Homosexuelle Paare gehen immer sichtbarer mit ihrer sexuellen Ausrichtung um, und sie werden von der Gesellschaft zunehmend akzeptiert. Seit einigen Jahren setzen gleichgeschlechtliche Paare im In- und Ausland auch ihren Wunsch nach einem Kind um. Laut dem deutschen Mikrozensus bezeichneten sich im Jahr 2005 rund 60.000 Paare als gleichgeschlechtliche Paare. Darunter waren mindestens 5000 Familien mit über 6000 Kindern. Wahrscheinlich ist allerdings, dass die Schätzung der Anzahl der Familien zu gering ist, da diejenigen unberücksichtigt bleiben, in denen sich die Eltern nicht als homosexuell zu erkennen gegeben haben. Auch fehlen Familien mit gleichgeschlechtlich orientierten alleinerziehenden Müttern oder Vätern. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts dürften etwa 16.500–19.000 Kinder in gleichgeschlechtlichen Familien leben [15, 33]. Die meisten dieser Kinder leben in lesbischen Patchworkfamilien: Sie wurden im Rahmen einer früheren heterosexuellen Beziehung gezeugt und leben mit ihrer biologischen Mutter und deren Partnerin zusammen. Darüber hinaus gibt es Adoptiv- und Pflegekinder, die mit 2 Müttern groß werden, sowie Kinder, die mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden [15].

Über homosexuelle Paare, die Kinder aufziehen, gehen die Meinungen auseinander. Bedenken werden v. a. hinsichtlich der Entwicklung der Kinder geäußert. So wird befürchtet, dass diese in ihrer Geschlechtsentwicklung gestört seien oder dass sie selbst homosexuell würden bzw. kein geschlechtstypisches Verhalten entwickeln könnten, da ihnen das gegengeschlechtliche Rollenvorbild fehle. Auch werden homosexuellen Paaren weniger elterliche Eigenschaften zugesprochen, und es wird vermutet, dass ihre Paarbeziehung instabiler sei als die heterosexueller Eltern. Darüber hinaus, so die Besorgnis, könne die ungewöhnliche Familienzusammensetzung zu psychologischen Problemen und Diskriminierung der Kinder führen (z. B. [21, 25]). Noch 2002 beschrieb Amendt [1] die homosexuelle Fortpflanzung als kompromittierend für die Kindeswohlinteressen und als destruktiv für die Kinder, und im August 2009 klagte der Freistaat Bayern gegen das eingeschränkte Adoptionsrecht homosexueller Paare. Der Freistaat argumentierte, dass dies der Natürlichkeit widerspräche, obgleich sich Bundesjustizministerin Zypries für eine volle Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften bei der Adoption von Kindern ausgesprochen hatte [36] und das Bundesverfassungsgericht im Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Eltern keinen Verstoß gegen das Grundgesetz sieht [12].

Dieser Beitrag befasst sich mit sog. „geplant lesbischen Familien“Footnote 1, mit lesbischen Paaren, die gemeinsam ihren Kinderwunsch mithilfe einer Samenspende umgesetzt haben. Deren Anzahl ist in Deutschland zwar bislang gering, jedoch gibt es Anzeichen, dass immer mehr lesbische Paare auf diese Art und Weise eine Familie gründen [27, 33]. Er beschreibt zunächst die juristischen und berufsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Spendersamenbehandlung lesbischer Paare, zeigt dann die medizinischen und nichtmedizinischen Möglichkeiten für die Umsetzung dieses Kinderwunsches auf, fasst im dritten Teil die Studienlage hinsichtlich der Paar- und Familiendynamik und der Entwicklung der Kinder zusammen und schließt mit einem Fazit für die Praxis ab.

Juristische und berufsrechtliche Rahmenbedingungen

Die Spendersamenbehandlung wird seit vielen Jahren bei heterosexuellen Paaren angewandt [28]. Auch wenn sie lange Zeit ethisch umstritten war, haben viele Ärzte und andere Fachkräfte ihre Bedenken mittlerweile aufgegeben. Dies spiegelt sich in der Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) wider, die sich für diese Behandlung bei heterosexuellen Paaren ausspricht [11]. Die BÄK bindet die Behandlung mit Spendersamen allerdings an Ehepaare und Frauen in festgefügter Partnerschaft mit einem Mann. Damit soll dem „so gezeugten Kind eine stabile Beziehung zu beiden Elternteilen“ gesichert werden. Dies hat dazu geführt, dass Ärzte der Behandlung lesbischer Paare (und alleinstehender Frauen) reserviert gegenüberstehen. Inwieweit jedoch die BÄK berechtigt ist, bestimmte Gruppen von einer medizinischen Behandlung auszuschließen, wird kontrovers diskutiert. Laut Müller [32] ist die Spendersamenbehandlung bei lesbischen Frauen weder durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) noch durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) oder durch die Landesgesetze zu den Heilbehandlungsberufen verboten: Das ESchG enthält keine statusrechtlichen Einschränkungen für die Verwendung von Samen zur Befruchtung einer Eizelle, auch dem BGB ist diesbezüglich kein zivilrechtliches Verbot zu entnehmen. Zwar regelt § 1600 Abs. 4 BGB das Anfechtungsrecht der Vaterschaft nach einer Spendersamenbehandlung in den Fällen, in denen eine Konkurrenz zwischen biologischer und rechtlicher Vaterschaft entsteht. Für lesbische Frauen und deren Lebenspartnerinnen, die das Kind nach Geburt als vaterlos angeben, ist diese Vorschrift jedoch nicht relevant. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung für diese Gruppen ist nicht im Umkehrschluss mit einem Verbot gleichzusetzen.

