1 Einleitung

Bei aller Uneinigkeit über die Frage, wie die Qualität einer Gesellschaft genau zu bestimmen sei, scheint die Bevölkerung westlicher Industrienationen bezüglich eines Punktes weitgehend einig zu sein: Allzu große materielle Ungleichheiten sollten vermieden werden und allen Bürgerinnen und Bürgern sollte ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe ermöglicht werden. Wohl nicht zuletzt deshalb finden wir, bei erheblicher Verschiedenheit im Detail, in allen diesen Staaten mehr oder weniger entwickelte Wohlfahrtsstaaten. Goodin et al. (1999) gehen in ihrem BuchThe Real Worlds of Welfare Capitalism sogar so weit, die Armutsquote oder den Erfolg bei der Vermeidung von Armut zu einem zentralen Kriterium für die Qualität der drei von ihnen untersuchten Wohlfahrtsstaaten (Deutschland, Niederlande, USA) zu erklären.

Im vorliegenden Aufsatz greifen wir diesen Vorschlag der „Real-Worlds“-Studie auf, um sie für Deutschland und die USA in zweierlei Hinsicht zu vertiefen. Wie Goodin et al. (1999) untersuchen wir, wie gut Deutsche und Amerikaner vor dem Leben in Armut geschützt sind. Je besser dieser Schutz, desto höher die Qualität des jeweiligen Wohlfahrtsstaats. Selbstverständlich beleuchten wir hiermit nur einen Teil der zahlreichen Unterschiede zwischen den beiden Ländern. Allerdings glauben wir, dass es sich dabei um einen besonders wichtigen Ausschnitt handelt. Armut ist zweifellos kein erstrebenswerter Zustand, sondern im Gegenteil ein wohl nicht ganz vermeidbares Übel, welches zu bekämpfen seit langem das Ziel staatlichen Handelns ist. Der moderne Wohlfahrtsstaat ist in dieser Hinsicht nur der fortgeschrittenste Versuch einer langen Reihe von Maßnahmen zur Eindämmung von Armut (Goodin et al.1999, S. 26). Insofern basiert unser Qualitätskriterium nicht nur auf einer einleuchtenden normativen Setzung, sondern auch auf einem selbst gesteckten Ziel der beiden untersuchten Wohlfahrtsstaaten.

Nun zu den beiden Vertiefungen. Die erste Vertiefung besteht in einer Zuspitzung der Fragestellung auf wohlfahrtsstaatliche Programme. Bekanntermaßen unterscheiden sich Deutschland und die USA in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Bürger vor Armut schützen (Esping-Andersen1990). Goodin et al. (1999) vergleichen darum die Häufigkeit und die Dauer von Armut in den untersuchten Ländern und interpretieren die Unterschiede als Folgen der jeweiligen Wohlfahrtsregime. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Sicherungssysteme der untersuchten Länder nach dem Kausalprinzip arbeiten, d. h., es finden sich „differenzierte Programme nach der dem Einkommensverlust zugrundeliegenden Ursache“ (Alber1987, S. 27). Es ist darum möglich, dass ein Land erfolgreich die Armut derjenigen bekämpft, die in den Altersruhestand wechseln, und gleichzeitig erfolglos ist bei denjenigen, die arbeitslos werden.Footnote 1 Unterschiede bei den Armutsziffern könnten daher darauf zurückzuführen sein, dass die Ereignisse in den beiden Ländern in unterschiedlicher Häufigkeit auftreten. Aus diesem Grund untersuchen wir, in welchem Ausmaß Armut als Folge eines Arbeitsplatzverlustes, des Eintritts in den Altersruhestand, einer lang anhaltenden Krankheit und einer Familientrennung entsteht. Zur Quantifizierung dieser Ereignisfolgen entwickeln wir eine Maßzahl, die sich an einem sogenannten Difference-in-Difference-Konzept orientiert und sich mit den Daten des deutschen Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) oder der amerikanischen Panel Study of Income Dynamics (PSID) umsetzen lässt.Footnote 2

Unsere zweite Vertiefung ist ein Zeitvergleich. Drei Gründe sprechen für zeitliche Fluktuationen der Ereignisfolgen: Erstens unterliegen die wohlfahrtsstaatlichen Regelungen ständigem Wandel, zweitens verändern sich die makroökonomischen Bedingungen und damit die Chancen, der Armut durch Eigeninitiative zu entgehen. Drittens schließlich könnte sich die Zusammensetzung der von den Ereignissen betroffenen Personen ändern. Wir verfolgen darum die armutsgenerierende Wirkung der vier Ereignisse für den Zeitraum von etwa Mitte der 1980er Jahre bis in die jüngste Vergangenheit. Gleichzeitig liefern wir durch eine Beschreibung der parallel verlaufenden wohlfahrtsstaatlichen, konjunkturellen und strukturellen Veränderungen Anhaltspunkte für eine Erklärung der zeitlichen Veränderungen.

Bei all dem bleibt die Analyse deskriptiv, d. h., das Ziel ist eine Quantifizierung eines Aspekts der Qualität von zwei Wohlfahrtsstaaten. Maßgeblich hierfür ist, wie gut das jeweilige Land die tatsächlich anfallenden Problemlagen bewältigt. Wir werden nachweisen, dass die Fluktuation der Ereignisfolgen im liberalen amerikanischen Wohlfahrtsstaat unabhängig von Reformen des Wohlfahrtsstaats viel stärker ist als im konservativen deutschen. Hieraus ergeben sich Zweifel an der Beschreibung von Wohlfahrtsstaaten mit Hilfe von idealisierten Wohlfahrtsregimen. Gleiches gilt für pessimistische Zeitdeutungen wie den von Hacker (2006) für die USA beschriebenen „Great Risk Shift“ oder die verschiedentlich geäußerte Befürchtung einer „Amerikanisierung“ kontinental-europäischer Sozialstaaten (Walker1999; Alber2006; Starke et al.2008). Darüber hinaus werden wir zeigen, dass der häufig beschriebene Umbau des Sozialstaats auf „neue soziale Risiken“ (Bleses und Seeleib-Kaiser2004; Bonoli2005) bislang nicht dazu geführt hat, dass das Armutsrisiko nach einer Familientrennung gesunken wäre.

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert. Nach der Darstellung des Forschungsstands (Abschn. 2) erläutern wir zunächst die Anlage der Untersuchung und die Messung der Ereignisfolgen (Abschn. 3). Abschn. 4 beschreibt die historischen Entwicklungen, die die Betrachtung der Ereignisfolgen im Zeitvergleich notwendig machen. Abschn. zeigt das Ausmaß der Ereignisfolgen, zunächst im Vergleich zwischen den Ländern, danach im Zeitvergleich.

