Im Dezember 2019 wurden erste Infektionen mit SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) entdeckt, die Erkrankung wurde als COVID-19 („coronavirus disease 2019“) bezeichnet. Bis Ende September 2020 wurden global mehr als 33 Mio. Infektionen und mehr als 1 Mio. Todesfälle berichtet. Hier stellen wir die derzeit bekannten Daten zur Epidemiologie des Virus sowie zu den Kontroll- und Präventionsmaßnahmen zusammen.

Übertragung

Das Virus repliziert überwiegend im oberen und unteren Respirationstrakt sowie im Gastrointestinaltrakt [33]. Ein Virusnachweis im Blut ist bei schwerkranken Patienten beschrieben. Die Übertragung geschieht überwiegend durch Tröpfchen, die Infektionen typischerweise über eine Entfernung von bis zu 1,5 m übertragen können. Aerosole mit hoher Virusdichte können ebenfalls Infektionen auslösen [32]. Eine Übertragung durch Stuhl oder andere gastrointestinale Sekrete ist bisher nicht nachgewiesen, theoretisch aber in Analogie zu den verwandten Viren SARS-CoV und MERS(„Middle East respiratory syndrome“)-CoV denkbar [29].

Die hochaktive Replikation im oberen Respirationstrakt ist vermutlich der Grund für die hohe Infektiosität. Eine Infektion ist auch durch oligo- oder asymptomatisch Infizierte bei geringem Abstand oder effektiver Aerosolbildung (z. B. Singen in engen Räumen) möglich [22, 24].

Basisreproduktionszahl R0, Inkubationszeit und „superspreading“

Die Basisreproduktionszahl R0 kann anhand von Infektionsketten, Clustern oder Haushaltskontakten geschätzt, aber auch aus der Ausbreitung in einer Population berechnet werden. R0 wird für SARS-CoV‑2 zwischen 2,0 und 3,0 geschätzt, einige Studien fanden höhere Werte [6, 16].

Die Heterogenität der Schätzungen von R0 lässt sich am besten durch eine hohe interindividuelle Streuung der Übertragungswahrscheinlichkeiten erklären. Bei SARS-CoV und MERS-CoV wurde beobachtet, dass wenige Infizierte eine hohe Zahl von Folgeinfektionen verursachten (Superspreading-Ereignisse). Dies wurde auch früh schon bei SARS-CoV‑2 vermutet, einerseits, weil bei vielen Haushaltskontakten keine Übertragungen stattfanden, und andererseits, weil zu Beginn der Epidemie in China mehrere Cluster von Infektionen im medizinischen Bereich auftraten [32]. Diese Streuung kann durch einen weiteren Parameter, den Überdispersionskoeffizienten κ, charakterisiert werden. Je kleiner dieser Wert ist, desto höher ist die Streuung (Tab. 1; [6]).

Tab. 1 Kennzahlen der Epidemiologie von SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)

In der Folge sind auch bei SARS-CoV‑2 eine Reihe von Superspreading-Ereignissen beschrieben worden, z. B. in Religionsgemeinschaften. Gemäß aktuellen Schätzungen geht von etwa 60 % aller Infizierten keine weitere Infektion aus, aber etwa 10–20 % der Infizierten sind für mehr als 80 % der Folgeinfektionen verantwortlich [6]. Die Bedingungen, die für ein Superspreading-Ereignis notwendig sind (z. B. hohe Viruslast, viele soziale Kontakte), sind bisher nicht gut spezifiziert. Dass dies für die Prävention eine große Rolle spielt, ist unmittelbar einsichtig. Wenn Superspreading-Ereignisse vermieden werden können, verhindert dies sehr effektiv die Ausbreitung. Die Inkubationszeit beträgt im Median 5,7 Tage, 99 % aller Inkubationszeiten liegen zwischen 2 und 14 Tagen [14]. Die Latenzzeit (Zeitraum von der Infektion bis zum Beginn der infektiösen Periode) ist vermutlich etwa 1 Tag kürzer – Übertragungen vor dem Auftreten von Symptomen kommen vor (Tab. 1; [14]).

Altersverteilung

Die Mehrzahl der Fälle trat bisher in der Altersgruppe zwischen 20 und 60 Jahren auf. In China, Korea, Italien und Deutschland zeigen sich dabei unterschiedliche Muster, die auch unterschiedliche Altersverteilungen der Bevölkerung widerspiegeln (Abb. 1). Einheitlich ist die Altersgruppe der Kinder unter 10 Jahren wenig betroffen (Abb. 1; [11, 13, 21, 27]).

