1 Multimethodisches Vorgehen in der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudienforschung – wesentliches Kennzeichen und doch unterreflektiert

Fallstudien sind in der Arbeitsforschung ein gängiges Verfahren der Datengewinnung und -aufbereitung. Insbesondere in der Arbeits- und Industriesoziologie findet Fallstudienforschung seit Anbeginn der Disziplin starke Verwendung; sie gilt hier gar als „Königsweg“ (z. B. Kudera1992). Unter Fallstudien wird im Allgemeinen eine Forschungsstrategie verstanden, die durch die Kombination verschiedener sozialwissenschaftlicher Erhebungs- und Auswertungsverfahren gekennzeichnet ist und deren Ziel die umfassende Analyse eines sozialen Prozesses in ihrem Kontext ist (vgl. z. B. Hamel et al.1993; Stake1995; Yin2009). Im Feld der Arbeits- und Industriesoziologie zeichnet sich die Forschungsstrategie der Fallstudie laut Pflüger et al. (2010, S. 31) durch die Verbindung vier charakteristischer Merkmale aus: Kontextbezug, Multiperspektivität, Methodenkombination und Offenheit.Footnote 1 Dem Methodenmix kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, da dieser dem wechselseitigen Bezug der vier Kriterien dient: die Anwendung und Verbindung verschiedener Methoden ermöglicht die angemessene Konstruktion von Fall und Kontext, die Integration verschiedener Perspektiven und zudem die Handhabbarkeit des relativ hohen Grades an Offenheit im Forschungsprozess.

Daher ist dies auch in der Forschungspraxis üblich. Um sowohl strukturelle Rahmenbedingungen wie auch subjektive Erfahrungs- und Handlungsperspektiven diverser Akteure oder Akteursgruppen zu rekonstruieren werden beispielsweise Experten- und Beschäftigteninterviews, Dokumentenanalysen, Beobachtungen, standardisierte Befragungen oder Gruppendiskussionen variabel kombiniert (detailliert bei Pflüger et al.2010, S. 39 ff.). Über die Verbindung von Erhebungsinstrumenten hinaus finden sich weitere Herangehensweisen, die mit dem Ziel verbunden sind, verschiedene Blickwinkel so zu integrieren, dass eine umfassende und robuste Fallanalyse möglich wird. Dazu gehört beispielsweise die Einbindung unterschiedlicher theoretischer Konzepte oder der gezielte Perspektivenabgleich durch mehrere Forschende in Erhebung und Auswertung.

Obgleich multimethodisches und multiperspektivisches Vorgehen demnach definitorisches Kennzeichen von derartigen Fallstudien ist und hohe forschungspraktische Relevanz besitzt, findet darüber bislang kaum eine explizite methodische oder methodologische Reflexion statt. Möglichkeiten dazu wären gleichwohl vorhanden. Unter dem Stichwort „Triangulation“ werden entsprechende Ansätze national und international seit den 1970er Jahren intensiv in der sozialwissenschaftlichen Methodologie diskutiert (z. B. Flick1990,2004; Denzin1970; Fielding und Fielding1986). Das Vorgehen in der Arbeits- und Industriesoziologie erfolgt jedoch meist nur locker an diesen einschlägigen methodologischen Debatten orientiert. Wenn Überlegungen zu Triangulation angestellt werden, bezieht sich dies vor allem auf die Verbindung qualitativer und quantitativer Daten im Zuge einzelner Studien (z. B. bei Fischer1993; Blutner et al.2002 oder Minssen und Riese2007) und wird nur in Ausnahmefällen allgemeiner behandelt, beispielsweise bei Kern (1982).

Dabei könnte eine systematische Auseinandersetzung mit den konzeptionellen Überlegungen der empirischen Sozialforschung nicht nur Hinweise auf die praktischen und erkenntnistheoretischen Herausforderungen und Klärungschancen geben, sondern auch einen kritischen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen von Triangulation liefern. Im Folgenden soll die arbeits- und industriesoziologische Fallstudienforschungspraxis mit den unterschiedlichen methodologischen Positionen zu Triangulation konfrontiert werden, um den Nutzen dieses Konzepts in Bezug auf die Besonderheiten der Forschungsstrategie „Fallstudie“ zu prüfen. Dazu wird zunächst in die Diskussion um das Konzept der Triangulation in der sozialwissenschaftlichen Methodologie eingeführt (2) und dargelegt, wie (verkürzt) diese Debatte in der internationalen Case Study Methodology bisher verarbeitet wird (3). Der anschließende Einblick in die Forschungspraxis zeigt anhand verschiedener Triangulationsvarianten, welche Ziele hier verfolgt werden und wodurch Triangulation in diesem Forschungsfeld charakterisiert werden kann (4). In einem letzten Abschnitt werden die spezifischen Herausforderungen von Triangulation für (arbeits- und industriesoziologische) Fallstudien diskutiert und Schlussfolgerungen für derartige Forschung gezogen (5).

2 Triangulation: Begrifflichkeiten, Entwicklungen, Möglichkeiten und Grenzen

In der empirischen Sozialforschung findet seit längerer Zeit eine Diskussion über „Triangulation“ statt. Die Idee des Methodenmixes ist nicht neu, erste publizierte Überlegungen finden sich in den USA schon in den 1950er und 1960er Jahren (z. B. bei Campell und Fiske1959 oder Webb et al.1966). Sie beruhen auf der Feststellung, dass wissenschaftliche Methoden ihren Forschungsgegenstand nicht nur abbilden, sondern auch beeinflussen. Diese Reaktivität von Methoden sei einzuschränken, indem man durch die Anwendung verschiedener Erhebungsinstrumente (oder bei Campell und Fiske1959 einer „multitrait-multimethod matrix“) deren Resultate wechselseitig überprüft. Methodenkombination ist somit ursprünglich als ValidierungsverfahrenFootnote 2 von quantitativ arbeitenden Forschern angelegt.

