1. Einführung

Flexibilisierung von Beschäftigung und Arbeitsorganisation berühren in grundlegender Weise die Sicherheitsinteressen von Beschäftigten. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden Beitrag die Frage analysiert: Unter welchen Umständen werden Entlassungen von der Bevölkerung in Deutschland als gerecht oder ungerecht empfunden, und welche Reaktionen zeigen Weiterbeschäftigte nach betriebsbedingten Entlassungen?Footnote 1Entsprechend dem Mainstream des wissenschaftlichen und politischen Diskurses mussten Arbeitnehmer schon seit längerem vom Ideal einer sicheren und langfristigen Beschäftigung Abschied nehmen (Beck 1999; Reich 2001; Sennett 2000). Individualisierungs- sowie Beschleunigungs- und Transparenzprozesse auf globalen Märkten bewirken demnach, dass Erwerbspersonen Markt-Imperative des Unternehmenshandelns und damit die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Löhnen und Beschäftigungsverhältnissen zunehmend internalisieren und akzeptieren. Politische Anpassungs- und Sicherungskonzepte wie „Employability“ (Gazier 1999) und „Flexicurity“ (Keller/Seifert 2000; Klammer/Tillmann 2001) sind hierbei Ausdruck einer Entwicklung, in der die Sicherheit von Beschäftigungsverhältnissen, z. T. tatsächlich (Grotheer/Struck 2003) und mehr noch in der subjektiven Wahrnehmung, unter Druck geraten ist.

Insbesondere in den USA wird seit Mitte der 1980er Jahre ein Rückgang der Bedeutung betriebsinterner Arbeitsmärkte und eine zunehmende Ausdifferenzierung von Beschäftigungsverhältnissen postuliert. Dabei werden Arbeitsverhältnisse als weniger sicher empfunden (Capelli et al. 1997). Neuere Untersuchungen in den USA zeigen jedoch auch, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer auch heute noch nach Beschäftigungssicherheit strebt und eine Übertragung unternehmerischer Risiken auf Beschäftigte als nicht gerechtfertigt empfindet (Charness/Levine 2000, 2002). Auch in Deutschland verweisen Autoren darauf, dass die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes vielfach im Zentrum des beruflichen Interesses von Beschäftigten steht (Seifert/Pawlowsky 1998; Schramm 1992: 86 f.) und nicht selten auch Arbeitgeber zum Aufbau und Erhalt von Engagement, Loyalität und Kooperation ein Interesse an stabiler Beschäftigung zeigen (Struck 1999; Struck/Simonson 2000). Andere Studien zu Erwerbsorientierungen bei einzelnen Berufsgruppen prognostizieren im Kontext veränderter Anforderungen an Arbeit eher die Arbeitskraftunternehmer- und Vermarktlichungsthese (Voß/Pongratz 1998; Voß 1998; Fischer 1999).

Bisher liegt in Deutschland jedoch keine umfassende und repräsentative Studie zu Sicherheits- und Gerechtigkeitsorientierungen von Arbeitnehmern in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis vor. So füllt die Untersuchung, die diesem Betrag zugrunde liegt, eine Forschungslücke.

2. Theoretische Grundlagen und vorliegende empirische Befunde

Den Bezugsrahmen der Untersuchung bilden aus ökonomischer, soziologischer und sozial-psychologischer Perspektive die Arbeitsvertragstheorie, die Theorie betriebsinterner Arbeitsmärkte, Gerechtigkeitsansätze sowie die Theorie psychologischer Verträge.

Die neoinstitutionalistische Organisationsökonomik modifiziert das neoklassische Bild der Marktakteure, u. a. durch die Berücksichtigung der Risikoneigung der Akteure (z. B. Picot et al. 1999). So werden in der neueren Arbeitsmarktforschung internen Arbeitsmärkten wichtige Funktionen zugesprochen (Groshen/Levine 1998): Interne Arbeitsmärkte stellen glaubhaft Anreize zur Leistungserstellung bereit, etwa durch eine verzögerte Kompensation (Lazear 1981), durch die Drohung eines Einkommensverlustes bei einer Entlassung (Shapiro/Stiglitz 1984), durch eine als fair empfundene Entlohnung (Akerlof/Yellen 1990) oder durch Wettbewerbe bzw. Turniere unter den Arbeitnehmern (Lazear/Rosen 1981). Zudem werden mit der Zunahme qualitativ höherwertiger Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten (Weidig et al. 1999) und der Optimierung von Arbeitsprozessen, Gruppenarbeit, Jobrotation und dezentralen Verantwortungsstrukturen etc. (Nordhause-Janz/Prekuhl 2000) in der Regel hohe Qualifikations- und Weiterbildungs- sowie Kooperations- und Motivationspotenziale vorausgesetzt (Brandes/Weise 1998; Creed/Miles 1996; Heisig 1997; Schuler/Jackson 1987; Seifert/Pawlowsky 1998) bzw. Investitionen in Humanressourcen getätigt (Abraham 2004). Die These ist, dass diese Leistungen nicht über zeitlich begrenzte Arbeitsbeziehungen aufgebaut werden können.

