Die Zahl der Mehrlingsschwangerschaften ist in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland deutlich angestiegen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass immer mehr Paare die Hilfe der Reproduktionsmedizin in Anspruch nehmen, um ihren Familienwunsch zu verwirklichen. Das Verlagern des Kinderwunschs in spätere Lebensjahre bei dann schon reduzierter Fertilität stellt hierbei ein zentrales Problem dar.

Ziel der Reproduktionsmedizin ist zum einen eine möglichst hohe Schwangerschaftsrate, zum anderen aber auch die Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften mit den damit verbundenen Risiken sowohl für die Mutter als auch für die Kinder.

Der Fetozid im Rahmen einer Mehrlingsschwangerschaft, euphemistisch häufig auch als Mehrlingsreduktion bezeichnet, stellt alle Beteiligten vor ein moralisches, ethisches und psychisches Dilemma. Ein Teil der Mehrlingsschwangerschaften, bei denen ein Fetozid in Betracht gezogen wird, ist durch Hormonbehandlungen oder Methoden der assistierten Reproduktion entstanden, häufig nach langen Jahren des unerfüllten Kinderwunschs und nach finanziell und körperlich strapaziösen Behandlungsmaßnahmen. Es handelt sich also um hochgradig erwünschte Schwangerschaften. Die Frage nach dem gezielten Abtöten eines oder mehrerer Feten stellt das betroffene Paar vor einen schwer lösbaren Konflikt.

Feten sollen geopfert werden, um für die verbleibenden eine bessere Chance auf ein gesundes Leben zu ermöglichen [21] oder die Anzahl der Feten entsprechend den persönlichen Vorstellungen des betroffenen Paars zu begrenzen.

Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft für die Eltern

Zu den mütterlichen Risiken einer Mehrlingsschwangerschaft gehören u. a. [14]:

  • ein vermehrtes Auftreten von Präeklampsien und schwangerschaftsinduziertem Hypertonus,

  • Thromboembolien,

  • Gestationsdiabetes sowie

  • atonische Nachblutungen nach der Geburt mit erhöhtem Blutverlust und der damit verbundenen Morbidität.

Das gehäufte Auftreten von vorzeitiger Wehentätigkeit und Frühgeburtlichkeit stellt für die Mutter, verbunden mit dem häufig langen Krankenhausaufenthalt und der relativen Immobilität, ein sowohl medizinisches als auch psychisches Problem dar.

Im späteren Verlauf bedeutet das Aufziehen von Mehrlingen eine große Herausforderung für die Familie. So scheitern Beziehungen von Mehrlingseltern deutlich häufiger als andere. Die Mütter sind seltener berufstätig; zudem mangelt es an sozialer Unterstützung durch das Umfeld und an staatlichen Hilfen [21]. Eltern von Mehrlingen leiden gehäuft unter Erschöpfung, Depression und Ängsten [14, 21].

Risiken für Kinder aus Mehrlingsschwangerschaften

Das häufigste Risiko für Kinder aus Mehrlingsschwangerschaften ist die Frühgeburtlichkeit, die oft mit gravierenden Folgen verbunden ist [17]. Dabei sinkt das Gestationsalter mit der Anzahl an Feten. So beträgt das durchschnittliche Gestationsalter bei Zwillingen 35 Schwangerschaftswochen (SSW), bei Drillingen beträgt es 33 SSW. Ein Anteil von 90% der Drillinge und 100% der Vierlinge werden vor der abgeschlossenen 34. SSW geboren [32]. Außerdem haben Mehrlinge zu einem weitaus höheren Prozentsatz als Einlinge ein niedriges Geburtsgewicht. So liegt das Geburtsgewicht von Zwillingen im Vergleich zu Einlingen 7- bis 10-fach häufiger  < 2500 g [11]. Das niedrige Geburtsgewicht und die Frühgeburtlichkeit wiederum haben signifikanten Einfluss auf die kindliche Morbidität und Mortalität [14]. Ungefähr 30% der geborenen Drillinge haben leichte oder schwerere Behinderungen [11]. Das Risiko für die Entwicklung einer Zerebralparese beträgt bei Einlingen im Durchschnitt 2,4/1000 Geburten, bei Zwillingen 6,3/1000 Geburten und bei Drillingen 32/1000 Geburten [26]. Die perinatale Mortalität von Zwillingen liegt im Vergleich zu Einlingen (5 bis 6 Todesfälle/1000 Geburten) 5- bis 7-mal höher.

