Das Ziel der vorliegenden Übersicht ist es, prinzipielle Anforderungen an die Dokumentation zu erläutern, den Entwicklungsprozess des DIVI-Kerndatensatzes „Notaufnahme“ zu skizzieren und den aktuellen Stand vorzustellen.

Das Spektrum der Dokumentationsformen zur Erfassung von Befunden, Leistungsinhalten oder Diagnosen der frühen klinischen Notfallversorgung in deutschen Krankenhäuser ist immens. Unterschiede finden sich nicht nur zwischen den Krankenhäusern selbst, sondern auch zwischen deren Fachabteilungen, auch wenn die Notfallversorgung in Zentralen Notaufnahmen (ZNA) organisiert ist. Darüber hinaus gibt es Unterschiede in den Dokumentationsinhalten und den verwendeten Hilfsmitteln [39]. Dies steht in deutlichem Kontrast zu den etablierten, nationalen Dokumentationsstandards der prähospitalen Notfallversorgung bzw. zum internationalen Umfeld [1, 4, 9, 13, 20, 34, 40, 44]. Dringend benötigte krankenhausinterne oder -externe, deskriptive oder vergleichende Analysen der Notfallversorgung, insbesondere zum Zweck des Qualitätsmanagements und der Versorgungsforschung, waren daher bisher kaum realistisch umsetzbar.

Unterschiedliche Dokumentationsformen führen häufig zu einer teils unnötigen Ressourcenbindung in der Notfallversorgung

Die unterschiedlichen Dokumentationsformen innerhalb einzelner Krankenhäuser machen darüber hinaus häufig redundante Dokumentationen bzw. Dateneingaben notwendig und führen somit zu einer erheblichen und teils unnötigen Ressourcenbindung in der Notfallversorgung. Die Sektion Notaufnahmeprotokoll der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI) schuf in enger Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften den 2010 konsentierten modularen Kerndatensatz „Notaufnahme“, um zukünftig eine standardisierte Dokumentation der frühen innerklinischen Notfallversorgung zu ermöglichen.

Gründung der Sektion Notaufnahmeprotokoll

Das Fehlen eines einheitlichen Standards in der Dokumentation in der frühen innerklinischen Versorgungsphase führte 2007 zur Gründung der interdisziplinären DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll. Primäres Ziel war es, einen standardisierten Datensatz für die frühe innerklinische Notfallversorgung zu entwickeln. Die Sektionsarbeit ist seit Beginn interdisziplinär und interprofessionell angelegt, um die fach- und berufsgruppenspezifischen Besonderheiten der Notfallversorgung bei der Dokumentation zu berücksichtigen.

Anforderungsanalyse und Zieldefinition

Ein modularer Aufbau des Kerndatensatzes im Sinne von Formularen soll die Dokumentation aller fachspezifischen Aspekte der Notfallversorgung fördern, gleichermaßen eine redundante Datenerfassung vermeiden und Ressourcen der Notfallversorgung schonen. Die vier Hauptaspekte der Dokumentation in der Notaufnahme sind

  • standardisierte Informationserfassung und -weitergabe,

  • medikolegale Erfordernisse,

  • Leistungsdokumentation zu Abrechnungszwecken,

  • Qualitätsmanagement und Versorgungsforschung (Prozessbeschreibung).

Standardisierte Informationserfassung und -weitergabe

Nach der Ersteinschätzung werden im Rahmen der Untersuchung, Risikostratifizierung und Behandlung die Weichen für das weitere medizinische Vorgehen gestellt [12, 59]. Hierbei ist es essenziell, die in dieser Phase anfallenden Informationen zu dokumentieren und an das den Patienten weiterbehandelnde medizinische Personal zu übermitteln. Dabei wird postuliert, dass durch eine standardisierte Informationserfassung der Informationsverlust verringert werden kann und somit auch im Rahmen der Patientenübergabe wesentlichen Informationen weitergegeben werden – ein wichtiger Baustein der Patientensicherheit. Hierzu wird in der Mehrzahl der deutschen Notaufnahmen ein individueller und institutionsbezogener Dokumentationsbogen verwendet bzw. ein Klinikinformationssystem (KIS) genutzt.