Die Landesgesetze zu den Heilbehandlungsberufen regeln Berufspflichten und eine Ermächtigungskompetenz zur Schaffung einer Berufsordnung. Eine Ermächtigung zur Ausgrenzung bestimmter Personen ist darin nicht enthalten. Katzorke [28] geht davon aus, dass die Landesärztekammern, die die Musterrichtlinie der BÄK in Landesrecht umsetzen, hierzu nicht befugt sind. Müller argumentiert ebenfalls, dass Landesärztekammern weder Rechtsetzungs- noch Weisungsbefugnis haben [32]. Darüber hinaus berühre laut Müller der Ausschluss nicht nur die Berufs- und Gewissensfreiheit von Ärzten, sondern auch die Freiheit der betroffenen Frauen hinsichtlich ihrer Fortpflanzungsautonomie. Die Ausgrenzung eines bestimmten Personenkreises habe zudem für die Allgemeinheit eine nachteilige Bedeutung, da hierdurch potenziell weitere Gruppen diskriminiert werden könnten, beispielsweise Menschen mit bestimmten körperlichen Merkmalen wie Behinderungen. Thorn und Wischmann [42] hinterfragen den Ausschluss lesbischer Paare aus psychologischer Sicht. Die Argumentation der BÄK hinsichtlich der Notwendigkeit eines zweiten Elternteils unterschiedlichen Geschlechts impliziert, dass das Vorhandensein von Vater und Mutter unabdingbare Voraussetzung für eine gesunde kindliche Entwicklung ist. Wie die u. a. Ausführungen verdeutlichen, zeigt die momentane Studienlage allerdings auf, dass sich Kinder, die mit einer Samenspende gezeugt wurden und mit lesbischen Müttern aufwachsen, in ihrer Entwicklung kaum von Kindern unterscheiden, die spontan oder mit anderen Formen medizinischer Unterstützung gezeugt wurden und mit heterosexuellen Eltern aufwachsen. Diese Studien wurden überwiegend in Ländern durchgeführt, in denen aufgrund geltender Gesetze, v. a. Antidiskriminierungsgesetzgebung, der Zugang zu reproduktionsmedizinischer Behandlung nicht wegen des sozialen Status oder sexuellen Ausrichtung verweigert werden darf (z. B. USA, England, Australien, Neuseeland, Kanada). Das 2006 in Deutschland erlassene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat diesbezüglich bislang noch keine Auswirkungen.

Ein wichtiges Argument gegen die Behandlung lesbischer Paare ist die mangelnde juristische Absicherung des Samenspenders

Ein gewichtiges Argument gegen die Behandlung lesbischer Paare ist allerdings die mangelnde juristische Absicherung des Samenspenders [29, 42, 49]. Bei lesbischen Paaren geht der Samenspender das Risiko der juristischen Vaterschaft ein, falls sich die Mütter nicht verpartnert haben, da in diesen Fällen die soziale Mutter das Kind nach der Geburt nicht adoptieren kann und es somit keine zweite Elternperson gibt. In den Fällen, in denen lesbische Mütter miteinander verpartnert sind, besteht dieses Risiko für den Spender in der Zeitspanne zwischen Geburt und Stiefkindadoption durch die soziale Mutter. Wenn das Kind ausreichend finanziell abgesichert ist (z. B. durch eine Lebensversicherung), gibt es zurzeit keine denkbare Konstellation, in der die Unterhaltsersatzpflicht auf den behandelnden Arzt übergehen könnte. Ungeregelt für alle Kinder, die mithilfe einer Samenspende gezeugt sind, bleibt das Recht auf Wissen ihrer biologischen Abstammung. Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht dafür ausgesprochen [13]. Auch wurde mittlerweile in den Richtlinien der BÄK [11] sowie des Arbeitskreises für donogene Insemination e.V. [24] festgelegt, dass die Aufbewahrungsdauer der Dokumentation mindestens 30 Jahre beträgt. Eine 30-jährige Dokumentationsdauer wurde darüber hinaus auch in der Neufassung des Transplantationsgesetzes [44] festgesetzt. Allerdings fehlt bislang eine gesetzliche Regelung, ob und ab welchem Alter so gezeugte Kinder die Identität des Spenders erfahren können.

Medizinische und nichtmedizinische Möglichkeiten der Samenspende für lesbische Paare

Die Mehrheit der Kinder, die mit lesbischen Müttern aufwachsen, stammt heute noch aus vorangegangenen heterosexuellen Beziehungen. Zunehmend verwirklichen jedoch Lesben ihren Kinderwunsch nach ihrem Coming-out in einer Partnerschaft, indem sie eine Samenspende in Anspruch nehmen. Im Unterschied zu heterosexuellen Eltern sind lesbische Paare mit einer Vielzahl von Fragen und Entscheidungen konfrontiert. Sie müssen nicht nur festlegen, welche Partnerin schwanger wird und das Kind gebärt, sondern auch, welche Form der Samenspende ihrer Vorstellung von Familie am ehesten entspricht. Sie müssen entscheiden, ob sie einen Mann als Samenspender gewinnen möchten, der ihnen bekannt ist (ein Mann aus ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis), oder ob der Samen eines ihnen nicht bekannten Spenders (über eine Samenbank, mithilfe der Vermittlung von Freunden oder Bekannten) eingesetzt werden soll. Auch müssen sie entscheiden, ob das Kind die Identität des Spenders erfahren kann und ob dieser eine Rolle in ihrer Familie einnehmen soll. Mit dieser Entscheidung muss bereits zu diesem relativ frühen Zeitpunkt die Bedeutung des Spenders für die zukünftige Familie und das Kind reflektiert werden. Das Gesamtspektrum umfasst die folgenden Konstellationen:

  1. 1.

