Hintergrund und Fragestellung

In einer Gesellschaft des längeren Lebens kommt der Prävention und lebensphasenspezifischen Gesundheitsförderung eine zunehmend große Bedeutung zu. Der Hausarzt spielt dabei für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Der Arbeitsauftrag der Allgemeinmedizin beinhaltet u. a. die „Gesundheitsbildungsfunktion, insbesondere Gesundheitsberatung und Gesundheitsförderung für den Einzelnen wie auch in der Gemeinde“ [13]. Dabei steht bei der Gesundheitsförderung die Ressourcenorientierung im Mittelpunkt, welche auf die individuellen Ressourcen („ innere Potenziale“) eines Patienten fokussiert. Diesem Modell liegt u. a. das Konzept der Salutogenese von Aaron Antonovsky zugrunde [3].

Eine Möglichkeit, die Ressourcen von Patienten zu stärken und ihr alltägliches Umfeld mit einzubeziehen, stellt das Setting der Gemeinde bzw. die kommunale Gesundheitsförderung dar. Hierzu zählen Angebote innerhalb sozialer Einheiten bzw. Institutionen wie beispielsweise Stadtteile, Selbsthilfegruppen und Sportvereine. Für das Gelingen einer kommunalen Gesundheitsförderung spielen u. a. Hausärzte eine wichtige Rolle, da sie von einem Großteil der Gemeindemitglieder regelmäßig kontaktiert werden [11]. Außerdem wissen Hausärzte viel über die Lebensbedingungen ihrer Patienten und können somit mögliche Schutz- und Belastungsfaktoren identifizieren und individuell für jeden Patienten in die Behandlung einbringen. Dies kann auch im Rahmen gesundheitsfördernder und präventiver Maßnahmen innerhalb einer Gemeinde geschehen. Darüber hinaus können Hausärzte mit anderen Kollegen oder kommunalen Einrichtungen Zusammenschlüsse bilden [21], die das Gelingen maßgeblich beeinflussen können.

In der Vergangenheit waren Kooperationen von Hausärzten mit der Gemeinde eher eine Seltenheit, werden aber in Zukunft für die Entwicklung von lokalen Gesundheitsinitiativen entscheidend sein [18]. Bislang gibt es wenige Studien über die Einbeziehung von kommunalen Ressourcen in die hausärztliche Tätigkeit bzw. die Nutzung kommunaler Strukturen.

Ziel der vorliegenden Studie war es darum, eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Rolle Hausärzte innerhalb der kommunalen Gesundheitsförderung aus ihrer Sicht bereits einnehmen und inwiefern ressourcenorientierte Ansätze in der Gemeinde umgesetzt werden können. Es sollen vorhandene Barrieren untersucht sowie ein mögliches Verbesserungspotenzial aufgezeigt werden.

Methodik

Es wurde ein qualitatives Studiendesign gewählt [7], um individuelle Erfahrungen, Gefühle, Meinungen und ein tiefgründiges Verständnis für die Thematik zu gewinnen [15]. Die Methode der Telefoninterviews ermöglichte dabei eine bundesweite Rekrutierung. Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des Kompetenzzentrums Allgemeinmedizin, welches vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wurde (www.kompetenzzentrum-allgemeinmedizin.de) und erhielt ihre Genehmigung von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät Heidelberg (Antragsnummer S-154/2011).

Rekrutierung

Ärzte, die an einem Qualitätszirkel innerhalb eines Forschungsprojekts (gesundheitsfördernde Praxen) in den Jahren 2002 bis 2005 teilgenommen hatten (12 Einladungen), sowie Teilnehmer eines allgemeinmedizinischen E-Mail-Listservers (300 Einladungen) wurden zur Teilnahme aufgefordert. Darüber hinaus wurden weitere Interviewteilnehmer aus dem Kollektiv der Lehrpraxen der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg rekrutiert.

Leitfadenentwicklung

Die Interviews wurden anhand eines halb standardisierten Interviewleitfadens durchgeführt. Grundlage dafür bildete eine intensive Literaturrecherche sowie eine Diskussion im Vorfeld. Zur Überprüfung und Finalisierung dienten zwei Pilotinterviews.

Der vorliegenden Analyse lagen folgende Fragen zugrunde:

  • Inwiefern kann man ressourcenorientierte Ansätze in der Gemeinde umsetzen?

  • Welche Barrieren nehmen Hausärzte dabei wahr?