Diesen Vorteilen interner Arbeitsmärkte stehen jedoch für die Betriebe auch potenzielle Nachteile gegenüber: Erstens kann die Existenz eines internen Arbeitsmarktes zu hohen Kosten infolge von „influence activities“ führen (Milgrom/Roberts 1992). Zweitens, und das ist für die hier untersuchte Fragestellung wichtiger, bewirkt die Existenz eines internen Arbeitsmarktes eine gewisse Inflexibilität. Die strategischen Entscheidungen eines Unternehmens für eine bestimmte Lohn- und Beschäftigungsstruktur unterliegen impliziten Restriktionen (Gerlach/Stephan 1999). Hat sich ein Unternehmen einmal für eine bestimmte Lohn- und Beschäftigungsstruktur entschieden und hat sich ein interner Arbeitsmarkt etabliert, so wird es schwierig sein, Veränderungen dieser Strukturen durchzuführen. Gewohnheiten können im hier untersuchten Kontext als implizites Regelwerk betrachtet werden (Schlicht 1998 zur Bedeutung von „Custom in the Economy“). Änderungen dieses Regelwerkes im Sinne eines Abweichens von bestehenden Konventionen können leicht als ungerecht angesehen werden. Neuere Befragungen von Managern zeigen die Bedeutung dieser impliziten Restriktionen auf, denen sich Unternehmen mit betriebsinternen Arbeitsmärkten gegenüber sehen (Franz/Pfeiffer 2001). In Hinsicht auf betriebliche Beschäftigungsanpassungen gilt, dass die betriebliche Flexibilität vor allem durch komplexe und in ökonomischen Modellen schwer fassbaren Fairnessvorstellungen der Arbeitnehmer begrenzt wird (Rousseau/Anton 1988), die beim Bruch impliziter Verträge durch das Management Loyalitäts- und Engagementseinbußen sowie Austritte insbesondere qualifizierter Mitarbeiter befürchten lassen.

Die Analyse von Entlassungen erfordert dann vor allem die Berücksichtigung organisationaler Gerechtigkeitsaspekte (Greenberg 1995; Konow 2003). Hier werden vorrangig zwei Perspektiven voneinander unterschieden. Zum einen die distributive Gerechtigkeit (Verteilungsgerechtigkeit) und zum anderen die prozedurale Gerechtigkeit (Verfahrensgerechtigkeit) (u. a. Kieselbach 1998; Lengfeld 2003; Lengfeld/Liebig 2003; Pfeifer 2003, 2004).

Distributive Gerechtigkeit bezieht sich darauf, inwieweit die Ergebnisse einer Entscheidung selbst oder vielmehr deren Verteilung als gerecht oder angemessen empfunden werden. Eine Abweichung von anerkannten Verteilungsprinzipien verletzt die Legitimationserwartungen der Stakeholder und wird somit als ungerecht empfunden (Leventhal 1980). Folgende Verteilungsprinzipien sind für die Analyse von Entlassungen relevant:

  1. 1.

    Beitragsprinzip: Die Equity Theory von Adams (1965) stellt die gerechte Verteilung in den Vordergrund, die nicht nach ethischen und moralischen Gesichtspunkten beurteilt wird, sondern primär den Beiträgen der einzelnen Mitglieder einer Gruppe angemessen sein sollte (Young 1993).

  2. 2.

    Gleichheitsprinzip: Hier wird die Unabhängigkeit von individuellen Beiträgen betont und die Chancengleichheit herausgestellt (Gilliland 1993).

  3. 3.

    Verantwortlichkeitsprinzip (Accountability-Prinzip): Nach Konow (1996: 13) ist es ein Prinzip „which, roughly speaking, requires that a person’s fair allocation (e. g., of income) vary in proportion to the relevant variable which he can influence (e. g., work effort), but not according to those which he cannot reasonably influence (e. g., a physical handicap).“ Das Accountability-Prinzip ist eng verbunden mit der Attributionstheorie, nach der kontrollierbare Ursachen willentlich herbeigeführt werden können (Absicht) und somit im persönlichen Verantwortlichkeitsbereich eines Handelnden liegen, hingegen unkontrollierbare Ursachen den Handelnden von der Verantwortung entbinden (Weiner 1994).

  4. 4.

    Bedürfnisprinzip: Eine Allokation wird als gerecht empfunden, wenn sie die Bedürfnisse zum Leben befriedigt. Konstatiert wird allerdings, dass diese Empfindung nach Erfüllung der Grundbedürfnisse stark an Bedeutung verliert (Engelstad 1997; Konow 2001).

  5. 5.

    Effizienzprinzip: Dieses Prinzip stellt die Maximierung eines positiven Ergebnisses (z. B. Entgelt) bzw. die Minimierung eines negativen Ergebnisses (z. B. Entlassungen) in den Vordergrund (Elster 1991; Konow 2001).

Daneben bezieht sich prozedurale Gerechtigkeit darauf, inwieweit ein Entscheidungsprozess als gerecht oder angemessen wahrgenommen wird. Besondere Bedeutung wird der prozeduralen Gerechtigkeit bei negativen Ergebnissen (z. B. Entlassungen) zugemessen. So werden negative Ergebnisse eher akzeptiert, falls der Prozess, der dazu führt, als gerecht empfunden wird (Stock 2001: 52). Nach Leventhal (1980) sollten Entscheidungsprozesse sechs eher formalen (strukturellen) Regeln gerecht werden, um als gerecht zu gelten:

  1. 1.

    Consistency Rule: Der Entscheidungsprozess sollte möglichst in gleicher Weise ablaufen und zumindest kurzfristig stabil sein.

  2. 2.

    Bias-Suppression Rule: Eigeninteresse, Voreingenommenheit und die Vorfestlegung auf enge Konzepte durch die Entscheidungsträger sollten ausgeschaltet sein.

  3. 3.

    Accuracy Rule: Dem Entscheidungsprozess sollten so viele gute Informationen und Meinungen zugrunde liegen wie möglich.