    Der Spender wird von einer Samenbank rekrutiert und bleibt auf Dauer anonym. Das Kind hat auch nach Volljährigkeit keine Möglichkeit, dessen Identität zu erfahren. Der Spender hat im Alltag der Familie keine Bedeutung, ist jedoch als Erzeuger des Kindes in der Geschichte der Familie präsent. Dies ist nur durch eine Samenspende in einem Land möglich, in dem die Anonymität des Spenders gesetzlich geregelt oder anderweitig gesichert ist, z. B. in Belgien.

  2. 2.

    Der Spender wird von einer Samenbank rekrutiert und ist zunächst anonym, aber das Kind hat ab einem gewissen Alter, in der Regel mit Volljährigkeit, die Möglichkeit, dessen Identität zu erfahren. Auch bei dieser Variante ist der Spender als Erzeuger präsent, hat jedoch im Familienalltag keine Bedeutung. Dies kann sich ändern, wenn das volljährige Kind Interesse an seiner Person entwickelt. Dies ist die Situation bei einer Insemination in Deutschland, wenn ein Arzt oder Notar entsprechende Vorkehrungen für die Dokumentation trifft.

  3. 3.

    Der Spender wird von einer Samenbank rekrutiert und ist mit einem Kontakt zu den Eltern und dem Kind auch vor Volljährigkeit des Kindes einverstanden. Zunächst entscheiden die Eltern, ob und in welcher Weise der Spender in die Familie einbezogen wird. Ab einem gewissen Alter hat das Kind die Möglichkeit, eigene Bedürfnisse bezüglich des Kontakts zum Spender zu formulieren. Dies ist bei einer Samenspende in manchen amerikanischen Bundesstaaten der Fall, theoretisch auch in Deutschland. Dem Spender ist es in diesen ersten 3 Konstellationen nicht möglich, von sich aus Kontakt zur Familie oder zum Kind herzustellen.

  4. 4.

    Der Spender wird aus dem sozialen Umfeld der Eltern rekrutiert und ist ihnen bekannt. Die erwachsenen Parteien entscheiden, dass er keinen Kontakt zur Familie pflegt, sondern Kontakt nur hergestellt wird, wenn das Kind (vor oder nach Erreichen der Volljährigkeit) ein entsprechendes Bedürfnis äußert. In diesen und den folgenden Konstellationen ist es möglich, dass der Spender von sich aus Kontakt zur Familie und zum Kind aufnimmt. Darüber hinaus ist es möglich, dass sich sein Bedürfnis nach Kontakt zum Kind nach dessen Geburt ändert. Ein der Familie bekannter Spender kann – im Gegensatz zu einem anonymen Spender – sein Bedürfnis nach Kontakt umsetzen.

  5. 5.

    Der Spender wird aus dem sozialen Umfeld der Eltern rekrutiert und pflegt losen Kontakt zu der Familie, beispielsweise indem man Besuche in großen zeitlichen Abständen oder zu besonderen Anlässen vereinbart.

  6. 6.

    Der Spender wird aus dem sozialen Umfeld der Eltern rekrutiert und hat die Rolle eines „guten Freundes“ der Familie, und es finden regelmäßige Kontakte statt.

  7. 7.

    Der Spender wird aus dem sozialen Umfeld der Eltern rekrutiert, pflegt eine enge Beziehung zum Kind und übernimmt eine Rolle, die der Vaterrolle in heterosexuellen Familien ähnlich ist.

  8. 8.

    Der Spender wird aus dem sozialen Umfeld der Eltern rekrutiert, und er (und ggf. sein Partner/seine Partnerin) lebt mit den Müttern in einer Wohngemeinschaft und übernimmt auch für Außenstehende sichtbar die Vaterrolle.

  9. 9.

    In allen Konstellationen gibt es die Möglichkeit der Stiefkindadoption durch die soziale Mutter, wenn sie mit der biologischen Mutter verpartnert ist.

  10. 10.

    In den Konstellationen 4–8 gibt es die Möglichkeit, dass der Spender die juristische Vaterschaft anerkannt hat. Die Anerkennung der Vaterschaft durch den Spender formalisiert dessen Rolle, es muss davon ausgegangen werden, dass ihm im Konfliktfall gerichtlich ein Umgangs- und Besuchsrecht zugestanden wird, auch ist er zu Unterhaltszahlungen dem Kind gegenüber verpflichtet. Die Stiefkindadoption durch die soziale Mutter ist in diesen Fällen nur möglich, wenn der Spender der Adoption zustimmt.

Die Leitlinien des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland e.V. empfehlen vor einer Zeugung mit Spendersamen eine psychosoziale Beratung

Dies verdeutlicht die komplexe Entscheidungssituation lesbischer Paare. Wenn die Wunscheltern einen bekannten Spender wählen, haben sie einerseits größtmögliche Selbstbestimmung, d. h., sie nehmen die Auswahl des Spenders selbst vor und entscheiden die Inseminationsmethode. Andererseits erfordert diese Konstellation viele Gespräche und Absprachen, ob und wie der Spender in die Familie einbezogen werden soll. Bei einem Spender, der auf Dauer oder bis zur Volljährigkeit des Kindes anonym bleibt, ist dies (zunächst) nicht erforderlich. Unabhängig von der sexuellen Ausrichtung der Wunscheltern empfehlen die Leitlinien des Beratungsnetzwerks Kinderwunsch Deutschland e.V. vor einer Zeugung mit Spendersamen eine psychosoziale Beratung [43]. Vor der Insemination mit dem Samen eines bekannten Spenders werden eine individuelle Beratung des Spenders und der Wunscheltern sowie gemeinsame Beratungsgespräche empfohlen. Diese Beratungen sollen dazu beitragen, die Beteiligung des Spenders zu klären und das Maß dessen Einbeziehung in die zukünftige Familie gemeinsam festzulegen und somit für alle Parteien eine auch langfristig tragfähige Entscheidung zu erarbeiten.

