Seit drei Jahrzehnten wird Gesundheitsförderung und Prävention als Schlüsselkonzept für ein modernes Gesundheitswesen angesehen. In Deutschland war es allerdings lange Zeit schwierig, Gesundheitsförderung und Prävention zu stärken. Zahlreiche Gesetzesreformen, von der Einführung des § 20 SGB V im Jahr 1989, der weitgehenden Streichung im Jahr 1996, der Neubelebung im Jahr 2000 bis hin zu drei gescheiterten Präventionsgesetzen kennzeichnen eine von Höhen und Tiefen geprägte Entwicklung [10, 13, 14]. Trotz aller kritischen Einwände wurde daher von nahezu allen Akteuren die erfolgreiche Verabschiedung des Präventionsgesetzes im 4. Anlauf als Meilenstein begrüßt.

Der nachfolgende Beitrag will zentrale Entwicklungslinien der gesetzlichen Fortschritte und Gründe des Scheiterns der vorausgegangenen Präventionsgesetze nachzeichnen. So wird erkennbar, dass die grundgesetzlich begrenzten Regelungskompetenzen des Bundes sowie die korporatistischen Strukturen im Gesundheitswesen umfassenden Reformen entgegenstanden. In Abb. 1 wird die Entwicklung der Präventionsgesetzgebung chronologisch nachgezeichnet.

Abb. 1
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Chronologie der gesetzlichen Entwicklung von „Primärprävention und betrieblicher Gesundheitsförderung“

Präventionsgesetzgebung in den 1990er Jahren

Mit der Schaffung des § 20 SGB V im Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 21. 12. 1988 wurde Gesundheitsförderung und Prävention zu einer Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die im Zuge der Diskussion um die Ottawa-Charta entstandene Neuregelung galt als ein Meilenstein zur Neuorientierung des Gesundheitswesens und als eine der zentralen gesundheitspolitischen Reformoptionen. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre schufen die gesetzlichen Krankenkassen zur Umsetzung organisatorische und personelle Strukturen und etablierten ein umfangreiches Präventionsangebot. Im Mittelpunkt standen Aufklärungsaktionen, verhaltensbezogene Maßnahmen in Form von Gesundheitskursen und individuellen Beratungen. Darüber hinaus wurden aber auch für die weitere Entwicklung wegweisende Projekte und Strategien v. a. in der schulischen und betrieblichen Gesundheitsförderung initiiert. Innerhalb weniger Jahre entwickelten sich die gesetzlichen Krankenkassen zum „Rückgrat der Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland“ [1].

Allerdings gerieten die Aktivitäten als Folge der wettbewerblichen Weichenstellungen der GKV durch das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 zunehmend in ein Spannungsfeld zwischen Wettbewerbs- und Gesundheitszielen. Im Leistungskatalog der Krankenkassen war Gesundheitsförderung einer der wenigen Bereiche, in dem sich wettbewerbliche Handlungsspielräume eröffneten [6, 12]. Eine 1994 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums durchgeführte Untersuchung deckte zahlreiche Strukturmängel und Fehlsteuerungen auf und forderte eine problemorientierte und konsequente Weiterentwicklung der Präventionspolitik und -praxis [9].

Der damalige Gesundheitsminister Seehofer nahm 1996 vor dem Hintergrund steigender GKV-Ausgaben einzelne Wettbewerbsauswüchse („Bauchtanzdebatte“) zum Anlass, Prävention und Gesundheitsförderung aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen zu streichen und auf medizinische Maßnahmen der Prävention (Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen, zahnmedizinische Prophylaxe sowie Schutzimpfungen) sowie der Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen zu begrenzen (Beitragsentlastungsgesetz 1996).

Die restriktiven Neuregelungen beendeten schlagartig die vielfältigen Aktivitäten der GKV. In den Folgejahren engagierten sich einzelne Krankenkassen oder deren Verbände v. a. in wissenschaftlich begleiteten Initiativen und Kooperationsprojekten auf nationaler und internationaler Ebene in der betrieblichen Gesundheitsförderung oder in den Bereichen der Sekundär- und Tertiärprävention [21].

