Zusammenfassung
Aus dem ökosystemischen Ansatz von Bronfenbrenner lässt sich ableiten, dass der Kindergarten entwicklungsfördernd ist, und zwar insbesondere bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten. Deshalb gehen wir der Frage nach, in wieweit ein früher Eintritt in den Kindergarten das Risiko der Rückstellung bei der Einschulung reduziert. Auch werden vorzeitige Einschulungen untersucht, da sie in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen haben. Im Gegensatz zu den eher institutionell veranlassten Rückstellungen handelt es sich bei der vorzeitigen Einschulung um Entscheidungen der Eltern. Die empirischen Analysen basieren auf Daten des SOEP der Jahre 1995–2004 und stützten die Annahmen zur kompensatorischen Wirkung eines Kindergartenbesuchs, denn bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten reduziert ein frühzeitiger Eintritt in den Kindergarten das Risiko einer späteren Rückstellung vom Schulbesuch. Auch wenn die Befunde zur vorzeitigen Einschulung weniger eindeutig ausfallen, so geben sie zumindest Hinweise darauf, dass insbesondere Eltern mit höherem formalem Bildungsabschluss diese Option häufiger in Anspruch nehmen und damit auf ein weiteres Jahr des Kindes in der vorschulischen Betreuungseinrichtung verzichten.
Abstract
Although there is a regular age of school entry in Germany, some children start school later than usual and some children start ahead of schedule. While there has been some decrease in delayed school entries in the last years, the rate of premature school entry has increased substantially. Paradoxically, while the delayed entry is primarily because professionals rate a child as not ready for school, the premature entry is mainly based on parents’ choice. The first aim of the paper is to discover whether kindergarten attendance can reduce the risk of a delayed entry. The arguments and hypotheses are mainly based on the theory on the ecology of human development of Bronfenbrenner. The empirical analyses demonstrate that low educated families profit most by kindergarten attendance, but only if the child begins attending the care institution before reaching age four. The second aim concerns considerations in regard to the decision of prematurely entering school. Socio-economic conditions are not as important at this point as compared with a delay in school entry. However, there are some effects indicating that higher educated parents foster a premature entry to elementary schools. The analyses are based on over 1.400 children in the relevant age group and their parents taking part in the large nationwide German Socio-Economic Panel Study (SOEP).
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1 Einleitung
Zahlreiche Studien verweisen auf Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg. In Deutschland besuchen Kinder z. B. umso eher das Gymnasium und erreichen das Abitur, je höher der sozio-ökonomische Status des Elternhauses ist (Schneider 2004; Schimpl-Neimanns 2000; Blossfeld und Shavit 1993). Darüber hinaus ist ein geringerer Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund feststellbar. Sie haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Hauptschule zu besuchen, die Schule ohne Abschluss zu verlassen und absolvieren seltener eine berufliche Ausbildung (Herwartz-Emden 2003; Solga 2003; Alba et al. 1994). Für den Start der Schulkarriere liegen hingegen nur wenige Forschungsarbeiten vor. Nach Tietze (1973) werden Kinder aus Familien mit hoher Bildung häufiger vorzeitig eingeschult. Aktuelle Befunde von Faust et al. (2007) weisen in dieselbe Richtung. Eine Rückstellung vom Schulbesuch tritt nach bisherigen Kenntnissen insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund und bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus auf. Nach der hessischen Schulstatistik sind z. B. im Schuljahr 2000/01 9 Prozent der Kinder mit deutscher und 21 Prozent der Kinder mit ausländischer Staatsangehörigkeit zurückgestellt worden (Tischler et al. 2002: 142). Weiterhin zeigen Ergebnisse aus Schuleingangsuntersuchungen im Land Brandenburg bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus häufiger Einschränkungen in der Schulfähigkeit (Böhm und Kuhn 2000; Elsässer 1998).
Einige Studien verweisen auf die Bedeutung eines vorangegangen Kindergartenbesuchs für den Zeitpunkt der Einschulung sowie für den späteren Schulerfolg. Kinder, die den Kindergarten über einen längeren Zeitraum besucht haben, verfügen über höhere Kompetenzen und werden seltener vom Schulbesuch zurückgestellt (Becker und Biedinger 2006; Schöler et al. 2004; Bos et al. 2003: 127–130; Plum 2001). In der empirischen Bildungsforschung wird auch diskutiert, ob sich ein Kindergartenbesuch langfristig positiv auf den weiteren Schulverlauf gemessen am Besuch einer weiterführenden Schule auswirkt (Büchner und Spiess 2007; Spiess et a. 2003) oder ob es sich hierbei lediglich um Selektionseffekte handelt (Becker und Lauterbach 2004).
Die Annahme einer kompensatorischen Wirkung des Kindergartens, von der Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus sozial schwachen Familien besonders profitieren, wird auch im politischen Diskurs häufig vertreten und hieraus werden dann Forderungen nach einem kostenlosen Kindergartenjahr vor dem Schuleintritt abgeleitet. Kennzeichnend für den Kindergarten ist, dass er, mit einigen Ausnahmen, nicht den Kultus-, sondern den Familien- und Sozialministerien der Länder untersteht, kostenpflichtig und freiwillig ist. Die beiden letztgenannten Punkte sind mitentscheidend für eine sozial selektive Partizipation am Kindergarten. Bei Betrachtung der sozial-strukturellen Herkunftsmerkmale von den Kindern, die erst spät oder gar keinen Kindergarten besuchen, lässt sich eine hohe Ähnlichkeiten zu denen feststellen, die auch später geringere Ergebnisse in Leistungstests aufweisen und seltener weiterführende Schulen besuchen.
Zurückstellungen sind ebenso wie das dreigliedrige Schulsystem, Querversetzungen und Klassenwiederholungen institutionalisierte Mechanismen zur Leistungshomogenisierung der Schülerschaft. Die Entscheidung, ob ein Kind zurückgestellt wird, hängt in starkem Maße davon ab, wie der zuständige Grundschulleiter und der Schul- oder Amtsarzt die Schulfähigkeit des Kindes einschätzen. Die vorzeitige Einschulung liegt dagegen wesentlich stärker im Ermessenspielraum der Eltern, denn hier wird in den letzten Jahren vermehrt von einer Prüfung der Schulfähigkeit abgesehen.
Der Anteil verspätet Eingeschulter ist in den letzten Einschulungsjahrgängen leicht rückläufig, während vorzeitige Einschulungen deutlich zunehmen. Die Veränderungen im Bereich der Einschulung können neben der Einführung des achtjährigen Gymnasiums und von Bachelor-Studiengängen als weitere Maßnahme zur Senkung des Alters beim Berufseintritt gesehen werden.
Vor dem Hintergrund der rechtlichen Neuregelungen in den letzten Jahren und der aktuellen bildungspolitischen Diskussion stellen wir in unserer Studie die Frage nach sozialen Ungleichheiten zu Beginn der Schulkarriere. Uns interessiert insbesondere, ob der frühe Besuch eines Kindergartens die Startchancen von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern und aus Zuwandererfamilien im Schulsystem verbessert. Unter besseren Startchancen verstehen wir die Vermeidung einer Verzögerung unmittelbar zu Beginn der Schullaufbahn. Des Weiteren interessiert uns, ob sich bei der Entscheidung für eine vorzeitige Einschulung Abhängigkeiten von der sozialen Herkunft zeigen. Die Zunahme vorzeitiger Einschulungen könnte die herkunftsspezifische Altersverteilung zu Beginn der Schullaufbahn verstärken, wenn einerseits Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern häufiger vorzeitig und andererseits Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern und aus Migrantenfamilien häufiger verspätetet eingeschult werden.
