Die hypothalamisch-hypophysäre Ovarialinsuffizienz stellt die zweithäufigste Ursache von Ovarialfunktionsstörungen dar. Eine reduzierte Sekretion von GnRH aus dem mediobasalen Hypothalamus kann neben genetisch bedingten Störungen und Tumoren im Bereich des Hypothalamus-Hypophysen-Systems durch eine ganze Reihe funktioneller Störungen ausgelöst werden. Eine hypothalamische Ovarialinsuffizienz wurde in großem Umfang während der Hungerperiode des 1. Weltkrieges oder als Arbeitsdienst-, Flucht- und Lageramenorrhö, später als Reiseamenorrhö oder Amenorrhö der Leistungssportlerinnen beobachtet. Dadurch kam der eindeutige Zusammenhang von Zyklusstörungen mit „Stresssituationen“ zum Vorschein.

Ätiologie der hypothalamisch-hypophysären Ovarialinsuffizienz

Der Begriff „hypothalamische Amenorrhoe“ wurde in den 40-er Jahren von Klinefelter und Reifenstein geprägt. Bedingt durch die in diesen Publikationen geschilderten Fälle wurde der Begriff in den späteren Jahrzehnten auf streßbedingte psychogene Amenorrhoen beschränkt. Wir gebrauchen diesen Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung, in dem alle Fälle einer Ovarialinsuffizienz, die auf einer reduzierten GnRH Stimulation der Hypophyse beruhen, subsumiert werden [1].

Systemerkrankungen

Einige Allgemeinerkrankungen können mit der Entwicklung einer primären oder sekundären hypothalamischen Ovarialinsuffizienz einhergehen. Dazu gehören die Hämochromatose, der M. Wilson und andere Speicherkrankheiten, die Trypanosomiasis und die Thalassaemia major, die durch lokale Hämosiderinablagerung oder Embolie zur Schädigung von Neuronen im Bereich des Hypothalamus und damit zum Ausfall der GnRH-Sekretion führen. Auch die multiple Sklerose und die Histiozytose X können bei entsprechender Lokalisation der Läsionen zu einer Störung der hypophysären Partialfunktion durch Ausfall der entsprechenden Releasinghormone führen

Genetische Ursachen

Das Kallmann-Syndrom, die olfaktogenitale Dysplasie, erstmals 1944 von Franz J. Kallman beschrieben [2], stellt ein typisches Beispiel des hypogonadotropen Hypogonadismus dar und tritt sporadisch oder familiär gehäuft auf. Das Kallmann-Syndrom wird ca. 5-mal häufiger bei Männern (Häufigkeit 1:10.000) als bei Frauen (1:50.000) beobachtet, wahrscheinlich weil es autosomal dominant und X-chromosomal rezessiv vererbt werden kann. Bei diesen Patienten findet man entweder eine Hypoplasie oder eine Aplasie des Rhinenzephalons. Aufgrund der Versuche an Mäuseembryonen vermutet man heute bei den Patienten mit Kallmann-Syndrom einen frühzeitigen Untergang GnRH produzierender Neurone und Nervenzellen des Richsystems, die den gleichen Ursprung haben [3]. Mutationen des sog. KAL-Gens führen zu Migrationsstörungen der GnRH produzierenden Neurone [2]. Der Großteil der Fälle von Kallmann-Syndrom scheint allerdings sporadisch durch Mutationen in mindestens 2 Autosomen bedingt zu sein [4].

Dank der modernen Verfahren der Molekularbiologie konnten weitere genetische Ursachen nachgewiesen werden wie Mutationen im GnRH- und GnRH-Rezeptor-Gen.

Die septooptische Dysplasie wurde erstmals von De Morsier beschrieben [5] und ist durch einen Septum-pellucidum-Defekt, eine Mikropapille und Hypogonadismus charakterisiert. Endokrinologisch kann die Erkrankung mit dem Ausfall mehrerer hypophysärer Partialfunktionen einhergehen.

Tumoren des Zentralnervensystems

Tumoren und Metastasen im Bereich des Hypothalamus-Hypophysen-Systems können durch mechanische Verdrängung zu Störungen von Partialfunktionen des Hypophysenvorderlappens führen. Meist handelt es sich dabei um Kraniopharyngeome, aber auch andere Tumoren wie Hamartome, Germinome (Sarkoidose, eosinophiles Granulom u. a.) und Hypophysenadenome können zu gleichen Symptomen führen. Davon abzugrenzen ist eine hyperprolaktinämische Ovarialinsuffizienz auf dem Boden eines Prolaktinoms (die häufigste Adenomform der Hypophyse). Hier ist die LH- und FSH-Pulsatilität durch die Hyperprolaktinämie weitgehend aufgehoben, oder es kann in fortgeschrittenen Fällen, bedingt durch eine Raumforderung, zu Partialfunktionsausfällen des HVL kommen.