Der Begriff der Triangulation für die Verbindung verschiedener Erhebungsmethoden mit dem Ziel „… die exakte Position eines Objektes zu lokalisieren“ (Smith1975, S. 273) wurde aus der Landvermessung in die Sozialforschung übernommen und bedeutet nach Flick vereinfacht, „… dass ein Forschungsgegenstand von (mindestens) zwei Punkten aus betrachtet – oder konstruktivistisch formuliert: konstituiert – wird“ (2004, S. 11). Populär wurden Überlegungen zur Triangulation in der qualitativen Sozialforschung mit der 1970 von Denzin veröffentlichen Publikation „The Research Act“, die bis heute einen kontrovers diskutierten Bezugspunkt darstellt. Darin knüpft dieser an die erwähnten Überlegungen an, um für multimethodisches Vorgehen zu plädieren; mit dem expliziten Ziel, die Schwächen der verschiedenen Methoden abwechselnd auszugleichen, deren jeweilige Stärken zu nutzen und schlussendlich einen höheren Grad an Validität zu erreichen. Durch verschiedene Erhebungsinstrumente gewonnene Erkenntnisse „desselben Phänomens“ („same empirical unit“, Denzin1970, S. 308) sollen im Idealfall deckungsgleich sein.

Generell wird „Triangulation“ und die Bedeutsamkeit dieses Konzepts von Vertretern unterschiedlicher methodologischer Paradigmen intensiv diskutiert. Unter den Begriff können verschiedene Annahmen subsumiert werden; Sandelowski (2003, S. 328) geht sogar so weit, zu konstatieren, dass „… having too much meaning, the word triangulation has no meaning at all“. Triangulation kann ausschließlich auf die Einbindung verschiedener Erhebungsinstrumente bezogen sein, noch enger gefasst wird darunter nur die Einbindung qualitativer und quantitativer Ansätze verstanden. In einem breiteren Verständnis hingegen, wie beispielsweise dem von Denzin (1970) oder Flick (2004), wird Triangulation als Strategie der Einbindung verschiedener Erhebungs- und Auswertungsprozesse charakterisiert. Von Vertretern qualitativer Methodologien wird mit Triangulation in einem engeren Sinne häufig nicht die bloße Anwendung von verschiedenen Datenformen und Methoden gemeint, sondern vielmehr deren „Verbindung“, wie Reichertz mittels einer Analogie verdeutlicht: „Zudem gibt esVerbindungen, bei denen sich die beteiligten Einheiten zu einer neuen Einheit mit teilweise völlig neuen Qualitäten verbinden. Wenn man z. B. roten mit weißem Wein verschneidet, kann man mit ein wenig Glück eine Cuvée erlangen, die anders und sehr viel besser als die Ausgangsstoffe schmeckt“ (2008, S. 130; Hervorhebung i. O.).Footnote 3

Wesentliche Differenzierungskriterien von Triangulation sind somit einerseits die zeitliche Verbindung der Methoden und Daten sowie andererseits die Frage nach dem ebenbürtigen Einsatz der Instrumente. Grundsätzlich können unterschiedliche Ansätze simultan miteinander kombiniert werden oder aber phasenweise (s. z. B. Flick2004). Je nach Vorgehensweise unterscheiden sich die Resultate methodologisch – und auch deren Einschätzung durch Methodenexperten verschiedener Paradigmen. Bis heute prägend ist das in den 1950er Jahren von Barton und Lazarsfeld postulierte Phasenmodell, das die Verwendung qualitativer Methoden zur Generierung von Hypothesen vorschlägt und anschließend die Prüfung dieser durch quantitative Ansätze. Dabei kommt letzteren eine eindeutige Dominanz zu (vgl. Kelle und Erzberger1999). Ob im Falle einer solchen Dominanz einer Methode (oder eines Methodenparadigmas) noch von Triangulation gesprochen werden kann, ist allerdings umstritten. Nach Flick fällt unter den Begriff der Triangulation nur ein solches Vorgehen, bei dem die verschiedenen Zugänge „soweit als möglich gleichberechtigt“ oder zumindest „gleichermaßen konsequent“ verwendet werden (Flick2004, S. 12).Footnote 4 Dies impliziert, dass durch multimethodisches Vorgehen durchaus vermeintlich widersprüchliche (oder „nicht-deckungsgleiche“, s. oben) (Teil-)Ergebnisse zu Tage kommen können

Auch Denzin hat, in Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern, die eigenen Überlegungen in späteren Veröffentlichungen (z. B.1989) dahingehend revidiert. Insbesondere reagiert er auf die Argumentation von Fielding und Fielding (1986, S. 33), dass mit einer Triangulation verschiedener Daten oder Methoden zwar die „Tiefe“ und „Weite“ von Ergebnissen erhöht werden könne, nicht aber deren Validität. Sie begründen dies u. a. mit der Einbettung verschiedener Methoden in verschiedene Theorietraditionen und mit der Annahme, dass mit unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten verschiedene, sich ergänzende, Aspekte eines Gegenstandes erfasst werden (ähnlich z. B. bei Flick2004 oder Reichertz2008). Damit wird die ursprüngliche Überlegung von Campell und Fiske (1959), dass Methoden ihren Gegenstand nicht nur abbilden, sondern konstituieren, wieder stärker aufgenommen.

Ähnlich sehen Kelle und Erzberger hier eine dem Triangulationsbegriff inhärente Grenze, wie auch eine „systematische Ambiguität“: „Denn der Begriff ‚Position eines Ortes‘, klar verständlich im Kontext von Navigation und Landvermessung, ist in der empirischen Sozialforschung nicht genau definiert, sondern allenfalls eine vieldeutige Metapher. Ist mit der Berechnung der Position eines Ortes durch die Messung von unterschiedlichen Punkten aus gemeint, dass 1. mit verschiedenen Methoden dasselbe soziale Phänomen erfasst wird oder 2., dass hiermit unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens oder gar unterschiedliche Phänomene erfasst werden, deren Abbildungen sich allenfalls zu einem einheitlichen… Bild ergänzen?“ (1999, S. 515). Die Frage, was mit unterschiedlichen Methoden erfasst werden könne, sei mehr als eine rhetorische Frage, denn „… nur dann, wenn sich unterschiedliche Methoden auf den selben Gegenstand beziehen, können sie zur wechselseitigen Validierung ihrer Ergebnisse eingesetzt werden, weil nur in einem solchen Fall unterschiedliche Ergebnisse als Hinweis auf Validitätsprobleme gewertet werden können“ (ebd.). Folglich gibt es zwei unterschiedliche Lesarten der Triangulationsmetapher: einerseits, Triangulation als „kumulative Validierung“ und andererseits, Triangulation als „Ergänzung von Perspektiven“.