Überregional standardisierte oder konsentierte Vorgaben oder Empfehlungen bezüglich Form und Umfang, im Sinne eines einheitliches Dokumentationsstandards, liegen erstmals mit dem Kerndatensatz „Notaufnahme“ vor [40].

Qualitätsmanagement und Versorgungsforschung

Neben der Informationsweitergabe stellt die fallbezogene Dokumentation die Basis (Rohdaten) für ein Qualitätsmanagement (QM) dar [17, 35]. Die Erfassung relevanter Daten inklusive Zeitstempel, Prozessbestandteile, aufgewendete Ressourcen und deren Auswertung bilden die Grundvoraussetzungen für eine Analyse der Notfallversorgung. Unabhängig von den vielfältigen Erwartungen, die Qualität in der Notfallbehandlung betreffend, soll nach Auffassung der Autoren durch ein QM zunächst Transparenz in Strukturen und Prozessen als Grundlage einer Vergleichbarkeit geschaffen werden. Patientenorientierung mit dem Ziel der Verbesserung der medizinischen Behandlung ist dabei unabdingbare Voraussetzung. Während im aktuellen Koalitionsvertrag die politische Willensbekundung zur qualitätsorientierten Ressourcenallokation deutlich wird [11, 38], sind für die klinische Notfallversorgung nicht einmal Qualitätsindikatoren definiert.

Im Gegensatz zum internationalen Umfeld besteht bislang kein deutsches Notaufnahmeregister, welches ein externes QM ermöglichen würde [1, 4, 9, 13, 20, 34, 40]. Einzelaspekte der Abläufe in der Notaufnahme können bislang nur über bestehende Register für Tracerdiagnosen (z. B. Polytrauma, Myokardinfarkt, Schlaganfall) bearbeitet werden. Die Qualität der medizinischen Versorgung in einer Notaufnahme kann aber nicht alleine über diese seltenen Fälle bestimmt werden. In einigen deutschen Notaufnahmen wurde daher ein detailliertes internes QM betrieben, um damit die eigenen Prozesse analysieren und optimieren zu können [18, 24, 25, 32, 50, 52, 55].

Gesetzlichen Anforderungen an die Dokumentation („Medikolegale Aspekte“)

Aufgrund der ärztlichen Berufsordnung sind Ärzte verpflichtet, die erforderlichen Aufzeichnungen über die gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen zeitnah anzufertigen.

Lückenhafte Dokumentation kann eine Beweislastumkehr nach sich ziehen

Ist die Dokumentation lückenhaft, kann dies in Haftungsprozessen eine Beweislastumkehr nach sich ziehen. Dies gilt auch bei den zeitkritischen und interprofessionellen Prozessen in einer Notaufnahme. Hier wird der Patient häufig gleichzeitig von einem Team verschiedener Berufsgruppen behandelt und betreut. Laut aktuellen Studien gehören durchschnittlich 21–24 % der nichtärztlichen Mitarbeiter einer Notaufnahme anderen Berufsgruppen als der examinierten Gesundheits- und Krankenpflege an [6, 56]. Dies erfordert einen hohen Standard der Dokumentationskultur, um erhobene Befunde und erbrachte Leistungen nachvollziehbar darzustellen.

Leistungsdokumentation zu Abrechnungszwecken

Prinzipiell können nur diejenigen Leistungen abgerechnet werden, die adäquat dokumentiert wurden. Die Mehrheit der in Notaufnahmen erbrachten Leistungen wurde bislang nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit den Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. dem Leistungskatalog des Landesverbandes der Berufsgenossenschaften (UV-GOÄ) abgerechnet [7]. Daneben existiert die Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) als weiterer Abrechnungskatalog für ambulante Behandlungen privat- oder nichtversicherter Patienten. Diese Abrechnungsformen erfordern im Vergleich zu den stationären Abrechnungsformen nach § 39 Sozialgesetzbuch V den höchsten Dokumentationsaufwand, da neben einer Grundpauschale diverse Einzelleistungen abgerechnet werden können.