GKV-Gesundheitsreform 2000

Im Rahmen des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenkassen, der „GKV-Gesundheitsreform 2000“ wurden mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz erneut die Handlungsspielräume der Krankenkassen erweitert. Die zentralen Neuregelungen des § 20 SGB V sollten nahezu unverändert für die kommenden 15 Jahre Gültigkeit behalten. Nach § 20 SGB V sollten Krankenkassen Leistungen der primären Prävention vorsehen, die den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen leisten. Damit wurden Krankenkassen vom Gesetzgeber verpflichtet, einen besonderen Fokus auf sozial benachteiligte Zielgruppen zu richten. Diese sind meist höheren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt und verfügen über geringere Bewältigungsressourcen als sozial besser Bessergestellte [7]. Die mit dieser Weichenstellung einhergehende Stärkung der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention sollte sich in der Folgezeit zu einer der zentralen Herausforderungen der Präventionsaktivitäten durch Krankenkassen entwickeln.

Krankenkassen wurde zudem die Möglichkeit eingeräumt, den Arbeitsschutz ergänzende Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung durchzuführen und den Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen nachzugehen. Sie sollten dabei mit den zuständigen Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung zusammenarbeiten.

Um wettbewerbliche Auswüchse zu verhindern und die Qualität der Prävention zu stärken, wurden die damaligen Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, gemeinsam und einheitlich unter Einbeziehung unabhängigen Sachverstands prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen, insbesondere hinsichtlich der Bedarfe, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten und Methodik, zu beschließen. Seit 2000 gibt ein darauf aufbauender „Leitfaden Prävention“ für die Leistungen der Krankenkassen verbindliche Handlungsfelder und Kriterien vor [7]. Darüber hinaus wurden die Ausgaben der Primärprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung pro Versicherten auf einen jährlich anzupassenden Richtwert (2015: 3,15 €) begrenzt. Der Umfang der Aktivitäten der gesetzlichen Krankenkassen wird zudem in einem jährlichen Präventionsbericht dokumentiert [11].

In der ersten Dekade der 2000er Jahre wurden lediglich zwei weitere gesetzliche Neuregelungen in der Prävention und Gesundheitsförderung geschaffen. Im Jahr 2004 (GKV-Modernisierungsgesetz) sind sog. Bonusregelungen für gesundheitsbewusstes Verhalten (§ 65a SGB V) als „Kann-Leistungen“ eingeführt worden und im Jahr 2007 (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) wurde die betriebliche Gesundheitsförderung zu einer Pflichtleistung der GKV.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben auf der Grundlage des § 20 SGB V ihre Aktivitäten und Leistungen in erheblicher Weise ausgebaut. Im Jahr 2014 nahmen ca. 1,7 Mio. Versicherte an krankenkassengeförderten Präventionskursen teil. Darüber hinaus erreichten die Krankenkassen mit ihren Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung 1,2 Mio. Beschäftigte in 11.000 Betrieben sowie mit lebensweltbezogenen Maßnahmen weitere 2,2 Mio. Personen [11].

Damit verbunden waren Ausgaben in Höhe von 293 Mio. €. Etwa Zweidrittel der Ausgaben (193 Mio. €) entfielen auf Leistungen der individuellen Prävention in Form von Gesundheitskursen und -beratungen. Für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung wurden knapp 68 Mio. € und lediglich rund 32 Mio. € für die Setting-bezogenen Aktivitäten ausgegeben [11].

Reformbemühungen und -versagen in den 2000er Jahren

Bereits kurz nach dem Inkrafttreten der GKV-Gesundheitsreform 2000 forderte insbesondere der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem Jahresgutachten 2000/2001 die Weiterentwicklung von Gesundheitsförderung und Prävention [16]. Erste Überlegungen zur Schaffung eines Präventionsgesetzes wurden im Jahr 2000 von Walter und Schwarz [22] sowie von Trojan und Legewie [18] formuliert. Zwei durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in Auftrag gegebene Expertisen befassten sich mit der Sichtung und Analyse aus juristischer Sicht [17] sowie mit ihrer Wahrnehmung und Umsetzung aus sozialmedizinischer Sicht [19].