2 Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit sieht sich in der Tradition der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung.Footnote 3 Die Mehrzahl der Studien aus dieser Forschungstradition untersucht Makrozusammenhänge zwischen Sozialstaatsausgaben und aggregierten Erfolgskriterien, wie z. B. der Armutsquote. Studien, welche die Wirkung sozialstaatlicher Regelungen auf individuelle Eintrittswahrscheinlichkeiten in Armut untersuchen, sind vergleichsweise rar. Eine Ausnahme ist die Studie von Goodin et al. (1999). In ihr wird der „Erfolg“ je eines liberalen (USA), eines konservativen (Deutschland) und eines sozialdemokratischen (Niederlande) Wohlfahrtsregimes untersucht. Das Kriterium der Armutsvermeidung spielt darin eine zentrale Rolle (Goodin et al.1999, S. 152–172). Die Resultate der Studie zeigen, dass der Anteil armer Menschen an der Gesamtbevölkerung im liberalen Regime höher ist als in den beiden anderen. Zudem dauern Armutsepisoden dort länger und wiederholen sich öfter. Aus dieser Sicht ist das liberale Wohlfahrtsregime weniger erfolgreich als die beiden anderen Regime.

Neben der „Real-Worlds“-Studie gibt es noch weitere Arbeiten, die eher aus einem sozialpolitischen Blickwinkel Armutsdynamiken untersuchen. Basierend auf Daten des ECHP analysieren Layte und Whelan (2003) sowie Fouarge und Layte (2005) die Gründe für Armutsein- und -austritte und die Dauer von Armutsepisoden in verschiedenen europäischen Ländern. Die Studien zeigen, dass eine Reduktion des Arbeitseinkommens in sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten eine geringere Erhöhung des Armutsrisikos nach sich zieht als in liberalen und konservativen. Allerdings wird nicht nach den Gründen für die Reduktion des Arbeitseinkommens unterschieden. Rückschlüsse auf etwaige sozialstaatliche Ursachen sind deshalb schwierig.

Um genauer zu untersuchen, wie sich Wohlfahrtsregime bei der Vermeidung von Armut unterscheiden, ist es notwendig, getrennte Analysen für die verschiedenen potenziell armutsauslösenden Ereignisse durchzuführen und die Zusammensetzung der von diesen Ereignissen betroffenen Personen zumindest ansatzweise zu kontrollieren. Einen Schritt in diese Richtung unternehmen DiPrete und McManus (2000), indem sie das Ausmaß von Einkommensveränderungen nach sogenannten Trigger-Events zwischen Deutschland und den USA vergleichen. Zu den berücksichtigten Trigger-Events gehören auch die Beendigung der Erwerbstätigkeit und die Trennung, welche beide zu einem deutlichen Einkommensverlust führen. Wichtigstes Ergebnis der Studie dürfte sein, dass die Einkommensverluste in den USA zwar stärker sind, sie aber trotzdem nicht schneller kompensiert werden.

Maßstäbe setzt die Studie, weil sie die Vorteile von Paneldaten konsequent nutzt. Mit dem von den Autoren verwendeten „Fixed-Effects-Change“-Modell wird ermittelt, ob das Eintreten von Trigger-Events eine Abweichung von der für eine Person üblichen Einkommensentwicklung nach sich zieht. Der zentrale Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass die geschätzten Effekte nur auf den Veränderungen beruhen, die sich nach dem Eintritt der Trigger-Events ergeben. Die Schätzungen sind daher vergleichsweise gute Annäherungen an den kausalen Effekt der Trigger-Events.

Unsere Studie verbindet die „Real-Worlds“-Studie mit der Studie von DiPrete und McManus. Von der „Real-Worlds“-Studie übernehmen wir die Idee, Wohlfahrtsstaaten danach zu beurteilen, wie gut sie ihre Bürger vor Armut schützen. Von DiPrete und McManus übernehmen wir den Gedanken, dass die kausalen Effekte konkreter Lebensereignisse die interessierende Größe sein sollten. Gleichzeitig unterscheiden wir uns in vielerlei Hinsicht von den genannten Vorbildern: Das ergibt sich schon daraus, dass wir die abhängige Variable der „Real-Worlds“-Studie, das Armutsrisiko, mit ähnlichen Methoden wie DiPrete und McManus analysieren. Darüber hinaus ergänzen wir den Ländervergleich durch einen Zeitvergleich. Schließlich behandeln wir mit „Verrentung“ und „Krankheit“ zwei Lebensereignisse, die in keiner der beiden Studien betrachtet wurden.

3 Anlage der Untersuchung

Die aktuellen Studien zu den Ursachen von Armut verwenden „Discrete-Time-Hazard“-Modelle (Callens und Croux2009; Vandecasteele2010; Lorentzen et al.2011). Aus drei Gründen verfolgen wir einen anderen Ansatz. Erstens interessieren wir uns ausschließlich für die Wirkung der Ereignisse, d. h., wir wollen ermitteln, ob eine Person durch ein Ereignis arm wird, und nicht, warum eine Person arm ist. Zweitens liegt unser Augenmerk auf einem Vergleich zwischen Deutschland und den USA und zwischen verschiedenen Zeitpunkten. Ein Vergleich der Koeffizienten von Discrete-Time-Hazard-Modellen zwischen Stichproben ist aber problematisch (Allison1999). Drittens schließlich sind die Koeffizienten der Discrete-Time-Hazard-Modelle in einer Metrik ausgedrückt, die für sich genommen nur schwer Rückschlüsse über das Ausmaß der Ereignisfolgen zulässt. Wir wählen stattdessen ein Verfahren, das grundlegende Vorstellungen der kontrafaktischen Konzeption von Kausalität (Holland1986) berücksichtigt und leicht interpretierbare Werte liefert, die gut zwischen Stichproben vergleichbar sind.

3.1 Messung von Ereignisfolgen

In welchem Ausmaß werden Menschen durch eines der hier untersuchten kritischen Lebensereignisse in Armut gedrängt? Zur Beantwortung dieser Frage greifen wir auf eine Difference-in-Difference-Schätzung zurück, d. h., wir ermitteln den Unterschied des Armutsrisikos vor und nach dem Eintreten eines Ereignisses und vergleichen diese Differenz mit der Differenz von Personen, bei denen das Lebensereignis nicht eingetreten ist.

Hierzu benötigt man zunächst eine Personi, bei der das zu untersuchende Ereignis stattgefunden hat. Wir bezeichnen das Vorliegen von Armut bei Personi nach einem Ereignis zum Zeitpunktt mity i, t Post, wobeiy die Werte von 0 für „gesicherte Einkommensposition“ und 1 für „Armut“ annehmen kann. Entsprechend bezeichnen wir das Vorliegen von Armut vor dem Ereignis mity i, t Pre. Mit Hilfe dieser Angaben lässt sich ermitteln, wie sich die Armut einer Personi nach einem Ereignis verändert:

$$ {{\Delta }_{i,t}}=y_{i,t}^{Post}-y_{i,t}^{Pre} $$
(1)

Δi kann drei Werte annehmen: 1 für Personen, die arm werden, − 1 für Personen, die der Armut entkommen, und 0 für Personen, die ober- oder unterhalb der Armutsgrenze verbleiben. Der Wert von Δ i wäre ausschließlich auf das Ereignis zum Zeitpunktt zurückzuführen, wenn zwischen den beiden Untersuchungszeitpunkten nur das Ereignis stattgefunden hätte. Zwar ist sicher, dass der Wert von Δ i nicht auf unveränderliche Personenmerkmale wie Geburtsjahr, Geschlecht, Intelligenz oder vergangene Sozialisationserfahrungen zurückzuführen ist, doch könnte Δ i zumindest aus drei Gründen nicht die Wirkung des untersuchten Ereignisses darstellen. Erstens könnte sich Δ i zufällig ergeben haben, zweitens könnte Δ i auf Reifeprozesse (Alterseffekt) der Personi zurückzuführen sein, und schließlich könnten die unterschiedlichen Beobachtungszeitpunkte (Periodeneffekt) die Ursache der Veränderungen vony i sein.