Im nächsten Abschnitt wird erörtert, welchen Entscheidungsspielraum Eltern auf den Zeitpunkt des Eintritts in das Schulsystem haben. Während Rückstellungen primär durch Personen in den entsprechenden Institutionen veranlasst werden, haben Eltern bei der vorzeitigen Einschulung größere Einflussmöglichkeiten. Danach wird die Bedeutung des Kindergartens für die Entwicklung des Kindes und für den Zeitpunkt der Einschulung aus theoretischer Perspektive diskutiert und bisherige Befunde hierzu vorgestellt. Das dritte Kapitel stellt die Untersuchungsstichprobe, die aus den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1995 bis 2004 gewonnen wurde, und die Operationalisierung der Hypothesen dar. Die Darstellung der empirischen Befunde gliedert sich dann in jeweils ein Unterkapitel zur vorzeitigen Einschulung und zum Risiko der Rückstellung. Die zentralen Ergebnisse werden im abschließenden Kapitel zusammengefasst. Aus den Befunden zur kompensatorischen Wirkung eines frühen Eintritts in den Kindergarten für die Vermeidung eines verzögerten Starts der Schulkarriere werden sozialpolitisch relevante Schlussfolgerungen abgeleitet.
2 Befunde und Erklärungen zum Zeitpunkt der Einschulung
Der Zeitpunkt der Einschulung hängt zunächst davon ab, welchen Spielraum die rechtlichen Rahmenbedingungen zulassen und wem die Entscheidungsbefugnis zugesprochen wird. Die an der Einschulungsentscheidung beteiligten Akteure sind auf der einen Seite die Vertreter des staatlichen Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitssystems, nämlich Erzieher, Grundschulleiter und Kinderärzte, auf der anderen Seite die Eltern. Wichtige Aspekte für die Beurteilung der Schulfähigkeit eines Kindes sind die kognitiven, körperlich-gesundheitlichen, sozialen und motivationalen Voraussetzungen, die ein Kind mitbringt bzw. die ihm zugeschrieben werden.
2.1 Rechtliche Regelungen zum Schuleintritt und der Entscheidungsspielraum von Eltern
Bis zum Jahr 1997 wurde die Schulpflicht durch das Hamburger Abkommen vom 18.10.1964 geregelt. Danach bestand für alle Kinder, die bis zum 30. Juni des aktuellen Jahres das 6. Lebensjahr vollendeten, zum 1. August Schulpflicht. Eine Zurückstellung vom Schulbesuch war möglich, falls ein erfolgreicher Schulbesuch nicht zu erwarten war (Einsiedler 2003: 288–289). In Anbetracht eines hohen Anteils an Rückstellungen vom Schulbesuch wurden im Jahr 1997 Regelungen durch die Kultusministerkonferenz getroffen, die zur Senkung des durchschnittlichen Einschulungsalters beitragen sollten. Im Zuge dessen wurde den Bundesländern das Recht zugestanden, den Stichtag zur Schulpflicht auf den 31.12. zu verlegen. Seit dem Schuljahr 2005/06 gelten in einzelnen Bundesländern neue Stichtagsregelungen, um das Einschulungsalter zu reduzieren (ebd.: 289–292; Keil 2006).
Die Möglichkeit, dass Eltern einen Antrag auf eine vorzeitige Einschulung stellen, besteht bereits seit dem Jahr 1968 für die Kinder, die bis zum 31. Dezember das 6. Lebensjahr erreichen. Die Regelungen hierzu wurden im Zuge der gewünschten Senkung des Einschulungsalters im Jahr 1997 gelockert. Seitdem ist in einigen Bundesländern bei vorzeitiger Einschulung kein Gutachten mehr erforderlich. Zusätzlich können seit der Neuregelung in Ausnahmefällen auch Kinder, die das 6. Lebensjahr erst nach dem 31.12. vollenden, vorzeitig eingeschult werden (Einsiedler 2003: 292).
Folge dieser Neuregelung ist eine Senkung des durchschnittlichen Schuleintrittsalters in Deutschland. Der Anteil vorzeitig eingeschulter Kinder ist innerhalb der Einschulungsjahrgänge 1999/2000 bis 2004/05 kontinuierlich von 3,6 Prozent auf 9,1 Prozent gestiegen. Rückstellungen sind im gleichen Zeitraum von 7,0 Prozent auf 5,7 Prozent gesunken. Eine Differenzierung nach Bundesländern lässt zudem eine stärkere Verbreitung der vorzeitigen Einschulung im früheren Bundesgebiet erkennen. Dort sind im Schuljahr 2004/05 9,9 Prozent der Schulanfänger vorzeitig Eingeschulte, in den neuen Bundesländern hingegen lediglich 3,0 Prozent. Etwas geringer fallen die Unterschiede bei den Rückstellungen aus. Während im früheren Bundesgebiet 5,4 Prozent verspätet eingeschult worden sind, sind dies in den neuen Bundesländern 7,9 Prozent der Schulanfänger (Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2006, Stand 12.09.2006, eigene Berechnungen). Der Trend zur früheren Einschulung ist aber für beide Teile Deutschlands erkennbar. Das durchschnittlich höhere Alter bei der Einschulung in den neuen Bundesländern könnte auf unterschiedlichen Erfahrungen und Traditionen beruhen. Aufgrund einer anderen Organisation von Kindergarten und Grundschule zu DDR-Zeiten gab es damals so gut wie keine vorzeitigen Einschulungen (Geiling 1999) und dies könnte die Vorstellungen zum richtigen Einschulzeitpunkt noch heute beeinflussen. Ein weiterer Grund könnte die auch nach der Wende fortbestehende starke Vollzeiterwerbsorientierung von Müttern mit Kindern sein, die sich mit dem häufig ganztägig angebotenen Kindergarten besser als mit der Halbtagsgrundschule vereinbaren lässt.
Der Entscheidungsspielraum der Eltern für den Zeitpunkt der Einschulung variiert seit der Neuregelung der Kultusministerkonferenz in den einzelnen Bundesländern (Faust 2006; Keil 2006). Eine vorzeitige Einschulung ist prinzipiell in allen Bundesländern möglich, wobei die Hürden hierfür unterschiedlich hoch angelegt werden. In einigen Bundesländern ist für eine vorzeitige Einschulung lediglich der Antrag der Eltern notwendig, in anderen Bundesländern wird ein schulärztliches oder -psychologisches Gutachten verlangt und die Entscheidung zur Aufnahme obliegt dem Schulleiter (Avenarius und Heckel 2000: 456 f.). Insgesamt ist ein Trend erkennbar, dass die Barrieren zur vorzeitigen Einschulung gelockert werden (Keil 2006).
