Impfungen gehören zu den effektivsten prophylaktischen Maßnahmen in der Medizin. Die Erstimmunisierung bzw. Auffrischung von bereits im Kindesalter begonnenen Impfungen werden bei Erwachsenen häufig vernachlässigt. Die Immunisierungsraten in Deutschland zeigen mit steigendem Alter erhebliche Lücken, die nur durch intensive Aufklärung geschlossen werden können. Jeder Arztbesuch sollte stets auch zum Anlass genommen werden, den Impfstatus zu klären. Die Impfberatung sollte individuell auf den Patienten und seine Bedürfnisse abgestimmt sein und mögliche Complianceprobleme, auch finanzieller Natur, berücksichtigen. Eine beachtliche Zahl von Impfstoffen befindet sich derzeit in Entwicklung bzw. bereits in klinischer Prüfung, daher sind in den nächsten Jahren wesentliche Änderungen im Impfkalender zu erwarten. Andererseits hat gerade auch in Deutschland die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Impfungen erheblich zugenommen. Dies führt zu zusätzlicher Verunsicherung der Patienten. Der beratende Arzt tut gut daran, sich bezüglich neuer Impfstoffe auf dem Laufenden zu halten.

Gerade chronisch Kranke und ältere Patienten sind vermehrt durch Infektionskrankheiten gefährdet. Dies ist zum einen durch die deutlich größere Gefahr einer Infektion und auch durch schwerere klinische Manifestationen der Erkrankungen bedingt [20]. In abgeschwächter Form trifft dies bereits bei Adipositas zu [12]. Abhängig von Diagnose und Ausprägung der Erkrankung weist die Immunabwehr bei chronisch Kranken häufig signifikante Lücken auf, die sich in einer allgemeinen oder spezifischen Abwehrschwäche äußern können. Zum anderen besteht auch die erhebliche Gefahr einer Dekompensation der zugrunde liegenden Erkrankung durch die Manifestation einer Infektion. Ein häufig zitiertes Beispiel hierfür ist die regelmäßig zu beobachtende Übersterblichkeit an saisonaler Influenza [17, 22, 27]. Auch bei vergleichsweise mildem Verlauf der Infektion selbst kommt es bei chronischer Herz- oder Lungenkrankheit häufig zu tödlichen Komplikationen, da die bereits geschädigten Organe die zusätzliche Belastung nicht mehr kompensieren können.

Die Indikation für die Durchführung von Impfungen wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, die meist individuell sehr stark ausgeprägt sind: Neben dem individuellen Expositionsrisiko werden zudem die Häufigkeit der Infektion und das Risiko eines schweren, ggf. tödlichen Verlaufs berücksichtigt (Abb. 1; [14]). Zudem spielen Immuno- und Reaktogenität der verfügbaren Vakzine eine wichtige Rolle. Paradoxerweise wird die Impfprävention bei chronisch Kranken häufig aus einer falsch verstandenen Zurückhaltung gegenüber medizinischen Maßnahmen und deren potentiellen Nebenwirkungen vernachlässigt. Gerade bei diesen Patienten haben zahlreiche Impfungen einen sehr hohen, in Studien gut dokumentierten Stellenwert zur Verringerung des Erkrankungsrisikos und damit Erhöhung der Lebensqualität und -dauer.

Abb. 1
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Indikation von Reiseimpfungen in Abhängigkeit von Häufigkeit und Gefährdungspotential der Infektion [14]

Besondere immunologische Aspekte bei chronisch Kranken

Bei vielen chronischen Erkrankungen ist eine Funktionsbeeinträchtigung des Immunsystems zu finden [5, 6]. Diese ist z. T. durch die Erkrankung bedingt, z. T. durch die notwendige Medikation. Letzteres trifft insbesondere bei Autoimmunkrankheiten und nach Organtransplantation zu. Hieraus ergeben sich neben der erhöhten Anfälligkeit gegenüber zahlreichen Infektionskrankheiten auch potentielle Schwierigkeiten bei der aktiven Immunisierung.