Diese Erwägungen zeigen die Probleme, die mit der Ungenauigkeit des Triangulationsbegriffes einhergehen. Aus Sicht beachtlicher Teile qualitativer Sozialforschung wird trianguliert, um zu umfassenderer Gegenstandsabbildung und größerer Angemessenheit der Interpretation zu gelangen (Flick2004, S. 19). Validitätssteigerung ist, wenn man diesen Analysen folgt, i. d. R. nur in begrenztem Maße möglich. So wird Triangulation dann auch alsAlternative zu Validierung verstanden, „… which increases scope, depth and consistency in methodological proceedings“ (Flick2002, S. 227; vgl. Flick1992b oder Fielding und Fielding1986). Inwiefern Triangulation in der Fallstudienforschung als Alternative zu Validierung gelten kann oder was genau darunter zu verstehen sein soll, wird in den Abschn. 4 und 5 thematisiert. Zunächst wird im Folgenden gezeigt, dass die eben skizzierten Überlegungen bisher kaum in die internationale Case Study Methodology eingeflossen sind. Stattdessen orientiert sich diese in weiten Teilen an der Prämisse der „kumulativen Validierung“.

3 Die Aufnahme der Triangulationsdebatte in der internationalen Case Study Methodology

Vor dem Hintergrund ihrer forschungspraktischen Bedeutung besteht insgesamt erstaunlich wenig methodologische Literatur zur Fallstudienstrategie (Ausnahme z. B. Yins Standardwerk2009 in vierter Auflage), auch wenn sich dies in den letzten Jahren zu verändern beginnt (s. beispielsweise die drei Sammelbände von David2006). Ausführliche Überlegungen darüber, wie verschiedene Datenformen, Erhebungsinstrumente oder Perspektiven im Fallstudienforschungsprozess systematisch verbunden werden können, finden sich kaum.

Einigkeit existiert in der Case Study Methodology darüber, dass der Methodenmix bei der Durchführung von Fallstudien positiv, wenn nicht sogar, wie schon erwähnt, essentielles Kriterium für eine Definition als Fallstudie ist. Denn dies unterstützt die Erfassung eines Falles in seiner Komplexität, was für Fallstudien als „in-depth investigations“ nötig ist (Hamel et al.1993, S. 45; Hakim2000; Orum et al.1991 oder Scholz und Tetje2002).

Eine Durchsicht dieser Methodenliteratur vermittelt allerdings auch den Eindruck, dass vor allem eine Zielsetzung mit Triangulation verbunden wird: die wechselseitige Kontrolle von Erkenntnissen. Demnach steht hier „kumulative Validierung“ im Mittelpunkt. So beschreibt beispielsweise Gillham die Vorzüge multimethodischen Vorgehens wie folgt: „Different methods have different strengths and different weaknesses. If theyconverge (agree) then we can be reasonably confident that we are getting a true picture. … If they give you the same fix, that’s fine. If not, then you have to explain that or question the adequacy of the methods“ (Gillham2000, S. 13; Hervorhebung i. O.). Dass sich verschiedene Methoden wechselseitig korrigieren und damit zu einem „wahren“ Ergebnis führen (ähnlich bei Cunningham1997), erinnert stark an Denzins frühe, und inzwischen revidierte, Überlegungen aus den 1970er Jahren.

Dennoch, auch bei Yin, dem Hauptprotagonisten der Case Study Methodology, ist der Einsatz von „multiple sources of evidence“ vor allem eine Möglichkeit zur Minimierung von Verzerrungen (Yin2003, S. 98). Explizit führt er als Ziel von Triangulation die Steigerung von Validität an: „With data triangulation, the potential problems ofconstruct validity also can be addressed because multiple sources of evidence essentially provide multiple measures of the same phenomenon“ (Yin2003, S. 99; Hervorhebung i. O.). Für Yin entstehen hier keine Probleme hinsichtlich der Frage, inwieweit z. B. Literaturanalysen, qualitative Interviews und standardisierte Befragungen tatsächlich denselben Gegenstand abbilden. Die Herausforderungen, die im Zuge einer solchen Verbindung entstehen, werden nicht betrachtet.Footnote 5

Bedenkt man den wissenschaftlichen Hintergrund Yins und anderer Protagonisten der Case Study Methodology überraschen derartige Konzeptualisierungen kaum: sie entstammen weitgehend dem quantitativen Paradigma.Footnote 6 Ob oder inwiefern mit unterschiedlichen Zugängen „derselbe“ Gegenstand „konstruiert“ wird, ist als Frage kaum relevant. Denn im Gegensatz zu konstruktivistischen Annahmen (wie z. B. bei Denzin), wird davon ausgegangen, dass der Untersuchungsgegenstand ein empirisches Datum ist. Dieses Grundverständnis ohne Modifikationen auf die, ihrem Selbstverständnis nach, qualitativ orientierte Fallstudienforschung zu übertragen (vgl. Pflüger et al.2010, S. 42), scheint heikel. Aus der Perspektive qualitativer Sozialforschung können sich die Resultate verschiedener Erhebungsinstrumente zwar komplementär zu einander verhalten, eventuell auch konvergieren, i. d. R. aber nicht aber kongruent sein, da sie typischerweise verschiedene Facetten eines Untersuchungsgegenstandes fokussieren. Wenn nun mit einem solchen Vorgehen unterschiedliche Aspekte eines Falls und dessen Kontext eingefangen werden, bedeutet dies in der Konsequenz, dass sich widersprechende Informationen als Teil einer umfassenden Analyse eines Gegenstandsbereiches anerkannt werden müssen, was eine Steigerung von Validität nur begrenzt zulässt. Eben diese Möglichkeit, verschiedene Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand zu entwickeln, gilt als wesentliche Stärke von Fallstudien.

Welche Ziele mit Triangulation in der Forschungspraxis der Arbeits- und Industriesoziologie verfolgt werden, wird nun skizziert. Die Validierungsambitionen der internationalen Case Study Methodology finden sich dort kaum, stattdessen kann Triangulation als Prüf- und Erkenntnisprozess beschrieben werden, welcher der Integration von Fall und Kontext dient und auf diese Weise dem wechselseitigen Bezug der methodologischen Kriterien von Fallstudien als Forschungsstrategien gerecht wird.

