In der Wirtschaftsinformatik (WI) ist eine zunehmende Tendenz zur Internationalisierung festzustellen, wobei die von den USA ausgehende Fachrichtung Information Systems (IS) oftmals als Vorbild herangezogen wird. Mithilfe sprachstatistischer Auswertungen von deutsch- und englischsprachigen Fachzeitschriften werden Entwicklungen und Unterschiede der Disziplinen WI und IS herausgearbeitet. Die WI wendet sich aktuellen Entwicklungen konsequenter zu als die IS, unterliegt aber einer größeren Gefahr, Modewellen zu stark zu betonen. Die WI ist thematisch vielfältiger und konkreter als die IS.

Schlagwörter weisen in der IS ein höheres Abstraktionsniveau auf als in der WI. Dies kann als geringere Praxisnähe der IS interpretiert werden, aber auch als Stärke im Hinblick auf die Entwicklung allgemeingültiger Theorien.

1 Einleitung

Die Wirtschaftsinformatik (WI) beschäftigt sich mit der Erforschung und Entwicklung von Informationssystemen. Solche Informationssysteme bestehen aus den Komponenten Mensch (M), Aufgabe (A) und Technik (T) – siehe dazu z. B. die Ausführungen zur MAT-Systematik in Heinrich et al. (2007). Der Gegenstandsbereich der WI ist somit explizit festgelegt, trotzdem besteht nicht immer Einigkeit über die Forschungsschwerpunkte, Erkenntnisobjekte und Themen (Heilmann u. Heinrich 2006; Heinzl et al. 2001; König et al. 1995; Mertens u. Barbian 1999). Des Weiteren werden in der WI zentrale Begriffe zuweilen sehr unterschiedlich definiert, was die Bildung einer Fachsprache erschwert, und dies kann den Erkenntnisfortschritt negativ beeinflussen (Heinrich et al. 2007, S. 62; Mertens 2006b, S. 35).

Ein Grund für den mangelnden Konsens hinsichtlich der Forschungsthemen sowie Begriffsdefinitionen könnte sein, dass die WI im Vergleich zu naturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch zu schon länger etablierten human- und sozialwissenschaftlichen Fächern (z. B. Psychologie oder Soziologie), eine relativ junge Wissenschaft ist, existiert sie doch erst seit wenigen Jahrzehnten (Heinrich et al. 2007). Ein anderer Grund für die Themen- und Begriffsvielfalt mag darin liegen, dass die Informationstechnik, die eine zentrale Komponente des Erkenntnisobjekts der WI ist, in den vergangenen Jahrzehnten einem raschen Wandel unterlag (Fenn 1995), was zu einer ständigen Anpassung der Forschungsgegenstände geführt hat (Lange 2005).

Im Jahr 1995 stellte Mertens die Ergebnisse einer inhaltsanalytischen Betrachtung der Zeitschrift Computerwoche vor (Mertens 1995). Aus allen Überschriften der im Zeitraum 1975 bis 1994 publizierten Aufsätze wurden Schlagwörter dokumentiert und gezählt. Aus den resultierenden Längsschnittsdaten wurden Rückschlüsse auf die historische Entwicklung von Themenbereichen in der WI gezogen. Im Jahr 2006 präsentierte der gleiche Verfasser die Ergebnisse einer Folge-Untersuchung (Zeitschrift Computerwoche; Untersuchungszeitraum 1995 bis 2005). Zentrales Ergebnis beider Analysen ist, dass die WI in hohem Ausmaß von kurzfristig aktuellen Themen, oft mit Modecharakter, dominiert wird (Mertens 2006a; 2006b).

Neben der Auseinandersetzung mit Modethemen ist in der WI in den letzten Jahren eine Tendenz zur Internationalisierung feststellbar (Frank 2003). Insbesondere ist zu beobachten, dass sich die WI-Forschung verstärkt an jener ihrer angloamerikanischen Schwesterdisziplin Information Systems (IS) ausrichtet. Diese Tendenz ist aktuell Gegenstand wissenschaftlicher Diskurse (Becker 2008; Frank 2008; Kurbel 2008), unter anderem deshalb, weil zwischen der WI und IS beträchtliche Unterschiede bei den verfolgten Erkenntniszielen und verwendeten Forschungsmethoden bestehen, obgleich beide Disziplinen vom gleichen Gegenstandsbereich ausgehen. Während die WI vorrangig gestaltungsorientiert ist und vorwiegend deduktive Methoden, Fallstudien und Prototyping verwendet (Wilde u. Hess 2007), versucht die IS-Forschung primär, menschliches Verhalten bei der Entwicklung und Nutzung von Informationssystemen zu erklären, und dies erfordert – so jedenfalls nach Ansicht einer Mehrheit von IS-Vertretern – den Einsatz quantitativ-empirischer Methoden wie Befragungsstudien mit großer Stichprobe (Surveys) oder Experimente (Chen u. Hirschheim 2004).

2 Forschungsfragen

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Internationalisierung in der WIFootnote 1, die Begriffssystematik und die Entwicklung der Forschungsthemen in der WI sowie IS zu untersuchen. Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich zudem von den beiden vorhergehenden Studien von Mertens (2006a; 2006b) insofern, als versucht wird, einige Begrenzungen aufzuheben. Insbesondere soll durch ein breiteres Spektrum der untersuchten Fachzeitschriften die Validität der Aussagen erhöht werden. Des Weiteren sollen konkrete statistische Definitionen von Verlaufsmustern die Transparenz und Objektivität der Untersuchung erhöhen.

Die vier zentralen Forschungsfragen sind:

  1. 1.

    Welche Begriffe dominieren im Untersuchungszeitraum 1994 bis 2007 die WI und IS?

  2. 2.

    Welchen Entwicklungsmustern folgen die Themen in der WI und IS?

  3. 3.

    Welchen Entwicklungsmustern folgen die einzelnen Komponenten sowie die Dyaden der MAT-Systematik in der WI und IS?

  4. 4.

    Welche Implikationen haben die Ergebnisse zu den Fragen (1), (2) und (3) für die WI und IS?

Frage (1) ist von Interesse, weil eine präzise Begriffssystematik für den Bestand und die Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin unerlässlich ist (Chmielewicz 1994, S. 49 ff; Wohlgenannt 1969, S. 102 f). Für die WI ist diese Feststellung von Relevanz, unterliegt sie doch der Gefahr, (unreflektiert) Anglizismen sowie werblich gefärbte Begriffe der betrieblichen Praxis zu übernehmen. Dem Vergleich der vorherrschenden Begriffe der WI mit jenen der IS kommt eine hohe Bedeutung zu, da aus zahlreichen Untersuchungen hervorgeht, dass beide Disziplinen durch unterschiedliche Schwerpunkte bei den Forschungszielen (Gestaltung vs. Erklärung), epistemologischen Positionen (Interpretivismus vs. Positivismus) sowie Forschungsmethoden (Modellierung sowie Entwicklung und Test von Prototypen vs. Surveys und Experimente) gekennzeichnet sind (Chen u. Hirschheim 2004; Heinzl et al. 2001; König et al. 1995; 1996; Mingers 2003; Schauer u. Frank 2007; Schauer u. Schauer 2008; Vessey et al. 2002; Wilde u. Hess 2007). Die Analyse vorherrschender Begriffe ist zudem Voraussetzung, um das Ausmaß der in WI und IS bestehenden Vielfalt von Begriffen und Themen sowie deren Abstraktionsgrad zu untersuchen. Zum einen greifen wir die Diskussion zur Themenvielfalt auf, um damit einen Beitrag zu dem seit längerer Zeit geführten Diskurs über die Vorteile und Nachteile einer ausgeprägten thematischen Vielfalt zu leisten (z. B. Benbasat u. Weber 1996; Krcmar 1999), zum anderen bringt die Auseinandersetzung mit dem Abstraktionsgrad Einsichten in den Theorie- bzw. Praxisfokus einer Disziplin, wobei wir davon ausgehen, dass ein Theoriefokus mit einem hohen Abstraktionsgrad und ein Praxisfokus mit einem hohen Konkretisierungsgrad einhergeht. Frage (2) erscheint uns wichtig, weil in den beiden älteren Studien nur die Praktikerzeitung Computerwoche untersucht wurde. Es stellt sich die Frage, ob die Analyse von Fachzeitschriften zu einer gleich hohen Dominanz von Moden führt. Frage (3) ist von Interesse, weil sowohl die WI als auch die IS das MAT-System als zentralen Forschungsgegenstand fokussieren (Heinrich et al. 2007; Laudon u. Laudon 2002). Es soll untersucht werden, wie sich die thematische Auseinandersetzung mit den drei Komponenten M, A und T sowie deren Dyaden M-A, M-T und A-T in der WI und IS verändert hat. Dadurch werden, unter Zugrundelegung eines verbreiteten theoretischen Bezugsrahmens, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Disziplinen auf abstraktem Niveau im Zeitablauf erkennbar. Schließlich ist ein Vergleich der Entwicklungsmuster von vorherrschenden Themen in der WI und IS wichtig, um Anhaltspunkte für die zukünftige Entwicklung der beiden Disziplinen zu erhalten (Frage 4).