Trauma und Läsionen von Hypophyse und Hypothalamus

Unfälle, Schädel-Hirn-Traumen, entzündliche Prozesse, Operationen und perinatale Asphyxie können zur Schädigung des HVL, des Hypophysenstiels und des Hypothalamus mit nachfolgendem Ausfall von Partialfunktionen der Hypophyse führen. Eine strahlenbedingte Schädigung von Hypothalamus und Hypophyse zählt zu den weiteren „traumatischen“ Ursachen des hypogonadotropen Hypogonadismus. Es kann zu einem kompletten Ausfall des HVL, zu Panhypopituitarismus mit klinischem Vollbild, M. Simmonds, oder zu einer partiellen HVL-Insuffizienz mit Ausfall einzelner Funktionen der Adenohypophyse (häufigste Form) kommen.

Als Sheehan-Syndrom bezeichnet man die mütterliche postpartale ischämische Nekrose des HVL

Das Sheehan-Syndrom ist eine für die Gynäkologen besonders wichtige Erscheinungsform des hypogonadotropen Hypogonadismus. Es bezeichnet eine mütterliche postpartale ischämische Nekrose des HVL infolge eines starken peripartalen Blutverlustes. Während der Schwangerschaft steigt das Volumen der Hypophyse aufgrund der Hyperplasie der laktotrophen Zellen um 40–60% an. Es ist vorstellbar, dass eine so vergrößerte Hypophyse durch Ischämie besonders leicht geschädigt werden kann. Abhängig vom Ausmaß des Zelluntergangs entwickelt sich eine Hypophyseninsuffizienz, welche neben der LH- und FSH-Sekretion auch die ACTH, TSH und Wachstumshormon produzierenden Zellen betreffen kann. Diese hypophysäre Ovarialinsuffizienz wird heute aufgrund der verbesserten geburtshilflichen Überwachung nur noch äußerst selten beobachtet, allerdings können auch andere Schockzustände zu einer HVL-Nekrose führen.

Stressbedingte Störungen

Unter dem Begriff „Stress“ werden pathogenetisch sehr heterogene Faktoren subsumiert. Die unterschiedlichen Stressoren können eine solche Störung der Homöostase auslösen, dass die zusätzliche Belastung durch Fortpflanzung und Schwangerschaft eine vitale Gefährdung des Individuums mit sich bringen würde. Die vorübergehende Ausschaltung der reproduktiven Funktion stellt in einer solchen Situation einen für das Leben des Individuums vorteilhaften adaptiven Mechanismus dar. Die stressbedingte hypothalamische Ovarialinsuffizienz kann daher als Folge der Aktivierung physiologisch sinnvoller Mechanismen angesehen werden. Die Aktivierung dieser Mechanismen erhält dann Krankheitswert, wenn sie auf nichtadäquate Reize hin erfolgt oder nach Wegfall des adäquaten Reizes persistiert.

Die vorübergehende Ausschaltung der reproduktiven Funktion stellt in Stresssituationen einen vorteilhaften adaptiven Mechanismus dar

Die endokrine Stressreaktion ist gekennzeichnet durch die Aktivierung des hypothalamischen CRH-Systems, welches über eine Steigerung der ACTH-Sekretion einen abrupten Anstieg der Kortisolkonzentration im Serum auslöst. Der Anstieg der ACTH-Sekretion wird begleitet von einem äquimolaren Anstieg endogener Opiate (β-Endorphin, Enkephalin). Vom HVL sezerniertes β-Endorphin kann durch retrograden Blutfluss zwischen HVL und Hypothalamus in die Eminentia mediana gelangen. Im Bereich der Eminentia mediana werden Nervenendigungen identifiziert, die zu Endorphin produzierenden Neuronen gehören und die durch axoaxonale Synapsen mit den GnRH produzierenden Zellen des Nucleus arcuatus verbunden sind. Damit wäre ein funktionell und anatomisch plausibler Mechanismus gegeben, durch den die Freisetzung endogener Opiate eine Hemmung der GnRH-Freisetzung verursachen könnte.

Folgende Befunde sprechen für die Vermittlung der stressinduzierten Hemmung der GnRH-Sekretion durch endogene Opiate:

  • Die Gabe von Pharmaka mit Opiatwirkung (auch Drogen — Heroin) und von endogenen Opiaten führt zu einer Hemmung der pulsatilen Gonadotropinsekretion.

  • Experimenteller Stress führt zu einer Hemmung der pulsatilen LH-Freisetzung.

  • Die Gabe des spezifischen Opiatantagonisten Naltrexon führt bei Frauen mit hypothalamischer Amenorrhö zur Normalisierung der pulsatilen Gonadotropinsekretion.