Zum Forschungsstand geplanter lesbischer Familien

In den letzten 20 Jahren wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die Einblick in die Dynamik geplant lesbischer Familien und die Entwicklung der Kinder geben. Viele dieser Studien weisen allerdings methodische Einschränkungen auf: Sie untersuchen eine nur kleine und nicht repräsentative Stichprobe, die mittels Schneeballsystems, Zeitschriften oder homosexueller Organisationen rekrutiert wurde; manche Studien differenzieren nicht durchgehend zwischen Familien mit 2 Müttern und mit alleinstehenden Müttern; es werden unterschiedliche Kontrollgruppen verwendet [heterosexuelle Familien mit Kindern nach Samenspende oder mit spontan gezeugten Kindern, Familien mit Kindern, die mithilfe einer In-vitro-Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) gezeugt oder adoptiert wurden], und es werden nicht standardisierte Fragebögen verwendet, die einen Vergleich schwierig gestalten. Darüber hinaus liegen bislang nur wenige Langzeitstudien vor. Dennoch kommen die meisten Studien zu ähnlichen Ergebnissen, nämlich dass sich Kinder in geplant lesbischen Familien in ihrer Entwicklung von spontan oder mit IVF bzw. ICSI gezeugten Kindern kaum unterscheiden. In den beiden nächsten Abschnitten wird v. a. auf die Ergebnisse der folgenden Übersichtsarbeiten und Studien eingegangen.

Kinder in geplant lesbischen Familien unterscheiden sich in ihrer Entwicklung kaum von spontan oder mit IVF bzw. ICSI gezeugten Kindern

Im Jahr 2005 wurden 2 Übersichtsarbeiten veröffentlich. Bos et al. [6] unterschieden in ihrer Metastudie zwischen lesbischen Familien mit Kindern aus einer früheren heterosexuellen Beziehung und geplant lesbischen Familien. Die Übersicht über die geplant lesbischen Familien umfasst 20 Studien, die zwischen 1987 und 2003 durchgeführt wurden und die die Entwicklung der Kinder und das elterliche Verhalten untersuchten. Tasker [39] bezog in ihre Übersichtsarbeit auch schwule Väter ein und verglich insgesamt 37 Studien, die zwischen 1978 und 2004 publiziert wurden. Diese Metaarbeit unterscheidet in ihrer Auswertung zwischen geschiedenen lesbischen Familien, geschiedenen schwulen Familien und geplant lesbischen Familien. Zwar wurden beide Übersichtsarbeiten im gleichen Jahr veröffentlicht, aber da sich nur ein Teil der ausgewerteten Studien überschneidet, wird auf beide Metastudien Bezug genommen. Es liegt eine weitere, ältere Metastudie von Brewaeys [8] vor, die die Entwicklung von Kindern untersuchte, die mithilfe der Spendersamenbehandlung gezeugt wurden und in heterosexuellen oder lesbischen Familien aufwachsen. Auf diese Arbeit wird jedoch nicht Bezug genommen, da die Metastudie von Bos et al. diese Daten mit einschließt.

In Deutschland wurden bislang 2 Studien durchgeführt, die geplant lesbische Familien untersuchten. Die Studie von Green [23] umfasst 105 lesbische Mütter, davon 44 biologische und 50 soziale Mütter; 20 dieser Paare hatten noch kein Kind, 32 hatten 1 Kind im Alter von bis zu 3 Jahren, 34 hatten 1 Kind zwischen 3 und 6 Jahren und 18 ein älteres Kind; alle Kinder wurden mittels einer Samenspende gezeugt. Mithilfe eines schriftlichen Fragebogens und standardisierter Testverfahren beleuchtete sie v. a. den Entscheidungsprozess bezüglich des Kinderwunsches und die Aufteilung der elterlichen Aufgaben; die Entwicklung der Kinder wurde nicht untersucht. Im Juli 2009 wurden die Ergebnisse der ifb (Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg) -Studie „Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“ veröffentlicht [33]. Im Rahmen dieser Studie wurden 767 Familien mit insgesamt 852 Kindern, darunter 250 geplant lesbische FamilienFootnote 2, zu ihrer Lebenssituation befragt. Mithilfe von Fragebögen, Telefon- und persönlichen Interviews sowie standardisierten Testverfahren wurde diese Stichprobe zu ihrer Alltagsgestaltung, der Beziehung zwischen Kind und sozialem Elternteil und der Entwicklung des Kindes befragt. Zusätzlich wurde eine „Kinderstudie“ durchgeführt, in der 119 Kinder, die älter als 10 Jahre waren, telefonisch mittels eines standardisierten Fragebogens (Gruppe 1) und weitere 87 Kindern per Interview (Gruppe 2) befragt wurden. Zu berücksichtigen ist in der Kinderstudie der geringe Anteil von Kindern in geplant lesbischen Familien: In der ersten Gruppe beträgt dieser 10% (9 Kinder), in der zweiten Gruppe 7% (6 Kinder). Als Kontrollgruppe für die Kinder diente eine Vergleichsstichprobe von Kindern und Jugendlichen in Kernfamilien, Stiefvaterfamilien (Mutter lebte nach Trennung mit neuem Partner zusammen) und Mutterfamilien (alleinerziehende Mütter).

Gartrell et al. [20] führen seit 1986 eine Langzeitstudie von 84 geplant lesbischen Familien, darunter auch 14 alleinerziehende Mütter, durch. Die Eltern und Kinder wurden zu mehreren Zeitpunkten mithilfe von Interviews, Fragebögen und Testverfahren hinsichtlich der Entscheidungsfindung zur Familiengründung, der elterlichen Arbeitsaufteilung, der kindlichen Entwicklung und ihrer Haltung zum Spender befragt: als die Paare noch kein Kind hatten [20], als das erstgeborene Kind 2 Jahre alt [17], 5 Jahre [18] und 10 Jahre war [19]; zu diesem Zeitpunkt waren noch 74 von den originär 84 Familien an der Studie beteiligt. Im Jahr 2008 veröffentlichten Bos et al. [3] darüber hinaus eine Studie über die Auswirkung von Diskriminierungserfahrung und Resilienzfaktoren bei den Kindern. Die beiden letzten Publikationen flossen nicht in die oben angegebenen Metastudien ein und werden daher bei der Auswertung gesondert berücksichtigt.