3 Aufbau der Arbeit

Die weiteren Inhalte unserer Abhandlung sind wie folgt gestaltet: Wir beginnen mit der Darstellung der gewählten Forschungsmethode, wobei eine Zweiteilung in Datenerhebung und Datenanalyse vorgenommen wird (Abschnitt 4). Danach werden in Abschnitt 5 fünf idealtypische Verläufe beschrieben, die verschiedene Entwicklungsmuster von Themen abbilden (Trends, Negativ-Trends, Moden, wiederkehrende Moden und oszillierende Themen). In Abschnitt 6 erfolgt die Präsentation der Ergebnisse zu den Forschungsfragen (1), (2) und (3). In Abschnitt 7 diskutieren wir mögliche Implikationen der Ergebnisse für die WI und IS und adressieren somit Forschungsfrage (4). In Abschnitt 8 werden Limitationen unserer Untersuchung erläutert. Der Beitrag wird in Abschnitt 9 durch ein Fazit und einen Ausblick abgeschlossen.

4 Forschungsmethode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eine Dokumentenanalyse durchgeführt, die das Ziel hat, Aussagen zum Inhalt eines Dokuments zu machen (Lisch u. Kriz 1978; Mayring 2003; Krippendorff 2004). Die Dokumentenanalyse ist daher geeignet, die in der Fachliteratur genannten Begriffe sowie die Entwicklungsmuster von Themenbereichen zu untersuchen (vgl. dazu auch die beiden kürzlich erschienen Beiträge von Chen et al. (2008) und Sidorova et al. (2008)). Die Analyseeinheiten in der vorliegenden Studie sind Wörter (z. B. Outsourcing) sowie Wortkombinationen (z. B. Enterprise Resource Planning) (Diekmann 2006, S. 488 f; Hugl 1995, S. 30). Der vorliegenden Studie liegt die Prämisse zugrunde, dass die Häufigkeit der Nennung von Begriffen einen Rückschluss auf deren Bedeutung in der Forschung zu einem bestimmten Zeitpunkt zulässt. Kommt beispielsweise in einem Jahr der Begriff Outsourcing überdurchschnittlich häufig vor, so wird angenommen, dass das Thema Outsourcing eine hohe Bedeutung in der Forschung aufweist.

4.1 Datenerhebung

Um Aussagen zu Begriffen und Themen der WI und IS zu machen, wurden insgesamt acht Fachzeitschriften untersucht. Wir haben drei WI-Zeitschriften (WIRTSCHAFTSINFORMATIK, HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik sowie Information Management & Consulting) sowie fünf IS-Zeitschriften (MIS Quarterly, Information Systems Research, Information Systems Journal, Information & Management sowie Communications of the ACM) ausgewählt.Footnote 2 (In der WIRTSCHAFTSINFORMATIK werden vereinzelt englischsprachige Aufsätze publiziert, die in der vorliegenden Studie als WI-Beiträge gewertet wurden.)

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von August 1994 bis Dezember 2007. Nicht-relevante Rubriken wie beispielsweise Rezensionen und Buchbesprechungen wurden ausgeklammert. Die Recherche führte zur Identifikation von 2.564 WI-Beiträgen und 5.647 IS-Beiträgen. Für jeden Aufsatz haben wir aus (i) Titel, (ii) Zusammenfassung bzw. Abstract und (iii) Keywords Begriffe identifiziert, die zusammen mit deskriptiven Daten (Autor, Titel, Zeitschrift, Monat und Jahr des Erscheinens) als Stichwörter in einer Datenbank gespeichert wurden. Die Feststellung der thematischen Ausrichtung eines Aufsatzes auf Basis seines Titels, Abstracts sowie der Keywords ist eine vielfach praktizierte Vorgehensweise, die zu zuverlässigen Forschungsergebnissen führt (Alavi u. Carlson 1992; Farhoomand u. Drury 1999; Palvia et al. 1996; Swanson u. Ramiller 1993). Ein Grund für die Wahl unseres Forschungsdesigns war, dass die alternative Vorgehensweise zu der von uns praktizierten – das Lesen des Volltextes und die nachfolgende interpretative Festlegung des Themas – für eine dritte Person weniger nachvollziehbar sein kann. Nach Dokumentation der Daten wurde eine Bereinigung der Stichwörter durchgeführt, bei der wir unterschiedliche Schreibweisen (z. B. Singular/Plural, Bindestriche, Groß- und Kleinschreibung) vereinheitlichten. In der WI wurden für die drei Fachzeitschriften 10.488 Stichwörter dokumentiert, in der IS für die fünf Journale 11.473 Stichwörter (nach Bereinigung).

4.2 Datenanalyse

Zentraler Bestandteil inhaltsanalytischer Untersuchungen ist die Zuordnung von Wörtern und/oder Wortkombinationen zu Kategorien (Mayring 2003). In der WI (Herzwurm u. Stelzer 2008; Lange 2005) sowie in der IS (Barki et al. 1988; 1993) existieren Kategoriensysteme für die Klassifikation wissenschaftlicher Aufsätze. Die Anwendung dieser Systeme im Rahmen der vorliegenden Untersuchung stellte sich als nicht zweckmäßig heraus, weil sie einen zu hohen Abstraktionsgrad aufweisen und/oder nur in einer Sprache verfügbar sind. Zur zuverlässigen Beantwortung der Forschungsfragen (1) und (2) wird jedoch hier ein weniger abstraktes Klassifikationssystem in deutscher und englischer Sprache benötigt. Wir entwickelten daher induktiv aus den dokumentierten Stichwörtern ein hierarchisches Kategoriensystem (Atteslander 2006); Bortz u. Döring 2006; Hugl 1995; Mayring 2003). Das Kategoriensystem wurde von der Erstautorin dieses Beitrags gemeinsam mit sechs WI-Diplomanden entwickelt (Steininger u. Riedl 2009).

Stichwörter wurden gemeinsam mit deren Akronymen, Synonymen und Übersetzungen zu Schlagwörtern zusammengefasst und bilden eine Ebene in der Hierarchie (z. B. „G-1 IT Security, IT-Sicherheit“ in Abb. 1, links). Der hierarchische Aufbau des Kategoriensystems ist bedeutsam, weil dadurch sowohl die Analyse von Themenbereichen als auch einzelner Schlagwörter möglich ist. Schlagwortabfragen in unserer Datenbank haben das Ziel, Aussagen zur Häufigkeit von Begriffen (inklusive deren Akronymen, Synonymen und der Übersetzung) zu treffen (z. B. Schlagwortabfrage IT-Sicherheit: G-1 in Abb. 1, links). Schlagwortabfragen ermöglichen somit die Beantwortung von Forschungsfrage (1). Bereichsabfragen haben hingegen das Ziel, Erkenntnisse über die Entwicklung eines ganzen Themenbereiches zu gewinnen (z. B. Bereichsabfrage IT-Sicherheit: G-1 + G-1–1 + G-1–1-1 + G-1–2 + G-1–3 + G-1–4 in Abb. 1, rechts). Bereichsabfragen erlauben somit die Beantwortung von Forschungsfrage (2).

Im unteren Teil von Abb. 1 ist die zeitliche Entwicklung des Schlagworts IT-Sicherheit/Security sowie des Themenbereichs IT-Sicherheit auf Basis aller acht Fachzeitschriften dargestellt. Auf der y-Achse haben wir den relativen Anteil an Aufsätzen aufgetragen, in denen ein bestimmtes Schlagwort vorkommt (als „Relative Häufigkeit“ bezeichnet). Beispielsweise erscheint im Jahr 2004 das Schlagwort IT-Sicherheit in knapp drei Prozent aller untersuchten Beiträge (Abb. 1, links).

Abb. 1
figure 1

Schlagwort- und Bereichsabfrage am Beispiel IT-Sicherheit (WI und IS)

Um Forschungsfrage (3) beantworten zu können, wurden jeweils – auf Basis von Schlagwortabfragen – die 100 in der WI und IS am häufigsten genannten Begriffe hinsichtlich ihres thematischen Schwerpunktes in die Klassen M, A und T sowie deren Dyaden M-A, M-T sowie A-T zugeordnet. Von der Zuordnung ausgenommen waren 13 Begriffe, die sich auf Forschungsmethoden (z. B. Fallstudie in der WI oder structural equation modeling in der IS) und Disziplinenbezeichnungen (z. B. management science oder computer science in der IS) beziehen. Die Klassifizierung erfolgte durch die Erstautorin und den Zweitautor des vorliegenden Beitrags, die unabhängig voneinander die Zuordnung der 187 Begriffe zu den sechs Klassen durchführten. In 20 Fällen gab es keine Übereinstimmung. Zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität wurde der Cohens-Kappa-Koeffizient (Cohen 1960) herangezogen. Dieser Wert gibt das Ausmaß der Übereinstimmung der Kodierung zwischen zwei Personen an, wobei bei der Berechnung die Möglichkeit der zufälligen Übereinstimmung bereits berücksichtigt ist. Nach Landis u. Koch (1977) sind Werte für den Cohens-Kappa-Koeffizienten im Bereich 0,61 bis 0,80 „substantial“ und Werte darüber „almost perfect“. Der Wert des Cohens-Kappa-Koeffizienten belief sich für die 187 klassifizierten Stichwörter auf 0,89 [p o = 1(20/187) sowie p c = 1/36; vgl. Cohen 1960, S. 40] – das Ergebnis der Kodierung ist somit in hohem Ausmaß zuverlässig.