Im Falle von Rückstellungen sehen die rechtlichen Regelungen hingegen nur einen geringen Spielraum für Eltern vor. In manchen Bundesländern können sie einen Antrag auf Rückstellung stellen, jedoch kann auch die Schule als Antragsteller auftreten. Bei der Entscheidungsfindung werden die Eltern zwar mit einbezogen, aber die endgültige Entscheidung liegt in den allermeisten Bundesländern beim Schulleiter, dem Schulamt oder der Schulbehörde, wobei in der Regel ein schulärztliches Gutachten oder der schulpsychologische Dienst hinzugezogen wird (Roßbach 2001: 157–159). Da die schulärztlichen Empfehlungen stark an die von Medizinern festgestellten Befunde zur sprachlichen und intellektuellen Entwicklung des Kindes gekoppelt sind (Wenzig 2002), ist davon auszugehen, dass die Kompetenzen der Kinder einen entscheidenden Einfluss auf die Rückstellung vom Schulbesuch haben.
2.2 Zur Bedeutung der Familie und des Kindergartens für die Entwicklung von Kindern
Die Bedeutung von Familie und Kindergarten für die Entwicklung von Kindern lässt sich auf Grundlage des ökosystemischen Ansatzes der Theorie der menschlichen Entwicklung nach Bronfenbrenner erklären. Er unterscheidet zwischen vier Strukturen der Umwelt, die sich jeweils überlagern. Die unmittelbaren Umgebungen, in denen sich das Kind regelmäßig bewegt und die damit direkt auf es einwirken, werden als Mikrosysteme bezeichnet. Das Mesosystem besteht aus Wechselwirkungen zwischen den Mikrosystemen und wirkt damit nur indirekt auf die Kinder. Das Exosystem bezeichnet Lebensbereiche, an denen das Kind nicht teilhat, die aber über Personen aus dem Lebensbereich der Kinder Einfluss nehmen. Das Makrosystem umfasst schließlich in verschiedenen Lebensbereichen geltende Normen, Werte und Deutungsmuster, die sich von anderen Makrosystemen unterscheiden und unter anderem historisch bedingt sind (Bronfenbrenner 1981).
Eine wichtige Rolle spielt in dieser Betrachtungsweise die Familie als zentrales Mikrosystem. Sie stellt den ersten und wichtigsten Lebensbereich dar und ist als solche die erste elementare Sozialisationsinstanz (Hurrelmann und Bruendel 2003: 96). Sie wirkt zum einen durch den direkten Kontakt mit den Kindern, zum anderen werden aber auch Einflüsse anderer Institutionen, wie der Arbeitsplatz der Eltern, die Schule der Geschwister oder auch kulturelle Wert- und Normvorstellungen über die Familie vermittelt. Dementsprechend kommt der Familie in Bezug auf die Entwicklung von Kindern eine wesentlich bedeutendere Rolle zu als dem Kindergarten (Tietze et al. 2005).
Nach den Befunden auf Basis der Schuleingangsuntersuchungen des Landes Brandenburg treten bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien häufiger Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen, psychomotorische Auffälligkeiten, Wahrnehmungsstörungen, intellektuelle Entwicklungsrückstände und andere Teilleistungsstörungen auf als bei Kindern aus sozial besser gestellten Elternhäusern. Dementsprechend werden diese Kinder gegenüber Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus fast doppelt so oft in eine therapeutische Behandlung überwiesen und das Kinder- und Jugendgesundheitsinstitut spricht häufiger Rückstellungsempfehlungen aus. Des Weiteren ist der Förderbedarf von Kindern aus niedriger sozialer Lage deutlich höher als bei Kindern aus hoher sozialer Lage (Elsässer 1998; Böhm und Kuhn 2000; Janus und Duku 2007). Nach Schulleistungsstudien wie der Internationalen Grundschulleseuntersuchung (IGLU/PIRLS), der Hamburger Lernausgangsuntersuchung (LAU) oder der bayrischen Studie Kompetenzaufbau und Laufbahnen im Schulsystem (KoaLa-S) bestehen auch am Ende der Grundschulzeit starke Korrelationen zwischen sozialer Herkunft und erreichten Leistungsständen. Besonderes stark sind die Korrelationen zwischen dem formalen Bildungsabschluss der Eltern und den erzielten Testwerten des Kindes (Bos et al. 2007; Ditton et al. 2005; Lehmann et al. 1997). Aus soziologischer Perspektive sollte hierfür insbesondere die innerfamiliale „Transmission des kulturellen Kapitals“ (Bourdieu 1982, 1983) verantwortlich sein. Der wichtigste Indikator für das kulturelle Kapital des Elternhauses ist der formale Bildungsabschluss.
Da Kinder mit formal höher gebildeten Eltern eine bessere häusliche Anregungsqualität erfahren, erfüllen sie früher die Kriterien zur Schulreife und werden deshalb früher eingeschult (Hypothese 1).
Die zitierten Schulleistungsstudien weisen zudem für Kinder mit Migrationshintergrund geringere Testleistungen nach, selbst wenn für den sozio-ökonomischen Status des Elternhauses kontrolliert wird. Neuere Untersuchungen verweisen insbesondere auf die Bedeutung des Erstspracherwerbs bzw. der Familiensprache als Ursache für das schlechtere Abschneiden von Kindern mit Migrationshintergrund bei standardisierten Tests (Stanat und Christensen 2006: 46 ff.; vgl. auch Esser 2006). Diese Gruppe schneidet auch bei Einschulungsuntersuchungen häufig ungünstiger ab (Mengering 2005) und ist besonders oft von Rückstellungen bei der Einschulung betroffen (Tischler et al. 2002). Auch Gomolla und Radtke (2002: 163–172) verweisen auf die starke Bedeutung der Kenntnisse der deutschen Sprache für den Zeitpunkt der Einschulung. Sie konzentrieren sich in ihrer Argumentation jedoch auf die Entscheidungsträger, die geringe Deutschkenntnisse mit geringen kognitiven Fähigkeiten gleichsetzen würden.
Wir erwarten, dass die Kinder mit Migrationshintergrund, die zu Hause kaum die Möglichkeit des Erlernens der Sprache des Ziellandes haben, später eingeschult werden (Hypothese 2). Dies kann sowohl auf die tatsächlich vorhandenen sprachlichen Defizite als auch auf die starke Bedeutung der Deutschkenntnisse auf institutioneller Seite zurückzuführen sein.
Aus dem Modell von Bronfenbrenner lässt sich die Rolle des Kindergartens zumindest für zwei Ebenen ableiten. Auf der Mikroebene ist aus entwicklungspsychologischer Sicht eine Förderung der Kompetenzentwicklung durch gezielte Anregungen des Personals anzunehmen. Kinder im Grundschulalter schneiden bei psychologischen Tests zum sprachlichen, sozialen und kognitiven Kompetenzstand, aber auch zur Wahrnehmung und zu den motorischen Fähigkeiten im Durchschnitt besser ab, je länger sie den Kindergarten besucht haben. Die höheren Testwerte sind jedoch nicht immer statistisch signifikant. Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine signifikante Verbesserung bei einem Kindergartenbesuch von mindestens zwei Jahren. Weitere Analysen nach sozialer Herkunft und Kindergartenzeiten deuten darauf hin, dass Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus oder mit nicht-deutscher Muttersprache dann höhere Testwerte erreichen, wenn sie mindestens drei Jahre den Kindergarten besucht haben. Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus weisen dagegen im Mittel keine besseren Ergebnisse auf, wenn sie mindestens drei Jahre im Kindergarten waren (Becker und Biedinger 2006; Mengering 2005; Schöler et al. 2004; Plum 2001). Diese Befunde lassen eine Verbesserung sprachlicher und intellektueller Kompetenzen durch einen frühen Kindergartenbesuch vermuten.