Im Jahr 2001 wurde im Rahmen einer Initiative der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ein „Runder Tisch“ im Gesundheitswesen mit einer „Arbeitsgruppe Prävention“ eingerichtet sowie daran anknüpfend im Jahr 2002 ein „Deutsches Forum für Prävention und Gesundheitsförderung“ als Diskussionsplattform geschaffen. Aufgabe des Forums war es u. a. Vorschläge für eine stärkere Zielorientierung und einer neuen auf Dauer angelegten Organisationsstruktur zu entwickeln sowie Konzepte für eine stärkere Vernetzung der Aktivitäten auf der Ebene von Bund, Ländern und Gemeinden zu erarbeiten. Schließlich vereinbarte im Herbst 2002 die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zur Steigerung der Wirksamkeit präventiver Maßnahmen die Schaffung eines Präventionsgesetzes in der 15. Legislaturperiode (2002–2006).

Der erste Anlauf: „Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention“, 2005

Bereits im September 2004 konnten gemeinsame Eckpunkte von Bund und Ländern für ein „Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention“ vorgelegt und Anfang 2005 ein Gesetzesentwurf in die parlamentarische Beratung eingebracht werden (Abb. 2). Mit dem Gesetz wollte die damalige rot-grüne Regierungskoalition die nicht-medizinische Prävention und Gesundheitsförderung neben der Akutversorgung, Rehabilitation und Pflege zu einer eigenständigen „vierten Säule“ der gesundheitlichen Versorgung ausbauen.

Abb. 2
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Von gescheiterten Entwürfen zum Gesetz

Das Gesetzesvorhaben zielte darauf ab, die finanziellen Ressourcen über die Beteiligung aller Sozialversicherungsträger zu erhöhen, die Primärprävention stärker an Gesundheitszielen auszurichten sowie die Kooperation zwischen den Präventionsträgern und Handlungsebenen zu stärken. Darüber hinaus sollte die Qualitätssicherung und Evaluation weiter ausgebaut werden. In dem Gesetzesentwurf wurden zudem einheitliche Definitionen von Prävention (Primär-, Sekundär-, Tertiär-) und Gesundheitsförderung entwickelt (Abb. 3). Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Begrifflichkeiten in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern und der damit verbundenen mangelnden Anschlussfähigkeit wäre dies ein bedeutsamer Schritt gewesen, ein gemeinsames Verständnis von Prävention und Gesundheitsförderung zu fördern [8, 20].

Abb. 3
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Definition „Gesundheitliche Prävention“

Der Gesetzentwurf unterschied drei Handlungsebenen mit jeweils spezifischen Aufgaben:

  • Auf der Ebene des Bundes sollte eine gemeinsame Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung der Sozialversicherungsträger (gesetzliche Kranken-, Renten-, Pflege- und Unfallversicherung) übergreifende Aufgaben übernehmen, wie z. B. die Erarbeitung von Präventionszielen, die Festlegung gemeinsamer Qualitätsstandards, die Durchführung von Modellprojekten und Gesundheitskampagnen.

  • Auf der Ebene der Bundesländer sollten gemeinsame Entscheidungsgremien von Ländern und Sozialversicherungen insbesondere über lebensweltbezogene Projekte und Maßnahmen beschließen.

  • Auf der Ebene der Sozialversicherungsträger sollten weitgehend eigenverantwortlich Maßnahmen der Verhaltensprävention sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung durchgeführt werden.

Die Sozialversicherungsträger sollten als „soziale Präventionsträger“ insgesamt 250 Mio. € aus Beitragsmitteln zur Finanzierung des Gesetzes zur Verfügung stellen. Davon entfielen 180 Mio. € auf die GKV, 40 Mio. € auf die gesetzliche Rentenversicherung, 20 Mio. € auf die gesetzliche Unfallversicherung und 10 Mio. € auf die gesetzliche Pflegeversicherung. Das Gesetz legte zugleich die Verwendung der Finanzmittel fest: 40 % der Ausgaben sollten auf eigenständige Präventionsaktivitäten entfallen, 40 % auf lebensweltbezogene Aktivitäten in den Bundesländern sowie 20 % auf die zu errichtende Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung.