Um reine Zufallsbefunde auszuschließen, ermitteln wir den Durchschnitt von Δ i für alle Personeni = 1,,N, die von dem Ereignis betroffen sind:

$$ \bar{\Delta }_{t}^{I}=\displaystyle\frac{1}{N}\sum\limits_{i=1}^{N}{(y_{i,t}^{Post}-y_{i,t}^{Pre} )} $$
(2)

Um Alters- und Periodeneffekte auszuschließen, vergleichen wir ΔI mit einem entsprechend gebildeten Durchschnittswert einer Kontrollgruppe aller Personen, bei denen das Ereignis zum entsprechenden Zeitpunktt nicht stattgefunden hat,

$$ Di{{D}_{t}}=\bar{\Delta }_{t}^{I}-\bar{\Delta }_{t}^{J}, $$
(3)

wobei Δ t J die analog zu Gl. (2) ermittelte durchschnittliche Veränderung der Armut um das Jahrt herum in der Kontrollgruppe bezeichnet. Der Wert von DiD gibt an, inwieweit Personen mit einem kritischen Lebensereignis häufiger in Armut fallen als Personen, denen im vergleichbaren Zeitraum kein derartiges Lebensereignis widerfahren ist.

3.2 Praktische Umsetzung mit Paneldaten

Zur Schätzung von DiD verwenden wir Daten der Teilstichproben A-F des deutschen Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der amerikanischen Panel Study of Income Dynamics (PSID), zweier langfristig angelegter Panel-Befragungen, die beide den Untersuchungszeitraum der 1980er, 1990er und 2000er Jahre abdecken. Der besondere Vorteil der beiden Datensätze ist, dass einige ihrer Variablen im „Cross National Equivalence File“ (CNEF) in international vergleichbarer Form aufbereitet wurden (Frick et al.2007). Dies betrifft insbesondere das verfügbare Haushaltseinkommen, auf dem unser Armutsindikator basiert.Footnote 4 Für die hier vorgestellten Analysen gelten Personen als arm, wenn ihr bedarfsgewichtetes jährliches Netto-Haushaltseinkommen weniger als 60 % des jahresspezifischen Medians beträgt.

Die beiden Datensätze wurden in einen ereigniszentrierten Datensatz überführt. Hierzu wurden zunächst diejenigen Befragten identifiziert, für die ein Ereignis zum Zeitpunktt vorlag (Treatmentgruppe). Um jedes gefundene Ereignis herum wurde dann ein siebenjähriges Beobachtungsfenster gelegt, das jeweils drei Beobachtungen vor dem Ereignis, eine Beobachtung im Ereignisjahr sowie drei Beobachtungen nach dem Ereignis umfasst.Footnote 5 Die Untersuchungspopulation wurde auf Befragte eingegrenzt, die in den letzten drei Jahren vor dem Ereignis nicht von Armut betroffen waren. Wir betrachten folglich die Wirkung der Lebensereignisse für diejenigen Personen, die vor dem Ereignis gut vor Armut geschützt waren. Sodann berechnen wir den Anteil der Armen für das Ereignisjahrt und die drei darauffolgenden Jahre und vergleichen diese Anteile mit dem durchschnittlichen Anteil Armer in den drei Jahren vor dem Ereignis. Für jedes Ereignisjahrt und für die Zeitpunkteτ = 1,2,3 berechnen wir also

$$ \displaystyle\frac{1}{N}\sum\limits_{i}^{N}{{{y}_{i,t+\tau }}-\displaystyle\frac{1}{3\cdot N}\sum\limits_{i=1}^{N}{\sum\limits_{j=1}^{3}{{{y}_{i,t-j}},}}} $$

wobei der Subtrahend dieser Differenz wegen der Beschränkung auf Personen, die vor dem Ereignis nicht arm waren, in unseren Analysen stets Null ist.Footnote 6

Für jedes der vier Ereignisse wurde eine Kontrollgruppe gebildet, indem zunächst diejenigen Personen ausgewählt wurden, bei denen das Ereignis im Zeitraumt − 3 bist + 3 nicht eingetreten ist.Footnote 7 Um die Treatment- und Kontrollgruppe einigermaßen vergleichbar zu halten, wurden drei Vorkehrungen getroffen: Erstens wurden auch für die Kontrollgruppe nur Befragte ausgewählt, die in den drei Jahren vor dem jeweiligen Ereignisjahrt nicht arm waren. Zweitens wurden nur Befragte berücksichtigt, bei denen das Ereignis theoretisch auch hätte auftreten können: Für das Ereignis „Arbeitslosigkeit“ waren dies beispielsweise Personen, welche im Jahrt − 1 überwiegend erwerbstätig waren, während für das Ereignis „Familientrennung“ nur Personen berücksichtigt wurden, die im Jahrt − 1 in einer Paarbeziehung lebten und mindestens ein Kind hatten (vgl. Abschn. 3.3). Drittens schließlich wurden sowohl für die Treatment- als auch für die Kontrollgruppe jeweils nur Personen im Alter von 25 bis 55 Jahren ausgewählt oder bei den Verrentungen nur Personen über 55 Jahre.Footnote 8

3.3 Spezifikation der Lebensereignisse

Wir untersuchen die Folgen der Ereignisse Arbeitsplatzverlust, lang anhaltende Krankheit, Eintritt in den Altersruhestand und Familientrennung. Bei den ersten drei Ereignissen handelt es sich um die Standardrisiken der traditionellen Säulen von Wohlfahrtsstaaten, d. h. Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Rentenversicherung. Durch die Berücksichtigung der Familientrennung wollen wir der Frage nachgehen, wie erfolgreich die beiden Länder sogenannte „neue soziale Risiken“ abfedern und inwieweit es im Zeitverlauf zu einer zunehmenden Absicherung dieser Ereignisse gekommen ist (Bleses und Seeleib-Kaiser2004; Bonoli2005).

Das kritische Lebensereignis „arbeitslos werden“ tritt ein, wenn eine Person im Jahrt mehr als drei Monate arbeitslos gemeldet war und im Jahr davor mindestens sieben Monate erwerbstätig war.Footnote 9

Beim Lebensereignis „krank werden“ mussten zwischen Deutschland und den USA leichte Unterschiede zugelassen werden. Deutsche werden krank, wenn sie im Jahrt mindestens einmal länger als sechs Wochen krankgeschrieben waren, nicht aber im Jahr zuvor. In den USA liegt das Ereignis dagegen bereits dann vor, wenn die Anzahl der im Jahrt aufgetretenen Krankheitstage einen Zeitraum von sechs Wochen überschreitet, unabhängig davon, ob diese am Stück oder in mehreren Episoden auftraten.Footnote 10 In beiden Fällen tritt das Ereignis nur bei Erwerbstätigen auf, da sich nur diese krankschreiben lassen können.