4 „Triangulation“ in der arbeits- und industriesoziologischen Forschungspraxis

4.1 Eine Skizze forschungspraktischer Vorgehensweisen

Der Anspruch von Fallstudien, soziale Wirkungszusammenhänge in ihrem Kontext zu analysieren, bedeutet, dass Erfahrungs- und Handlungsperspektiven ausgewählter Akteure oder Akteursgruppen erfasst und in Abgleich mit den jeweiligen Kontextfaktoren zu einer Analyse gebündelt werden müssen. Die i. d. R. maßnahmen- und prozessbezogenen Gegenstände arbeits- und industriesoziologischer Fallstudien (z. B. technologische oder organisationale Innovationen; für typische Themenfelder s. Pflüger et al.2010, S. 35 ff.) erfordern eine besondere Durchdringung des Falles in seiner Multidimensionalität und Dynamik. Dies führt nicht selten zu komplexen Untersuchungssituationen, in welchen auf und zwischen unterschiedlichsten Ebenen agiert und rekonstruiert wird. Zur Konkretisierung dazu ein nicht untypisches Beispiel: So haben Artus et al. (2001) in ihrer Studie zur betrieblichen Praxis von Interessenaushandlung in Ostdeutschland als Untersuchungsteam, das teilweise aus bis zu elf ost- und westdeutschen Forscherinnen und Forschern bestand, insgesamt 115 offene Interviews mit zwei Akteursgruppen (Management und Betriebsrat) in zwei zeitlich versetzten Erhebungsphasen geführt (daher mit insgesamt vier Leitfäden), und zwar wiederum in 27 Betrieben aus fünf Branchen und in vier Regionen, geleitet durch das interessen- und interaktionstheoretisch fundierte „Konzept der politischen Kultur der innerbetrieblichen Austauschbeziehungen“ (Bosch et al.1999). Neben den Experteninterviews fanden Dokumentenanalysen mittels Unterlagen der Statistischen Landesämter, der Industrie- und Handelskammern und Auskünften der Gewerkschaftsfunktionäre aus den Verwaltungsstellen Thüringen, Brandenburg und Ostberlin statt (Artus et al.2001, S. 13 ff.).

Die angeführte Studie ist kein Einzelfall. Mit einer solchen, mehrfachen, Ein- und Verbindung von Forschenden, beforschten Akteuren und Akteursgruppen, an verschiedenen Orten und Zeiten mit unterschiedlichen Daten und Theorieperspektiven wird in der Fallstudienforschung häufig gearbeitet. Nicht zuletzt werden üblicherweise mehrere Erhebungsinstrumente eingesetzt (und hierdurch wiederum verschiedene Daten- und Wissensformen generiert, wie schriftliche Transkripte, Beobachtungsprotokolle oder quantitative Auszählungen).Footnote 7

Die Umsetzung und insbesondere die Kombination verschiedener Erhebungsmethoden, Perspektiven und Forschender erfolgt dabei meist recht offen, eingehende publizierte Ausführungen über das jeweilige Vorgehen bei der Verknüpfung finden sich selten. Allgemeinere Reflexionen über einzelne Studien hinweg fehlen bis auf Kerns Überlegungen zur „cross-examination“ nahezu völlig. „Cross-examination“ bezeichnet dieser als ein „Forschungsverfahren“, das sich durch „Prüf- und Erkenntnismöglichkeit“ auszeichnet (1982,1987). Dieses bezieht sich auf den Einsatz unterschiedlicher Techniken oder Methoden in ein und derselben Erhebung (Kern1987, S. 62), mit dem Ziel einer wechselseitigen Ergänzung und internen Kontrolle des Materials (Kern1982, S. 76). Als Qualitätskriterium gilt für Kern, wenn sich die verschiedenen Daten in der Analyse „zu einem in sich stimmigen Gesamtbild“ verarbeiten lassen (Kern1987, S. 62). Damit expliziert Kern zwei wichtige Aufgaben von Triangulation, die, wie anschließend skizziert wird, auch in der Forschungspraxis von zentraler Bedeutung sind: erstens, die Möglichkeit eines Prüfprozesses durch den wechselseitigen Abgleich von Perspektiven sowie, zweitens, die Chance über multimethodisches und multiperspektivisches Vorgehen den Untersuchungsfall in seinem Kontext zu erfassen und so an zusätzliche Erkenntnis zu gelangen.

4.2 Formen von Triangulation in der Arbeits- und Industriesoziologie

Um die forschungspraktisch relevanten Triangulationsformen im betrachteten Feld analytisch zu trennen, wird an dieser Stelle auf Denzins klassische Konzeption („data triangulation“, „investigator triangulation“, „theory triangulation“ und „methodological triangulation“) (1970) zurückgegriffen. Auf diese Weise wird deutlich, dass Triangulation hier weniger der „kumulativen Validierung“ dient, sondern drei Hauptfunktionen erfüllt: „Durchdringung“, „Abgleich“ und, von Kern nur implizit angedeutet, „Integration“.

(a) Unter „Datentriangulation“ versteht Denzin (1970, S. 301 f.) die Einbeziehung unterschiedlicher Daten über ein soziales Phänomen, welche durch ein Erhebungsinstrument, jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, an verschiedenen Orten oder durch verschiedene Personen (als Beforschte) generiert wurden. Eine solche Triangulation von Daten erscheint Denzin besonders sinnvoll, wenn unterschiedliche Ebenen fokussiert werden, z. B. Individuen, Interaktionen oder Kollektive.

