1. Einleitung

Die soziologische Untersuchung der Pflege von älteren Menschen ist wichtiger denn je. Deren Anteil an der Bevölkerung ist in den industrialisierten Ländern in den letzen Jahrzehnten bereits beträchtlich gestiegen und wird in den kommenden Jahrzehnten sogar noch weiter rasant zunehmen. Am schnellsten steigt dabei der Anteil der über 80-Jährigen, die im Jahre 2050 bereits zwölf Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik ausmachen werden (vgl. Pötzsch/Sommer 2003). Gerade die Hochbetagten sind auf vielfältige Unterstützungen im Alltag angewiesen. Diese reichen von gelegentlichen Hilfen bei Haushaltsarbeiten bis hin zur körperlichen Pflege und Betreuung rund um die Uhr. Der Pflegebedarf, dies ist schon jetzt absehbar, wird mit der zunehmenden Anzahl älterer Menschen entsprechend stark ansteigen. Vor allem die Angehörigen pflegen die ältere Generation (Bender 1994; Connidis 2001; Finch/Mason 1990; Höpflinger 2005). Sinkende Geburtenraten, instabilere Paarbeziehungen, gestiegene und längere Erwerbsbeteiligungen von Frauen sowie zunehmende berufliche Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen mit damit einhergehenden geringeren Zeitressourcen und größeren Wohnentfernungen verringern jedoch das familiale Unterstützungspotential. Während einerseits also immer mehr Menschen gepflegt werden müssen, stehen andererseits immer weniger Personen zur Verfügung, die diese Pflege übernehmen können oder wollen (vgl. Blinkert/Klie 2004; BMFSFJ 2006: 142 f.).

Diese Entwicklungen stellen die heutige gesellschaftliche Organisation der Pflege in Frage und den Wohlfahrtsstaat vor die große Herausforderung, die pflegerische Versorgung betagter Menschen auch in Zukunft sicher zu stellen. Wie diese Aufgabe letztlich gelöst, und wer wen wann und wie oft pflegen wird, kann heute nicht abschließend beantwortet werden. Dennoch lohnt der Blick auf die heutigen Pflegebeziehungen in Europa aus zwei Gründen: Erstens kann so festgestellt werden, welche allgemeinen Bedingungen eine Pflegebeziehung begünstigen und welche Faktoren sich nachteilig auf die Unterstützung von Angehörigen auswirken. Mit Blick auf die Zukunft ist zweitens der Vergleich europäischer Staaten von besonderem Interesse, da er Einblicke in die Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Arrangements auf die familiale Pflege gewährt. Dies erlaubt, sich ändernde Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und gegebenenfalls darauf zu reagieren.

Zwar werden in den europäischen Ländern nach wie vor die meisten alten Menschen in der Familie gepflegt - mit entsprechend großen Belastungen für die Angehörigen (z. B. Zeman 2005). Die Unterschiede zwischen den Ländern sind dennoch beträchtlich. In Deutschland werden 70 Prozent der Pflegeempfänger zu Hause von Familienmitgliedern versorgt (Blinkert/Klie 2004; Höpflinger/Hugentobler 2005; Statistisches Bundesamt 2003). In den südeuropäischen Ländern liegt der Anteil der privat gepflegten älteren Menschen sogar noch höher, in den nordeuropäischen Ländern werden Pflegebedürftige dagegen häufiger von professionellen Pflegekräften unterstützt. Nur etwa jeder zweite Pflegeempfänger wird in den skandinavischen Staaten in der Familie gepflegt (Mestheneos/Triantafillou 2006; Sundström et al. 2006).

Worauf können diese Unterschiede zurückgeführt werden? Die Entscheidung, ob und inwieweit die Pflege innerhalb der Familie stattfindet, hängt nicht nur von der individuellen und familialen Situation der Betroffenen ab. Kulturelle und institutionelle Rahmenbedingungen müssen gleichsam in Betracht gezogen werden (Attias-Donfut/Wolff 2000). Neben der Familie sind professionelle Pflegedienste eine wichtige Säule in der sozial-medizinischen Versorgung betagter Menschen, z. B. bei der Körperhygiene und Nahrungsaufnahme. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um öffentlich finanzierte oder organisierte, kurz: staatliche Leistungen.Footnote 1 Einerseits können ambulante und stationäre Einrichtungen als Alternativen oder Ergänzung zur Pflege in der Familie aufgefasst werden. Andererseits spiegeln wohlfahrtsstaatliche Arrangements kulturelle Normen wider, z. B. wer gesellschaftlich für die Pflege verantwortlich ist und welches Engagement von Angehörigen erwartet wird. Die Pflegeversicherung in Deutschland wurde beispielsweise explizit als Ergänzung zur familialen Pflege eingeführt (§4 SGB XI). Sie ermöglicht den Älteren, Familienmitglieder als PflegerInnen „anzustellen“ und/oder staatliche Leistungen zu beziehen. In den nordeuropäischen Ländern wird dagegen stärker die professionelle häusliche Pflege gefördert, in Südeuropa die Unterstützung durch Angehörige schlicht vorausgesetzt (s. hierzu: Mestheneos/Triantafillou 2006). Welchen Einfluss das staatliche Angebot sowie gesetzliche Verpflichtungen auf die familiale Pflege haben, ist jedoch noch kaum untersucht worden. Zumindest liegen bis heute keine vergleichenden Studien vor, die die Angehörigenpflege direkt auf institutionelle Rahmenbedingungen zurückgeführt haben.

Ob und inwieweit die genannten Faktoren tatsächlich einen Einfluss auf die familiale Pflege ausüben, lässt sich nur empirisch beantworten – dies ist auch das Ziel dieser Untersuchung. Im Zentrum stehen dabei ältere Menschen und ihre erwachsenen Kinder. Die forschungsleitenden Fragen lauten: Unter welchen Bedingungen werden Eltern von ihren Kindern gepflegt? Welche Unterschiede bestehen zwischen den Ländern? Welchen Einfluss haben dabei institutionelle Rahmenbedingungen auf die familiale Pflege? Dabei ist es wichtig, neben institutionellen Faktoren auch individuelle und familiale Merkmale wie z. B. die Erwerbstätigkeit (von Frauen) und die Anzahl der Kinder zu berücksichtigen, denn nur so kann die Frage beantwortet werden, ob Unterschiede zwischen den Ländern auf individuelle, familiale und/oder institutionelle Besonderheiten zurückzuführen sind.

Zunächst gilt es, einen Überblick über die theoretische Diskussion zum Verhältnis von staatlicher und familialer Pflege vorzulegen. Im Zentrum stehen die Auswirkungen des professionellen Pflegeangebots und gesetzlicher Verpflichtungen auf die intergenerationale familiale Pflege. Die empirische Untersuchung erfolgt anhand des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE), der mehr als 28 000 Befragte in elf Ländern aus Nord-, Süd- und Westeuropa umfasst. Dabei werden u. a. multivariate Mehrebenenmodelle präsentiert. Der Beitrag schließt mit einer zusammenfassenden Bewertung.