Der Eintritt in den Altersruhestand im Sinne einer Beendigung der Erwerbstätigkeit durch einen starken Rückgang der jährlichen Arbeitszeit ist bei älteren Personen konzeptionalisiert. Für die nachfolgenden Analysen wurde darum für alle Personen über 57 Jahre geprüft, ob sie im Durchschnitt der zwei davor liegenden Jahre mehr als neun Monate erwerbstätig waren. Bei den so eingegrenzten Befragten liegt der Eintritt in den Altersruhestand dann vor, wenn diese Befragten im Durchschnitt des Jahrest und der beiden nachfolgenden Jahre nicht mehr als zwei Monate erwerbstätig waren.

Unabhängig vom formalen Familienstand liegt eine Familientrennung dann vor, wenn ein Paar zum Zeitpunktt − 1 mit einem Kind zwischen 0 und 13 Jahren in einem Haushalt zusammenlebt und sich im Jahr danach trennt. Von dem Ereignis betroffen ist nur diejenige Person, in deren Haushalt die Kinder weiterhin leben; in der weit überwiegenden Zahl der Fälle sind dies die Frauen.Footnote 11 Eine Familientrennung liegt im Übrigen auch dann vor, wenn zum Zeitpunktt bereits ein neuer Partner gefunden wurde. Umgekehrt liegt keine Familientrennung vor, wenn der bisherige Partner verstorben ist.

Eine Folge der dargestellten Operationalisierung und der Beschränkung auf Personen, die vor dem Ereignis nicht arm waren, ist, dass einige Ereignisse in unseren Daten sehr selten sind. Dies gilt insbesondere für Familientrennungen, die in Deutschland im Schnitt etwa 13-mal und in den USA etwa 25-mal pro Jahr auftreten. Auch Verrentungen beobachten wir zumindest im PSID nur recht wenige: durchschnittlich ungefähr 49 pro Jahr. Für den Zeitvergleich müssen die Ereignisse daher zu Perioden zusammengefasst werden. Zur besseren Vergleichbarkeit wird diese Periodisierung für alle Ereignisse vorgenommen.Footnote 12

4 Der Kontext

In den nachfolgenden Analysen werden die Ereignisfolgen zwischen Deutschland und den USA sowie über die Zeit verglichen. Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sind zu erwarten, weil beide Länder unterschiedlichen Typen von Wohlfahrtsregimen zugerechnet werden. Veränderungen der Ereignisfolgen im Zeitverlauf könnten sich aus Reformen sozialstaatlicher Strukturen der Absicherung, aus Veränderungen im makroökonomischen Kontext oder aus Veränderungen der von den Ereignissen betroffenen Personen ergeben. In diesem Abschnitt soll dies näher ausgeführt werden.

4.1 Wohlfahrtsregime

Das konservative Wohlfahrtsregime Deutschlands ist darauf angelegt, den ökonomischen Status der von kritischen Lebensereignissen Betroffenen zu erhalten. Die USA repräsentieren hingegen den Idealtyp eines liberalen Wohlfahrtsregimes, das lediglich eine Mindestsicherung bietet und höhere Anforderungen an Eigeninitiative stellt (Esping-Andersen1990). Entsprechend dieser groben Kategorisierung darf man in den USA generell stärkere Armutsrisiken kritischer Lebensereignisse erwarten, die jedoch eventuell auf Grund der stärkeren Anreize zur Eigeninitiative nur von kurzer Dauer sind. Wir bezeichnen dieses idealtypische Muster stark negativer Ereignisfolgen mit rascher Erholung als den „Traum der liberalen Sozialpolitik“. Als Gegenentwurf zu diesem Traum sehen wir die Vorstellung, dass Erholungseffekte ausbleiben oder nur sehr begrenzt stattfinden; dieses Muster bezeichnen wir als „Albtraum“ liberaler Sozialpolitik.

Für das konservative deutsche Wohlfahrtsregime erwartet man einen insgesamt geringeren Anstieg des Armutsrisikos nach Eintreten der vier Lebensereignisse. Auch diesem „Traum der konservativen Sozialpolitik“ kann ein „Albtraum“ gegenübergestellt werden. Dieser besteht darin, dass die Abfederung der Ereignisfolgen so groß ist, dass Anreize zur Eigeninitiative ausbleiben und die betroffenen Personen deshalb langfristig im Vergleich zum liberalen System sogar Nachteile haben. In Abschn. 5.1 werden wir untersuchen, inwiefern diese Traum- oder Albtraumvorstellungen empirisch zutreffen.

4.2 Sozialpolitische Reformen

Die Kategorisierung des amerikanischen und deutschen Wohlfahrtsregimes als konservativ bzw. liberal lässt außer Acht, dass die Sozialpolitik ständigem Wandel unterliegt. Dies wird in Abb. 1 deutlich. Hierin sind die Zeitpunkte des Inkrafttretens von gesetzgeberischen Maßnahmen eingezeichnet, mit denen seit 1980 die Absicherungen der vier betrachteten Lebensereignisse beeinflusst wurden.Footnote 13 Zwischen 1980 und 2010 ist in fast jedem Jahr mindestens ein sozialpolitisches Reformgesetz in Kraft getreten, sodass man davon ausgehen muss, dass sich die Wirkungen der vier Lebensereignisse im Zeitablauf verändert haben. In der Literatur wird die Transformation des Sozialstaats meistens mit Leistungseinschnitten und einer Verlagerung der Verantwortung vom Staat auf die Individuen und Familien in Zusammenhang gebracht; Pierson (1996) spricht in diesem Zusammenhang von „retrenchment“, Hacker (2006) vom „Great Risk Shift“. Entsprechend diesen Vorstellungen müssten die vier Lebensereignisse bei sonst gleich bleibenden Bedingungen im Zeitablauf zunehmende Armutsrisiken nach sich ziehen.

Abb. 1
figure 1

Wirkungen von Reformgesetzen auf die Absicherung der Lebensereignisse Arbeitsplatzverlust, Krank- heit, Verrentung und Familientrennung nach Land und Zeitpunkt des Inkrafttretens. (Do-File: grkontext.do)

Es ist allerdings zweifelhaft, ob die allgemeine Erwartung zunehmender Ereignisfolgen für alle Ereignisse gleichermaßen gilt. Darauf haben bereits Arbeiten aufmerksam gemacht, die weniger von einem allgemeinen Sozialabbau, als vielmehr von einem Umbau in Bezug auf „neue soziale Risiken“ ausgehen (Bleses und Seeleib-Kaiser2004; Bonoli2005). Dies wird ebenfalls in Abb. 1 deutlich. In der Abbildung sind Gesetze, deren Regelungsgehalt auf eine Ausweitung staatlicher Leistungen, etwa durch Erweiterung des Kreises der Begünstigten, des Wegfallens zeitlicher Befristungen etc., zielten, mit einem Pfeil nach oben symbolisiert;Footnote 14 Pfeile nach unten bedeuten Einschränkungen des Leistungskatalogs; bei Gesetzen ohne Pfeil ist unklar, ob die Regelung eher eine Ausweitung oder eine Einschränkung darstellt.Footnote 15 In Deutschland überwiegen, außer bei der Gesetzgebung zur Abfederung familiärer Lebensrisiken, leistungseinschränkende Reformgesetze. In den USA gibt es im Bereich der Arbeitslosenversicherung dagegen sowohl einschränkende als auch ausweitende Maßnahmen. Bei den Reformen in den Bereichen Krankheit und Verrentung überwiegen Regelungen, die die staatliche Absicherung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen verbessern. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass in den USA parallel zur Ausweitung staatlicher Absicherung ein erheblicher Abbau von Arbeitgeberleistungen in der Kranken- und Rentenversicherung stattgefunden hat (vgl. Hacker2006), der von der Abbildung nicht erfasst wird. Die Absicherung familiärer Risiken scheint in beiden Ländern ausgebaut worden zu sein.

