo-ökonomische[r] Wanderzirkus rund um den Globus“ (SZ vom 18.5.1998), „gigantische Theaterinszenierung von Macht und Geld“ (SZ vom 24.7.2001), „entspannte Party der Mächtigen“ (FAZ vom 9.6.2007) oder als „‚lobster and caviar‛ summit“ (Times vom 26.7.2000) oder „grand-scale summit jamboree“ (Guardian vom 23.7.2001). Einzelne Etikettierungen für die G8 betonen den medial inszenierten Charakter, wie „Medienshow“ (SZ vom 18.5.1998), „pompös inszeniertes, aber inhaltlich diffuses Medienspektakel“ (SZ vom 17.6.1999) oder „media circus“ (Times vom 21.7.2000).

Dieser erste, kritische Eindruck auf Basis der Etikettierungen der G8-Gipfel als bloßer Show verschärft sich mit Blick auf die Häufigkeit (34,0 Prozent der Throughput-Legitimationen) der fast immer kritischen Legitimationsaussagen zum Showcharakter in der Berichterstattung: So bildete der Birminghamer Gipfel 1998 den „idealen Hintergrund für einige schöne Fernsehbilder: Acht Freunde in englischer Parklandschaft“ (FAZ vom 18.5.1998), und in Heiligendamm 2007 war „[s]chon am zweiten Abend […] eigentlich alles besprochen: Klima, Afrika, Raketenabwehr. Die Weltwirtschaftsthemen hatten die Sherpas schon vor ‚Heiligendamm‘ geklärt. So gab es Zeit für eine entspannte Party der Mächtigsten der Welt im G-8-Gehege an der Ostsee“ (FAZ vom 9.6.2007). Und bereits 1999 resümierte ein Leserbrief: „25 Jahre Gipfel spiegeln die Entwicklung vom Kamingespräch zum Welt-Medienereignis wider. Besonders gut bekommen ist die Zeit der Veranstaltung nicht, denn immer mehr ersetzte die Schau die harte Politik“ (SZ vom 17.6.1999).

Die Fähigkeit, den Boden für Verhandlungen zu bereiten, ist das zweithäufigste Argument bei Legitimationsaussagen zum Politikprozess (21,3 der Throughput-Argumentationen). Es bildet gleichzeitig einen Sonderfall, da das Streben nach Ausgleich und Vermittlung, das konsensorientierte Verhandeln, deutlich häufiger positiv als negativ bewertet wird. Neben der globalen Führungsqualität ist dies eines der wenigen Legitimationsmuster, die mehrheitlich mit positiven Bewertungen verbunden sind. Es wird als besonderer Vorzug der G8 gesehen, als Forum einen weltweit einmaligen Raum für Diskussionen geschaffen zu haben. So bemerkt etwa der Guardian:

The annual meetings of the industrialised nations are part of a rudimentary system of governance for the planet. They allow the countries with the most money and economic capacity to try to reconcile interests, among themselves and between themselves and poorer countries, to co-ordinate policies at times of crisis, and, not least, to create a common rhetoric to project their agreements and to cover their differences (Guardian vom 18.5.1998).

Ähnlich positiv werden der argumentative Stil und der deliberative Charakter der G8 bewertet. In zwei Dritteln der insgesamt eher seltenen Fälle eines Rekurses auf eine Konzeption argumentationszentrierter Politik (nur 4,3 Prozent der Throughput-Argumentationen) wird das auf rationalen Konsens ausgerichtete Verhandeln im G8-Forum positiv bewertet. Tony Blair gehört in seiner Rolle als Vorsitzender der G8 im Jahr 1998 zu den Befürwortern dieser Eigenschaft und hebt in einem eigenen Artikel diesen deliberativen Charakter hervor:

Es ist mir sehr wichtig, dass bei dem G-8-Gipfel mehr als nur Geschwätz herauskommt. Bisher hat er sich als ein zuverlässiges Forum bewährt, in dem man Ideen zur Diskussion stellen, Kooperationspartnerschaften entwickeln und gemeinsames Handeln in für unsere Bürger wichtigen Fragen vereinbaren kann (NZZ vom 15.5.1998).