  • Die Schmerzempfindlichkeit von Frauen mit hypothalamischer Amenorrhö ist gegenüber Frauen mit normalem Zyklus reduziert und entspricht der Schmerzempfindlichkeit in der mittleren Lutealphase, wenn der endogene Opiattonus durch Progesteron ebenfalls erhöht ist.

Die endogenen Opiate können somit als Bindeglied zwischen dem Neuroendokrinium des reproduktiven Systems und dem psychischen Bereich gelten.

Zu den Stressoren, welche die Ovarialfunktion unterdrücken, gehören körperliche Belastung, Leistungssport, Anorexie, Gewichtsverlust, Besonderheiten der Ernährung, Bulimie und belastende Lebenssituationen. Neben der neuroendokrinen Dysfunktion scheint auch das periphere Fettgewebe für die Regulation der Ovarialfunktion bedeutsam zu sein. Sinkt die Körperfettmasse unter 15% (z. B. Balletttänzerinnen) des gesamten Körpergewichtes, kommt es meistens zur ovariellen Funktionsstörung mit dem klinischen Bild der Amenorrhö [6].

Klinik

Corpus-luteum-Insuffizienz, anovulatorischer Zyklus oder Oligo-/Amenorrhö sind die Symptome, mit denen sich die hypothalamische Ovarialinsuffizienz klinisch manifestiert und die den Schweregrad des GnRH-Mangels widerspiegeln.

Bevor es beim Hypopituitarismus durch Mangel der peripheren Hormone zu klinischen Symptomen kommt, müssen 80% des HVL zerstört sein. Oft fallen die partiellen HVL-Funktionen bei einem Adenom der Hypophyse in einer typischen Reihenfolge aus: Wachstumshormon — Gonadotropine — TSH — ACTH. Die Klinik kann dann durch die sog. „7 A“ (schwindende Achsel-/Augenbrauenbehaarung, Amenorrhö, Agalaktie, Apathie, Adynamie, alabasterfarbene Blässe) beschrieben werden. Bei einem Sheehan-Syndrom beobachtet man meist eine Agalaktie, sekundäre Amenorrhö und fehlendes Nachwachsen der rasierten Pubes nach Entbindung. Gelegentlich manifestiert sich eine HVL-Insuffizienz bei einem Sheehan-Syndrom erst nach Jahren und wird dann oft lange verkannt.

Diagnostik

Anamnese

Den ersten Schritt in der Abklärung einer Ovarialinsuffizienz stellen ausführliche Familien- und Zyklusanamnese, Erfragen von Belastungssituationen, Unfällen, Symptomen wie Gesichtfeldeinschränkungen, Kopfschmerzen etc. und Feststellen von Gewicht und Körpergröße dar. Der Body-Mass-Index liegt meistens im unteren Normbereich oder darunter. Meist besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Zyklusstörungen und Gewichtsverlust.

Labordiagnostik

Die hypothalamische Ovarialinsuffizienz ist eine Ausschlussdiagnose, die gestellt wird, wenn LH, FSH, Prolaktin, Testosteron und DHEAS im Serum nicht erhöht sind (Tabelle 1).

Tabelle 1 Differenzialdiagnose der Ovarialinsuffizienz anhand der Hormonbasisdiagnostik

Endokrine Funktionstests

Der Diagnose schließt sich eine Ermittlung des Schweregrades durch den Gestagen-, Clomifen- und GnRH-Test an. Diese Funktionstests müssen standardisiert und in fester zeitlicher Reihenfolge durchgeführt werden (Tabelle 2). Am Anfang steht der Gestagentest. Tritt eine Blutung ein, wird mit dem Clomiphentest begonnen. Ist der Gestagentest negativ, schließt sich innerhalb von 6 Wochen der GnRH-Test zur Differenzierung zwischen Grad 3a, b oder c (Tabelle 2) an. Die Ermittlung des Schweregrades ist für die Wahl der adäquaten Therapie von Bedeutung.

Eine hypophysäre Ovarialinsuffizienz kann durch einen fehlenden Anstieg der Gonadotropine unter einer pulsatilen Applikation des GnRH festgestellt werden [7].

Tabelle 2 Endokrinologische Testverfahren in der Diagnostik der hypothalamischen Ovarialinsuffizienz

Ultraschalluntersuchung

Es zeigt sich meistens ein Bild der multizystischen Ovarien (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Multizystische Ovarien. Das multizystische Ovar unterscheidet sich vom polyzystischen durch die Lokalisation der Follikel, die über die gesamte Schnittfläche verteilt sind, und durch das Fehlen einer dichten Innenzone im Zentrum des Ovars

Weitere diagnostische Maßnahmen

Zum Ausschluss einer Raumforderung sollte eine Untersuchung der Hypothalamus-Hypophysen-Region mit Hilfe der Magnetresonanztomographie vorgenommen werden. Beim Verdacht auf ein Kallman-Syndrom muss eine Olfaktometrie durchgeführt werden. Die Patientinnen wissen meistens nicht, dass sie nicht riechen können.