Im Zuge einer sehr kontroversen Diskussion des Gesetzentwurfes wurde v. a. von den Krankenkassen die vorgesehene Finanzierung der Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung aus Beitragsmitteln als ordnungspolitisch und verfassungsrechtlich bedenklich angesehen. Die mit den geplanten Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen verbundenen komplexen Aushandlungs- und Abstimmungserfordernisse wurden zudem als bürokratielastig kritisiert.

Da keine Verständigung über das Gesetz erzielt werden konnte, beschloss der Bundesrat im Mai 2005 den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dieser trat aufgrund vorgezogener Neuwahlen nicht mehr zusammen, sodass das Gesetz Opfer des „Prinzips der Diskontinuität“ wurde.

Der 2. Anlauf: „Referentenentwurf – Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und gesundheitlichen Prävention“, 2007

Auch in der folgenden 16. Legislaturperiode stand ein Präventionsgesetz auf der Agenda der nunmehr schwarz-roten Regierungskoalition. Im September 2007 legte das Bundesministerium für Gesundheit ein Eckpunktepapier und später im Alleingang einen Referentenentwurf für ein Präventionsgesetz vor, der in wesentlichen Teilen an dem zuvor gescheiterten Gesetzesvorhaben anknüpfte.

Jedoch konnte sich die Regierungskoalition nicht – wie in dem Eckpunktepapier zum Gesetz zunächst vorgesehen – auf die Errichtung einer Stiftung einigen. Stattdessen sollte ein Nationaler Präventionsrat als Koordinationsgremium ins Leben gerufen werden, der u. a. für die Erarbeitung nationaler Präventionsziele, Qualitätskriterien sowie bundesweite Präventionskampagnen verantwortlich sein sollte. Zudem sollten auf der Ebene der Bundesländer Präventionsräte, insbesondere über die Finanzierung lebensweltbezogener Maßnahmen der Prävention entscheiden. Der Referentenentwurf sah vor, dass die Krankenkassen 250 Mio. € und Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung weitere 100 Mio. € aufbringen sollten. Geplant war zudem, dass sich die private Krankenversicherung über eine Sonderabgabe an der Finanzierung von Präventionsmaßnahmen beteiligen sollte.

Der Entwurf traf bereits im Zuge der Ressortabstimmungen auf erhebliche Widerstände. Die geplante Steuerung der Aktivitäten über Präventionsräte wurde erneut als bürokratielastig angesehen und in den Finanzierungsregelungen eine Verletzung des Grundgesetzverbots der Mischverwaltung (FAZ, 27.12.2007, Berliner Zeitung, 28.12.2007). Da selbst innerhalb der Regierungskoalition keine Einigung erzielt werden konnte, gab das Ministerium schließlich im Mai 2008 das Gesetzesvorhaben auf.

Der 3. Anlauf: „Gesetz zur Förderung der Prävention“, 2013

Im Frühjahr 2013 unternahm die nunmehr schwarz-gelbe Regierungskoalition den 3. Anlauf für ein Präventionsgesetz [4]. Auch dieser Gesetzesentwurf erhob Prävention zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Die geplanten Regelungen nahmen jedoch ausschließlich die gesetzliche Krankenversicherung in den Blick. Im Zentrum des Gesetzesvorhabens standen die folgenden Neuregelungen:

  • Die Ausrichtung der Leistungen der Primärprävention insbesondere an die im Kooperationsverbund gesundheitsziele.de erarbeiteten Gesundheitsziele.

  • Die Errichtung einer „Ständigen Präventionskonferenz“ beim Bundesministerium für Gesundheit mit der Aufgabe über die Entwicklung von Gesundheitsförderungs- und Präventionszielen und deren Umsetzung zu berichten.

  • Die Erhöhung der Präventionsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen auf einen Richtwert von 6 € je Versicherten ab 2014 (insgesamt: 420 Mio. €). Davon sollten mindestens 2 € für die betriebliche Gesundheitsförderung und mindestens 1 € für nicht-betriebliche Settings ausgegeben werden.

  • Die Beauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durch den GKV-Spitzenverband kassenartenübergreifende Aufgaben der lebensweltbezogenen Prävention auszuführen. Die Leistungen der BZgA sollten mit mindestens der Hälfte des Settingbetrags (2014 mindestens 0,50 €) pauschal abgegolten werden.

