1 Einleitung

In Deutschland wird nicht erst seit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK 2008) gefordert, allen Schülerinnen und SchülernFootnote 1 Zugang zu den gleichen Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Schon zu Beginn der 1990er Jahre wurden erste Versuche unternommen, die gängige Praxis separater Beschulung von behinderten Kindern in Förderschulen aufzugeben und diese zunehmend an Regelschulen zu unterrichten (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, KMK 1994). Dieser Wandel spiegelt sich auch in der begrifflichen Umorientierung von der Sonderschulbedürftigkeit hin zum sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) wider (KMK 1994; Preuss-Lausitz 2001). Während die ursprüngliche Klassifizierung von Kindern als sonderschulbedürftig eng mit der Beschulung an Sonder- oder Förderschulen verknüpft war, ist mit dem Konzept des sonderpädagogischen Förderbedarfs eine individualisierte Ausrichtung im Umgang mit behinderten Schülern verbunden. In Anlehnung an den Artikel 24 der BRK empfiehlt die KMK (2010) den Ausbau des gemeinsamen Lernens von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in der Regelschule und definiert somit die gemeinsame Bildung und Erziehung Heranwachsender als zentrales Ziel bildungspolitischer Maßnahmen.

Im Zuge der Umstellung zu einer integrativen bzw. inklusiven Beschulung stellt sich die Frage, wie sich die Art der Beschulung (Regel- oder Förderschule) auf die schulischen Kompetenzen der Schüler mit SPF auswirkt.Footnote 2 Befürworter einer separaten Beschulung argumentieren, dass Förderschulen in besonderem Maße geeignet seien, auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern mit SPF einzugehen und ihnen damit optimale Bildungswege zu ermöglichen. Fürsprecher einer gemeinsamen Beschulung von Kindern mit SPF in Regelschulen hingegen führen an, dass diese den Schülern ein besonders anregendes Lernumfeld bieten und Bildungschancen eröffnen, die ihnen an Förderschulen zumeist verwehrt blieben. Der Zusammenhang zwischen Art der Beschulung und schulischen Kompetenzen von Kindern mit SPF wurde in Deutschland bislang jedoch nicht systematisch anhand von Daten großer nationaler Stichproben untersucht.

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

Die Frage nach der optimalen Lernumgebung für Kinder mit SPF wird in der Forschung kontrovers diskutiert. In diesem Abschnitt sollen zum einen Argumente dafür beschrieben werden, dass Schüler mit SPF von einer gemeinsamen Beschulung in Regelschulen profitieren können. Zum anderen wird auf mögliche Gründe eingegangen, die für eine Beschulung von Kindern mit SPF in Förderschulen sprechen. Abschließend wird der internationale und nationale Forschungsstand zu Schulleistungen von Kindern mit SPF in Abhängigkeit von der Art der Beschulung dargestellt.

2.1 Theoretische Annahmen zur Auswirkung der Art der Beschulung auf die schulischen Kompetenzen von Kindern mit SPF

Die Einrichtung und der Ausbau der Sonder- und Förderschulen in Deutschland waren geprägt von Bemühungen, die heterogenen Bedürfnisse von Kindern mit SPF angemessen zu berücksichtigen und ihnen eine optimale Schulbildung zu ermöglichen. Die Ausdifferenzierung verschiedener Schularten im deutschen Schulwesen basiert auf der Annahme, dass durch die Schaffung homogener Lerngruppen die Lernentwicklung von Heranwachsenden mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen optimiert werden kann. Solche Differenzierungsbemühungen können jedoch auch zu schulartspezifischen Lern- und Entwicklungsmilieus führen, die sich in Bezug auf institutionelle Faktoren und die Zusammensetzung der Schülerschaft unterscheiden und für die Lernentwicklung von Schülern relevant sind (Baumert et al. 2006; Stanat et al. 2012). Überträgt man diese theoretischen Annahmen auf den Kontext der vorliegenden Untersuchung, könnten Kinder mit SPF in Regelschulen eine im Vergleich zu Förderschulen anregendere Lernumgebung vorfinden, die ihre schulische Kompetenzentwicklung begünstigt (Bos et al. 2010; Wocken 2005). Diese Effekte könnten zum einen durch institutionelle Unterschiede zwischen Regel- und Förderschulen verursacht werden, die sich in schulartspezifischen Lehrplänen, didaktischen Traditionen, Aspekten der Lehrerausbildung und der Unterrichtsorganisation widerspiegeln (Baumert et al. 2006, 2009; Hallinan und Kubitschek 1999; Hattie 2002). Verschiedene Autorinnen und Autoren nehmen an, dass die Lehrpläne und die Unterrichtsgestaltung in Regelschulen im Vergleich zu Förderschulen stärker auf den akademischen Fortschritt der Klasse ausgerichtet sind (Hocutt 1996; Schumann 2007; Wocken 2000, 2005). In diesem Zusammenhang konnte festgestellt werden, dass der Einsatz herausfordernder Aufgaben im Unterricht schulische Leistungen fördert, während eine repetitive Unterrichtsführung und Reduzierung des Unterrichtstempos mit einer weniger günstigen Kompetenzentwicklung einhergeht (Baumert et al. 1986). Wocken (2005, S. 62) verweist auf den geringen inhaltlichen Umfang der Lehrpläne für Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen und schlussfolgert daraus, dass diese nicht dazu geeignet seien, Leistungsnachteile von Kindern mit SPF zu kompensieren (s. auch Markussen 2004).

Zum anderen kann der Einfluss der Lernumgebung durch die leistungsbezogene und soziale Schülerzusammensetzung in Klassen (Maaz et al. 2008; Wocken 2000) und interaktionale Prozesse im Unterricht (Hocutt 1996; Schumann 2007; Wocken 2005) vermittelt werden. Dabei wird angenommen, dass vor allem leistungsschwächere Schüler vom Unterricht in leistungsheterogenen Lerngruppen profitieren (Lehmann 2006; Scharenberg 2012; Slavin 1996). So könnten in solchen Kontexten leistungsstärkere Mitschüler als positive Lernvorbilder fungieren und die Übernahme erfolgreicher Lernstrategien ermöglichen (Scharenberg 2012; Slavin 1990). Zudem könnte die potenziell höhere Leistungserwartung von Lehrkräften in Regelschulen die Kompetenzentwicklung von Kindern mit SPF fördern (Dar und Resh 1986; Gamoran 1986; Hornstra et al. 2010).