Abb. 1
figure 1

Altersverteilung (%) von COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Fällen international aus den Monaten 2–6/2020

Nosokomiale Übertragung und Infektionen bei medizinischem Personal

Bereits früh wurden in der Provinz Hubei Infektionen beim medizinischen Personal und nosokomiale Übertragungen berichtet. Diese traten v. a. in Notfallsituationen (z. B. Intubation) und dort, wo die Infektion der betreffenden Patienten nicht vorher bekannt war, auf [32].

Infektionen bei medizinischem Personal sind allerdings nicht immer dem Arbeitsumfeld zuzuordnen. Im späteren Verlauf des Ausbruchs in Wuhan/Hubei waren Infektionen beim medizinischen Personal in der Mehrzahl durch soziale Kontakte außerhalb des Arbeitsfelds verursacht.

2,7 % aller Infektionen waren in China bei Personen des medizinischen Personals aufgetreten, in Italien 11,1 % und in Deutschland 5,8 %. In 2 großen nationalen Seroprävalenzstudien (Spanien, Italien) zeigt sich jeweils eine etwa doppelt so hohe Seroprävalenz bei medizinischem Personal im Vergleich zur Infektionsrate über alle Berufsgruppen (Italien 5,3 % vs. 2,8 %, Spanien 10,2 % vs. 4,8 %; [10, 17]). Die Zahl bzw. die Rate von Komplikationen und Todesfällen ist in diesem Kollektiv bisher sehr niedrig [11, 21, 32].

Klinisches Spektrum, Schweregrad und Folgen

Das Spektrum der Folgen einer Infektion reicht von asymptomatischen Verläufen über Infektionen mit mäßig schweren Symptomen, Pneumonien mit Lungenversagen, myokardiale Beteiligung und Thromboembolien bis zum Multiorganversagen [4].

Die Häufigkeit asymptomatischer Infektionen kann aus Seroprävalenzstudien oder Ausbruchssituationen abgeleitet werden. Allerdings sind nicht alle nichtdiagnostizierten Infektionen asymptomatisch: Der Anteil an asymptomatischen Infektionen liegt etwa zwischen 27 und 40 % [10, 15, 17]. Rund 90 % aller Infektionen sind unkompliziert, d. h. asymptomatisch, oligosymptomatisch oder mit milden bis mäßigen Symptomen assoziiert.

Die Komplikationsrate ist abhängig von Alter und Komorbiditäten und steigt ab dem 60. Lebensjahr stark an

Die Komplikationsrate ist abhängig von Alter und Komorbiditäten, männliches Geschlecht und einigen genetische Merkmale sind ebenfalls Risikofaktoren. Die Hospitalisierungsraten liegen zwischen 4 und 7 %. Etwa 25 % aller hospitalisierten Patienten benötigen eine intensivmedizinische Betreuung mit Organersatzverfahren (ca. 75 % invasive Beatmung, 25 % Nierenersatzverfahren; [9, 19]). Mögliche Langzeitfolgen sind Gegenstand vieler Langzeitstudien und können zum jetzigen Zeitpunkt noch schlecht abgeschätzt werden.

Wie tödlich ist SARS-CoV-2?

Die Letalität wird am besten als Rate von Todesfällen unter allen infizierten Personen („infection fatality rate“, IFR) angegeben. Bei der hohen Rate unkomplizierter Verläufe spiegeln die gemeldeten Fälle das Infektionsgeschehen nur unvollständig wider, je nach Teststrategie bzw. -dichte ist eine unterschiedlich hohe Dunkelziffer vorhanden. Direkt berechnet werden kann nur die Todesfallrate, bezogen auf die gemeldeten Fälle („case fatality rate“, CFR). Diese wird am stärksten von 2 Faktoren beeinflusst, nämlich von der Dunkelziffer der Infektionszahlen und der Altersverteilung der Infizierten.

Mehrere Arbeitsgruppen, zuerst aus dem Imperial College London, haben Fallzahlen und Todesfälle in unterschiedlichen Ländern bzw. Regionen analysiert und hieraus Schätzungen für die altersabhängige IFR erstellt (Tab. 2; [1, 2, 13, 23, 30]).

