Ein befriedigendes Therapieergebnis darf nicht nur deshalb an ein bestimmtes Therapieregime gebunden sein, weil ein bestimmter Wirkstoff aufgrund mangelnder Studien lediglich zur Kombination mit anderen Antikonvulsiva oder nur zur Behandlung eines bestimmten Epilepsiesyndroms zugelassen ist. Nur dieses Faktum ist aber dafür verantwortlich, dass die Monotherapie mit Levetiracetam (LEV) und die Kombinationsbehandlung mit LEV bei anderen generalisierten Epilepsiesyndromen als der juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME) einem „Off-label“-Staus entsprechen. Es stellt sich die Frage, ob dies für eine sorgfältige und angemessene Therapie relevant ist.

Hintergrund

Levetiracetam wurde im Jahr 2000 zunächst zur Zusatztherapie erwachsener Patienten mit fokalen epileptischen Anfällen mit und ohne Generalisierung zugelassen, nachdem sich in placebokontrollierten randomisierten doppelblinden kontrollierten Studien die Überlegenheit gegenüber Placebo hatte nachweisen lassen [2, 6, 32, 36]. Die Vergleichsstudie gegen retardiertes Carbamazepin hatte die zusätzliche Zulassung zur Monotherapie bei fokalen Epilepsien zur Folge [5]. Aufgrund des Profils von LEV in präklinischen Modellen [14, 21] und auch aufgrund der guten antimyoklonischen Wirksamkeit des chemisch verwandten Piracetam in hohen Dosen bei Myoklonien im Rahmen progressiver ebenso wie JME ([1, 15, 19, 27, 30]) war es naheliegend, einen zusätzlichen therapeutischen Effekt bei Patienten mit generalisierter Epileptogenese und insbesondere mit myoklonischen Anfällen zu erhoffen. Levetiracetam war wirksam bei Ratten mit audiogenen Anfällen und im Rattenmodell der genetischen Absence-Epilepsie [21]. In Pilotstudien wurde dann auch frühzeitig über einen vorteilhaften Effekt bei myoklonischen Anfällen im Rahmen von progressiven myoklonischen Epilepsien, Lance-Adams-Syndrom und anderen Formen myoklonischer Aktivität wie auch bei Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) alter Klassifikation und unter diesen v. a. bei JME berichtet [3, 8, 9, 10, 16, 18, 20, 21, 22, 24]. Zwei randomisierte kontrollierte Studien gegen Placebo belegten die Wirksamkeit von LEV in einer Tagesdosis von 1000–3000 mg als Zusatzmedikation gegen generalisierte tonisch-klonische Anfälle [4] bei Patienten mit IGE und bei Patienten mit IGE mit myoklonischen Anfällen [26].

Dies hat dazu geführt, dass LEV als Zusatzmedikation bei JME, aber nicht bei anderen IGE oder als Monotherapie bei JME zugelassen ist, da die hierfür erforderlichen kontrollierten Studien nicht vorgelegt wurden und wohl auch aufgrund des abgelaufenen Patentschutzes aus wirtschaftlichen Überlegungen der pharmazeutischen Industrie heraus nicht mehr durchgeführt werden.

Das pharmakologische Profil von LEV (rasche und fast komplette Aufnahme, lineare Pharmakinetik, orale Bioverfügbarkeit > 95%, Zweimalgabe pro Tag möglich, keine wesentliche Metabolisierung, renale Elimination, Interaktionsarmut, [14, 28]) prädestiniert den Wirkstoff als ideale Kombinationstherapie. Andererseits lässt der in den Studien erwiesene zusätzliche Nutzen eben auch auf eine entscheidende Eigenwirksamkeit schließen, die zumindest anekdotisch in der Literatur berichtet wurde [8, 9]. Daher würde es naheliegen, entsprechend den Empfehlungen der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [11] Patienten, die unter zusätzlichem LEV anfallsfrei werden, dann auch mit einer LEV-Monotherapie weiterzubehandeln. Aufgrund der einfachen Praktikabilität der Substanz würde sich ebenso empfehlen, bei Patienten de novo mit einer LEV-Monotherapie zu beginnen, da potenzielle Nachteile anderer zugelassener Monotherapien wie Valproinsäure, Lamotrigin oder Topiramat im Individualfall vermieden werden könnten.

Zur Umgehung einer Off-label-Behandlung könnte man aber auch auf die Idee verfallen, LEV pro forma mit der Niedrigstdosis einer anderen Substanz zu kombinieren. Rationaler Pharmakotherapie entspräche eine solche Strategie sicherlich nicht.