Darüber hinaus wird angenommen, dass mit der Überweisung von Kindern mit SPF auf Förderschulen eine Verstärkung sozialer Ungleichheiten im Bildungssystem einhergeht (Bos et al. 2010). So konnten empirische Studien zeigen, dass Kinder in Förderschulen (v. a. mit dem Förderschwerpunkt Lernen) eine sozial benachteiligte Gruppe darstellen (Dietze 2011; Wocken 2000, 2005). Die Überrepräsentation von Kindern aus sozial schwachen Familien an Förderschulen scheint dabei nicht nur auf primäre Herkunftseffekte (Boudon 1974) zurückzuführen zu sein, sondern auch auf sekundäre Herkunftseffekte, die u. a. durch subjektive Komponenten bei der Diagnostik eines SPF und der damit verbundenen Entscheidung über die Art der Beschulung entsteht (Gomolla 2006; Lentz und Radtke 1994). Die aus diesen Mechanismen resultierenden Unterschiede in der sozio-kulturellen Klassenkomposition zwischen Regel- und Förderschulen könnten die Qualität des Unterrichts und die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schülern beeinflussen (Agirdag et al. 2012; Barth et al. 2004; Maaz et al. 2010). Dadurch könnten möglicherweise differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus entstehen, die zu unterschiedlichen Leistungsentwicklungen von Kindern mit SPF beitragen (Bos et al. 2010) und im Laufe der Schulkarriere eine Akkumulation von Bildungsnachteilen für Kinder aus sozial schwachen Familien nach sich ziehen (Pfahl 2012).

Im Gegensatz dazu wird unter der Annahme einer geschützten Lernumgebung in Förderschulen argumentiert, dass diese den besonderen Bedürfnissen der Schüler mit SPF besser gerecht werden können (Markussen 2004; Peetsma et al. 2001; Tent et al. 1991). Demnach wäre es in Förderschulen möglich, die Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien so anzupassen, dass sie den Lernvoraussetzungen von Kindern mit SPF entsprechen (Vaughn et al. 1996). Den Lehrkräften könnte durch den geringeren inhaltlichen Umfang der Lehrpläne z. B. mehr Zeit zum Erklären der Lerninhalte zur Verfügung stehen (Schumann 2007). Durch die kleineren Lerngruppen in Förderschulen bestünden zudem bessere Voraussetzungen für eine individualisierte Förderung von Schülern mit SPF (Schor 2003; Wocken 2000). Weiterhin würden Kinder mit SPF in der Förderschule einen Schonraum vorfinden (Schumann 2007), der sie vor Leistungsdruck, schulischem Versagen und sozialer Ausgrenzung schütze (Haeberlin 1991; Bear et al. 2002; Preuss-Lausitz 2001; Tent et al. 1991).

2.2 Empirische Befunde zum Einfluss der Art der Beschulung auf die Schulleistung von Kindern mit SPF

Die Mehrzahl der internationalen Untersuchungen zum Einfluss der Art der Beschulung auf Schulleistungen von Kindern mit SPF haben Vorteile für Regelschulen festgestellt (Baker et al. 1994; Ruijs und Peetsma 2009; Markussen 2004; Myklebust 2006). Ruijs und Peetsma (2009) kommen auf der Grundlage einer Übersicht internationaler Studien zum Schluss, dass der Unterricht von Kindern mit SPF in Regelschulen neutrale oder positive Effekte auf deren schulische Leistungen hat. Peetsma und Kollegen (2001) führten eine Studie durch, in der sie die Leistungsentwicklung von Kindern mit SPF in einer niederländischen Schülerkohorte in Abhängigkeit von der Art ihrer Beschulung im Längsschnitt untersuchten. Dabei wurden an Regel- und Förderschulen Schüler mit SPF in der zweiten Jahrgangsstufe mit ähnlichen Ausprägungen in zentralen Hintergrundmerkmalen ausgewählt und anschließend in ihren schulischen Leistungen verglichen. Nach vier Jahren zeigte sich, dass Kinder mit SPF in Regelschulen deutlich höhere schulische Leistungen in mathematischen und unterrichtssprachlichen Kompetenzen aufwiesen als vergleichbare Kinder in Förderschulen.

Auch die Ergebnisse älterer Metaanalysen weisen darauf hin, dass die schulischen Leistungen von Kindern mit SPF in sprachlichen und mathematischen Bereichen in Regelschulen höher ausgeprägt sind als in Förderschulen. Die Größe dieser Effekte variiert dabei von geringen (Baker et al. 1994; Carlberg und Kavale 1980) bis mittelstarken Leistungsvorsprüngen der Schüler in Regelschulen (Wang und Baker 1985). In einzelnen Studien zeigen sich allerdings auch neutrale oder sogar negative Effekte integrierter oder inklusiver Beschulung für Schüler mit SPF (Cole et al. 2004; Harrington 1997; Lindsay 2007; Rogers und Thiery 2003; Zigmond 2003).

Im deutschsprachigen Raum stellte die Forschungsgruppe um Wocken (2000, 2005; Wocken und Gröhlich 2009) fest, dass Schüler, die eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen besuchten, selbst noch zu Beginn der 7. Jahrgangsstufe deutlich schwächere Rechtschreibleistungen aufwiesen als Hauptschüler der 5. Jahrgangsstufe oder Kinder am Ende der Primarstufe mit vergleichbaren kognitiven Grundfähigkeiten. Auch Haeberlin (1991) berichtet für Kinder mit SPF, die in Regelschulen unterrichtet wurden, bessere schulische Leistungen im Vergleich zu Kindern in Förderschulen. Im Gegensatz dazu fanden Lehmann und Hoffmann (2009), dass Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt Lernen von Unterricht in Förderschulen profitieren können. In der 7. und 8. Jahrgangsstufe waren ihre sprachlichen und mathematischen Leistungen in Regelschulen zwar etwas höher als in Förderschulen, dieses Muster kehrte sich jedoch in der 9. und 10. Klasse zugunsten der Förderschüler um.

Der Forschungsstand zum Einfluss der Art der Beschulung auf die schulischen Leistungen von Schülern mit SPF ist bislang jedoch nur bedingt belastbar. Wesentliche Limitationen bestehen darin, dass nur selten standardisierte Leistungstests verwendet und adäquate Vergleichsgruppen einbezogen werden. Meistens werden nur wenige Hintergrundmerkmale der untersuchten Schüler kontrolliert, sodass die berichteten Effekte z. T. auf bereits vor der Untersuchung bestehende Unterschiede zwischen Kindern mit SPF in Regel- und Förderschulen zurückzuführen sein könnten (Zigmond 2003). Bisherige Studien fokussieren zudem stark auf Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen, während andere Förderschwerpunkte bislang kaum Beachtung fanden.