In Deutschland überwiegen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Verrentung also insgesamt leistungseinschränkende Maßnahmen, während dies in den USA nicht im gleichen Maß der Fall ist. Dies lässt vermuten, dass sich die beiden Länder hinsichtlich der Folgen dieser Ereignisse im Zeitverlauf ähnlicher geworden sind, und scheint die These von der „Amerikanisierung“ des deutschen Wohlfahrtsstaats zu stützen. Angesichts des Ausbaus von Maßnahmen zur Abfederung familiärer Risiken könnte man darüber hinaus erwarten, dass die Folgen der Familientrennung im Zeitverlauf weniger dramatisch geworden sind; man könnte dann von einer „Verlagerung“ wohlfahrtsstaatlicher Aktivität von alten auf neue Risiken sprechen.

Vor einer direkten Übersetzung der in Abb. 1 gezeigten Pfeile in Hypothesen über Veränderungen der Ereignisfolgen muss jedoch aus mehreren Gründen gewarnt werden. Erstens wird in der Abbildung nicht zwischen großen und kleinen Reformen unterschieden. Daher könnte einer Vielzahl von geringen Ausweitungen eine große, weitreichende Einschränkung gegenüberstehen. Zweitens ist es gerade bei umfangreichen Reformgesetzen oft schwer möglich, allein aus dem Regelungsgehalt des Gesetzes auf die Wirkung für die Betroffenen zu schließen. Drittens schließlich, könnten sich die Wirkungen der Gesetze erst mit zeitlicher Verzögerung entfalten.

Trotz aller gebotenen Vorsicht rechtfertigt Abb. 1 die Vermutung, dass sich die Ereignisfolgen über die Zeit verändert haben könnten und sich diese Veränderungen zwischen den Ereignissen unterscheiden. Welcher Art die zeitlichen Veränderungen waren und wie sie sich zwischen den Ereignissen unterscheiden, bleibt wegen der Schwierigkeit, von der Regelung auf die Wirkung zu schließen, letztlich eine empirische Frage. Abschn. 5.2 behandelt daher die Frage, ob sich die Veränderung über die Zeit durch Begriffe wie „retrenchment“, „Amerikanisierung“ oder „Verlagerung“ von alten auf neue Risiken sinnvoll beschreiben lässt.

4.3 Komposition der Betroffenen

Zeitlicher Wandel der Ereignisfolgen könnte sich auch auf Grund von Veränderungen der von den Ereignissen betroffenen Personen ergeben. Beispielsweise zeigen Giesecke und Heisig (2010), dass es immer häufiger Geringverdiener sind, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Hieraus folgt, dass Arbeitsplatzverluste im Zeitverlauf zunehmend mit dem Eintritt in Armut verknüpft sein dürften. In ähnlicher Weise könnte sich der Eintritt in den Altersruhestand im Zuge häufigerer Unterbrechungen der Erwerbsbiographien als zunehmend prekär erweisen.

Abb. 2 gibt erste Anhaltspunkte. Sie zeigt, dass die Betroffenen vor dem Lebensereignis tendenziell ein etwas geringeres Einkommen haben als diejenigen, bei denen das Ereignis im Folgezeitraum nicht eintritt. Als Folge der Beschränkung auf Personen, die vor dem Ereignis drei Jahre nicht arm waren, fallen diese Unterschiede zwar eher gering aus, dennoch könnte ein Teil der Armutseintritte der Treatment-Gruppe auf das geringere Einkommen vor dem Ereignis zurückzuführen sein. Die Wirkung der Ereignisse wird mit dem hier verwendeten Verfahren darum möglicherweise etwas überschätzt. Gleichzeitig ergeben sich aus der Abbildung aber wenig Hinweise darauf, dass das Ausmaß der Überschätzung zwischen den beiden Ländern oder über die Zeit systematisch variiert. Unterschiede oder Veränderungen in der Komposition der Betroffenen können daher in der Regel nicht zur Erklärung von Unterschieden oder zeitlichen Veränderungen der Ereignisfolgen herangezogen werden.

Abb. 2
figure 2

Durchschnittliches jährliches Haushaltsäquivalenzeinkommen der Treatment- und Kontrollgruppe der drei Jahre vor dem Ereignisjahr

Drei Ausnahmen von dieser Regel gibt es: erstens beim Arbeitsplatzverlust in Deutschland. Die hiervon Betroffenen haben vor dem Ereignis zunehmend niedrigere Einkommen als die Kontrollgruppe ohne das Ereignis, was zu einer Zunahme des Armutsrisikos durch den Arbeitsplatzverlust in Deutschland führen könnte. Die zweite Ausnahme findet sich bei der Verrentung, ebenfalls in Deutschland. Hier driften Treatment- und Kontrollgruppe in den 2000er Jahren auseinander, und zwar vor allem auf Grund einer Zunahme der Einkommen in der Kontrollgruppe. Dieses Muster könnte sich ergeben, weil Besserverdienende nach dem Rückbau der großzügigen Frühverrentungsmöglichkeiten den Zeitpunkt des Eintritts in den Altersruhestand leichter nach hinten schieben können. In unserer Datenbasis würden wir dann (vorübergehend) weniger Erwerbsaustritte bei Besserverdienenden beobachten. Unabhängig von solchen Vermutungen lässt die dargestellte Entwicklung eine Vergrößerung des beobachteten Armutsrisikos durch den Renteneintritt erwarten. Schließlich die dritte Ausnahme: Von Familientrennung betroffene Amerikaner haben vor dem Ereignis zunehmend geringere Einkommen als vergleichbare Personen ohne Familientrennung. Daraus ergibt sich hinsichtlich der Komposition der Betroffenen in unseren Daten die Erwartung, dass Familientrennung in den USA im Zeitablauf zunehmend zu Armut führt.

4.4 Makroökonomische Bedingungen

Schließlich könnten sich Änderungen der Ereignisfolgen auch auf Grund des Wandels der makroökonomischen Rahmenbedingungen ergeben. Deutschland und die USA oder frühe und späte historische Zeitpunkte unterscheiden sich nicht nur durch die institutionellen Regelungen des Wohlfahrtsstaats, sondern unter anderem auch in den makroökonomischen Bedingungen. Diese Variationen sind deswegen wichtig, weil gerade der liberale Wohlfahrtsstaat auf Eigeninitiative zur Überwindung ökonomischer Engpässe setzt und die Erfolgschancen solcher eigener Gegenmobilitätsstrategien stark von den makroökonomischen Bedingungen abhängen. Zentral ist vor allem die Rolle des Arbeitsmarktes. Die Chance nach einem Arbeitsplatzverlust schnell wieder eine Anstellung zu finden, die Wahrscheinlichkeit, trotz Krankheit seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren, die Chance, den Wegbruch des Gehalts des Partners durch eigene Erwerbstätigkeit zu kompensieren, und die Möglichkeit, den Erwerbsaustritt hinauszuschieben, sind in hohem Maße von den Bedingungen des Arbeitsmarktes abhängig. Der liberale Wohlfahrtsstaat könnte sich als ein „Schönwetter-Sozialstaat“ erweisen, der nur in konjunkturell günstigen Perioden die von den Ereignissen Betroffenen vor Armut schützt, nicht aber in konjunkturell ungünstigen Perioden.