Tab. 2 Mortalität nach Fallzahlmeldungen nach Alter („case fatality rate“, CFR) in verschiedenen Staaten und Modellrechnung mit Einschluss der Dunkelziffer (nichtdiagnostizierte/-gemeldete Fälle; IFR [„infection fatality rate“]; Stand August 2020)

Direkt berichtet wird aus allen Nationen die jeweilige CFR. Zum Vergleich mit Influenzapandemien ist diese Rate ohnehin besser geeignet, da für diesen Parameter für die meisten Pandemien des 20. Jahrhunderts (1918–1976) Schätzungen einer Arbeitsgruppe der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) vorliegen. Maximal lag diese bei bis zu 2,04 % (Influenza 1918), bei den anderen Ausbrüchen niedriger (Influenza 1957: 0,1–0,3; Influenza 1968: <0,05 %; [18]). Unter den CFR aus verschiedenen Regionen liegt die Rate für Deutschland bei weniger als 4 % noch niedrig (Tab. 2), und diese ist bereits deutlich höher als die höchste aus diesen Influenzapandemien. Zusätzlich waren Organersatzverfahren bis etwa 1970 kaum vorhanden. Bei beatmeten intensivpflichtigen Patienten beträgt die Mortalität etwa 25 %, ohne Organersatzverfahren müssten CFR und IFR deshalb etwa mit dem Faktor 4 multipliziert werden. Im Unterschied zu COVID-19 waren allerdings bei der Influenza 1918 die Todesfallraten am höchsten in der Altersklasse von 30 bis 60 Jahren mit schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerungsstruktur. Dies zeigt, dass die Schwere einer Pandemie nicht allein durch die Todesrate, sondern durch weitere Faktoren wie z. B. das Altersprofil der Todesrate und auch durch die Ausbreitung bestimmt wird [18].Die Ausbreitung (Befallsrate, „attack rate“) lag bei den genannten Influenzapandemien zwischen 9 und 40 % der Gesamtbevölkerung – höher als die bisherige Ausbreitung von COVID-19 in den meisten Staaten.

Ein Parameter zur Beurteilung der Schwere einer Epidemie ist die Übersterblichkeit

Ein weiterer Parameter zur Beurteilung der Schwere einer Epidemie ist die Übersterblichkeit. Die Übersterblichkeit kann auch solche Todesfälle entdecken, bei denen die Infektion nicht diagnostiziert wurde. Aus 24 europäischen Staaten wurden kumulativ mehr als 185.000 Exzesstodesfälle in den ersten 18 Wochen 2020 berichtet, überwiegend in der Altersgruppe über 65 Jahre, aber auch in der Gruppe von 45 bis 64 Jahren [31]. Für Deutschland ist über alle Altersgruppen keine Übersterblichkeit vorhanden (Abb. 3a), aber ein Signal ist aus den Sterbefallzahlen schwach für ganz Deutschland ab April (Abb. 2a), deutlich für Baden-Württemberg und Bayern (Abb. 2b) und nicht für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt (Abb. 2c; [5, 25]) zu erkennen. Die Stärke der Signale korreliert mit der regionalen Epidemiologie: In den beiden südlichen Bundesländern war eine hohe Inzidenz, in den beiden neuen Bundesländern eine sehr niedrige Inzidenz von SARS-CoV-2-Infektionen vorhanden.

Abb. 2
figure 2

Wöchentliche Sterbefälle von Januar bis Juni 2020 im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2016 bis 2019 in Deutschland (a), in Bayern und Baden-Württemberg (BW; b) sowie in Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Sachsen-Anhalt (SA; c; [5])

Abb. 3
figure 3

Altersabhängige Inzidenz (Fälle/Woche/100.000 Einwohner) von COVID-19 („coronavirus disease 2019“) in Deutschland (Kalenderwochen [W] 10 bis 45, 2020; [21])

Ausbreitung bis Ende Oktober 2020

Die World Health Organization (WHO) hat COVID-19 am 11.03.2020 als Pandemie klassifiziert. Bis Ende April 2020 wurden weltweit mehr als 3 Mio. Fälle und über 200.000 Todesfälle gemeldet, bis Ende Oktober 2020 hat sich diese Zahl auf mehr als 45 Mio. Fälle und über 1 Mio. Todesfälle vervielfacht.

Die Ausbreitung in einzelnen Staaten kann durch Seroprävalenzstudien bestimmt und mit der IFR aus verschiedenen Modellen (Tab. 2) abgeschätzt werden. Die bisher veröffentlichten nationalen Seroprävalenzstudien zeigen große Unterschiede, diese ergeben sich auch regional (Tab. 3; [10, 17, 20, 26, 28]).

