Zahlreiche auf Bewegungsmangel zurückzuführende Erkrankungen treten bei Menschen mit Lernschwierigkeiten häufiger und oftmals früher auf. Ein körperlich aktiver Lebensstil ist mit Gesundheit und Wohlbefinden assoziiert. Für die Allgemeinbevölkerung liegen Konzepte und Empfehlungen zur Bewegungsförderung vor. Jedoch fehlen sie für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Das Forschungsprojekt „Förderung der Bewegungskompetenzen von Menschen mit Lernschwierigkeiten“ entwickelt partizipativ Interventionen, um die bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz der Betroffenen zu fördern.

Hintergrund

Erkrankungen des Bewegungsapparats sind einer der häufigsten Gründe von körperlichen Funktionseinschränkungen und chronischen Schmerzen – Bewegungsmangel ist hierfür ein bedeutsamer Risikofaktor [13]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) [21] hat aufgrund der Relevanz von Bewegungsmangel als gesamtgesellschaftliches Gesundheitsrisiko den globalen Aktionsplan „more active people for a healthier world“ mit dem Ziel entwickelt, die körperliche Aktivität bis zum Jahr 2030 zu steigern. Bewegung ist jede Art, Dauer und Intensität von gesundheitsförderlicher körperlicher Aktivität, die durch die körperliche Skelettmuskulatur erzeugt wird und zu einem substanziellen Anstieg des Energieverbrauchs führt [14]. Die Förderung von körperlicher Aktivität ist bei Menschen mit Lernschwierigkeiten hoch bedeutsam. Sie weisen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einen schlechteren Gesundheitszustand und eine geringere körperliche Fitness auf. In der Freizeit werden weniger Aktivitäten ausgeführt: ca. 85 % der Freizeit wird in einer sitzenden Lebensweise verbracht [1]. Hierdurch und durch ungesunde Nahrungsgewohnheiten ist die Zielgruppe überproportional von Übergewicht betroffen, die zu chronischen Erkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen führen können [7]. Beeinträchtigungen treten dabei im Lebenslauf nicht nur häufiger, sondern oftmals auch früher auf [3]. Menschen mit Lernschwierigkeiten sind weiterhin von gesundheitlicher Ungleichheit betroffen: Sie erhalten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung weniger diagnostische sowie therapeutische Maßnahmen wie Vorsorge- und Screeninguntersuchungen und der Zugang zu Programmen der Prävention, Gesundheitsförderung sowie Rehabilitation ist eingeschränkt [6]. Mit der Tendenz zu Übergewicht wird neben Medikamentennebenwirkungen v. a. ein mangelndes Bewusstsein über ungesunde Lebensstile assoziiert [6]. Hier bietet sich eine vielversprechende Chance für Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme.

Durch die Förderung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz und körperlicher Alltagsaktivitäten können Krankheitsrisiken minimiert, bestehende Erkrankungen besser bewältigt und Krankheitsverläufe positiv beeinflusst werden. Dies wird u. a. in den vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Materialien „Nationale Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung“ bekräftigt [14]. Hierin werden auf wissenschaftlichen Grundlagen basierend Empfehlungen für verschiedene Lebensphasen u. a. auch mit einer chronischen Erkrankung (wie Diabetes mellitus Typ 2) beschrieben. In den Empfehlungen erfolgt ein Verweis darauf, dass „… Menschen mit Behinderung eine bedeutende Zielgruppe dar(stellen, diese) … aber gerade im Zusammenhang mit dem Thema Bewegung und Bewegungsförderung sehr heterogen (ist), so dass die Entwicklung von speziellen Empfehlungen bei bestimmten Behinderungen nur mit einem erheblichen zusätzlichen Ressourceneinsatz hätte erfolgen können“ [14]. Konzepte zur Stärkung von bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz und körperlicher Alltagaktivität fehlen für Menschen mit Lernschwierigkeiten. An dieser Leerstelle setzt das vorzustellende Projekt an.

