Theoretischer Hintergrund

In Deutschland können viele Schüler den zunehmenden schulischen Anforderungen oftmals nicht mehr gerecht werden [1]. So gaben 40 % der Schüler in einer aktuellen Umfrage an, sich durch die Schule gestresst zu fühlen [22].

Im Schulalltag begegnen Schüler Anforderungen unterschiedlichster Art, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten beanspruchen. Die erste Stelle nehmen die akademischen und schulisch-organisatorischen Stressoren ein. Beispiele dafür sind hohes Unterrichtstempo, eine hohe Frequenz an Präsentationen und viele Leistungsbeurteilungen, der Numerus clausus für eine zunehmende Zahl an Studiengängen und damit einhergehender Notendruck [22] sowie mangelnde Möglichkeiten in der Unterrichtsgestaltung [21]. Darüber hinaus sind belastete Beziehungen zu Eltern [15], Lehrpersonen [21] und Gleichaltrigen [11] ebenfalls zentrale Stressquellen für Schüler.

Aus dem Arbeitskontext ist bekannt, dass die Exposition mit vielen oder intensiven Anforderungen sowie das Übersteigen individueller Bewältigungsmöglichkeiten das Risiko eines Jobburnouts erhöht [2]. Schulburnout ist das Pendant zum Jobburnout im schulischen Kontext, da die Schule ebenfalls einen Arbeitsplatz für Lernende darstellt [19]. Das Syndrom Burnout ist charakterisiert durch emotionaleErschöpfung – chronische Erschöpfung durch schulische Aufgaben, Zynismus – Wahrnehmung der Bedeutungslosigkeit und abwehrende Haltung gegenüber der Schule und reduzierte schulische Selbstwirksamkeit – reduzierte Kompetenzzuschreibung in schulischen Aufgaben und Gefühl des Versagens [17].

Schulburnout wurde länder-, kultur- und schulformübergreifend (u. a. auch Deutschland; [10]) nachgewiesen (für eine Übersicht vgl. [23]). Ähnlich wie Jobburnout ist die Konsequenz eines Schulburnouts gravierend. Schulburnout erhöht bedeutsam das Risiko von Schulabbruch, Depressionen [4], reduziertem Aufmerksamkeitsvermögen und Verschlechterung der kognitiven Leistung [14].

Das Job-Demands-Resources-Modell

Zur Erklärung der Entwicklung eines Burnouts und seiner Auswirkungen auf arbeits- und gesundheitsbezogene Outcomes wird das etablierte Job-Demands-Resources-(JD-R)-Modell [2, 3, 7] häufig als ein heuristisches Modell genutzt. Das Herzstück dieses Modells bildet die Unterteilung von Arbeitsbedingungen in arbeitsbezogene Anforderungen und Ressourcen, welche sich auf physische, psychische, emotionale und organisatorische Aspekte beziehen. Während Anforderungen solche sind, die kognitive und emotionale Kraft zu ihrer Bewältigung kosten, sind Ressourcen solche, die 1) der Zielerreichung dienen, 2) die Jobanforderungen mindern oder 3) das persönliche Wachstum fördern. Außerdem postuliert das Modell zwei parallele psychologische Prozesse. Im gesundheitsbeeinträchtigenden Prozess führen Anforderungen zur Erschöpfung und können das Arbeitsengagement schmälern. Im motivationalen Prozess führen Ressourcen zu mehr Engagement und verringern gleichzeitig die Bewältigungskosten. Neben den beiden Haupteffekten postuliert das Modell noch zwei Interaktionen von Anforderungen und Ressourcen. Einerseits können die Ressourcen als Puffer zwischen den Anforderungen und dem Burnout fungieren: je höher die Ressourcen, desto geringer die Korrelation zwischen Anforderungen und Burnout. Andererseits können Anforderungen die motivationalen Effekte von Ressourcen verstärken: je höher die Anforderungen, desto größer der Zusammenhang zwischen Ressourcen und Engagement.