Um die Einstellung epileptologisch versierter Kollegen zu diesem vermutlich anhaltenden Problem zu untersuchen, wurde eine internetbasierte Umfrage unter den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGFE) durchgeführt. Unabhängig davon haben die Autoren in den eigenen Ambulanzen alle erwachsenen Patienten erfasst, die gegenwärtig entsprechend einer Off-label-Therapie mit LEV in Monotherapie bei IGE behandelt werden, um einen Eindruck über die Häufigkeit und die Erfolgsausichten zu gewinnen.

Patienten und Methode

Über den E-Mail-Verteiler der DGFE wurden folgende 3 Fragen an 856 E-Mail-Adressen versendet:

  • „Haben Sie Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien alter Klassifikation, die Sie mit Levetiracetam in Monotherapie behandeln?“

  • „Haben Sie Patienten mit anderen idiopathischen generalisierten Epilepsien als JME, die Sie mit Levetiracetam (in Mono- oder Kombinationstherapie) behandeln?“

  • „Umgehen Sie den Off-label-Status der Monotherapie mit Levetiracetam, indem Sie pro forma ein ‚Pseudo-Placebo‘ hinzugeben, um so den Schein der Kombination zu wahren?“

Es wurden darüber hinaus alle Patienten mit IGE identifiziert, die von einem der Autoren persönlich mit LEV in Monotherapie in 2011 aktuell behandelt wurden. Deren demografische Daten, Vormedikation, Epilepsieklassifikation und Anfallssituation wurden erfasst.

Ergebnisse

Es gingen 145 auswertbare Antworten ein (17% aller Befragten).

Die erste Frage, „Haben sie Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien alter Klassifikation, die Sie mit Levetiracetam in Monotherapie behandeln?“, beantworteten 109 Befragte mit ja (75%; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Haben Sie Patienten mit idiopathischen generalisierten Epilepsien alter Klassifikation, die Sie mit Levetiracetam in Monotherapie behandeln?

Auf die 2. Frage „Haben Sie Patienten mit anderen idiopathischen generalisierten Epilepsien als JME, die Sie mit Levetiracetam (in Mono- oder Kombinationstherapie) behandeln?“ antworteten 118 Personen mit ja (81%; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Haben Sie Patienten mit anderen idiopathischen generalisierten Epilepsien als juveniler myoklonischer Epilepsie, die Sie mit Levetiracetam (in Mono- oder Kontinationstherapie) behandeln?

Die 3. Frage „Umgehen Sie den Off-label-Status der Monotherapie mit Levetiracetam, indem Sie pro forma ein ‚Pseudo-Placebo‘ hinzugeben, um so den Schein der Kombination zu wahren?“ verneinten 122 Befragte (84%; Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Umgehen Sie den Off-label-Status der Monotherapie mit Levetiracetam, indem Sie pro forma ein „Pseudo-Placebo“ hinzugeben, um so den Schein der Kombination zu wahren?

Im eigenen Patientengut konnten 35 erwachsene Patienten (27 Frauen, 8 Männer, 18 bis 75 Jahre, Mittelwert 31,5 Jahre) ermittelt werden, die derzeit mit einer LEV-Monotherapie behandelt werden. Die Verteilung der Epilepsiesyndrome zeigt Abb. 4. Die aktuellen Tagesdosen variierten zwischen 500 und 3000 mg (Mittelwert 1429 mg). Die einzelnen LEV-Tagesdosen ergeben sich aus Abb. 5. Bei 8 Patienten bedeutete LEV die erste Monotherapie, ansonsten waren vor LEV 1 bis 4 Antikonvulsiva eingesetzt worden (Abb. 6). Es sind 29 Patienten>1 Jahr anfallsfrei (83%; Abb. 7).

Abb. 4
figure 4

Epilepsiesyndrome. GTKA generalisierter tonisch-klonischer Anfall, JAE juvenile Absence-Epilepsie, JME juvenile myoklonische Epilepsie