Ausgangssituation und Projektgrundlagen

Seit der Jahrtausendwende findet u. a. und gestärkt durch die UN-Behindertenrechtskonvention ein Paradigmenwechsel statt, wodurch die gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt der Eingliederungshilfe rückt. Das Gesamtziel aller Bemühungen ist die größtmögliche Selbstbestimmung und Autonomie im Sinne von Empowerment. Als professioneller Grundsatz bedeutet dies, Menschen ressourcenorientiert zu beraten, zu begleiten und zu unterstützen. Konzepte und Methoden, die Förderung der körperlichen Aktivität und gleichzeitig Selbstbestimmung berücksichtigen, sind bei Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht vorzufinden (z. B. [5, 9, 12]). Ein kürzlich veröffentlichtes Systematic Review [20] zur Thematik „Effects of lifestyle change interventions for people with intellectual disabilities“ kam zu dem Fazit, dass die Bedarfe und Bedürfnisse der Zielgruppe nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dabei ist davon auszugehen, dass Konzepte zur Prävention eine höhere Akzeptanz in der Zielgruppe finden, wenn lebensweltliches Wissen und Bedürfnisse dieser bei der Entwicklung von Programmen mit einbezogen werden. Das Projekt orientiert sich daher an den Ansätzen partizipativer Forschung, indem es darauf abzielt, anwendungsorientiert Verhalten zu modifizieren und zudem das Individuum mit eigenen Bildungsansprüchen und Entwicklungspotenzialen in den Fokus stellt [16, 18]. Eine Orientierung findet an bestehenden partizipativen Projekten statt. Hierzu gehören u. a. das Projekt „GESUND“ [4] und das Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS). Das vorzustellende Projekt fokussiert erstmalig bei der Zielgruppe auf bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz mit internalisierenden Motiven ([11]; Abb. 1).

Abb. 1
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Bewegungsbezogene Kompetenzen nach [11]

Projektziel

Benötigt werden erprobte präventive Ansätze und Interventionen zur Bewegungsförderung [14], die sich an der Lebenswelt orientieren und den Bedarfen der Menschen mit Lernschwierigkeiten Rechnung tragen. Das Projektziel ist die Entwicklung und Erprobung eines Interventionskonzepts, das bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz und Selbstwirksamkeitserfahrungen fördert sowie die Vermittlung von körper- und bewegungsbezogenem Wissen beinhaltet, um selbstbestimmt einen körperlich aktiven Lebensstil zu begünstigen. Der Fokus von Bewegung liegt auf Alltagsaktivitäten wie Treppe steigen anstatt Aufzug nutzen, Spazierengehen in unterschiedlichen Tempi etc. Hierdurch soll eine Übertragung bewegungsbezogener Fertigkeiten in den Alltag und deren Ritualisierung ermöglicht werden. So kann die Intervention nachhaltig auf die Gesundheit wirken, da davon auszugehen ist, dass durch die dauerhafte Anwendung der Maßnahmen im Alltag diese als Lebensstil übernommen werden. Für eine Verinnerlichung des erworbenen Wissens ist es unerlässlich, dass das zielgruppenspezifische Konzept eine hohe Passgenauigkeit und Akzeptanz in der Zielgruppe vorweist. Um dies zu erreichen, wird die Betroffenenperspektive im Sinne partizipativer Forschung im gesamten Projektverlauf einbezogen.

Projektpartner und Zielgruppe

Das Forschungsprojekt ist eines von sechs Teilprojekten des förges-Verbundes mit unterschiedlichen Zielgruppen, das in den kommenden Jahren zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung in verschiedenen Bereichen beiträgt.Footnote 1 Es ist im Juni 2018 gestartet und endet 2021. Der Lebenshilfe Brakel Wohnen Bildung Freizeit gGmbH obliegt die ambulante und stationäre Wohnversorgung von ca. 150 Menschen über 18 Lebensjahren mit unterschiedlichen Graden geistiger Behinderung.

Einschlusskriterien für die Teilnahme am Projekt sind: Menschen mit einer diagnostizierten Intelligenzminderung (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der 10. Revision [ICD-10]: F70-F79), die in Wohnstätten des Kooperationspartners wohnen, eine aktiv motivierte Interessensbekundung für die Befragung bzw. Konzepterprobung sowie eine Einverständniserklärung der gesetzlichen Betreuung. Die Ausschlusskriterien sind: Pflegegrad >3 oder Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Sterbephase, das Ausbleiben einer Interessensbekundung von Seiten der Menschen und/oder der gesetzlichen Vertretungen.