Der Impferfolg ist entscheidend abhängig von einer guten Antigenpräsentation durch Makrophagen, dendritische Zellen u. a., von einer ausreichenden Stimulierung von T-Helferzellen und hierdurch Induktion der Bildung von spezifischen Killerzellen, aktivierten B-Lymphozyten und Gedächtniszellen. Gemessen wird dies mit der Höhe der Antikörpertiter nach einer Impfung – der Immunogenität. Für den Geimpften sehr viel entscheidender ist jedoch die protektive Effektivität – der tatsächliche Schutz gegen eine Infektion bzw. Erkrankung. Dies kann zwar nur in aufwendigen Fallkontrollstudien nachgewiesen werden, ist aber gleichzeitig der schlagende Beweis für die Effektivität der Impfung.

Von der eingeschränkten Reaktionsbereitschaft auf Impfstoffe bei chronisch Kranken sind v. a. Totimpfstoffe betroffen. Hier kann es zu einer erheblich reduzierten protektiven Effektivität kommen [5, 6]. Zum Teil müssen hier Impfabstände verkürzt werden oder andere Applikationswege gefunden werden. Im Gegensatz hierzu lösen Lebendimpfstoffe durch die initiale Vermehrung der geimpften Erreger in der Regel auch bei latent abwehrgeschwächten Personen eine gute Immunantwort aus. Sie sind jedoch bei manifester Immunschwäche strikt kontraindiziert, da es hier zur Erkrankung durch den attenuierten Erreger kommen kann – dies gilt z. B. bei AIDS, bei immunsuppressiver Therapie nach Organtransplantation oder bei Autoimmunerkrankung [23, 26, 31].

Der Impferfolg kann nachhaltig beeinflusst werden durch die Wahl des richtigen Applikationsortes für die Impfung sowie durch Beigabe von Substanzen, die die Reaktion des Immunsystems fördern (sog. Adjuvanzien). In Bezug auf Adjuvanzien hat es in den letzten Jahren erhebliche Forschungsbemühungen gegeben, die zu erheblichen Fortschritten geführt haben. Gerade bei latenter oder manifester Abwehrschwäche ist die bevorzugte Verwendung von adjuvantierten Impfstoffen heute anerkannter Standard.

Impfungen mit besonderer Relevanz für chronisch Erkrankte

Influenza

Die durch die neue Influenza A/H1N1 (Schweinegrippe) ausgelöste Pandemie hat die Diskussionen um die Immunisierung gegen Influenza erneut intensiviert. Das Ziel epidemiologisch Erfolg versprechender Kontrollprogramme gegen diese tröpfchenübertragene Infektion muss die weitgehende Immunisierung der Überträger sein: der gesunden, aktiven Erwachsenen und der Kinder mit zahlreichen gesellschaftlichen Kontakten. Bedauerlicherweise ist die empfohlene Impfstrategie in Deutschland bisher stets nur auf den Individualschutz gefährdeter Personen ausgerichtet. Dies kann nicht zu einer wirklichen Reduktion der Fallzahlen führen. Sinnvoll wäre eine generelle Empfehlung zur regelmäßigen Immunisierung gegen saisonale Influenza und in Zukunft vermutlich auch gegen pandemische Viren. Epidemien durch saisonale Influenza treten alljährlich von Dezember bis April auf der nördlichen Halbkugel und von April bis Oktober auf der Südhalbkugel auf. In tropischen Regionen kann Influenza das ganze Jahr über auftreten.

Influenzaerkrankungen können beim Menschen durch 2 Typen verursacht werden: Typ A und B. Nicht nur durch das Auftreten neuer Influenzastämme besteht das Risiko einer Erkrankung. Auch durch das Nachlassen der typenspezifischen Immunität bei Erkrankten innerhalb von Jahren sowie bei Geimpften innerhalb von Monaten wird es nötig, sich jedes Jahr im September/Oktober erneut gegen saisonale Grippe impfen zu lassen, um über einen hohen Antikörpertiter während der Influenzasaison zu verfügen. Bei Personen unter 60 Jahren ist mit einem 70- bis 90%igen Schutz durch die Impfung zu rechnen, bei älteren Personen sinkt die protektive Effektivität der Impfung auf 30–70%. Gegen schwere Verläufe mit Todesfolge ist jedoch in 80% ein Schutz zu erwarten. [19]. Gerade bei Influenzaimpfstoffen sind die überlegene Immunogenität und protektive Effektivität adjuvantierter Impfstoffe deutlich belegt [9, 21]. Diese sind in jedem Fall bei Personen mit potentiell reduzierter Immunabwehr (also bei chronisch Kranken und Älteren) zu bevorzugen. Auch virosomale Impfstoffe gegen Influenza scheinen ähnliche Vorteile zu bieten [4].

