Hintergrund und Fragestellung

Die Berufsgruppen der Pflege treten im Zusammenhang mit Diskussionen und Entwicklungen über und zum Thema Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland kaum in Erscheinung. Die Ursachen sind dafür vielfältig. Zum einen ist es aufgrund unterschiedlichster Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten zu einer Dekonturierung präventiver pflegerischer Aufgaben gekommen. Präventive pflegerische und gesundheitsförderliche Aufgaben wurden aufgrund einer fehlenden Definitionsmacht der Pflege und der strukturellen Veränderungen in der Gesundheitsversorgung aus dem Handlungskatalog ausgeschlossen und zunehmend in die gesundheitliche Versorgung der Kliniken, der ärztlichen Bereiche und der Bereiche anderer Gesundheitsberufe integriert [19]. Zum anderen lassen die gesetzlichen Grundlagen den pflegerischen Berufsgruppen nur wenige Möglichkeiten, eigenverantwortlich und qualitativ hochwertige präventive Leistungen anzubieten.

Ein Blick in die gesetzlichen Grundlagen zeigt, dass für die Pflege nur wenig autonome und explizite Aufgaben-, Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche vorgesehen sind. Die gesetzlichen Vorgaben im SGB V und SGB XI sind entweder davon geprägt, dass pflegerisch präventive Maßnahmen unter medizinische Verordnungen subsummiert und damit als Bestandteil der ärztlichen Verordnung klassifiziert werden oder sie sind geprägt von rein intentionalen Formulierungen, die keine Konsequenzen für die pflegerische Versorgung zur Folge haben [11]. Die politischen Stellungnahmen oder Vereinbarungen wie die Münchener Erklärung „Pflegende und Hebammen – ein Plus für die Gesundheit“ oder auch Health 21 (WHO 21), die eine Integration von Pflegenden in Prävention und Gesundheitsförderung vorsehen und fordern, sind zwar von politischen Entscheidungsträgern gemeinsam verabschiedet worden, jedoch haben sie nie den Status von Absichtserklärungen verlassen und sind ohne inhaltliche und gesetzliche Konsequenzen für pflegerische Aufgaben- und Tätigkeitsfelder in Deutschland geblieben.

Zum 3. fehlen konkrete Konzepte und theoretische Grundlagen sowie systematische Kenntnisse, wo und in welchen Bereichen die Pflege in Deutschland im Rahmen der Prävention und Gesundheitsförderung effektiv und nützlich mitwirken kann. Die in Deutschland rezipierten Pflegetheorien aus dem überwiegend US-amerikanischen Raum haben zwar Themen der Gesunderhaltung und -förderung als Aufgabenfeld der Pflege thematisiert. Allerdings haben sie aufgrund ihrer Konstruktion als Theorien „weiter Reichweite“ für eine theoretische Grundlagenbildung für pflegepraktische Handlungsfelder in Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland keine konkreten sowie essentiellen Beiträge liefern können.

In der deutschen Pflegewissenschaft und Pflegeforschung wurden die Begriffe „Prävention“ und „Gesundheitsförderung“ nur wenig untersucht. Ströbel u. Weidner [23] beziehen sich überwiegend auf den Präventionsbegriff des SGB XI, d. h. auf die Frage der Verhinderung, Vermeidung oder Verzögerung von Pflegebedürftigkeit. Es fehlen jedoch systematische pflegewissenschaftliche Erkenntnisse zur Prävention im Sinne z. B. der Leistungen im SGB V oder zu neuen Tätigkeits- und Verantwortungsfeldern wie Anleitung, Beratung, zu Präventionsprogrammen sowie zu präventiven Konzepten der Pflege.