  4. 4.

    Correctability Rule: Der Entscheidungsprozess muss zu verschiedenen Zeitpunkten Korrekturmöglichkeiten vorsehen. Hierfür sind Einspruchsmöglichkeiten von Seiten der Betroffenen notwendig, die einfach zu nutzen sind und Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen bieten.

  5. 5.

    Representativeness Rule: In allen Phasen des Entscheidungsprozesses sollten die grundlegenden Bedenken, Werte und Ansichten der Betroffenen berücksichtigt werden.

  6. 6.

    Ethicality Rule: Der Entscheidungsprozess sollte mit fundamentalen moralischen und ethischen Werten vereinbar sein.

Greenberg (1990) unterscheidet zudem in interpersonale und informatorische Gerechtigkeit, wobei erstere der distributiven Gerechtigkeit und letztere der prozeduralen Gerechtigkeit zugeordnet werden kann. Die interpersonale Gerechtigkeit drückt aus, dass die Entscheidungsträger auch um das Ergebnis für die Betroffenen besorgt sind und diese angemessen behandeln (z. B. Respekt). Nach der informatorischen Gerechtigkeit sollte ein freier Informationsfluss bestehen, d. h. den Betroffenen sind die Gründe für Entscheidungen und die gewählten Prozeduren zu erklären.

Auf dem Arbeitsmarkt sind Normen der Fairness und Reziprozität eine ganz besondere Bedeutung beizumessen (Akerlof 1982; Fehr et al. 1998). Denn der Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit unterliegt neben rechtlichen Restriktionen auch der Bereitschaft zur Kooperation seitens der Arbeitnehmer. Aufgrund der an Grenzen stoßenden Kontrollmöglichkeiten, die es nicht ermöglichen, jede Handlung zu belohnen oder zu bestrafen, werden meist implizite oder unvollständige Verträge geschlossen, die auch als psychologische Verträge interpretiert werden können (Sadowski 2002: 72 ff.). Psychologische Verträge beschreiben das Vertrauen als ein Geflecht von gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber, das auf Zusagen ab dem Tage der Einstellung und während der täglichen Zusammenarbeit baut (Rousseau 1995). Die Interpretation dieser Zusagen wird stark durch persönliche Ansichten und soziale Prozesse geprägt. Das Vertrauen in die Einhaltung der Verpflichtungen beruht darauf, dass beide Parteien von der Einhaltung überzeugt sind (Reziprozität). Wird der Vertrag durch eine Seite verletzt, führt dies zur Erosion des Vertrauens, wodurch die Bereitschaft der Arbeitnehmer zu Beiträgen sowie der Arbeitgeber zu Investitionen (z. B. Beförderungen) verringert wird. Entsprechend weisen Weiss und Udris (2001) darauf hin, dass die durch einen Personalabbau erhofften ökonomischen Gewinne (etwa Personalkostenreduktion, steigende Aktienwerte) und arbeitsorganisatorische Ziele (etwa steigende Produktivität, höhere interne Flexibilität) häufig nicht erreicht werden. Dabei gelten negative Reaktionen nicht entlassener Beschäftigter als eine Ursache dafür, dass eine kurzfristige Kostenreduktion durch Stellenabbau mittel- bis langfristig vielfach durch Folgekosten aufgezehrt wird.

Bei der Analyse von Verfahrens- und Verteilungsgerechtigkeit von Entlassungen aus der Perspektive von Survivors zeigt sich (Brockner et al. 1987; Brockner 1990), dass die Wahrnehmung einer Entlassungsaktion als ungerecht von Seiten der im Betrieb Weiterbeschäftigten vor allem dann angesehen wird, wenn die Betriebsleitung nur unzureichende Begründungen zur Notwendigkeit der Entlassungen insgesamt sowie zur Auswahl der zu Entlassenden gibt. Zudem wurde ermittelt, dass Maßnahmen auch dann als ungerecht empfunden werden, wenn Unternehmen sich nicht hinreichend um Vermeidungen (etwa durch Umbesetzungen) bemühten oder wenn sie im Falle von Entlassungen nicht ausreichend für die Ausgeschiedenen sorgten (etwa durch zusätzliche Abfindungen). Empirisch ermittelte Folgereaktionen sind eine Abnahme des Engagements (Berner 1999; Brockner 1988; Edwards et al. 2003; Robinson 1996; Rousseau 1995; Rousseau/Anton 1988), eine verschlechterte Zusammenarbeit (Berner 1999; Rousseau 1995) sowie eine Zunahme freiwilliger Kündigungen bei zunächst verblieben Beschäftigten (Brockner 1988; Edwards et al. 2003; Robinson 1996; Rousseau/Anton 1988).

3. Datenbasis und Methode

Grundlage der empirischen Analyse ist eine repräsentative telefonische Befragung von 3 039 Personen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren, die durch das Institut Aproxima aus Weimar durchgeführt wurde. Um einen systematischen Ost-West-Vergleich zu ermöglichen, wurden jeweils etwa 1 500 Personen in West- (n = 1448) und Ostdeutschland (n = 1591) befragt. Die in Deutschland vorherrschenden Gerechtigkeitsorientierungen in Bezug auf Fragen der Lohn- und Personalanpassung werden auf zwei Arten erfasst: Erstens wurden Gerechtigkeitseinschätzungen für Entlassungs- und Lohnkürzungsszenarien erfragt. Zweitens wurden Gerechtigkeitseinschätzungen in Form von Statements ermittelt. Ergänzend wird eine Anzahl soziodemographischer Informationen erhoben, u. a. zu Geschlecht, Alter, höchstem Schulabschluss, Gewerkschaftsmitgliedschaft und Haushaltskontext. Bei beschäftigten Arbeitnehmern wurden weiterhin Merkmale wie Tätigkeit und Stellung im Erwerbsleben, Betriebszugehörigkeitsdauer, Arbeitgeberwechsel, Existenz eines Betriebsrates, Betriebsgröße etc. erfragt.