Eine neue Variante stellt die Änderung des Applikationsortes dar. In der Immunologie ist schon länger bekannt, dass die intradermale Applikation von Impfstoffen bei deutlich kleinerer Dosis gleiche oder auch überlegene Effekte auslösen kann [11, 18, 24, 28, 29, 30]. Dies ist in der hohen Anzahl dendritischer Zellen in der Haut begründet, die eine effektive Antigenpräsentation ermöglichen. Daher wird z. B. seitens der WHO für ressourcenarme Länder die intradermale Applikation von Tollwutimpfstoff empfohlen, da hier bei gleichem Impferfolg erhebliche Mengen Impfstoff eingespart werden können [24]. Aus diesem Grund ist die Neuentwicklung einer intradermalen Influenzaimpfung hochinteressant, die in Deutschland bereits zugelassen ist und vermutlich 2010 vermarktet werden wird [2].

Laut STIKO besteht eine Impfindikation bei [1]:

  • Personen ab 60 Jahren,

  • Bewohnern von Pflegeeinrichtungen,

  • Personen mit chronischen Lungen- bzw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen,

  • Personen mit chronischen Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), Niereninsuffizienz oder Immunsuppression,

  • allen Personen in Berufen mit viel Kundenverkehr,

  • medizinischem Personal (um eine Ansteckung von Hochrisikogruppen zu verhindern),

  • chronischen Lebererkrankungen,

  • multiple Sklerose mit durch Infektionen getriggerten Schüben,

  • HIV-Infektion,

  • Personen mit erhöhter Gefährdung durch direkten Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln.

Die Influenzaschutzimpfung wird allen Reisenden ab dem 60. Lebensjahr empfohlen. Dies gilt ebenso für Kinder ab 6 Monaten, Jugendliche und Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für influenzaassoziierte Komplikationen (z. B. Personen mit chronischen Krankheiten wie Diabetes, Herz-/Kreislauferkrankungen, Erkrankungen der Atemwege oder Immundefiziente). Die Impfung sollte möglichst frühzeitig vor Beginn der Influenzasaison (in der nördlichen Hemisphäre: September bis April, in der südlichen Hemisphäre: Mai bis Oktober) durchgeführt werden.

Pneumokokken

Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) sind grampositive, bekapselte Diplokokken. Es existieren zahlreiche Serotypen, deren Verteilung je nach klinischen Infektionsarten, Trägern, Zeitpunkt und Lokalisationen unterschiedlich ist. Die häufigsten Erscheinungsformen waren in letzter Zeit die Typen 1, 3, 4, 7, 8 und 12 bei Erwachsenen sowie die Typen 6, 14, 19 und 23 bei Säuglingen und Kleinkindern. Ein im Handel befindlicher polyvalenter Polysaccharidimpfstoff für Erwachsene richtet sich gegen die 23 Serotypen, die für etwa 90% der schweren Pneumokokkeninfektionen verantwortlich zeichnen. Er erzeugt bei den meisten Kindern >2 Jahre und Erwachsenen spezifische Antikörper. Invasive Pneumokokkenerkrankungen, darunter schwere septische Verläufe wie z. B. Meningitiden nach hämatogener Disseminierung, werden zu ca. 80% verhindert, die pneumoniebedingte Mortalität bis zu 60%. Der Schutz dauert ca. 5 Jahre an. Bei besonders anfälligen Patienten (besonders Kindern) wird eine Auffrischimpfung bereits nach 3 Jahren empfohlen. Für Säuglinge und Kleinkinder sind zudem Konjugatimpfstoffe zugelassen, die zusätzlich einen effektiven Schutz gegen die sekundäre Pneumokokkenmeningitis als Komplikation der Otitis media bieten.

Die aktuellen Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Pneumokokkenvakzine schließen breite Bevölkerungsgruppen ein [1]. Insbesondere Patienten, die sich unter regelmäßiger ambulanter oder stationärer Kontrolle befinden, sollten geimpft werden. Eine Pneumokokkenimpfung wird allen Personen über 60 Jahren empfohlen. Dies gilt auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens: z. B. chronische Lungen-, Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, Immundefizienz einschließlich HIV-Infektion, Erkrankungen der blutbildenden Organe, funktionelle oder anatomische Asplenie, vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie oder vor Organtransplantationen. Aufgrund der begrenzten Schutzdauer ist eine Wiederimpfung nach 5 Jahren sinnvoll (besonders für spezielle Risikogruppen wie z. B. Immundefiziente). Dies ist jedoch mit deutlich erhöhter lokaler und systemischer Reaktogenität verbunden.