2. Zum Verhältnis von staatlicher und familialer Unterstützung

Vergleichende Analysen zum Einfluss staatlicher Faktoren auf Unterstützungsleistungen in der Familie sind ein relativ junges Forschungsgebiet. Bevor umfassende empirische Untersuchungen durchgeführt werden konnten, wurden die handlungsrelevanten Rahmenbedingungen vor allem theoretisch und in einer historischen Perspektive untersucht (bspw. Bahle 1995). In Bezug auf finanzielle Transfers wurde argumentiert, dass der Aufbau eines „generösen“ Rentensystems die finanziellen Risiken der älteren Bevölkerung beträchtlich reduziert hat. Entsprechend sind die älteren Jahrgänge heute seltener auf eine materielle Unterstützung durch ihre Nachkommen angewiesen. Zudem sind die Rentenbezieher heute häufiger selbst in der Lage, ihre Kinder finanziell in der Ausbildung oder bei der Familiengründung zu unterstützen. In dieser Sichtweise werden staatliche Leistungen nicht nur als Absicherung individueller Risiken des Leistungsempfängers verstanden, sondern auch als Ressource der Solidarität zwischen familialen Generationen (Kohli 1999).

Die Absicherung altersbedingter Risiken, wie der Verlust des Erwerbseinkommens, wird zuweilen jedoch auch kritisch gesehen. Insbesondere die Kritiker wohlfahrtsstaatlicher Leistungen argumentieren, dass staatliche Programme mehr dazu beitragen, Abhängigkeiten zu schaffen als zu lösen (Goodin 1988: 323). Zudem würden die Leistungen in das Familienleben eingreifen und familiale Unterstützungsformen verdrängen. Langfristig gefährdeten sie so die Solidarität zwischen Angehörigen und förderten damit die Abhängigkeit vom Staat (Wolfe 1989).

Beide Ansichten werden immer wieder mit Beispielen belegt (Künemund/Rein 1999; Prisching 1996). Dennoch darf dabei nicht übersehen werden, dass auch in Familien in Folge

eines erhöhten Bedarfs dauerhafte Abhängigkeiten zwischen Angehörigen entstehen können (Prisching 1996: 74 f.). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Verpflichtung zur Unterstützung von Familienmitgliedern gesetzlich festgeschrieben ist. Umgekehrt gefährden staatliche Leistungen nicht zwingend den Zusammenhalt in der Familie. Wohlfahrtsstaatliche Transfers und Dienstleistungen können durchaus eine Entlastung der Familie darstellen. Gerade die staatliche bzw. staatlich finanzierte Altenpflege erlaubt es jüngeren Angehörigen einer pflegebedürftigen Person, ihre Erwerbstätigkeit fortzusetzen und damit selbst finanziell und zeitlich unabhängig zu bleiben. Die Prominenz des Themas der Misshandlung älterer Personen in der Familie (Görgen/Nägele 2005; Graß 2006) zeigt zudem, dass es unter bestimmten Voraussetzungen, wie z. B. konfliktreichen Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, besser sein kann, wenn die Pflege und Unterstützung nicht von Angehörigen übernommen werden muss. Staatliche Pflegeleistungen können demnach Rahmenbedingungen und Freiräume schaffen, so dass für alle Beteiligten eine günstige Betreuungssituation zumindest wahrscheinlicher wird. Ohne weiteres lässt sich die Frage nach dem Einfluss staatlicher Leistungen also nicht beantworten. Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung wird eine Antwort jedoch immer dringender benötigt.

Hierzu gehört auch eine empirische Überprüfung der konkurrierenden Hypothesen einer Substitution und der Komplementarität bzw. gemeinsamen Verantwortung von Staat und Familie. Vertreter der Substitutionsthese gehen (implizit) davon aus, dass staatliche und familiale Pflegeleistungen funktional äquivalent sind und der Pflegebedarf nicht steigt, wenn ein größeres Unterstützungsangebot existiert (Lingsom 1997). Eine Ausweitung der staatlichen Pflege würde demnach zu einem Rückgang der familialen Pflege führen, und umgekehrt. Befürworter der Komplementaritätsthese (bspw. Attias-Donfut/Wolff 2000; Daatland/Herlofson 2003a) nehmen hingegen an, dass staatliche Leistungen auch günstige Bedingungen für die familiale Pflege schaffen. Die Familienmitglieder werden weniger belastet und sind nicht mehr vor die Aufgabe gestellt, entweder die Pflege vollumfänglich zu übernehmen und gegebenenfalls die Erwerbstätigkeit aufzugeben oder eine stationäre Betreuung zu organisieren (Daatland/Herlofson 2003a). Vielmehr haben sie durch die staatliche Unterstützung auch die Möglichkeit, die älteren Angehörigen regelmäßig, aber weniger intensiv zu betreuen. Zunehmend wird in diesem Zusammenhang auch von der gemischten Verantwortung oder funktionalen Differenzierung gesprochen. Hierbei wird argumentiert, dass sich staatliche und familiale Unterstützungsleistungen ergänzen (Motel-Klingebiel et al. 2005). Der Staat übernimmt eher langfristige, gut planbare und medizinisch anspruchsvolle Aufgaben wie die Pflege, während die Familie sich auf sporadische alltägliche Hilfen und die emotionale Unterstützung konzentriert (vgl. hierzu Litwak et al. 2003).

Gerade der Vergleich von Ländern, die sich in Art und Umfang der staatlichen Rahmenbedingungen deutlich unterscheiden, aber dennoch aus demselben Kulturkreis stammen, ist für empirische Studien besonders geeignet. Häufig werden dabei nach Esping-Andersen (1990) drei Ländergruppen unterschieden: „Sozialdemokratische Staaten“ wie die skandinavischen Länder zeichnen sich durch eine umfassende Unterstützung und großzügige Leistungen aus. Länder wie Belgien, Deutschland, Frankreich und Österreich können dem „konservativ-korporatistischen Regime“ zugeordnet werden. Leistungsansprüche bestehen hier vor allem auf Basis von Versicherungssystemen wie der Pflegeversicherung. In einem „liberalen Wohlfahrtsstaat“, bspw. Großbritannien und die USA, werden eher geringfügige Leistungen bedarfsorientiert gewährt. Darüber hinaus können südeuropäische Länder wie Italien, Spanien und Griechenland als eigener Typus aufgefasst werden (z. B. Ferrara 1998). Staatliche Leistungen werden dort eher selten und in geringem Ausmaß angeboten. Daneben bestehen ausgeprägte gesetzliche Verpflichtungen gegenüber Angehörigen.

Im Hinblick auf die eher breite und nicht auf die Unterstützung pflegebedürftiger Älterer fokussierte Typologie schlagen wir eine Einteilung auf Basis von zwei Pflegedimensionen vor: Erstens ist zu unterscheiden, ob und inwieweit im Bedarfsfall eine Verpflichtung zur Unterstützung von Angehörigen besteht. Diese Unterstützung kann sowohl praktisch als auch finanziell sein. In den skandinavischen Staaten bestehen solche Verpflichtungen faktisch nicht. Bedürftige Personen erhalten öffentliche Leistungen unabhängig davon, ob sie Angehörige haben, die Hilfe- oder Pflegeleistungen übernehmen oder finanzieren können. In den südeuropäischen Ländern – und oft auch „konservativen Wohlfahrtsstaaten“ – sind engere Familienmitglieder, teilweise auch Geschwister, hingegen zur Finanzierung der Pflegekosten verpflichtet, wenn die bedürftige Person dies nicht selbst übernehmen kann. Staatliche Leistungen sind erst dann verfügbar, wenn Angehörige die Unterstützung nicht gewährleisten können (Gori 2000: 263f.). Entziehen sich die Familienmitglieder ihrer Verpflichtung, kann der Staat die Beteiligung an der Pflegefinanzierung einklagen oder im Todesfall der bedürftigen Person das Erbe einbehalten, um Pflegekosten abzudecken (Millar/Warman 1996).