Die Glaubwürdigkeit der G8 stellt nach unserer Untersuchung den drittgrößten Bezugspunkt für Beurteilungen der Throughput-Legitimität dar (15,0 Prozent in dieser Kategorie). Sie wird sehr deutlich als fehlende Eigenschaft der G8 wahrgenommen; 85 von insgesamt 89 dieser Legitimationsaussagen fallen negativ aus. So kommt beispielsweise die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn für den Gipfel 2007 zu folgendem Ergebnis: „Das ist eine Wischiwaschi-Erklärung. Heiligendamm ist ein Scheinheiligendamm“ (SZ vom 9.6.2007). Noch drastischer klingt ein älteres Zitat aus dem Guardian: „The G8 are staying in their compounds but they are hypocritical and cynical, selling their guns, starting wars, detaining and torturing people and adding to the misery“ (Guardian vom 23.7.2001).

Ein weiterer Bezugspunkt für die Throughput-Legitimität in den Mediendiskursen betrifft die Agenda-Gestaltung, also die Themenwahl für die Gipfel, die im Regelfall weitestgehend durch die Sherpas ausgehandelt wird (13,8 Prozent). Die folgenden Zitate sehen sie überaus kritisch und stehen damit stellvertretend für die wenigen und überwiegend negativen Bewertungen der Themensetzung: „Die Gipfel sind, was die Inhalte betrifft, zu langweiligen Veranstaltungen geworden […]“ (SZ vom 20.7.2001), und „[v]ielleicht ist das ja wirklich die richtige Reihenfolge der Themen: erst Fußball und dann das Gipfelpalaver, das sich sowieso jedes Jahr wiederholt“. Der Birminghamer Gipfel wird als „ein Gipfel des Potpourri“ (FAZ vom 18.5.1998) bezeichnet. Der „katholische Christ Jürgen Rüttgers auf dem Kirchentag“ stellt mit seinen lobenden Worten eine der wenigen Ausnahmen dar, in denen die Themenwahl der G8 positiv bewertet wird: „Zuvor lobt er [Rüttgers] aber auch die Führer der G-8-Staaten. Wie Jesus fragten sich auch die Politiker, wie man den Hunger bekämpfen könne“ (FAZ vom 8.6.2007).

Explizite Verweise auf die Transparenz der G8 haben dagegen laut unseren Ergebnissen einen geringen Stellenwert (nur 6,5 Prozent der Verfahrensbeurteilungen). Dies ist insofern überraschend, als Transparenz zu den klassischen Throughput-Kriterien gezählt werden kann (vgl. Buchanan u. Keohane 2006) und somit eine häufigere Verwendung von Transparenz-Beurteilungen erwartbar gewesen wäre. Der Urteilstenor ist allerdings sehr negativ, 24 von 26 entsprechenden Aussagen sind delegitimierend. Ein Zitat aus der Washington Post fasst die Kritik in Bezug auf den entlegenen Gipfel auf Sea Island humorvoll zusammen: „No man is an island, but the world leaders assembled here come pretty close“ (WP vom 10.6.2004). In einer Reportage über zwei norwegische Demonstranten in Genua 2001 kommt ein Journalist der New York Times zu folgender Einschätzung: „To many here, the levers of power around the world are controlled by political leaders who meet in cloistered summits […]“ (NYT vom 22.7.2001). Und unter dem Titel „Bunte Verpackung ohne Inhalt/Fernsehbilder für die Welt“ meint ein engagierter Schreiber der FAZ über den Birminghamer Schuldengipfel unter englischem Vorsitz: „Was in Birmingham tatsächlich geschehen ist und beredet wurde, wird man nie erfahren“ (FAZ vom 18.5.1998). Bezugnahmen auf die Transparenz der G8 finden sich auch in manchen Etikettierungen in den Medientexten wieder. Mit Blick auf die Austragungsorte und die massiven Sicherheitsvorkehrungen werden die Gipfeltreffen beispielsweise als „defensible forts“ (WP vom 27.6.2002) oder, bezogen auf den Gipfel 2001, als „Festung Genua“ (FAZ vom 23.7.2001) beschrieben.