Die Pflege scheint durch Entwicklungen in der Gesundheitspolitik und Gesundheitssystem auf die neuen Herausforderungen in Prävention und Gesundheitsförderung unvorbereitet zu sein. Allerdings werden zzt. pflegewissenschaftliche Projekte durchgeführt, die präventive und gesundheitsförderliche Aspekte zum Inhalt haben. Dazu zählen beispielsweise das Projekt des DBfK „Familiengesundheitsschwester“, Projekte zum Thema präventive Hausbesuche u. a. – diese befinden sich überwiegend noch in der Durchführungsphase, sodass abschließende Ergebnisse ausstehen. Sie verdeutlichen jedoch, dass das Thema „Prävention und Gesundheitsförderung“ sowohl in der Fachwissenschaft als auch bei potenziellen Projektförderern ins Blickfeld geraten und zunehmend bearbeitet werden.

Indessen steigt von gesundheitspolitischer Seite das Interesse sowohl an der Prävention insgesamt als auch an der Prävention durch pflegerische Berufsgruppen. Am deutlichsten wird es erkennbar an der Novellierung des Krankenpflegegesetzes aus dem Jahre 2003 [10]. Mit diesem Gesetz wird erstmalig von gesetzgebender Seite die Berufsgruppe der Pflege mit Prävention in einem Zusammenhang gebracht und ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die Berufsbezeichnung Krankenschwester/Krankenpfleger wurde in Gesundheits- und Krankenpfleger/in geändert, um die Aufgaben von Pflegenden in präventiven Bereichen auch an der Berufsbezeichnung sichtbar zu machen. Unter § 3 Abs. 1 werden präventive Aufgaben für die Pflege, wenn auch nicht sehr konkret, formuliert.

Einige Passagen im Koalitionsvertrag deuten darauf hin, dass das Thema Prävention bzw. Präventionsgesetz gesundheitspolitisch weiter verfolgt wird. Demgemäß ist davon auszugehen, dass es die weiteren Diskussionen in der Gesundheitsversorgung anregen wird. Da Prävention ein komplexes Konstrukt ist, das auf unterschiedlichen Ebenen der Gesundheitsversorgung angesiedelt und gesetzlich unterschiedlich geregelt ist, kann der Erfolg präventiver Programme und Projekte sehr wahrscheinlich nur unter Beteiligung unterschiedlicher Berufsgruppen gewährleistet werden. Diese verfügen über einen jeweils professionell-fachlichen Blick auf unterschiedliche Zielgruppen, über interschiedliche Zugangswege sowie unterschiedliche Interventionsmöglichkeiten [1].

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Potenzialen pflegerischer Berufsgruppen in Prävention und Gesundheitsförderung. Mit einem Blick in den internationalen Raum wird eine Annäherung an eine mögliche Antwort im Verlauf dieses Beitrags anvisiert. Dieser erscheint trotz unterschiedlicher gesetzlicher, finanzieller und ausbildungsbezogener Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung notwendig, da Prävention in der Pflege in diesen Ländern einen ganz anderen Stellenwert einnimmt [4]. Ziel ist es, zu untersuchen, in welchen Bereichen Pflegende gemäß ihrer Qualifikation sachverständig sowie fachgemäß Verantwortung und Aufgaben und Tätigkeiten übernehmen und durchführen sowie sinnvoll in Bereichen der Prävention und Gesundheitsförderung integriert werden können. Es geht darum, die präventiven Aufgaben und Verantwortungen von pflegerischen Berufen in Prävention und Gesundheitsförderung zu eruieren und zusammenzufassen sowie die Aufgaben einander gegenüberzustellen. Dabei werden in diesem Beitrag nicht Fragen der Effektivität und Effizienz von pflegerischen Berufsgruppen in Prävention und Gesundheitsförderung diskutiert. Aufgrund der Vielfältigkeit und Komplexität pflegerischer Aufgaben in Gesundheitsförderung und Prävention in anderen Ländern sowie diversen Studien zu Effektivität und Effizienz wird dieses Thema in einem gesonderten Beitrag erläutert und diskutiert.