Sozialisationstheoretisch betrachtet stellt der Kindergarten die erste Institution außerhalb der Familie dar, die zur Vergesellschaftung der Kinder beiträgt. Im Laufe der Sozialisation werden gesellschaftlich definierte, komplementäre Rollenerwartungen erlernt, die zur Erhaltung eines sozialen Systems notwendig sind (Parsons 1977: 161–167). Dies geschieht zum einen im Spiel des Kindes mit sich selbst, aber auch im Spiel mit anderen. Die Regelgeleitetheit des Spiels und die Zugehörigkeit zu anderen tragen dabei zur Entwicklung eines Verständnisses für die gesamtgesellschaftliche Organisation bei (Mead 1975: 187–206). Aufgrund dieser Funktion des Spiels lässt sich eine besondere Bedeutung der Bereitstellung von Peer-Kontakten im Kindergarten für den Sozialisationsprozess vermuten.
Sowohl die theoretischen Überlegungen nach Bronfenbrenner als auch empirische Studien zur Kompetenzentwicklung weisen auf einen positiven Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die Entwicklung des Kindes hin.Footnote 1 Der Einfluss ist aber offenbar abhängig vom Eintrittszeitpunkt oder der Dauer des Kindergartenbesuchs. Kinder, die den Kindergarten bereits in einem jüngeren Alter besucht haben, weisen im weiteren Bildungsverlauf bessere Kompetenzen und einen größeren Schulerfolg auf.
Deshalb nehmen wir an, dass ein Kindergartenbesuch das Risiko der Rückstellung mindert und eine frühere Einschulung wahrscheinlicher macht und zwar umso mehr, je früher ein Kind in den Kindergarten eintritt (Hypothese 3).
Neben der Quantität des Kindergartenbesuchs ist offenbar auch die Qualität des Kindergartens für die Entwicklung des Kindes wichtig. Dies legen z. B. die Befunde von Biedinger et al. (2008) zur sozialen Zusammensetzung der Kindergärten auf die späteren Ergebnisse in Schuleingangsuntersuchungen nahe. In der Literatur zur Kindergartenqualität wird zwischen Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität unterschieden. Als zentrale Qualitätskriterien werden unter anderem die Erziehungseinstellungen und die berufliche Ausbildung des Kindergartenpersonals, deren Interaktionen mit Kindern und Erwachsenen sowie die räumlichen Rahmenbedingungen diskutiert. Pädagogische Qualität der Kindergartenbetreuung verbessert demnach den kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklungsstand der Kinder in der Kindergartenzeit und bleibt bis in die Grundschulzeit wirksam (Tietze et al. 2005, 1998). Experimentell angelegte amerikanische Studien können darüber hinaus sehr langfristige Konsequenzen einer qualitativ hochwertigen vorschulischen Erziehung nachweisen. Für die Gruppe der im vorschulischen Alter gezielt geförderten Kinder lassen sich selbst im Alter von 40 Jahren positive Folgen nachweisen (Heckman und Masterov 2007).
Bereits die Entscheidung, ein Kind im Kindergarten anzumelden, kann eine gezielte Investition in Bildung sein. Im Gegensatz zum Schulbesuch ist die Teilnahme am Kindergarten nicht verpflichtend und in den meisten Fällen kostenpflichtig. Eltern mit geringem formalen Bildungsniveau oder einer ausländischen Staatsangehörigkeit melden ihre Kinder seltener bzw. erst in einem höheren Alter im Kindergarten an. Während die Besuchsquoten im Alter von drei Jahren noch in Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Nationalität variieren, sind im Jahr vor Erreichen der Schulpflicht die Differenzen nach Nationalität nur noch gering. Unterschiede nach sozialer Herkunft bleiben allerdings bestehen (Kreyenfeld 2004; Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 37–39, 150–151). Darüber hinaus bestehen deutliche Ost-West-Unterschiede. Während im Jahr 2004 in den westlichen Flächenländern lediglich 69 Prozent der 3-Jährigen den Kindergarten besuchen, sind es in den östlichen 83 Prozent (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 37–38).
Eine Verminderung von Startnachteilen zu Beginn der Grundschule kann möglicherweise durch den Kindergarten erreicht werden, wenn Peer-Group-Kontakte und gezielte Sprachförderung zu einer Verbesserung der Sprachkenntnisse beitragen. Analysen zur Sprachkompetenz unterstützen diese Vermutung, denn es konnten signifikant höhere Testwerte bei längerem Kindergartenbesuch nachgewiesen werden. Die Befunde deuten jedoch auch darauf hin, dass dazu ein Kindergartenbesuch von mindestens drei Jahren notwendig ist (Plum 2001; Becker und Biedinger 2006).
Folglich ist zu erwarten, dass ein früher Kindergartenbesuch von Kindern mit Migrationshintergrund das Risiko einer Rückstellung reduziert (Hypothese 4).
Ein vergleichbarer kompensatorischer Effekt lässt sich auch bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten vermuten. Die Ergebnisse der Mannheimer Einschulungsuntersuchung deuten auch hierzu auf eine kompensatorische Wirkung eines längeren Kindergartenbesuches hin, da die Testleistungen der Kinder bei längerem Kindergartenbesuch besser sind (Schöler et al. 2004). Ebenso berichten Studien aus den USA und Kanada insbesondere für Kinder aus sozial benachteiligten Familien von positiven Effekten in Bezug auf schulrelevante Fähigkeiten, die jedoch möglicherweise in der Grundschulzeit nicht lange anhalten (Gormley und Gayer 2005; Magnuson et al. 2004).
Der Kindergartenbesuch sollte insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Haushalten positive Folgen haben, da der Kindergarten gerade bei diesen Kindern – im Vergleich zu denen aus bildungsnahen Elternhäusern – durch seine Angebote ergänzend wirken sollte (Hypothese 5).
3 Datenbasis, Operationalisierung und statistische Verfahren
Für die empirischen Analysen werden die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) verwendet.Footnote 2 Das SOEP ist eine repräsentative, jährliche Wiederholungsbefragung, bei der jedes Haushaltsmitglied ab 17 Jahren befragt wird. Zusätzlich gibt ein erwachsenes Haushaltsmitglied Informationen zu den Kindern. Die thematischen Schwerpunkte des SOEP sind Erwerbsbiografien, Einkommen, familiale Strukturen, Wohngeschichte, Zeitverwendung und die Zufriedenheit mit verschiedenen Aspekten des Lebens. Das Panel wurde im Laufe der Jahre immer wieder, unter Berücksichtigung der Wiedervereinigung Deutschlands und der Migrationsströme nach 1984, um weitere Stichproben ergänzt und kann deshalb immer noch als repräsentative Bevölkerungsumfrage angesehen werden (Wagner et al. 2007).
