1 Einführung

Die Business Process Modeling Notation (BPMN) liefert einen Standard zur graphischen Beschreibung von Geschäftsprozessen. Der Standard wird von der Object Management Group (OMG) gepflegt und hat insbesondere im internationalen Raum eine erhebliche Aufmerksamkeit erlangt (Finkelstein 2005, S. 14). Der Namensbestandteil „Notation“ ist insofern irreführend, als dass die BPMN nicht nur ein System von Zeichen und Symbolen zur visuellen Repräsentation von Geschäftsprozessen beinhaltet, sondern auch Vorgaben zur Bedeutung und zur Verwendung der Zeichen und Symbole unterbreitet. Folglich ist die BPMN als eine Modellierungssprache zu verstehen.

Hauptmotivation für die Entwicklung der BPMN war es, die unterschiedlichen Sprachen zur Geschäftsprozessmodellierung zu vereinheitlichen und so eine einzige, standardisierte Sprache zur Beschreibung von Geschäftsprozessen zur Verfügung zu stellen. Bei der Entwicklung der BPMN wurden unter anderem Aktivitätsdiagramme der Unified Modeling Language (UML), IDEF, ebXML BPSS, RosettaNet und ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) explizit berücksichtigt (White 2004, S. 9).

Darüber hinaus wollten die Entwickler der BPMN eine Prozessbeschreibungssprache schaffen, die es nicht nur ermöglicht, Prozessmodelle für den Fachanwender zu beschreiben, sondern die auch eine automatisierte Transformation fachlicher in technische Prozessmodelle unterstützt. Auf diesem Weg können Entwicklungsfehler vermieden und die Anwendungsentwicklung beschleunigt werden.

Die BPMN wurde seit Anfang der 2000er-Jahre von der Business Process Management Initiative Notation Working Group (BPMI) unter der Führung von St. A. White, einem IBM-Mitarbeiter, entwickelt und 2004 erstmalig in der Version 1.0 vorgestellt. Im Jahr 2005 wurde die BPMI in die OMG integriert, wobei nur 2 Prozent der BPMI-Mitgliedsorganisationen das Standardisierungskonsortium verlassen haben. Die Arbeiten werden in der OMG vom BPMI Steering Commitee überwacht und im Rahmen der Business Modeling & Integration (BMI) Domain Task Force (DTF) weiterentwickelt. Die aktuelle Version 1.0 der BPMN wurde im Jahr 2006 von der OMG verabschiedet. Zurzeit wird an einer umfassenden Überarbeitung des Standards gearbeitet, der in einer BPMN 2.0 münden soll (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Historie der BPMN

2 Wesentliche Konzepte

Bei der Modellierung von Geschäftsprozessen mit der BPMN stehen sogenannte Geschäftsprozessdiagramme (Business Process Diagram) im Mittelpunkt der Betrachtung. Bild 1 visualisiert ein exemplarisches Geschäftsprozessdiagramm, das einen Ausschnitt aus einem Auftragsprozess verdeutlicht. Ein Geschäftsprozessdiagramm erinnert an klassische Flussdiagramme, wobei eine Reihe von speziellen Objekten zur Beschreibung von Geschäftsprozessen angeboten werden. Bild 2 gibt einen Überblick über die Kernkonzepte der BPMN (OMG 2006, S. 16):

  • Flussobjekte: Mithilfe von Flussobjekten kann der Ablauf eines Geschäftsprozesses beschrieben werden. Konzepte zur Beschreibung des Ablaufes sind Aktivitäten, Ereignisse und Konnektoren. Aktivitäten beschreiben Aufgaben, die von einem Unternehmen zu erledigen sind. Ereignisse können den Beginn oder das Ende einer Aktivität bzw. eines Prozesses anzeigen. Über Konnektoren werden Entscheidungsalternativen im Prozessablauf modelliert.

  • Verbindungsobjekte: Beziehungen zwischen verschiedenen Flussobjekten werden in einem Geschäftsprozessdiagramm mithilfe von Verbindungsobjekten definiert. Verbindungsobjekte sind Sequenzfluss, Nachrichtenfluss und Assoziation. Ein Sequenzfluss definiert eine zeitliche Ablaufreihenfolge zwischen Aktivitäten. Ein Nachrichtenfluss beschreibt einen Kommunikationskanal zwischen Aktivitäten unterschiedlicher Prozessbeteiligter, über den Nachrichten ausgetauscht werden. Assoziationen werden benötigt, um zusätzliche Informationen an Flussobjekten anzubringen.