Entscheidungsprozesse im Vorfeld der Insemination mit Spendersamen

Im Gegensatz zu heterosexuellen Paaren müssen lesbische Paare entscheiden, welche Partnerin die Erfahrung der Schwangerschaft macht und biologische Mutter wird und welche die Rolle der sozialen Mutterschaft übernimmt. Auch müssen sie entscheiden, nach welchen Kriterien der Samenspender ausgesucht und welche Rolle er in der zukünftigen Familie einnehmen wird.

Untersuchungen hinsichtlich des Kinderwunsches lesbischer Paare sind zwar begrenzt, es deutet sich jedoch an, dass lesbische und heterosexuelle Paare Elternschaft aus ähnlichen Gründen anstreben: Sie erwarten Glück und Erfüllung in der Elternrolle. Lesbische Frauen scheinen jedoch weniger stark durch normative Erwartungen geprägt und verwenden mehr Zeit mit Überlegungen über die Elternschaft als heterosexuelle Paare [7, 23]. In der Studie von Green dauerte diese Entscheidungsphase durchschnittlich 2,1 Jahre, und typische Diskussionsthemen waren der elterliche Erziehungsstil, die Bindung des Kindes zur sozialen Mutter und das Machtgefälle zwischen den beiden Eltern sowie die Frage der elterlichen Sorge im Falle einer Trennung. Auch wurden Ängste angesprochen, beispielsweise die mögliche Diskriminierung des Kindes aufgrund seiner Familienzusammensetzung oder das Aufwachsen des Kindes ohne Vaterfigur [23]. Dass der Kinderwunsch bei Frauen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung ausgeprägter als bei Männern scheint, zeigen Bos et al. [5] auf: Sie attestierten sowohl den lesbischen als auch heterosexuellen Frauen einen stärkeren Kinderwunsch als den heterosexuellen Männern.

Entscheidungsprozess hinsichtlich biologischer und sozialer Mutterschaft

Beide deutsche Studien geben Aufschlüsse über den Entscheidungsprozess hinsichtlich biologischer und sozialer Mutterschaft: Das Bedürfnis, eine Schwangerschaft zu erleben, sowie Alters- und finanzielle Gründe scheinen diesbezüglich ausschlaggebend. In den beiden deutschen Studien planten viele Eltern ein zweites Kind, und dieses soll bei der Hälfte der Paare von der Frau ausgetragen werden, die die soziale Mutter des Erstgeborenen ist [23, 33]. Zwar wurde diese Fragestellung in den Metastudien nicht berücksichtigt, einige ausländische Publikationen zeigen jedoch ähnliche Entscheidungsprozesse hinsichtlich der Aufteilung der Mutterschaft (z. B. [2, 50]). Dies deutet an, dass es lesbischen Paaren bereits in diesem Stadium der Familienplanung wichtig ist, ein Gleichgewicht in ihrer elterlichen Rolle zu finden. Es erstaunt daher nicht, dass es im Ausland Bestrebungen gibt, die biologische, austragende und gebärende sowie soziale Rolle lesbischer Mütter auszubalancieren, indem eine Partnerin der anderen Eizellen spendet, diese mit Spendersamen befruchtet und der sozialen Mutter eingesetzt werden. Damit übernimmt die soziale Mutter auch die Rolle der austragenden und gebärenden Mutter [51]. Dies lässt vermuten, dass lesbische Paare bemüht sind, die Rolle der sozialen Mutter aufzuwerten, wahrscheinlich um ihr größere Sicherheit und Sichtbarkeit innerhalb und außerhalb der Familie zu geben.

Bedeutung der Samenspender

Eine zentrale Frage für lesbische Paare ist, welche Rolle und Bedeutung der Samenspender für die Familie und das Kind haben wird, d. h., ob er für das Kind als Person oder sogar Vaterfigur zur Verfügung stehen soll. Es liegen widersprüchliche Daten vor, ob lesbische Paare einen anonymen oder bekannten Spender präferieren [10, 45], und dies ist sicherlich v. a. abhängig von der VerfügbarkeitFootnote 3, aber auch von der individuellen Haltung und dem Maß gesellschaftlicher Akzeptanz der Samenspende und der Offenlegung der Spenderidentität. Zwar geht aus der Studie von Green [23] nicht hervor, wie viele Paare einen anonymen, identifizierbaren oder ihnen bekannten Spender auswählten, sie beschreibt allerdings, dass nur 27 Frauen die ihnen vorliegende Information über den Spender ausreichte und dass viele an weiterer Information interessiert waren [23]. Auch wird die Motivation für die unterschiedliche Spendergruppe dargestellt: Eltern, die sich für einen anonymen Spender mittels Samenbank entschlossen hatten, war die medizinische Untersuchung des Spenders wichtig. Auch wollten sie ihre Familiengrenze wahren und dem Spender keine Rolle in ihrer Familie zuweisen. Allerdings hatte diese Gruppe, wie auch Eltern in einer anderen Studie [17], Bedenken, ob sich die Spenderanonymität negativ auf das Kind auswirken könnte. Eltern, die sich für einen Spender entschieden, der nach Volljährigkeit des Kindes identifizierbar ist, konnten die beiden positiven Aspekte der gesundheitlichen Überprüfung und familiären Abgrenzung mit der Möglichkeit verbinden, dass das Kind den Spender kennenlernen kann. Beide Gruppen bezogen den Samen v. a. aus den Niederlanden und Dänemark. Eltern, die einen bekannten Mann als Spender ausgewählt hatten, legten v. a. Wert darauf, dass ihr Kind seinen biologischen Erzeuger kennen lernen kann. Allerdings waren sie sich des Risikos bewusst, dass dieser Mann Kontakt zur Familie und dem Kind suchen oder dass er die Vaterschaft oder ein Besuchsrecht juristisch einklagen könnte. In der ifb-Studie war der Anteil anonymer und identifizierbarer Spender fast gleich groß (49 bzw. 51%), allerdings wird nicht erläutert, ob die Kinder eines anonymen Spenders mit Volljährigkeit dessen Identität erfahren können, und es gibt keine Angaben zum Entscheidungsprozess der Frauenpaare [33]. Interessant ist, dass in dieser Studie über 80% der Frauen angaben, die Insemination in Deutschland durchgeführt zu haben; es gibt jedoch keine Angaben zu der Frage, ob diese trotz gegenteiliger Empfehlung der BÄK durch einen Arzt oder als Selbstinsemination durchgeführt wurde. In den Metastudien wurde dieser Bereich nicht untersucht.