Therapie

Therapie bei Kinderwunsch

Pulsatile GnRH-Therapie

Die Therapie beim Kinderwunsch hat zum Ziel, die Ovarialfunktion durch die Induktion monoovulatorischer Zyklen zu normalisieren. Die Wahl der Therapie erfolgt zur Vermeidung von Mehrlingsgraviditäten unter Berücksichtigung des Schweregrades der Ovarialinsuffizienz. Die pulsatile GnRH-Therapie wurde seit 1978 von Leyendecker und Mitarbeitern [8], basierend auf dem Nachweis der permissiven Wirkung von GnRH bei Rhesusaffen durch die Arbeitsgruppe von Knobil entwickelt und in die Klinik eingeführt. Sie stellt eine kausale, auf physiologischen Prinzipien beruhende Form der Behandlung dar [9, 10]. Die Verabreichung von GnRH kann entweder subkutan oder intravenös erfolgen. Die Dosierung ist abhängig vom zuvor bestimmten Schweregrad der Insuffizienz (Tabelle 3).

Tabelle 3 Therapie der hypothalamischen Ovarialinsuffizienz

Naltrexon

Naltrexon ist ein Opiatantagonist, der oral verabreicht werden kann und in der Lage ist, die Gonadotropinsekretion unabhängig vom Schweregrad der hypothalamischen Ovarialinsuffizienz zu normalisieren [11]. Die Ovulationsrate ist jedoch insgesamt geringer als bei der pulsatilen GnRH-Therapie. 20–30% der Patientinnen reagieren nicht oder nur ungenügend auf die Therapie mit Opiatantagonisten. Typische Nebenwirkungen von Naltrexon sind Übelkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen und ein Gefühl des Neben-sich-getreten-Seins. Diese Nebenwirkungen werden allerdings nur innerhalb der ersten Einnahmetage beobachtet und können durch eine einschleichende Dosierung minimiert werden.

Clomiphen

Die Behandlung mit Antiöstrogenen wird meistens mit Clomiphen durchgeführt. Voraussetzung für die Wirksamkeit ist eine nur gering reduzierte Sekretion von GnRH aus dem Hypothalamus.

Gonadotropine

Bei einer hypophysären Ovarialinsuffizienz müssen die Gonadotropine subkutan — z. B. durch die Patientin selbst täglich — oder in Form einer Pumpe appliziert werden. Die Dosis soll individuell unter engmaschigen sonographischen und Laborkontrollen (17β-Östradiol) durchgeführt werden. Eine Ovulationsinduktion kann bei einer Follikelgröße von 18–20 mm durch eine 1-malige HCG-Gabe erfolgen. Zum Ausschluss von Polyovulationen ist hier wie auch unter einer Clomiphentherapie eine engmaschige Überwachung durchzuführen.

Therapie ohne Kinderwunsch

Bei Patientinnen ohne Kinderwunsch empfiehlt sich eine Östrogen/Gestagen-Substitutionstherapie. Da es allerdings unter einer solchen Therapie zu einer Normalisierung der Zyklen und zu ungewollten Schwangerschaften kommen kann, sind orale Kontrazeptiva bei diesen Patientinnen das Mittel der 1. Wahl (Tabelle 3).

Fazit für die Praxis

Die hypothalamische Ovarialinsuffizienz kann als Folge einer reduzierten Sekretion von GnRH aus dem Hypothalamus mit Verminderung der Frequenz und der Amplitude der pulsatilen Gonadotropinsekretion aus dem Hypophysenvorderlappen (HVL) oder durch einen Hypopituitarismus (Mangel oder komplettes Fehlen der Gonadotropine) bedingt sein. Die Ursachen sind sehr vielfältig und beinhalten genetische Faktoren, Raumforderungen, Traumata oder Läsionen im Bereich von Hypothalamus/Hypophyse, Systemerkrankungen, Stress, Leistungssport etc. Abhängig vom Schweregrad der zugrunde liegenden Störung kann es zu klinischen Symptomen wie Blutungsstörungen oder Sterilität kommen. Es wird angenommen, dass 10–20% aller Frauen zumindest vorübergehend 1-mal in ihrem Leben unter stressbedingten Zyklusstörungen leiden. Eine exakte Diagnostik mit der Bestimmung des Schweregrades der Ovarialinsuffizienz ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Die Therapie richtet sich danach, ob die Patientin einen Kinderwunsch hat oder nicht.