Die deutsche Arbeits- und Industriesoziologie stützt sich wesentlich auf Erhebung durch qualitative Interviews.Footnote 8 Zu Beginn einer Untersuchung werden auf der Grundlage von konzeptionellen Überlegungen erste relevante und daher einzubeziehende Faktoren bestimmt (z. B. Land, Branche), diese werden im Verlauf des empirischen Prozesses der Fallstudie tentativ erweitert und gegebenenfalls verändert. Mit der Verwendung von Interviews geht einher, dass unterschiedliche Akteure oder Akteursgruppen eingebunden werden. Die von Denzin geforderte Fokussierung verschiedener Ebenen, spiegelt sich in der Forschungspraxis vor allem in der typischen Kombination aus „Beschäftigteninterviews“ (z. B. problemzentrierten, nach Witzel1982) mit Schwerpunkt auf subjektiven Deutungs- und Handlungsmustern und sogenannten „Experteninterviews“ (s. Bogner et al.2009) mit Schwerpunkt auf strukturellen Gesichtspunkten.Footnote 9 Eng damit verbunden ist die Einbindung verschiedener Zeitpunkte (z. B. Interviewphasen vor/nach Reorganisationsprozessen) oder Orte (Erhebung in unterschiedlichen Betrieben, Regionen). Auf diese Weise wird eine breite Palette an Interviewdaten produziert, die in einem nächsten Schritt miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen und damit die Möglichkeit oder die Notwendigkeit für Datentriangulation generieren.

Die verschiedenen Datensätze dienen in Fallstudien vornehmlich dazu, ein facettenreiches Bild des Forschungsgegenstandes zu gewinnen und Wissen für den weiteren Forschungsprozess zu erarbeiten. Insbesondere die Verbindung „subjektiver Einschätzungen“ auf individueller Ebene und von „Faktenwissen“ durch Expertengruppen gestattet es, den Fall aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Die Einbeziehung von Informationen durch ausgewählte Personen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an verschiedenen Orten ist in der Fallstudienforschung eine wichtige Strategie der Durchdringung des Gegenstandsbereiches; ein Erkenntnisprozess, der die Klärung des relevanten Untersuchungskontextes und dessen schrittweisen Einbezug im Verlauf der Erhebung ermöglicht. Datentriangulation erfüllt zudem einen Kontrollaspekt, da die unterschiedlichen Aussagen kontrastiert werden können und damit die Grundlage für eine tragfähige Analyse geschaffen werden kann. Geprüft wird weniger, ob die vorliegenden Informationen „richtig“ oder „falsch“ sind, sondern ob und in welchem Zusammenhang diese stehen.

Eine solche Datentriangulation stellt den wechselseitigen Bezug wesentlicher methodologischer Kennzeichen von Fallstudien her: Die Einbindung verschiedener Datenquellen sichert die Erfassung unterschiedlicher Perspektiven (Multiperspektivität), diese wiederum dienen der Kontextualisierung des Untersuchungsfalles (Kontextbezug).

(b) „Investigator triangulation“ bedeutet nach Denzin, dass mehrere Forschende aktiv an Erhebung (z. B. als Interviewer oder Beobachter) und Auswertung (zeitgleich) teilhaben, um durch Interaktion individuelle Verzerrungen aufzudecken und zu minimieren (Denzin1970, S. 303).

Bereits ein oberflächlicher bibliometrischer Blick auf Autorschaften zeigt, dass arbeits- und industriesoziologische Forschung im Team gegenüber der Einzelforschung überwiegt. Daher gilt es zu beachten, dass der hohe Grad an Offenheit im Fallstudienforschungsprozess zu beträchtlichen Anforderungen an kontinuierliche Verständigungs- und Aushandlungsprozesse im Team führt, was aber auch besondere Chancen birgt. In zahlreichen Fallstudien wird deshalb auf den Einfluss des Forschungsteams in verschiedenen Projektphasen, insbesondere bei der Interpretation, hingewiesen (z. B. von Senghaas-Knobloch et al.1997).

Der Abgleich der verschiedenen Forscherperspektiven scheint sowohl in Erhebung wie auch in Auswertung eher „naturwüchsig“ zu erfolgen. Ähnlich der Datentriangulation steht nicht eine Validierung von Resultaten im quantitativen Sinne im Vordergrund. Wohl aber soll durch den Austausch mehrerer Forschender Erkenntnisgewinn im Sinne einer vertieften Erfassung des Untersuchungsfalles erzielt, Interpretationsmöglichkeiten überprüft und subjektive Begründungsmuster herausgefordert werden. Zwar strukturieren teaminterne Diskurse den gesamten Forschungsprozess, können aber insbesondere in kommunikativen Auswertungsprozessen helfen, die Offenheit der Forschungsstrategie Fallstudie zu begrenzen und Wissen intersubjektiv zu verdichten.

(c) Eng mit „Forschertriangulation“ verbunden ist die „Theorientriangulation“. Hier sollen laut Denzin „multiple perspectives and hypotheses“ (1970, S. 303) geprüft werden, entweder von einem Forschenden oder durch mehrere. Eine Triangulation der theoretischen Perspektiven eignet sich insbesondere bei Feldern mit einem geringen Maß an theoretischer Kohärenz, wird laut Denzin jedoch nur in den wenigsten Studien erreicht.

Die Verwendung von zwei und mehr theoretischen Zugängen im Zuge einer Fallstudie ist in der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudienforschung durchaus gängig. Große Unterschiede zeigen sich in der Rigorosität, mit welcher theoretische Konzepte umgesetzt und verbunden werden. Sie reichen von einer expliziten Weiterentwicklung von Theorie durch Fallstudien bis hin zur lockeren Verwendung von Theorie als Denkmuster für die Analyse grundlegender Problemfelder und neuartiger Entwicklungstendenzen der Erwerbsarbeit.

Das Ziel einer Kombination unterschiedlicher Theorien ist jedoch durchaus zu erkennen: Ein wesentlicher Grund für den Einsatz verschiedener theoretischer Ansätze und deren Abgleich ist es, ein tiefgehendes Verständnis sozialer Prozesse zu erreichen. Ähnlich der „Daten-“ und „Forschertriangulation“ dient dies demnach der Erfassung des Untersuchungsfalles in seiner Breite und Tiefe. Ebenso zentral ist die Möglichkeit auf diese Weise den relevanten Untersuchungskontext zu bestimmen, vor welchem die Interpretation der Ergebnisse zu erfolgen hat. Die Verwendung verschiedener Theorien ist darüber hinaus wesentlich, um Deutungsmöglichkeiten zu fokussieren und somit den hohen Grad an Offenheit im qualitativen (Fallstudien-)Forschungsprozess handhabbar zu machen.

(d) Bezüglich der „Methodentriangulation“ unterscheidet Denzin einerseits die Triangulation innerhalb einer Methode („within-method“) (als Beispiel nennt er die Verwendung mehrerer Subskalen innerhalb eines Fragebogens) und andererseits die Triangulation zwischen verschiedenen Methoden („between-method“) (Denzin1970, S. 307).