Familiendynamik und Entwicklung der Kinder

Familien mit 2 Müttern leben ein anderes Familienmodell als die Norm und können sich nicht an tradierten Rollenaufteilungen orientieren. Dies zeigt sich auf der Paar- und Elternebene: Die Mütter müssen ihre Berufstätigkeit und die Versorgung des Kindes aushandeln. Viele Studien haben diese Paardynamik und die kognitive, psychologische und soziale Entwicklung der Kinder untersucht. Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren auch die Haltung der Kinder und Jugendlichen hinsichtlich der Spenderanonymität untersucht.

Aufteilung der familiären und erzieherischen Aufgaben

Die Metastudien zeigen auf, dass die familiären und erzieherischen Aufgaben in geplant lesbischen Familien zu einem höheren Maß egalitär aufgeteilt werden als in heterosexuellen Familien [6, 39]. Dies bestätigen auch Bos et al. [5] in einer aktuellen Studie. In einigen Untersuchungen werden die sozialen Mütter als quantitativ und qualitativ involvierter in die Erziehung ihrer Kinder als die Väter in heterosexuellen Familien beschrieben (z. B. [5, 40, 46]), andere stellen allerdings auch Gegenteiliges fest [21] oder berichten von ernsthafteren, aber nicht häufigeren Mutter-Kind-Konflikten als in heterosexuellen Familien [22]. Auch die ifb-Studie zeigt, dass homosexuelle Eltern eine höhere Erwerbspartizipation haben und die sozialen Elternteile in die Alltagsverantwortung und Beschäftigung mit dem Kind stark eingebunden sind (es wurde keine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Familienzusammensetzungen vorgenommen; [33]). In der Studie von Green [23] strebten alle Frauenpaare ebenfalls eine egalitäre Arbeits- und Erziehungsaufteilung an, sie gibt jedoch keinen Aufschluss darüber, ob und wie dies im Alltag umgesetzt wurde. Bos et al. [5] weisen darauf hin, dass diese egalitäre Aufteilung nicht zwingenderweise mit der sexuellen Orientierung verbunden ist, sondern grundsätzliche Geschlechtsunterschiede aufzeigen könnte.

Psychologische, soziale und kognitive Entwicklung des Kindes

Zwar zeigen Studien hinsichtlich der psychologischen, sozialen und kognitiven Entwicklung durchaus Unterschiede auf, insgesamt wird die Entwicklung der Kinder jedoch in den Metastudien [6, 39] und von Bos et al. [5] als unauffällig beschrieben. Manche Studien attestieren den Kindern in geplant lesbischen Familien ein geringeres Maß an aggressivem Verhalten [31, 38], einen höheren Selbstwert [38] und weniger Verhaltensauffälligkeiten [9, 19], allerdings zeigen Studien auch auf, dass Kinder in Familien ohne Väter ihre kognitiven und körperlichen Fähigkeiten geringer einschätzten als Kinder, die mit einem Vater aufwuchsen [22]. In einer weiteren Studie berichten Lehrer 10-jähriger Kinder von Auffälligkeiten, was allerdings die Ergebnisse der Fragebögen an die Mütter und Kinder nicht widerspiegelten [47]. Die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen in der ifb-Kinderstudie wurde ebenfalls als unauffällig beschrieben [33]; die Kinder, so die Autoren, „wachsen in einem Umfeld auf, das durch positive und unterstützende Familienbeziehungen gekennzeichnet ist und das ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht beeinträchtigt“ (S. 280). Auch hier wurden bei den Kindern ein erhöhtes Selbstwertgefühl und mehr Autonomie in der Beziehung zu beiden Elternteilen konstatiert.

Psychosexuelle Entwicklung des Kindes

Die psychosexuelle Entwicklung der Kinder wurde in vielen Studien mittels standardisierter Testverfahren gemessen und als unauffällig und vergleichbar mit Kindern in heterosexuellen Familien beschrieben [6, 39]. In manchen Studien wiesen die Kinder allerdings ein breiteres und geschlechtsunabhängigeres Verhaltensrepertoire auf: So zeigten Söhne lesbischer Mütter in einer Studie mehr weibliche, aber nicht weniger männliche Charakteristika geschlechtsspezifischen Verhaltens auf [30], in anderen Studien strebten Töchter eher nichttraditionelle Berufe an [37, 38]. Die beiden deutschen Studien machen hierzu keine Angaben.