5 Idealtypische Verlaufsmuster

Forschungsfrage (2) dieses Beitrags lautet: Welchen Entwicklungsmustern folgen die Themen in der WI und IS? In Fortführung der Studie von Mertens (1995) wurden daher idealtypische Verläufe von (i) Trends, (ii) Negativ-Trends, (iii) Moden, (iv) wiederkehrenden Moden und (v) oszillierenden Themen definiert.

Die Prüfung, ob ein Thema einem idealtypischen Verlauf entspricht, wurde auf Basis von standardisierten Prozentwerten (so genannten z-Werten) durchgeführt. Bei dieser Standardisierung handelt es sich um eine Form der linearen Transformation, bei der man Werte erhält, deren Mittelwert =0 und deren Standardabweichung s=1 ist (Bortz 2005, S. 45). Die Standardisierung wurde durchgeführt, um den Vergleich von Entwicklungsmustern zu ermöglichen, die auf sehr unterschiedlichen relativen Häufigkeiten von Themenbereichen beruhen. Diese relativen Häufigkeiten von Themenbereichen in einzelnen Jahren reichen von 0 Prozent (z. B. XML vor dem Jahr 1999 in den drei WI-Zeitschriften) bis 32 Prozent (Technology im Jahr 2001 in den fünf IS-Journalen).

In Abb. 2 sind idealtypische Verläufe von (i) Trends, (ii) Negativ-Trends, (iii) Moden, (iv) wiederkehrenden Moden und (v) oszillierenden Themen inklusive der jeweiligen linearen Regressionsgeraden f(x)=kx+d dargestellt, wobei k die Steigung der Geraden und d den Abstand zwischen dem Koordinatenursprung und dem Schnittpunkt zwischen der Geraden und der y-Achse angeben. Im Folgenden werden formale Kriterien definiert, anhand derer konkrete Entwicklungsmuster von Themen den idealtypischen Verläufen zugeordnet werden können. Lässt sich ein Entwicklungsmuster keinem der idealtypischen Verläufe (i) bis (v) zuweisen, so gruppieren wir in die Klasse „Sonstiges“.

Abb. 2
figure 2

Idealtypische Verlaufsmuster

Bei der Definition formaler Kriterien wird im Folgenden auf das Bestimmtheitsmaß R 2 der linearen Regressionsgeraden Bezug genommen; es gilt: 0≤R 2≤1. Diese Kennzahl gibt die Stärke des linearen Zusammenhangs zwischen x (Zeit) und y (standardisierter relativer Anteil an Beiträgen, in denen ein bestimmtes Schlagwort vorkommt) an. Ein R 2 in Höhe von 0,7 bringt beispielsweise zum Ausdruck, dass 70 Prozent der Varianz von y durch den linearen Zusammenhang zwischen x und y beschrieben werden können. Die restlichen 30 Prozent der Varianz sind durch den linearen Zusammenhang nicht zu erklären. Mit anderen Worten: R 2 gibt an, wie gut sich die lineare Regressionsgerade an die Datenpunkte anpasst (Bortz 2005, S. 209 f).

5.1 Trend

Die formalen Kriterien für die Zuordnung eines Entwicklungsmusters zum idealtypischen Verlauf eines Trends haben wir wie folgt festgelegt: (i) k>0 (dies bringt das Ansteigen der Aktualität des Themenbereichs zum Ausdruck); (ii) kein Rückgang der Aktualität des Themenbereichs in mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren und (iii) R 2>0,5.

Abb. 3 zeigt beispielhaft einen Trend aus der IS, nämlich das Thema trust. Die drei Kriterien sind erfüllt, weil (i) k=0,1774; (ii) die Aktualität des Themenbereichs zwar in den Jahren 1997, 1999, 2001, 2002, 2005 und 2007 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr zurückgeht, jedoch kein Rückgang in mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren feststellbar ist; (iii) R2=0,5111.

Abb. 3
figure 3

Verlauf eines IS-Trends (trust)

5.1 Negativ-Trend

Die formalen Kriterien für die Zuordnung eines Entwicklungsmusters zum idealtypischen Verlauf eines Negativ-Trends haben wir wie folgt definiert: (i) k<0 (dies bringt den Rückgang der Aktualität des Themenbereichs zum Ausdruck); (ii) kein Anstieg der Aktualität des Themenbereichs in mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren und (iii) R 2>0,5.

Abb. 4 zeigt beispielhaft einen Negativ-Trend aus der WI, nämlich den Themenbereich Datenbank. Die drei Kriterien sind wiederum erfüllt, weil (i) k=0,1841; (ii) die Aktualität des Themenbereichs zwar in den Jahren 1996, 1997, 2000 und 2002 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr ansteigt, jedoch kein Anstieg in mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren feststellbar ist; (iii) R2=0,5510. Claver et al. (2000, S. 184) haben festgestellt, dass das Thema Database in der IS ebenfalls einem Negativ-Trend folgt (Zeitraum 1981 bis 1997).

Abb. 4
figure 4

Verlauf eines WI-Negativ-Trends (Datenbank)

5.3 Mode

Die formalen Kriterien für die Zuordnung eines Entwicklungsmusters zum idealtypischen Verlauf einer Mode wurden wie folgt gewählt: (i) zwei aufeinander folgende Datenpunkte, für die gilt: z-Wert t0 ≥1,5 und z-Wert t±1 ≥0,5 (dies bringt die Hochblüte des Themas zum Ausdruck); (ii) für einen nachfolgenden Datenpunkt gilt: z-Wert<0,5 binnen längstens drei Jahren nach der Hochblüte des Themas (Abflauen des Modethemas) und (iii) R 2≤0,5.

Abb. 5 zeigt beispielhaft eine Mode aus der WI, nämlich den Themenbereich e-Commerce. Die drei Kriterien sind erfüllt, weil (i) im Jahr 2001 der z-Wert in Höhe von 2,2 größer als 1,5 und im Jahr 2000 der z-Wert in Höhe von 1,5 größer als 0,5 ist (bzw. ist im Jahr 2002 der z-Wert in Höhe von 0,6 ebenfalls größer als 0,5); (ii) bereits im Jahr 2003 der z-Wert in Höhe von −1,0 kleiner als 0,5 ausfällt; (iii) R 2=0,0112.

Abb. 5
figure 5

Verlauf einer WI-Mode (e-Commerce)

5.4 Wiederkehrende Mode

Die formalen Kriterien für die Zuordnung eines Entwicklungsmusters zum idealtypischen Verlauf einer wiederkehrenden Mode haben wir wie folgt definiert: (i) zwei aufeinander folgende Datenpunkte, für die gilt: z-Wert t0 ≥1,5 und z-Wert t±1 ≥0,5 (Hochblüte des Themas); (ii) für einen nachfolgenden Datenpunkt gilt: z-Wert<0,5 binnen längstens drei Jahren nach der Hochblüte des Themas (Abflauen der Mode); (iii) mindestens ein weiterer Datenpunkt, der nicht in der Hochblüte des Themas liegt, für den gilt: z-Wert≥0,5 (weitere Blüte der Thematik) und (iv) R 2≤0,5. Es sei angemerkt, dass wiederkehrende Moden eine steigende (k>0, siehe Abb. 6) und fallende (k<0, siehe Abb. 2) Tendenz haben können.

Abb. 6 zeigt beispielhaft eine wiederkehrende Mode aus der WI, nämlich den Themenbereich Mobile Commerce. Die vier Kriterien sind erfüllt, weil (i) im Jahr 2001 der z-Wert in Höhe von 2,7 größer als 1,5 und im Jahr 2000 der z-Wert in Höhe von 1,4 größer als 0,5 ist; (ii) bereits im Jahr 2002 der z-Wert in Höhe von 0,1 kleiner als 0,5 ist; (iii) im Jahr 2006 ein Datenpunkt außerhalb der Hochblüte existiert, dessen z-Wert in der Höhe von 0,9 größer als 0,5 ist; (iv) R2=0,0743.