Da Fallstudien definitorisch meist weniger als „Methode“ denn als „Forschungsstrategie“ verstanden werden, scheint es angemessen, Methodentriangulation im Zuge von Fallstudienforschung allgemein als „between-method“ zu verorten. In der Arbeits- und Industriesoziologie werden üblicherweise mindestens zwei unterschiedliche Erhebungsinstrumente eingesetzt, typischerweise Interviews und Dokumentenanalyse, seltener auch Interviews in Kombination mit Beobachtungsverfahren, standardisierten Fragebögen oder Gruppendiskussionen (s. Pflüger et al.2010, S. 39 ff.). Im Extremfall werden bis zu fünf Ansätze verbunden (z. B. bei Benz-Overhage et al.1982 oder Braczyk et al.1982, jeweils qualitative Interviews, standardisierte Befragungen, Dokumentenanalyse, Gruppendiskussionen und Beobachtungen), was das multimethodische Vorgehen äußerst komplex und, insbesondere bezüglich deren Verbindung, Modifikationen nötig macht.

So sind die Flick’schen Definitionskriterien für Triangulation, die verschiedenen Zugänge müssten „möglichst gleichberechtigt“ oder „gleichermaßen konsequent“ eingesetzt werden (Flick2004, S. 12), bei einer derartigen Verwendung multipler Ansätze nur mit immensem Aufwand zu erreichen. Inwieweit drei oder mehr Methoden tatsächlich noch im Sinne des schon zitierten Reichertz (2008) „verbunden“ werden können, ist offen. Musterbeispiele für Methodentriangulation beschränken sich wohl mit gutem Grund auf die Kombination zweier methodischer Zugänge (z. B. die Verknüpfung von Interviews und Fokusgruppen oder von Beobachtung und Befragung, jeweils mit identischen Samples; s. Flick2004).

Die Annahme der Case Study Methodology, dass mit solchen Vorgehensweisen Daten und Interpretationen „kumulativ validiert“ werden können, erscheint mit Blick auf die Triangulation von Methoden bedenklich. Da die Erhebungsinstrumente in der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudien häufig komplementär gewählt werden, werden meistens unterschiedliche Ausschnitte eines Falles erfasst. Selbst unter der Annahme, dass Validierung für qualitative Fallstudien grundsätzlich angemessen und durchführbar ist, zeigt sich in Bezug auf die Forschungspraktiken dieses speziellen Feldes: die Verwendung multipler Methoden verschärft das Problem einer kumulativen Validierung. Ist dies bei zwei Erhebungsinstrumenten prinzipiell noch denkbar, gestaltet sich der systematische Abgleich von drei oder mehr Zugängen deutlich schwieriger. Stattdessen befördert der Einsatz unterschiedlicher methodischer Zugänge vor allem die durchdringende Erfassung des Forschungsgegenstandes in seinem Kontext und ermöglicht die Gewinnung belastbarer Interpretationen durch Integration verschiedenster Aspekte des Falles.

4.3 Merkmale von Triangulation in der Arbeits- und Industriesoziologie

In der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudienforschung hierzulande trifft man demnach auf vielfältige Varianten der Ein- und Verbindung verschiedener Daten, Forschenden, Theorieansätze und Methoden, die verschiedenen Zielsetzungen dienen. Im Unterschied zu anderen Forschungsdesigns ist die Fallstudienstrategie durch Methodenmix definiert. Folglich ist dies die Triangulationsform, die auch in der Forschungspraxis am stärksten verbreitet ist. Merkmale in der Arbeitsforschung sind der Einsatz von mindestens zwei (häufig jedoch mehr) Erhebungsinstrumenten sowie typischerweise die Kombination von jeweils akteurs- und strukturzentrierten Perspektiven. Bezeichnend ist zudem, dass der Methodenmix üblicherweise in Verbindung mit den anderen Formen der Triangulation (Daten-, Forscher- und/oder Theorientriangulation) geschieht und demzufolgemultiple Triangulationsstrategien innerhalb einer Studie eingesetzt werden. Alle vier Formen von Triangulation erfolgen in der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudienforschung häufig weniger systematisch und transparent als wünschenswert. Daher muss hinterfragt werden, inwieweit die üblichen Vorgehensweisen tatsächlich dem Begriff Triangulation entsprechen. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass der Begriff unscharf ist und breite Definitionen durchaus zutreffen.

Triangulation im engeren Sinne stößt im Zuge von Fallstudienforschung an Grenzen: dies ist einerseits durch den besonderen Gegenstand von Fallstudien in der Arbeits- und Industriesoziologie bedingt. Da diese häufig (soziale) Prozesse in das Zentrum der Analyse rücken, ihr Fokus gewöhnlich sowohl auf Akteurs- wie auch Strukturperspektiven liegt, und die Falldefinition selten am Einzelsubjekt ausgerichtet verläuft, müssen übliche Triangulationspraktiken modifiziert werden. Andererseits machen typische Vorgehensweisen der Forschungspraxis strikte Triangulation nahezu unmöglich oder zumindest maßgebliche Anpassungen erforderlich (beispielsweise der Einsatz von elf Forschenden oder die Verwendung von fünf unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten). Für die Forschungsstrategie der Fallstudie gilt damit v. a. bezüglich der Verbindung unterschiedlicher Erhebungsinstrumente ähnliches, wie von Flick für die Ethnographie konstatiert: verschiedene Methoden werden pragmatisch und „eher ad hoc“ in der Situation kombiniert (Flick2004, S. 54). Kennzeichnend ist daher der „… flexible Einsatz unterschiedlicher methodischer Zugänge entsprechend der jeweiligen Situation und des jeweiligen Gegenstandes – wobei nicht nur der Einsatz der Verfahren der Situation angepasst wird, sondern unter Umständen auch die Verfahren selbst“. Dazu werden die unterschiedlichsten Informationsquellen flexibel genutzt, ohne dass eine explizit formalisierte Kombination bestimmter Datensorten ausformuliert würde. Deshalb bezeichnet Flick ein derartiges Vorgehen auch als „implizite Triangulation“ (Flick2004, S. 53). Die Kritik, dass ein solches Vorgehen zu wenig Gewicht auf die Systematik der Kombination legt (ebd.), muss sich auch die arbeits- und industriesoziologische Fallstudienforschung in großen Teilen gefallen lassen.