3 Fragestellung und Hypothesen

Ausgehend von den beschriebenen theoretischen Annahmen und empirischen Befunden wird untersucht, ob sich das erreichte Niveau schulischer Leistungen von Kindern mit SPF in Abhängigkeit von der Art ihrer Beschulung unterscheidet. Dabei werden schulische Kompetenzen in sprachlichen und mathematischen Kompetenzbereichen betrachtet. In Übereinstimmung mit vorangegangenen empirischen Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass Schüler mit SPF an Regelschulen unter Konstanthalten relevanter Hintergrundmerkmale höhere schulische Kompetenzen aufweisen als Kinder in Förderschulen. Da sich die Mehrzahl bisheriger Studien auf den Förderschwerpunkt Lernen konzentriert, soll zudem geprüft werden, ob sich die Effekte für verschiedene Förderschwerpunkte nachweisen lassen.

4 Methoden

4.1 Stichprobe

Die vorliegende Untersuchung basiert auf den Daten des IQB-Ländervergleichs 2011 für die Primarstufe (Stanat et al. 2012). In dieser querschnittlich angelegten Studie werden Kompetenzen von Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik mit standardisierten Leistungstests erfasst.

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine Teilstichprobe von Schülern mit einem diagnostizierten SPF und gültigen Leistungswerten in den Fächern Deutsch (N = 1071) und Mathematik (N = 1053) in die Analysen einbezogen. Diese Kinder konnten anhand von Angaben ihre Schule eindeutig einem der drei Förderschwerpunkte Lernen, Sprache oder emotionale und soziale Entwicklung zugeordnet werden. Zum Zeitpunkt der Erhebung wurden 658 Kinder in 348 Regelschulen und 413 Kinder in 46 Förderschulen unterrichtet (durchschnittliches Alter 10,9 Jahre, SD = 0,63; 32,7 % Mädchen).Footnote 3 In Tab. 1 wird die Verteilung der Schüler mit SPF an Regel- oder Förderschulen nach den betrachteten Fächern und Förderschwerpunkten dargestellt.

Tab. 1 Stichprobenumfänge im Überblick

Fehlende Werte in den Schüler-und Elternbefragungen wurden mehrfach imputiert und durch je 15 plausible Werte ersetzt (Schafer 1997; van Buuren und Groothuis-Oudshoorn 2011). Die nachfolgenden Analysen und Auswertungsschritte wurden für die 15 imputierten Datensätze separat durchgeführt und anschließend zusammengefasst (vgl. Rubin 1987).

4.2 Messinstrumente

4.2.1 Schulische Kompetenzen

Im Ländervergleich 2011 wurden verschiedene Teilkompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik erhoben. Im Fach Deutsch handelt es sich um Kompetenzen in den Bereichen Lesen und Zuhören (Böhme und Bremerich-Vos 2012), im Fach Mathematik um einen Globalwert, der sich aus fünf inhaltsbezogenen Kompetenzbereichen (Zahlen und Operationen; Raum und Form; Muster und Strukturen; Größen und Messen; sowie Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit) zusammensetzt (Roppelt und Reiss 2012). Die in Regel- und Förderschulen eingesetzten Testhefte unterschieden sich in Bezug auf die Anzahl der Aufgaben, den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und die Bearbeitungszeit. In den Testheften für die Förderschulen kamen weniger und leichtere Aufgaben zum Einsatz.Footnote 4 Entsprechend betrug die Bearbeitungszeit an Regelschulen 80 Minuten und an Förderschulen 40 Minuten.

Um die Vergleichbarkeit der Testergebnisse zwischen den betrachteten Schülergruppen zu prüfen, wurden die Testaufgaben für die Teilstichprobe der Kinder in Förderschulen separat frei skaliert und anschließend die Itemfitparameter mit denen für die Gruppe der Regelschüler verglichen. Außerdem wurden Differential Item Functioning-Analysen zur Beurteilung der Testfairness durchgeführt. Damit sollte sichergestellt werden, dass bei annähernd gleichen Fähigkeiten die Lösungswahrscheinlichkeiten für die einzelnen Testaufgaben für Kinder in Förderschulen und für Kinder in Regelschulen ähnlich ausgeprägt sind. Erste Befunde deuten darauf hin, dass die in Regel- und Förderschulen eingesetzten Testaufgaben ähnlich gute psychometrische Eigenschaften aufweisen (Kuhl et al. 2013).

4.2.2 Kognitive Grundfähigkeiten

Die Erfassung der kognitiven Grundfähigkeiten der Schüler basiert auf zwei Untertests des Kognitiven Fähigkeitstests (KFT 4–12 + R, Heller und Perleth 2000): dem Untertest Wortschatz als Indikator für die verbalen kognitiven Grundfähigkeiten und dem Untertest Figurenanalogien als Indikator für die räumlichen kognitiven Grundfähigkeiten. Beide Skalen können zur Kontrolle des Vorwissens und der damit verbundenen differenziellen Eingangsselektivität von Regel- und Förderschulen eingesetzt werden (Baumert et al. 2006).

4.2.3 Sozio-kultureller Hintergrund

Als Kontrollvariablen für die Schätzung des Einflusses der Art der Beschulung auf die Schulleistung dienen die sozialen, kulturellen und zuwanderungsbezogenen Hintergrundmerkmale der Schüler. Die Beschreibung des sozialen Status der Familien erfolgte über den jeweils höchsten International Socio-Economic Index of Occupational Status (ISEI) des Vaters oder der Mutter (Ganzeboom et al. 1992). Das Bildungsniveau der Familien wurde über den höchsten Bildungsabschluss der Eltern erfasst (International Standard Classification of Education, ISCED; OECD, 1999). Weiterhin gingen Schülerangaben zum häuslichen Buchbestand und die von Eltern geäußerten Bildungsaspirationen (für das Kind gewünschter oder erwarteter Schulabschluss) in die Analysen ein. Zudem wurden Elterneinschätzungen zur Bedeutsamkeit der Vermittlung bestimmter Erziehungsziele in der Familie erfasst. Dabei sollten die Eltern einschätzen, für wie wichtig sie die Vermittlung solcher Merkmale wie persönliche Selbstständigkeit, Ordnung und Disziplin, Bereitschaft zum Lernen und solide Schulkenntnisse in der Familie erachten (Baumert et al. 2008). Hohe Werte auf der durch Aggregation der 18 Items gebildeten Skala (Cronbachs α = 0,90) weisen darauf hin, dass Eltern diesen Erziehungszielen eine hohe Bedeutung beimessen. Der Zuwanderungshintergrund der Schüler wurde anhand des Geburtslands der Eltern erfasst (mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren). Zusätzlich wurde die in der Familie gesprochene Sprache berücksichtigt und unterschieden, ob in der Familie überwiegend Deutsch oder überwiegend eine andere Sprache gesprochen wird.