  • Wo müssten aus Sicht der Hausärzte Verbesserungen ansetzen?

Durchführung

Die Telefoninterviews wurden von Mai bis August 2011 aus den Räumen der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg von einer der Autorinnen (FP) im Rahmen ihrer Promotion durchgeführt.

Datenauswertung

Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, pseudonymisiert, transkribiert und nach der Inhaltsanalyse von Mayring ausgewertet [14]. Dies erfolgte mit Hilfe des Softwareprogramms Atlas.ti [4]. Die Daten wurden anhand induktiver und deduktiver Kategorien jeweils von zwei der Autorinnen (AM und FP) getrennt kodiert. Jeder Kode wurde definiert und mit einem oder mehreren Ankerbeispielen verbunden. Anschließend wurden die Kodes in Haupt-, Unterkategorien und Kodes eingeteilt und das erstellte Kategoriensystem im gesamten Autorenteam diskutiert und konsentiert.

Ergebnisse

Charakterisierung der Teilnehmer

Insgesamt konnten 19 Hausärzte rekrutiert werden. Die Interviews dauerten 20–30 Minuten. Die Teilnehmer waren überwiegend männlich, im Durchschnitt 55,7 Jahre alt und seit durchschnittlich 20,4 Jahren niedergelassen (Tab. 1).

Tab. 1 Soziodemographische Daten der Teilnehmer (n = 18a)

Kategorisierung der Aussagen

Anhand der Aussagen in den Interviews wurden drei Hauptkategorien definiert, die für die Einbettung der Hausärzte in die kommunale Gesundheitsförderung aus Sicht der Befragten relevant sind: die Umsetzung in der Gemeinde, Barrieren und Optimierungsvorschläge für eine bessere Nutzbarkeit von ressourcenorientierten Ansätzen. Diese werden im Folgenden dargestellt.

Umsetzung in Settings

Die Befragten sehen innerhalb der verschiedenen Settings eine gute Möglichkeit, die Ressourcen ihrer Patienten in der Gemeinde zu fördern. Die Integration von Hausärzten in kommunale Strukturen wurde von den Teilnehmern als positiv empfunden, wobei aus Sicht der befragten Hausärzte v. a. die Settings Schule und Kindergarten große Potenziale böten, Ressourcen verstärkt zu nutzen. Insbesondere Kinder sollten so früh wie möglich mit Gesundheitsförderung in Kontakt kommen und Möglichkeiten erfahren, ein gesundes Selbstwertgefühl aufbauen zu können. Für die Prävention von Überforderungserlebnissen wurde die betriebliche Gesundheitsförderung von den Befragten thematisiert und im Hinblick auf die zunehmend alternde Gesellschaft die Zusammenarbeit von Hausärzten mit Arbeitsmedizinern für die Entwicklung ressourcenorientierter Arbeitsplätze als wichtig erachtet (Tab. 2).

Tab. 2 Die Umsetzung ressourcenorientierter Ansätzen in der Gemeinde

Barrieren

Vorhandene Barrieren sahen die Teilnehmer bei den Ärzten und im Gesundheitssystem. Als Hauptbarrieren hinsichtlich der Anwendung ressourcenorientierter Ansätze wurden der Zeitmangel sowie die mangelnde Vergütung genannt. Diese erschweren aus Sicht der Befragten maßgeblich eine Kooperation des Hausarztes mit den Einrichtungen der Gemeinde.

Bezüglich der Rolle von Hausärzten in der Ressourcenorientierung variierten die Meinungen von der Annahme, dass es ihre Aufgabe sei, bis zu der Aussage, dass es nicht in ihr Aufgabenfeld gehöre.

Die Ärzte kritisierten daneben die Vernachlässigung von Prävention sowie die starke Krankheitsfixierung des deutschen Gesundheitssystems. Bemängelt wurden dabei außerdem die traditionell entstandene passive Rollenzuschreibung der Patienten sowie die mangelnde ganzheitliche Orientierung (Tab. 3).

Tab. 3 Die Barrieren für die Nutzung ressourcenorientierter Ansätze in der Gemeinde

Verbesserungsvorschläge

Nach Auskunft der befragten Ärzte sind Verbesserungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem, in der ärztlichen Ausbildung und der Forschung wichtig. Die Befragten wünschen sich mehr Zeit mit den Patienten verbringen zu können, welche finanziell angemessen honoriert wird. Außerdem sahen sie die Förderung von Vernetzung mit anderen ärztlichen und nicht-ärztlichen Berufsgruppen als entscheidend. Die Ärzte fordern ebenfalls eine verstärkte Integration von Salutogenese und Ressourcenorientierung in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sowie eine wissenschaftliche Stärkung (Tab. 4).