  • Swimlanes: Swimlanes erlauben es, Flussobjekte in unterschiedlichen Gruppen anzuordnen. Dabei werden sogenannte Pools und Lanes als zwei Arten von Swimlanes unterschieden. Mithilfe eines Pools wird ein in sich abgeschlossener Prozess beschrieben, der typischerweise innerhalb einer Organisation abläuft. Dagegen werden Lanes dafür genutzt, Aktivitäten innerhalb verschiedener Funktionsbereiche eines Unternehmens zu gruppieren. Während Sequenzflüsse nur Aktivitäten innerhalb eines Pools miteinander verbinden, darf der Nachrichtenfluss nur Aktivitäten verschiedener Pools verbinden.

  • Artefakte: Mithilfe von Artefakten können kontextspezifische Besonderheiten eines Geschäftsprozesses beschrieben werden. Diese umfassen Datenobjekte, Gruppen und Annotationen. Datenobjekte beschreiben die für die Bearbeitung von Aktivitäten benötigten oder erzeugten Daten. Über Gruppen können verschiedene andere Konzepte in einem Geschäftsprozessdiagramm für Analyse- oder Dokumentationszwecke zusammengefasst werden. Annotationen erlauben es, bestimmte zusätzliche Informationen an einzelnen Konzepten anzubringen.

Bild 1
figure 1

Exemplarisches Geschäftsprozessdiagramm

Neben den zuvor aufgeführten Kernkonzepten werden von der BPMN auch erweiterte Konzepte eingeführt. Die Unterscheidung der beiden Klassen von Konzepten verbessert die Verständlichkeit und Handhabbarkeit der Sprache. Die erweiterten Konzepte sind für die Modellierung spezieller Aspekte von Geschäftsprozessen geeignet, die nicht in allen Anwendungsbereichen benötigt werden. Beispielsweise werden unterschiedliche Typen von Konnektoren und Ereignissen sowie Konzepte zur Dekomposition von Prozessen definiert.

Bild 2
figure 2

Überblick über die wesentlichen Konzepte der BPMN

3 Abgrenzung zu anderen Sprachen der Geschäftsprozessmodellierung und verwandten Standards

Im BPMN-Standard wird zwar darauf hingewiesen, welche Modellierungssprachen allgemein bei der Entwicklung von BPMN berücksichtigt worden sind. Allerdings wird nicht im Detail untersucht und dargestellt, welche Konzepte von welcher Modellierungssprache übernommen worden sind. Vergleicht man die BPMN mit anderen Sprachen zur Geschäftsprozessmodellierung, so lassen sich keine wesentlichen Innovationen erkennen. Allenfalls die Konzepte zur schwachen Kopplung von Geschäftsprozessen über Nachrichten in unterschiedlichen Pools stellen einen gewissen Innovationsbeitrag dar. So verwundert es auch nicht, dass gemäß der Befunde empirischer Untersuchungen die Konzepte der BPMN und der EPK ähnlich verständlich sind (Recker und Dreiling 2007).

Die Abgrenzung der BPMN zu verwandten Standards bereitet zum Teil Schwierigkeiten. Speziell die Abgrenzung zur UML, einem Standard der ebenso von der OMG gepflegt wird, bleibt unklar. So wird mit UML-Aktivitätsdiagrammen eine Modellierungssprache favorisiert, die speziell für die Modellierung von Geschäftsprozessen eingeführt wurde. Allerdings bleibt unklar, ob dieser Standard durch die BPMN ersetzt oder ergänzt wird. Auch sind bisher keine Arbeiten bekannt, die die Nutzung der BPMN im Rahmen der Model Driven Architecture (MDA) thematisieren (Fettke und Loos 2003, S. 460–464).

Anders verhält sich die Situation zur Business Process Execution Language for Web Services (BPEL4WS). Hier weist die OMG darauf hin, dass die BPMN explizit entwickelt wurde, um eine Möglichkeit zu haben, technisch ausgerichtete Sprachen zur Ausführung von Geschäftsprozessen graphisch visualisieren zu können. Eine Abbildung zwischen den Konzepten von BPMN und BPEL4WS wird konsequenterweise im BPMN-Standard festgelegt (OMG 2006, S. 137–204).

4 Relevanz für die Wirtschaftsinformatik

Die BPMN besitzt eine besondere Relevanz für die Wirtschaftsinformatik unter anderem in folgenden Bereichen:

  1. 1.

    Geschäftsprozess-Management, insbesondere Geschäftsprozessmodellierung: Das Geschäftsprozessmanagement ist ein Gestaltungsansatz für Unternehmen, der seit Mitte der 1990er-Jahre in der Wirtschaftsinformatik intensiv diskutiert wird. Hierfür hat die Wirtschaftsinformatik verschiedene Modellierungssprachen hervorgebracht, um Geschäftsprozesse erfassen und beschreiben zu können. Die BPMN kann einen Ersatz für vorhandene Sprachen zur Geschäftsprozessmodellierung bieten.

  2. 2.