  • Die Verpflichtung der Krankenkassen, gemeinsame regionale Koordinierungsstellen unter Nutzung bestehender Strukturen einzurichten, um kleinere und mittlere Unternehmen in der betrieblichen Gesundheitsförderung zu beraten und zu unterstützen.

  • Die Verpflichtung des GKV-Spitzenverbandes im Präventionsleitfaden einheitliche Verfahren der Qualitätssicherung, Zertifizierung und Evaluation der Präventionsangebote festzulegen und eine Übersicht der Angebote bereit zu stellen.

  • Ausbau der Kinderfrüherkennungsuntersuchungen durch Anhebung der Altersgrenzen von 6 auf 10 Jahren sowie präventionsorientierte Weiterentwicklung der „Check-up35-Untersuchungen“. Krankenkassen haben ärztliche Präventionsempfehlungen zu berücksichtigen.

Die Mehrheit der Bundesländer sah das Gesetz „im Hinblick auf das Ziel, Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben wirkungsvoll zu organisieren, für völlig unzureichend“ an [3]. Der mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung einberufene Vermittlungsausschuss trat aufgrund der Bundestagswahlen nicht mehr zusammen, so dass auch der dritte Anlauf scheiterte.

Der erfolgreiche 4. Anlauf: „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“ (Präventionsgesetz – PrävG), 2015

Vor dem Hintergrund des präventionspolitischen Reformversagens unterschiedlicher Regierungskoalitionen bestand daher zunächst eine gewisse Skepsis gegenüber dem Vorhaben der schwarz-roten Regierungskoalition, im Koalitionsvertrag einen erneuten Anlauf für ein Präventionsgesetz zu vereinbaren. Umso mehr waren nahezu alle Akteurinnen und Akteure trotz bestehender Vorbehalte gegenüber einzelner Regelungen über die erfolgreiche Verabschiedung des Präventionsgesetzes (PrävG) im Juni 2015 erleichtert [15].

Ziel des Gesetzes ist es „unter Einbeziehung aller Sozialversicherungsträger, der privaten Krankenversicherung und der privaten Pflegepflichtversicherung die Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger auch unter Nutzung bewährter Strukturen und Angebote zu stärken. Außerdem sollen Leistungen der Krankenkassen zur Früherkennung von Krankheiten weiterentwickelt und das Zusammenwirken von betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz verbessert werden“ [5].

Die Gesetzeskonzeption macht einerseits Gesundheitsförderung und Prävention zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe und versucht zugleich die Fallstricke zu vermeiden, die sich aufgrund der grundgesetzlich eingeschränkten Gestaltungskompetenzen des Bundes ergeben. Das PrävG ist daher als krankenkassenzentriertes Artikel- und Leistungsgesetz konzipiert worden, das punktuell auch in den Sozialgesetzbüchern VI, VII, VIII und XI neue gesetzliche Bestimmungen zur Prävention einfügt bzw. bestehende Bestimmungen verändert.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) wird verpflichtet, die vom Kooperationsverbund gesundheitsziele.de entwickelten nationalen Gesundheitsziele sowie für die betriebliche Gesundheitsförderung die im Rahmen der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie erarbeiteten Arbeitsschutzziele zu berücksichtigen. Die in einem Konsensverfahren von über 100 Organisationen des Gesundheitswesens erarbeiteten, allerdings nicht parlamentarisch verabschiedeten Gesundheitsziele sind inhaltlich weiter gefasst als „reine“ Präventionsziele. Während in den ersten beiden Gesetzesvorhaben der weitaus schwierigere, dafür aber vermutlich passgenauere Weg eingeschlagen werden sollte, eigenständige Gesundheitsförderungs- und Präventionsziele zu entwickeln, knüpft das PrävG an bestehende Ziele an. Die Vorgehensweise ist pragmatisch, sie dürfte jedoch in der Praxis mit erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten verbunden sein. So sind die Gesundheitsziele weder passgenau mit den Zielen der Bundesrahmenempfehlungen noch korrespondieren sie mit den Gesundheitszielen einzelner Bundesländer.