Tab. 4 Verbesserungsvorschläge für die Nutzung ressourcenorientierter Ansätze in der Gemeinde

Diskussion

Die Ergebnisse dieser qualitativen Befragung zeigen, dass die kommunale Gesundheitsförderung aus Sicht der befragten Hausärzte eine wichtige Möglichkeit ist Ressourcenorientierung umzusetzen. Die Befragten sehen dabei den Bedarf einer besseren Integration von Hausärzten in die Gemeinde. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass Hausärzte erhebliche Barrieren und Defizite innerhalb der Rahmenbedingungen wahrnehmen, die eine effektive Ressourcenorientierung in der Patientenversorgung bzw. eine Einbindung des Hausarztes in die Ressourcenorientierung und Gesundheitsförderung erschweren. Bestehende Strukturen und vorhandene Projekte sind aus Sicht der Hausärzte häufig nur unzureichend bekannt bzw. werden nicht ausreichend genutzt.

Eine unzureichende Vernetzung des Hausarztes mit kommunalen Strukturen bzw. enttäuschende Erfahrungen aufgrund mangelnder tragfähiger Strukturen für eine gute Kooperation zwischen Hausärzten und der Gemeinde werden auch in anderen Studien beschrieben [5].

Für eine bessere Integration von Hausärzten in die Kommune ist laut den Befragten eine bessere Vernetzung beteiligter Akteure (ärztliche Leistungserbringer, Vertreter anderer Gesundheitsberufe sowie nicht-medizinischer Berufsgruppen der Gemeinde) wichtig. Entscheidend dabei ist die Etablierung von Koordinationsstellen und Vernetzungsstrukturen, wie es beispielsweise in den kommunalen Gesundheitskonferenzen realisiert wird [17, 19].

Als ein Beispiel der Vernetzung von kommunaler Gesundheitsförderung und hausärztlicher Versorgung sei das bayerische Dorf Rödental genannt, in dem ein pensionierter Hausarzt seit vielen Jahren ein Netzwerk betreibt, in dem sich Bürger und Nachbarn gegenseitig unterstützen [7]. Derartige Modelle für eine erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit sollten weiterhin gefördert und bekannt gemacht werden. Zudem sollten Pilot- und Modellprojekte der interprofessionellen Kooperation und Vernetzung in der Aus- und Weiterbildung der Ärzte stärker thematisiert und begleitend wissenschaftlich evaluiert werden. Dafür sollten mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden, um den zunehmenden Herausforderungen einer adäquaten Versorgung angesichts der demographischen Veränderungen gerecht werden zu können.

Darüber hinaus stellt ein (drohender) Mangel an Ärzten eine weitere Hürde für eine Sicherstellung der Versorgung dar. Vor diesem Hintergrund sollte die Vernetzung von Ärzten mit anderen Beteiligten in der gesundheitlichen Versorgung zukünftig einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Die Gesundheitsförderung stellt hierfür aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung und dem breiten Themenspektrum ein bedeutsames Feld für Vernetzung dar.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in der Ottawa-Charta bereits im Jahr 1986 eine Vernetzung der Akteure als zentrale Herausforderung definiert. Außerdem wird dort eine Neuausrichtung des Gesundheitssystems unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren gefordert: „Die Verantwortung für die Gesundheitsförderung wird in den Gesundheitsdiensten von Einzelpersonen, Gruppen, den Ärzten und anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens, den Gesundheitseinrichtungen und dem Staat geteilt. Sie müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, ein Versorgungssystem zu entwickeln, das auf die stärkere Förderung von Gesundheit ausgerichtet ist und weit über die medizinisch kurativen Betreuungsleistungen hinausgeht“ [20].

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen fordert in seinem aktuellsten Gutachten: „insbesondere in ländlichen Räumen auf die jeweilige Region zugeschnittene, abgestufte Versorgungsstrukturen der Primär- und Sekundärversorgung zu etablieren, die die Anforderungen einer regional vernetzten Gesundheitsversorgung erfüllen und auf den Bedarf älterer Menschen zugeschnitten sind. Da ein solcher Prozess nur tragfähig sein kann, wenn er auf Langfristigkeit und Nachhaltigkeit angelegt ist, bedarf es über die Initiierung von Einzelprojekten hinaus institutionalisierter Kooperationsstrukturen ebenso wie einer gezielten Planung, Umsetzung und Evaluation“ [19]. Hierfür sollte bereits in der Planungsphase auch die Vernetzung mit Akteuren anderer gesellschaftlicher und politischer Handlungsfelder angestrebt werden, wie es im Grundverständnis der Gesundheitsförderung verankert ist [20].