Abb. 3
figure 3

Wirtschaftswachstum und Arbeitslosenquote nach Land und Zeit. (Do-File: grkontext.do)

Abb. 3 zeigt die Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes und die Arbeitslosenquoten für Deutschland und die USA. Definiert man Phasen mit hohem Wirtschaftswachstum und abnehmender Arbeitslosenquote als Phasen wirtschaftlicher Prosperität, so lassen sich die zweite Hälfte der 1980er Jahre in Deutschland und die 1990er Jahre in den USA als solche Phasen bezeichnen. Als vergleichsweise ungünstigg in Bezug auf makroökonomische Bedingungen erweisen sich dagegen in beiden Ländern die ersten fünf Jahre der 2000er Jahre.

5 Ergebnisse

In den nachfolgenden Analysen wird untersucht, wie das Verarmungsrisiko nach Arbeitsplatzverlust, Krankheit, Verrentung und Familientrennung ansteigt. Hiervon zu trennen ist die Frage des generellen Ausmaßes von Armut, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Wir möchten betonen, dass für eine abschließende Bewertung der armutsbekämpfenden Wirkung der beiden untersuchten Wohlfahrtsstaaten auch eine Analyse dieses Aspekts notwendig wäre. Aus der Forschung ist bekannt, dass in den USA ein deutlich größerer Teil der Bevölkerung unterhalb der hier verwendeten relativen Armutsschwelle lebt als in Deutschland. Dieser Unterschied wird häufig mit dem insgesamt schwächeren Wohlfahrtsstaat in den USA begründet (Brady et al.2009).

5.1 Traum oder Albtraum: Vergleich der Ereignisfolgen zwischen Deutschland und den USA

Die Folgen der vier Lebensereignisse werden hier mit Hilfe von Abb. 4 analysiert, in die wir den „ereigniszentrierten Armutspfad“ eingetragen haben. Der als Linie eingezeichnete Armutspfad zeigt die Entwicklung der Armutsquote unter denjenigen, die das Ereignis erlebt haben, im Vergleich zu denjenigen, die das Ereignis nicht erlebt haben. Da wir nur Personen betrachten, die vor dem Ereignisjahr dauerhaft nicht arm waren, ist der Anteil Armer vor dem Ereignis für beide Gruppen definitionsgemäß Null. Nach dem Ereignis beginnen die Werte aber zu steigen. Das Ausmaß dieser Steigung ist eine Schätzung von DiD aus Gl. (3); je höher die Werte, desto stärker verarmen die Betroffenen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Konkret: Bei denjenigen, die in Deutschland zwischen 1984 und 2008 arbeitslos wurden, erhöhte sich der Anteil Armer um etwa 11 Prozentpunkte mehr als bei denjenigen, die im Zeitraum von ± 3 Jahren um die jeweiligen Ereignisjahre herum nicht arbeitslos wurden.

Abb. 4
figure 4

Ereigniszentrierte Armutspfade nach Land, Ereignisjahr und Ereignistyp. (Do-File: andid-bycntry1.do)

Der Grauverlauf im Hintergrund des Armutspfads zeigt die Unsicherheit der Schätzwerte. Der Wert in der Grundgesamtheit ist wahrscheinlicher in dem dunklen Bereich anzutreffen als in dem hellen. Die Grenzen des Farbverlaufs markieren das 95 %-Konfidenzintervall. Wenn die Grenze der schattierten Fläche nicht die Null-Linie überdeckt, würde man nach üblichen Maßstäben von einer „signifikanten“ Ereignisfolge sprechen. Wir verzichten in diesem Beitrag aber auf eine Interpretation von Signifikanz-Tests, da diese bei dem später folgenden Zeitvergleich auf Grund der teilweise geringen Anzahl von Ereignissen wenig aussagekräftig sind. Alle nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf die Punktschätzungen. Die Schätzunsicherheit wird berichtet, um den Leser über die teilweise sehr große Unsicherheit der inhaltlichen Befunde nicht im Unklaren zu lassen.

Von den vier untersuchten Lebensereignissen zieht der Arbeitsplatzverlust das größte Armutsrisiko nach sich. Das zweitgrößte Risiko ist mit der Verrentung verknüpft, knapp gefolgt von der Familientrennung und lang anhaltenden Krankheiten. Bezüglich der Länderunterschiede stellen wir zunächst fest, dass die Ereignisfolgen in den USA tendenziell etwas größer sind als in Deutschland. Allerdings müssen diese groben Feststellungen noch weiter qualifiziert werden.

Nach einemArbeitsplatzverlust steigt das Armutsrisiko in den USA zunächst stark an, um danach wieder abzusinken. In Deutschland steigt das Armutsrisiko dagegen zunächst etwas schwächer an, um danach noch zwei weitere Jahre zu steigen; erst im dritten Jahr nach dem Ereignis beginnt das Armutsrisiko wieder leicht abzunehmen. Insofern beobachten wir in Deutschland ein Muster, welches oben als Albtraum der konservativen Sozialpolitik bezeichnet wurde, während die Armutspfade in den USA dem Traum der liberalen Sozialpolitik entsprechen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Folgen einer langen Arbeitslosigkeitsperiode in beiden Ländern auch nach drei Jahren noch sichtbar bleiben. Dies widerspricht zum Teil den Ergebnissen von DiPrete und McManus (2000), die im deutsch-amerikanischen Vergleich feststellten, dass Deutsche sich schneller erholen. Wir vermuten, dass zwei entscheidende Unterschiede im Studiendesign dafür verantwortlich sind. Erstens beobachten DiPrete und McManus nur den Zeitraum bis 1996 in den alten Bundesländern. Danach war die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt deutlich schlechter, insbesondere in den neuen Bundesländern. Zweitens analysieren sie relative Einkommensveränderungen und nicht Armutseintritte.

Die wirtschaftlichen Risiken einer lang anhaltendenKrankheit bestehen zu einem großen Teil aus den Kosten für Medikamente, Arztbesuche oder Krankenhausaufenthalte. Indem hier nur die Einnahmenseite betrachtet wird, bleiben diese Risiken unberücksichtigt und damit auch das Ausmaß, in dem der Wohlfahrtsstaat diese Kosten übernimmt. Einbußen auf der Einnahmenseite könnten sich einstellen, wenn lang anhaltende Krankheiten zu Verdienstausfall, Arbeitsplatzverlust oder Karriererückschlägen führen. Tatsächlich beobachten wir, dass lang anhaltende Krankheiten in beiden Ländern nur zu einem minimalen Anstieg der Einkommensarmut führen.