Diskriminierungserfahrungen

Die Datenlage hinsichtlich Diskriminierungserfahrungen ist uneinheitlich. Viele Kinder in geplant lesbischen Familien scheinen spontan mit ihren Freunden über ihre Familienzusammensetzung zu sprechen, und enge Freunde reagieren in der Regel positiv [6]. Allerdings fällt es manchen Freunden schwer, die Familienzusammensetzung zu verstehen [18], und Kinder berichten durchaus von Hänseleien [18, 19, 47], auch wenn sie grundsätzlich nicht mehr Schwierigkeiten in ihren Peerbeziehungen beschreiben als die Kontrollgruppen [30]. Auch in der Studie von Green [23] hatten über drei Viertel der Mütter Angst vor Diskriminierung und Hänseleien und hofften, die Resilienz ihrer Kinder durch bewusste Reflexion, einen einfühlsamen Erziehungsstil und die Vermittlung von Coping-Strategien stärken zu können.

Fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen erfuhr Benachteiligungen und 17% waren von Diskriminierungserfahrungen betroffen

Die ifb-Studie stellte fest, dass zwar die Mehrheit (63% der Eltern, 53% der Kinder) keine Diskriminierungserfahrung gemacht hatte, aber fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen Benachteiligungen erfuhr und 17% von regelmäßigen oder häufigen Diskriminierungserfahrungen betroffen waren [33]. Sie gaben an, dass sie beschimpft oder ausgeschlossen, dass ihnen Prügel angedroht oder ihre Sachen beschädigt wurden. In der Mehrzahl ging diese Diskriminierung von Gleichaltrigen aus, Benachteiligungen durch Erwachsene waren eher selten. Die betroffenen Kinder und Jugendliche wiesen ein niedrigeres Selbstwertgefühl und erhöhte Depressivität im Vergleich zu nicht diskriminierten Kindern auf, die Werte lagen jedoch noch im Normbereich. Auch in der Studie von Bos et al. [4] war die Befindlichkeit von Kindern mit Diskriminationserfahrung beeinträchtigt. Wie in ausländischen Studien (z. B. [4, 14, 17, 19]) waren die Eltern der ifb-Studie bemüht, Kindergärten oder Schulen auszuwählen, die offen und positiv auf unterschiedliche Familienformen zugingen und in denen die Diskriminierungsgefahr gering schien. Auch sprachen sie mit ihren Kindern über potenzielle Diskriminierung und waren bemüht, die kindliche Resilienz zu stärken, indem sie Kontakt zu anderen homosexuellen Familien pflegen, offen und souverän mit ihrer Familienform umgehen und bestrebt sind, ihrem Kind zu einem stabilen Selbstbewusstsein zu verhelfen. Deutlich wird auch, dass lesbische Familien nicht isoliert, sondern eingebunden in ein soziales Netzwerk sind: Bos et al. [6] sowie Gartrell et al. [18] zeigen auf, dass die Familien stabile Kontakte zu heterosexuellen Verwandten und Freunden und ihre Kinder zu den Großeltern, Verwandten und Freunden haben. Darüber hinaus pflegen viele lesbische Mütter Kontakte zu lesbischen Netzwerken und geben an, dass diese Kontakte auch wichtig für Kinder seien bzw. werden könnten [18, 23]. In der Tat konnten Bos et al. [4] feststellen, dass elterliches Engagement in lesbischen Netzwerken und Kindergärten bzw. Schulen, die lesbisch-schwule Familienkonstellationen in ihrem Curriculum berücksichtigen, die kindliche Resilienz stärken können.

Bedürfnis der Kinder nach Wissen über ihre biologische Abstammung

Neuere Studien befassen sich mit dem Bedürfnis der Kinder nach Wissen über ihre biologische Abstammung. Wurde bis vor rund 15 Jahren davon ausgegangen, dass Spender, wenn sie über eine Samenbank rekrutiert wurden, in der Regel anonym bleiben, haben sich mittlerweile die Gesetzgebung und die gesellschaftliche Haltung in einigen Ländern verändert [41]. Studien belegen, dass die Aufklärungsrate in lesbischen Familien höher ist als in heterosexuellen Familien (z. B. [8, 26, 35]), dass lesbische Eltern interessierter an der Person des Spenders und möglichen Halbgeschwistern ihrer Kinder sind als heterosexuelle Eltern [16], und deuten an, dass eine frühzeitige und altersangemessene Aufklärung dazu beiträgt, dass Kinder (unabhängig von der sexuellen Ausrichtung ihrer Eltern) mit ihrer Zeugungsart unbelasteter und souveräner umgehen können als bei einer Aufklärung im Erwachsenenalter [26, 34, 48]. Allerdings kann die Aufklärung bei dem Kind das Bedürfnis wecken, den Spender kennenzulernen, was nicht immer möglich ist. Auch kann der Spender für die soziale Mutter eine Konkurrenz bedeuten [23]. In den beiden Metastudien wurde diese Fragestellung noch nicht berücksichtigt, einige neuere Studien untersuchten jedoch auch diesen Bereich. In der Langzeitstudie von Gartrell et al. [19] hatten 27 10-jährige Kinder bekannte, 30 anonyme und 18 Spender, die mit Volljährigkeit identifizierbar sind; 13% derjenigen mit bekanntem Spender hatten regelmäßigen, weitere 14% unregelmäßigen Kontakt zu ihm. Die Mütter berichteten, dass die Kinder von dem Kontakt zum Spender in dem Sinne profitierten, dass sie Information über dessen Familie hatten und im Vergleich zu Peers ohne präsente Vaterfigur weniger diskriminiert wurden; 13 dieser Kinder bezeichneten den Spender zwar als „Vater“, welche Rolle genau der Spender für sie einnimmt, wird jedoch nicht beschrieben. Diejenigen, die den Spender mit Volljährigkeit kennenlernen können, waren zahlenmäßig relativ gleich aufgeteilt in eine Gruppe, die enttäuscht war, dass sie dies erst mit Volljährigkeit konnte, und in eine zweite Gruppe, die kein Interesse an einem Kontakt hatte. Die Mehrzahl der Kinder mit anonymem Spender bedauert nicht, keinen Vater zu haben.