3.1 Szenarien

Die im folgenden ersten Ergebnisteil vorgestellte Analyse der wahrgenommen Gerechtigkeit von Entlassungen basiert auf einer Szenarienanalyse.Footnote 2 Zu den Szenarien ist Folgendes anzumerken: Gewählt wurden aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit in weiten Teilen adäquate Modifikationen der Fragestellungen von Charness und Levine (2000, 2002), die selbst zum Teil Formulierungen von Kahneman et al. (1986) aufgreifen. Zudem enthält der Fragebogen jedoch auch eigene auf Deutschland zugeschnittene Szenarien. Aufgrund der Länge der Szenarien und um Verzerrungen im Antwortverhalten durch eine Anpassung an die vermeintlichen Erwartungen des Interviewers zu vermeiden (Charness/Levine 2000: 384), wird bei der Befragung ein Between-Subjects-Approach gewählt. Bei diesem Befragungsansatz wird jedes Szenario nur einer hinreichend großen Teilmenge der Befragten vorgetragen. Die Szenarien wurden dann auf signifikante Unterschiede in den Mittelwerten getestet.

3.2 Statements

Ergänzend zu den Szenarien wurden weitere Fragen zu Wert- und Gerechtigkeitsorientierungen der Befragten über verschiedene Statements ermittelt. Unter anderem wurden Reaktionen von (Weiter-)Beschäftigten in Bezug auf die Kooperation, das Engagement für Unternehmens- oder Mitarbeiterziele, Fluktuation oder Krankenstand in Abhängigkeit der „real“ erlebten Entlassungs- oder Lohnsenkungsverfahren erfragt. Auf sie wurde bei der Analyse der Folgewirkungen von Entlassungen zurückgegriffen, die im zweiten Ergebnisteil vorgestellt wird.

4. Ergebnisse

Im Folgenden werden zwei Teilergebnisse der Untersuchung „Arbeit und Gerechtigkeit“ vorgestellt: erstens einzelne Aspekte der wahrgenommen Gerechtigkeit von Entlassungen, zweitens wahrgenommene betriebliche Reaktionen nach Entlassungen.

4.1 Wahrgenommene Gerechtigkeit von Entlassungen

4.1.1 Erfolgsprämie an die Unternehmensleitung

Betroffene Personen empfinden ein negatives Ergebnis gerechter, wenn der Entscheidungsträger keinen eigenen Vorteil daraus zieht. Profitiert ein Entscheidungsträger von den Entlassungen, wird die „bias-suppression rule“ gebrochen, da die Unvoreingenommenheit bei der Entscheidungsfindung angezweifelt werden muss (Leventhal 1980). Dem Verantwortlichkeitsprinzip („accountability principle“) folgend sollte eine Belastung zudem von den Personen mitgetragen werden, die deren Herbeiführung beeinflussen können (Konow 1996; Konow 2000). Da gemäß der Attributionstheorie die Verantwortung denjenigen zugeschrieben wird, die Kontrolle über den Entscheidungsprozess besitzen (Weiner 1994), sollte die Schuld an den Entlassungen in erster Linie der Unternehmensleitung zugewiesen werden. Der Verzicht auf eine Erfolgsprämie ist ein Signal für „sharing the pain“ und sollte daher die wahrgenommene Gerechtigkeit der Entlassungen erhöhen. Dementsprechend sollte gelten: Entlassungen werden ungerechter beurteilt, falls die Unternehmensleitung einen Bonus erhält, und gerechter, falls dieser abgelehnt wird.

Die Ergebnisse aus Tabelle 1 bestätigen eindeutig diese These. Nicht nur die Mittelwertdifferenzen zwischen den Szenarien mit Annahme und Ablehnung der Prämie sind signifikant, sondern auch die Mittelwertdifferenzen zu den Szenarien ohne Erwähnung einer Erfolgsprämie für die Unternehmensleitung. Die Unternehmensleitung kann also die Akzeptanz von Entlassungen signifikant erhöhen, wenn sie ebenfalls Einbußen hinnimmt. Tabelle 1

Tabelle 1: Erfolgsprämie für die Unternehmensleitung (Mittelwerte und Mittelwertdifferenzen der Gerechtigkeitsbeurteilungen*)

4.1.2 Kompensation der Betroffenen

In den Szenarien werden zwei Formen von Entlassungen unterschieden: sanfte Entlassungen und harte Entlassungen. Bei sanften Entlassungen zahlt das Unternehmen Abfindungen und betreut die Betroffenen (Leana/Feldman 1992: 115 ff.). Abfindungen federn zum einen die finanziellen Kosten der Arbeitslosigkeit ab und werden zum anderen von vielen Arbeitnehmern als Anerkennung für geleistete Dienstjahre verstanden. Im Rahmen der Outplacement-Beratung wird versucht, die materiellen, psychischen und sozialen Kosten einer Entlassung zu senken, indem Arbeitnehmer bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unterstützt werden. Dagegen entlässt das Unternehmen bei harten Entlassungen die Arbeitnehmer ohne Abfindungen oder andere Maßnahmen, welche die negativen Folgen einer Entlassung abmildern würden, d. h. es werden nur die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten. Durch Abfindungen und Outplacement (Tabelle 2 ).