Zweitens sind die Länder nach den gewährten Leistungen zu unterscheiden. Staatlich finanzierte oder organisierte Leistungen umfassen Leistungen für Pflegebedürftige wie die häusliche Pflege durch ambulante Pflegedienste und die stationäre Betreuung in Pflegeheimen sowie die professionelle Unterstützung der Pflegepersonen. Zudem werden immer häufiger auch finanzielle Leistungen in Form von individuellen Pflegebudgets zugestanden (Deutschland, Niederlande). Die Pflegebudgets erlauben es den Leistungsbeziehern, selbst zu entscheiden, wie der Pflegebedarf gedeckt werden soll. Hierbei ist es auch möglich, Angehörige für ihre Unterstützung zu entlohnen. Wie das Beispiel der deutschen Pflegeversicherung zeigt, führt ein hoher finanzieller Aufwand seitens des Staates nicht zwangsläufig zu einem gleichermaßen hohen Angebot an professionellen Dienstleistungen. Denn öffentliche Gelder oder Versicherungsleistungen, die auch dazu eingesetzt werden können, die Hilfe der Angehörigen zu honorieren, stellen einen Anreiz zur familialen Pflege dar; dementsprechend werden in Deutschland viele ältere Menschen in der Familie gepflegt. Die staatlichen Ausgaben für die Pflege älterer Personen sind somit zwar ein geeigneter Indikator, um das Niveau wohlfahrtsstaatlicher Leistungen für diese Personengruppe einzuschätzen. Der Einfluss staatlicher Leistungen auf die familiale Unterstützung lässt sich damit jedoch nicht untersuchen, da die finanziellen Mittel von Land zu Land ganz unterschiedlich eingesetzt werden. Besser geeignet sind hierfür Indikatoren über die Verfügbarkeit von Ergänzungen und Alternativen zur familialen Pflege, namentlich ambulante oder stationäre Pflegeleistungen. Im Folgenden wird insbesondere auf die Auswirkungen der ambulanten Pflege eingegangen. Damit ist es möglich, die Substitutions- und Komplementaritätsthesen am Beispiel vergleichbarer Leistungen von Staat und Familie zu untersuchen.

In Dänemark, Schweden und der Schweiz besteht ein dichtes, flächendeckendes Netz an ambulanten Dienstleistern, und entsprechend umfassend ist auch die Versorgung mit häuslichen Pflegeleistungen. Mehr als zehn Prozent der über 64-Jährigen erhalten in diesen Ländern zu Hause professionelle Pflege. In Belgien, Frankreich und den Niederlanden ist der Anteil mit sechs bis acht Prozent bereits deutlich geringer, aber immer noch vergleichsweise hoch. In Deutschland und Österreich, wo die professionelle Pflege erst seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 bzw. des Pflegegeldes 1993 zunehmend auch ambulant gewährt wird, sinkt der Anteil auf drei Prozent der über 64-Jährigen. Am wenigsten verbreitet ist die ambulante Pflege jedoch in den südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien, wo traditionell die Pflege in den Aufgabenbereich der Familie fällt. Das Angebot an ambulanten Leistungen ist entsprechend gering und die Inanspruchnahme mit einem Prozent der Personen im Alter von mindestens 65 Jahren äußerst niedrig (Daatland 2001: 17 f.; Pinnelli 2001: Tabelle 10).

Tabelle 1 : Gesetzliche Verpflichtungen und ambulante Pflege

Tabelle 1 fasst die Ländergruppen anhand der beiden Dimensionen zusammen. In den kontinentaleuropäischen Ländern Belgien, Deutschland, Frankreich und Österreich sowie in den Mittelmeerstaaten sind zumindest die direkten Verwandten zu Unterstützungsleistungen älterer Angehöriger verpflichtet. Kinder müssen demnach auch dann Unterstützung leisten, wenn die Umstände eher ungünstig sind, sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine konfliktreiche Beziehung zu den Eltern haben. Man kann deshalb davon ausgehen, dass in diesen Staaten im Vergleich zur Gruppe der nordischen Länder mehr Eltern von ihren Kindern gepflegt werden.

In Bezug auf die ambulanten Pflegeleistungen sind zwei Zusammenhänge denkbar: Einerseits stellen sie eine Alternative zur familialen Pflege dar, andererseits können sie auch als Unterstützung der pflegenden Angehörigen fungieren. Zumindest in Ländern mit einer Unterstützungspflicht gegenüber Familienmitgliedern können ambulante Pflegedienste eine Option darstellen, dieser Verpflichtung nachzukommen. Entsprechend der Substitutionsthese würden Eltern demnach seltener von ihren Kindern gepflegt, wenn der ambulante Pflegesektor stärker ausgebaut ist („crowding out“), und umgekehrt. Kinder pflegen ihre Eltern jedoch auch, weil sie sich mit ihnen verbunden und für ihr Wohlergehen verantwortlich fühlen (Finch/Mason 1990). Oft haben sie selbst eine lebenslange Unterstützung von den Eltern erhalten und möchten sich nun „revanchieren“ (Hollstein/Bria 1998: 16). Nach diesem Argument ist nicht davon auszugehen, dass sich Familienmitglieder aus der Pflege völlig zurückziehen, wenn sie entsprechende institutionelle Alternativen vorfinden. Vielmehr entlasten und unterstützen ambulante Pflegedienste die Angehörigen. Entsprechend der Komplementaritätsthese erlauben und begünstigen sie somit eine (Teil-)Pflege durch die Kinder, und zwar auch dann, wenn diese erwerbstätig sind oder weitere Verpflichtungen haben („crowding in“).

Um Länderunterschiede feststellen und auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen zurückführen zu können, reichen bivariate Auswertungen nicht aus. Neben dem gesellschaftlichen Kontext können individuelle und familiale Faktoren wie die Erwerbstätigkeit, die Familiengröße und die Wohnentfernung zwischen den Angehörigen für die Differenzen verantwortlich sein (Kompositionseffekte). Sie müssen daher in multivariaten Analysen berücksichtigt werden. Gleichzeitig werden damit auch die Einflüsse dieser Faktoren auf die intergenerationale Pflegewahrscheinlichkeit erfasst.

Zur Identifikation von individuellen, familialen und gesellschaftlichen Faktoren greifen wir auf ein allgemeines Solidaritätsmodell zurück, das bereits in einer Reihe empirischer Studien Anwendung gefunden hat (z. B. Szydlik 1999, 2000, 2004). Demzufolge begünstigen oder erschweren Strukturen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene die Unterstützungen zwischen Angehörigen. Auf der Personenebene sind einerseits der Hilfebedarf (Bedürfnisstrukturen) und andererseits die Unterstützungsmöglichkeiten (Opportunitätsstrukturen) wesentliche Voraussetzungen für familiale Solidarität, und zwar sowohl für Eltern als auch für erwachsene Kinder. Darüber hinaus wirken familiale und kulturell-kontextuelle Strukturen.