4.2.4 Lerngelegenheiten und Bundesland

Zu den betrachteten Indikatoren für institutionelle Lerngelegenheiten, die Kinder mit SPF vor Eintritt in eine Regel- oder Förderschule hatten, gehören das Schuleintrittsalter und die Dauer des Besuchs einer Kindertagesstätte oder Vorschule. Überdies wurde aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf den Anteil von Kindern mit einem diagnostizierten SPF und deren Verteilung auf Regel- und Förderschulen (Dietze 2012; Stanat et al. 2012) das Bundesland als Kontrollvariable aufgenommen.

4.2.5 Diagnostizierte Teilleistungsstörung

Neben dem Förderschwerpunkt wurden auch diagnostizierte Teilleistungsstörungen der Kinder erfasst und in den Auswertungen als Kontrollvariable berücksichtigt. Diese umfassten die Kategorien 1) Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), 2) Lernstörungen (isolierte Rechtschreibstörung, Lese-Rechtschreibstörung, Rechenstörung), 3) Mehrfachdiagnose (Kombination aus ADHS und einer Lernstörung) sowie 4) nicht definierte Teilleistungsstörungen.

4.3 Datenanalyse

Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, den Effekt der Art der Beschulung (Regelschule vs. Förderschule) auf die Schulleistung von Grundschulkindern mit SPF zu bestimmen. Eine optimale Bedingung für einen validen Vergleich zwischen Regel- und Förderschulen bestünde in einer Zuweisung der Kinder zu einer der beiden Schularten, die unabhängig von den schulbezogenen Kompetenzen der Kinder erfolgt. In experimentellen Versuchsplänen wird dies durch den Prozess der Randomisierung erreicht. Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht möglich, Schüler zufällig einer Regel- oder Förderschule zuzuweisen. Unterschiede in der Schulleistung können daher nicht eindeutig auf die Art der Beschulung attribuiert werden, da diese auch durch Unterschiede zwischen den betrachteten Gruppen verursacht worden sein könnten, die bereits vor der Zuweisung zu Regel- und Förderschulen bestanden (Morgan und Winship 2007).

Propensity Score Matching-Verfahren können zur statistischen Kontrolle solcher Selektionseffekte eingesetzt werden, um gegebenenfalls identifizierte Leistungsunterschiede eindeutiger auf den Gruppenfaktor, also hier die Art der Beschulung, zurückführen zu können (Rosenbaum und Rubin 1983). Das Grundprinzip beim Propensity Score Matching besteht darin, für jeden Schüler der Stichprobe anhand der für die Zuweisung relevanten Merkmale den Wahrscheinlichkeitswert, den sogenannten Propensity Score, zu berechnen, in eine der beiden Schularten überzugehen. Anschließend werden nur diejenigen Schüler beider Gruppen in ihrer Leistung verglichen, die ähnliche Propensity Scores aufweisen. Die Anwendung des Propensity Score Matchings erfolgte in der vorliegenden Untersuchung in fünf Schritten (vgl. Becker 2011).

Im ersten Schritt wurde anhand einer multivariaten Varianzanalyse und Chi 2-Tests geprüft, ob sich Schüler mit SPF, die eine Regelschule besuchen, systematisch von Schülern an Förderschulen unterscheiden. Ziel dieser Analysen war es, Merkmale zu identifizieren, die sowohl mit der Zuweisung zur Regel- oder Förderschule als auch mit den erreichten Kompetenzständen in Deutsch und Mathematik zusammenhängen. Im zweiten Schritt wurde auf Basis der so definierten Kontrollvariablen die bedingte Wahrscheinlichkeit (Propensity Score) des Besuchs einer Regel- oder Förderschule mit Hilfe von binären logistischen Regressionen ermittelt.Footnote 5 Im dritten Schritt, dem eigentlichen Matching, wurden Schüler mit SPF in Regel- und Förderschulen auf Basis eines Full Matching-Verfahrens ausgewählt, die ähnliche Propensity Scores aufweisen. Das Propensity Score Matching wurde mit dem Paket MatchIt (Ho et al. 2011) im Statistikprogramm R (R Development Core Team 2010) durchgeführt. In einem vierten Schritt wurde evaluiert, inwieweit das Matching zu homogenen Untersuchungsgruppen geführt hat. Ein wichtiges Mittel zur Bestimmung der durch das Matching erreichten Balance ist die Betrachtung der standardisierten Differenzen (standardisierter Bias; Rosenbaum und Rubin 1985) zwischen den untersuchten Gruppen (Ho et al. 2007). Je geringer diese ausfallen, desto stärker ähneln sich beide Untersuchungsgruppen nach dem Matching. Weiterhin wurde auch die Verteilung der Propensity Scores und der Kontrollvariablen zwischen den Untersuchungsgruppen berücksichtigt.

Wenn durch den vorherigen Analyseschritt sichergestellt werden konnte, dass sich die Untersuchungsgruppen nach dem Matching hinreichend ähneln, können anschließend in einem fünften Schritt inferenzstatistische Auswertungsverfahren mit der gematchten Stichprobe durchgeführt werden. Da sich beide Untersuchungsgruppen nach dem Matching im Idealfall nur noch durch die Art ihrer Beschulung und nicht mehr in Bezug auf andere leistungsdeterminierende Merkmale unterscheiden, können Schulleistungsdifferenzen mit höherer Plausibilität auf die Art der Beschulung zurückgeführt werden. Allerdings sind Aussagen zur Wirkung der Beschulungsart auf die Schulleistungen nur hinsichtlich der einbezogenen Kontrollvariablen und dem Überlappungsbereich in der Ausprägung der Kontrollvariablen zwischen beiden Gruppen gültig. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Propensity Score-Verteilungen der zu vergleichenden Gruppen ausreichend überlappen (Area of Common Support).

Im Anschluss an das Propensity Score Matching wurde der Average Treatment Effect on the Treated (ATT) berechnet. Die Bestimmung des ATT basiert auf dem Kausalmodell von Rubin (1974) und indiziert in der vorliegenden Untersuchung die durchschnittliche Wirkung des Besuchs einer Regelschule relativ zum Besuch einer Förderschule auf die Leistungen der Schüler mit SPF in Regelschulen. Die Schätzung des ATTs erfolgte unter Verwendung eines linearen Regressionsmodells, bei dem für Unterschiede in kognitiven Grundfähigkeiten und im sozialen Status kontrolliert wurde. Dadurch sollte so weit wie möglich gewährleistet werden, dass nach dem Matching gegebenenfalls weiterhin bestehende Unterschiede zwischen beiden Untersuchungsgruppen in den ausgewählten Kovariaten nicht mit der Effektschätzung konfundiert sind (Stuart 2010). Die Schätzung des ATTs wurde mit dem Programmpaket Zelig in R (Imai et al. 2008) durchgeführt.