Projektaufbau und Arbeitsschritte

Die Verzahnung zwischen Forschung und Praxis wird durch den direkten Kontakt zwischen der Projektkoordinatorin der Lebenshilfe Brakel und dem Wissenschaftler gewährleistet. Eine Übersicht der Arbeitsschritte ist in Abb. 2 dargestellt. Die Studie wurde durch die Ethikkommission Universität Bielefeld im Januar 2019 für unbedenklich erklärt. Die Herausforderung für ein Forschungsprojekt dieser Art ist es, die Unterschiedlichkeit der Menschen mit Lernschwierigkeiten zu berücksichtigen und gleichzeitig ein Angebot zu entwickeln, das möglichst für viele Menschen passend ist. Aufgrund von Einschränkungen in der Personengruppe (z. B. verbalsprachliche Verständigung und Lesekompetenz) sind die üblichen Forschungsmethoden nicht (immer) übertragbar. Methoden müssen daher an die Zielgruppe angemessen für die befragten Personen entwickelt werden [8]. Um den Herausforderungen zu begegnen, wird das Projekt wie folgt durchgeführt.

Abb. 2
figure 2

Projektverlauf (Eigene Darstellung)

Feldphase

Ziel der Feldphase des Wissenschaftlers der FH Bielefeld war das erste Kennenlernen von Mitarbeitern und Bewohnern der verschiedenen Einrichtungen (Wohnstätten, ambulant betreutes Wohnen, Arbeitsstätte) mit ihren Alltagsroutinen. Hierzu besuchte der Wissenschaftler die verschiedenen Einrichtungen zunächst an einem Tag und nahm an verschiedene Freizeitaktivitäten teil. Bedeutsam war der erste Kontakt, um eventuelle Berührungsängste mit dem Wissenschaftler abzubauen. Fragen und Anmerkungen der Mitarbeiter und Bewohner konnten direkt beantwortet bzw. aufgenommen werden und somit fand ein erster Austausch über das Projekt und über bestehende Bewegungsangebote statt.

Planungsgruppe

Die Aufgabe der Planungsgruppe ist die beratende Projektbegleitung als Expertenrat und die Unterstützung des Projektmanagements. Beispielsweise wurde durch gemeinsames Überlegen ein ansprechender Projektname gefunden, der von der Zielgruppe gut angenommen wird. Der treffende Titel lautet „Mit Schwung und Energie durch den Tag“. Jedes Vorgehen und die Ergebnisse aus Erhebungsphasen werden in dieser Arbeitsgruppe besprochen. So wurden Informationsveranstaltungen geplant und in allen Wohnstätten, einem Freizeittreff und einer Werkstatt durchgeführt. Die Treffen der Planungsgruppe finden quartalsweise oder nach Bedarf statt. Sie besteht aus vier Mitgliedern, davon zwei Menschen mit Lernschwierigkeiten, der Projektkoordinatorin der Lebenshilfe Brakel und dem Wissenschaftler der FH Bielefeld.

Die Auswahl der Mitglieder fand durch gezieltes Anfragen der Projektkoordinatorin der Lebenshilfe Brakel und auf Basis der Erfahrungen der ersten Feldphase statt. Eine wesentliche Frage war: Wer kann unter den Rahmenbedingungen eines Forschungsprojekts wie z. B. zeitlicher Ablauf partizipieren? So müssen individuelle Belastungen der Menschen, die partizipieren möchten, mitberücksichtigt werden. Es wurden Personen für die Teilnahme gefragt, die während der Feldphase besonderes Interesse am Projektthema zeigten und für die Arbeiten in der Planungsgruppe gewisse Voraussetzungen erfüllten wie Sprach- und Lesefähigkeiten und Mobilität. Durch die Kriterien entstand ein ethischer Konflikt, da ein Ausschluss von Personen reproduziert wird (Inklusion durch Exklusion; s. [17]). Jedoch bietet sich die Chance, erste Methoden auszuprobieren und wichtige Erkenntnisse zu sammeln bzw. weiterzuentwickeln (z. B. für die Forschungs-AG).