Ein weiteres Ziel dieses Beitrags ist v. a. ein Bild von Prävention in der Pflege zu zeichnen, das sich über das ganze Spektrum der Gesundheitsversorgung und nicht nur auf die Pflegeversicherung erstreckt, so wie es in der gesundheitsbezogenen Literatur in Deutschland zurzeit vielfach der Fall ist [17, 23]. Die Ergebnisse sollen des Weiteren zu einer Konzeptualisierung von Prävention und Gesundheitsförderung in der Pflege beitragen.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Als Pflegeberufe mit präventiven und gesundheitsförderlichen Schwerpunkten wurden identifiziert:

  • Public Health Nurse,

  • Community Health Nurse/Community Nurse,

  • Family Health Nurse,

  • Health Visitor.

Für die Recherche und Analyse der Literatur wurde die oben angeführte Fragestellung zugrunde gelegt und der Begriff Potenzial in „Aufgaben pflegerischer Berufe in Prävention und Gesundheitsförderung“, „Tätigkeiten pflegerischer Pflegeberufe in Prävention und Gesundheitsförderung“, „Verantwortung pflegerischer Pflegeberufe in Prävention und Gesundheitsförderung“ und „Position/Stellung im Gesundheitswesen“ operationalisiert. Für die Literaturanalyse wurden die Datenbanken „Dimdi“, „PubMed“ und der Bibliotheksverbund „GBV“ auf die Stichworte „Public Health Nurse“, „Community Health Nurse“, „Community Nurse“, „Family Health Nurse“, „Health Visitor“ in Kombination mit „Aufgaben“, „Rolle“, „Position“, „Gesundheitssystem“; „Potenziale“, „Prävention“, „Gesundheitsförderung“ in deutscher und englischer Sprache verknüpft von 1996–2004 verknüpft. Insgesamt wurden für diesen Beitrag 35 Artikel für die Analyse herangezogen und ausgewertet.

Ergebnisse

Die angelsächsische Literatur zu Prävention ist sehr vielfältig. Festzuhalten ist, dass auch im englischsprachigen Raum kein einheitliches Konzept für Prävention in der Pflege sowie einheitliche Aufgaben-, Tätigkeitsbeschreibungen für die identifizierten pflegerischen Berufe mit Schwerpunkten in Prävention und Gesundheitsförderung zu finden sind. In den einzelnen Ländern sind die einzelnen Berufsbezeichnungen sowie die Aufgaben, Tätigkeiten, Position/Stellung im Gesundheitssystem nicht trennscharf voneinander getrennt [3, 6].

In der Synthese zeigt sich folgendes Bild: Der Hauptfokus aller präventiven Pflegeberufe liegt auf Bevölkerungsgruppen in Kommunen und Gemeinden (Tab. 1, s. auch http://www.csuchico.edu/~horst/about/definition.html Zugriff am: 18.02.2005). Fast allen ist das Ziel gleich, die Gesundheit von Bevölkerungsgruppen zu fördern und das Wohlbefinden sowie die Lebensqualität zu steigern.

Tab. 1 Fokus und Ziele der präventiven Pflegeberufe

Trotz unterschiedlicher Gesundheitssysteme, Ausbildungsmöglichkeiten und -grad der 4 präventiven Pflegeberufe sowie Position/Stellung im Gesundheitssystem und Vorhandensein anderer Gesundheitsberufe in den unterschiedlichen Ländern gibt es offensichtlich Schnittmengen präventiver Gesundheitsdienstleistungen, die von den präventiven Pflegeberufen in allen Ländern übernommen werden.