Tabelle 2: Art der Entlassung (Mittelwerte und Mittelwertdifferenzen der Gerechtigkeitsbeurteilungen*)

wird das Ergebnis für die Entlassenen verbessert, wodurch auch die Einhaltung des Bedürfnisprinzips begünstigt wird (Engelstad 1997). Diese Überlegungen werden von Brockner et al. (1987) gestützt, die herausfanden, dass die weiterbeschäftigten Arbeitnehmer die Entlassungen von Arbeitskollegen gerechter empfinden, wenn diese dafür kompensiert werden. Nach Rousseau und Anton (1988) steigt bei Abfindungszahlungen die Akzeptanz von Entlassungen signifikant an.

So gehen auch wir davon aus, dass Entlassungen, die durch Abfindungen und Outplacement abgefedert werden, gerechter beurteilt werden als harte Entlassungen. Die Ergebnisse bestätigen diese Hypothese. Denn sanfte Entlassungen werden signifikant gerechter beurteilt als harte Entlassungen

4.1.3 Entlassungskriterien

Die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer hat gemäß KSchG § 1(3) sozialen Kriterien zu folgen. Ein häufig herangezogenes Kriterium ist die Länge der Betriebszugehörigkeit. Das Senioritätsprinzip begünstigt sowohl das Beitragsprinzip als auch das Bedürfnisprinzip, da die erbrachten Leistungen für das Unternehmen und die schlechteren Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Zudem ist das Senioritätsprinzip ein konsistentes („consistency rule“) und weitgehend anerkanntes Verteilungsprinzip (Engelstad 1998). Wir erwarten daher, dass Entlassungen von Arbeitnehmern mit einer kürzeren Betriebszugehörigkeit eher akzeptiert werden als die Kündigungen von Arbeitnehmern mit einer längeren Betriebszugehörigkeit. Die Auswahl nach Länge der Betriebszugehörigkeit erfolgt in den Szenarien konkret an Beispielen einer zweijährigen und einer zehnjährigen Betriebszugehörigkeit. Dabei wird die Entlassung von Arbeitnehmern mit der zweijährigen Betriebszugehörigkeit erwartungsgemäß signifikant gerechter beurteilt als Entlassungen langfristig Beschäftigter.

Eine wichtige Eigenschaft von Arbeitnehmern ist die Art des erworbenen Humankapitals. Es kann in betriebsspezifisches oder allgemeines Humankapital unterschieden werden (Becker 1975). Da Arbeitnehmer mit betriebsspezifischem Humankapital nicht in allen Betrieben gleich produktiv sind, haben sie geringere Chancen, eine Entlassung durch einen beruflichen oder schnellen betrieblichen Wechsel zu kompensieren. Zudem können Investition in betriebsspezifisches Humankapital als höherer Beitrag gewertet werden. Wir waren dementsprechend der Auffassung, dass Entlassungen von Arbeitnehmern mit allgemeinem Humankapital eher akzeptiert werden als die Entlassungen

Tabelle 3: Entlassungskriterien (Mittelwerte und Mittelwertdifferenzen der Gerechtigkeitsbeurteilungen*)

von Arbeitnehmern mit betriebsspezifischem Humankapital. Diese Annahme kann ebenfalls bestätigt werden. Entlassungen von Arbeitnehmern mit allgemeinen Qualifikationen werden signifikant gerechter beurteilt als Arbeitnehmer mit betriebsspezifischem Humankapital.

4.1.4 Sanktionen der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer

Werden Entlassungen durch einen außenstehenden Beobachter als ungerechter beurteilt, so liegt der Gedanke nahe, dass dieser Beobachter ein negatives Arbeitsverhalten der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer als Reaktion auf die Entlassungen von Kollegen eher akzeptiert. Aus Sicht psychologischer Verträge erodieren durch Entlassungen die Vertrauensbeziehungen der Weiterbeschäftigten mit dem Arbeitgeber, woraus ein negatives Arbeitverhalten folgt (Rousseau 1995; Stock 2001: 35 ff.), das als eine Sanktion gegen das Unternehmen interpretiert werden kann. Nach Kahneman et al. (1986) ist in der Gesellschaft die Bereitschaft zu einem sanktionierenden Verhalten vorhanden, auch wenn dies eigene Kosten verursacht (Rabin 1993). Inwieweit diese Sanktionen akzeptiert werden, hängt von der Art und dem Ausmaß der Sanktion ab. So wird die Verursachung direkter monetärer Kosten (z. B. Sabotage, Diebstahl) schwerwiegender beurteilt als indirekte Kosten (z. B. höherer Krankenstand, Dienst nach Vorschrift). Wir gingen deshalb davon aus, dass eine verringerte Leistungsbereitschaft der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer als Sanktion für die Entlassungen von Arbeitskollegen gerechter beurteilt wird, wenn das Verhalten des Unternehmens ungerechter empfunden wird.

Die Ergebnisse in Tabelle 4 zeigen, dass eine verringerte Leistungsbereitschaft der weiterbeschäftigten Arbeitnehmer im Falle von harten Entlassungen gerechter beurteilt wird. Da die Korrelation zwischen der Beurteilung der Entlassung (Tabelle 2 ) und der Beurteilung der Reaktion signifikant negativ ist, kann die These eindeutig bestätigt werden.