Bisherige Ergebnisse

In insgesamt 7 Treffen der DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll, zusätzlichen Arbeitsgruppentreffen in Kleingruppen (z. B. berufsgruppenübergreifenden Besprechungen in verschiedenen (zentralen) Notaufnahmen wurde der Kerndatensatz „Notaufnahme“ definiert und von der DIVI-Sektion in Version 1.0 im Oktober 2010 verabschiedet.

Kerndatensatz „Notaufnahme“ der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI

Der Kerndatensatz besteht aus 676 einzelnen Datenfeldern. Diese kleinsten auszuwertenden Einheiten sind zu funktionellen Gruppen (Modulen) zusammengefasst. Dokumentiert wird berufsgruppenübergreifend und interdisziplinär. Die DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll entwarf zusätzlich einen Formularsatz als eine mögliche Form der graphischen Umsetzung dieses Datensatzes (Notaufnahmeprotokoll). Ärztliche und nichtärztliche Mitarbeiter der Notaufnahme können entsprechend der teambasierten Arbeit mit demselben Datensatz arbeiten bzw. auf einem gemeinsamen Dokumentationsbogen auf die jeweiligen Maßnahmen und Befunde zurückgreifen.

Modularer Aufbau

Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ ist modular aufgebaut. Die modulare Zusammenlegung der einzelnen Datenfelder geschah dabei praxisorientiert nach klinischen Erfordernissen: Ausgehend von dem Basismodul für alle Patienten einer Einrichtung wurden symptomorientierte, fachspezifische Zusatzmodule (z. B. „Trauma“) bzw. prozessbasierte Erweiterungen in Form der Zusatzmodule (z. B. „Überwachung“) erarbeitet. Sämtliche Module sind über die Homepage der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI verfügbar (http://www.notaufnahmeprotokoll.de).

Eine redundante Datenerfassung kann weitgehend vermieden werden

Die Module sind so gestaltet, dass während der Dokumentation der Notfallbehandlung eine redundante Datenerfassung weitgehend vermieden werden kann. Dieser modulare Aufbau ist keineswegs als Diversifizierung in fachbereichsbezogene oder berufsgruppenbezogene Dokumentationsteile zu interpretieren.

Modul „Basis“

Grundlage der Dokumentation anhand des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ ist das Modul „Basis“, dass bei jedem Patienten der Notaufnahme zur Anwendung kommt (Abb. 1). In einer Implementierungsstudie konnten 80 % der Behandlungen allein mit diesem DIN-A4-Formular hinreichend dokumentiert werden [36]. Für die restlichen 20 % der Patienten wurde je nach klinischen Erfordernissen eines der Zusatzmodule verwendet. Das Modul „Basis“ bzw. seine graphische Umsetzung kann auch als Entlassungsbrief an den weiterbehandelnden oder niedergelassenen Arzt verwendet werden. Inhaltlich ähneln sich die QM-Parameter des Moduls „Basis“ und die Inhalte des Minimum-Dataset des UK College of Emergency Medicine, wobei das Modul „Basis“ erweitert wurde (z. B. um Items der Informationsweitergabe; [13]).

Abb. 1
figure 1

Papierformularvorschlag im DIN-A4-Format für das Modul „Basis“. Dieses Formular bildet den Ausgangspunkt der Patientendokumentation. Jeder Patient, der in der Notaufnahme behandelt wird, erhält dieses Modul als Stammblatt