Varicella zoster

Bereits seit 2006 in Europa zugelassen, aber erst seit Ende 2009 in Deutschland verfügbar, ist die Lebendimpfung zur Prävention von Herpes zoster und durch Herpes zoster verursachte postherpetische Neuralgie. Hier wird beim Erwachsenen im Vergleich zur Impfung gegen Windpocken beim Kleinkind die 14-fache Impfdosis appliziert. Die Impfung wird einmalig allen immunkompetenten Erwachsenen ab dem 50. Lebensjahr verabreicht. Klinische Daten zeigen eine protektive Effektivität von 51% gegen Herpes zoster und von 67% gegen postherpetische Neuralgie [25]. Zahlreiche chronische Krankheiten und auch Stresssituationen sind assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Herpes zoster [25, 8, 15]. Das Risiko in der Gesamtbevölkerung für das Auftreten eines Zoster wird auf 5–30% geschätzt, bis zum erreichten 80. Lebensjahr liegt es bei nahezu 50% [25, 8, 15]. Zudem sind Folgeschäden zu bedenken: neben den direkten Komplikationen der Erkrankung (z. B. Schädigung der Augen oder postherpetische Neuralgien) lässt eine aktuelle Studie auch ein um 31% erhöhtes Risiko für einen Apoplex im 1. Jahr nach Herpes-zoster-Erkrankung vermuten [16]. Daher wird diese einmalige Impfung in den USA empfohlen. In Deutschland steht eine Stellungnahme der STIKO noch aus. Es bleibt zu hoffen, dass hier ebenfalls eine entsprechende Empfehlung formuliert wird. Aktuell ist der Impfstoff aufgrund eines Produktionsengpasses in Europa nicht verfügbar. Mit einer erneuten Auslieferung wird nicht vor März 2011 gerechnet.

Reiseimpfungen bei chronischen Erkrankungen

Auch bei Personen mit chronischer Erkrankung nimmt die Reisetätigkeit zu. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da sich das Allgemeinbefinden im Verlauf der Erkrankung oft deutlich bessert. Jedoch ist gerade bei diesen Personen eine umfassende Beratung vor der Reise notwendig. Neben Impfungen, die für die gewählte Destination von besonderer Bedeutung sein mögen, ist v. a. darauf zu achten, dass die oben genannten Impfungen durchgeführt worden sind. Zusätzlich sind erhöhte Infektionsrisiken und Komplikationen der chronischen Erkrankung zu berücksichtigen. Hierzu gehören neben der Impfung gegen Hepatitis A [7] auch eine Routineimmunisierung gegen Hepatitis B wegen der erhöhten Gefahr eines Krankenhausaufenthalts [7], eine Impfung gegen Typhus [10] sowie eine Schluckimpfung gegen Cholera, die einen zusätzlichen Schutz gegen Reisedurchfall bietet, der nach neueren Studien bis zu 57% beträgt [13, 32].

Fazit für die Praxis

Aus den vorliegenden Studiendaten zur Effektivität von Impfungen bei chronisch Kranken lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:

  • Ein umfassender Impfschutz sollte vorliegen.

  • Der betreuende Arzt sollte den Impfstatus regelmäßig kontrollieren und ggf. ergänzen.

  • Totimpfungen sind v. a. bei Abwehrgeschwächten zu bevorzugen, auch wenn der Impferfolg nicht immer garantiert werden kann.

  • Bei chronisch Kranken ist insbesondere auch auf einen Impfschutz gegen Influenza, Pneumokokken und Herpes zoster zu achten. Letzterer kann, wie alle Lebendimpfungen, jedoch nicht bei manifester Immunsuppression eingesetzt werden.

  • Wann immer möglich sind adjuvantierte Impfstoffe vorzuziehen.

  • Zukünftig mag die Wahl alternativer Applikationsorte (intradermale Impfung) eine effektivere Alternative zur traditionelle i. m.- oder s. c.-Gabe sein.