Auftaktveranstaltungen

Ziel der Auftaktveranstaltungen war, alle Bewohner und Mitarbeiter der Lebenshilfe Brakel über das Projekt adressatengerecht zu informieren und Raum für Fragen zu geben. Hierzu wurden im Oktober 2018 die verschiedenen Wohnstätten, eine Werkstatt und ein Freizeittreff für den ambulanten Bereich besucht. In den Wohnstätten wurde über das Projekt mit einer Präsentation und Informationsflyern in Leichter Sprache informiert. Mittels eines Bewegungsquiz (Glücksrad), das von den Menschen mit Lernschwierigkeiten aus der Planungsgruppe durchgeführt wurde, konnten interaktiv erste Vorstellungen zum Wissen über Bewegung gesammelt werden, z. B. was Spaß macht und welche Form von Bewegung vermieden wird.Footnote 2

Mitarbeiterumfrage

Ziel war es, die Erfahrungen, Bedarfe und Wünsche der ca. 200 Mitarbeiter der Lebenshilfe Brakel zu Beginn zu erfassen. Die Online-Umfrage fand von November 2018 bis Januar 2019 statt. Der Fragebogen bestand aus sieben meist offenen Fragen. Die Ergebnisse werden im März 2019 mit den Leitungen der Wohnstätten und der Planungsgruppe besprochen und liegen dann kontextspezifisch vor. Die Rücklaufquote lag bei knapp über 25 % (n = 51). Die Ergebnisse zeigen die Hauptthemen: Motivation, Selbstbestimmung, Integration in den Alltag der betreuten Personen und der Mitarbeiter, Berücksichtigung vorhandener Ressourcen der Einrichtung (zeitlich, personell, finanziell) und Unterstützung der Mitarbeiter bei der Umsetzung.

Forschungs-AG

Die partizipative Forschungsstrategie wird durch die Etablierung einer „Forschungs-AG“ ergänzt. Sie besteht aus acht Mitgliedern, davon sechs Menschen mit Lernschwierigkeiten, der Projektkoordinatorin und dem Wissenschaftler. Die Hauptarbeit der Forschungs-AG besteht in der Unterstützung und Beratung bei der Datenerhebung, Interventionsentwicklung und Interventionsmodifizierung. Bei der Datenerhebung ist es die Aufgabe der Forschungs-AG relevante Themenfelder für die Zielgruppe aufzudecken und Fragen mit zu entwickeln. Hierfür wurde im November 2018 eine Schulung angeboten, die die Aufgaben klärte und motivieren sollte, möglichst kritische Rückmeldungen zur Verbesserung von Fragen zu geben. Es wurden relevante Themenfelder erfragt und diskutiert. Hieraus wurden Fragen entwickelt und in den verschiedenen Phasen der Fragenentwicklung mit den Teilnehmern in Einzelgesprächen besprochen. Diese waren Treffen, in denen das Interview testweise durchgeführt wurde. Im Anschluss haben die Beteiligten ihre Meinung dazu mitgeteilt. Die Fragen wurden in drei Phasen verbessert und bei einem gemeinsamen Treffen der Forschungs-AG im Februar 2019 besprochen. Das Verfahren orientierte sich an den aktuellen methodischen Erkenntnissen (u. a. [19]) und wird aufgrund der guten Erfahrungen für die Interventionsentwicklung und -modifizierung angepasst.

Für die Beteiligung an der Forschungs-AG stellten die Leitungen der Wohnstätten und des ambulanten Dienstes die Forschungs-AG und deren Aufgaben bei den Bewohnerversammlungen vor und fragten, wer Interesse an einer Beteiligung hätte. Falls sich mehrere Personen beteiligten wollten, wurde dies ausgehandelt. Dabei war die Einschränkung kein Kriterium wie bei der Planungsgruppe; z. B. kann eine Person hauptsächlich über Hilfsmittel (Talker) kommunizieren.

Datenerhebung (Befragung und teilnehmende Beobachtung)