Abb. 6
figure 6

Verlauf einer wiederkehrenden Mode in der WI (Mobile Commerce)

5.5 Oszillierendes Thema

Was die formalen Kriterien für die Zuordnung eines Entwicklungsmusters zum idealtypischen Verlauf eines oszillierenden Themas betrifft, so haben wir folgende Definition festgelegt: (i) jeweils mindestens zwei, nicht unmittelbar aufeinander folgende Datenpunkte, für die gilt: z-Wert>0,8 bzw. z-Wert<0,8 (markante Ausreißer nach oben bzw. nach unten); (ii) 0,1≤k≤0,1 (langfristig gleich bleibende Bedeutung des Themenbereichs); (iii) R 2≤0,5 und (iv) keiner der markanten Ausreißer nach oben darf die formalen Kriterien (i) und (ii) einer Mode erfüllen.

Abb. 7 zeigt beispielhaft den Verlauf eines oszillierenden Themas aus der IS, nämlich organizational learning. Die vier Kriterien sind erfüllt, weil (i) in den Jahren 1994, 1998 und 2001 markante Ausreißer nach oben mit z-Werten größer 0,8 und in den Jahren 1995, 2002 und 2006 solche nach unten mit z-Werten kleiner 0,8 vorliegen; (ii) k=0,0851; (iii) R2=0,1178; (iv) keiner der markanten Ausreißer in den Jahren 1994, 1998 und 2001 das Kriterium (i) einer Mode (z-Wert t0 ≥1,5 undz-Wert t±1 ≥0,5) erfüllt.

Abb. 7
figure 7

Verlauf eines oszillierenden Themas in der IS (organizational learning)

6 Ergebnisse

6.1 Welche Begriffe dominieren die WI und IS?

In Tab. 1 sind die dominierenden Schlagwörter der WI und IS zusammenfassend aufgelistet (Top-50-Ränge).Footnote 3 Man erkennt zunächst, dass zehn der 50 meistgenannten Schlagwörter aus der WI und IS in beiden Sprachräumen auftreten (das sind die mit einem Stern <*>gekennzeichneten): e-Commerce, Electronic Data Interchange (EDI), Enterprise Resource Planning (ERP), Informationsmanagement (IM), Informationstechnologie (IT), Internet, IT-Sicherheit, Outsourcing, Software-Entwicklung und Wissensmanagement. Eine Schlussfolgerung aus diesem Ergebnis ist, dass es zwischen der WI und IS eine gemeinsame thematische Basis gibt.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass die Schlagwörter der IS tendenziell einen höheren Abstraktionsgrad aufweisen als jene der WI. So finden sich in der WI mehrere Begriffe mit niedrigem Abstraktionsniveau (z. B. XML, ITIL oder Balanced Scorecard). In der IS hingegen dominieren Begriffe auf sehr hohem Abstraktionsniveau (z. B. computer, software oder technology), was sich mit den Ergebnissen einer inhaltsanalytischen Untersuchung zum „Intellectual Core of the IS Discipline“ deckt (Sidorova et al. 2008). Das Ergebnis passt zudem in das Bild der Erkenntnisziele von WI und IS. Während in der WI der Fokus auf Gestaltungszielen liegt, was in der Regel mit der konkreten Bearbeitung einer Thematik einhergeht, liegt in der IS der Fokus auf Erkenntniszielen, was Forscher dazu anhält, allgemeingültige Theorien zu entwickeln; und dies erfordert eine Abstraktion vom Konkreten (Frank et al. 2008; Heinrich et al. 2007, S. 343).

Wie unsere Ergebnisse auch zeigen, sind die relativen Häufigkeiten der Top-50-Schlagwörter der IS beträchtlich höher als jene der WI (Tab. 1). Beispielsweise findet man in der WI den Begriff mit der höchsten Häufigkeit, nämlich Internet, in 4,26 Prozent aller untersuchten Beiträge, während der Top-Begriff der IS, information technology (IT), in 19,66 Prozent der Aufsätze vorkommt. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass zentrale Begriffe der IS in einem höheren Ausmaß in der Fachliteratur verwendet werden als in der WI. Die konsequente Verwendung zentraler Begriffe ist Voraussetzung für die Etablierung einer kumulativen Forschungstradition (Keen 1980, S. 14).

Tab. 1 zeigt zudem, dass 26 der 50 meistgenannten Schlagwörter der WI englischsprachige Begriffe sind (wobei jene Schlagwörter, die aus einem deutschsprachigen sowie einem englischsprachigen Teil bestehen, z. B. Software-Entwicklung, nicht als Anglizismus gewertet wurden). Das entspricht einem Anglizismen-Anteil von 52 Prozent. Dieser Wert relativiert sich durch die Tatsache, dass für manche Anglizismen deutschsprachige Äquivalente fehlen (z. B. Internet).

Unter den 50 meist genannten Schlagwörtern der WI findet sich eine Vielzahl von Begriffen, die dem Informationsmanagement (z. B. Wissensmanagement, Geschäftsprozessmanagement, ITIL, Change Management) sowie der Architektur und Modellierung (Geschäftsprozess-Modellierung, Serviceorientierte Architektur, Referenzmodell, Vorgehensmodell) zuzuordnen sind (Heinrich 2002; Krcmar 2006). Die in der vorliegenden Studie präsentierten Ergebnisse replizieren somit die Befunde existierender inhaltsanalytischer Untersuchungen in der WI (z. B. Heidecke et al. 2005; Herzwurm u. Stelzer 2008).

Tab. 1 Top-50-Schlagwörter in WI und IS

6.2 Welchen Entwicklungsmustern folgen die Themen in der WI und IS?

Auf Basis von Bereichsabfragen (vgl. Abb. 1) wurden die Entwicklungsmuster der Top-50-Schlagwörter im Zeitraum 1994 bis 2007 rekonstruiert. Anschließend wurden die Entwicklungsmuster mit den formalen Kriterien der idealtypischen Verläufe verglichen, um so die Verbreitung von Trends, Negativ-Trends, Moden, wiederkehrenden Moden, oszillierenden Themen und sonstigen Verlaufsmustern zu ermitteln. In Tab. 1 ist angegeben, welches Schlagwort welchem der idealtypischen Verläufe entspricht. In Abb. 8 ist das Ergebnis der Analyse in aggregierter Form dargestellt.

In der WI existiert unter den Top-50-Schlagwörtern lediglich ein Trend, nämlich Business Intelligence (vgl. Abb. 8 und die Ausführungen in Abschnitt 8). Das Ergebnis dieser Studie repliziert somit die Befunde einer Untersuchung von Heilmann u. Heinrich (2006, S. 106), die festgestellt haben, dass sich bei den Erkenntnisobjekten der WI kaum Trends erkennen lassen. In der IS findet sich ebenfalls nur ein Trend, nämlich trust. Sidorova et al. (2008) haben trust ebenfalls als zentrales Thema der IS-Forschung identifiziert (Zeitraum 2002 bis 2006). Bedenkt man, dass (i) im Jahr 2008 in der Zeitschrift Journal of Management Information Systems ein Schwerpunktheft zum Thema „Trust in Online Environments“ publiziert wurde und (ii) sich Anfang 2009 ein Call for Papers bei MIS Quarterly der Thematik „Novel Perspectives on Trust in Information Systems“ widmete, so ist es wahrscheinlich, dass der Forschungsgegenstand trust auch in den nächsten Jahren hohe Bedeutung haben wird.

Abb. 8
figure 8

Verbreitung von Verlaufsmustern

Sowohl in der WI als auch in der IS ist der Anteil an Negativ-Trends mit 6 bzw. 10 Prozent gering. Der Anteil an Moden liegt in der WI bei 28 Prozent. Zu den Modethemen der WI gehören beispielsweise e-Commerce, e-Business, XML, Multimedia und CRM. In der IS gibt es hingegen keine einzige Mode. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer von Frank et al. (2008) kürzlich publizierten Interviewstudie, die besagen, dass die WI und IS gleichermaßen von Moden beeinflusst werden. Zu Beginn ihres Beitrags formulieren Frank et al. – auf Basis plausibler Argumente – die These, dass die WI in höherem Ausmaß als die IS Modethemen bearbeitet („WI research is more susceptible to short-lived topics“, S. 397). Im Ergebnis stellen die Autoren jedoch fest, dass sowohl die WI als auch die IS von Modethemen beeinflusst werden – es besteht somit kein Unterschied zwischen beiden Disziplinen. Ein möglicher Grund für diese selbst von Frank et al. nicht erwarteten Ergebnisse („The proposition of IS research being less susceptible to fads than WI research could not be supported“, S. 403) liegt in der Tatsache, dass die der Thesenprüfung zugrunde liegenden Daten nicht ausreichend repräsentativ, generalisierbar und objektiv sind („our approach is likely to cause three main objections“, S. 395). Die von uns präsentierte Untersuchung leistet daher einen Beitrag, einige Begrenzungen der Studie von Frank et al. aufzuheben, weil wir ein quantitatives Design auf Basis sekundärstatistischer Daten verwenden.