Im Unterschied zur internationalen Case Study Methodology, die sich aufgrund ihres quantitativen Hintergrundes häufig an der Prämisse der „kumulativen Validierung“ orientiert, werden in der Forschungspraxis Formen der Daten-, Forscher-, Theorien- und Methodentriangulation vorwiegend als Grundlage für eine „Ergänzung von Perspektiven“ verstanden. Über die von Kern beschriebene „Prüf- und Erkenntnismöglichkeit“ hinaus, kommt Triangulation eine „Integrationsfunktion“ zu: die einzelnen Triangulationsformen ermöglichen es über mannigfaltige Abgleichs- und Ergänzungsprozesse, den Untersuchungsfall multiperspektivisch zu erfassen und im jeweilig relevanten Kontext zu verorten (und damit Fall und Kontext zu integrieren). Auf diese Weise wird demnach der wechselseitige Bezug wesentlicher methodologischer Kennzeichen von solchen Untersuchungen gewährleistet. Eine Fallstudie wird definitorisch erst zur Fallstudie, wenn Methodenkombination mit Kontextbezug und Multiperspektivität verbunden wird (Pflüger et al.2010, S. 31) – und diese Verknüpfung kann durch Triangulation entstehen.

Dies soll wiederum durch ein Beispiel konkretisiert werden. In ihrer bekannten Studie zu „Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein“ haben Kern und Schumann (1970) 20 Intensivfallstudien von technischen Neuerungen in neun Betrieben über acht Branchen hinweg durchgeführt, und zwar mit dem Ziel, typische Erscheinungsformen und Veränderungen industrieller Arbeit sowie Auswirkungen dieser auf das Arbeiterselbstverständnis zu analysieren. Dazu kam ein breiter Methodenmix zum Einsatz: die Auswertung betrieblicher und amtlicher Daten und Statistiken, über 120 qualitative Arbeitsplatzbeschreibungen an Hand eines Kategorienschemas und knapp 1000 halbstandardisierte Arbeiterinterviews. Die Annahme hierbei war, dass ein solch multidimensionaler Ansatz nötig ist, um Aussagen über die Verknüpfung von Arbeitssituation und Arbeitsbewusstsein zu treffen (vgl. Wittemann et al.2010). Denn der Forschungsgegenstand erfordert einerseits, eine ausgedehnte Betrachtung struktureller Rahmenbedingungen (z. B. Voraussetzungen des Wandels von Industriearbeit), also des (gesellschaftlichen) Kontexts des Untersuchungsfalles (der technischen Neuerung). Dies wird durch die Dokumentenanalyse und die breit über verschiedene Betriebe und Branchen angelegten Arbeitsplatzanalysen ermöglicht. Um die Konsequenzen dieser Neuerungen für das Arbeiterbewusstsein zu verstehen, braucht es andererseits, differenzierte Mikroanalysen (Kern und Schumann1970, S. 30). Wo diese stattzufinden haben, klärt sich erst im Laufe des Forschungsprozesses durch die vorhergehenden Erhebungen. Diese Mikroanalysen stützen sich auf Arbeiterinterviews in Kombination mit, wiederum, Beobachtungen.Footnote 10

Hier wird deutlich, was Triangulation im Sinne einer „Ergänzung von Perspektiven“ zu leisten in der Lage ist: sie erlaubt die Analyse lokaler Veränderungen in ihrem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturbedingungen sowie subjektiven und intersubjektiven Deutungsmustern. Multimethodisches und multiperspektivisches Vorgehen kann daher mikro- und makrosoziologische Dynamiken und Mechanismen aufdecken (vgl. Kelle2007).

In ihrer Followup-Studie zum „Ende der Arbeitsteilung“ (Kern und Schumann1984) erweitern Kern und Schumann das methodische Instrumentarium mit Blick auf ihre Forschungsfrage noch.Footnote 11 Wieder stellt der breite methodische Zugang die Grundlage für die adäquate Analyse des Forschungsgegenstands – die historischen Verlaufsformen von Rationalisierung und zukünftige Rationalisierungspotenziale – dar. Die verschiedenen Herangehensweisen werden als komplementär beschrieben: So können die Interviews vorhandene Dokumente oder Beobachtungen um fehlende Aspekte ergänzen. Gleichzeitig schaffen Interviews allein noch kein verlässliches Wissen über das Forschungsfeld. Dieses wird über die „Gegenüberstellung“ der auf verschiedenen Wegen gewonnenen Daten generiert, d. h. kontextspezifisch angereichert und im Gesamtzusammenhang unter Einbeziehung verschiedener Theorie- und Forscherperspektiven geprüft (Kern und Schumann1984, S. 33; vgl. auch Froschauer und Lueger2009).Footnote 12 Neben der Erfassung des Untersuchungsfalles in seiner Breite und Tiefe kann durch (multiple) Triangulation aus einer Vielzahl an Informationen ein „in sich stimmiges“ Bild entstehen (vgl. für typische forschungspraktische Verfahren Pongratz und Trinczek2010). Triangulation ist hier demnach nicht in erster Linie als Prozess zu verstehen, welcher auf die Prüfung der Zuverlässigkeit von Daten abhebt, sondern der Qualität von Interpretationen dient.

5 Schlussfolgerungen

Die Konfrontation der in der Sozialforschung geführten Diskussion um Triangulation, deren Verarbeitung durch die Case Study Methodology und der Forschungspraxis der deutschen Arbeits- und Industriesoziologie, gibt Aufschluss über die Chancen, die Triangulation bietet, deutet aber sowohl die praktischen wie auch erkenntnistheoretischen Probleme und Grenzen an, die damit insbesondere für die Fallstudienforschung in diesem Feld einhergehen.