Eine Limitation bei Anwendung des Propensity Score Matchings in der vorliegenden Studie stellt das querschnittliche Untersuchungsdesign dar. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Merkmale (z. B. kognitive Grundfähigkeiten), die im Rahmen des Matchings berücksichtigt wurden, ebenfalls durch die Beschulungsart beeinflusst wurden (Posttreatment Selection Bias, Schafer und Kang 2008). Dies ist insofern problematisch, als dass die Zuweisung zu einer Regel- oder Förderschule selbst nach dem Matching noch mit den erzielten Schulleistungen konfundiert sein könnte. Folglich kann der Einfluss der Beschulungsart auf die Schulleistungen von Kindern mit SPF nicht vollkommen verzerrungsfrei geschätzt werden. Die resultierenden Ergebnisse sind daher mit entsprechender Unsicherheit behaftet.

5 Ergebnisse

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Datenanalyse anhand der oben beschriebenen fünf Schritte des Vorgehens beim Propensity Score Matching dargestellt.

5.1 Unterschiede zwischen Kindern mit SPF in Abhängigkeit von der Beschulungsart

Im ersten Schritt wurde anhand einer multivariaten Varianzanalyse mit dem ersten imputierten Datensatz geprüft, in welchen Merkmalen sich Kinder mit SPF in Abhängigkeit von ihrer Beschulungsart systematisch voneinander unterscheiden (Tab. 2). Nahezu alle Gruppenunterschiede waren unter Kontrolle für Mehrfachtestung (Bonferroni-Korrektur) signifikant. Die deutlichsten Differenzen ergaben sich für die kognitiven Grundfähigkeiten, die Bildungsaspirationen der Eltern und den sozialen Status der Familien. Kinder mit SPF, die eine Regelschule besuchten, zeigten deutlich höhere kognitive Grundfähigkeiten, sowohl im verbalen (d = 0,80) als auch im räumlichen Bereich (d = 0,49), als Kinder in Förderschulen. Weiterhin gaben Eltern von Kindern mit SPF in Regelschulen höhere Bildungsaspirationen an als Eltern, deren Kinder in einer Förderschule unterrichtet wurden. Auch der soziale Status von Kindern mit SPF in Regelschulen war verglichen mit Kindern in Förderschulen im Durchschnitt höher (d = 0,36). Keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen fanden sich lediglich für das Alter und die Vermittlung von Erziehungszielen in der Familie.

Tab. 2 Unterschiede zwischen Kindern mit SPF nach Art der Beschulung

5.2 Vorhersage des Besuchs einer Regelschule

Im nächsten Schritt wurde mit logistischen Regressionsanalysen geprüft, wie gut die ausgewählten Kovariaten geeignet sind, den Besuch einer Regelschule vorherzusagen. Dazu wurden für die Teilstichproben Deutsch und Mathematik separate logistische Regressionsanalysen durchgeführt, da sich die Stichprobenumfänge zwischen beiden Bereichen leicht unterscheiden. Die Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse im Fach Deutsch (siehe Tab. 3) korrespondiert zum Großteil mit den deskriptiven Befunden und Ergebnissen der multivariaten Varianzanalyse. Bei der Schülerschaft mit SPF, die an einer Regelschule unterrichtet wurde, handelte es sich demnach um eine hinsichtlich kognitiver und sozio-kultureller Merkmale selektive Gruppe. Sowohl Kinder mit höheren verbalen kognitiven Grundfähigkeiten als auch Kinder aus bildungsnahen Familien (erfasst anhand des sozialen Status der Familie, dem höchsten familiären Bildungsabschluss und der Bildungsaspirationen der Eltern) wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit des Besuchs einer Regelschule auf. Diese Befunde weisen auf eine differenzielle Eingangsselektivität der betrachteten Schularten hin. Weiterhin wurden Kinder mit einer Lernstörung eher an Regelschulen unterrichtet als Kinder mit einer anderen oder keiner berichteten Teilleistungsstörung. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Diagnose eines Förderbedarfs im Schwerpunkt Lernen in den letzten 10 Jahren zurückgegangen ist und eine Tendenz besteht, diese vermehrt in Regelschulen zu unterrichten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010; Dietze 2011). Außerdem zeigte sich, dass Kinder mit SPF an Regelschulen beim Schuleintritt jünger waren und kürzer einen Kindergarten besuchten als Kinder an Förderschulen. Eine mögliche Erklärung für den negativen Zusammenhang zwischen Dauer des Kindergartenbesuchs und dem Besuch einer Regelschule könnte darin liegen, dass vor allem Kinder mit einem stärkeren Beeinträchtigungsgrad länger im Kindergarten verweilen, um mit zusätzlichen frühkindlichen Fördermaßnahmen eine Einschulung in eine Förderschule zu verhindern (Morgan et al. 2010; Sullivan und Field 2013). Die Vorhersage des Besuchs einer Regelschule anstelle einer Förderschule durch die logistische Regression gelang sowohl für die Deutsch- als auch die Mathematikstichprobe zuverlässig. In beiden Teilstichproben lag die Varianzaufklärung bei R 2 = 0,45 (Nagelkerke 1991).

Tab. 3 Ergebnisse der logistischen Regression zur Vorhersage des Besuchs einer Regelschule (Basis: Stichprobe mit Leistungswerten im Fach Deutsch)

5.3 Verwendetes Matchingverfahren

Die Auswahl vergleichbarer Kinder mit SPF erfolgte über ein Full Matching-Verfahren (Hansen 2004; Rosenbaum 1991). Dabei wurde die Stichprobe auf Basis des Propensity Scores in verschiedene Untergruppen aufgeteilt. Jede Untergruppe bestand aus mindestens einem Kind aus einer Regel- und einer Förderschule, wobei das Verhältnis zwischen den Schülern beider Schularten über die verschiedenen Untergruppen variierte. Die Anzahl der Untergruppen wurde iterativ so bestimmt, dass sich die Unterschiede auf den Propensity Scores in jeder Untergruppe minimierten. Die anschließende Schätzung des ATTs erfolgte unter Verwendung von Gewichtungsfaktoren, die die Anzahl der Schüler pro Untergruppe widerspiegeln. Schüler mit extremen Ausprägungen auf dem Propensity Score wurden von den anschließenden Analysen ausgeschlossen.

5.4 Vergleich der Untersuchungsgruppen nach dem Matching

In Tab. 4 werden die Verteilungen der Propensity Scores vor und nach dem Matching sowie der standardisierte Bias abgebildet. Die Darstellung erfolgt dabei sowohl für die gesamte Stichprobe als auch separat für die Förderschwerpunkte Lernen und Sprache. Aufgrund der geringen Anzahl von Schülern in Förderschulen mit Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung konnte für diese Teilstichprobe kein Matching durchgeführt werden.