Bei den potentiellen Pflegeempfängern dürfte insbesondere das Ausmaß der körperlichen Einschränkungen entscheidend sein. Zudem kann man davon ausgehen, dass ältere Menschen mit Partner (auch) von diesen versorgt werden und der Bedarf an intergenerationaler Pflege damit deutlich geringer ist. Alleinlebende dürften hingegen umso mehr auf die Pflege von ihren Kindern angewiesen sein. Zu den Opportunitätsstrukturen der Eltern gehören auch finanzielle Ressourcen, die einerseits Pflege der Nachkommen anregen oder andererseits für eine Entlastung der Kinder durch extern bezahlte Pflegeleistungen genutzt werden können. Es ist somit eine empirische Frage, welche dieser beiden alternativen Hypothesen eher zutrifft. Darüber hinaus können sich Informations- oder Durchsetzungsvorteile gegenüber staatlichen Angeboten auswirken, so dass höher Gebildete möglicherweise seltener auf ihre Nachkommen zurückgreifen müssen. Gemeinsam mit der finanziellen Lage zeigen sich so gegebenenfalls schichtspezifische Pflegemuster.

Damit eine Pflegebeziehung zustande kommt, müssen auf Seiten der Helfer insbesondere räumliche und zeitliche Opportunitäten vorhanden sein. Kinder, die in der Nähe ihrer Eltern wohnen, können die Pflege mit anderen Lebensbereichen am ehesten vereinbaren. Mit einer zunehmenden Wohndistanz zu den Eltern wird dies jedoch immer schwieriger, und bei sehr großen Entfernungen ist die regelmäßige Pflege aufgrund der benötigten Zeit und der entstehenden Kosten schlicht nicht möglich. Eine Erwerbstätigkeit kann ebenfalls als Einschränkung der für die Pflege erforderlichen Zeit aufgefasst werden. Wer nicht oder Teilzeit erwerbstätig ist, hat jedenfalls mehr Zeit für Pflegeleistungen zur Verfügung. Dafür verringert sich mit einer Vollerwerbstätigkeit der finanzielle Bedarf. Dieser kann auch eine Rolle spielen, wenn Pflegeleistungen der Kinder durch Generationentransfers der Eltern „vergolten“ bzw. angeregt werden (Reziprozität). Finanzielle Transfers sollten demnach die Pflegebereitschaft eines Kindes erhöhen.

Ob und inwieweit ein Kind seine Eltern pflegt, hängt zudem von den familialen Strukturen ab: Ist die Mutter oder der Vater pflegebedürftig, und kommen eine Tochter oder ein Sohn als Pflegeleistende in Frage? Die nahe liegende Hypothese lautet, dass vor allem Töchter pflegen und dabei Mütter bevorzugt werden. Darüber hinaus dürfte die Anzahl der Nachkommen die Pflegewahrscheinlichkeit des einzelnen Kindes verringern. Einerseits kann die zeitintensive Pflege bei Geschwistern auf mehrere Schultern verteilt werden, so dass jeder Einzelne weniger gefordert ist. Andererseits bieten Geschwister u. U. die Möglichkeit, sich selbst von der Pflege der Eltern zurückzuziehen, sei es aufgrund der relativen Opportunitäts- und Bedürfnisstrukturen der Geschwister, sei es durch finanzielle Transfers oder den (Teil-)Verzicht auf ein zu erwartendes Erbe.

Schließlich sind die individuellen und familialen Strukturen in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Die Grundsatzentscheidung, ob überhaupt in der Familie gepflegt wird, sollte wesentlich durch die gesetzlichen Verpflichtungen sowie den Zugang zur ambulanten Pflege beeinflusst werden.

3. Daten, Variablen und Methode

Die empirischen Analysen basieren auf dem Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE), der erstmals 2004 durchgeführt wurde (Börsch-Supan/Jürges 2005).Footnote 2 Er umfasst insgesamt 28 516 Personen aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und Spanien (Israel wird hier nicht einbezogen). Befragt wurden Personen von mindestens 50 Jahren sowie ihre Partnerinnen bzw. Partner im selben Haushalt. Ein Schwerpunkt des SHARE liegt auf den zeitlichen und finanziellen Austauschbeziehungen zwischen Familiengenerationen. Da auch die sozioökonomische und familiale Situation von bis zu neun Kindern erhoben wurde, ist es möglich, die Analyse auf der Ebene von Eltern-Kind-Beziehungen (Dyaden) durchzuführen. Damit kann nicht „nur“ untersucht werden, ob und weshalb jemand von seinen Kindern gepflegt wird, sondern auch, warum die Person von einem bestimmten Kind gepflegt wird, von einem anderen jedoch nicht.

Untersuchungen der Zeittransfers zwischen den Generationen fassen in der Regel Hilfe und Pflege zusammen (Attias-Donfut et al. 2005). Vor allem im anglikanischen Sprachraum werden beide Unterstützungsarten unter den Konzepten „care“ oder „support“ subsumiert (bspw. Martin-Matthews/Campbell 1995). Mit dieser Zusammenfassung werden jedoch grundlegende Unterschiede in Art und Umfang der beiden Unterstützungsarten übergangen (Walker et al. 1995). Während gelegentliche, weniger intensive Hilfen von Unterstützungen bei der Haushaltsführung und bürokratischen Angelegenheiten bis hin zu Reparatur- und Gartenarbeiten reichen, zeichnet sich die Pflege durch Hilfe bei körperlichen und alltäglichen Verrichtungen wie Waschen, Anziehen und dem Toilettengang aus. Der Pflegeempfänger ist auf die Unterstützung existentiell angewiesen und steht in einem Abhängigkeitsverhältnis mit der Pflegeperson (Fine/Glendinning 2005; vgl. Lewis 1990). Im Unterschied zur Hilfe erfolgt die Pflege von Angehörigen meist regelmäßig und zeitintensiv. Als Pflegeempfänger werden hier deshalb nur die Personen gesehen, die in den vergangenen zwölf Monaten über einen längeren Zeitraum mindestens wöchentliche Hilfen beim Essen, Anziehen, Waschen und bei körperlichen Verrichtungen von ihren Kindern erhalten haben (zu alltäglichen Hilfen unterhalb der Pflegeschwelle siehe Brandt/Haberkern 2008).

Die Opportunitäts- und Bedürfnisstrukturen der potentiell pflegebedürftigen Eltern werden

über die körperlichen Beeinträchtigungen, einen Partner im Haushalt, die finanzielle Lage des Haushalts und die Bildung erfasst. Die körperlichen Beeinträchtigungen werden anhand von sechs Aktivitäten des täglichen Lebens gemessen: Anziehen, Essen, aus dem Bett aufstehen, Körperwäsche, Zimmer durchqueren, alleine auf die Toilette gehen. Dieser additive „Activities of Daily Living“-Index (ADL) gibt an, bei wie vielen dieser Tätigkeiten die befragte Person Schwierigkeiten hat. Da die körperliche Bedürftigkeit eine zwingende Voraussetzung für Pflege ist, werden in den multivariaten Analysen nur Personen mit mindestens einer körperlichen Beeinträchtigung berücksichtigt. Als Indikator der finanziellen Situation wird erfragt, ob das Haushaltseinkommen ausreicht, um den Bedarf ohne Schwierigkeiten zu decken (Dummy, Ja = 1, Nein = 0). Ausgehend von der „International Standard Classification of Education“ (ISCED) 1997 wird die Bildung der Eltern in die drei Kategorien niedrige, mittlere und hohe Bildung eingeteilt (vgl. OECD 1999).