Der Kindergartenbesuch wird im SOEP seit 1995 erstmals differenziert von einer Betreuung durch eine Tagesmutter erfasst. Ob ein Kind im Alter von drei Jahren einen Kindergarten besucht hat, lässt sich deshalb für die Kinder feststellen, die am 1.7.1991 oder später geboren wurden.Footnote 3 Da mit dem Schuljahr 2005/06 in einzelnen Bundesländern eine Verlagerung des Stichtags der Einschulung nach hinten vorgenommen wurde, werden dieser und spätere Einschulungsjahrgänge nicht mehr berücksichtigt. Somit beschränkt sich die Untersuchung auf Kinder, die zwischen dem 1.7.1991 und dem 30.6.1998 geboren wurden und in den Schuljahren 1998/99 bis 2004/05 regulär schulpflichtig wurden. Aus diesem Stichprobenzuschnitt ergibt sich eine Fallzahl von 1481 Kindern.Footnote 4
Der Schwerpunkt der Studie liegt auf der Bedeutung des Kindergartenbesuchs für den Zeitpunkt der Einschulung. Wir erfassen den Kindergartenbesuch nach dem Eintrittsalter: Eintritt im Alter von drei Jahren, Eintritt im Alter von vier oder fünf Jahren und kein Kindergartenbesuch (vor Schuleintritt).Footnote 5 Tabelle 1 gibt den Kindergarteneintritt unterschieden nach dem früheren Bundesgebiet und den Neuen Bundesländern wieder. Mit 76 Prozent ist der größte Teil der Kinder der Stichprobe im Alter von drei Jahren in den Kindergarten eingetreten. 21 Prozent besuchten den Kindergarten erstmals im Alter von vier oder fünf Jahren. Bei 3 Prozent der Kinder wurde bis zu diesem Alter kein Kindergartenbesuch genannt. Deutlich zu erkennen ist auch die frühere Inanspruchnahme des Kindergartens in den neuen Bundesländern im Vergleich zu den alten. In den neuen Bundesländern besuchen 87 Prozent der Kinder bereits im Alter von drei Jahren den Kindergarten, aber lediglich 75 Prozent im früheren Bundesgebiet. Die Verteilung deckt sich weitestgehend mit den Befunden auf Basis des Mikrozensus (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 37–38).
Die soziale Herkunft der Kinder wird anhand der Bildungsabschlüsse der Eltern gemessen. Das formale Bildungsniveau wird mit einer Variablen erfasst, der die idealtypische Dauer bis zum Erreichen der schulischen und beruflichen Abschlüsse zugrunde liegt. Im Falle von nicht bildungshomogamen Eltern wird das jeweils höchste Niveau berücksichtigt. Eine Übersicht der Verteilung zentraler Untersuchungsmerkmale auf die Gruppen der vorzeitig, regulär und verspätet eingeschulten Kinder befindet sich im Anhang in Tab. 1A.
Kinder mit Migrationshintergrund profitieren entsprechend Hypothese 2 insbesondere dann von einem Kindergartenbesuch, wenn im familiären Bereich die Möglichkeiten des Erlernens der deutschen Sprache eher begrenzt sind. Aus diesem Grund verwenden wir die selbst eingeschätzten Deutschkenntnisse der Mutter als Indikator für Migrationshintergrund. Im SOEP steht den Befragten eine fünfstufige Skala zur Einschätzung ihrer Kenntnisse zur Verfügung. Aus Fallzahlgründen werden die Mütter mit Migrationshintergrund, die nach eigenen Angaben sehr gut bis gut deutsch sprechen, mit einer Dummy-Variable, und Mütter mit mittleren bis gar keinen Deutschkenntnisse mit einer weiteren Dummy-Variable erfasst. Die sprachlichen Kompetenzen variieren zwar auch zwischen Familien ohne Migrationshintergrund, Informationen hierzu werden im Rahmen des SOEP jedoch nicht erhoben.
Das Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Einschulungsentscheidung wird durch die Nähe zum Stichtag für reguläre Einschulungen erfasst. Im Juli geborene Kinder erhalten deshalb den kleinsten Wert (1), im Juni des nächsten Jahres geborene Kinder den größten Wert (12). Da, wie später noch zu sehen ist, zwischen Geburtsmonat und Einschulung nicht-lineare Zusammenhänge bestehen, wird der Geburtsmonat logarithmiert.
Um dem Trend der Verschiebung des Einschulungsalters Rechnung zu tragen, wird eine Variable gebildet, die sich auf das reguläre Einschulungsjahr bezieht. Der Wertebereich reicht von 0 (Schuljahr 1998/99) bis 6 (Schuljahr 2004/05). Des Weiteren werden mithilfe von Dummy-Variablen Kinder aus den alten und den neuen Bundesländern sowie Mädchen und Jungen voneinander unterschieden. Eine Übersicht zu den Hypothesen und ihrer Operationalisierung enthält Tab. 2.
Um die Hypothesen zu prüfen und den Einfluss der uns interessierenden Variablen auf den Zeitpunkt der Einschulung zu untersuchen, wird das multivariate Verfahren der logistischen Regression verwendet (Greene 2000: 811–826). Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen in Bezug auf die vorzeitige Einschulung und die Zurückstellung vom Schulbesuch führen wir jeweils getrennte Analysen mit einer dichotomen zu erklärenden Variable (vorzeitige Einschulung: ja/nein bzw. Vermeidung einer Rückstellung: ja/nein) durch.
4 Ergebnisse
Von den 1481 Kindern der hier untersuchten Stichprobe werden 193 vorzeitig und 133 verspätet eingeschult. Dies entspricht einem Anteil von 13 Prozent vorzeitig eingeschulten und einem Anteil von 9 Prozent zurückgestellten Kindern.
Die Stichtagsregelung sieht eine Einschulung von Kindern vor, die bis zum 30.6. eines Jahres das sechste Lebensjahr vollendet haben. Für den Fall der vorzeitigen Einschulung kann argumentiert werden, dass die Kompetenzunterschiede zwischen den Kindern, die unmittelbar vor und nach dem Stichtag geboren wurden, nicht sonderlich abweichen. Deshalb sollten im Juli, August und September Geborene besonders häufig vorzeitig eingeschult werden. Ähnlich lässt sich auch für Rückstellungen argumentieren, dass die Kinder, die nahe am Stichtag geboren wurden, im Durchschnitt geringere Kompetenzen aufweisen als die Kinder, die fast ein ganzes Jahr älter sind.
In Abb. 2 werden die vorzeitigen Einschulungen und die Rückstellungen nach dem Geburtsmonat der Kinder ausgewiesen. Insbesondere Kinder, die in den Monaten nach dem Stichtag Geburtstag haben, werden vergleichsweise häufig vorzeitig eingeschult. Dabei fällt vor allem der Geburtsmonat Juli auf, denn von diesen Kindern geht fast die Hälfte vorzeitig zur Schule. In den darauf folgenden Monaten sinkt der Anteil stetig bis zu den im Dezember geborenen Kindern und pendelt sich danach auf einem Niveau von 2 bis 5 Prozent ein. Auch das Rückstellungsrisiko ist in der Nähe des Einschulungsstichtages am größten. Jedes fünfte Kind, das im Juni geboren wurde, wird verspätet eingeschult. Ein erhöhtes Rückstellungsrisiko trifft des Weiteren auf im März, April und Mai geborene Kindern zu (jeweils 13 Prozent). In allen anderen Monaten schwankt der Anteil an Rückstellungen zwischen 5 und 10 Prozent, wobei kein einheitlicher Trend feststellbar ist. Im Vergleich zur vorzeitigen Einschulung sind Rückstellungen insgesamt weniger stark vom Geburtsmonat abhängig.
Die vorzeitige Einschulung und die Rückstellung vom Schulbesuch werden im Folgenden separat betrachtet, weil der Entscheidungsspielraum der Eltern bei der vorzeitigen Einschulung verhältnismäßig hoch ist, die Rückstellung vom Schulbesuch dagegen eher von der Entscheidung des Schulleiters abhängig ist.