Mit dem Gesetz werden erstmals Gesundheitsförderung und Primärprävention zu Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen, die insbesondere zur Verminderung sozial bedingter sowie geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen sollen. Weitere Regelungen knüpfen an die bisherige Praxis der GKV an. Auch künftig ist der GKV-SV für die Festlegung prioritärer Handlungsfelder und Kriterien für Leistungen („Leitfaden Prävention“) verantwortlich [6]. Er bestimmt zudem anknüpfend an die bisherige freiwillige Prüfpraxis der Krankenkassen („Zentrale Prüfstelle Prävention“) ein Verfahren für die Zertifizierung von Leistungsangeboten („Gesundheitskurse“), die auf einer Internetseite zu veröffentlichen sind. Bei der Entscheidung über Leistungen der Verhaltensprävention müssen Krankenkassen ärztliche und betriebsärztliche Präventionsempfehlungen berücksichtigen.

Auf breite Zustimmung bei nahezu allen Akteuren trifft das Gesetzesziel, Gesundheitsförderung und Prävention in den verschiedenen Lebenswelten (Kindertageseinrichtungen, Schulen, Betrieben oder Senioreneinrichtungen) auszubauen, da diese über hohe Potenziale zum Abbau sozial bedingter Ungleichheiten der Gesundheitschancen verfügen, die in der bisherigen Präventionspraxis nicht ausgeschöpft wurden. Die Krankenkassen sollen künftig insbesondere den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen fördern und dabei in Zusammenarbeit mit anderen kassenübergreifende Leistungen erbringen, sofern die für die Lebenswelten Verantwortlichen sich angemessen beteiligen. Darüber hinaus sollen Krankenkassen bei der Erbringung von Leistungen zur beruflichen Wiedereingliederung mit der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende eng zusammen arbeiten. Für die Aufgaben der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention sollen die Krankenkassen im Jahr 2016 mindestens 2 € je Versicherten (insgesamt mehr als 140 Mio. €) aufwenden. Zur Unterstützung der Krankenkassen hat nach dem Willen des Gesetzgebers der GKV-SV die BZgA mit der Entwicklung, Implementierung und Evaluation von krankenkassenübergreifender Leistungen zur Prävention in Lebenswelten zu beauftragen. Dafür erhält die BZgA vom GKV-SV eine pauschale Vergütung von mindestens 0,45 € p. a. pro Versicherten aus den Mitteln der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention (insgesamt 2016: 31,5 Mio. €). Die Finanzierung einer nachgeordneten Behörde des Bundesministeriums für Gesundheit mit GKV-Beitragsgeldern wird insbesondere von den Trägern der GKV als verfassungsrechtlich und vergaberechtlich problematisch angesehen und auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes kontrovers diskutiert.

Darüber hinaus zielt das Gesetz darauf, kleine und mittelständische Unternehmen mit Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung besser zu erreichen und den Arbeitsschutz und die betriebliche Gesundheitsförderung stärker zu verzahnen. Ab 2016 haben Krankenkassen für Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung jährlich 2 € für jeden ihrer Versicherten aufzuwenden. Das Gesetz eröffnet u. a. die Möglichkeit, Verträge zwischen Krankenkassen und Betriebsärzten über Präventionsleistungen zu schließen. Zudem haben Krankenkassen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen in gemeinsamen regionalen Koordinierungsstellen Beratung und Unterstützung anzubieten. Die Krankenkassen sollen dabei mit örtlichen Unternehmensorganisationen kooperieren und die Koordinierungsstellen aus nicht verausgabten Mitteln für die betriebliche Gesundheitsförderung („Überlauftopf“) fördern.

Neben der Stärkung der lebensweltbezogenen Gesundheitsförderung und der betrieblichen Gesundheitsförderung gibt das Gesetz Impulse zur Förderung der Prävention in der Pflege (§ 5 SGB XI). Die Pflegekassen werden verpflichtet, kassenübergreifende Leistungen zur Prävention in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen zu erbringen. Die Pflegekassen sollen dafür in 2016 einen Betrag von 0,30 € je Versicherten aufwenden (insgesamt. 21 Mio. €). Auch wenn der zur Verfügung stehende Betrag bei über 750.000 stationär betreuten Pflegebedürftigen in ca. 13.000 Einrichtungen begrenzt ist, eröffnet die Weichenstellung die Chance, in den kommenden Jahren moderne Konzepte der lebensweltbezogenen Prävention in Pflegeeinrichtungen zu erproben und zu verankern.