In der IS finden sich im Vergleich zur WI deutlich mehr oszillierende Themen (28 vs. 14 Prozent) sowie wiederkehrende Moden (42 vs. 20 Prozent). In der WI weisen 18 Prozent der wiederkehrenden Moden eine steigende und 82 Prozent eine fallende Tendenz auf, in der IS sind 43 Prozent steigend und 57 Prozent fallend (Tab. 1, steigend <▲>und fallend <▼>). Der Anteil an Entwicklungen, die keinem der fünf definierten Verlaufsmuster folgen, beträgt in der WI 30 Prozent und in der IS 18 Prozent. In der WI weisen 60 Prozent der in die Klasse „Sonstiges“ gruppierten Themen eine steigende und 40 Prozent eine fallende Tendenz auf, in der IS sind 22 Prozent steigend und 78 Prozent fallend.

6.3 Welchen Entwicklungsmustern folgen die einzelnen Komponenten sowie die Dyaden der MAT-Systematik in der WI und IS?

Bisher haben wir die Ergebnisse zu den Begriffen und Themen in der WI und IS mit einem hohen Detaillierungsgrad präsentiert (vgl. Tab. 1). Um die Ergebnisse auch auf abstraktem Niveau darzustellen, wurden die 100 häufigsten Begriffe in der WI sowie IS jeweils einer der Klassen M, A, T, M-A, M-T oder A-T zugeordnet (die genaue Vorgehensweise wurde bereits in Abschnitt 4.2 erläutert). Tab. 2 zeigt, dass in der WI und IS jeweils die Dyade A-T dominant ist (31 Prozent). Beträchtliche Unterschiede zwischen der WI und IS gibt es bei der Komponente T (WI>IS) sowie der Dyade M-T (IS>WI); diese Ergebnisse spiegeln die unterschiedlichen Forschungstraditionen in der WI (konstruktionsorientiertes Paradigma) und IS (Behaviorismus) wider.

Hinsichtlich der Entwicklungsmuster wurde für den Zeitraum 1994 bis 2007 sowohl für die WI als auch für die IS für jede der sechs Klassen die Funktion der linearen Regressionsgeraden berechnet. Von besonderem Interesse ist hierbei die Steigung k der Geraden (vgl. Abschnitt 5), weil damit zum Ausdruck gebracht wird, ob die Bedeutung einer Klasse im Untersuchungszeitraum zu- oder abgenommen hat. Wie die Ergebnisse in Tab. 2 zeigen, haben in der WI zwei Klassen im Untersuchungszeitraum an Bedeutung gewonnen. Die Klasse M-A hat marginal an Stellenwert gewonnen (k=0,0507), die Klasse A-T hingegen beträchtlich (k=1,3622). Bemerkenswert ist zudem, dass erstens in der WI kein einziges der 100 Stichwörter der Klasse M zugeordnet werden konnte, und zweitens entwickelte sich die Bedeutung aller anderen Klassen mit Ausnahme von A-T in der WI und IS gleich, das heißt, die Relevanz der Klassen hat entweder in beiden Disziplinen abgenommen (A, T, M-T) oder zugenommen (M-A). Eine Schlussfolgerung aus diesem Ergebnis ist, dass die Entwicklung von WI und IS bei abstrakter Betrachtung beträchtliche Parallelen aufweist, auch wenn die Entwicklung konkreter Themenbereiche, wie in Abschnitt 6.2 dargestellt, in vielen Fällen unterschiedlich verläuft.

Tab. 2 Ergebnis nach MAT-Systematik

7 Implikationen der Ergebnisse für die WI und IS

Die zentralen Ergebnisse der vorliegenden Studie sind: (i) die Vielfalt der verwendeten Begriffe ist in der WI höher als in der IS, (ii) die WI ist stark von Moden geprägt, (iii) sowohl in der WI als auch in der IS konnte jeweils lediglich ein Trend festgestellt werden und (iv) in der IS gibt es mehr Negativ-Trends, wiederkehrende Moden und oszillierende Themen als in der WI (vgl. dazu die Verlaufsmuster in Abschnitt 5). Im Folgenden werden Implikationen dieser Ergebnisse für die WI und IS erläutert.

7.1 Begriffs- und Themenvielfalt

Im Durchschnitt wurden im Zuge der Analyse von Titel, Abstract und Keywords für einen WI-Artikel 4,09 Stichwörter dokumentiert, für einen IS-Artikel waren es lediglich 2,03. Ein zentraler Befund der vorliegenden Untersuchung ist daher, dass die Vielfalt der verwendeten Begriffe in der WI um den Faktor 2,01 höher ist als in der IS.

In der IS wird seit längerer Zeit eine Debatte über die Chancen und Risiken einer ausgeprägten thematischen Vielfalt geführt (siehe z. B. Vessey et al. 2002). Es wurden in der Vergangenheit mehrfach Befürchtungen geäußert, ein fehlender thematischer Kern könnte dazu führen, dass die Disziplin oder wesentliche Teile davon von ihren Nachbardisziplinen (z. B. Informatik, Betriebswirtschaft oder Psychologie) einverleibt werden. Benbasat u. Weber (1996, S. 389–397) schreiben beispielsweise:

“[W]e need to rethink whether the discipline can continue to exist as the loose confederation of different interest areas [...] in our view diversity has now taken us to a state where (a) we have difficulty distinguishing ourselves from others who are bigger and more powerful, and (b) our intellectual contributions, at best, are deemed problematical by our colleagues in other disciplines. We run the risk, therefore, that diversity will be the miasma that spells the demise of the discipline [...] it is needed to articulate the core of the discipline.“

Banville u. Landry (1989, S. 48) üben ähnliche Kritik. Die Vielfalt von Gegenständen, die insbesondere ein Ergebnis der kurzen „Halbwertszeit“ von einzelnen Themen ist, kommentieren sie pointiert mit der Bezeichnung „gadget of the week“ – die beiden Autoren stellen also die sarkastisch gemeinte Frage, was die nächste „Spielerei der Woche“ sein wird. In Anlehnung an Kuhn (1962) könnte man argumentieren, dass Wissenschaftler ihr Paradigma im Sinne eines thematischen Leitbilds insbesondere dann verlassen, wenn dieses nicht mehr zur Erreichung gesteckter Ziele beitragen kann (z. B. Chance auf Drittmittel oder Veröffentlichung in einer so genannten Top-Zeitschrift).

Wenn die Vertreter der WI und IS den Grad der Vielfalt von Themen festlegen, an dem sich die Disziplin in Zukunft orientieren soll, so ist eine sorgfältige Abwägung der Argumente dafür und dagegen notwendig. Insbesondere sind drei Vorzüge zu nennen: Erstens fördert Vielfalt die Kreativität, zweitens erhöht sie die Chance auf Drittmittel aus Forschungsförderungseinrichtungen sowie der Privatwirtschaft und drittens trägt sie dem Prinzip der akademischen Freiheit Rechnung – „If academia stands for anything, it stands for the freedrom to pursue problems and exploit opportunities for expanding knowledge“ (Robey 1996, S. 404).

Krcmar (1999, S. 186 f) tritt, so wie Robey (1996) in der IS, für eine ausgeprägte Themenvielfalt in der WI ein, insbesondere deshalb, weil es in einer Wissenschaftsdisziplin – im Gegensatz zu Unternehmen – kein Top-Management gibt, das die zukünftige Ausrichtung (also die thematischen Schwerpunkte) festlegt:

„Während im Unternehmen die Festlegung eines Leitbildes als die Aufgabe der strategischen Führung begriffen werden kann, weil sie zugleich sinnstiftend und rahmensetzend wirkt, ist doch sehr fraglich, inwieweit sich Wissenschaftsdisziplinen nicht besser statt einer einheitlichen strategischen Führung dem Ziel der Varietät verschreiben sollten. Dann ist der Vorschlag EINES Leitbildes für DIE Wirtschaftsinformatik sicher nicht müßig, aber eben als Ansatzpunkt zum Diskurs und nicht als Auslöser, endlich wieder einen Einigungsprozess aller Fachvertreter zu einem positiven Ende zu bringen.“ (Blockbuchstaben im Original)

Ungeachtet der Plädoyers für Themenvielfalt bleiben aber zwei Aufgaben der Binnenorganisation von Fachgemeinschaften wie beispielsweise der Wissenschaftlichen Kommission Wirtschaftsinformatik im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB) oder der Association for Information Systems (AIS): Erstens müssen, sobald die Zeit reif ist, Bezugsrahmen und andere Systematiken (z. B. Studienplanempfehlungen, Forschungsführer, Lexika) entwickelt werden, in denen Modebegriffe auf ihre Substanz reduziert werden. Zweitens sind die zum Teil sehr spezialisierten Wissenschaftler zu Kooperationen über ihr engeres Fachgebiet hinaus zu motivieren (z. B. in Schwerpunktprogrammen oder Seminaren).

7.2 Moden

Wenn ein Thema abstrakter behandelt wird, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es den Verlauf einer Mode aufweist. Mit anderen Worten: Mit einem hohen Konkretisierungsgrad geht ein vergleichsweise rascher Wechsel von Themen einher. Tab. 1 zeigt beispielsweise, dass das abstrakte Thema Internet weder in der WI noch in der IS eine Mode ist. Konkretere Internet-Themen, beispielsweise viele e-Themen, weisen in der WI häufig den Verlauf einer Mode auf (z. B. e-Commerce und e-Business in Tab. 1).