In den letzten Jahren wurde das JD-R-Modell häufig herangezogen, um Burnout bei den Lehrenden zu erklären (z. B. [8]). Ein anderer Zentralakteur im Bildungskontext sind die Lernenden. Evidenz der Anwendbarkeit des JD-R-Modells im deutschen Bildungskontext konnte von Gusy et al. [9] geliefert werden. In ihrer Studie mit 808 Studierenden kategorisierten sie die studienbezogenen Merkmale in Anforderungen und Ressourcen. Ähnlich wie im Jobkontext erhöhen studienbezogene Anforderungen das Risiko von Erschöpfung und wirken sich negativ auf das Wohlbefinden aus, während Ressourcen das Engagement fördern und zu mehr Wohlbefinden beitragen. Jedoch wurden die von dem JD-R-Modell postulierten Interaktionseffekte der Anforderungen und Ressourcen nicht berücksichtigt. Auch wurden keine studienbezogenen Outcomes wie Abbruchintention oder akademische Leistung aufgenommen.

Im schulischen Kontext konnte ein erster Nachweis der Gültigkeit des JD-R-Modells in einer Längsschnittstudie mit etwa 1700 finnischen Neuntklässlern erbracht werden [19]. Die Autoren untersuchten die Auswirkung von wahrgenommenen schulischen Anforderungen und personaler Ressourcen (Selbstwirksamkeit) auf die schulische Leistung, Schulburnout, Engagement und gesundheitsbezogene Outcomes. Sie fanden die postulierten Dualprozesse und die negativen Auswirkungen des Burnouts auf Lebenszufriedenheit, psychische Gesundheit sowie Schulerfolg. Auch in ihrer Studie erfolgte keine Überprüfung der Interaktionen.

Die aktuelle Studie

Das JD-R-Modell dient nicht nur zur Erklärung der Entstehung von Burnout, sondern auch zur Ableitung von Präventions- und Interventionsansätzen (für eine Übersicht vgl. [3]). Eine Überprüfung dieses Modells im deutschen Schulkontext steht noch aus. Ziel dieser Studie ist es, erste Hinweise zur Anwendbarkeit des Modells in der Forschung zu liefern. Dabei werden sämtliche Annahmen des Modells geprüft.

Es wird angenommen, dass schulcharakteristische Merkmale sich in Anforderungen und Ressourcen unterteilen lassen.

H1:

Schulische Anforderungen und Ressourcen stehen in einer negativen Beziehung zueinander.

Auch werden zwei parallele Prozesse erwartet.

H2:

Schulische Anforderungen korrelieren positiv mit Burnout und negativ mit schulischem Engagement, während Ressourcen negativ mit Burnout aber positiv mit Engagement korrelieren.

Bislang wurden die vom Modell postulierten Interaktionen zwischen Anforderungen und Ressourcen ignoriert. In dieser Studie werden die Interaktionen mitüberprüft und lassen sich in zwei Hypothesen formulieren.

H3a:

Der positive Zusammenhang zwischen Anforderungen und Burnout wird schwächer, wenn die Ressourcenausprägung hoch ist.

H3b:

Der positive Zusammenhang zwischen Ressourcen und Engagement wird stärker, wenn die Anforderungen hoch sind.

Außerdem wird ein negativer Zusammenhang zwischen Burnout und schulischer Leistung erwartet.

H4:

Burnout und schulische Leistung korrelieren negativ miteinander.

Methodik

Stichprobe

Im Frühjahr 2019 nahmen 395 Oberstufenschüler (242 weiblich) an der Fragebogenstudie teil. Ihr Durchschnittsalter betrug 16,9 Jahre (SD = 1,25). Außer der 13. Klasse (1,5 %) verteilten sich die Klassenstufen nahezu gleichmäßig. Die Teilnehmenden waren überwiegend Gymnasiasten aus Nordrhein-Westfalen. Insgesamt hatten etwa 13 % der Befragten einen Migrationshintergrund.

Messinstrumente

Ressourcen.

Die Ressourcen wurden mit dem Fragebogen zu Ressourcen im Kindes- und Jugendalter (FRKJ; [13]) erfasst. Der 4‑stuftige FRKJ umfasst personale Ressourcen: Empathie und Perspektivenübernahmefähigkeit, Selbstwirksamkeit, Selbstwertschätzung, Kohärenzsinn, Optimismus, Selbstkontrolle und umgebungsbezogene Ressourcen: elterliche Unterstützung, autoritativer Erziehungsstil, Integration in die Peergruppe sowie schulische Integration.

Schulische Anforderungen.