Tabelle 4: Reaktion der Weiterbeschäftigten (Mittelwerte und Mittelwertdifferenzen der Gerechtigkeitsbeurteilungen*)

4.2 Wahrgenommene Folgereaktionen von Entlassungen

Während die vorangestellten Ergebnisse die Bewertung von hypothetischen Szenarien wiedergeben, geht es im Folgenden um Personen, die in ihrem Betrieb Entlassungswellen real erlebt und Folgereaktionen beobachtet haben. Knapp 40 Prozent der Befragten haben in ihrem beruflichen Umfeld während der letzten 5 Jahre betriebsbedingte Entlassungen miterlebt. Diese Personen wurden danach gefragt, ob und inwieweit sich in Folge solcher Maßnahmen das Engagement, die Kooperation, freiwillige Kündigungen oder der Krankenstand im Betrieb verändert haben.Footnote 3 Derartige Wirkungen von Entlassungen können für Unternehmen mit positiv verstärkenden oder negativen sozial-kulturellen und ökonomischen Folgen einhergehen. Im Folgenden werden die Hypothesen zu den einzelnen Ursachen gemeinsamen mit den Ergebnissen (Tabelle 5 ) vorgestellt.Footnote 4

Tabelle 5: Folgewirkungen von Entlassungen (multivariate Analysen)

4.2.1 Region

Entsprechend der im Vergleich zu Westdeutschland deutlich schlechteren Situation am ostdeutschen Arbeitsmarkt und den damit verbunden geringen Wiederbeschäftigungsmöglichkeiten bei Verlust des Arbeitsplatzes wurde erwartet, dass in Ostdeutschland die Bereitschaft zu Krankmeldungen und Betriebsaustritten vergleichsweise gering ausgeprägt sein sollte. Zusammen mit der vielfach als prekär wahrgenommenen wirtschaftlichen Situation ostdeutscher Betriebe sollte sich die Sorge um den Erhalt der Beschäftigung zudem in einem vergleichsweise höheren grundsätzlichen Engagement für das Unternehmen ausdrücken. Besonders den nach dem Strukturbruch im Anschluss der „Wende“ verbliebenen Beschäftigten, die in den 1990er Jahren erhebliche betriebliche Umstrukturierungsprozesse mit vollzogen hatten, wird neben einer hohen Qualifikation zugleich eine hohe Kooperations- und Bindungsbereitschaft zugeschrieben (Struck/Simonson 2000). Gerechtigkeitserwartungen und darauf basierende Reaktionen sollten sich also aufgrund regional spezifischer Erfahrungen und Situationen unterscheiden.

Die Analyse zeigt dann auch tatsächlich, dass in Folge von Entlassungen eine verringerte Zusammenarbeit zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten, ein vermindertes Engagement für das Unternehmen sowie eine höhere Bereitschaft, das Unternehmen zu verlassen, in Westdeutschland deutlich stärker ausgeprägt sind als in Ostdeutschland.

4.2.2 Betriebsgröße

Kleinere Betriebe weisen geringere Elastizitätsspielräume in Bezug auf Veränderungen an Märkten auf als größere Betriebe. Zugleich sind vor allem in kleineren Betrieben die Informationstransparenz und die Beteiligungsmöglichkeiten aufgrund der Nähe der Beschäftigten zur Entscheidungsebene und ihren Handlungsbedingungen als höher einzuschätzen als in größeren Betrieben. Wenn die Annahmen zur prozeduralen Gerechtigkeit gelten, nach denen insbesondere die Transparenz der Ursachen, das Informationsverhalten (Brockner et al. 1997; Brockner 1990; Rousseau/Anton 1988) und die Mitwirkungsmöglichkeiten die Beurteilungen von Entlassungen positiv beeinflussen (Leventhal 1980), dann sollten sich negative Folgewirkungen in kleineren Betrieben in geringerem Umfang nachweisen lassen als in größeren Betrieben.

Ebendies zeigen die Ergebnisse: Eine Verschlechterung der Zusammenarbeit und des Engagements lassen sich vor allem in mittleren und größeren Betrieben nachweisen. Zugleich bekunden die befragten Beschäftigten größerer Betriebe ein höheres Engagement der Weiterbeschäftigten, für Arbeitnehmerinteressen einzutreten.

4.2.3 Anzahl der Betroffenen

Eher unerwartet ist das Ergebnis, dass der Umfang der Entlassungen in den hier vorgestellten Gesamtmodellen keinen signifikanten Effekt aufweist. Entlassungen scheinen grundsätzlich und unabhängig von dem Ausmaß der Betroffenheit Irritationen psychologischer Vertragsarrangements auszulösen.

4.2.4 Engagement der Arbeitgeber zur Vermeidung von Entlassungen

Entlassungen sind nicht nur mit Kosten für die betroffenen Individuen (Einkommensverlust, psychisch-soziale Belastungen durch Statuswechsel etc.), sondern auch mit Kosten für das Unternehmen verbunden (wie etwa Abfindungszahlungen, Motivationsverlust der Weiterbeschäftigten, Neurekrutierungskosten). Somit ist es für Unternehmen zum Teil zweckmäßig, zunächst nach Alternativen für Entlassungen zu suchen (v. Krogh/Kamey 2002). Dabei kann vielen Beschäftigten eine Bereitschaft unterstellt werden, angesichts von glaubhaft gemachten Entlassungsdrohungen einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Arbeitsortes, Kurzarbeit oder Lohnkürzungen etc. zu akzeptieren. Hier könnten dann allerdings Ursachen, die durch unternehmerische Entscheidungsträger kontrolliert und beeinflusst werden können, deren Wirkungen auf Entlassungen jedoch nicht abgewendet oder gemildert werden, die Wahrscheinlichkeit von Negativreaktionen steigern. So wurde erwartet, dass Engagement seitens des Arbeitgebers im Vorfeld von Entlassungen negative Folgewirkungen mindert.