Die intensive Beschäftigung mit Moden wird oftmals kritisch betrachtet. Bemerkenswert ist, dass nicht nur die Wissenschaft selbst (z. B. Kieser 1996; Kieser u. Walgenbach 2003), sondern auch die betriebliche Praxis die ausgeprägte Hinwendung zu modischen Themen gelegentlich als negativ erachtet. Larry Ellison, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Oracle, artikuliert beispielsweise in Bezug auf den Begriff cloud computing seinen Standpunkt wie folgt: „Wann hört dieser Blödsinn endlich auf? Die IT-Branche ist die einzige, die mehr von Modeströmungen getrieben ist als die Welt der Damenbekleidung“ (zitiert nach Computerwoche 2008). Heilmann sagt zur ausgeprägten Modeorientierung, dass „forschungsmittelbedingt den Modethemen leider eine relativ hohe Bedeutung zukommt“ (zitiert aus einer Interviewstudie von Lange 2006). Rautenstrauch (1999, S. 187) sieht die intensive Beschäftigung mit Moden gleichsam kritisch – er schildert pointiert:

„Auch ist in der Wirtschaftsinformatik zumindest punktuell (aber bei weitem nicht flächendeckend!) beobachtbar, dass unter der Flagge „Praxisorientierung“ Moden als Leitbilder adaptiert werden, anstatt wie zu Recht gefordert „die Spreu vom Weizen zu trennen“. So sollte es einem Wirtschaftsinformatiker schon zu denken geben, wenn z. B. nach einer Reihe von Berufungsvorträgen ein durchaus wohlgeneigter Kollege aus einer angrenzenden Disziplin fragt, „was denn nun einen Wirtschaftsinformatiker von einem Unternehmensberater unterscheidet“. Ursache für die Frage war die Tatsache, dass, abgesehen von zwei Ausnahmen, die Bewerber Vorträge der Art „wir haben ein Projekt mit dem Unternehmen XY gemacht – dies war die Anforderung – das ist herausgekommen“ gehalten haben.“

Die intensive Beschäftigung mit Moden hat, und das ist eine zentrale Botschaft der vorliegenden Abhandlung, auch positive Auswirkungen. Insbesondere aufgrund ihrer stärkeren Praxisorientierung ist die WI in einem höheren Ausmaß von Moden geprägt als die IS. Eine Ausrichtung an Moden geht unter anderem mit der Fähigkeit und Bereitschaft einher, rasch auf Entwicklungen in der betrieblichen Praxis zu reagieren. Eine ausgeprägte Reaktionsfähigkeit und -bereitschaft der Wissenschaft kann – bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung – zur Realisierung von so genannten First-Mover-Vorteilen einen positiven Beitrag leisten (vgl. z. B. Suarez u. Lanzolla 2008).

Vor dem Hintergrund der Rigor-vs.-Relevance-Debatte (siehe z. B. Schwerpunkthefte von MIS Quarterly im Jahr 1999 oder Communications of the AIS im Jahr 2001), die aufgrund des zunehmenden Internationalisierungsdrucks auch die WI verstärkt betrifft (Frank 2003, S. 282; Frank et al. 2008), ist im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses darüber zu befinden, welchen positiven Beitrag die Auseinandersetzung mit Moden zur Relevanz der Forschung leistet. Die auf einen kurzen Zeitraum bezogene Auseinandersetzung mit dem Jahr-2000-Problem hat beispielsweise dazu beigetragen, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Thematik zu schaffen, was zur Bewältigung dieser Herausforderung einen wirksamen Beitrag geleistet hat (Berghel 1998; Faulkner 1998; Knolmayer 1997; Lewis 1999).

Hohe Relevanz der Forschung – und damit ist hier die Häufigkeit der Behandlung praxisrelevanter Themen gemeint – hat zur Konsequenz, dass Betriebe aus Wirtschaft und Verwaltung bereit sind, Drittmittelbeträge für die Durchführung einschlägiger Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Verfügung zu stellen, weil man sich die Lösung aktueller Probleme verspricht. Ein Zitat aus der Interviewstudie von Lange (2006, S. 24) bringt diesen Umstand zum Ausdruck: „Man versucht irgendwie, thematisch an der vordersten Front mitzukämpfen oder mit zu schwimmen – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Ausstattung der Universitäten immer schlechter wird. Man muss sich um Drittmittel bemühen und die Drittmittelgeber, die sind auch sehr stark von solchen aktuellen Themen geprägt.“ Eine Analyse des Zitats lässt auch die Deutung zu, dass die Auseinandersetzung mit Moden bisher vor allem Resultat knapper Finanzmittel gewesen sein könnte. Rückblickend lässt sich hierzu feststellen, dass beispielsweise die Ausreifung der Computer-Integrated-Manufacturing(CIM)-Konzeptionen und -Methoden über einen längeren Zeitraum an weniger Forschungszentren sinnvoller gewesen wäre als das Etablieren vieler CIM-Forschungsschwerpunkte, die aber nur über wenige Jahre finanziert wurden. Heute werden viele Aspekte des CIM-Konzepts unter neuem Namen wie Supply Chain Management oder Manufacturing Execution Systems wiederbelebt, ohne jedoch bereits vorhandenes Wissen ausreichend zu reflektieren. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der damals schon existierenden Forschungszentren wäre vermutlich sinnvoller gewesen (Mertens 1995).

Hinsichtlich der künftigen strategischen Ausrichtung der WI erscheint es uns opportun, darauf abzuzielen, sich durch eine ausgeprägte Anwendungsorientierung, die im Übrigen den Kriterien der Wissenschaftlichkeit entsprechen kann (Gadenne 1997; Wohlgenannt 1969, S. 57 ff), zu profilieren. Ziel einer solchen strategischen Positionierung ist es, die bisher entwickelte Stärke der raschen Lösung von Problemen in der Praxis weiter auszubauen, um damit für die Gesellschaft, im Speziellen für die Wirtschaft und Verwaltung, einen unmittelbaren Nutzen zu stiften. Welchen Stellenwert innerhalb unserer Gesellschaft würden wir der Medizin beimessen, wenn sie keine Medikamente und Therapien entwickelte, sondern ausschließlich Beschreibungs- und Erklärungsmodelle? Die WI sollte sich somit – wie im Profil der WI seit Mitte der 1990er Jahre dokumentiert (WKWI 1994, S. 80 f) – nicht nur der Beschreibungs- und Erklärungsaufgabe, sondern insbesondere auch der Gestaltungsaufgabe widmen, und dies kann durchaus mit einer Orientierung an Modethemen einhergehen.

In der IS wurden zwar wiederkehrende Moden, jedoch keine einzige Mode identifiziert (vgl. Abb. 2). Eine angemessene Auseinandersetzung mit Modethemen kann jedoch die Relevanz der Forschung erhöhen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Kritik an der zu geringen Praxisrelevanz der IS-Forschung – Klein u. Rowe (2008, S. 675) schreiben beispielsweise: „One of the major challenges facing the field of MIS today is to become more practically relevant so that it can better serve its business and public sector stakeholders“ – wäre es eine mögliche Strategie, ein höheres Maß an Praxisrelevanz durch eine Auseinandersetzung mit solchen Themen zu erreichen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der betrieblichen Praxis einen hohen Stellenwert haben, auch wenn dadurch die Gefahr entstehen kann, die theoretische Forschung und den kumulativen Erkenntnisfortschritt kurzfristig zu behindern.

7.3 Trends

In der WI sowie IS konnte für den Zeitraum 1994 bis 2007 jeweils nur ein Trend festgestellt werden. In der WI ist dies Business Intelligence, in der IS trust (vgl. Abschnitt 6). Hat eine Thematik den Verlauf eines Trends, so bedeutet dies, dass das Thema sukzessive zunehmend von den Mitgliedern einer Wissenschaftsdisziplin bearbeitet wird. Dies erhöht die Chance auf einen langfristigen Erkenntnisfortschritt, insbesondere deshalb, weil sich eine kumulative Forschungstradition etablieren kann.