Die Hoffnung ist, dass bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften durch den Fetozid an einem oder mehreren Feten für die verbleibenden Feten die Chancen auf ein höheres Gestationsalter zum Zeitpunkt der Geburt und auch auf ein höheres Geburtsgewicht verbessert werden. Ob diese Hoffnung begründet ist, wird in der Literatur noch kontrovers diskutiert [11].

Häufigkeit von Zwillings- und Drillingsgeburten in Deutschland

In Tab. 1 ist die Anzahl an Mehrlingsgeburten in Deutschland für die Jahre 2006 bis 2009 aufgeführt. Die natürliche Inzidenz von Zwillingsgeburten beträgt nach der Hellin-Regel 1,2% (1:85), die Inzident von Drillingsgeburten liegt bei 0,01% der Geburten (1:7000 oder 1:852). Auch aktuell ist die Mehrlingsrate nach In-vitro-Fertilisation (IVF) und intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) verglichen mit dem natürlichen Vorkommen noch immer um ein Vielfaches erhöht [11]. Innerhalb der letzten 13 Jahre gelang es, die Drillingsrate im Rahmen einer IVF- oder ICSI-Behandlung kontinuierlich von 8,4% (1997) auf etwa 0,8% (2009) zu senken. Die Zwillingsrate sank ebenfalls. Anders als in anderen europäischen Ländern, v. a. in Skandinavien, ist es in Deutschland aber bislang nicht gelungen, sie unter 20% zu senken (Zwillingsrate nach IVF/ICSI in Deutschland 2009: 20,82%; Drillingsrate: 0,84%; [12]).

Tab. 1 Frauen mit Mehrlingsgeburten [29]

In den Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion von 2006 empfiehlt die Bundesärztekammer, bei Frauen unter 38 Jahren beim ersten und zweiten IVF- oder ICSI-Versuch maximal 2 Embryonen zu transferieren [9]. Ob der leichte Rückgang von Mehrlingsschwangerschaften nach IVF/ICSI in erster Linie darauf zurückzuführen ist oder ob auch eine Zunahme von Fetoziden bei Mehrlingen dazu beigetragen hat, lässt sich nicht abschließend klären; bislang gibt es hierzu keine statistische Erfassung [11]. Die Häufigkeit eines Fetozids im Rahmen einer Mehrlingsschwangerschaft wird laut IVF-Register in Deutschland für das Jahr 2005 auf 150 Fälle pro Jahr geschätzt [11]. Im Jahr 2003 lag laut Andersen et al. [1] die Inzidenz für Fetozide nach assistierter Reproduktion in Europa bei durchschnittlich 2,7% (Fetozide bezogen auf Geburten nach IVF/ICSI). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Erfassung auch hier nur lückenhaft geschieht und es bis zu diesem Zeitpunkt kein explizites Register für durchgeführte Fetozide gab.

Nach der Novellierung des Gesetzes zur Erfassung der Schwangerschaftsabbrüche in Form der Schwangerschaftsabbruchstatistik liegen nun für das Jahr 2010 erstmals offizielle Zahlen zur Anzahl der durchgeführten Fetozide und auch speziell der Fetozide bei Mehrlingsschwangerschaften in Deutschland vor. So wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2010 von insgesamt 110.431 Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland 3077 aufgrund einer medizinischen Indikation durchgeführt. Hierunter waren 33 Fetozide bei Mehrlingsschwangerschaften und 313 weitere Fetozide bei Einlingsschwangerschaften – meist erfolgten sie, um bei Spätabbruch einen langsamen Tod des Kindes nach der Geburt zu vermeiden [30]. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer diese Zahl übersteigt. Insgesamt wurden 2010 in Deutschland 97,2% der Schwangerschaftsabbrüche nach der Notlagenregelung durchgeführt, bei 2,8% bestand eine medizinische, bei 0,02% eine kriminologische Indikation [30].