Diese Annahme wurde bestätigt: Mangelndes Engagement der Arbeitgeber zur Vermeidung von Entlassungen führt zu einer Verschlechterung der Kooperation und des Engagements für das Unternehmen sowie zu einer Zunahme von Eigenkündigungen und des Engagements, für gemeinsame Arbeitnehmerinteressen einzutreten.

4.2.5 Beteiligung der Belegschaft bzw. ihrer Interessenvertretung

Die Beurteilung von Kündigungen gilt als in starkem Maße abhängig von der Kommunikation des Managements mit den gekündigten oder weiterbeschäftigten Arbeitnehmern (Brockner/Greenberg 1990: 66 f.). Diese kann durch eine aktive Beteiligung des Betriebsrates gefördert werden. Aus dem Blickwinkel der prozeduralen Gerechtigkeit erhöht eine direkte Beteiligung von Arbeitnehmern oder die Vertretung durch Betriebsräte die Berücksichtigung relevanter Informationen (Accurancy Rule), Meinungen und Interessen (Representativeness Rule). Dies gilt vornehmlich dann, wenn Korrekturvorschläge im Verfahren möglich sind (Correctability Rule). Insbesondere durch Betriebsräte werden Transaktionskosten bei der Erwerbung und Vermittlung von Informationen gespart und durch die Legitimation durch Wahlen und rechtlich fixierte Handlungsspielräume, Informations- und Machtasymmetrien zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verringert (Freeman/Lazear 1995). So können sanktionsfrei Einsprüche geltend gemacht und das Eigeninteresse des Arbeitgebers begrenzt werden (Bias-Suppressions Rule). Vor diesem Hintergrund wurde erwartet, dass eine Vorab-Beteiligung der Mitarbeiter oder ihrer Vertretung negative Folgereaktionen einschränkt.

Allerdings zeigen die Ergebnisse der multivariaten Modelle keinen signifikanten Einfluss einer Beteiligung auf die untersuchten Folgen von Entlassungen. Lediglich die bivariaten Analysen weisen darauf hin, dass eine frühzeitige Beteiligung das Engagement für das Unternehmen erhalten (Odds Ratio 0,56; p < 0,01) und die Bereitschaft das Unternehmen zu verlassen mindern kann (Odds Ratio 0,61; p < 0,05). Eine Ursache für die insgesamt sehr schwache Wirkung der Mitarbeiterbeteiligung auf Folgewirkungen von Entlassungen könnte darin liegen, dass in Unternehmen, in denen überdurchschnittliche Mitarbeiter- und gegebenenfalls Betriebsratsbeteiligungen bestehen, diesen eine moderierende Wirkung in der gesamten Unternehmensvergangenheit zuzumessen ist. Kommt es dann zu Entlassungen, verändert auch die (fortgesetzte) Beteiligung nichts an den Folgewirkungen.

4.2.6 Auswahl nach sozialen Kriterien

Entsprechend des Bedürfnisprinzips kann das Gerechtigkeitsempfinden von der Geltung allgemein anerkannter sozialer Kriterien abhängig sein (Gilliland 1993). Dieses Prinzip findet sich wieder in Auswahlkriterien des deutschen Kündigungsschutzgesetzes. Gleichwohl gelangen bei Entlassungen auch ökonomische Effizienzkriterien, so beispielsweise als Maßnahme zum Erhalt des Unternehmens, Qualifikationsauswahl etc., zur Anwendung (Struck/Simonson 2000). Gefragt wurde, ob die Auswahl der Betroffenen „in erster Linie“ nach sozialen Kriterien erfolgte. Erwartet wurde, dass bei erfolgter Sozialauswahl Negativreaktionen ausbleiben.

Diese Erwartung wurde weitgehend bestätigt. Allerdings zeigt sich auch, dass eine Auswahl nach in erster Linie sozialen Kriterien die freiwillige Kündigungsbereitschaft der Beschäftigten mindert. In der bivariaten Analyse zeigt sich zudem schwach signifikant, dass das Ausmaß des Krankmeldeverhaltens (Kivimäki et al. 2000), das im multivariaten Modell ansonsten unerklärt bleibt, durch soziale Auswahlkriterien gemindert wird (Odds Ratio 1,45; p < 0,05).

4.2.7 Abfindung und sonstige aktive Unterstützung der Betroffenen

So genannte sanfte Kündigungen (Charness/Levine 2000), bei denen das Unternehmen freiwillige Abfindungen zahlt und/oder durch Outplacement (Qualifizierung, Verzögerung, Stellenvermittlung) versucht, die Wiederbeschäftigungschancen zu erhöhen und psychisch-soziale Folgen zu mildern (Leana/Feldman 1992, S. 115 ff.), sollten als gerechter empfunden werden als so genannte harte Kündigungen (d. h. Einhaltung oder Nichteinhaltung gesetzlicher Mindeststandards). Aus Sicht der Equity-Theorie wird durch die Maßnahmen sanfter Kündigungen das Ergebnis für die Betroffenen verbessert. Zugleich wird damit eher dem Bedürfnisprinzip Rechnung getragen. So zeigen dann auch Brockner et al. (1987) sowie Rousseau und Anton (1988), dass Kompensationen die Akzeptanz von Entlassungen erhöhen. Vor diesem Hintergrund sollten auch negative Folgewirkungen im Falle aktiver Unterstützungsleistungen, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus gewährt wurden, verhindert werden.