    Workflow-Management, insbesondere Workflow-Modellierung: Die informationstechnische Realisierung von prozessorientierten Informationssystemen wird häufig mit Workflow-Management-Systemen realisiert. Da die BPMN auch dafür ausgerichtet ist, nahtlos in ausführbare Workflows transformiert zu werden, besteht ein hohes Potential, die BPMN ebenso im Kontext von Workflow-Management-Systemen einzusetzen.

  3. 3.

    Serviceorientierte Architekturen (SOA): In der Wirtschaftsinformatik werden unterschiedliche technische Architekturen für Informationssysteme diskutiert, wobei in letzter Zeit SOA eine besondere Aufmerksamkeit erhielten. Da über den BPMN-Standard Abbildungen von BPMN auf BPEL4WS definiert werden, besteht die Hoffnung, eine Konfiguration von technischen Services auf der Grundlage fachlicher Prozessbeschreibungen vornehmen zu können.

  4. 4.

    Referenzmodellierung: Die Referenzmodellierung zählt zu einem originären Arbeitsfeld der Wirtschaftsinformatik. Während bisherige Referenzmodelle für Geschäftsprozesse eine Reihe von proprietären Notationen einsetzen, sind bisher keine Referenzmodelle auf Basis des BPMN-Standards bekannt (Fettke und Loos 2004; Fettke et al. 2006). Allerdings ergibt sich das Potential, auf der Grundlage des einheitlichen BPMN-Standards neue Referenzmodelle zu entwickeln bzw. vorhandene Referenzmodelle zu rekonstruieren.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Beschreibung von Geschäftsprozessen seit langer Zeit innerhalb der Wirtschaftsinformatik vorangetrieben wird. So ist auch die Umsetzung von fachlichen Beschreibungen in technische Modelle eine Grundidee, die von der Wirtschaftsinformatik verfolgt wird. Dabei stand allerdings innerhalb der Wirtschaftsinformatik die automatisierte Umsetzung nicht immer im Vordergrund.

5 Aktuelle Entwicklungen

Die BPMN entwickelt sich in unterschiedliche Richtungen weiter, die in einer BPMN Version 2.0 eingebettet werden. Im Rahmen der BPMN 2.0 stehen neben verschiedenen allgemeinen Arbeiten zur Vereinheitlichung und Konsistenzsicherung der Sprache folgende wesentliche Weiterentwicklungen im Mittelpunkt (OMG 2007):

  • Metamodell: Es soll die Integration der BPMN mit dem Metamodell von Geschäftsprozessen, dem Business Process Definition Metamodel (BPDM), vorangetrieben werden.

  • Modellaustausch: Der Austausch von Geschäftsprozessen und ihrer graphischen Darstellung zwischen unterschiedlichen Modellierungswerkzeugen wird angestrebt.

  • Modellkomposition: Die BPMN bietet mithilfe von Pools und Nachrichtenflüssen bereits Konzepte zur Dekomposition von Geschäftsprozessen. Allerdings wird die Notwendigkeit gesehen, diese Konzepte zur Modellkomposition zu erweitern.

  • Multiperspektivität: Bisher wird die Erstellung von unterschiedlichen Sichten auf Geschäftsprozesse, wie sie bereits seit Jahren innerhalb der Wirtschaftsinformatik diskutiert werden, nicht unmittelbar von der BPMN unterstützt. In künftigen Versionen soll die BPMN um Konzepte zur Unterstützung unterschiedlicher Sichten auf Geschäftsprozesse erweitert werden.

6 Resümee

Aus einer konzeptionellen Betrachtung bietet die BPMN im Vergleich zu anderen Sprachen zur Geschäftsprozessmodellierung nur punktuelle Neuerungen. Gleichzeitig bleibt unklar, wie die BPMN in vorhandene Standards der OMG eingebettet ist. Insbesondere drängt sich die Frage auf, welcher Zusammenhang zu UML-Aktivitätsdiagrammen besteht.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine Standardisierung von Modellierungssprachen grundsätzlich wesentliche Vorteile für die Wissenschaft und Praxis bietet: Investitionsschutz für Modellierungswerkzeuge, einfacher Modellaustausch, bessere Möglichkeiten zur Modellwiederverwendung, höhere Professionalisierung und besseres Training (Frank 1997, S. 13).

Aktuelle empirische Untersuchungen zur Verbreitung der Modellierungssprachen deuten noch nicht auf eine starke Verbreitung der BPMN in Deutschland hin (Fettke 2008, ohne Seitenangabe). Allerdings kann aufgrund der mit der Standardisierung einhergehenden Vorteile der Entwicklungsvorsprung etablierter Modellierungssprachen der Wirtschaftsinformatik an Bedeutung verlieren. Folglich besteht für die Wirtschaftsinformatik die Gefahr, dass die schon seit über 15 Jahren von ihr entwickelten Modellierungssprachen zur Geschäftsprozessmodellierung zukünftig verdrängt und durch die BPMN ersetzt werden.