Tab. 4 Verteilung der Propensity Scores vor und nach dem Matching und standardisierter Bias (SB)

Es zeigte sich, dass das Full Matching zu einer starken Reduktion des standardisierten Bias auf dem Propensity Score führte. Auch die Verteilung der Propensity Scores und die Unterschiede auf den einzelnen Kovariaten weisen darauf hin, dass eine Parallelisierung der Untersuchungsgruppen erreicht werden konnte (Abb. 1). Somit kann angenommen werden, dass sich Kinder in Regel- und Förderschulen nach dem Matching hinsichtlich der betrachteten Kovariaten nicht mehr bedeutsam unterscheiden. Zudem liegt in der gematchten Stichprobe eine hinreichend große Überlappung der Propensity Scores zwischen den Untersuchungsgruppen vor.

Abb. 1.
figure 1

Standardisierte Mittelwertunterschiede zwischen Kindern mit SPF in Regel- und Förderschulen vor und nach dem Full Matching. (Anmerkung: Darstellung bezieht sich auf die gesamte Stichprobe der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, für die Leistungswerte im Fach Deutsch vorliegen (N = 1071). aHighest international socio-economic index of occupational status. bHighest international standard classification of education. c1 = immer oder fast immer Deutsch. d1 = beide Eltern in Deutschland geboren. e1 = männlich. fHauptschulabschluss. gRealschulabschluss)

5.5 Schätzung differenzieller Effekte der Beschulungsart auf die Schulleistung

Im abschließenden Auswertungsschritt wurden die Effekte der Art der Beschulung auf die Schulleistungen in Deutsch (Lesen und Zuhören) und Mathematik innerhalb der gematchten Stichproben geschätzt. In Tab. 5 werden die ATTs (s. Abschn. 4.3) und Standardfehler für die aggregierten Kompetenzwerte berichtet. Die Mittelwertdifferenzen wurden an der Standardabweichung der gesamten Stichprobe des IQB-Ländervergleichs Primarstufe 2011 normiert (M = 500, SD = 100) und lassen sich im Rahmen der Konventionen von Cohen (1992) als Effektstärken interpretieren (Cohens d).Footnote 6

Tab. 5 Effekte des Besuchs einer Regelschule auf die Kompetenzen in Deutsch und Mathematik nach dem Full Matching

Im Hinblick auf die Lesekompetenzen zeigte sich, dass Schüler mit SPF in Regelschulen insgesamt signifikante Leistungsvorsprünge im Vergleich zur gematchten Schülergruppe in Förderschulen erzielten. Der korrespondierende ATT betrug 38 Punkte (p < 0,001), was nach Cohen (1992) einem geringen Effekt zugunsten der Kinder mit SPF in Regelschulen entspricht. Eine Differenzierung nach Förderschwerpunkten ergab, dass insbesondere Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen vom gemeinsamen Unterricht in Regelschulen profitierten. Hier verzeichneten Kinder mit SPF, die in einer Regelschule unterrichtet wurden, signifikant bessere Lesekompetenzen als vergleichbare Kinder in Förderschulen (ATT = 49 Punkte, p < 0,001). Deutlich geringer fiel der Unterschied für den Förderschwerpunkt Sprache aus. Hier zeigte sich ein durchschnittlicher Leistungsvorsprung der Kinder in Regelschulen von ATT = 27 Punkten (p < 0,01) gegenüber vergleichbaren Kindern in Förderschulen.

Der differenzielle Befund im Hinblick auf den Förderschwerpunkt zeichnete sich auch für den Kompetenzbereich Zuhören ab. Der globale ATT über alle betrachteten Förderschwerpunkte lag bei durchschnittlich 50 Punkten (p < 0,001) zugunsten des Besuchs einer Regelschule. Wiederum erwiesen sich die Leistungsunterschiede für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen als besonders ausgeprägt. Hier betrug der Leistungsvorsprung von Schülern in Regelschulen 75 Punkte (p < 0,001) gegenüber vergleichbaren Kindern in Förderschulen. Im Förderschwerpunkt Sprache waren die Leistungsunterschiede geringer und lagen im Mittel bei ATT = 49 Punkten (p < 0,001) zugunsten der Kinder mit SPF in Regelschulen.

Für das Fach Mathematik zeigte sich über alle Förderschwerpunkte betrachtet ebenfalls eine höhere durchschnittliche Testleistung der Schüler mit SPF, die in einer Regelschule unterrichtet wurden (ATT = 43 Punkte, p < 0,001). Dieser globale Effekt ließ sich vorrangig auf ausgeprägte Leistungsunterschiede der Schülerschaft mit dem Förderschwerpunkt Lernen zurückführen. Innerhalb dieser Gruppe wiesen Schüler in Regelschulen deutlich höhere mathematische Kompetenzen auf als vergleichbare Schüler in Förderschulen (ATT = 80 Punkte, p < 0,001). Innerhalb der Teilstichprobe des Förderschwerpunktes Sprache zeigten sich hingegen keine signifikanten Leistungsunterschiede zwischen Kindern in Regel- und Förderschulen (ATT = 7 Punkte, p = 0,42).

6 Zusammenfassung und Diskussion

6.1 Zusammenfassung der vorliegenden Studie

Ziel der Studie war es, den Einfluss der Art der Beschulung auf die schulischen Kompetenzen von Kindern mit SPF im Bereich Lesen, Zuhören und Mathematik am Ende der vierten Jahrgangsstufe zu untersuchen. Hierzu wurden Daten der IQB-Ländervergleichs­studie 2011 für die Primarstufe herangezogen, in der auch Schüler der drei Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung getestet wurden. Um Gruppenunterschiede auf Merkmalen zu kontrollieren, die sowohl für die Zuweisung zu einer Regel- oder Förderschule als auch für die Schülerkompetenzen relevant sein könnten, wurden Propensity Score Matching-Verfahren eingesetzt (Rosenbaum und Rubin 1983).

Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass Schüler mit SPF, die in einer Regelschule unterrichtet wurden, in allen untersuchten Bereichen höhere Leistungen aufwiesen als vergleichbare Schüler mit SPF in Förderschulen. Nach Cohen (1992) handelt es sich bei den ermittelten Leistungsunterschieden je nach betrachtetem Kompetenzbereich um geringe bis mittlere Effekte zugunsten des Besuchs einer Regelschule.

Eine nach Förderschwerpunkten differenzierte Betrachtung ergab, dass insbesondere Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen vom Unterricht in Regelschulen zu profitieren scheinen. Für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Sprache waren die Leistungsunterschiede in den sprachlichen Kompetenzen in Abhängigkeit von der Art der Beschulung hingegen geringer ausgeprägt. Für das Fach Mathematik konnte kein bedeutsamer Leistungsunterschied zwischen Regel- und Förderschülern mit dem Förderschwerpunkt Sprache nachgewiesen werden.