Die Opportunitäts- und Bedürfnisstrukturen der Kinder werden über die Wohnentfernung zu den Eltern, den Erwerbsstatus und finanzielle Zahlungen von den Eltern gemessen. Die Wohnentfernung zu jedem Kind wird über neun Werte erfasst, die von „gleicher Haushalt“ bis „mehr als 500 km, Ausland“ reichen. Um das Ausmaß der zeitlichen Restriktionen zu erfassen, wird zwischen nicht erwerbstätigen, Teilzeit und Vollzeit erwerbstätigen Personen unterschieden; da keine Informationen zur Arbeitszeit vorliegen, werden Selbstständige als Vollzeit erwerbstätig aufgefasst. Zudem kann der Erwerbsumfang ein Indiz für die Einkommenssituation des Kindes darstellen, zumal diese im SHARE nicht explizit erhoben wurde. Schließlich wird berücksichtigt, ob das jeweilige Kind im letzten Jahr finanzielle Transfers von mindestens 250 Euro von einem Elternteil oder den Eltern erhalten hat.

Die Operationalisierung der Familienstrukturen erfolgt anhand der Geschlechtsspezifik der Dyade sowie der Anzahl der Kinder. Die kulturell-kontextuellen Strukturen werden über zwei Variablen erfasst: Ein guter Indikator für das Angebot und den Zugang zu Pflegeleistungen ist der Anteil der Personen über 64 Jahre, die in ihrer Wohnung professionelle Krankenpflegedienste in Anspruch nehmen (Pinnelli 2001: Tabelle 10). Zudem wird auf Länderebene einbezogen, ob Kinder gesetzlich zur Pflege der Eltern oder zur Beteiligung an den Pflegekosten verpflichtet sind (Mestheneos/Triantafillou 2006; Millar/Warman 1996).

Im Folgenden werden in einem ersten Schritt uni- und bivariate Befunde vorgestellt. Danach wird anhand logistischer Regressionsmodelle überprüft, inwieweit Länderunterschiede auch dann noch bestehen, wenn individuelle und familiale Merkmale berücksichtig werden. Schließlich wird danach gefragt, worauf länderspezifische Niveaus der intergenerationalen Pflege zurückgeführt werden können und welchen Einfluss das Angebot an ambulanten Leistungen und die gesetzlichen Verpflichtungen zur Pflege in der Familie haben. Sowohl aufgrund der Struktur des Datensatzes als auch der theoretischen Überlegungen müssen vier Ebenen analytisch unterschieden werden: die Beziehungs-, Individual-, Familien- und Länderebene. Die meisten Befragten haben mehrere Kinder und konnten für bis zu vier Eltern- Kind-Beziehungen (Ebene 1) detaillierte Angaben machen. Da die Befragten (Ebene 2) und ihre ebenfalls befragten Partner im gleichen Haushalt leben, sind Haushalte (Ebene 3) als „übergeordnete“ Einheit von Personen anzusehen. Schließlich sind die Haushalte in einen länderspezifischen Kontext (Ebene 4) eingebettet. Um die Einflüsse und Unterschiede auf diesen Ebenen angemessen zu erfassen, werden logistische Mehrebenenmodelle verwendet (Guo/Zhao 2000; Hox 1995; Snijders/Bosker 2002).Footnote 3 Die folgende Darstellung eines solchen Mehrebenenmodells bezieht sich der Einfachheit halber auf ein Vier-Ebenenmodell mit nur einer erklärenden Beziehungs- und einer Ländervariable. Die Ausgangsgleichung der ersten Ebene, der Dyadenebene, entspricht hierbei der Gleichung der binären logistischen Regression: (Gl. 1)

$$ LOGIT(P_{{ijkl}} ) = \beta _{{0jkl}} + \beta _{1} x_{{ijkl}} $$

\( LOGIT(P_{{ijkl}} ) \) steht für die logarithmierte Chance, dass das Ereignis eintritt (hier: die Pflege durch ein Kind). Unterschiede auf der Individualebene werden in der Gleichung (Gl. 2) erfasst, wobei \( \beta _{{0kl}} \) für den Mittelwert aller Personen steht. Die (unerklärten) Differenzen zwischen den Personen werden mit \( u_{{0jkl}} \) bezeichnet. (Gl. 2)

$$ \beta _{{0jkl}} = \beta _{{0kl}} + u_{{0jkl}} $$

Entsprechend können die Niveaus der Partnerschaften, Ebene 3, als Gleichung formuliert werden. (Gl. 3)

$$ \beta _{{0kl}} = \beta _{{0l}} + v_{{0kl}} $$

Die länderspezifische familiale Pflege \( \beta _{{0l}} \), Ebene 4, kann durch den Makroindikator z erklärt werden, wobei \( w_{{0l}} \) den unerklärten Unterschied zwischen den Ländern angibt. (Gl. 4)

$$ \beta _{{0l}} = \beta _{0} + \beta _{2} z_{l} + w_{{0l}} $$

Die Länderdifferenzen sind dann gut erfasst, wenn mit der Berücksichtigung von Kontextfaktoren die unerklärte Varianz auf Länderebene reduziert werden kann. Durch Einsetzen von (Gl. 2) bis (Gl. 4) in (Gl. 1) ergibt sich die kombinierte Schreibweise (Gl. 5): (Gl. 5)

$$ LOGIT(P_{{ijkl}} ) = \beta _{0} + \beta _{1} x_{{ijkl}} + \beta _{2} z_{l} + u_{{0jkl}} + v_{{0kl}} + w_{{0l}} $$

Die multivariaten Analysen zum Einfluss der Kontextfaktoren werden unter Berücksichtigung dieser Mehrebenenstruktur durchgeführt. Auf der untersten Ebene, den Eltern-Kind-Dyaden, werden die Beziehungsmerkmale berücksichtigt. Die individuellen Besonderheiten des Elternteils werden über personenbezogene Merkmale erfasst. Unterschiede zwischen Haushalten werden auf Haushaltseigenschaften zurückgeführt. Auf der „höchsten“ Ebene, der Länder, werden institutionelle Faktoren zur Erklärung der Niveauunterschiede herangezogen.

4. Empirische Befunde

4.1 Private und professionelle Pflege in Europa

Pflegebedürftigkeit tritt meist erst im hohen Alter auf (Abbildung 1 ). Betrachtet man nur die zu Hause Lebenden, im Vergleich zu Heimbewohnern die Gesünderen, berichten von den unter 70-Jährigen weniger als fünf Prozent von gravierenden Einschränkungen bei körperbezogenen alltäglichen Aktivitäten. Mit steigendem Alter sind hiervon jedoch immer mehr Menschen betroffen. In der Gruppe der 75- bis 79-Jährigen sind bereits 16 Prozent in dieser Hinsicht bedürftig, bei den 85- bis 89-Jährigen 40 Prozent, und bei den ab 90-Jährigen erwähnt über die Hälfte aller zu Hause lebenden Personen körperliche Einschränkungen.