Ein besonders hoher Bedarf scheint Tab. 2 zur Folge in der Mesoebene des Gesundheitssystems zu sein. Sie nehmen verantwortlich an präventiven Gesundheitsprogrammen teil bzw. sind verantwortlich für die Durchführung, sie koordinieren, lenken und organisieren die Programme oder präventiven Maßnahmen, sie sind gleichberechtigte Mitglieder von interdisziplinären Teams und häufig bilden sie die Schnittstelle zwischen den Berufsgruppen und den Klienten. Die Perspektive ist aufgrund des Aufgaben- und Tätigkeitszuschnitts in aller Regel bevölkerungs-, bzw. kommunenbezogen (s. Tab. 1). Der Blick der präventiven Pflegeberufe richtet sich also vom Individuum auf die Bevölkerungsgruppe und dann wieder in der einzelnen Maßnahme auf das Individuum. Die vielfältigen präventiven Aufgaben umfassen die gesamten Lebensphasen sowie Gesundheits-/Krankheitskontinuum der anvisierten Bevölkerungsgruppen.

Tab. 2 Position/Stellung präventiver Gesundheitsberufe im Gesundheitssystem

Bei dieser Übersicht wird aber auch deutlich, dass die Berufe nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind. Sie haben alle einen ähnlichen Fokus und sind in ähnlichen Bereichen der präventiven Gesundheitsversorgung aktiv. Abhängig von den Ländern übernehmen die Berufe Aufgaben und Tätigkeiten auf der Mikroebene, d. h. in der direkten Versorgung und Betreuung von Patienten oder auch auf der Makroebene, d. h. in der Entwicklung von gesundheitspolitischen Maßnahmen. Gelegentlich ist die Zuordnung zu diesen Ebenen bzw. Aufgaben abhängig vom akademischen Grad der präventiven Pflegeberufe.

Dieses Ergebnis könnte damit erklärbar sein, dass die Länder den Bedürfnissen ihres Gesundheitssystems entsprechend Qualifikationsmöglichkeiten für Pflegeberufe in Prävention und Gesundheitsförderung entwickelt haben. Im Zuge dieser Entwicklungen wurden ihnen abhängig von Status, Position/Status, Vorhandensein anderer Gesundheitsberufe sowie Finanzierung des Gesundheitssystems wichtige Aufgaben und Inhalte der Prävention übertragen.

Die präventiven Pflegeberufe nehmen essentielle Aufgaben in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention wahr (s. Tab. 2): Betrachtet man sich die Ebenen der Prävention, so bewegen sich die Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung sowohl auf der Ebene der Verhältnisprävention wie auch auf der Ebene der Verhaltensprävention. Die Schwerpunkte, Aufgaben und Zuständigkeiten sind fokussiert auf Familien, Individuen, identifizierte vulnerable Bevölkerungsgruppen in Kommunen und häuslicher Umgebung. Ein großer Teil der Aufgaben beinhaltet Gesundheitserziehung und -beratung für alle Altersgruppen. Je nach Ausrichtung liegt z. B. der Schwerpunkt bei Kindern <5 Jahren oder bei Jugendlichen in Schulprogrammen, bei Frauen nach Geburt oder bei Bürger/innen mit chronischen Erkrankungen u.ä..

Die Konzepte der Prävention der in diesem Beitrag skizzierten Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung orientieren sich deutlich an Grundlagen und Inhalte von Public Health und Sozialwissenschaften. Sie werden in aller Regel um pflegerische Inhalte, Aufgaben und Schwerpunkte ergänzt und erweitert. Dies betrifft z. B. Art und Weise des Zugangs, der Betreuung und Beratung zu bzw. von definierten Bevölkerungsgruppen, Ziele der präventiven Interventionen.

Die notwendigen Kompetenzen umfassen Kenntnisse in Public Health, Sozialwissenschaften, Gesundheitsförderung, -erziehung, medizinische Grundlagen, Gesundheitspolitik, Epidemiologie, Sozialmedizin, Gesundheits- und Pflegeforschung, Kommunikation, Management, Ökonomie u. a.. Die Qualifikationen werden entweder als Bachelor- oder als Masterstudiengang angeboten.