Mertens (2002) hat die Fachliteratur zum Thema Business Intelligence (BI) untersucht und stellt fest, dass sich sieben Sichtweisen auf die Thematik ausmachen lassen: (i) BI als Fortsetzung der Daten- und Informationsverarbeitung, (ii) BI als Filter in der Informationsflut, (iii) BI als Management-Informationssystem mit besonders schnellen und flexiblen Auswertungen, (iv) BI als Frühwarnsystem, (v) BI als Data Warehouse, (vi) BI als Informations- und Wissensspeicherung und (vii) BI als Prozess. Eine zeitliche Betrachtung der Entwicklung der inhaltlichen BI-Schwerpunkte zeigt, dass zu Beginn der 2000er Jahre ein starker Fokus auf technologische Grundlagen gelegt wurde (z. B. Data Warehouse und Data Mining), wohingegen Mitte der 2000er Jahre eine Konzentration auf Anwendungen und organisatorische Fragestellungen (z. B. BI und Entscheidungsprozesse) stattfand (siehe dazu z. B. die Schwerpunkthefte 222 und 247 der Zeitschrift HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik aus den Jahren 2001 und 2006). Wir haben festgestellt, dass die Thematik unter konsequenter Verwendung des Begriffs BI im Untersuchungszeitraum aus verschiedenen Perspektiven mit zunehmender Intensität erforscht wurde. Die zunehmende multiperspektivische Auseinandersetzung mit dem Thema könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Gestaltung von BI-Systemen sowie die Erklärung ihrer Wirkungen im organisationalen Kontext einen eigenen Theoriekern entstehen lässt, der zur Beantwortung der folgenden Frage beitragen kann: Wie sollen Informationssysteme konzipiert und eingesetzt werden, um spezifische Informationsbedarfe (über interne und externe Sachverhalte) zu decken, um wirksamer und wirtschaftlicher zu handeln?

Die Entwicklung des einzigen IS-Trends Vertrauen ging im Gegensatz zur BI in der WI nicht von einer technologischen Innovation aus, sondern von einem Theoriekern außerhalb des eigenen Fachs. In den späten 1950er sowie 1960er Jahren wurde in der Psychologie begonnen, das Thema Vertrauen intensiv zu erforschen (z. B. Giffin 1967; Rotter 1967; Strickland 1958). Ab den 1970er Jahren hat sich zunehmend auch die betriebswirtschaftliche Forschung der Thematik gewidmet, insbesondere in den Bereichen organisationales Verhalten und Marketing (Grayson et al. 2008; Mayer et al. 1995; Zand 1972). Schließlich hat im letzten Jahrzehnt auch die Volkswirtschaft begonnen, das Thema zu bearbeiten (King-Casas et al. 2005; Kosfeld et al. 2005; Sutter u. Kocher 2007; Zak u. Knack 2001). In der IS setzt man sich seit knapp zehn Jahren intensiv mit der Vertrauensthematik auseinander. Die Bedeutung des Themas wuchs somit zu jenem Zeitpunkt, zu dem auch das Internet an Relevanz gewonnen hat, insbesondere deshalb, weil Vertrauen bei elektronischem Handel eine zentrale Rolle spielt (Ba u. Pavlou 2002; Gefen 2000; Gefen et al. 2003; Kim u. Benbasat 2006). Sichtet man die in den IS-Beiträgen zum Thema trust angegebenen Referenzen, so erkennt man, dass die Autoren auf den Erkenntnissen von Nachbardisziplinen (z. B. Psychologie, Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft) und der IS selbst aufbauen. Damit wird ein breites Spektrum an verschiedenen Sichtweisen auf die Thematik reflektiert, was eine zentrale Voraussetzung kumulativer Forschung ist.

7.4 Negativ-Tends, wiederkehrende Moden und oszillierende Themen

In der IS gibt es mehr Negativ-Tends, wiederkehrende Moden und oszillierende Themen als in der WI. Negativ-Trends sind durch einen kontinuierlichen Rückgang der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema gekennzeichnet (Abb. 2 und Abb. 4). Aus Ressourcensicht kann es zweckmäßig sein, wenn sich eine Fachgemeinschaft rasch entscheidet (und nicht im Rahmen eines langwierigen Prozesses), die Auseinandersetzung mit einer wenig Erfolg versprechenden Thematik aufzugeben (z. B. keine Schwerpunkthefte mehr herauszugeben). Frei werdende Ressourcen können dann für die Erforschung neuer, speziell in der betrieblichen Praxis relevanter Themen zeitnah genutzt werden. Da die WI durch eine hohe Anzahl von Moden gekennzeichnet ist, kann geschlossen werden, dass sie eine bessere Fähigkeit und/oder Bereitschaft hat, wenig Erfolg versprechende Themen rasch aufzugeben. Für die IS könnte daraus die Empfehlung abgeleitet werden, in Zukunft die Bearbeitung von stetig rückläufigen Themen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls rascher einzustellen, um dadurch frei werdende Forschungsmittel beispielsweise in Themen zu investieren, die in der Praxis und/oder Wissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt einen hohen Stellenwert haben.

Der zentrale Unterschied zwischen wiederkehrenden Moden und oszillierenden Themen ist, dass letztere im Vergleich zu ersteren über den Betrachtungszeitraum langfristig ein konstantes Niveau der wissenschaftlichen Auseinandersetzung aufweisen, das durch zyklische kurzfristige Hochs und Tiefs charakterisiert ist (Abb. 2). Oszillierende Themen sind somit für den langfristigen Erkenntnisfortschritt unmittelbar bedeutsam, während die von uns vielfach identifizierten wiederkehrenden Moden mit fallender Tendenz – ähnlich den Negativ-Trends – langfristig kaum zum Erkenntnisfortschritt beitragen, jedoch trotzdem wertvolle Ressourcen binden. Sowohl für die WI als auch die IS ist es daher wichtig, in Zukunft neu aufzugreifende Themen kritisch dahingehend zu überprüfen, ob sie nicht schon bereits in der Vergangenheit wenig erfolgreich bearbeitet wurden.

8 Limitationen

Im vorliegenden Beitrag wurde eine Rekonstruktion von Themenbereichen und deren Verlaufsmustern in der WI und IS präsentiert. Grundlage der Untersuchung sind Begriffe, die durch Analyse von Titel, Abstract und Keywords aus Zeitschriftenartikeln identifiziert wurden. Die Validität der Befunde ist hoch, sofern die in der jeweiligen Disziplin untersuchten Zeitschriften als repräsentativ für das jeweilige Fach angesehen werden. Des Weiteren ist hinsichtlich der Stichprobe zu berücksichtigen, dass viel beachtete Artikel einer wissenschaftlichen Disziplin nicht notwendigerweise in Zeitschriften des Faches publiziert sein müssen; man denke hier beispielsweise an den Beitrag „IT Doesn’t Matter“ von Carr (2003), der im Harvard Business Review erschienen ist.

Eine Prämisse der vorgestellten Studie ist zudem, dass der semantische Gehalt jedes untersuchten Begriffs im Untersuchungszeitraum 1994 bis 2007 gleich geblieben ist. Wenn sich dieser bei vielen der von uns analysierten Begriffe stark verändert hat, dann wirkt sich das negativ auf die Validität der vorgestellten Befunde aus. Folgendes Beispiel soll diesen Umstand verdeutlichen: Der einzige festgestellte WI-Trend ist Business Intelligence. Es könnte sein, dass diese Thematik deshalb als Trend erscheint, weil in den letzten Jahren verschiedene Aufsätze zu den Themen Management-Informationssysteme, Entscheidungsunterstützungssysteme, Data Mining und dergleichen unter dem abstrakteren Begriff Business Intelligence veröffentlicht wurden. Die Häufigkeit der Nennung von Business Intelligence wäre demnach damit zu erklären, dass aus Einzelbegriffen ein Sammelbegriff wurde.

Des Weiteren ist zu beachten, dass die praktische Relevanz von Forschung nicht ausschließlich durch die bloße Auseinandersetzung mit Moden determiniert ist. Vielmehr trägt auch die Forschungsqualität maßgeblich zur Relevanz bei. Eine Quantifizierung der Forschungsqualität könnte beispielsweise auf Basis publizierter und später adoptierter Techniken, Methoden, Werkzeuge, angemeldeter Patente sowie ausgegründeter Betriebe (spin-offs) erfolgen.

Bei der Interpretation der vorliegenden Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die in unserer Studie rekonstruierten Verlaufsmuster keinen unmittelbaren Rückschluss auf die zukünftige Entwicklung von einzelnen Themen erlauben. Die Delphi-Methode, ein anerkanntes Prognoseverfahren, könnte hierbei zu zuverlässigen Vorhersagen führen (Dalkey u. Helmer 1963). In der WI und IS wurden bereits Delphi-Studien durchgeführt, die unter anderem auch Aussagen zur möglichen Entwicklung von künftigen Forschungsgegenständen, Themenbereichen und Erkenntniszielen machen (z. B. Brancheau et al. 1987; Dickson et al. 1984; Heinzl et al. 2001; Niederman et al. 1991; König et al. 1995). Heilmann u. Heinrich (2006) haben beispielsweise die Prognosegüte einer Delphi-Studie von Heinzl et al. (2001) evaluiert; im Ergebnis stellen die Autoren fest (S. 105), dass 12 der insgesamt 15 vorausgesagten Erkenntnisobjekte Gegenstand von WI-Publikationen im Zeitraum 2003 bis 2005 waren.