Mit der Befragung richten wir uns an mögliche Nutzer der zu entwickelnden Intervention. Dies sind alle Bewohner, die oben genannte Einschlusskriterien erfüllen. Gegenstand der Erhebungen sind individuelle Wissensbestände, Erfahrungen und Strategien der Menschen mit Lernschwierigkeiten, die zum Erhalt und zur Förderung ihrer Bewegungsfähigkeiten und körperlichen Alltagsaktivitäten eingesetzt werden. Im Sinne eines partizipativen Ansatzes werden Wünsche und Anforderungen an das zu entwickelnde Konzept erfragt. Geplant ist eine Befragung von 25 Personen zwischen März und Mai 2019. Hierzu werden aus den fünf Wohnstätten und des ambulanten Dienstes jeweils vier Personen befragt (+ eine weitere Person). Die Auswahl und Ansprache wird von den Leitungen der Einrichtungen vorgenommen. Eine Empfehlung für Personen spricht die Forschungs-AG aus, da diese mögliche Nutzer gut kennt. Mit den 25 Interviews wird ein Sample angestrebt, das neben der vorhandenen Fachdiskussion („scoping review“) weitere Hinweise auf Bedarfe und Bedürfnisse der Nutzer liefert, die meist nicht berücksichtigt werden [20]. Mit den 25 Interviews werden fast 20 % der potentiellen Nutzer in der Einrichtung abgedeckt. Insgesamt wird die Verteilung neben den Wohnbereichen ein ausgewogenes Geschlechter- und Altersverhältnis aufweisen, um ein möglichst breites Spektrum abzubilden.

Die Befragung wird mittels eines problemzentrierten Interviews vorgenommen, das in der Form für die Zielgruppe angepasst ist (Besonderheiten im methodischen Vorgehen s. [8, 10]). So wird die Einstiegsfrage über einen Steckbrief und der Frage nach Alltagsbewegungen über Arbeitsblätter eingeleitet. Bei dem Wunsch nach mehr Struktur kann ein Arbeitsblatt mit den Leitfragen in Leichter Sprache hinzugenommen werden. Die Interviews finden in vertrauter Umgebung statt (Wohnstätte, Werkstätte) und auf Wunsch bleibt die Assistenz beim Interview dabei. Vorgesehen ist dies jedoch nur für die Abklärung der Teilnehmerinformation und Einverständniserklärung (ebenfalls in Leichter Sprache). Für ein Interview mit Kennenlernphase sind bis zu 4 h am Wochenende anvisiert, da eine Befragung nach der Arbeit aufgrund der Belastung ausgeschlossen wurde. Als Auswertungsmethode ist die „interpretative phenomenological analysis“ vorgesehen, um bei der Auswertung die Lebenswelt und Erfahrungen der Personen mit einzubeziehen [15].

Zusätzlich ist eine teilnehmende Beobachtung von drei Personen angedacht. Anzunehmen ist, dass hierdurch Strategien im Alltag durch Beobachtung sichtbar werden, die über Gespräche nicht zugänglich sind [8]. Die teilnehmende Beobachtung ist von Mai bis Juli 2019 vorgesehen und findet von Frühstück bis Abendbrot statt. Die Auswahl der Personen findet durch die Werkstatt statt, da Vorschriften und Abläufe einzuhalten sind.

Interventionsentwicklung und Erprobungsphase

Die Interventionsentwicklung zur Förderung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz und dessen Evaluation beruht auf den kommenden Ergebnissen der Datenerhebung, der Literaturrecherche („scoping review“) zu Konzepten und Interventionen von Bewegungsförderung bei Menschen mit Lernschwierigkeiten und der Mitarbeiterbefragung. Das Interventionskonzept wird in der kooperierenden Einrichtung im Jahr 2020 erprobt. Die Ergebnisse werden im Sinne einer finalen „Korrekturschleife“ die Konzeptentwicklung abrunden. Es stehen in dieser Förderphase Fragen der Implementierung im Vordergrund; Anwenderfreundlichkeit und Akzeptanz, Passung zur Lebenswelt der Nutzer und zur Alltagskultur der Einrichtungen. Bei der Entwicklung und Erprobung der Intervention werden die Planungsgruppe und die Forschungs-AG zur kommunikativen Validierung mit einbezogen. Das Interventionskonzept soll in einer zweiten Förderphase evaluiert werden.

Erwartete Ergebnisse

Gesundheitsförderung und Prävention wurden in den vergangenen Jahren auch in Deutschland als wichtige Aufgabenfelder gestärkt, so u. a. durch das 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz. Ein Ziel ist es darin, sozial benachteiligte Gruppen mehr zu berücksichtigen. Dies sollte besonders im Handlungsfeld der Behindertenhilfe verstärkt angegangen werden [2] und wird im vorgestellten Projekt als Ergebnis vorausgesetzt. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt und erprobt das Projekt unter Mitwirkung von möglichen Nutzern eine komplexe Intervention, die Gesundheitskompetenz für alltagsbezogene Bewegungen stärkt, intrinsische Motivation und somit einen körperlich aktiven Lebensstil fördert.