Vanfraussen et al. [45] führten 2001 eine Studie über Kindern in geplant lesbischen Familien in Belgien durch, wo der Spender grundsätzlich anonym ist. In der Stichprobe von 41 Kindern im Alter zwischen 7 und 17 Jahren hatten 19% Interesse an sog. nichtidentifizierbarer Information: Sie wollten v. a. wissen, wie der Spender aussieht und ob sie ihm ähneln; weitere 27% wollten seine Identität erfahren, und 54% präferierten die Anonymität. Interessant ist, dass die Kinder in dieser Studie interessierter an dem Spender waren als ihre Mütter und dass es Geschwisterkinder mit unterschiedlichen Interessen gab. Auch waren Jungen deutlich interessierter als Mädchen. Scheib et al. [34] verglichen die Haltung von 29 Kindern in Familien mit alleinstehenden Müttern, lesbischen Müttern und heterosexuellen Eltern, bei denen der Spender mit Volljährigkeit des Kindes identifizierbar ist [34]. Die Kinder in allen 3 Gruppen waren sehr neugierig, was die Person des Spenders betrifft: Sie wollten etwas über seinen Charakter erfahren, und fast alle wollten zum Zeitpunkt der Identitätsfreigabe ein Bild von ihm. Die Unterschiede zwischen den 3 Gruppen waren marginal. Auch wenn zurzeit die genaue Bedeutung des Spenders für die Kinder noch nicht definiert werden kann und Unklarheit darüber herrscht, was genau ihre Neugier auslöst und moduliert, zeigen diese Untersuchungen, dass bei manchen Kindern große Neugier hinsichtlich seiner Person besteht.

Fazit für die Praxis

Geplant lesbische Familien sind eine neuartige Familienzusammensetzung, der in Deutschland und in vielen anderen Ländern mit Skepsis oder sogar Vorbehalten begegnet wird. Zwar gibt es zunehmend Rechtssicherheit für diese Familien, aber zentrale Aspekte wie beispielsweise die Zulässigkeit der medizinischen Behandlung mit Spendersamen für lesbische Paare, die rechtliche Absicherung des Spenders in dieser Familienkonstellation und das Recht des Kindes auf Wissen über seine Abstammung sind in Deutschland unklar bzw. ungeregelt.

Die Studienlage zeigt überwiegend eine unauffällige emotionale, psychologische und kognitive Entwicklung der Kinder auf, auch hinsichtlich ihrer Geschlechtsentwicklung. Auch wenn die sexuelle Ausrichtung der Eltern und die ungewohnte Familienzusammensetzung eine Bedeutung für die Entwicklung der Kinder haben (z. B. indem bei Kindern in manchen Untersuchungen ein breiteres Spektrum an geschlechtstypischem Verhalten nachgewiesen wurde oder sie Diskriminierungen aufgrund ihrer Familienzusammensetzung ausgesetzt waren), scheinen Unterschiede in der Familienstruktur für eine stabile Entwicklung der Kinder weniger relevant als die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Die Untersuchungen zeigen auch auf, dass sich der Kinderwunsch lesbischer Paare wenig von dem heterosexueller Paare unterscheidet, dass der Entscheidungsprozess für ein Kind allerdings aufgrund Bedenken hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz und der neuartigen Familienzusammensetzung komplex ist und lange dauern kann. Erste Untersuchungen verdeutlichen darüber hinaus, dass zumindest ein Teil der so gezeugten Kinder neugierig hinsichtlich ihrer biologischen Herkunft ist und Information über den Samenspender erhalten oder ihn sogar kennenlernen möchte. Viele Fragestellungen sind aufgrund der noch eingeschränkten Studienlage nicht, bzw. nicht abschließend zu beantworten. Um unser Verständnis für diesen Familientyp zu erweitern, sind weitere Untersuchungen erforderlich, die

  • mit unterschiedlichem methodologischem Herangehen die Familiendynamik und die Entwicklung der Kinder über längere Zeiträume untersuchen;

  • als Langzeitstudien die Spezifika dieser Familienkonstellation erfassen. Dies betrifft beispielsweise die Rollen der beiden Mütter oder den Umgang mit Diskriminierungserfahrung und Resilienz;

  • die Rolle und Bedeutung des Samenspenders sowohl für die Eltern als auch für die Kinder beleuchten. Für die Familiendynamik macht es einen Unterschied, ob der Spender anonym bleibt oder im Alltag als Bezugsperson präsent ist, und es macht einen Unterschied, ob er als potenzieller Konkurrent zu einem vorhandenen Vater in heterosexuellen Familien oder einer sozialen Mutter in geplant lesbischen Familien wahrgenommen wird. Langzeitstudien können die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Familienmodelle untersuchen. Darüber hinaus ist es erforderlich, die Kinder bzw. (jungen) Erwachsenen in unterschiedlichen Entwicklungsabschnitten sowie die Männer, die ihren Samen zur Verfügung gestellt haben, hinsichtlich ihres Erlebens und ihrer Bedürfnisse zu untersuchen;

  • die Vielfalt lesbischer Familien berücksichtigen: solche lesbische Familien, in der die Kinder Trennungs- und Scheidungserfahrung machen mussten, das Coming-out der Mutter erlebten und nun mit einer neuen Partnerin der Mutter zusammenleben, solche, in denen die Kinder mit alleinstehenden Müttern aufwachsen, sowie geplant lesbische Familien mit unterschiedlichen Spenderkonstellationen. Es ist daher erforderlich, nicht nur um die aktuelle Zusammensetzung einer lesbischen Familie zu wissen, sondern auch um deren Familiengeschichte und diese sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch im klinischen Alltag zu berücksichtigen.