Abb. 5
figure 5

Levetiracetamtagesdosen

Abb. 6
figure 6

Zahl der Antiepileptika vor Levetiracetamgabe

Abb. 7
figure 7

Wirksamkeit

Diskussion

Standard der medikamentösen Epilepsiebehandlung ist den aktuellen Leitlinien zufolge [11] die Monotherapie. Grund hierfür ist die Berechenbarkeit und Beurteilbarkeit der Therapie, traditionell auch das Meiden von Antikonvulsivainteraktionen, v. a. bei gegenseitiger Wirkschwächung von Enzyminduktoren. Grundsätzlich hat sich durch die Einführung interaktionsarmer Arzneimittel, zu denen LEV gehört [28, 29], letztgenannte Rationale relativiert. Trotzdem sollte sicherlich gelten, dass ein befriedigendes Therapieergebnis unter Monotherapie nicht nur deshalb eine Kombination nach sich ziehen darf, weil ein bestimmter Wirkstoff nur zur Kombination zugelassen ist. Es gibt Beispiele dafür, dass aufgrund von negativen Studien zur Kombination zugelassene Arzneimittel keine Monotherapiezulassung beanspruchen können. Ein Beispiel hierfür ist Vigabatrin. Grund war, dass zwar in einigen Studien eine zu Carbamazepin vergleichbare Wirksamkeit belegt wurde [17, 34], eine Studie aber negativ gewesen war [7]. Eine solche studienbelegte Evidenz existiert für LEV nicht. Monotherapiestudien bei Patienten mit klassischen IGE alter Klassifikation mit LEV oder mit LEV in Mono- oder Kombinationstherapie bei Epilepsiesyndromen über die JME hinaus liegen publiziert kaum vor [3, 8, 9, 10, 18, 20, 21, 22, 24]. Randomisierte placebokontrollierte Wirksamkeitsstudien betrafen nur Kombinationen mit LEV. Nur dieses Faktum ist dafür verantwortlich, dass die Monotherapie mit LEV und die Kombinationsbehandlung mit LEV bei anderen generalisierten Epilepsiesyndromen als der JME einem Off-label-Staus entsprechen.

Es stellt sich die Frage, ob dies für eine sorgfältige und angemessene Therapie relevant ist. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass epileptologisch Interessierte, also Mitglieder der DGFE, die aktiv die in dieser Umfrage gestellten Fragen beantworteten, unabhängig von der Zulassung LEV entsprechend dem Wirkprofil der Substanz und entsprechend dem üblichen Standard der Monotherapie einsetzen. Erfreulich ist ferner, dass die – wenn auch geringe – Zusatzkosten verursachende, pharmakologisch unsinnige Hinzugabe eines anderen Wirkstoffs abgelehnt wird, nur um auf diese Weise den Schein zu wahren, eine zulassungskonforme Kombinationstherapie mit LEV durchzuführen.

Dass in der Runde epileptologischer Spezialisten LEV auch bei Patienten mit generalisierten Epilepsien hohen Stellenwert unabhängig vom Zulassungsstatus genießt, belegte auch die kürzlich publizierte Frage an Experten [33]. Alle Experten plädierten nach Erstdiagnose einer JME unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage im dargestellten Fall für die erste Monotherapie mit LEV, obwohl diese Strategie zweifellos einer Off-label-Behandlung entspricht. Noch einfacher fiele eine solche Festlegung auf LEV, würden die Daten zur Teratogenität die Aussage erlauben, dass die Monotherapie mit LEV etwa im Vergleich zu Valproinsäure sicherer ist. Zwar deuten einige Ergebnisse aus Untersuchungen zu Schwangerschaften unter Antiepileptika im Hinblick auf teratogene Effekte selbst [25, 35] und die Kognitionsentwicklung der Kinder [31] postpartal darauf hin, verbindlich entlastende Aussagen sind aber aus statistischen Gründen immer noch verfrüht [23].

Die Erfahrungen der Autoren in der eigenen Patientengruppe unterstreichen die positive Einschätzung von LEV. Die LEV-Dosen entsprechen mit einer Ausnahme (500 mg) dem Dosierungsbereich gemäß Fachinformation, der zwischen 1000 mg und 3000 mg liegt. Natürlich ist das Vorgehen, die Patienten zu identifizieren, die derzeit unter einer Monotherapie mit LEV stehen, einer Positivselektion gleichzusetzen. Patienten, bei denen LEV verworfen wurde, wurden nicht erfasst. Dennoch bleibt festzuhalten, dass trotz des Off-label-Status eine beträchtliche Gruppe von Patienten teils mit erster, teils mit alternativer Monotherapie behandelt werden kann, und zwar mit überwiegend sehr gutem Behandlungsresultat. Entsprechend der präklinisch und klinisch breiten Wirksamkeit [3, 4, 14, 8, 9, 16, 18, 21, 22, 24, 26] erstreckt sich das Spektrum der mit LEV behandelten generalisierten Epilepsiesyndrome über die JME hinaus.

In der Patientengruppe sind zusätzlich viele Patienten, die sehr zufriedenstellend mit Kombinationen behandelt werden, in der hier vorgelegten Untersuchung aber nicht erfasst wurden.

Fazit für die Praxis

Unter den antwortenden Mitgliedern der DGFE findet sich eine breite Mehrheit, die das Faktum des Zulassungsstatus ignoriert, Patienten mit IGE über diesen hinaus mit LEV behandelt und methodisch fragwürdige Scheinkombinationen ablehnt. Die Monotherapie mit LEV hat sich im klinischen Alltag als äußerst effizient bewährt. Weder klinisch noch pharmakologisch ist nachvollziehbar, weshalb keine Monotherapie mit LEV bei geeigneten Patienten nur aufgrund des Zulassungsstatus von LEV eingesetzt werden sollte.