Für die Messung schulischer Anforderungen wurde die Skala Arbeitsbelastungen aus der salutogenetischen subjektiven Arbeitsanalyse (SALSA; [16]) in Anlehnung an der Studie von Gusy et al. [9] adaptiert. Die eingesetzte 5‑stufige Likert-Skala umfasst qualitative und quantitative Überforderung, qualitative Unterforderung, belastendes Sozialklima sowie belastendes Lehrerverhalten. Die negativen Assoziationen zwischen belastendem Sozialklima und Integration in die Peer-Gruppe (r = −0,22, p < 0,001) bzw. schulischer Integration (r = −0,45, p < 0,001) weisen auf eine genügende Konstruktvalidität hin.

Schulburnout.

Das Schulburnout wurde mittels übersetztem „school burnout inventory“ (SBI; [17]) erhoben. Das 6‑stufige Inventar umfasst schulische Erschöpfung, Zynismus und verminderte Selbstwirksamkeit.

Schulisches Engagement.

Schulisches Engagement wurde mit dem 7‑stufigen „schoolwork engagement inventory“ (SEI; [18]) erfasst. Das Inventar besteht aus drei Dimensionen: Energie, Hingabe und Vertieftsein.

Schulische Leistung.

Zur Erhebung der schulischen Leistung der Schüler wurde der Notendurchschnitt ihres letzten Zeugnisses, d. h. über alle Fächer gemittelt, erhoben.

Beispielitems und interne Konsistenz von den jeweiligen Skalen sind in Tab. 1 präsentiert. Die Fragebögen zu Schulburnout und Engagement wurden von der englischen Sprache ins Deutsche von zwei Personen, die beide Sprachen beherrschen, unabhängig voneinander übersetzt und rückübersetzt. Außerdem wurden alle eingesetzten Skalen mit 70 Schülern erprobt, um die Verständlichkeit der Fragen zu gewährleisten.

Tab. 1 Beispielitems von den eingesetzten Skalen

Ergebnisse

Die Tab. 2 zeigt die Mittelwerte, Standardabweichungen und Interkorrelationen der Variablen. Ergebnisse der t‑Tests deuten auf Geschlechtsunterschiede hin (Tab. 3): Im Vergleich zu den Jungen berichteten die Mädchen von mehr Burnout und Anforderungen, während die Jungen signifikant mehr Ressourcen berichteten als die Mädchen.

Tab. 2 Die Mittelwerte, Standardabweichungen und Interkorrelationen
Tab. 3 Geschlechtsunterschiede in den Konstrukten

Zur Prüfung der ersten drei Hypothesen wurde mittels des Statistikprogramms AMOS ein Pfadmodell formuliert. Das Modell erwies sich als sehr gut an die empirischen Daten angepasst (χ2 = 1,10, df = 1, p = 0,29, RMSEA = 0,02, CFI = 1,00). Wie Abb. 1 zu entnehmen, korrelierten Anforderungen negativ mit Ressourcen (r = −0,34, p < 0,001). Die dualen Prozesse konnten identifiziert werden, dabei waren sämtliche standardisierten Regressionskoeffizienten mit p < 0,001 signifikant: Anforderungen korrelierten positiv mit Burnout (β = 0,63) und negativ mit Engagement (β = −0,32), während Ressourcen negativ mit Burnout (β = −0,23) und positiv mit Engagement (β = 0,31) einhergingen. Insgesamt konnten etwa 54 % der Varianz des Burnouts und etwa 27 % der Varianz des Engagements aufgeklärt werden.

Abb. 1
figure 1

Grafische Veranschaulichung der Ergebnisse des Job-Demands-Resources- (JD-R-)Modells. Anmerkung: Alle Koeffizienten sind standardisiert und signifikant mit p < 0,001

Zur Überprüfung der Interaktionen zwischen Anforderungen und Ressourcen wurden zwei hierarchische Regressionsanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass keine Interaktionseffekte identifiziert werden konnten (s. Tab. 4 und 5).

Tab. 4 Hierarchische Regressionsanalyse zur Prüfung des Interaktionseffekts auf das Burnouterleben
Tab. 5 Hierarchische Regressionsanalyse zur Prüfung des Interaktionseffektes auf schulisches Engagement

Die schulische Leistung korrelierte positiv mit dem Burnout (r = 0,34, p < 0,001), was einen Effekt mittlerer Größe darstellt [6].