Abbildung 1
figure 1

: Pflegebedürftige Personen in EuropaDatenbasis: SHARE 2004, release 2. Basis: Personen ab 50 Jahren. Eigene Berechnungen, gewichtet, n = 26 143.

In Abbildung 2 wird die häusliche Pflege durch Privatpersonen und Pflegekräfte gegenübergestellt. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede. In Nordeuropa erhalten bis zu vier Prozent der Befragten über 64 Jahre mindestens wöchentlich Unterstützung bei körperbezogenen Tätigkeiten von Angehörigen oder Bekannten. In den mitteleuropäischen Ländern (mit der Ausnahme Schweiz) sind es bereits bis zu zehn Prozent.Footnote 4 Die höchsten Raten zeigen sich jedoch in Südeuropa, wo bis zu 13 Prozent der über 64-Jährigen regelmäßig von Privatpersonen gepflegt werden.

Abbildung 2
figure 2

: Häusliche Pflege in EuropaQuellen: 1 SHARE 2004, release 2, 2 Daatland (2001), Pinnelli (2001). Basis: Personen ab 65 Jahren. Eigene Berechnungen, gewichtet, n = 12 406. Korrelation auf Länderebene (n=11) signifikant zum *** < Ein-Prozent-Niveau.

Diese Unterschiede stehen in einem engen Zusammenhang mit dem staatlichen Angebot an Pflegeleistungen einerseits und gesetzlichen Verpflichtungen andererseits. In Staaten mit einem höheren Angebot an ambulanten Pflegeleistungen werden deutlich weniger Personen von Angehörigen oder Bekannten gepflegt (r = –0,83***, Abbildung 2 ). Gleichzeitig wirkt sich offenbar die gesetzliche Verpflichtung der Kinder zur Unterstützung bedürftiger Eltern signifikant aus: In diesen Ländern werden nämlich fünf Mal so viele Personen von ihren Kindern gepflegt (Tabelle 2 ).

Tabelle 2 : Gesetzliche Verpflichtungen und intergenerationale Pflege

In Schweden, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz erhalten Personen vorwiegend professionelle ambulante Pflegeleistungen (Abbildung 2 ). In Belgien und Frankreich sowie etwas seltener in Deutschland und Österreich übernehmen sowohl Verwandte und Bekannte als auch professionelle Dienstleister eine wichtige Rolle in der Altenpflege. In den südeuropäischen Staaten werden zu Hause lebende ältere Menschen hingegen vorwiegend privat gepflegt. Auf den ersten Blick sprechen die Ergebnisse damit insgesamt für die Substitutionsthese.

Betrachtet man „lediglich“ die Pflege durch Partner und Kinder (Abbildung 3 ), zeigen sich ebenfalls deutliche Länderdifferenzen. Zwar wird generell ein beträchtlicher Teil der Älteren in Europa von ihren Partnerinnen bzw. Partnern gepflegt, zumeist also auch älteren Menschen (Arber/Ginn 1990). Während jedoch in den skandinavischen Staaten, Belgien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz mindestens 60 Prozent der Pflegeempfänger von ihren Partnern versorgt werden, gilt dies in den mitteleuropäischen Ländern Deutschland und Österreich für etwa die Hälfte, in Südeuropa liegt der Anteil teilweise sogar nach darunter. Diese deutlichen Unterschiede dürften vorwiegend auf demografische und institutionelle Ursachen zurückzuführen sein. In den mediterranen Ländern leben in Privathaushalten weniger ältere Menschen in einer Beziehung. Die nordischen Länder, die Niederlande und die Schweiz verfügen hingegen über mehr stationäre Pflegeeinrichtungen, in denen vor allem alleinstehende Personen leben (Höpflinger/Hugentobler 2005: 96f.).

Abbildung 3
figure 3

: Pflege durch PartnerIn und Kind(er)Datenbasis: SHARE 2004, release 2. Basis: Privat gepflegte Personen ab 50 Jahren. Eigene Berechnungen, gewichtet, n = 1 309. Korrelation auf Länderebene (n=11) signifikant zum *** < Ein-Prozent-Niveau. Mehrfachnennungen möglich.

Umgekehrt werden von Norden nach Süden mehr Ältere von den Kindern gepflegt. Stellt man diese Befunde dem ambulanten Pflegeangebot gegenüber, wird deutlich, dass in Ländern mit umfangreichen Pflegeleistungen Kinder tendenziell seltener in die Pflege involviert sind. In den südlichen Ländern sind sie hingegen z. T. deutlich stärker daran beteiligt. Mögliche Ursachen hierfür sind ein eingeschränkter Zugang zu staatlichen Pflegeleistungen, gesetzliche Verpflichtungen zur Pflege der Angehörigen, aber auch die im Norden schwächeren und im Süden stärkeren normativen Verpflichtungen gegenüber Familienmitgliedern (Berger-Schmitt 2003; Reher 1998). So präferieren im europäischen Vergleich in den Mittelmeerländern deutlich mehr Personen die Versorgung in der Familie gegenüber der staatlichen Pflege (Alber/Köhler 2004; Daatland/Herlofson 2003b). Zusammengenommen lassen Tabelle 2 sowie die Abbildungen 2 und 3 damit erstens den Schluss zu, dass das höhere private Pflegeniveau in Mittel- und Südeuropa nicht zuletzt auf die Beteiligung der Kinder an der Pflege zurückzuführen ist. Zweitens deuten die Befunde darauf hin, dass sich Kinder eher aus der Pflege zurückziehen, wenn keine gesetzlichen Verpflichtungen existieren, die Pflege vom Partner des bedürftigen Elternteils übernommen werden kann oder wenn z. B. in Form von ambulanten Diensten Alternativen zur familialen Pflege existieren.

4.2 Einflussfaktoren der intergenerationalen Pflege

Im Folgenden wird erstens danach gefragt, inwieweit Länderunterschiede auch dann noch bestehen, wenn Merkmale der befragten Personen und Haushalte berücksichtigt werden. Zweitens wird untersucht, ob verbleibende Differenzen auf bestimmte kulturell-kontextuelle Faktoren zurückgeführt werden können.

In Tabelle 3 werden die Länderkoeffizienten in Hinblick auf die Pflege durch Kinder dargestellt. Da im Gesamtmodell für vielfältige individuelle und familiale Faktoren kontrolliert wird, verweisen die Ländervariablen auf kulturell-kontextuelle Unterschiede. Werte größer als „1“ belegen dabei ein im Vergleich zu Deutschland höheres Niveau der intergenerationalen Pflege, Werte kleiner als „1“ entsprechend ein niedrigeres.