Um eine inhaltliche Interpretation der Effekte zu ermöglichen, können diese mit der zu erwartenden durchschnittlichen Leistungszunahme zwischen der dritten und vierten Jahrgangsstufe verglichen werden (vgl. Granzer et al. 2009; Stanat et al. 2012). Vorangegangene Large-Scale-Assessements im Primarbereich fanden bezogen auf die Metrik der Bildungsstandards einen mittleren Kompetenzzuwachs von der dritten zur vierten Jahrgangsstufe von circa 60 Punkten in den Kompetenzbereichen Lesen und Zuhören (Behrens et al. 2009; Bremerich-Vos und Böhme 2009) und etwa 80 Punkten in Mathematik für die gesamte Schülerpopulation (Reiss und Winkelmann 2009).

Damit entsprechen die Leistungsvorsprünge der Kinder mit SPF in Regelschulen über alle Förderschwerpunkte hinweg dem Lernzuwachs von etwa einem halben Schuljahr im Lesen und in Mathematik sowie annähernd einem Schuljahr im Zuhören. Für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen war der Vorsprung in Regelschulen im Vergleich zu Förderschulen noch deutlich größer: Im Kompetenzbereich Lesen und in Mathematik nähert sich der in dieser Studie identifizierte Unterschied einem Leistungsvorsprung von einem Schuljahr; im Kompetenzbereich Zuhören lag er bei mehr als einem Schuljahr zugunsten der Kinder in Regelschulen. Für Schüler mit dem Förderschwerpunkt Sprache waren dagegen deutlich geringere Leistungsunterschiede zu verzeichnen; sie entsprechen im Kompetenzbereich Lesen aber dennoch knapp einem halben Schuljahr und im Zuhören unter einem Schuljahr zugunsten der Kinder in Regelschulen. In Mathematik zeigten sich für diese Schülergruppe keine bedeutsamen Leistungsunterschiede.

Bei dieser Interpretation der Leistungsunterschiede muss allerdings einschränkend beachtet werden, dass die Schätzungen der Lernzuwächse nicht anhand von Leistungsentwicklungen einzelner Schüler sondern durch querschnittliche Vergleiche von Alterskohorten ermittelt wurden. Zudem basieren die Schätzungen der Lernzuwächse auf Daten der Gesamtpopulation von Schülern und es ist unklar, inwieweit sie auch für Kinder mit SPF gültig sind. Untersuchungen zum Matthäuseffekt (Walberg und Tsai 1983) legen die Vermutung nahe, dass Kinder mit SPF aufgrund niedrigerer Ausgangsleistungen geringere Lernzuwächse erzielen als Kinder ohne SPF, sodass der Unterschied tendenziell noch größer ausfiele. Allerdings ist auch diese Vermutung bislang ungeprüft (s. aber Peetsma et al. 2001).

Die Befunde der vorliegenden Studie stehen in Einklang mit nationalen und internationalen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Beschulungsart auf die schulische Kompetenzentwicklung von Schülern mit SPF (Haeberlin 1991; Ruijs und Peetsma 2009; Wocken 2000, 2005; Wocken und Gröhlich 2009). Sie erweitern den Forschungsstand dahingehend, dass eine bundesweite Stichprobe berücksichtigt und eine differenzierte Betrachtung nach Förderschwerpunkten vorgenommen wurde. Eine Stärke der vorliegenden Analysen liegt in der Verwendung von Propensity Score Matching-Verfahren. Dies ermöglichte eine Parallelisierung der Vergleichsgruppen hinsichtlich einer Vielzahl von Schülermerkmalen und somit eine für Analysen mit Querschnittsdaten vergleichsweise genaue Schätzung des Einflusses der Beschulungsart auf die schulischen Kompetenzen. Außerdem können durch das mehrstufige Auswertungsverfahren Aussagen über die differenzielle Eingangsselektivität an Regel- und Förderschulen getroffen werden. Anhand der logistischen Regression (s. Tab. 3) zeigte sich, dass Kinder mit SPF an Regelschulen einen günstigeren sozio-kulturellen Hintergrund und höhere kognitive Grundfähigkeiten aufwiesen als Förderschüler. Auch bei statistischer Kontrolle dieser vergleichsweise günstigeren individuellen Lernvoraussetzungen scheinen jene jedoch von einer Beschulung in Regelschulen zu profitieren. Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass eine Beschulung von Kindern mit SPF in Förderschulen mit der Verstärkung von sozialen Disparitäten einhergehen kann. Dies weist darauf hin, dass Kinder mit SPF, die in einer Förderschule unterrichtet werden, doppelt benachteiligt sind (vgl. Schümer 2004). Zum einen weisen Kinder mit SPF aus sozial schwachen Familien aufgrund ihrer individuellen Lernausgangsbedingungen niedrigere schulische Kompetenzen in Schulleistungstests auf. Zum anderen werden sie auch häufiger in Förderschulen unterrichtet, in denen Kinder mit SPF nach Kontrolle individueller Schülermerkmale niedrigere Kompetenzstände erreichen. Das kann letztlich dazu führen, dass sich herkunftsbedingte Bildungsnachteile institutionell verstärken (Schümer 2004, S. 102).

6.2 Erklärungsansätze für den Einfluss der Beschulungsart auf die schulischen Kompetenzen von Kindern mit SPF

Da der Fokus der Untersuchung auf der Quantifizierung von Effekten des Besuchs einer Regelschule auf die Schulleistung von Schülern mit SPF lag, lassen sich über die den Effekten zugrundeliegenden Mechanismen keine empirisch abgesicherten Aussagen treffen. Eine mögliche Ursache könnte darin liegen, dass Regelschulen im Vergleich zu Förderschulen günstigere Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder mit SPF bereitstellen, die unabhängig und zusätzlich zu individuellen Lernausgangsbedingungen schulische Leistungsentwicklungen begünstigen (Baumert et al. 2006; Bos et al. 2010; Wocken 2005). Diese differenzielle Leistungsentwicklung kann zum einen durch Effekte der sozialen und leistungsbezogenen Zusammensetzung der Schülerschaft verursacht werden (Stanat et al. 2010). Sowohl Auswertungen amtlicher Schulstatistiken als auch empirische Studien konnten zeigen, dass Kinder in Förderschulen (vor allem mit dem Förderschwerpunkt Lernen) häufiger aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien stammen als Kinder in Regelschulen. Außerdem sind Kinder mit einem Zuwanderungshintergrund an Förderschulen überrepräsentiert (Dietze 2011; Opp et al. 2008; Wocken 2000, 2005). Unterschiede in der sozialen und kulturellen Zusammensetzung der Schülerschaft können bereits bestehende Leistungsnachteile verstärken und sich als institutioneller Matthäuseffekt (Baumert et al. 2006) auf die individuelle Leistungsentwicklung der Schüler auswirken. In Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Schichten kann ein eher ungünstiges Lernmilieu entstehen, in dem schulischer Erfolg und Leistungsstreben weniger wertgeschätzt werden (Eccles und Roeser 2011). Zum anderen könnten Kinder mit SPF durch Interaktionen mit leistungsstärkeren Mitschülern in Regelschulen stärkere Lernfortschritte erzielen (Hanushek et al. 2003; Slavin 1996).