Die Ergebnisse zeigen, dass ihr informeller Charakter nur recht selten zum Ausgangspunkt für die Kritik an der Legitimität der G8 gemacht wird. Ihr Verhandlungsverhalten und die Bedeutung des Forums für ein auf rationalen Konsens zielendes Zusammenkommen haben sich als einzige eher positiv bewertete Eigenschaften herausgestellt. Jedoch ist die Rangfolge einzelner Legitimationsmuster insofern überraschend, als eher klassische Standards der Throughput-Legitimität, nämlich Transparenz und Deliberation, eine untergeordnete Rolle spielen. Bemerkenswert ist hingegen die Hervorhebung des Showcharakters der G8 sowohl in den Etikettierungen als auch in seiner Relevanz für die Kritik an der G8 insgesamt. Insofern muss ein Teilaspekt unserer Titelfrage – Spiele ohne Brot? – positiv beantwortet werden: Die G8 und ihr jährliches Auftreten auf der internationalen Bühne werden verstärkt als Spektakel der internationalen Politik wahrgenommen; das Gipfelregime gilt als „die ganze Komödie der Weltregenten“ (SZ vom 18.7.2001).

7 Mangel an Ergebnissen? Output-Argumente im Legitimationsdiskurs

Eingangs wurde vermutet, dass die G8 am wenigsten im Hinblick auf ihre Ergebnisse kritisiert wird und stattdessen Partizipation oder Transparenz, der (hegemoniale) Führungsstil und das Diskussionsverhalten der G8 (also die Input- und Throughput-Dimension) im Vordergrund der politischen Kommunikation über die G8 stehen. Sichtet man die Sekundärliteratur zur Frage der Problemlösungskapazität der G8, wird eine Divergenz von Bewertungsmaßstäben zwischen den Kritikerinnen und den Befürworterinnen sichtbar. Ein häufiges Argument ist, dass sich die Effektivität und Effizienz der G8 über den gesamten Einfluss der G8 im Laufe der Jahre bemessen lasse (vgl. Dobson 2007, S. 89ff). Man kann auch von „weichen Langzeiteffekten“ sprechen, die sich aus der Summe konkreter Versprechungen und politischer Willensbekundungen im Laufe der Zeit ergeben, aber weniger greifbar erscheinen als die konkreten Zusagen auf einzelnen Gipfeln. Dieser Argumentation folgend kann die G8 auch als „graue Eminenz“ der internationalen Politik oder als ein „internationaler Agenda-Initiator“ beschrieben werden.