Diskussion

Die Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung im internationalen Raum sind fest in den jeweiligen Gesundheitssystemen verankert. Sie sind ein integraler Bestandteil der Präventionsprogramme in den unterschiedlichen Ländern. Ein hoher Grad an beruflicher Autonomie zeichnet die berufliche Tätigkeit und die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen aus. Dies ist z. B. an der Befugnis erkennbar, Klienten an andere Berufsgruppen und Institutionen des Gesundheitswesens im Rahmen ihrer Tätigkeit in entsprechenden Programmen überweisen zu dürfen oder den Hausarzt als Gatekeeper zu ersetzen, wenn pflegerische Belange im Vordergrund stehen.

Insbesondere auf der kommunalen/gemeindebezogenen Ebene nehmen die präventiven Pflegeberufe wichtige Aufgaben präventiver Gesundheitsleistungen wahr. Die Qualifikationen und Kompetenzen sind sehr vielfältig, sodass sie in berufsgruppenübergreifenden Programmen zu einer qualitativ hohen Prävention beitragen können. Betrachtet man die Potenziale, Aufgaben und Tätigkeiten der präventiven Pflegeberufe im internationalen Raum, so übernehmen die Pflegenden dort Aufgaben, die man in Deutschland sowohl dem SGB V, dem SGB XI und dem zu erwartenden Präventionsgesetz zuschreiben kann.

Die präventiven Aufgaben der Pflege, so wie sie sich in den hier beschriebenen präventiven Pflegeberufen darstellen, sind jedoch keinesfalls als alleinige Assistenzhilfeleistung medizinischer Gesundheitsberufe oder als subsummierter Bestandteil ärztlicher Verordnungsleistungen denkbar. Sie sind vielmehr eigenständige professionelle Dienstleistungen im Rahmen von interdisziplinären gemeinde-/kommunennahen präventiven Programmen.

Die Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung sind in allen Bereichen und Ebenen der Prävention beruflich tätig und erfüllen auf diese Weise die Voraussetzung, verschiedene Zugangswege zu definierten und vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu erhalten. Insbesondere durch den Fokus auf Bevölkerungsgruppen in Kommunen und Gemeinden sind sie in der Lage, zielgruppennahe zahlreiche der komplexen präventiven Aufgaben in Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen zu erfüllen. Als Ergebnis bleibt zu konstatieren: die Aufgaben, Tätigkeiten und die Integration der Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung im internationalen Raum gehen weit über das gewohnte Maß in Deutschland hinaus.

Eine Voraussetzung, um die Pflegeberufe angemessen in Konzepte der Prävention und entsprechende gesundheitspolitische Maßnahmen zu integrieren, ist eine Diskussion, Auseinandersetzung und Forschung in Gesundheits- und Pflegewissenschaft sowie Gesundheitspolitik.

In Pflegewissenschaft und Pflegepraxis ist in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Der Blick richtet sich von der Krankheitsorientierung hin zu Förderung vorhandener Ressourcen der Klienten im Sinne von Gesundheitsförderung. Winter u. Kuhlmey [26] schlussfolgern daraus, dass folglich davon ausgegangen wird, dass pflegerischem Handeln umfängliche, gesundheitsfördernde Momente und Möglichkeiten innewohnen und Gesundheitsförderung als grundlegende Aufgabe sowie integraler Bestandteil professioneller Pflege begriffen wird.

Weitere pflegewissenschaftliche Forschungen und Konzeptentwicklungen sind jedoch notwendig, um die Integration von Pflege in Prävention zu erreichen. So bedarf der gegenwärtig verfolgte Settingansatz in der Prävention in der Pflege einer eigenständigen Perspektive durch pflegewissenschaftliche Untersuchungen.