Tabelle 3 : Logistische Regressionsmodelle: Mindestens wöchentliche Pflege von Kind erhalten

Analog zu den Abbildungen zeigen sich bei den Bruttomodellen, d. h. ohne Kontrolle der weiteren Faktoren, beträchtliche Unterschiede zwischen den Ländern. In den südeuropäischen Staaten Griechenland und Italien sowie in Österreich werden Eltern deutlich häufiger als in Deutschland von einem Kind gepflegt, in den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und in Belgien hingegen wesentlich seltener. Berücksichtigt man nun weitere Merkmale der Befragten und ihrer Familien, fallen die Länderunterschiede erwartungsgemäß meist geringer aus. Das generelle Bild ändert sich jedoch im Wesentlichen nicht: In der Gruppe der skandinavischen Länder und in Belgien ist die intergenerationale Pflege nach wie vor weniger ausgeprägt, in Österreich scheint es dagegen wahrscheinlicher, dass Eltern von ihren Kindern gepflegt werden. Die mediterranen Länder unterscheiden sich im Gesamtmodell zwar nicht mehr statistisch signifikant von Deutschland, die Koeffizienten weisen jedoch in dieselbe Richtung wie beim Bruttomodell, und nach wie vor ergibt sich ein signifikant höheres Niveau als bei den skandinavischen Staaten (da Deutschland eine mittlere Position einnimmt, handelt es sich in Tabelle 3 um eine sehr konservative Schätzung der Länderdifferenzen).

Worauf können die länderspezifischen Pflegeniveaus zurückgeführt werden? Um diese Frage, aber auch die nach der Bedeutung von individuellen und familialen Faktoren zu beantworten, wird im Folgenden auf eine Mehrebenenanalyse zurückgegriffen (Tabelle 4 ). Aufgrund der aus statistischer Sicht relativ geringen Anzahl an Ländern werden die Kontextbedingungen, gesetzliche Verpflichtungen und Anteil an Personen in professioneller ambulanter Pflege, in separaten Modellen berücksichtigt.

Tabelle 4 : Logistische Mehrebenenmodelle: Mindestens wöchentliche Pflege von Kind erhalten

Die Analysen belegen: Ob eine Pflegebeziehung zustande kommt, hängt wesentlich von den Bedürfnissen des Elternteils und den Möglichkeiten des Kindes ab. Vor allem die körperliche Verfassung der Eltern ist ausschlaggebend. Sie erhalten dann von den Kindern Unterstützung, wenn sie mehrere körperliche Beeinträchtigungen haben und den Alltag immer weniger selbst meistern können. Dies gilt insbesondere für alleinstehende Eltern, die eher von ihren Kindern gepflegt werden. In Partnerschaften übernehmen primär die Lebensgefährten diese Aufgaben. Pflegeansprüche werden erst dann an die Kinder gerichtet, wenn kein Partner (mehr) vorhanden ist (Künemund/Hollstein 2005; Qureshi/Walker 1989). Auf den ersten Blick scheint der finanzielle Hintergrund dagegen keine signifikante Rolle zu spielen. In separaten Analysen zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen den europäischen Regionen. In den kontinentaleuropäischen Ländern werden Eltern mit einem ausreichenden Einkommen eher von ihren Kindern gepflegt, was auf finanzielle Anreize zur Pflege hindeuten kann. Höher gebildete Personen sind besser über ihre Rechte und Ansprüche auf staatliche Leistungen informiert und können diese möglicherweise auch besser durchsetzen (Theobald 2005: 31), so dass die Kinder entsprechend seltener gefordert werden; die Koeffizienten weisen in diese Richtung, sind allerdings nicht signifikant.

Bei den Opportunitäts- und Bedürfnisstrukturen der Kinder eignet sich die Wohndis-ztanz zur zuverlässigen Vorhersage der intergenerationalen Pflege. Eine geringe Wohnentfernung zu den Eltern ist eine Voraussetzung dafür, dass regelmäßige Pflege überhaupt geleistet werden kann. Die Analysen bestätigen, dass Eltern seltener von den Kindern gepflegt werden, die weiter entfernt leben. Im Unterschied zur Nicht- oder Teilzeiterwerbstätigkeit lässt sich eine Vollzeitbeschäftigung nur schwer mit der Pflege der Eltern vereinbaren (vgl. Schneider et al. 2001). Dies zeigt sich auch im europäischen Vergleich: In Südeuropa geht eine niedrige Frauenerwerbsquote mit einer weit verbreiteten familialen Pflege einher, in Nordeuropa ist es genau umgekehrt.Footnote 5 Zudem ist auch nicht auszuschließen, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit des erwachsenen Kindes über das entsprechende Einkommen die Finanzierbarkeit professioneller Pflege erhöht oder über den geringeren Bedarf an monetären Zuwendungen die eigene Pflegebereitschaft verringert. In diese Richtung deuten auch die Koeffizienten der Generationentransfers, selbst wenn diese nicht im Gesamtmodell, aber immerhin im separaten Modell für Süd- und Nordeuropa signifikant sind.

Gemäß der bisherigen Forschung bestätigt die Analyse der Familienstrukturen, dass Eltern sehr viel wahrscheinlicher von ihren Töchtern als von ihren Söhnen gepflegt werden. Zudem werden Mütter häufiger von den Kindern versorgt als Väter. In Mutter-Tochter-Beziehungen kann daher am ehesten mit Pflege gerechnet werden, in Vater-Sohn-Beziehungen ist sie hingegen unwahrscheinlich. Die Anzahl der Kinder hat keinen signifikanten Einfluss auf das Pflegeverhalten. Kinder engagieren sich offenbar auch dann in der Pflege, wenn sie Geschwister haben. Dies spricht dafür, dass die Pflege der Eltern eher als eine gemeinsame Aufgabe angesehen wird.

Neben den zahlreichen Einflussfaktoren auf individueller und familialer Ebene sind institutionelle Rahmenbedingungen mitentscheidend dafür, ob die Pflege innerhalb der Familie erfolgen kann bzw. muss. Wie Modell M1 zeigt, ist in Ländern mit einer gesetzlichen filialen Verpflichtung zur Pflege der Eltern bzw. zur Beteiligung an anfallenden Kosten das familiale Pflegeniveau viermal so hoch. In den mediterranen Ländern haben Pflegebedürftige oft erst dann einen Anspruch auf staatliche Unterstützung, wenn keine Angehörigen einspringen können (Millar/Warman 1996). Wie weitere, hier nicht in Tabellenform dokumentierte Analysen belegen, sind Kinder dort somit umso stärker gefordert. Sie übernehmen häufiger auch bei einer Erwerbstätigkeit die Pflege.

Neben der Verpflichtung der Kinder ist auch das Angebot an ambulanten Pflegeleistungen als Rahmenbedingung für die familiale Versorgung zu berücksichtigen (M2). In den untersuchten Ländern werden Eltern seltener in der Familie gepflegt, wenn ambulante Pflegeleistungen leicht zugänglich sind und die Inanspruchnahme hoch ist, wie z. B. in Schweden. In den südeuropäischen Ländern besteht zwar ebenfalls oft ein „Recht auf Pflege“, die entsprechenden Angebote sind jedoch weder ausreichend noch flächendeckend verfügbar (Da Roit 2007; Gori 2000; Rostgaard/Fridberg 1998). Die langen Wartelisten bei professionellen Anbietern weisen jedenfalls darauf hin, dass ein Ausbau dieser Pflegeangebote zu einem Rückgang der familialen Pflege führen könnte. Bereits heute wird in Italien aus Mangel an Alternativen häufig auf die Dienste von (illegalen) Migrantinnen aus Niedriglohnländern, so genannten „badanti“, zurückgegriffen (Da Roit 2007: 258 f.; Gori 2000: 267).