Ein grundlegendes Problem liegt in der Ungenauigkeit des Begriffs „Triangulation“; was genau mit der Bestimmung der „Position eines Objektes“ (Smith1975, S. 273) in der Sozialforschung gemeint ist, ist unklar. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs wird verschärft durch dessen heterogene Verwendung in der sozialwissenschaftlichen Gemeinschaft, sodass ganz unterschiedliche Konzeptionen mit „Triangulation“ assoziiert werden. Neben der ungeklärten Passgenauigkeit des Begriffs stellt sich die Frage, wie und mit welchen Zielen Triangulation in arbeitswissenschaftlichen Fallstudien umgesetzt werden kann, oder bis zu welchem Grad multiple Perspektiven, Theorien oder Methoden tatsächlich „verbunden“ werden können.

Da die bisherige Case Study Methodology überwiegend im quantitativen Paradigma zu verorten ist, wird dort mehrheitlich der Anspruch vertreten, mit Triangulation die Validität von Fallanalysen zu heben. Eine solche Zielsetzung wird demgegenüber innerhalb qualitativer Sozialforschung heutzutage kritisch gesehen. Denn ob mit unterschiedlichen methodischen Zugängen tatsächlich „derselbe“ Gegenstand rekonstruiert wird (Denzin1970, S. 308), was die Grundlage einer Validitätssteigerung wäre, ist fraglich. Unabhängig davon scheint es angemessen zu hinterfragen, inwieweit quantitative Gütekriterien auf qualitative Forschung, wie die arbeits- und industriesoziologische Fallstudienforschung in Deutschland, übertragen werden können.

In der Forschungspraxis der Arbeits- und Industriesoziologie ist Validierung üblicherweise nicht das vorrangige Ziel multimethodischer und multiperspektivischer Vorgehensweisen. Die verschiedenen Verfahren ermöglichen stattdessen „Durchdringung“ und „Abgleich“, d. h. Triangulation im Sinne von Kerns cross-examination (1982) als Erkenntnis- und Prüfprozess. Diese Prozesse dienen darüber hinaus der Integration: über kontinuierliche Ergänzungs- und Rückkopplungsschritte auf verschiedenen Ebenen, zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Forschenden werden Untersuchungsfall und dessen Kontext zu einer Einheit gebündelt, die Mechanismen zwischen diesen aufgedeckt. So wird der Bezug wesentlicher methodologischer Charakteristika von derartigen Fallstudien hergestellt (Methodenmix in Verbindung mit Kontextbezug, Multiperspektivität und Offenheit). Die multidimensionale Analyse gestattet es, mikro- und makrostrukturelle Dynamiken in ihrem Zusammenhang zu ergründen. Sie verbessert die Logik qualitativer Interpretation und trägt zu deren Aussagekraft bei (vgl. Mason2006). Ein solches Verfahren geht über den reinen Vergleich von Daten hinaus, es zielt auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit und angemessene Interpretation von Ergebnissen. Daher kann Triangulation, verstanden als Strategie der Erkenntnisgewinnung, Prüfung und Integration, mit Flick (2004, vgl.1992a) als Alternative zu Validierung interpretiert werden.

Wie mit Blick auf die übliche Kombination multipler Methoden und Triangulationsformen innerhalb einer Studie ins Auge fällt, ist „explizite“ Triangulation in der arbeits- und industriesoziologischen Fallstudienforschung häufig nur modifiziert durchführbar. Dennoch sollten meines Erachtens auch für „implizite“ Triangulation bestimmte Standards der Anwendung gelten. Grundlegende Ansatzpunkte bilden hier die kritische Reflexion des multimethodischen und multiperspektivischen Vorgehens sowie die transparente Auswahl und Darstellung der einzelnen Verfahren in Anwendung und Kombination. Konkret beinhaltet dies u. a. die folgenden Herausforderungen:

  • Die zielgerichtete Auswahl und Eingrenzung des zu untersuchenden sozialen Prozesses und, auf dieser Grundlage, die Ermittlung relevanter Kontextfaktoren. Diese mittels Untersuchungsfall und Kontext entstandene Fallkonstruktion gilt es im Verlauf einer Studie durch die verschiedenen multimethodischen und multiperspektivischen Vorgehen fortlaufend zu prüfen oder im Sinne eines zirkulären Verfahrens von Erhebung und Auswertung an im Forschungsprozess neu eröffnete kontextuelle Relevanzen anzupassen.

  • Die gegenstandsorientierte Bestimmung der einzusetzenden Verfahren und Methoden. Dabei bietet es sich an, die verschiedenen Formen von Triangulation analytisch zu trennen und jeweils eine wiederum gezielte Auswahl der zu verbindenden Datenformen, Forschenden, Theorien und Methoden vorzunehmen. Die Gründe für diese Entscheidungen sind offen zu legen, ihre Angemessenheit kontinuierlich zu hinterfragen und deren jeweilige Zielsetzung deutlich zu machen (vgl. Flick2004, S. 16). Insbesondere mit Blick auf die Auswahl zu kombinierender Erhebungsinstrumente hat sich die Verbindung struktur- und akteursbezogener Zugänge bewährt, da auf diese Weise unterschiedliche Ebenen des Untersuchungsfalles kontextualisiert und integriert werden können (vgl. Fielding und Fielding1986).

  • Die Reflexion der verschiedenen Formen der Triangulation in Bezug auf das eigene Forschungsdesign: In welches Verhältnis wurden die verschiedenen Methoden und Perspektiven zueinander gesetzt? Wurden die jeweiligen Methoden in sich konsequent verwendet? (vgl. Flick2004, S. 110)

  • Die durchdachte Festlegung der Triangulationsebene: Trianguliert werden können verschiedene Datensätze, Theorien und Methoden einerseits auf der Ebene des Einzelfalls, oder aber auf der Ebene des Fallvergleichs (s. Flick1990, S. 94,2004, S. 99 ff.).

Eine systematische und transparente Verbindung unterschiedlicher multimethodischer und multiperspektivischer Vorgehen steigert die Qualität von Fallstudien, da sie es ermöglicht Informationen zu ergänzen (den Untersuchungsfall angemessen in seinem Kontext zu durchdringen), abzugleichen (im Sinne eines wechselseitigen Perspektivenvergleichs) und zu integrieren (d. h. einzelne Informationen zu einer tiefgreifenden und robusten Analyse zusammenzubinden). Die verschiedenen Triangulationsvarianten dienen weniger der Steigerung der Qualität der empirischen Operationalisierung, sondern der Steigerung der Qualität von Interpretationen und damit einer zentralen Herausforderung qualitativer Sozialforschung.