Berufliche Pflege ist in Deutschland herkömmlich eher personen- und individuenzentriert und steht bisher mit dieser Perspektive einem Settingansatz bzw. bevölkerungsbezogenen Fokus entgegen. Des Weiteren gilt es, auf der Basis von Statistiken, vorhandenen Datensätzen u. a. Grundlagen, Zielgruppen zu definieren sowie geeignete Methoden und Interventionen pflegerischer Berufsgruppen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihres Nutzens zu untersuchen. Damit Pflege zu einer ernstzunehmenden Berufsgruppe in Prävention und Public Health wird, erscheint eine Theorieentwicklung auf der Basis einer Auseinandersetzung mit Konzepten und Theorien der Gesundheits- und Sozialwissenschaften von außerordentlicher Relevanz. Erkenntnisleitend können die Ergebnisse aus Gesundheitsforschung zu den personalen, sozialen und strukturellen Determinanten von Gesundheit oder das Salutogenesekonzept sein [2].

Weitere Erkenntnisse sind z. B. notwendig in Anleitung und Beratung in präventiven Zusammenhängen oder bei eigenständigen präventiven Leistungen. Eine Aufgabe pflegewissenschaftlicher Forschung ist, pflegerische Prävention zu definieren, damit diese in den Leistungskatalog aufgenommen und demgemäß angemessen verordnet und vergütet werden kann. Zahlreiche weitere Forschungsprojekte lassen sich hier anführen, deren Ergebnisse notwendig sind, um die präventiven Leistungen der Pflege theoretisch und praktisch zu fundieren.

Die von Walter u. Schwartz [26] beschriebenen Kriterien für eine Priorisierung präventiver Projekte stellen für die Auswahl pflegerischer präventiver Projekte und Integration in eine interdisziplinäre Prävention und Gesundheitsförderung eine systematische Grundlage dar. Dazu gehören z. B. die Höhe der kollektiven Krankheitslast in den möglichen Zielpopulationen, der wahrscheinliche Nutzen, der Aufwand, die unbeabsichtigten Krankheitsfolgen, aber auch z. B. die Größe und Zugänglichkeit der Zielgruppen, die adäquaten Zugangswege, Art der Interventionsstrategie und sonstige Merkmale der Implementation.

Insgesamt sind weitere differenzierte gesundheits- und pflegewissenschaftliche Projekte erforderlich, die die empirischen Grundlagen und Nachweise für Prävention und Gesundheitsförderung der Pflege in Deutschland liefern.

Die Frage der Finanzierung derartiger präventiver Leistungen von Pflegeberufen ist nicht nur von ökonomischer, sondern auch von politischer Relevanz. Walter [24] betrachtet die Kosten für präventive Pflegeinterventionen im Vergleich mit anderen entstehenden Therapiekosten als eher marginal. Sie führt als Vorteil präventiver pflegerischer Interventionen an, dass z. B. behandlungserforderliche Sekundärerkrankungen bei Pflegebedürftigen wie Dekubitus, Thrombosen, Gelenkkontrakturen und aufsteigende Harninfekte vermieden werden können. Den Betroffenen könnten durch eine rechtzeitige pflegerische präventive Pflegeintervention Leid erspart, die Lebensqualität erhöht und der medizinische sowie pflegerische Zusatzaufwand wie Krankenhausaufenthalt, Behandlungspflege u. ä. reduziert werden. Unter diesen Prämissen wird sich ihrer Einschätzung nach die Unterstützung pflegerischer präventiver Interventionen volkswirtschaftlich eher nützlich auswirken. Aufwändige medizinische Interventionen, die allgemein mit hohen Krankheits- und Zusatzkosten verbunden sind, könnten auf diese Weise eingespart werden [24].

Auch hinsichtlich der Frage nach möglichen Finanzierungsmöglichkeiten pflegerischer präventiver Maßnahmen lohnt sich ein Blick in den internationalen Raum. Als Lösung könnte sich ein Modell in Großbritannien anbieten. In diesem wird ein Prozentsatz pauschal vom Hausarztbudget, das sog. Pflegebudget, von der Pflege selbst für präventive Leistungen verantwortet. Aus diesen kann sie aus einem vorgesehen Leistungskatalog Maßnahmen verordnen. Im Rahmen eines Monitorings erfolgt ein Austausch mit einem Hausarzt [24].