Beim LebensereignisVerrentung weichen die amerikanischen Befunde am stärksten von dem idealtypischen Verlauf zunächst starker, dann nachlassender Ereignisfolgen ab. In den USA ist das Risiko, nach Eintritt in den Altersruhestand zu verarmen, deutlich größer als in Deutschland, und dieses Risiko steigt in den Jahren nach dem Ereignis sogar noch etwas an. Spätestens drei Jahre nach der Verrentung hat dieses Ereignis sogar schwerwiegendere Folgen als der Arbeitsplatzverlust.

Schließlich das LebensereignisFamilientrennung. Hier beobachten wir in den USA ebenfalls das Muster zunächst starker, dann nachlassender Folgen des Ereignisses, während wir in Deutschland geringere, dafür aber etwas persistentere Folgen beobachten. Allerdings gibt es hier einen wichtigen Unterschied zum Arbeitsplatzverlust: Trotz der nachlassenden Ereignisfolgen sind diese in den USA auch drei Jahre nach dem Ereignis noch stärker als in Deutschland, ein Muster, das oben als Albtraum der liberalen Sozialpolitik bezeichnet wurde. Zwar mag der liberale Wohlfahrtsstaat Anreize zur Eigeninitiative setzen, doch reichen die hierfür zur Verfügung stehenden Opportunitäten offenbar nicht aus, um ein ähnliches Ausmaß der Armutsvermeidung wie in Deutschland zu erreichen.

5.2 Retrenchment, Amerikanisierung oder Umbau? Ereignisfolgen im Zeitvergleich

Im Folgenden wollen wir wissen, ob Menschen, die relativ gut vor Armut geschützt waren, heute häufiger als früher durch die vier Lebensereignisse verarmen. Hierzu haben wir den Untersuchungszeitraum in vier Perioden unterteilt: vor 1990, 1990–1995, 1996–2000 und nach 2000. Sodann wurden die für die Abb. 4 durchgeführten Analysen getrennt für jede dieser Perioden durchgeführt. Zur weiteren Vereinfachung der Ergebnisdarstellung wurden zudem die vier Messzeitpunkte nach dem Ereignis gemittelt. Diese Mittelwerte sind in Abb. 5 eingetragen.

Abb. 5
figure 5

Durchschnittlicher Armutszustrom nach Ereigniszeitpunkt

Wir sehen: In beiden Ländern sind die Folgen des Arbeitsplatzverlusts im Zeitverlauf, d. h. von den 1980er Jahren zu den 1990er Jahren hin zu den 2000er Jahren, gravierender geworden. In Deutschland war dieser Prozess sehr schwach und kontinuierlich, in den USA dagegen deutlich stärker und sprunghaft. Spiegeln die Ergebnisse für Deutschland damit zumindest in der Richtung einigermaßen die Reformtätigkeit und die Arbeitsmarktsituation seit den 1980er Jahren wider, sind die Ergebnisse für die USA durchaus überraschend. Denn in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre haben wichtige einschränkende Reformen der Arbeitslosenversicherung stattgefunden, während die 2000er Jahre eher durch ausweitende Reformen geprägt waren.Footnote 16 Insofern scheinen diese Reformen für die Lebenssituation der von Arbeitsplatzverlust Betroffenen relativ bedeutungslos gewesen zu sein. Erklärbar wird der Befund jedoch durch die wirtschaftliche Entwicklung in den jeweiligen Perioden. In den 1990er Jahren haben die vorangegangenen Reformen zunächst zu keiner Verschlechterung der Situation der Arbeitslosen geführt, weil die Arbeitslosen während dieser wirtschaftlich prosperierenden Periode relativ schnell wieder einen Arbeitsplatz gefunden haben; in der letzten Periode aber erhöhte sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen, und zwar schon vor der im Jahr 2008 beginnenden Wirtschaftskrise (Aaronson et al.2010), die hier nicht berücksichtigt werden konnte. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung werden nun also zunehmend in Anspruch genommen, sodass die vorangegangenen Reformen jetzt erst durchschlagen. Die durch die sogenannte „Welfare Reform“ von 1996 gestärkten Anreize zur Eigenverantwortlichkeit dürften diese Konjunkturabhängigkeit der Ereignisfolgen sogar noch verstärkt haben.

Die Folgen vonKrankheit sind in beiden Ländern im Zeitverlauf nahezu unverändert geblieben. Man sollte sich jedoch abermals vor Augen halten, dass die meisten Reformen im Gesundheitswesen für die Deutschen und Amerikaner Einschnitte bei der Rückerstattung von Krankheitskosten zur Folge hatten, wir hier aber nur die Einnahmenseite betrachten.

Die Folgen derVerrentung haben sich in Deutschland und den USA unterschiedlich entwickelt. In Deutschland wurde das Armutsrisiko durch Verrentung tendenziell etwas schwächer, und dies obwohl wir auf Grund der wohlfahrtsstaatlichen Reformen und der Veränderungen in der Komposition der Betroffenen eher eine Prekarisierung erwartet hatten. Es spricht durchaus für den deutschen Wohlfahrtsstaat, dass Ältere trotz dieser historischen Entwicklungen nicht stärker von Verarmung durch den Eintritt in den Altersruhestand betroffen sind. In den USA hat sich die Situation dagegen umgekehrt entwickelt. Zwar hat sich die Situation zunächst ebenfalls verbessert, seit Mitte der 1990er Jahre aber kontinuierlich verschlechtert. Der anfängliche Rückgang des Armutsrisikos könnte eine Folge der leistungsausweitenden Gesetzgebung zwischen 1985 und 1990 sein, erklärungsbedürftig bleibt aber der trotz ausweitender Gesetzgebung fortgesetzt starke Anstieg nach 1995 (vgl. Abb. 1). Über die Gründe der Schwankungen kann nur spekuliert werden. Zwei miteinander verknüpfte Spekulationen seien hier angeführt. Die erste Spekulation basiert auf den seit den 1970er Jahren kontinuierlich steigenden Anteilen kapitalmarktabhängiger Instrumente in der betrieblichen Rentenversicherung (sogenannte „Defined Contribution Plans“). Hacker (2006) sieht in dieser Entwicklung eines der zentralen Merkmale des „Great Risk Shifts“, doch können sich solche Instrumente bei hohen Zinsen am Kapitalmarkt für die Rentenbezieher auch günstig auswirken. Die zweite Spekulation basiert darauf, dass bei günstigen Bedingungen am Arbeitsmarkt die jeweiligen Partner der Rentenbezieher eher dazu in der Lage sein könnten, den Einkommensverlust auszugleichen. Möglicherweise waren also die vergleichsweise günstigen Arbeitsmarktbedingungen oder das hohe Zinsniveau der 1990er Jahre ausschlaggebend dafür, dass Verrentungen in dieser Periode mit geringerem Armutsrisiko einhergingen. Dagegen spricht allerdings, dass die eigentliche Phase der amerikanischen Hochkonjunktur eher in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre lag, d. h. in einem Zeitraum, in dem das aus der Verrentung folgende Armutsrisiko vergleichsweise hoch war.