Das Modul „Basis“ beinhaltet neben den wichtigsten administrativen Informationen eines Patienten (z. B. Name, Geburtsdatum, Versicherungsstatus und Aufnahmezeitpunkt) v. a. Felder zur Kurzanamnese inklusive Allergien, Schwangerschaft, Tetanus, Isolationspflicht und der modifizierten Rankin-Skala [49]. Im Block „Vitalparameter“ werden die Vitalfunktionen sowie die Schmerzstärke abgefragt. Daneben existieren Felder, um das Ergebnis einer Ersteinschätzung dokumentieren zu können [z. B. Leitsymptom, Beginn der Beschwerden, Ersteinschätzung mittels Manchester Triage System (MTS) oder Emergency Severity Index“ (ESI); [12, 41, 43]]. Mittels Freitextfeldern können Anamnese, relevante Eigenmedikation, Befunde, Verlauf, Therapie, Prozedere und Verbleib (z. B. Verlegung, Entlassung, stationäre Aufnahme) dokumentiert werden. Zur Evaluation der Prozessqualität können für einzelne Behandlungsschritte jeweils die entsprechenden Uhrzeiten dokumentiert werden. Die Abschlussdiagnose kann sowohl als Freitext als auch mittels ICD-10-Code erhoben werden.

Zusatzmodul „Überwachung“

Das Zusatzmodul „Überwachung“ (Abb. 2) ist in seiner graphischen Umsetzung ein DIN-A3-Formular. Es dient der Dokumentation des Verlaufs von (Vital-)Parametern, Anordnungen und Maßnahmen. Durch eine variable Zeitleiste können die Vitalfunktionen bei kreislaufinstabilen Patienten engmaschig (z. B. 5-min-Intervall) dokumentiert, aber auch bei einer 24-stündigen Überwachung erfasst werden (z. B. Clinical Decision Unit, Notaufnahmestation). In gleichem Maße ist die Dokumentation der Verabreichung von Medikamenten flexibel ausfüllbar. Besonders hervorzuheben ist die avisierte fach- und berufsgruppenübergreifende Verwendung dieses Überwachungs- und Anordnungsformulars. Um die Anforderung einer standardisierten Überwachung zu erfüllen, wurde der „Early Warning Score“ (EWS) in den Datensatz implementiert. Der EWS soll dem nichtärztlichen Personal helfen, eine sich entwickelnde Verschlechterung des Patientenzustands frühzeitig zu erkennen [23, 54] und die reproduzierbare Bewertung des klinischen Zustands auch durch noch nicht erfahrene Mitarbeitern zu ermöglichen. Mit dem Zusatzmodul „Überwachung“ können auch Anordnungen für das nichtärztliche Personal getroffen, Blut und Blutprodukte, invasive Maßnahmen sowie Zugänge oder Katheter mit Zeitangabe dokumentiert werden. Bei schwerverletzten Patienten, welche durch ein interdisziplinäres Schockraumteam behandelt werden, wird empfohlen, das Zusatzmodul „Überwachung“ als Dokumentationsgrundlage des Anästhesieverlaufs (anstelle des klassischen Narkoseprotokolls) zu verwenden. Die Anforderungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zur standardisierten Dokumentation wurden dabei berücksichtigt.

Abb. 2
figure 2

Papierformularvorschlag im DIN-A3-Format für das Zusatzmodul „Überwachung“. Das Überwachungsmodul wird bei jedem Patienten zusätzlich eingesetzt, der kardiopulmonal instabil ist (z. B. Schwerverletzte, Patienten mit akutem Koronarsyndrom etc.), eine Intervention erhält (z. B. Narkose zur Reposition von Frakturen) oder längerfristig überwacht werden muss (z. B. Alkoholintoxikation)

Zusatzmodul „Trauma“

Das Zusatzmodul „Trauma“ dient der Dokumentation von Mehrfach- und Schwerverletzten entsprechend den Vorgaben der S3-Leitlinie Schwerverletztenbehandlung und der 2. Auflage und revidierten Fassung des Weißbuchs der DGU [5, 15]. Es handelt sich in der graphischen Umsetzung ebenfalls um ein DIN-A3-Formular, welches den gesamten Inhalt der Dokumentationsphasen Präklinik und Schockraum-/OP-Phase aus dem TraumaRegister DGU® fachübergreifend beinhaltet. Zudem erfasst dieses Zusatzmodul weitere für die behandelnden Fachabteilungen relevante Datenfelder (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Papierformularvorschlag im DIN-A3-Format für das Zusatzmodul „Trauma“: Das Formular soll (zusammen mit dem Modul „Basis“ und dem Zusatzmodul „Überwachung“) zur interdisziplinären und berufsgruppenübergreifenden Dokumentation schwerverletzter Patienten eingesetzt werden

Konsentierung

Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ sowie die graphische Ausarbeitung wurden an das Präsidium der DIVI als Dachverband weitergeleitet und im Dezember 2010 vom Präsidium der DIVI und damit von den Vertretern der an der innerklinischen Notfallversorgung beteiligten Fachdisziplinen (DIVI-FB) konsentiert.