Bislang geben die gesetzlichen Vorgaben in der Gesundheitspolitik den pflegerischen Berufsgruppen nur wenige Möglichkeiten, autonom und berufsgruppenübergreifend mit anderen Gesundheitsberufen in Prävention und Gesundheitsförderung tätig zu werden. An die Gesundheitspolitik muss die Forderung formuliert werden, die möglichen Potenziale pflegerischer Berufsgruppen in Prävention und Gesundheitsförderung in weitere gesetzliche Maßnahmen (wie z. B. das zu erwartende Präventionsgesetz) münden zu lassen.

Basierend auf diesen Ergebnissen ist es möglich, Maßnahmen und Aufgaben präventiver Pflegeberufe auf dem Hintergrund nationaler Bedingungen und in Abgrenzung zu anderen Gesundheitsberufen in die Ebenen von Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention sowie Gesundheitsförderung zu systematisieren und zu strukturieren und die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen und Interventionen nachzuweisen. Kruse [17] hat bereits im Jahr 2002 den Vorschlag geäußert, „das bereits bestehende Spektrum pflegerischer Strategien im Bereich der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention umzusetzen und systematisch zu erweitern“. Die im Folgenden beschriebenen Aufgaben- und Verantwortungsfelder sind denkbar:

Maßnahmen der primären Prävention:

  • Aufklärung und Beratung sowie Unterstützung für pflegende Angehörige,

  • Aufklärung Beratung im Bereich von Risikofaktoren, Lifestyle und Gesundheitsförderung,

  • Assessment von Bedarfen und Bedürfnissen definierter vulnerabler Bevölkerungsgruppen,

  • Vermittlung von Informationen über Risikofaktoren, lifestylebezogenen Risikofaktoren,

  • Koordination und Organisation von Dienstleistungen der Gesundheits- und Pflegeleistungen,

  • Durchführung präventiver Hausbesuche.

Maßnahmen der sekundären Prävention:

  • Sturzprophylaxeprogramme für identifizierte Bevölkerungsgruppen,

  • Schulungen, Anleitungen und Beratung für chronisch Erkrankte in häuslicher Umgebung, um dabei behilflich zu sein, die mit dem Krankheitseinbruch einhergehenden existenziellen Verunsicherungen und Probleme zu lösen, oder Möglichkeiten der Gestaltung des Lebens mit chronischer Krankheit zu finden bzw. eine mit der Krankheitssituation in Übereinstimmung stehende Identität auszubilden und biographische Integration des Krankheitsgeschehens zu ermöglichen.

  • Teilnahme an Screeningprogrammen (Pflegenden bringen klinische Expertise sowie klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten wie z. B. messen und überprüfen physiologischer Parameter, Aufklärung und Beratung ein),

  • Teilnahme an Disease-Management-Programmen durch wohnortnahe Anleitung, Beratung und Überprüfung lebensweltlicher Umgebung,

  • Teilnahme und Durchführung von Impfprogrammen,

  • Organisation, Koordination von Langzeitpflege,

  • Sterbe- und Trauerbegleitung, Palliativpflege.

Maßnahmen der tertiären Prävention:

  • Programme für die Durchführung prophylaktischer Maßnahmen bei Pflegebedürftigen, um Sekundärerkrankungen und Komplikationen zu vermeiden,

  • Wundmanagement-, Inkontinenzmanagement, Demenzpflege- und Betreuung.

Maßnahmen der Gesundheitsförderung:

  • Kampagnen Gesundheitsförderung aus pflegerischer Sicht (z. B. Wie kann Pflegebedürftigkeit verhindert werden?),

  • Durchführung von Programmen der Gesundheitserziehung, gesundheitsförderlichem Verhalten u. ä.,

  • Förderung und Unterstützung von sozialen Netzwerken,

  • Förderung von „Patientenkompetenzen“ z. B. durch Unterstützung der Körperwahrnehmung, der psychosozialen Ebenen,

  • gemeindebezogene Gesundheitsförderung ambulanter Pflegedienste durch Übernahme von Schnittstellenfunktionen u. ä..