Das kontrollierte Monitoring einer hormonellen Stimulation ist zwingend erforderlich

Neben IVF und ICSI stellt vor allem die unkontrollierte ovarielle Stimulation, allein oder in Kombination mit der intrauterinen Insemination (IUI), ein deutliches Risiko für das Zustandekommen von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften dar [17]. Ein kontrolliertes Monitoring der hormonellen Stimulationsbehandlung ist zwingend erforderlich, auch wenn sich die betroffenen Paare nicht immer an die daraus abgeleiteten Empfehlungen halten.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften wäre die vermehrte Durchführung des Single-embryo-Tranfers [15], der beispielsweise in Skandinavien bereits als Standard gilt. Hierfür wäre allerdings eine Novellierung des deutschen Embryonenschutzgesetzes unerlässlich, das zum einen vorschreibt, dass höchstens 3 Embryonen transferiert werden dürfen und zum anderen festlegt, dass keine Vorratsbefruchtung erfolgen darf. Um im Rahmen eines Single-embryo-Transfers zumindest vergleichbare Schwangerschaftserfolge wie bisher zu erzielen, wäre es notwendig, eine Selektion des besten Embryos durchzuführen. Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juli 2010 bezüglich der Präimplantationsdiagnostik brachte keine Klärung im Hinblick auf die Zulässigkeit der routinemäßigen Embryonenauswahl und des Single-embryo-Transfers.

Alle Experten sind sich darin einig, dass die Vermeidung v. a. von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften ein zentrales Ziel der reproduktionsmedizinischen Behandlung sein muss. Nun stellt sich aber die Frage, was geschieht, wenn es trotz aller Bemühungen zu einer solchen Schwangerschaft kommt.

Medizinische Aspekte des Fetozids bei Mehrlingen

Um ein besseres perinatales Outcome zu erreichen, wird seit Mitte der 80er-Jahre der Fetozid zur Reduktion höhergradiger Mehrlingsschwangerschaften durchgeführt. Die ersten Beschreibungen in der Literatur gab es in Europa 1986 von Dumez u. Oury [13], die ersten amerikanischen Beiträge zu diesem Thema 2 Jahre später von Evans et al. [16].

In der Literatur werden verschiedene Techniken beschrieben. Welche Technik angewendet wird, hängt u. a. von der Erfahrung des Durchführenden sowie vom Schwangerschaftsalter zum Zeitpunkt des Eingriffs ab.

Prinzipiell muss im Rahmen des Fetozids bei Mehrlingen der unselektive vom selektiven Fetozid unterschieden werden. Beim unselektiven Fetozid wird ohne eine ultraschallgestützte Fehlbildungsdiagnostik, Chorionzottenbiopsie (CVS) oder Amniozentese (AC) die Zahl der Mehrlinge auf 1 bis 2 Feten reduziert. Dieses Vorgehen findet v. a. in frühen SSW Anwendung.

Der selektive Fetozid erfolgt meist zwischen der abgeschlossenen 11+0. und 13+6. SSW post menstruationem. Hier wird durch eine frühe Fehlbildungsdiagnostik einschließlich Nackentransparenzmessung, seltener auch durch eine CVS ausgewählt, welche Feten am ehesten für den Fetozid in Frage kommen. Finden sich keine Auffälligkeiten, so wird der Fetozid an den kleineren oder besser erreichbaren Feten durchgeführt. Neben dem allgemeinen Risiko, durch Auslösung eines Aborts die gesamte Schwangerschaft zu verlieren, birgt der selektive Fetozid zusätzlich die Gefahr einer Verwechslung der Feten.

Während sich in frühen SSW (6+0. bis 11+0. abgeschlossene SSW) der transvaginale Zugang anbietet, wird analog zur AC ab der abgeschlossenen 11+0. SSW meist der abdominale Zugang gewählt, über den mittels einer 22G-Nadel 1–3 ml KCl intrakardial oder intrathorakal injiziert werden. Beim transvaginalen Zugang wird unter Antibiotikaprophylaxe in Steinschnittlage die Vagina desinfiziert und gespült. Daraufhin nähert man sich dem selektierten Fetus mit einer 19G-Nadel unter Ultraschallkontrolle. Es kann nun die komplette bzw. teilweise Aspiration des Fetus erfolgen. Eine andere Methode ist die intrakardiale oder intrathorakale Injektion von 1–2 ml hyperosmolare KCl-Lösung bis zum dauerhaften Herzstillstand. Lee et al. [24] konnten in einer retrospektiv angelegten Beobachtungsstudie zeigen, dass die Komplikationsrate in Form von Abort, Frühgeburt und vorzeitigem Blasensprung beim mechanischen Fetozid geringer ist als bei der Injektion von KCl. Komplikationen traten auch seltener auf, wenn der Eingriff vor der abgeschlossenen 7+0. SSW durchgeführt wurde.