Verfügbarkeit

Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ mit seinen Felddefinitionen steht seit Dezember 2010 kostenfrei zur Verfügung (http://www.notaufnahmeprotokoll.de). Um für die Kliniken die Einführung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ so einfach wie möglich zu gestalten, wurde die erarbeitete graphische Umsetzung des Notaufnahmeprotokolls mit allen bisher vorhandenen Modulen zum Download bereitgestellt. Mit der Publikation der für 2015 geplanten Überarbeitung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ wird für die Erstellung einer angepassten graphischen Umsetzung eine einmalige Schutzgebühr erhoben werden. Die Anpassung dieser druckbaren PDFs an die jeweiligen Kliniken (inklusive Logo, Kontaktinformationen) wird in der Schutzgebühr enthalten sein. Mit den eingenommenen Mitteln soll die Weiterentwicklung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ und die hierfür notwendige technische Infrastruktur finanziert werden. Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ sowie die nicht angepasste graphische Umsetzung werden auch weiterhin kostenfrei verfügbar sein.

Akzeptanz

Die Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) empfahl ihren Mitgliedern 2011 die Anwendung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“. Der Arbeitskreis Umsetzung Trauma Netzwerk DGU® (AKUT) favorisiert zur Dokumentation des schweren Traumas ebenfalls die Verwendung, insbesondere die Module „Basis“, „Trauma“ und „Überwachung“ [53, 64]. Bis August 2014 haben 91 Kliniken bei der Sektion Notaufnahmeprotokoll angefragt, denen die Druckvorlagen inklusive kleinerer Anpassungen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden konnten. Obgleich eine systematische Evaluation bisher fehlt, sind die Rückmeldungen durchweg positiv.

Diskussion

Der 676 Datenfelder umfassende Kerndatensatz „Notaufnahme“ ist aktuell der einzige interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend erarbeitete, von Fachgesellschaften konsentierte und empfohlene Vorschlag zur Dokumentation von Notfallbehandlungen in (zentralen) Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser [2, 40]. Dies muss primär als Erfolg gewertet werden. Bestehende Schwierigkeiten und z. T. bestehende methodische Mängel geben Anlass, die Arbeit in der DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll interdisziplinär und fachgesellschaftsübergreifend fortzusetzen.

Bias und methodische Probleme bei der Entwicklung des Datensatzes

An Limitierung wurde die teilweise parallel laufende und nicht anonyme Arbeit durch die Arbeitsgruppe festgestellt. So ist von einem gewissen Bias in allen Schritten, von der Anforderungsanalyse über die Sichtung existierender Formulare und deren Bewertung bis hin zu der letztendlichen Erarbeitung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ auszugehen. Dies wurde einerseits als Abweichung von einem standardisierten Delphiprozess erkannt [40]. Andererseits stellte diese dialogorientierte Arbeitsweise aufgrund der breiten Wissensstreuung eine wesentliche Bereicherung der eigenen Arbeit der Sektionsmitglieder dar.

Getroffene Maßnahmen zur Optimierung des weiteren Entwicklungsprozesses

Im Sinne eines modifizierten Delphiprozesses steht seit 2014 eine Webapplikation zur Verfügung, in der die etablierten Datenfelder dezentral online anonymisiert kommentiert und bearbeitet werden können (http://datensatz.notaufnahmeprotokoll.de/). Mitgliedern der DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll ist es darüber hinaus möglich, neue Datenfelder zur Aufnahme in den Kerndatensatz „Notaufnahme“ vorzuschlagen. Kommentare und Vorschläge können gemäß einer SOP entweder direkt in der Applikation oder während folgenden Sitzungen der Sektion diskutiert sowie Änderungen und Erweiterungen beschlossen werden.