Doch welche Aufgaben stellt sich die G8 selbst? Die vielen Zielformulierungen in den Abschlussdokumenten geben Aufschluss über eine globale Verantwortungszuschreibung der G8. So heißt es beispielsweise im Dokument von Birmingham 1998: „Our challenge is to build on and sustain the process of globalisation and to ensure that its benefits are spread more widely to improve the quality of life of people everywhere.“Footnote 15 Am Ende des Genueser Gipfels 2001 resümiert die G8: „[W]e discussed the most pressing issues on the international agenda.“Footnote 16 Die globalen Zielsetzungen und der zunehmend erweiterte Aktionsradius der G8 prädestinieren sie dazu, zum Referenzpunkt politischer Forderungen gemacht zu werden (vgl. Zürn et al. 2007). Genau das tun diejenigen NGOs und zivilgesellschaftlichen Netzwerke, die auf einen Dialog mit der G8 setzen. Dabei unterscheiden sie sich von jenen, die die G8 über „weiche Langzeiteffekte“ rechtfertigen. Die Trägerinnen der Kampagnen fordern „harte Fakten“, nämlich finanzielle Zahlungen am Ende eines Gipfeltreffens. Zugleich werden solche Kampagnen häufig auf konkrete Politikmaßnahmen bezogen, so dass wir mit Blick auf die Beteiligung von NGOs an den Protesten gegen die G8 erwarten, dass ihr Output als Beurteilungskriterium im Legitimationsdiskurs allenfalls dann relevant wird, wenn diejenigen Themen berührt sind, für die emanzipatorische und zivilgesellschaftlich ausgerichtete Gruppierungen stehen. Neben der christlich basierten Entschuldungskampagne „Jubilee 2000“ können Kampagnen wie „Make Poverty History“ und „Live 8“ aus dem Jahr 2005 zu den größten Aktionen mit Bezugnahme auf die G8 gezählt werden. Vor allem letztere dürfte durch ihre Konzerte unter Einsatz berühmter Persönlichkeiten im Gedächtnis geblieben sein. Aber auch NGOs wie Oxfam, die sich für weltweite Verteilungsgerechtigkeit einsetzen, oder die umweltpolitische NGO Greenpeace haben Expertinnengruppen aktiviert, die sich ausschließlich mit der G8 befassen.

Die Problemlösungsfähigkeit der G8 wird in den veröffentlichten Meinungen konstant als häufigster Referenzpunkt für Beurteilungen gewählt und durchgehend negativ bewertet, so dass sich die Legitimationskrise der G8 vor allem als eine dauerhafte Output-Krise manifestiert. Dies gilt sowohl für die als fehlend wahrgenommenen Errungenschaften einzelner Gipfel als auch in der Langzeitperspektive. Die Kritik an der Ergebnislosigkeit lässt sich mit einem Kommentar aus der Times 2001 zusammenfassen:

They [the G8] are pure conspicuous consumption, make-work for the ‚rich white trash‘ of international diplomacy. They yield vacuous communiques and mountains of unread paper. Their only substantive conclusion is ‚to meet again‘ (Times vom 20.7.2001).

Neben der Effektivität steht auch die Effizienz in Frage. So meint etwa ein Bürger: „Was mich am meisten aufregt: wie viel Geld diese G-8-Show verschlingt! Mit 100 Millionen Euro könnte man nun wirklich eine Menge guter Dinge für die Umwelt tun“ (SZ vom 2.6.2007). Andere etikettieren die G8 angesichts des exorbitant teuren Gipfels auf der japanischen Insel Okinawa als „the $500 million Group of Eight“ (Times vom 25.7.2000) und sprechen von einem „squandered summit“ (Times vom 25.7.2000).

Nach der Kritik an der Effektivität (mit 48,5 Prozent das häufigste Output-Legitimationsmuster) und Effizienz (16,3 Prozent) der G8 sind die ebenso überwiegend kritischen Bezugnahmen auf Gemeinwohlförderung (10,0 Prozent) und Verteilungsgerechtigkeit (7,3 Prozent) in den Mediendiskursen häufige Anknüpfungspunkte in der Dimension der Output-Legitimationen. Das folgende Zitat verbindet die Wahrnehmung eines Nord-Süd-Wohlstandsgefälles mit der Forderung nach Gemeinwohlorientierung der G8: „Die G-8 will so weiterwursteln wie bisher. Sie nährt damit den Verdacht, dass ihr an Eigeninteressen – politischem Einfluss und Zugang zu Rohstoffen – doch mehr gelegen ist als an einem ‚geretteten‘ Afrika“ (TA vom 9.6.2007). Ein Leserbriefschreiber empört sich im Hinblick auf die normativ hervorstechenden Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohlförderung besonders heftig:

Die Chefs der neuen Weltordnung mit ihrem Gigantonomie-Wahnsinn stoßen immer schneller an ihre Grenzen. Die Zielrichtung der neuen Machtverteilung ist eine beispiellose Egomanie. Turbokapitalismus um jeden Preis; Mensch und Umwelt bleiben auf der Strecke. Unterdessen stopfen sich die Herren der neuen Weltordnung ihre Taschen mit Blutgeld und lassen sich ihre Sicherheit vom Fußvolk (Steuergelder) vergolden. Der G-8-Gipfel ist ein dreistes Machtspektakel, und die Regie führen US-Super-Rüstungsdespoten. Reiche erhalten noch mehr Boni, und das Fußvolk bezahlt die Zeche bis zum Umfallen. Wer stoppt diese Machtpoker- und Verbrechensindustrie? (TA vom 5.6.2003).