Dass die positiven Effekte des Besuchs einer Regelschule für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen offenbar deutlich größer sind als für Kinder mit dem Förderschwerpunkt Sprache könnte unter anderem auf Unterschiede zwischen den beiden Schülergruppen und in den Lehrplänen für die beiden Förderschwerpunkte zurückzuführen sein. Der Zuweisung zu den Förderschwerpunkten liegen unterschiedliche Diagnosekriterien zugrunde. Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen weisen Beeinträchtigungen im schulischen Lernen und Leistungsverhalten auf, die durch vielfältige kognitive, sensorische aber auch soziale und emotionale Faktoren verursacht sein können (KMK 1999). Im Gegensatz dazu sind die Diagnosekriterien für eine Zuweisung zum Förderschwerpunkt Sprache enger umrissen und beziehen sich auf funktionale sprachliche Probleme, die sich sowohl in der Kommunikation als auch in altersunüblichen Leistungen im schriftlichen und sprachlichen Bereich äußern (KMK 1998). Möglicherweise verfügen Kinder mit dem Förderschwerpunkt Sprache daher über günstigere Lernausgangsbedingungen als Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen (s. auch Hanushek et al. 2002). Tatsächlich ergaben zusätzliche Analysen unserer Daten, dass die Kinder mit dem Förderschwerpunkt Sprache über höhere kognitive Grundfähigkeiten verfügten als die Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen (d = 0,99).

Weiterhin orientieren sich die Lehrpläne an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Sprache insbesondere im mathematischen Bereich stärker an denen der Regelschule als die Lehrpläne der Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen (KMK 1998). Die Zusammenfassung leistungsschwacher Schüler in homogenen Lerngruppen führt insbesondere dann zu negativen Auswirkungen auf ihre Schulleistungen, wenn diese mit geringeren curricularen Erwartungen einhergeht (Hattie 2002; Schofield 2010).

6.3 Einschränkungen der Untersuchung und Forschungsausblick

Eine Einschränkung der vorliegenden Untersuchung besteht darin, dass der Schweregrad der Beeinträchtigung der Kinder mit SPF nicht erhoben wurde. Dabei handelt es sich um ein generelles Problem bei der Untersuchung von Schülern mit SPF im Rahmen von Large-Scale-Assessments (Lindsay 2007; Ruijs und Peetsma 2009). Üblicherweise existieren lediglich globale Ausschlusskriterien für die Teilnahme an den Leistungstests. Am IQB-Ländervergleich 2011 nahmen nur Kinder teil, von denen angenommen werden konnte, dass sie die Kompetenztests bearbeiten können. Ausgeschlossen wurden Schüler mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung sowie Kinder nichtdeutscher Muttersprache, die weniger als ein Jahr in deutscher Sprache unterrichtet worden sind. Außerdem wurden Kinder ausgeschlossen, die durch die Testsituation und die Testanweisungen massiv emotional belastet worden wären (Richter et al. 2012). Von diesen Kriterien lässt sich die Vermutung ableiten, dass die vorliegende Stichprobe überwiegend aus Kindern mit leichten bis moderaten Lern- oder Sprachbeeinträchtigungen bestand. Unklar ist allerdings, ob sich die beiden Untersuchungsgruppen im durchschnittlichen Schweregrad der Beeinträchtigung unterscheiden. Dies sollte in zukünftigen Studien berücksichtigt werden.

In der vorliegenden Untersuchung konnte zwar der Schweregrad des SPF nicht kon­trolliert werden, Unterschiede in den kognitiven Grundfähigkeiten der Schüler wurden im Rahmen des Propensity Score Matchings jedoch berücksichtigt. Es ist allerdings möglich, dass auch die kognitiven Grundfähigkeiten der Schüler durch die Art der Beschulung beeinflusst worden sind, dies lässt sich aufgrund der querschnittlichen Anlage der Studie nicht ausschließen (Becker et al. 2012; Baumert et al. 2006). Zur empirischen Absicherung der berichteten Ergebnisse sind deshalb längsschnittliche Analysen zur Kompetenzentwicklung von Kindern mit SPF in Regel- und Förderschulen unerlässlich. Vor dem Hintergrund der Heterogenität der Schülergruppe mit SPF bedarf es in zukünftigen Studien zudem detaillierterer Analysen zur Frage, welche Schüler mit SPF durch Unterricht in einer Regelschule besonders gefördert werden können. So könnte untersucht werden, ob sich der gemeinsame Unterricht in Regelschulen je nach Schwergrad der Beeinträchtigung unterschiedlich auf die schulischen Kompetenzen von Kindern mit SPF auswirkt. Eine weitere offene Frage ist, inwieweit die Kompetenzentwicklung von Schülern ohne SPF durch integrativen oder inklusiven Unterricht beeinflusst wird. Die bislang durchgeführten empirischen Untersuchungen konnten für diese Schülergruppe überwiegend keine negativen Effekte identifizieren (Hanushek et al. 2002; Farrell et al. 2007; Ruijs et al. 2010). Allerdings scheint der Zusammenhang zwischen dem Anteil von Kindern mit SPF in Regelschulen und der Schulleistung ihrer Mitschüler von weiteren Merkmalen der Schule und der Unterrichtsgestaltung, wie etwa personalen Ressourcen und Klassengröße, abhängig zu sein (Dyson et al. 2004; Farrell et al. 2007). Außerdem könnten die Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung der Kinder ohne SPF auch je nach Förderschwerpunkt der integrativ bzw. inklusiv beschulten Kinder mit SPF variieren (Farrell et al. 2007).

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die vorliegende Untersuchung, trotz der dargestellten Einschränkungen, empirische Hinweise auf einen positiven Einfluss der Beschulung von Schülern mit SPF in Regelschulen liefert. Die Schätzung der Effekte erfolgte dabei anhand von Daten einer bundesweit durchgeführten Large-Scale-Assessment-Studie mit vergleichsweise großem Stichprobenumfang. Wichtiger Forschungsbedarf besteht jedoch weiterhin im Hinblick auf die Frage, wie ein gemeinsamer Unterricht von Kindern mit SPF in Regelschulen im Detail ausgestaltet werden sollte, um für alle Schüler effektiv zu sein (Zigmond 2003). Dies ist nicht zuletzt auch für evidenzgestützte Entscheidungen bei der weiteren Umsetzung inklusiver Bemühungen im deutschen Bildungssystem von besonderer Bedeutung.