Erkannte Limitierungen des Kerndatensatzes „Notaufnahme“

Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ enthält in Übereinstimmung mit internationalen Projekten Datenfelder des QM [1, 4, 9, 13, 20, 34]. Jedoch wurden seit der ersten Implementierung und Verbreitung Limitationen erkannt:

  • Im Datensatz nicht berücksichtigt sind Angaben zu den Strukturen der Einrichtung. Hierzu gehören die materielle und personelle Ausstattung inklusive der Qualifikationen und Professionen der Mitarbeiter, die Infrastruktur sowie die Organisationsform der Notfallversorgung. Abfragen dazu könnten in zukünftigen Updates in Form eines Moduls „Struktur“ eingearbeitet werden, welches einmalig pro Einrichtung auszufüllen wäre. Strukturanalysen dieser Art werden bereits seit Jahren durch die DGINA in Form von Mitgliederbefragungen durchgeführt [7, 55, 56].

  • Die Dokumentation mit dem Kerndatensatz „Notaufnahme“ endet mit dem Abschluss der Behandlung in der Notaufnahme. Daher ist beispielsweise eine Überprüfung der Diagnosegüte nur über Zugriff auf weitere Behandlungsdaten aus der Klinik bzw. durch Integration des vorgestellten Datensatzes in ein bestehendes KIS möglich [18].

  • Die Abbildung bettenführender Bereiche von Notaufnahmen fehlt im Datensatz (z. B. Notaufnahmestation). Überwachungen von intoxikierten Patienten werden zunehmend vollstationär in bettenführenden Notaufnahmen durchgeführt und die Behandlung dann per Entlassung nach wenigen Stunden beendet. Dies führt zu einer Ressourcenschonung im Krankenhaus, sichert eine gute Überwachungsqualität und reduziert nächtliche stationäre Aufnahmen. Während in zwei Studien von 2010 jeweils ein Drittel der befragten ZNA angaben, über bettenführende Bereiche zu verfügen [6, 55], gaben 2013 bereits 31 von 55 deutschen Notaufnahmen an, bettenführende Bereiche mit Verwendung als Kurzlieger- oder Überwachungsstation bzw. Clinical-Decision-Unit zu betreiben [56].

  • Die finanzielle Situation der klinischen Notfallversorgung ist mit jährlichen Fehlbeträgen in Milliardenhöhe extrem angespannt [16]. Umso wichtiger ist die konsequente und optimale Abrechnung der erbrachten Notfallleistungen. Da in der Notaufnahme neben einer Grundpauschale diverse Einzelleistungen abgerechnet werden können, muss die hierfür notwendige Leistungserfassung wesentlich feingraduierter erfolgen. Die Höhe und Art der Vergütung der Notfallversorgung ergibt sich aber nicht nur aus den Leistungen selbst, sondern auch aufgrund der sektoralen Zuordnung und Zuweisungsdokumentation der Patienten. Entsprechend aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts soll bereits direkt nach der Anamnese und körperlichen Untersuchung die Aufnahmeentscheidung gefällt werden, wenn die Untersuchung und Behandlung des Notfallpatienten unverzüglich mit den Mitteln des Krankenhauses fortgesetzt werden muss und diese Leistungen nicht rechtzeitig im vertragsärztlichen Bereich erbracht werden können. Dann kann auch bei vorzeitiger Entlassung des Patienten unterhalb von 24 h die kostendeckende vollstationäre Abrechnung erfolgen, wenn nach berechtigter Aufnahmeentscheidung die besonderen Mittel des Krankenhauses aufgewendet wurden und keine andere Behandlungsform nach § 39 SGB V geeignet ist. Die Voraussetzung hierfür ist die Dokumentation des Zeitpunkts und der Indikation der Aufnahmeentscheidung (Aufnahmediagnose) sowie des Behandlungsplans zum oben beschriebenen Zeitpunkt [57]. Diese neue Form der Dokumentation ist aktuell noch nicht im Kerndatensatz „Notaufnahme“ vorgesehen. Findet die Notfallbehandlung aufgrund vertragsärztlicher Zuweisung per Verordnung statt und erfolgt keine vollstationäre Aufnahme des Notfallpatienten, kann aber vorstationär abgerechnet werden, wodurch ebenfalls meistens eine Kostendeckung erreicht werden kann. Zuweisungsquoten und Umfeldstrukturen lassen sich allerdings nur dann korrekt erfassen, wenn Zuweiser und Transportmittel differenziert dokumentiert werden [55]. Die erste Version des Datensatzes vermischt noch Zuweiser und Transportmittel in einem gemeinsamen Feld und wird aktuell diesbezüglich überarbeitet.