Wenn in den veröffentlichten Meinungen ihre Innovationskraft als Argument benutzt wird, gilt die G8 oftmals als überholt, weil „[d]ie Gipfelgespräche […] von Jahr zu Jahr mehr zu einer Farce [wurden], weil sie zu einer bloßen Alibiveranstaltung für die Verlesung vorgefertigter Kommuniqués degenerierten“ (FAZ vom 18.5.1998). Bedeutsam ist, dass sich die Output-Beurteilungen in den Medientexten ebenfalls häufig auf die gesamte Architektur der G8 beziehen. Bemerkenswert ist jedoch auch, dass einzelne Politikmaßnahmen noch häufiger als das Gesamtregime zum Gegenstand von Output-Legitimationen werden. Tabelle 3 stellt die besondere Bedeutung der Policies für die Beurteilungen der Problemlösungskapazität der G8 im Vergleich zu den anderen beiden Legitimationsdimensionen und zu allgemein gehaltenen Beurteilungen dar. Bei letzteren ist das Regime der häufigste Bewertungstyp, gefolgt von den Legitimationsaussagen zur materiellen Politik.

Tab. 3 Prozentsatz der Bewertungstypen in den Legitimationsdimensionen

Da die Output-Dimension jedoch diejenige ist, in der Kritik an der G8 am häufigsten erfolgt, wenden wir uns im Folgenden einer Erklärung für die Rolle materieller Politik in dieser Dimension zu. Durch die Erweiterung ihrer Agenda verhandelt die G8 zunehmend soziale und politische Themen. Die G8-Afrikapolitik und der Schuldenerlass, Demokratie und Menschenrechte sowie Umweltpolitik gehören zu den Dauerbrennern der Gipfeltreffen. Die Bearbeitung dieser Themen im Rahmen der G8 liefert den Kritikerinnen Anknüpfungspunkte für oftmals policy-bezogene Kampagnen. Tabelle 4 zeigt, dass unterschiedliche Themen eine unterschiedlich große Bedeutung innerhalb der drei Legitimationsdimensionen haben.

Tab. 4 Themenkontexte (%) in den Legitimationsdimensionen

So ist die insgesamt seltenste Bezugsdimension, die Input-Seite der G8, vor allem von Beurteilungen geprägt, die die politisch-institutionellen Eigenschaften der G8 und die Ausprägungen ihres Regierens zum Thema haben. Relativ ähnlich gestaltet sich die Themenverteilung innerhalb der zweithäufigsten, auf Verfahren bezogenen Dimension. Doch bereits hier tritt gegenüber der Input-Dimension eine größere Bedeutung von entwicklungs- und umweltpolitischen Themen zu Tage. Bezogen auf die Ergebnisse der G8 stellen Fragen zur Entwicklungspolitik mit 37,3 Prozent den größten Themenkomplex dar. Auffällig ist, dass sich Beurteilungen der G8-Ergebnisse zwar auch auf die Formen des G8-Regierens beziehen, aber umweltpolitische und soziale Fragen zusätzlich einen größeren Stellenwert einnehmen als in den anderen beiden Dimensionen. Aussagen, die die G8 ohne eine bestimmte Begründung evaluieren, beziehen sich ähnlich wie in der In- und Throughput-Dimension auch am häufigsten auf institutionelle Aspekte der G8. Sie ähneln der Output-Dimension zuzurechenden Aussagen jedoch insofern, als sie ebenfalls in einem stärkeren Ausmaß entwicklungs- und umweltpolitische Themen zum Gegenstand haben. Insofern kann von einer themenabhängigen Nutzung der Legitimationsdimensionen gesprochen werden. Bei Bezugnahmen auf die Input- und Throughput-Dimension spielen institutionelle Fragen eine Rolle, die sich am ehesten auf das gesamte G8-Regime beziehen. Hingegen dominieren bei Aussagen in der Output-Dimension diejenigen Themen, die zum Gegenstand der politischen Forderungen von Kritikerinnen aus dem Protest- und NGO-Spektrum gezählt werden können. Das folgende Zitat liefert abschließend ein Beispiel für die vielen Bewertungen der G8-Ergebnisse, die sich kritisch und oftmals enttäuscht auf normativ aufgeladene Themen beziehen:

With disappointed campaigners complaining little progress had been made on Third World debt relief and environmentalists calling the summit ‘not much greener than an oil slick’, the leaders last night left a dazed Birmingham to recover from their three-day stay (Guardian vom 18.5.1998).

Im Spiegel des gesamten Legitimationsdiskurses zeigt sich, dass sich die Legitimationskrise der G8 vor allem auf der Regime-Ebene manifestiert. Soweit decken sich unsere Ergebnisse mit der Einschätzung Dobsons, der zu folgendem Schluss kommt: „[…], it is […] evident that the G7 / 8 can only be as successful as the participants wish it to be, although it is often the forum and not these participants that bears the brunt of criticism when decisions cannot be reached“ (Dobson 2007, S. 79).

8 Konklusion: Spiele ohne Brot

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die G8 seit zehn Jahren in der medialen Öffentlichkeit westlicher Demokratien auf manifeste Kritik stößt. Das Ausmaß und die Dauerhaftigkeit der Kritik erlauben es, von einer Legitimationskrise zu sprechen. Zum Gegenstand der Kritik wird dabei vor allem die G8-Architektur als Ganze. Der Eindruck einer Legitimationskrise verstärkt sich zudem, wenn wir David Easton folgend davon ausgehen, dass kritisches Dauerfeuer gegen ein Regime als krisenhafter zu bewerten ist als bloße – und sei es permanente – Kritik an seinem Führungspersonal und einzelnen Politikinhalten. Der Krisendiskurs über die G8 hat verstärkt und unerwartet die Ergebnisse der Gipfeltreffen zum Thema und trifft dabei sowohl die einzelnen Politikmaßnahmen als auch die G8 insgesamt. Der wahrgenommene Misserfolg der G8 macht sich am häufigsten an Politikfeldern fest, die klassischerweise zum Gegenstand von Protestkampagnen und zum Aktionsfeld vieler NGOs zählen: Entwicklungspolitik, Umweltpolitik und soziale Themen. Durch ihr Versagen in diesen Feldern erscheint auch die Gesamtarchitektur der Gipfeltreffen selbst als unsinnig. Bezugnahmen auf Repräsentativität und Transparenz der G8 dagegen, die klassischen Standards der Input- und Throughput-Legitimität, sind insgesamt erstaunlich selten.

Die vier wichtigsten Sprechergruppen – Journalistinnen, zivilgesellschaftliche und politische Akteurinnen sowie Sprecherinnen internationaler Organisationen – beteiligen sich am Legitimationsdiskurs durchaus erwartungsgemäß. Zu den großen Kritikerinnen der G8 gehören vor allem die Journalistinnen, die im G8-Diskurs also eine andere Rolle spielen als zum Beispiel im Diskurs über das World Economic Forum (Bennett et al. 2004). Eine Abhängigkeit der Berichterstattung von der Intensität der regelmäßigen Proteste auf der Straße konnte indes nicht bestätigt werden.