Diskussion

Ziel dieser Pilotstudie ist es, für die Literatur und die Empirie erste Hinweise auf die Anwendbarkeit des JD-R-Modells im deutschen Schulkontext zu liefern. Erwartungskonform lassen sich schulcharakteristische Merkmale in Anforderungen und Ressourcen kategorisieren, welche in einer negativen Beziehung zueinander stehen. Ebenfalls konnten die dualen Prozesse identifiziert werden. Entgegen der Annahmen wurden keine Interaktionseffekte von Anforderungen und Ressourcen gefunden. Jedoch sind Ergebnisse zu den Interaktionseffekten in der Literatur ebenfalls inkonsistent (für einen Überblick vgl. [2, 3]). Dennoch lässt sich als Grund dafür eine Inkompatibilität von Ressourcen und Anforderungen vermuten. Wie Chrisopoulos et al. [5] im Arbeitskontext herausfanden, schwächen Ressourcen negative Auswirkungen von Anforderungen stärker ab, wenn sie auf kognitiver, emotionaler oder physischer Ebene mit diesen kompatibel sind. In dieser Studie wurden Anforderungen durch akademische und soziale Stressoren operationalisiert, während Ressourcen Persönlichkeitsmerkmale und Umgebungsvariablen umfassten. Wie die meisten Studien zur Überprüfung des JD-R-Modells wurden die Anforderungen durch subjektive Einschätzungen operationalisiert. Jedoch bezieht sich ein Großteil der Skala auf wahrgenommene Überforderung. Shernoff et al. stellen fest [20], dass das Engagement am stärksten aktiviert wird, wenn sich die Schüler bei der Bearbeitung von Aufgaben gefordert, aber eben nicht gänzlich überfordert fühlen. Konsistent mit Befunden aus anderen Studien (für eine Übersicht vgl. [23]) erleben Mädchen mehr Burnout als Jungen. Eine mögliche Erklärung für diesen geschlechtsspezifischen Unterschied wäre der stärkere akademische Selbstwert und der geringere globale Selbstwert der Mädchen [10].

Die erste Limitation dieser Studie ist das Querschnittsdesign. Für die kausale Interpretation von Effekten bedarf es zusätzlicher Längsschnittuntersuchungen. Zweitens beruhen die Analysen ausschließlich auf Selbstberichtsdaten. Gleichwohl sind die interessierenden Variablen intrapsychische Konstrukte. Woraufhin Selbstberichtdaten in diesem Fall Vorteile aufweisen [12]. Weiterführend könnte es interessant sein, Lehrereinschätzungen zu Klassenklima und Elterneinschätzungen zu elterlichen Unterstützungen einzuholen. Drittens fokussiert diese Studie auf Oberstufenschüler, da im Kindes- und Jugendalter das Stresserleben und negative emotionale Reaktionen prozentual zum Alter stehen. Somit stellen die Oberstufenschüler die größte Risikogruppe eines Burnouts innerhalb des Schulsystems dar [10]. Um die Ergebnisse zu generalisieren, sollten weitere Studien in anderen Schülergruppen durchgeführt werden. Auch sollte in zukünftigen Studien die Kompatibilität zwischen Anforderungen und Ressourcen berücksichtigt werden. Zuletzt muss erwähnt werden, dass Burnout und Engagement mittels finnischer Fragebögen erfasst wurden. Obwohl die Validität der Übersetzung durch die Rückübersetzprozedur und eine Evaluation der Verständlichkeit bestmöglich gesichert werden konnte, sollten die Skalen in einer größeren Stichprobe validiert werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Befunde der aktuellen Studie deuten auf eine negative Auswirkung von hohen schulischen Anforderungen sowie individuellen Unterschieden in ihrer Wahrnehmung hin. In der Praxis könnte eine individuelle Förderung/Forderung eine Maßnahme sein. Beispielsweise sollten die Quantität und der Schweregrad der schulischen Aufgaben je nach Leistungsstand eines Schülers individuell angepasst werden.

  • Die Befunde der Studie implizieren außerdem, dass personale und umgebungsbezogene Ressourcen motivationale Funktionen besitzen und gleichzeitig das Risiko eines Burnouts reduzieren können. In der Praxis könnte die Förderung der Ressourcen von Schülern, wie etwa durch Resilienzförderprogramme, hilfreich sein.