Vorschläge zur Kennzahlenanalyse aus dem Kerndatensatz „Notaufnahme“

Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ tritt an, um u. a. ein internes und ein externes QM und Benchmarking zu ermöglichen. Hierzu soll zunächst anhand von 11 Bereichen der Status Quo erhoben werden (Tab. 1). Bereits durch diese ersten Schritte der Kennzahlenanalyse können mit Hilfe des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ relevante Aspekte des klinikinternen Prozess- und Qualitätsmanagements bearbeitet werden. In einem zweiten Schritt muss der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die Ergebnisse durch die lokalen Strukturen oder andere Einflussfaktoren (z. B. Erkrankungs- oder Verletzungsschwere) unterscheiden. Antworten würde ein nationales Notaufnahmeregister liefern, wenn, wie bereits erkannt, auch Strukturparameter der Notaufnahme berücksichtigt werden [8, 14, 18, 21, 26, 29, 42, 58, 65]. Schließlich könnten in einem dritten Schritt aus den Ergebnissen der Registerforschung Empfehlungen hinsichtlich einer „best practice“ ausgesprochen werden.

Tab. 1 11 Vorschläge zur Kennzahlenanalyse aus dem Kerndatensatz „Notaufnahme“ der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI

Integration des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ in IT-Systeme

Eine große Chance zur Verbesserung der Dokumentationsqualität und den damit verbundenen technischen Möglichkeiten der Auswertung kann in der Verwendung IT-gestützter Dokumentationssysteme gesehen werden. Hemmnisse hierfür sind:

  • mangelhafte Interoperabilität verschiedener Softwaresysteme im Prozess der präklinischen und innerklinischen Notfallbehandlung,

  • redundante Datenerfassung,

  • mangelnde Integration von Medizingeräten (z. B. Überwachungsmonitore),

  • Softwareergonomie bei schnellen Patienten- und Arbeitsplatzwechseln.

Ein weiterer Anspruch moderner Dokumentation ist die Nutzung von Versorgungsdaten aus der klinischen Routine für die medizinische Forschung („secondary use“, „Sekundärdatenanalyse“ oder „Single-Source-Ansatz“; [19, 48]). Ein Ziel ist, einmal erfasste Daten ohne weitere aufwendige und fehleranfällige Übertragungsschritte in Forschungsdatenbanken und Register zu übernehmen. Ein weiteres Ziel ist die frühzeitige Prüfung von Ein- und Ausschlusskriterien behandelnder Patientenkollektive [37, 62]. Voraussetzung für eine durchgängige IT-basierte Dokumentation sowie deren Nutzung für die medizinische Forschung sind konsentierte Dokumentations- und Kommunikationsstandards [51].

Aus diesem Grund wird im Rahmen des Forschungsprojekts „Verbesserung der Versorgungsforschung in der Akutmedizin in Deutschland durch den Aufbau eines nationalen Notaufnahmeregisters“ der Kerndatensatz „Notaufnahme“ der DIVI-Sektion Notaufnahmeprotokoll in den HL7-Standard (Health Level 7: internationale Standards für den elektronischen Austausch von Daten im Gesundheitswesen) eingebracht. Darüber hinaus sind v. a. Aspekte der informationellen Selbstbestimmung der Patienten und der Datenschutzgesetzgebung zu beachten und entsprechende Datenschutzkonzepte technisch und organisatorisch umzusetzen [22, 31, 46, 47, 63].