Die häufige und drastische Kritik an der Ergebnislosigkeit und Ineffizienz gepaart mit Etikettierungen in Anlehnung an die Club-Metaphorik und an den Show- und Eventcharakter führen zu einem für die G8 alarmierenden Befund: Ihre Gipfel und ihre Politik werden als „Spiele ohne Brot“ wahrgenommen, als Spektakel ohne Ergebnisse. Denn sowohl die Spielregeln der G8 als auch ihre Ergebnisse lassen – so unser Befund – aus Sicht der untersuchten Medienöffentlichkeiten zu wünschen übrig. Das folgende Zitat resümiert diese Ergebnisse trefflich:

The G-8 is an annual fantasy camp of candlelit, head-table diplomacy – not the ideal setting for the kind of conversation that Bush and Putin ought to have. Fortunately for us, when our leaders return home from the G-8, they rarely remember a thing that happened. Soon enough, they‛ll be thinking – and arguing – about the clubs that matter (WP vom 13.7.2006).

Wohin wird die Legitimationskrise der G8 führen? Das betont informelle Forum kann schließlich nicht einfach abgewählt werden. Und auch die neu in Erscheinung getretenen „celebrity diplomats“ (Cooper 2008) wie der U2-Sänger Bono oder die Schauspielerin Angelina Jolie werden bei aller moralischer Unterstützung alleine kaum etwas bewirken können. Dagegen können die Outreach-Politik und erste Zusammenkünfte mit ausgewählten NGOs wichtige Anknüpfungspunkte für Veränderungen im Design der G8 bieten. Auch die zunehmende Bedeutung der G20, die einleitend diskutiert wurde, weist auf institutionelle Veränderungen hin. Mit Blick auf die Debatten um die Legitimität der G8 ist deutlich geworden, dass sich mit Verlassen des nationalstaatlichen Kontextes verstärkt die Frage nach den Grenzlinien politischer Gemeinschaften stellt. Im Zuge einer kritischen Begleitung sollte es wichtig sein, sich einerseits nicht an einem Verständnis der G8 als einer imaginierten „Weltregierung“ zu orientieren – diese Sichtweise fand in den untersuchten Medien erstaunlicherweise so gut wie keinen Widerhall –, andererseits jedoch den Blick für die symbolische Dimension der „grauen Eminenz“ der internationalen Politik zu schärfen. Im Zuge dessen werden Fragen nach den Selbstlegitimationen der G8, ihrer Definitionsmacht und der damit verbundenen Hegemonie von Wertvorstellungen virulent.

Verwunderlich mutet es an, dass sich in den untersuchten zehn Jahren keine Entwicklung in der Legitimationsthematik zeigt. Es gibt keine Dynamik bzw. Verschärfung der Konfrontation zwischen den Blöcken derjenigen, die die Legitimität der G8 anerkennen, und derjenigen, die sie bestreiten. Die Konfrontation bleibt durchgehend auf hohem Niveau erhalten. Trotz hoher politischer Relevanz ist eine öffentliche Anerkennung der Legitimität der G8 nicht in Sicht.

Vor diesem Hintergrund ist der diesjährige Gipfel mit Spannung zu erwarten, denn er führt zurück in ein erneut von Silvio Berlusconi regiertes Italien. Die Einschüchterungen des Protestes im Vorfeld des Genueser Gipfels 2001, aber vor allem die blutigen Bilder der Gipfeltage in Genua selbst werden nicht nur den Kritikerinnen der G8 in Erinnerung geblieben sein. Insofern wird das G8-Gipfeltreffen 2009 vielen emotional und symbolisch besonders aufgeladen erscheinen. Abzuwarten bleibt neben der Leistung und Problemlösungsfähigkeit der G8 in Zeiten der Finanzkrise, ob die Gipfelteilnehmerinnen kritische Töne aufnehmen und anklingen lassen werden. Denn nicht nur im Hinblick auf den Umgang mit Protesten wäre es angebracht, die eigenen Mitgliedsstaaten daraufhin zu befragen, ob und wie sie die vermeintlich gemeinsamen Werte achten. Und dies nicht nur am Kaminfeuer.