Für dieFamilientrennung würde man auf Grund der generellen „Verlagerung“ des Wohlfahrtsstaats von „alten“ auf „neue“ Risiken einen Rückgang der Ereignisfolgen erwarten. Dies ist aber weder in Deutschland noch in den USA der Fall. Interpretiert man trotz der hier sehr großen Schätzunsicherheit den Verlauf der Zeitreihen, so findet man in beiden Ländern keinen systematischen Trend, wohl aber ähnliche zeitliche Fluktuationen, die sich nur schwer mit konjunkturellen Bedingungen oder wohlfahrtsstaatlichen Veränderungen erklären lassen. Denkbar wäre ein komplexes Zusammenspiel zwischen konjunkturellen Bedingungen und den wohlfahrtsstaatlichen Reformen, die etwa durch den Ausbau von Kindergartenplätzen zunehmend auf Hilfe zur Selbsthilfe gesetzt haben. Eine solche detaillierte Betrachtung würde den Rahmen dieses Aufsatzes allerdings sprengen. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Fluktuationen der Zeitreihe in den USA trotz etwas geringerer Schätzunsicherheit größer ausfallen als in Deutschland.

Es ist nicht einfach, die Ergebnisse zur Entwicklung der Ereignisfolgen im Zeitverlauf in knappen Worten zusammenfassen. Zumindest ein Befund ist aber besonders auffällig: Die zeitliche Entwicklung der Ereignisfolgen ist in den USA viel instabiler als in Deutschland. Während sich die Folgen von Arbeitsplatzverlust, Familientrennung, Krankheit und Verrentung in Deutschland über den Zeitraum von fast 30 Jahren bestenfalls allmählich verändern, sind sie in den USA von deutlichen Fluktuationen geprägt. Dies ist umso bemerkenswerter, als Deutschland im Untersuchungszeitraum die Wiedervereinigung zu bewältigen hatte, das SOEP im Gegensatz zum PSID neue Zuwanderung systematisch in die Stichprobe einbezog und auch die Veränderungen in der Komposition der Betroffenen eher in Deutschland als in den USA zu Veränderungen der Ereignisfolgen führen sollten. Folgende allgemeine Schlussfolgerungen scheinen uns gerechtfertigt: In den USA war es in den vergangenen 30 Jahren nicht nur entscheidend, ob man eines der Ereignisse erlebt hat, sondern auchwann man es erlebt hat. Im konservativen deutschen Wohlfahrtsstaat waren solche historischen Bedingungen dagegen bislang nicht ganz so bedeutend. Offen bleibt, ob die jüngste deutsche Reformtätigkeit möglicherweise ebenfalls zu einer stärkeren Konjunkturabhängigkeit der Ereignisfolgen geführt hat.

6 Schluss

Wie gut schützt der moderne Wohlfahrtsstaat Personen, die von kritischen Lebensereignissen betroffen sind, vor Armut, und welche Ereignisse sind mit einem besonders starken Armutsrisiko verknüpft? Diese Fragen können wir wie folgt beantworten. Erstens: Einen vollständigen Schutz vor Armut gibt es weder in Deutschland noch in den USA. Zumindest der Arbeitsplatzverlust und die Verrentung sind mit einem erheblichen Anstieg des Armutsrisikos für zuvor armutsresistente Gruppen verknüpft; dasselbe gilt zudem für Familientrennungen in den USA. Vergleichsweise gering ist das Risiko im Fall einer Krankheit, wobei jedoch einschränkend erwähnt werden muss, dass der Anstieg der Gesundheitsausgaben nicht berücksichtigt werden konnte. Zweitens: Die Armut ist persistent. Zwar beobachten wir in den USA eine gewisse Tendenz, dass die von den Ereignissen betroffenen Personen nach einigen Jahren wieder der Armut entkommen, doch bleibt das Ausmaß von Armut auch drei Jahre nach dem Ereignis höher, als wenn es das Ereignis nicht gegeben hätte.

Welches der beiden Länder, Deutschland oder die USA, schützt seine Bürger nun besser vor Armut? Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Hinsichtlich des Arbeitsplatzverlustes waren es im Schnitt über die letzten 30 Jahre wohl die USA, bei den drei anderen Ereignissen dagegen eher Deutschland. Allerdings war der Absicherungsgrad in den USA starken Schwankungen ausgesetzt, viel stärkeren als in Deutschland. Bei allen vier Lebensereignissen gab es Phasen, in denen Amerikaner besser oder zumindest gleich gut vor Armut geschützt waren wie Deutsche. Gleichzeitig gab es aber auch Phasen, in denen Amerikaner schlechter oder sogar viel schlechter abgesichert waren. Diese Phasen scheinen weniger mit wohlfahrtsstaatlichen Reformen als durch ein komplexes Zusammenspiel konjunktureller und anderer historischer Bedingungen erklärbar zu sein. Ein Verdienst des deutschen Wohlfahrtsstaates ist es, seine Bürger von den Unwägbarkeiten der historischen Bedingungen, unter denen ihnen ein kritisches Lebensereignis widerfährt, weitgehend unabhängig gemacht zu haben. Der Vergleich der Ergebnisse mit den deutlich höheren Armutsquoten in den USA deutet darüber hinaus darauf hin, dass Armut in den Vereinigten Staaten oft auch durch weitere, hier nicht berücksichtigte Ereignisse ausgelöst wird.

Die Ergebnisse lassen auch einige Rückschlüsse auf breitere öffentliche und sozialwissenschaftliche Diskussionen zu. Die je nach Lebensereignis recht verschiedenen empirischen Ergebnisse lassen Zweifel an einer mit idealtypischen Regimen operierenden Beschreibung von Wohlfahrtsstaaten aufkommen. Darüber hinaus konnte für die USA keine klare Zunahme der Ereignisfolgen nachgewiesen werden. Zu den hier untersuchten Ausschnitten der Lebenswirklichkeit scheint der von Hacker beschriebene „Great Risk Shift“ bislang also nicht durchgedrungen zu sein. Es ist aber plausibel, dass die ohnehin starke Konjunkturabhängigkeit der Ereignisfolgen noch weiter verstärkt worden ist. Was den deutschen Sozialstaat anbelangt, so findet sich auch hier bisher keine generelle Tendenz zur Amerikanisierung im Sinne einer Angleichung der deutschen Ereignisfolgen an die amerikanischen. Schließlich hat die Verlagerung wohlfahrtsstaatlichen Handelns auf „neue“ Risiken bislang nicht zu einer Abmilderung des Armutsrisikos durch Familientrennung geführt.

Die Frage, welche der drei historischen Entwicklungen (wohlfahrtsstaatliche Reformen, Komposition der Betroffenen oder makroökonomische Bedingungen) die Veränderungen der Ereignisfolgen bewirkt haben, kann mit den vorliegenden Ergebnissen nicht abschließend beantwortet werden. Vieles spricht dafür, dass keiner der drei Mechanismen für sich allein zur Erklärung der Veränderungen ausreicht. Eher scheint es sich um ein komplexes Zusammenspiel aller drei Faktoren zu handeln, bei dem in den USA die makroökonomischen Bedingungen etwas stärker dominieren als in Deutschland. Weiteren Aufschluss erhoffen wir uns durch eine genauere Betrachtung jedes einzelnen der hier untersuchten kritischen Lebensereignisse.