Die Komplikationsrate ist beim mechanischen Fetozid geringer als bei der KCl-Injektion

Beim selektiven Fetozid wird meist die frühe Feindiagnostik zwischen der abgeschlossenen 11+0. und 13+6. SSW abgewartet. Ein Fetozid zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft ist möglich, jedoch mit einem erhöhten Abortrisiko verbleibender Feten assoziiert. Nachdem mehrere Autoren die Überlegenheit des transabdominalen Zugangs gegenüber dem vaginalen beschrieben haben, wird in der Regel der transabdominale Zugang gewählt. Ausnahmen sind bei extremer Adipositas oder Unerreichbarkeit des selektierten Fetus gegeben. Der transzervikale Zugang ist mittlerweile als obsolet zu betrachten [28]. Timor-Tritsch et al. [31] konnten hinsichtlich der Abortrate eine signifikante Überlegenheit des transabdominalen (3,5%) gegenüber dem transvaginalen Zugang (13,3%) feststellen. Evans et al. [16] berichten über eine „baby-take-home rate“ von 95% für Drillingsschwangerschaften, bei denen ein Fetozid an einem oder mehreren Feten durchgeführt wurde. Für ursprüngliche Vierlingsschwangerschaften lag bei abdominalem Vorgehen die Rate nach Fetozid bei 92%.

Wie ein Schwangerschaftsabbruch ist auch ein selektiver oder unselektiver Fetozid laut § 218 StGB verboten, bleibt aber nach erfolgter Beratung, Bedenkzeit von 3 Tagen und dem Wunsch der Schwangeren bis zur vollendeten 14. SSW post menstruationem (13+6. SSW) laut § 218a Abs. 1 StGB straffrei (Notlagenregelung). Im folgenden Zeitraum bis zur Geburt bleibt der Arzt nur straffrei, wenn körperliche und seelische Schäden nicht auf eine andere Weise von der Schwangeren abzuwenden sind, wenn also eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch besteht (§ 218a Abs. 2 StGB).

Die Reduktion verbessert bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften das Outcome für die verbleibenden Feten. Ob aufgrund dessen und unter der Voraussetzung, dass die Schwangere dies wünscht, grundsätzlich eine medizinische Indikation zur Reduktion gegeben ist, wird kontrovers diskutiert. Bei Zwillingen oder Drillingen sollte der behandelnde Arzt die medizinische Indikation eher vorsichtig beurteilen, wenn seitens der Schwangeren keine belastende Anamnese, begleitende Erkrankungen oder Zusatzrisiken (z. B. Z. n. Myomentfernung, mütterlicher Herzfehler) vorliegen. Der Arzt muss sich darüber bewusst sein, dass die Indikation kritisch hinterfragt werden könnte, falls die Schwangerschaft nach der Reduktion ungünstig ausgeht, z. B. wenn es zu einer dauerhaften Behinderung im Rahmen der Frühgeburtlichkeit bei verbleibenden Zwillingen kommt.

Psychologische Aspekte des Fetozids bei Mehrlingen

Die eigene Infertilität wird von einem beträchtlichen Teil der Betroffenen als große Lebenskrise empfunden [20, 33] und kann die Lebensqualität beider Partner beeinträchtigen [10]. Die reproduktionsmedizinische Behandlung an sich erzeugt zudem häufig bedeutenden emotionalen Stress [6], der durch ein Ausbleiben des Behandlungserfolg noch ansteigen und auch depressive Reaktionen auslösen kann [2, 4, 5]. Paare sind insbesondere nach frustranen IVF-Behandlungen bereit, Mehrlingsschwangerschaften zu tolerieren oder wünschen sich diese sogar. Borkenhagen et al. [7] konnten in einer Befragung von 265 sterilen Paaren zeigen, dass 89% eine Zwillingsschwangerschaft und 35% eine Drillingsschwangerschaft als erstrebenswert erachteten. Dabei sahen 89% der Befragten kein Risiko in einer Zwillingsschwangerschaft, immerhin 28% bewerteten sogar eine Drillingsschwangerschaft nicht als riskant. Eine andere Studie ergab, dass der Wunsch nach einer Zwillings- oder höhergradigen Mehrlingsschwangerschaft signifikant mit der Anzahl der vorangegangenen Sterilitätsbehandlungen ansteigt [23].