4.1 Vorzeitige Einschulung
In den ersten drei Modellen beziehen sich die Analysen zur vorzeitigen Einschulung auf alle Kinder (Modelle 1 bis 3).Footnote 6 Das Folgemodell beschränkt sich auf die Kinder, die in den ersten drei Monaten nach dem Stichtag der regulären Einschulung geboren wurden, also im Juli, August oder September (Modell 4), da hier der Entscheidungsspielraum der Eltern am größten ist. In Modell 5 berücksichtigen wir dann nur die jüngeren Kinder (Geburtsmonate Oktober bis Juni), für die eine vorzeitige Einschulung eher in Ausnahmefällen in Frage kommt.
Die in Abb. 1 dargestellten bivariaten Zusammenhänge zwischen Geburtsmonat und vorzeitiger Einschulung lassen sich auch in den multivariaten Modellen feststellen. Der Koeffizient für den Geburtsmonat ist in Modell 1 (Tab. 3) negativ und hochsignifikant. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Einschulung umso geringer, je weiter der sechste Geburtstag vom Einschulungsstichtag entfernt ist, je jünger also die Kinder zum Zeitpunkt der Schuleintrittsentscheidung sind.
Nach Modell 2 haben Kinder eine höhere Wahrscheinlichkeit, vorzeitig ihre Schulkarriere zu starten, wenn sie bereits im Alter von drei Jahren den Kindergarten besucht haben, als Kinder, die erst später in den Kindergarten eintreten. Der Kindergarten-Effekt ist auf dem 5-Prozent-Niveau signifikant. Zusätzliche, hier nicht berichtete Analysen verweisen auf eine starke Neigung zur vorzeitigen Einschulung, wenn gar kein Kindergarten besucht wurde (vgl. auch Tab. 1A im Anhang). Ob es eine spezifische Elterngruppe gibt, die den Kindergarten „auslassen“ und stattdessen ihre Kinder früher einschulen, lässt sich nicht beantworten, da in unserer Stichprobe lediglich 38 Kinder ohne Kindergartenerfahrung sind und somit die Fallzahlen keine entsprechenden Schlüsse zulassen.Footnote 7
Nach Hypothese 1 sollten Kinder häufiger vorzeitig eingeschult werden, wenn die Eltern über eine hohe Bildung verfügen, weil sie ihre Kinder bisher besser fördern konnten und zukünftig auch fördern können. Der Koeffizient für das formale Bildungsniveau der Eltern ist in Modell 2 zwar positiv, aber nicht signifikant. Hypothese 1 lässt sich demnach in Bezug auf die vorzeitige Einschulung zunächst nicht bestätigen.
Kinder mit Migrationshintergrund sollten nach Hypothese 2 seltener vorzeitig eingeschult werden. Unsere Daten weisen jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung. Vorzeitige Einschulungen sind etwas häufiger, wenn die Mutter Migrantin ist (vgl. auch Tab. 1A). Ähnliches wurde bereits auf Grundlage der Daten des DJI-Kinderpanels für die Gruppe der Türken in Deutschland berichtet (Joos 2006: 277–278). In den multivariaten Modellen lassen sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zu Familien ohne Migrationshintergrund feststellen.
Wie anhand der ersten drei Modelle gut zu sehen ist, werden Jungen seltener als Mädchen vorzeitig eingeschult. Die weiteren Kontrollvariablen sind mit den Befunden aus der amtlichen Statistik vereinbar. Für das Jahr der Schulpflicht wird ein positiver und auf dem 1-Prozent-Niveau signifikanter Effekt geschätzt. Der Trend zur vorzeitigen Einschulung spiegelt sich somit auch in den von uns untersuchten Daten wider. Weiterhin sind vorzeitige Einschulungen in den neuen Bundesländern signifikant weniger verbreitet.
In Modell 4 werden lediglich die von Juli bis September geborenen Kinder berücksichtigt, in Modell 5 die später geborenen. Obwohl die Stichprobengröße in Modell 4 in etwa ein Drittel so groß ist wie in Modell 5, lassen sich, mit einer Ausnahme, nur in Modell 4 signifikante Effekte beobachten. Bei den jüngeren Kindern ist nur ein Effekt signifikant, und zwar für die Variable, die sich auf das Alter des Kindes bezieht (s. Modell 5). Anders ist dies in Modell 4. Bei den älteren, in den Sommermonaten geborenen Kindern werden für die Variablen zum Alter bei Eintritt in den Kindergarten, zum Bildungsniveau der Familie, zum Geschlecht des Kindes sowie zum Jahr der Schulpflicht und der Region signifikante bis hoch signifikante Koeffizienten geschätzt, deren Vorzeichen den bereits weiter oben besprochenen entsprechen. Im Vergleich zu Modell 3 ist der Einfluss des formalen Bildungsniveaus in Modell 4 deutlich stärker und signifikant. Dies deutet darauf hin, dass Bildungseinflüsse dann wirksam werden, wenn der Entscheidungsspielraum der Eltern besonders groß ist.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass kaum Herkunftseffekte in Bezug auf die vorzeitige Einschulung zu beobachten sind, wenn alle Kinder unabhängig von ihrem Alter betrachtet werden. Tiefergehende Analysen verweisen jedoch auf Einflüsse der sozialen Herkunft, wenn der rechtliche Entscheidungsspielraum der Eltern groß ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Kinder in den ersten drei Monaten nach dem Einschulungsstichtag das 6. Lebensjahr vollenden.
4.2 Rückstellungen vom Schulbesuch
Analog zu den Modellen zur vorzeitigen Einschulung werden auch in Bezug auf die Rückstellung vom Schulbesuch binäre Logit-Modelle geschätzt. Berücksichtigt werden hier lediglich Kinder, die nicht vorzeitig eingeschult werden, denn bei diesen Kindern stellt sich die Frage nach einer Rückstellung nicht.
In Modell 6 (Tab. 4) wird für den Geburtsmonat ein negativer und hoch signifikanter Effekt geschätzt. Kinder, die kurz vor dem Einschulungsstichtag das 6. Lebensjahr vollenden, also im Mai oder Juni geboren wurden, werden häufiger zurückgestellt (vgl. auch Abb. 1). Kinder, die bereits im Alter von drei Jahren den Kindergarten besucht haben, haben im Vergleich zu anderen Kindern ein deutlich geringeres Risiko, zurückgestellt zu werden. Der für diese Gruppe geschätzte Koeffizient ist in Übereinstimmung mit Hypothese 3 negativ und hoch signifikant.