Die Vermittlung von Gesundheits- und Präventionsangeboten ist eine weitere gute Möglichkeit Hausärzte in die Gemeinde einzubeziehen. Diese können von der Gemeinde oder vom Arzt selbst angeboten werden beispielsweise durch das Auslegen von Informationsbroschüren oder Informationspostern im Wartezimmer [12]. Dafür müssten aber auch entsprechende Angebote vorhanden sein, und Ärzte müssten über diese ausreichend informiert sein [1]. Patienten wiederum müssten motiviert sein, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun. Ob ein nationales Programm oder eine Intervention in der Hausarztpraxis selbst für die Umsetzung präventiver Maßnahmen besser geeignet ist, ist Gegenstand der gegenwärtigen Diskussion in Politik und Wissenschaft [10].

Ursächlich für die genannten Barrieren sind u. a. unzureichende politische Rahmenbedingungen. Diese verhindern eine ausreichende politische Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung, obwohl dies in jüngster Zeit von der Regierung als wichtiges Ziel genannt wurde [6]. Zwar wurden in den letzten Jahren zahlreiche präventive Projekte entwickelt, welche aber häufig einzeln oder konkurrierend arbeiten, da auch hierfür keine klaren Strukturen oder umfassende Finanzierungskonzepte vorhanden sind [14].

Erstaunlicherweise sind Ärzte trotz ihres großen Potenzials in der Gemeinde kaum in Gesundheitsförderungsprojekte integriert. Ihre Aufgabe besteht bisher hauptsächlich in der Gesundheitsberatung sowie der Durchführung von Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen. Das Präventionsgesetz 2013 wollte die Rolle der Ärzte in der Prävention und Gesundheitsförderung stärken [11]. Mit seinem Scheitern bleibt weiterhin unklar, welche Rolle Ärzte zukünftig in der Gesundheitsförderung übernehmen sollen. Dies sollte auch aus der Ärzteschaft heraus weiter diskutiert werden und in einer zukünftigen gesetzlichen Verankerung von Prävention und Gesundheitsförderung ausreichend berücksichtigt werden.

Limitationen

Zu den Schwächen der Studie zählt u. a. die ungenaue Definition des Einschlusskriteriums‚ Erfahrung mit Ressourcenorientierung‘. Allerdings trägt dies der Tatsache Rechnung, dass eine Verankerung von Salutogenese und Ressourcenorientierung in der ärztlichen Versorgung insgesamt unscharf definiert und heterogen interpretiert wird. Des Weiteren wurden für die vorliegende Studie nur Hausärzte befragt. Dies wird der Komplexität der Fragestellung allein nicht gerecht. Befragungen von Patienten und Medizinischen Fachangestellten sowie Befragungen anderer am Prozess der kommunalen Gesundheitsförderung Beteiligten wären wichtige nächste Schritte.

Fazit für die Praxis

Die hausärztliche Tätigkeit besitzt ein großes Potenzial innerhalb der kommunalen Gesundheitsförderung. Hierfür müssen Hausärzte verstärkt mit Gemeinden zusammenarbeiten und mehr Kenntnisse über die lokalen Aktivitäten in ihrer Gemeinde erlangen.

Die Politik muss in erster Linie Rahmenbedingungen schaffen, um Prävention und Gesundheitsförderung gesamtgesellschaftlich zu stärken und notwendige Strukturen und Finanzierungsmodelle zu ermöglichen.

Um kommunale Gesundheitsförderung und die Integration der Hausärzte zu verbessern, sind geeignete Strukturen und Finanzierungsmodelle notwendig. Diese müssen vom Gesetzgeber gefördert werden; auch die Koordination und flächendeckende Implementierung bereits vorhandener Projekte sollte maßgeblich verbessert werden [2].

Die Politik sollte für Prävention und Gesundheitsförderung als intersektorale Aufgabe gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen und die Rollen aller Beteiligten genau definieren, um der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden und Lösungsansätze für eine Gesellschaft im demographischen Wandel zu ermöglichen.