Wenn nun tatsächlich eine Mehrlingsschwangerschaft eingetreten ist, muss das Paar sich konkret mit den damit verbundenen Risiken für Mutter und Kinder auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang geben viele Betroffene an, im Vorfeld nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt worden zu sein [3]. Diese Aussage könnte teilweise auch auf einer Verdrängung der aufgezeigten Risiken beruhen.

Die Entscheidung für oder gegen einen Fetozid bei Mehrlingen ist ein Dilemma, aus dem keine allgemeingültige Beurteilung als richtig oder falsch herausführt. Es findet vielmehr ein individuelles Abwägen zwischen Optionen statt, von denen keine als wirklich befriedigend empfunden werden kann.

Die Schwangerschaften sind in hohem Maße erwünscht

Die betroffenen Schwangerschaften sind häufig nach langen Bemühungen entstanden und in hohem Maße erwünscht. Vor diesem Hintergrund ist das aktive Abtöten eines oder mehrerer Feten eine besonders absurd erscheinende Entscheidung [3]. Die werdenden Eltern müssen sich mit dem Verlust und der Trauer um eines oder mehrere Kinder auseinandersetzen und dies verarbeiten, andererseits müssen und wollen sie sich auf die Geburt und die Elternschaft der verbliebenen Kinder vorbereiten und freuen. Dass der Versuch der Integration dieser gegensätzlichen Gefühle ein extrem schwieriges und belastendes Unterfangen darstellt, liegt auf der Hand. Das Paar steht unter einem starken Druck und fühlt sich angesichts dieses Zwiespalts nicht selten innerlich zerrissen und von Schuldgefühlen belastet [32].

In der psychosozialen Beratung vor, während und nach einem Fetozid sollten diese Aspekte Raum finden. Das Verbalisieren von Ängsten und Schuldgefühlen und auch die Äußerung des gleichzeitigen Empfindens von Freude und Trauer können hilfreich sein. Hierbei sollte die beratende Person keine Scheu vor klaren Formulierungen haben. In der Regel verspüren die betroffenen Eltern Erleichterung, wenn die nicht selten nur insgeheim empfundenen Sorgen und Gefühle von professioneller Seite explizit benannt und ausgesprochen werden. In den meisten Fällen ist es hilfreich, den Betroffenen zu verdeutlichen, dass sich die Ambivalenz nicht auflösen lässt. Sie sollten dazu ermutigt werden, die gegensätzlichen Gefühle zuzulassen.

Bei Paaren, die während eines Fetozids im Rahmen einer Mehrlingsschwangerschaft begleitet wurden, konnten in verschiedenen Untersuchungen immer wieder ähnliche psychische Reaktionen auf das Erlebte beobachtet werden. Vorrangig handelt es sich um Gefühle von Schuld, Trauer, Angst, Stress und emotionalem Schmerz [22, 27]. Ein beträchtlicher Teil der Patientinnen (etwa 15%) durchlebt im Rahmen der akuten Trauerreaktion auch eine depressive Episode [25]. Die durchgeführten Untersuchungen zeigen aber, dass sich daraus in den seltensten Fällen eine länger andauernde Depression oder andere psychiatrische Erkrankungen entwickeln [21, 25]. Ein erhöhtes Risiko für eine schwerere depressive Symptomatik haben jüngere Patientinnen und Patientinnen mit starken religiösen Wertvorstellungen [27].