Der Indikator der sozialen Herkunft, der zur Operationalisierung des kulturellen Kapitals verwendet wurde, hat nach Modell 6 einen statistisch signifikanten Einfluss. Demnach reduziert ein höheres formales Bildungsniveau der Eltern das Risiko der Rückstellung vom Schulbesuch. Da sich nach Hypothese 5 insbesondere bei Kindern aus bildungsfernen Haushalten ein längerer Kindergartenbesuch positiv auf die Leistungsentwicklung auswirken sollte, wird in Modell 7 ein Interaktionseffekt zwischen dem Alter bei Eintritt in den Kindergarten und dem formalen Bildungsniveau des Elternhauses berücksichtigt. Während der Haupteffekt für den Kindergartenbesuch ab dem Alter von drei Jahren unverändert bleibt, wird der Haupteffekt für das elterliche Bildungsniveau deutlich stärker und bleibt auf dem 5 Prozent-Niveau signifikant. Der Betrag des Interaktionseffekts ist fast genauso hoch wie der des Haupteffekts für Bildung, jedoch mit unterschiedlichem Vorzeichen. Ein Vergleich von Modell 6 mit 7 zeigt an, dass die Erweiterung um den Interaktionseffekt zu einer deutlich besseren Modellgüte führt (der LR-Test führt zu einem χ2-Wert von 4,15 bei einem Freiheitsgrad und ist somit größer als der kritische Wert von 3,84 für eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent). Inhaltlich bedeuten die Ergebnisse aus Modell 7, dass bei höheren Bildungsgruppen der Kindergartenbesuch ab einem Alter von drei Jahren das Risiko einer Rückstellung nicht verringert, sondern dies nur bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern der Fall ist. Um diese Zusammenhänge zu verdeutlichen, werden in Abb. 2 die Rückstellungswahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit vom Alter bei Eintritt in den Kindergarten und dem Bildungsniveau der Eltern dargestellt. Dafür werden die Schätzkoeffizienten aus Modell 7 verwendet und angenommen, es handele sich um einen im Mai geborenen Jungen aus dem früheren Bundesgebiet, der im Schuljahr 2000 schulpflichtig wurde. Die dunklen Balken stellen die vorhergesagten Rückstellungswahrscheinlichkeiten für Kinder dar, die den Kindergarten erst im Alter von vier oder fünf Jahren besucht haben. Deutlich zu erkennen ist eine Variation der Rückstellungswahrscheinlichkeit mit dem Bildungsniveau der Eltern. In der Gruppe der Kinder mit Eltern ohne jeden formalen Bildungsabschluss wird jedes zweite zurückgestellt. Bei Eltern mit mittlerem Bildungsabschluss beträgt die Rückstellungswahrscheinlichkeit ca. 29 Prozent, bei Kindern aus Akademikerhaushalten 9 Prozent. Anders verhält es sich, wenn Kinder bereits im Alter von drei Jahren den Kindergarten besucht haben. Hier ist nahezu kein Bildungsgefälle zu beobachten (helle Balken). Die Differenz der Rückstellungswahrscheinlichkeiten zwischen höchstem und niedrigstem Bildungsabschluss der Eltern beträgt lediglich 5 Prozentpunkte.
Die Modelle 8 bis 11 konzentrieren sich auf Kinder mit Migrationshintergrund und deren Risiko, bei der Einschulung zurückgestellt zu werden. In Modell 8 werden noch nicht Kindergartenerfahrung und Bildung der Eltern berücksichtigt, sondern zunächst der Migrationshintergrund der Kinder gemessen anhand der Sprachkenntnisse der Mutter. Kinder mit Migrationshintergrund werden dann häufiger vom Schulbesuch zurückgestellt, wenn deren Mütter, nach eigenen Angaben, über schlechte deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Der Koeffizient verfehlt knapp das Signifikanzniveau von 5 Prozent. Verfügt die Mutter dagegen nach eigenen Angaben über gute Deutschkenntnisse, dann lassen sich keine Unterschiede zu Kindern deutscher Mütter feststellen. In Modell 9 wird dann zusätzlich für den Zeitpunkt des Eintritts in den Kindergarten kontrolliert und in Modell 10 Interaktionseffekte zwischen Sprachkenntnissen und Kindergartenbesuch aufgenommen. Zwar sind die Vorzeichen im Sinne von Hypothese 2 und 4, aber bis auf den Haupteffekt zu geringer Deutschkenntnisse sind sie alle statistisch nicht signifikant. Wird in Modell 11 darüber hinaus die Bildung der Eltern berücksichtigt, ist auch der Koeffizient für geringe Sprachkenntnisse nicht mehr signifikant. Dies sind Hinweise darauf, dass nicht mit der Migration verbundene geringe Kenntnisse der deutschen Sprache, sondern der Zeitpunkt des Eintritts in den Kindergarten und die primären Herkunftseffekte, die in Abhängigkeit vom Bildungsniveau der Eltern variieren, zentral sind. Es sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass in dem vorliegenden Stichprobenzuschnitt weniger als 100 Mütter angeben, geringe Deutschkenntnisse zu haben, und die Fallzahlen möglicherweise nicht ausreichen.
Als Kontrollvariablen werden in den Modellen 6 bis 11 das Geschlecht des Kindes, die Region und das Jahr der Schulpflicht berücksichtigt. Wie bereits bei der vorzeitigen Einschulung lassen sich auch hier bessere Chancen von Mädchen feststellen, denn sie werden seltener zurückgestellt. Entsprechend den Befunden aus der amtlichen Statistik verweist der negative Koeffizient zum Jahr der Schulpflicht auf eine Abnahme von Rückstellungen in den letzten Jahren. Auch die niedrigeren Rückstellungsquoten im früheren Bundesgebiet im Vergleich zu den neuen Bundesländern finden sich in den Modellen wieder, wobei der Koeffizient nicht signifikant ist.
5. Diskussion
Soziale Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem wurden in den letzten Jahren in der Fachdiskussion immer wieder thematisiert. Nur wenig untersucht wurde bisher der Eintritt in das Schulsystem sowie die Bedeutung eines vorherigen Kindergartenbesuchs hierfür. Vor dem Hintergrund der veränderten rechtlichen Regelungen in den letzten Jahren und der aktuellen bildungspolitischen Diskussionen ist es wichtig, den Kenntnisstand hierzu zu erweitern. Unsere auf SOEP-Daten basierenden Analysen zeigen, dass bereits beim Eintritt in das deutsche Schulsystem soziale Disparitäten zu beobachten sind. Kinder aus bildungsnahen Familien werden im Durchschnitt früher eingeschult als Kinder aus bildungsfernen Familien. Ein erhöhtes Risiko der Rückstellung ist zudem für Kinder mit Migrationshintergrund festzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ihre ungünstigeren Startchancen nicht genuin migrationsbedingt sind, sondern auf eine ungünstige sozialstrukturelle Position der Eltern zurückzuführen ist.
Die soziale Herkunft der Kinder kommt bei Einschulungsentscheidungen in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Die bildungsnahen Elternhäuser verfügen häufiger über bessere familiale Anregungsbedingungen, die zu einer schnelleren Kompetenzentwicklung der Kinder und damit auch zum Erreichen der Schulfähigkeit im jüngeren Alter führen. Dies lässt sich insbesondere an der Bildungsabhängigkeit des Rückstellungsrisikos erkennen, da die Rückstellungsentscheidung zum großen Teil institutionell veranlasst wird und sich damit stark auf den Kompetenzstand der Kinder beziehen sollte.
Offenbar können primäre Herkunftseffekte durch den Kindergartenbesuch reduziert werden. Studien zum Entwicklungsstand bei der Einschulung weisen höhere Werte in Abhängigkeit der Dauer des Kindergartenbesuchs nach. Auch unsere Analysen zeigen eine tendenziell frühere Einschulung von Kindern, wenn diese den Kindergarten bereits im Alter von drei Jahren besucht haben. Weiterhin deutet der Interaktionseffekt aus frühem Kindergartenbesuch und Bildungsstand der Familie darauf hin, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Familien vom frühen Kindergartenbesuch profitieren, denn das Risiko der Rückstellung nach Bildungsabschluss der Eltern wird durch den frühen Kindergartenbesuch (fast) vollständig ausgeglichen. Ob dies tatsächlich durch eine Verringerung der Kompetenzunterschiede zwischen Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft zustande kommt oder ob auf Seiten der Institution Schule Kindergartenzeiten z. T. mit Kompetenzen gleichgesetzt werden, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht beantworten.