Mit Hilfe von Informationsmaterialien wird die bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz entwickelt, um Bewegungsmaßnahmen nachhaltig durchzuführen. Nachhaltigkeit bedeutet, dass durch die Integration von körperlicher Aktivität in den Alltag diese zu Routinen werden und langfristig das Gesundheitsverhalten aufrechterhalten. Hierfür wird u. a. ein zielgruppenspezifisches Manual partizipativ entwickelt, implementiert und validiert. Menschen mit Lernschwierigkeiten werden befähigt, eigenständig bzw. mit Unterstützung von Multiplikatoren mit dem Manual umgehen zu können. Angedacht ist ein Self-assessement-Tool, mit dem individuelle Bewegungsfähigkeiten und Bedürfnisse erfahrbar gemacht werden, um geeignete Bewegungsmaßnahmen abzuleiten. Anzumerken ist, dass der Fokus auf der Entwicklung und Implementierung eines Interventionskonzepts erstmalig zur Stärkung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz einer vulnerablen Gruppe liegt, die v. a. große Anwendung findet. Es ist davon auszugehen, dass Konzepte zur Prävention eine höhere Akzeptanz in der Zielgruppe finden, wenn das lebensweltliche Wissen und Bedürfnisse im gesamten Prozess einbezogen werden. Mit dem partizipativen Ansatz können die Bedürfnisse der Nutzergruppe zunächst erfahrbar und hierdurch mitberücksichtigt sowie die Intervention gezielt an der Lebenswelt der Nutzer ausgerichtet werden. Bedeutsam ist die Gestaltung der umgebenden Verhältnisse – in unserem Fall die Bedingungen für Bewegung in den Einrichtungen und die Unterstützung durch Mitarbeiter. Nach der Datenauswertung werden diese mit den partizipativen Arbeitsgruppen besprochen und bedarfsorientiert im Interventionskonzept berücksichtigt.

Es ist davon auszugehen, dass das Interventionskonzept positive Effekte auf die Bewegungsfähigkeit der Nutzer haben wird, wie dem Erhalt von Muskeln, der Koordinationsfähigkeit sowie der Reduktion von Stürzen und Sturzfolgen. Bei bestehenden Erkrankungen ist davon auszugehen, dass die Förderung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz zu einem positiven Bewältigungsprozess seitens der Betroffenen beiträgt. In der Folge kann für Menschen mit Lernschwierigkeiten das Eintreten von Pflegebedürftigkeit hinausgezögert oder deren Ausprägung minimiert werden. Vor allem können positive Effekte auf der Ebene individueller Kompetenzen erzielt werden. Dazu gehört der Zuwachs an Wissen über den eigenen Körper und Bewegung. Allgemein werden eine verbesserte Selbstwirksamkeitserwartung und eine Steigerung der Autonomie im Alltag angenommen. Auf diese Weise wird die gesundheitliche Chancenungleichheit verringert und ein Schritt gegen Bewegungsmangel in der Zielgruppe geleistet.

Fazit für die Praxis

„Förderung der Bewegungskompetenzen von Menschen mit Lernschwierigkeiten“ ist ein anwendungsbezogenes Forschungsprojekt zu Bewegungsförderung von Menschen mit Lernschwierigkeiten, das:

  • an der Leerstelle von Förderung von Alltagsbewegungen bei dieser Zielgruppe ansetzt,

  • vorhandene individuelle Wissensbestände, Erfahrungen und Strategien untersucht,

  • bedarfsorientiert eine Intervention entwickelt und erprobt,

  • sich dabei an der partizipativen Forschung orientiert,

  • selbstbestimmte Informiertheit generiert und eine nachhaltige Kompetenzsteigerung der Zielgruppe anstrebt, die ebenfalls das Selbstmanagement zur Aufrechterhaltung von Autonomie, Selbstbestimmung und Teilhabe der Betroffenen langfristig stärkt,

  • das Eintreten von Pflegebedürftigkeit hinauszögert oder deren Ausprägung minimiert,

  • einen Beitrag gegen Bewegungsmangel in der Zielgruppe leistet,

  • anstrebt, ein Interventionskonzept für die Praxis zu entwickeln, das aufgrund der guten Akzeptanz eine hohe Anwendung findet.