Je nach moralischem, ethischem und religiösem Hintergrund der Betroffenen kommen unterschiedliche Rationalisierungsversuche und Verarbeitungsmechanismen zum Tragen. Britt et al. [8] unterscheiden hier zwischen einem medizinisch-rationalen und einem vorwiegend moralisch-religiös geprägten Hintergrund. Patientinnen mit vorwiegend medizinisch-naturwissenschaftlichem Hintergrund neigen eher zur Rationalisierung und Rechtfertigung des Fetozids durch Statistiken und Risikoabwägungen. Sie sehen den Fetozid eher als notwendigen Teil der Sterilitätsbehandlung an und kommen in der Regel besser mit der Entscheidung für einen Fetozid zurecht als Frauen mit einer starken moralisch-religiösen Prägung [19]. Letztere entscheiden sich auch häufiger für das Austragen der gesamten Schwangerschaft [18]. Bei den meisten Patientinnen liegt die persönliche Einstellung zwischen diesen beiden Extremen. Ein Ziel des Patientenberatungsgesprächs im Rahmen des Fetozids bei Mehrlingen sollte sein, etwas über die Wertvorstellungen, Normen und Einstellungen des Paars zu erfahren, um besser auf mögliche Bewältigungsstrategien eingehen zu können und um innerpsychische Reaktionen abschätzen und einordnen zu können.

Die Beratung und Entscheidungsfindung sollte ergebnisoffen und ohne Zeitdruck erfolgen.

Zudem sollten die betroffenen Paare ermutigt werden, die nach dem Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz erforderliche Beratung nicht als lästige Pflicht, sondern als ehrliches Gesprächsangebot an die werdenden Eltern anzunehmen. Voraussetzung für diese Ermutigung seitens der betreuenden Ärzte ist es, dass ein derartiges Angebot durch entsprechend erfahrene und ergebnisoffene Berater tatsächlich zur Verfügung steht.

Nach einem durchgeführten Fetozid bei Mehrlingen drückten fast alle befragten Paare das Gefühl aus, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und gaben an, dass sie die gleiche Entscheidung erneut treffen würden [3]. V. a. wenn es zur Lebendgeburt eines oder mehrerer Kinder kommt, sind persistierende pathologische und beeinträchtigende Reaktionen glücklicherweise selten [21]. Typisch sind eine akute Belastungsreaktion im Rahmen des Eingriffs und das Wiederaufleben von Ängsten, Trauer und Schuldgefühlen nach der Geburt der verbleibenden Kinder [21]. Abhängig vom Zeitpunkt des durchgeführten Fetozids kann es im Rahmen der Geburt auch zur physischen Konfrontation mit dem abgetöteten Fetus kommen. Über diese Möglichkeit sollte das Paar unbedingt im Vorfeld aufgeklärt und hinsichtlich des möglichen Umgangs damit beraten werden.

Schon während der Schwangerschaft, vermehrt aber noch nach der Geburt stellen sich die meisten Frauen und auch die Partner die ungeborenen Kinder in der Fantasie vor. Sie machen sich Gedanken darüber, wie die durch den Fetozid verlorenen Kinder ausgesehen hätten, welches Geschlecht sie gehabt hätten, wie es gewesen wäre, wenn eines der nun lebenden Kinder abgetötet worden wäre oder wie es gewesen wäre, Drillinge aufzuziehen [3]. Auch diese Gedanken und Gefühle anzusprechen kann entlastend und hilfreich sein.

Auf das Bonding-Verhalten und die Beziehung der Eltern zu den geborenen Kindern scheint der durchgeführte Fetozid keinen negativen Einfluss zu haben [21, 22, 27].

Fazit für die Praxis

Mehrlingsschwangerschaften, insbesondere höhergradige Mehrlingsschwangerschaften, bergen ein hohes Risiko für Mutter und Kinder. Die Durchführung eines Fetozids beeinflusst in einem solchen Fall wahrscheinlich die mütterliche und kindliche Morbidität und Mortalität positiv. Die Intervention ist allerdings für die betroffenen Eltern sehr belastend, teils traumatisch. Eine iatrogen ausgelöste höhergradige Mehrlingsschwangerschaft sollte daher unbedingt vermieden werden. Dies kann durch Vermeidung der unkontrollierten Follikelstimulation und durch den Einsatz des Single-embryo-Transfers erreicht werden. Eine Änderung der deutschen Gesetzeslage wäre diesbezüglich von Vorteil.

Eine umfassende und einfühlsame psychosoziale Beratung und Begleitung im Laufe des Prozesses des Fetozids kann entlastend wirken und dazu beitragen, psychische Langzeitfolgen zu minimieren. Eine Entscheidung für oder gegen einen Fetozid sollte erst nach einer eingehenden Beratung und ohne Zeitdruck getroffen werden. Langzeitprobleme im Sinne einer posttraumatischen Belastungsreaktion oder anhaltenden Depression sind äußerst selten.