Die in diesem Beitrag rekonstruierten Themenbereiche unterliegen – in Analogie zu Produkten und Organisationen – einem Lebenszyklus (vgl. Heinzl 1996, S. 69 ff). Bei der Interpretation der vorgestellten Befunde ist daher zu berücksichtigen, dass die Zuordnung eines bestimmten Themas zu einem der definierten Verlaufsmuster vom Betrachtungszeitraum abhängt. Das bedeutet, dass ein länger oder kürzer gewählter Zeitraum die Zuordnung eines Themas zu einem Verlaufsmuster beeinflusst. In Abb. 9 stellen wir beispielhaft das Thema e-Business in zwei unterschiedlich lang gewählten Zeiträumen dar. Man sieht, dass bei einem Betrachtungszeitraum von 1994 bis 2001 e-Business den Verlauf eines Trends aufweist, während bei Zugrundelegung einer längeren Betrachtungsperspektive (1994 bis 2007) das Thema dem Verlauf einer Mode folgt.

Der Einfluss einer gewählten Betrachtsperiode auf das Verlaufsmuster eines Themas ist bei Untersuchungen wie der vorliegenden Studie eine unumgängliche Problematik. Im günstigsten Fall können Forscher den Verlauf von Themen seit den Anfängen einer Disziplin bis zur Gegenwart rekonstruieren. Mertens (1995) untersuchte die Periode 1975 bis 1994. Seine Analyse startete somit zum Zeitpunkt der Gründung der Wissenschaftlichen Kommission Wirtschaftsinformatik (damals Betriebsinformatik) im VHB, einer der bedeutenden Meilensteine in der Entwicklung der WI (Heinrich et al. 2007, S. 40).Footnote 4 Die vorliegende Studie schloss nahtlos an die Untersuchung von Mertens (1995) an und reicht bis in die Gegenwart.

Abb. 9
figure 9

Verlaufsmuster in Abhängigkeit vom Betrachtungszeitraum (e-Business)

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die von uns gewählte Betrachtungsperiode von 14 Jahren vergleichsweise lang und die Menge von acht analysierten Fachzeitschriften sowie 8.257 Beiträgen umfangreich ist. Uns bekannte inhaltsanalytische Studien in der WI und IS umfassten zumeist weniger lange Zeiträume und eine geringere Anzahl an Zeitschriften und Aufsätzen. Wilde u. Hess (2007) untersuchten beispielsweise in einer kürzlich veröffentlichten inhaltsanalytischen Studie 300 Aufsätze aus 11 Jahrgängen der Zeitschrift WIRTSCHAFTSINFORMATIK, um Erkenntnisse über die methodische Entwicklung der Disziplin zu gewinnen. Riedl et al. (2008) fassen in einer Meta-Analyse 20 Studien zusammen, die Aussagen zur Verbreitung von Forschungsmethoden in der IS machen. Die deskriptive Auswertung (vgl. Tab. 1) aller 20 Studien zeigt folgendes Bild: Im Durchschnitt werden 862 Beiträge (s=538; max=2098; min=83) aus 9,2 Jahrgängen (s=5,06; max=21; min=2) auf Basis von 6,95 Zeitschriften (s=3,81; max=15; min=2) analysiert.

Abschließend weisen wir darauf hin, dass die 20 von Riedl et al. untersuchten Studien sowie alle anderen Inhaltsanalysen zur thematischen und methodologischen Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin – und somit auch die vorliegende Untersuchung – immer Erkenntnisse erarbeiten, die notwendigerweise auf einen bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bezogen sind. Der Wert inhaltsanalytischer Studien – so auch der Wert der vorliegenden Abhandlung – liegt somit in erster Linie immer in der Rekonstruktion wichtiger historischer Tatbestände (im gegenständlichen Fall eben die Entwicklung von Themenbereichen). Die Kenntnis der eigenen Geschichte, gerade in zentralen Aspekten wie der Themen- und Methodenlandschaft, ist Voraussetzung für die Entwicklung einer eigenen Identität, die wiederum Einfluss auf den künftigen Erfolg einer Disziplin hat (Klein u. Hirschheim 2008).

9 Fazit und Ausblick

Die Internationalisierung der Forschung in der WI beeinflusst zunehmend das Handeln vieler Akteure im deutschsprachigen Raum. Das Forschungsprogramm der IS wird dabei vielfach als Vorbild verwendet. Die IS hat einerseits ausgeprägte Stärken (vor allem die Stringenz der verwendeten Forschungsmethoden), jedoch können andererseits im Vergleich zur WI auch Schwächen festgemacht werden (insbesondere die geringere Praxisrelevanz). Die WI ist thematisch konkreter und vielfältiger als die IS und der Anteil an Moden ist in der WI höher. Dieser Befund führt uns zur Überlegung, dass eine zentrale Stärke der WI darin liegt, dass sie in ihrem Handeln „am Puls der Zeit“ ist. Dies ist für eine Disziplin, deren Gegenstandsbereich durch die Komponente Technik charakterisiert wird, unerlässlich. Wir plädieren dafür, dass anwendungsorientierte Disziplinen im Allgemeinen und die WI und IS im Speziellen eine ausgeprägte Praxisnähe haben sollten, um nicht Gefahr zu laufen, Forschung zu betreiben, deren Nutzen für Wirtschaft und Verwaltung nicht erkennbar ist. Nichtsdestoweniger treten wir dafür ein, dass sich Wirtschaftsinformatiker auch der theoretischen Forschung zuwenden (so wie dies IS-Forscher tun), insbesondere deshalb, um gelegentlich geäußerte Vorwürfe, die die mangelnde Bereitschaft und/oder Fähigkeit zur Abstraktion in der WI thematisieren (z. B. Heinrich 2005, S. 110), zu adressieren.

Die Befunde der vorliegenden Abhandlung zeigen, dass einmal eingeführte Begriffe in der WI in einem niedrigeren Ausmaß als in der IS verwendet werden. Dieser Umstand ist insbesondere für die Etablierung einer kumulativen Forschungstradition schädlich (vgl. dazu auch Keen 1980). Es erscheint uns daher opportun, dass Wissenschaftler in der WI (unabhängig davon, ob sie in der Rolle des Autors, Gutachters oder Herausgebers agieren) künftig darauf achten, dass zentrale Begriffe in einem jeweiligen Forschungsbereich konsequent (wieder)verwendet werden. Neue Begriffe sollten nur dann benutzt werden, wenn mit ihnen inhaltlich etwas anderes als bereits Bekanntes bezeichnet werden soll. Beispielsweise wird in der WI die zu Beginn der 2000er Jahre unter dem Begriff Application Service Providing (ASP) bekannt gewordene Form des IT-Outsoucing heute oftmals als Software as a Service bezeichnet (Knolmayer 2000; http://www.saas-forum.net/), obwohl mit beiden Begriffen das Phänomen zum Ausdruck gebracht wird, Software als Dienstleistung via Internet anzubieten. Zukünftige Forschungsarbeiten könnten solche Vorgänger-/Nachfolger-Beziehungen von Begriffen untersuchen, weil dann die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den hier präsentierten Ergebnissen transparent werden.

Zum Abschluss dieses Beitrags thematisieren wir den Einfluss von Themen auf Forschungsmethoden, da methodologische Diskurse in der WI an Bedeutung gewinnen (Wilde u. Hess 2007). Wenn man hinsichtlich des Zusammenhangs von Forschungsthema und -methode eine Kausalität der Art method follows topic unterstellt (was dem idealtypischen Forschungsablauf entspricht, Bortz u. Döring 2006), dann kann die in diesem Beitrag festgestellte Themenvielfalt in der WI zu dem seit den 1990er Jahren geforderten Methodenpluralismus beitragen (Frank 1997, S. 32; König et al. 1996, S. 43 ff; Wilde u. Hess 2007, S. 284). Für die IS-Forschung ist bekannt, dass Forschungsthemen mit der eingesetzten Forschungsmethode korrelieren (Benbasat 1984; Choudrie u. Dwivedi 2005; Grover et al. 1993; Jenkins 1985; Palvia et al. 2003). Beispielsweise haben Palvia et al. (2003, S. 301 f) nachgewiesen, dass in der IS bei der Untersuchung von Themen aus dem Bereich e-Commerce primär Fallstudien zum Einsatz kommen, während Entscheidungsunterstützende Systeme bzw. decision support systems in erste Linie mit Laborexperimenten untersucht werden. Die in der vorliegenden Studie präsentierten Ergebnisse können als Ausgangspunkt für Untersuchungen herangezogen werden, in denen der Zusammenhang zwischen Thema und verwendeter Methode in der WI nachgewiesen werden soll. Für das zukünftige Handeln von Wirtschaftsinformatikern ist es jedoch bedeutsam, nicht nur auf ein breites Themen- und Methodenspektrum zu achten, sondern insbesondere auch die Qualität des Methodeneinsatzes zu berücksichtigen (Heinrich 2005). Hier kann die WI von der IS lernen, die seit längerer Zeit Richtlinien für den Einsatz verschiedener Methoden veröffentlicht (z. B. Benbasat et al. 1987; Dubé u. Paré 2003; Jarvenpaa et al. 1985; Kaplan u. Duchon 1988; King u. He 2005; Lee 1989; Straub 1989), die dann von Wissenschaftlern rezipiert und angewendet werden.