Mit der Nationalen Präventionskonferenz schafft das Gesetz ein zentrales Koordinations- und Abstimmungsgremium auf Bundesebene, das von der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Unfall- und Pflegeversicherung getragen wird und an der Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände sowie weitere Partner mitwirken. Aufgabe der Nationalen Präventionskonferenz ist es, eine nationale Präventionsstrategie zu erarbeiten. Diese umfasst insbesondere bundeseinheitliche, trägerübergreifende Rahmenempfehlungen sowie einen nationalen Präventionsbericht, der alle vier Jahre zu erstellen ist. Die Nationale Präventionskonferenz wird durch ein Präventionsforum der für Gesundheitsförderung und Prävention maßgeblichen Organisationen beraten. Zur Umsetzung der Rahmenempfehlungen sollen sodann unter Berücksichtigung regionaler Erfordernisse in den einzelnen Bundesländern Landesrahmenvereinbarungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und den zuständigen Stellen im Land geschlossen werden. Das Gesetz umgeht somit einerseits umstrittene Regelungen, wie sie mit der Errichtung einer Stiftung Prävention oder der Schaffung von Landespräventionsräten verbunden gewesen wären. Andererseits wird, um nicht in eine „Föderalismusfalle“ zu geraten, auf dem Versuch verzichtet, Verantwortlichkeiten und Verbindlichkeiten der Gebietskörperschaften festzulegen. Es stimmt optimistisch, dass bereits Anfang 2016 die Nationale Präventionskonferenz trägerübergreifende Bundesrahmenempfehlungen abschließen konnte. Darin sind am Lebenslauf orientierend als gemeinsame Ziele „Gesund aufwachsen“, „Gesund leben und arbeiten“ und „Gesund im Alter“ vereinbart worden [2]. Darauf aufbauend konnten im ersten Halbjahr 2016 Landesrahmenvereinbarungen zur Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie in den ersten Bundesländern (Hessen, Thüringen, Sachsen) vereinbart werden.

Das Gesetz verpflichtet die Krankenkassen im Jahr 2016 die Ausgaben für Gesundheitsförderung und Prävention auf 7 € je Versichertem (insgesamt: 490 Mio. €) zu steigern. Davon sollen sie jeweils mindestens 2 € für die betriebliche Gesundheitsförderung und die lebensweltbezogene Gesundheitsförderung und Prävention ausgeben. Während in den ersten beiden gescheiterten Gesetzesanläufen versucht wurde, weitere Sozialversicherungen in die Finanzierung einzubinden, wird diese im PrävG primär zu einer Aufgabe der Kranken- und Pflegeversicherung (Abb. 2). Da Bund, Länder und Gemeinden nicht in die Verantwortung genommen werden, weist das Gesetz eine offene Flanke für Verschiebebahnhöfe zu Lasten der Krankenkassen auf. Die Finanzierung von Gesundheitsförderung und Prävention entwickelt sich in ordnungspolitisch bedenklicher Weise mehr und mehr zu einer Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen.

Fazit

Die Entwicklung der Präventionsgesetzgebung spiegelt wider, dass in unserem föderalen Gesundheitssystem bislang keine wesentlichen Fortschritte erzielt werden konnten, Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verankern. Bei dem neuen Präventionsgesetz handelt es sich um ein krankenkassen-zentriertes Artikel- und Leistungsgesetz.

Auch wenn der „große Sprung nach vorn“ nicht gelungen ist, weist das Präventionsgesetz in die richtige Richtung. Das Gesetz macht Gesundheitsförderung und Prävention zu Pflichtleistungen der Krankenkassen, fördert die Zielorientierung und Kooperation auf Bundes- und Länderebene, stärkt die lebensweltbezogene Gesundheitsförderung und Prävention, verbessert die finanziellen Rahmenbedingungen und liefert nicht zuletzt Impulse für die Prävention in der Pflege.

Die Akteure sollten die Chancen nutzen, die das neue Gesetz für die Weiterentwicklung und Stärkung von Gesundheitsförderung und Prävention eröffnet.