Für diese These lassen sich in unseren Ergebnissen keine Belege finden. Die Art der Kündigung hat weder einen positiven noch negativen Einfluss auf die Reaktionen der Beschäftigten. Allerdings kann in der bivariaten Analyse wiederum ein schwach signifikanter Effekt eines geminderten Ausmaßes des Krankmeldeverhaltens nachgewiesen werden (Odds Ratio 1,53; p < 0,05).

5. Zusammenfassung

Der Beitrag analysiert die Frage, unter welchen Umständen Entlassungen von der Bevölkerung in Deutschland als gerecht oder ungerecht empfunden werden und welche Reaktionen Weiterbeschäftigte nach betriebsbedingten Entlassungen zeigen. Die Untersuchung verdeutlicht, dass die große Mehrheit der Befragten Beschäftigungsverhältnisse keineswegs nach den Normen von Tauschbeziehungen auf Gütermärkten bewertet. Vielmehr halten sie am besonderen Schutz der „Ware“ Arbeitskraft und den entsprechenden Gerechtigkeitsnormen fest.

Konsequenterweise werden Entlassungen nur dann als gerecht bewertet, wenn die Unternehmensleitung auf ihre jährliche Erfolgsprämie verzichtet und Abfindungszahlungen und Outplacement-Beratungen das Ergebnis für die Betroffenen verbessern. Des Weiteren hängt die wahrgenommene Gerechtigkeit von Entlassungen von den gewählten Entlassungskriterien bzw. der betroffenen Arbeitnehmergruppe ab. So werden Entlassungen gerechter empfunden, falls Arbeitnehmer mit allgemeinem Humankapital und einer kürzeren Betriebszugehörigkeit entlassen werden. Es konnte zudem gezeigt werden, dass ein negatives Arbeitsverhalten der Weiterbeschäftigten von der Bevölkerung eher akzeptiert wird, falls dies durch unfair empfundene Entlassungen gerechtfertigt ist.

Einige Szenarien konnten (in diesem Beitrag nicht dokumentiert) mit der Studie von Charness und Levine (2000) verglichen werden. Dabei wurde deutlich, dass Entlassungen in Deutschland insgesamt als ungerechter wahrgenommen werden als in den USA und Kanada, wobei die jeweiligen Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Gerechtigkeit recht ähnliche Wirkungen zeigten. Ein Unterschied besteht lediglich bei der Kompensation der Entlassenen, da harte Kündigungen in Deutschland als weniger negativ empfunden werden. Dies könnte in den vergleichsweise ausgebauten deutschen Kündigungsschutzregelungen begründet sein.

Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse zu Folgewirkungen: Wenn Unternehmen grundlegende Gerechtigkeitsprinzipen verletzen, geht dies mit Negativreaktionen seitens der Beschäftigten einher. Vor allem das zugeschriebene frühzeitige Engagement von Arbeitgebern zur Vermeidung von Entlassungen kann Negativreaktionen vermeiden helfen. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit negativer Folgewirkungen in kleinen Betrieben geringer als in mittleren und größeren Unternehmen. Hier wurde von der Annahme ausgegangen, dass in kleineren Unternehmen eine größere Nähe der Beschäftigten zur Entscheidungsebene und ihren Handlungsbedingungen besteht und somit von einer größeren Mitsprachemöglichkeit und vor allem von einer höheren Informationstransparenz auszugehen ist. Gilt diese Annahme, dann lassen sich die Faktoren Engagement der Arbeitgeber und Betriebsgröße gemeinsam als wirksame Merkmale von Verfahrensgerechtigkeit interpretieren, die dann auch Effekte auf Folgewirkungen haben. Und schließlich wird deutlich, dass vor allem Weiterbeschäftigte in Westdeutschland negativ auf Entlassungen reagieren. Ein Hinweis darauf, dass vor allem die in Ostdeutschland vergleichsweise prekäre Situation in vielen Unternehmen und am Arbeitsmarkt die Verbleibsbelegschaften zu der Einsicht nötigt, die schwierige betriebliche Situation nicht zusätzlich durch Negativreaktionen zu verschlimmern.

Insgesamt mag also gelten, dass im Zuge vergleichsweise moderat erhöhter numerischer Flexibilität und veränderter zunehmend zeitflexibler Arbeitsver,tragsgestaltungen (Grotheer/Struck 2003), die für viele Arbeitnehmer bedeutsame Arbeitplatzsicherheit zusehends in Frage gestellt ist (Grote/Raeder 1999). Ferner können unterschiedliche Erfahrungen in Bezug auf Personalstrategien der Unternehmen und Beschäftigungsflexibilität in Branchen und Regionen (etwa different in Ost- und Westdeutschland) Gerechtigkeitserwartungen und Reaktionsbereitschaft beeinflussen. Und nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass insbesondere tariflich fixierte Löhne, Kündigungsschutzregelungen und Mitwirkungsrechte von Betriebs- und Personalräten für den überwiegenden Teil der Beschäftigten Mindeststandards in Form von Verfahrensregeln, Informations- und Anhörungsrechten sowie Sozialklauseln u. a. festlegen. Doch unabhängig von den dadurch beeinflussten Niveaus und Inhalten psychologischer Verträge gilt, dass Unternehmen, die den Erwartungen von Arbeitnehmern im Rahmen impliziter Verpflichtungskontrakte nicht nachkommen, mit negativen Reaktionen zu rechnen haben.