Tab. 3 Ausbreitung von SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) in unterschiedlichen Regionen (gemeldete Fälle, Schätzung der tatsächlich Infizierten und der Befallsraten [„attack rate“])

Unter der Annahme etwa gleicher Ressourcen des Gesundheitswesens sind Unterschiede der CFR in der gleichen Altersklasse zwischen verschiedenen Ländern am ehesten auf unterschiedliche Teststrategien bzw. Dunkelziffern zurückzuführen. Die Zahl der Infizierten in einer Altersgruppe kann demnach mittels der Modelle für die IFR adjustiert werden, womit eine Hochrechnung auf die Fallzahlen insgesamt zumindest grob möglich ist. Mittels dieser Modelle (Tab. 2) wurden so für verschiedene Länder untere und obere Schätzwerte für die Fallzahlen errechnet. Die Schätzwerte und die gemessenen Seroprävalenzen sind kongruent (Tab. 3).

In keiner der untersuchten Region ist so mit einer relevanten Herdenimmunität nach der ersten Welle zu rechnen. Unter den europäischen Ländern liegt die Befallsrate in Deutschland mit 0,4–1,8 % am niedrigsten. Seit Juli hat sich die Altersverteilung der Infizierten in Deutschland deutlich geändert, die höchste Inzidenz findet sich bei den 20- bis 29-Jährigen. Allerdings steigt seit Mitte September auch die Inzidenz in den älteren Bevölkerungsgruppen rasch an (Abb. 3).

Kontrollmaßnahmen und Prävention

Im Januar 2020 wurde Wuhan mit der Provinz Hubei vollständig abgeriegelt, Bürger konnten die Provinz weder verlassen noch erreichen. Eine Ausgangssperre wurde erlassen, Infizierte wurden isoliert und Kontaktpersonen unter Quarantäne gestellt. Anfang April wurde der bisher letzte Fall einer Übertragung in der Provinz Hubei gemeldet, seither sind nur einzelne neue Fälle dort gemeldet worden [3].

Nach einer raschen Ausbreitung in Europa Anfang März wurden in vielen Staaten unterschiedliche Kombinationen dieser oder ähnlicher Maßnahmen angewandt (Tab. 4). Die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen kann bisher nur ungenau geschätzt werden, alle Maßnahmen sind zeitlich eng zusammenliegend und meist kombiniert eingeführt worden. Nach Modellrechnungen konnten durch diese Interventionen in 11 Staaten insgesamt 3 Mio. erwartete Todesfälle vermieden werden, mit unterschiedlichen Effekten je nach Nation (Tab. 4; [8]).

Tab. 4 Kontroll- und Präventionsmaßnahmen in Europa. (Mod. nach [8])

Evidenz für den Einsatz von Mund-Nasen-Schutzmasken ergibt sich v. a. aus technischen Untersuchungen. Eine hohe Rate von infektiösen Partikeln wird demnach bei Infizierten zurückgehalten und gelangt nicht in die Umgebung. Die Maske schützt damit in erster Linie nicht den Träger, sondern seine Umgebung. Weitere Evidenz kommt aus Beobachtungen von Fallserien, eine Evidenz durch randomisierte Studien ist nicht vorhanden [7, 12]. Diese einfache Intervention ist kostengünstig und ohne schwerere Nebenwirkungen.

Fazit für die Praxis

  • SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) hat sich nach dem ersten Auftreten in China rasch weltweit verbreitet.

  • Etwa 90 % der Infektionen verlaufen unkompliziert, bei 5–10 % verursacht das Virus schwere Erkrankungen.

  • Risikofaktoren für einen schweren Verlaufs sind höheres Alter, chronische Herz-Kreislauf-, metabolische Erkrankungen und Immundefekte.

  • Kontrollmaßnahmen zur sozialen Distanzierung haben dazu beigetragen, dass die Verbreitung in vielen Regionen begrenzt wurde und nur ein Bruchteil der erwarteten Todesfälle eintrat.

  • In den meisten Staaten Europas sind die Zahlen von Neuinfektionen ab Juli wieder angestiegen, eine zweite Infektionswelle, auch mit hohen Zahlen von Hospitalisierungen, ist in mehreren europäischen Ländern vorhanden.