Betrachtet man sich die Aufgaben- und Verantwortungsfelder etwas genauer, so könnte eine Definition von Aufgaben in der Pflege, angelehnt an § 3 Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung anderer Gesetze vom 16. Juli 2003 folgendermaßen lauten:

Pflegerische Berufsgruppen führen in Prävention und Gesundheitsförderung eigenverantwortlich die Erhebung und Feststellung des Bedarfs in Prävention und Gesundheitsförderung durch, sie planen, organisieren, koordinieren die (pflegerischen) Maßnahmen und Interventionen in Prävention und Gesundheitsförderung, führen sie durch, dokumentieren und evaluieren sie. In Programmen von Prävention und Gesundheitsförderung informieren und beraten sie die Klienten, leiten sie an und unterstützen sie. Des Weiteren wirken sie an der Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen in Programmen von Prävention und Gesundheitsförderung mit. Sie können in diesem Rahmen Maßnahmen der medizinischen Diagnostik und Interventionen durchführen (z. B. Erheben physiologischer Parameter u. ä.). Sie arbeiten in Programmen von Prävention und Gesundheitsförderung interdisziplinär mit anderen Berufsgruppen zusammen und entwickeln multidisziplinäre und berufsübergreifende Lösungen von Gesundheitsproblemen.

Mit anderen Worten, mögliche Aufgaben- und Verantwortungsfelder von pflegerischen Berufsgruppen in Prävention und Gesundheitsförderung sind hochkompatibel mit dem bestehenden Krankenpflegegesetz. Im Sinne einer effizienten und qualitativ hohen Durchführung von Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen können sie bereits jetzt verantwortlich integriert werden.

Eine angemessene Qualifikation der Pflegenden muss vorausgesetzt werden, um entsprechende Verantwortungs- und Aufgabenfelder zu ermöglichen. Als adäquat erscheinen zukünftig Bachelor- bzw. Masterabschlüsse mit entsprechenden Schwerpunktbildungen in den Studiengängen.

Fazit für die Praxis

Aus dem bisher Gesagten kann die Schlussfolgerung gezogen werden, die Potenziale der pflegerischen Berufsgruppe zu nutzen, um Prävention in den verschiedenen Bereichen und Ebenen durchzuführen. Dafür ist es notwendig, den Pflegenden die pflegerischen präventiven Aufgaben und Tätigkeiten zuzugestehen und die eigenständigen Leistungen pflegerischer Prävention in interdisziplinären Programmen und Teams zu integrieren und auf Dienstleistungen zu richten, die in Deutschland i. Allg. dem SGB V-Bereich zuzuordnen sind. Zu denken ist z. B. an das Konzept der niederländischen Pflegesprechstunden für chronische Erkrankte oder präventive Hausbesuche. Diese könnten im Rahmen einer Primärversorgung beispielsweise von ambulanten Diensten in Kooperation mit niedergelassenen Hausärzten oder von fachübergreifenden Kooperationen in Versorgungszentren angeboten und durchgeführt werden.

Um eine angemessene Zuordnung von präventiven Aufgaben vornehmen zu können, ist es notwendig Bereiche und Programme zu definieren, in denen präventive Pflegeberufe selbständig und eigenverantwortlich tätig sowie gemeinsam mit anderen Berufsgruppen wirksam werden können. Orientierungsgrundlage für eine Zuordnung von Aufgaben und Tätigkeiten von Pflegeberufen in der Prävention können die Pflegeberufe mit Schwerpunkt in Prävention und Gesundheitsförderung im internationalen Raum und die präventiven Programme bilden, in denen diese tätig sind.