Neben den primären Herkunftseffekten lassen unsere Analysen auch Schlüsse auf das Vorhandensein von sekundären Herkunftseffekten zu. Da das Alter bei Eintritt in den Kindergarten sozial selektiv ist, lässt sich bereits die Entscheidung zum Kindergartenbesuch als sekundärer Herkunftseffekt deuten. Unter der Annahme einer Beschleunigung des Kompetenzzuwachses von Kindern durch einen Kindergartenbesuch ist die Entscheidung gegen einen frühen Kindergartenbesuch als Verzicht auf besondere Förderung zu interpretieren, die vor allem von bildungsfernen Elternhäusern getroffen wird. Angaben zur Bildungsmotivation der Eltern, als das Kind drei Jahre alt war, wurden im SOEP jedoch nicht erhoben. Möglicherweise besteht auch innerhalb der Gruppe der bildungsfernen Elternhäuser Heterogenität in Bezug auf die Bildungsmotivation, die sich in den empirisch dargestellten Befunden zur Bedeutung eines frühen Kindergartenbesuchs auf die Vermeidung einer Rückstellung niederschlägt. Ebenso sind mit den vorhandenen Daten keine Aussagen über Entwicklungsverläufe im Kindergarten möglich. Analysen aus anderen Studien deuten jedoch darauf hin, dass ein längerer Kindergartenbesuch mit Entwicklungsvorsprüngen einhergeht, wobei das Problem der sozialen Selektivität des Kindergartenbesuchs auch hier ungelöst bleibt. Auch konnten mit der vorgelegten Untersuchung Fragen nach den Unterschieden in den Kontext- und Förderbedingungen der vorschulischen Einrichtungen nicht beantwortet werden. Die Analyse konzentriert sich auf die Quantität, d. h. die Dauer des Kindergartenbesuchs.
Neben den sozialen Disparitäten beim Schuleintritt lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen, die in dieselbe Richtung gehen wie bereits hinlänglich bekannte Befunde zum Erfolg in späteren Bildungsetappen. Mädchen schneiden bereits unmittelbar zu Beginn der schulischen Laufbahn besser ab. Sie werden sowohl häufiger vorzeitig eingeschult als auch seltener von der Einschulung zurückgestellt.
Die wiederholt berichteten andauernden sozialen Disparitäten im Bildungssystem sind vor dem Hintergrund des hohen Stellenwertes, der der Bildung in modernen Gesellschaften beigemessen wird, von Bedeutung. Eine hohe Bildung sichert in unserer Gesellschaft die ökonomische Integration, da sie z. B. die Chancen am Arbeitsmarkt verbessert und das Armutsrisiko verringert (BMGSS 2005: 98–104). Dementsprechend ist es ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Zugang zum Bildungssystem unabhängig von sozialer Herkunft, Geburtsland oder Geschlecht zu gestalten (BMFSFJ 2006: 11). Der Besuch eines Kindergartens wird dabei in den letzten Jahren verstärkt als ein Instrument zum Erreichen dieses Zieles angesehen. Daher ist die Forderung nach einem kostenfreien letzten Kindergartenjahr, die von einigen Bundesländern bereits realisiert wurde, vor dem Hintergrund der Unterschiede der Kindergartenpartizipation nach sozialer Herkunft zu sehen. Geht man von einer kompensatorischen Wirkung eines Kindergartenbesuchs in Bezug auf die Kompetenzentwicklung aus, so wäre insbesondere eine stärkere Partizipation von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern wünschenswert. Es ist aber fraglich, ob ein einziges Jahr im Kindergarten genügt, um Kompetenzunterschiede nach sozialer Herkunft auszugleichen. Nach unseren Analysen wäre diese politische Maßnahme nicht effektiv. Denn die hier berichteten Befunde deuten eher auf die Notwendigkeit eines früheren Kindergartenbesuchs hin, insbesondere bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern. Nur dann reduziert sich das Risiko der Rückstellung.
Notes
Becker und Lauterbach (2004) haben die positive Wirkweise des Kindergartens in Frage gestellt, denn in statistischen Modellen signifikant positive Einflüsse des Kindergartenbesuchs auf den späteren Schulerfolg könnten auf unbeobachteter Heterogenität beruhen und somit lediglich Scheineffekte sein. Demnach könnten Kinder aus bildungsfernen Haushalten häufiger eine unterdurchschnittliche Entwicklung aufweisen, erst in einem höheren Alter „reif“ für den Kindergarten und auch später im Schulsystem weniger erfolgreich sein. Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern könnten dagegen im Zeitverlauf eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, sich durchgängig im oberen Leistungsbereich zu befinden, weshalb sie sowohl früh in den Kindergarten eintreten als auch später erfolgreich sein werden. Auch ohne den Kindergartenbesuch wären nach dieser Argumentation die einen im Bildungsverlauf seltener, die anderen überdurchschnittlich erfolgreich.
Die verwendeten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) wurden vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) bereitgestellt.
Da im SOEP nicht explizit nach dem Alter bei Eintritt in den Kindergarten gefragt wird, nehmen wir an, dass der Kindergarteneintritt zu Beginn des vorherigen Kindergartenjahres (also im September des Vorjahres) erfolgt ist.
Da im SOEP nicht nur alle Haushaltsmitglieder ab Vollendung des 17. Lebensjahres befragt werden, sondern zu allen im Haushalt lebenden Kindern Informationen erhoben werden, sind durch die Festlegung des Geburtsfensters in unserem Datensatz Geschwisterkinder vorhanden. Allerdings beobachten wir in nahezu 80 Prozent der Fälle nur ein Kind pro Familie. In den anderen Fällen beobachten wir Geschwisterkinder, wobei sich überwiegend nur zwei Geschwister in der Stichprobe befinden. Folglich sind nicht alle Beobachtungseinheiten unabhängig voneinander. Um eine Überschätzung der Signifikanzniveaus zu vermeiden, werden die Standardfehler nach dem (Huber-White-)Sandwich-Verfahren korrigiert (Wooldridge 2000: 248–255).
Das z. T. in anderen Studien verwendete Konzept der Jahre im Kindergarten ist nicht geeignet, da sich z. B. im Fall von Rückstellungen die Kindergartenzeiten in aller Regel verlängern und somit die Besuchsdauer eine endogene Variable ist.
Modelle, die noch keine Angaben zum Kindergartenbesuch und zu den familiären Merkmalen enthalten, sondern nur den Geburtsmonat und das Geschlecht des Kindes, das Jahr der Schulpflicht und die regionale Unterscheidung in Ost- und Westdeutschland, erreichen bereits ein Pseudo-R2 von 0,205.
Kinder ohne Kindergartenerfahrung wurden aus den multivariaten Analysen ausgeschlossen.
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Kratzmann, J., Schneider, T. Soziale Ungleichheiten beim Schulstart. Köln Z Soziol 61, 211–234 (2009). https://doi.org/10.1007/s11577-009-0051-z
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