Dieser Befund spricht für die Substitutionsthese, aber auch für eine gemeinsame Verantwortung von Staat und Familie: Demnach entlasten die umfassenden Pflegeangebote die Familienmitglieder und erleichtern gegebenenfalls eine Entscheidung zugunsten der professionellen ambulanten Pflege. Diese ersetzt jedoch die familiale Unterstützung nicht, sondern ergänzt sie. Bei geeigneten privaten oder öffentlichen Pflegealternativen ziehen sich Kinder zwar häufiger aus der körperlichen Pflege zurück, sie übernehmen dann jedoch verstärkt die Organisation und Koordination der Pflege („Fallmanager“; vgl. Da Roit 2007: 259 f.; Daatland/Herlofson 2003a: 284). Die familiale Solidarität passt sich den neuen Umständen an, also einem vielfältigeren und umfassenderen Pflegeangebot. Schließlich verweist die geringe verbleibende Varianz auf LänderebeneFootnote 6 in den Mehrebenenmodellen darauf, dass die Länderunterschiede im Niveau der familialen Pflege weitgehend durch die institutionellen Rahmenbedingungen erklärt werden können.

In den untersuchten Ländern treten eine gesetzliche Verpflichtung und ein niedriges Angebot an ambulanten Pflegeleistungen meist gemeinsam auf, gleichzeitig werden in diesen Ländern Eltern häufiger von ihren Kindern gepflegt. Umgekehrt geht ein hohes Pflegeangebot mit geringen familialen Verpflichtungen und einer vergleichsweise seltenen Pflege in der Familie einher (s. Tabelle 1). Dieser Befund legt nahe, dass Pflegesysteme auf verschiedenen Säulen beruhen, wobei sich je nach politischem und kulturellem Hintergrund bestimmte Kombinationen durchsetzen.

Auf Basis der hier verwendeten Indikatoren bietet sich eine grobe Unterscheidung von zwei Ländergruppen an, nämlich ein familien- und ein servicebasiertes Pflegesystem. In den familienbasierten Pflegesystemen, wie den meisten mediterranen Ländern sowie Belgien, Deutschland, Frankreich und Österreich, liegt die Verantwortung für die Pflege der älteren Menschen vorwiegend bei den Angehörigen und wird von Seiten des Staates auch eingefordert. Eine umfassende ambulante Pflege hat in solchen politischen Systemen eine geringe Priorität, das Angebot ist entsprechend gering, und Ältere werden häufig in der Familie gepflegt.

In den servicebasierten Pflegesystemen, meist sozialdemokratisch geprägten Ländern, übernimmt hingegen der Staat deutlich stärker die Verantwortung für die Pflege der Älteren. Die allenfalls geringen gesetzlichen Verpflichtungen der Kinder gegenüber ihren Eltern werden durch ein umfassenderes Pflegeangebot ergänzt. Die in diesen Ländern weitgehend akzeptierten Alternativen zur familialen Pflege entlasten nicht nur die Angehörigen (Daatland/Herlofson 2003b), sondern sie erlauben und erleichtern die Entscheidung aller Beteiligten für oder gegen die Pflege im Kreis der Familie.

5. Fazit

Unter welchen Bedingungen werden Eltern von ihren Kindern gepflegt, und welchen Einfluss haben hierauf gesellschaftliche Rahmenbedingungen? Die empirischen Befunde haben einerseits gezeigt, dass die Pflegebeziehungen zwischen Kindern und Eltern von vielfältigen Faktoren abhängen. Neben den Opportunitäts-, Bedürfnis- und familialen Strukturen haben kulturell-kontextuelle Faktoren einen maßgeblichen Einfluss auf die Pflege von Angehörigen. Andererseits legen die Befunde nahe, dass die Konzentration auf einen einzigen Aspekt der institutionellen Rahmenbedingungen zu kurz greift.

In Ländern mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Pflege der Eltern, bspw. Griechenland, Spanien und Italien, werden wohlfahrtsstaatliche Leistungen erst dann gewährt, wenn die Pflege nicht von Angehörigen übernommen werden kann. Erwachsene Kinder sind dort demnach ungleich stärker gefordert als in Ländern wie Dänemark, Schweden, den Niederlanden oder der Schweiz, in denen der Zugang zu Pflegeleistungen weitgehend unabhängig von der familiären Situation gestaltet ist. Entsprechend ist das Niveau der intergenerationalen Pflege in den süd-, aber auch mitteleuropäischen Ländern wie Deutschland, Österreich und Frankreich höher, nicht zuletzt auch, da hier nur ein geringes Angebot an ambulanten Pflegeleistungen existiert.

Die Befunde zeigen, dass sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen institutionellen Rahmenbedingungen und der innerfamilialen Pflege nicht ohne weitere Differenzierungen beantworten lässt. Entscheidend ist nicht nur, in welchem Umfang ältere Menschen ambulante Unterstützung von öffentlichen oder privaten Einrichtungen erhalten, sondern auch, welche Leistungen von staatlicher Seite von Familienmitgliedern gefordert werden. Je geringer die Verpflichtungen und je leichter zugänglich die Alternativen zur familialen Pflege sind, desto weniger häufig werden Angehörige in der Familie gepflegt.

In den hier untersuchten Ländern stehen diese Faktoren in einem engen Zusammenhang, weshalb sich eine Unterscheidung in ein familien- und ein servicebasiertes Pflegesystem anbietet. In familienbasierten Pflegesystemen gehen umfassende filiale Verpflichtungen mit einer rudimentären Pflegeinfrastruktur sowie einem hohen Anteil der intergenerationalen Pflege einher. In den servicebasierten Systemen ist es genau umgekehrt: Flächendeckenden und leicht zugänglichen staatlichen Leistungen stehen geringe Verpflichtungen zwischen erwachsenen Kindern und Eltern und eine vergleichsweise seltenere Pflege in der Familie gegenüber. Dabei kann jedoch nicht von einer Gefährdung der familialen Solidarität durch wohlfahrtsstaatliche Angebote ausgegangen werden. Erwachsene Kinder ziehen sich zwar, wenn möglich, aus den medizinisch anspruchsvollen und zeitaufwendigen Pflegeaufgaben zurück. Sie übernehmen jedoch zunehmend organisatorische Aufgaben und fühlen sich (auch aus emotionaler Sicht) für das Wohlergehen ihrer Eltern mit verantwortlich.

Der demographische Wandel stellt öffentliche und private Pflegearrangements vor immer größere Herausforderungen. Vor dem Hintergrund des steigenden Anteils älterer Personen erscheint ein Ausbau der (staatlichen) ambulanten Pflege unabdingbar. Dies trägt zu einer angemessenen Versorgung der Älteren bei, entlastet aber auch die erwachsenen Kinder, insbesondere Töchter, die bislang ohne weitere Hilfe zu Hause gepflegt haben - und versetzt sie in die Lage, eigene Lebensentwürfe zu verfolgen. Immerhin sind bei den stark belastenden Pflegeaufgaben die Bedürfnisse und Möglichkeiten aller Familiengenerationen in den Blick zu nehmen. Damit können sich erwachsene Kinder im Sinne eines gelungenen Unterstützungsmixes auf die Aspekte der Generationensolidarität zu ihren Eltern konzentrieren, die ihnen besonders liegen und ihren Eltern am ehesten nutzen.