Geplante Erweiterung und zukünftige Entwicklungen

Wie dargelegt wurde erkannt, dass es notwendig ist, den Kerndatensatz „Notaufnahme“ konsequent zu erweitern. Änderungen integrierter Register sind einzupflegen, erkannte inkorrekte Datenfelder müssen korrigiert und erfolgskritische Erweiterungen durchgeführt werden. Für folgende Aspekte ist eine inhaltliche Erweiterung des Datensatzes bereits vereinbart:

  1. 1.

    Risikoindikatoren und anästhesierelevante Verlaufsbeobachtungen (AVB) werden angepasst [30].

  2. 2.

    Zusatzmodule in Zusammenarbeit mit den Deutschen Gesellschaften Innere Medizin, Pädiatrie und Geriatrie werden entwickelt, ohne dabei den gesamtheitlichen Grundgedanken „Eine Dokumentation für Alle“ zu vernachlässigen.

  3. 3.

    Strukturparameter werden in Zusammenarbeit mit der DGINA erhoben.

  4. 4.

    Die Auswertung des Hauptsymptoms mit großer epidemiologischer Aussagekraft wird umgesetzt. Die Datensatzrevision der „Presenting Complaint List“ des Canadian Emergency Department Information System wird aufgenommen [27].

  5. 5.

    Verbesserung der Zuweiserdokumentation sowie der Erfassung von Leistungen in bettenführenden Notaufnahmen wird realisiert.

  6. 6.

    Koppelung mit den jeweiligen KIS zur Evaluation der Diagnoserichtigkeit und der diagnostischen Effizienz [18].

Zukünftige Versionen des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ werden um die Evidenz und Herkunft eines Datenfelds erweitert. Somit kann der Anwender erkennen, ob dem Datenfeld (oder seiner Änderung) eine systematische Literaturrecherche oder eine Änderung eines hinterlegten Registers (z. B. Update des TraumaRegisters DGU®) zugrunde liegt bzw. sonstige Gründe ausschlaggebend sind. Es werden Verfahren festgelegt, um diese absehbaren Updates und die geplanten Erweiterungsprozesse des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ nachvollziehbar zu machen.

Eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI und verschiedenen Arbeitsgruppen der DGINA wurde initiiert.

Fazit für die Praxis

  • Der Kerndatensatz „Notaufnahme“ der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI ist eine Initiative zur konsentierten interdisziplinären Dokumentation für die frühe innerklinische Versorgung von Notfallpatienten.

  • Durch Übernahme des Kerndatensatzes als Routinedokumentation in der Notaufnahme entfällt eine zeitaufwendige und redundante Doppeldokumentation.

  • Eine große Stärke scheint der berufsgruppen- und fachbereichsübergreifende Ansatz bei der Dokumentation zu sein, welcher eine Patientendokumentation „aus einer Hand“ ermöglicht.

  • Mit der Implementierung des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ in bestehende KIS könnte die automatische Generierung von Leistungsbilanzen standardisiert werden.

  • Mittelfristig ist geplant, dass Elemente des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ in ein nationales Notaufnahmeregister einfließen. Der maßgebliche Nutzen wäre die Entwicklung national validierter Scores und Qualitätsindikatoren sowie Cut-off-Werte für deren Anwendung.

  • Seit der Konsentierung der Version 1.0 des Kerndatensatzes „Notaufnahme“ wurden Limitierungen im Datensatz erkannt. Diese gilt es in einem standardisierten Prozess in zukünftigen Versionen durch Änderungen und Erweiterungen zu beseitigen.

  • Obwohl wichtige Punkte zur Vergütung fehlen, erfüllt der Datensatz Anforderungen wie Informationsweitergabe, medikolegale Aspekte und die des Qualitätsmanagements.

  • Die 11 hier vorgestellten Vorschläge zur Kennzahlenanalyse aus dem Datensatz Notaufnahme stellen diesbezüglich einen Startpunkt dar. Darüber hinaus können bereits jetzt bundesweite Register (z. B. TraumaRegister DGU®) bedient werden.