In Berlin erhielt die Leitstelle der Berliner Feuerwehr als Träger des Rettungsdienstes im Jahr 2011 ca. 1,1 Mio. Anrufe über die Notrufnummer 112 mit ca. 350.000 Einsätzen. 80% waren mit Versorgung von ca. 210.000 Patienten dem Rettungsdienst zuzuordnen. Der Trend zur stetigen Steigerung der Einsatzzahlen lässt sich auch in Berlin nachvollziehen.

Vermeidbare Anrufe und Missbrauch

Ein erheblicher Teil der Anrufe sind „Spaßanrufe“ (Wie ist denn das Wetter heute?), bei denen es sich zumindest um spielende Kinder oder auch groben Unfug handelt. Allerdings können diese Anrufe im Extremfall zur (personellen) Überlastung der Leitstelle und Verzögerungen des Notrufs für tatsächlich gefährdete Patienten führen. Der Missbrauch des Notrufs ist nach § 145 StGB strafbar. Aufgrund des häufigen Missbrauchs ist seit 2009 der Notruf mit Mobiltelefonen ohne SIM-Karte nicht mehr möglich. Die Nummer des Anrufers wird immer in der Leitstelle angezeigt und registriert, auch wenn „Rufnummerunterdrückung“ eingestellt ist. Eine weitere Kategorie unnötiger Notrufe sind allgemeine Hilfeersuchen, für die Feuerwehr und Notfallrettung ohne Zweifel nicht zuständig sind. Das Spektrum reicht von der Frage nach dienstbereiten Apotheken über den vergessenen Wohnungsschlüssel bis zur Bitte, entflogene Ziervögel einzufangen.

Anrufer und Motivation

Die Frage der vermeidbaren Anrufe unter der Notrufnummer 112 ist damit allerdings kaum beantwortet. Zur Klärung dieser Frage sind eine Reihe von Problemen zu betrachten (Tab. 1). Leicht zu beantworten ist die Frage nach den Anrufern. Relativ selten ist es der Patient selbst, der wegen der Erkrankungsschwere oder einer Verletzung oft hierzu nicht in der Lage ist. Häufiger sind es Familienangehörige oder dem Patienten nahestehende Personen. Ihre Urteilsfähigkeit unterliegt durch die persönliche Beziehung bestimmten Grenzen – es sei z. B. an die Beziehung einer Mutter zu ihrem Kleinkind gedacht. Augenzeugen ohne Beziehung zum Erkrankten oder Verletzten unterliegen diesen Einschränkungen weniger, wissen allerdings auch nichts vom Hintergrund des Betroffenen. Am ehesten sollte man einen gezielten berechtigten Notruf von medizinischen Fachpersonal wie Ärzten und Pflegepersonal erwarten können.

Tab. 1 Grundsätzliche Fragestellungen

Für alle Anrufer besteht die Notwendigkeit, die Situation vor dem Notruf einzuschätzen. Eine Reihe von Bedingungen eröffnet zumindest die Möglichkeit, keinen Notruf zu tätigen (Tab. 2). Allerdings ergeben sich aus Sicht des Anrufers häufig schwer oder nicht zu beantwortende Fragen. Für den Anrufer mag es relativ leicht sein, bei schweren Schmerzem, Bewusstlogkeit oder Atemnot anzurufen. Schwierig wird die Abgrenzung bei leichteren Schmerzen, bei scheinbar minder schwerer Verletzung oder uncharakteristischen Störungen. Die bekannteste Fehleinschätzung ist der nicht erkannte Schlaganfall. Entsprechend ist zu erwarten, dass häufig dann ein Notruf erfolgt, wenn beim Anrufer ein höheres Maß an Unsicherheit besteht, ihm die Situation gefährlich erscheint oder droht, unbeherrschbar zu werden.

Tab. 2 Einflussfaktoren auf das Anrufverhalten

Besonders schwierig wird es, auf einen Notruf zu verzichten, wenn es sich um Entscheidungen am Ende des Lebens handelt. Vielen Angehörigen und dem Patienten nahestehenden Personen ist zwar eine „DNAR-Order“ („Do not attempt resuscitation“), mündlich oder mittels Patientenverfügung des Patienten bekannt, dennoch scheuen sie sich, die für die Entscheidung nicht anzurufen notwendige Verantwortung zu schultern. Aussichtslosigkeit eines Behandlungsversuchs und damit die Sinnlosigkeit eines Notrufs zu beurteilen, dürfte für den Laien praktisch nicht möglich sein. Demzufolge werden sich zahlreiche Notrufe ergeben, die bei professioneller Betrachtung, nicht aber aus Sicht des Anrufers, vermeidbar gewesen wären. In der Tat können zumal Familienangehörige sogar bei Ablehnung eines Notrufs durch den Patienten selbst in erhebliche Konflikte geraten, wenn sie subjektiv den Eindruck haben, dass ein Notruf notwendig sei. Nicht selten erfährt man bei Einsätzen z. B. zu Reanimationen, dass Angehörige in Anbetracht z. B. typischer Angina-pectoris-Symptome den Rettungsdienst rufen wollten, der Patient dies aber strikt abgelehnt hatte.

Interpretation des Begriffs „Notlage“ und Bedingungen: Schlüssel zum Verständnis

Wenn man verstehen will, warum es zum Notruf kommt, muss man einen Notfall aus der Sicht des Patienten definieren. Eine derartige Definition wurde bereits 1979 von Shotland et al. veröffentlicht (s. Infobox, 2). Danach gehört zu den Charakteristika einer Notsituation der subjektive Eindruck einer Bedrohung oder eines bereits eingetretenen Schadens, der zeitkritische Charakter („es muss schnell geholfen werden“), das Fehlen einer einfachen Problemlösung und das dringende Gefühl der Notwendigkeit professioneller Hilfe. Moderne Definitionen des Notfalls greifen diese grundlegende Erkenntnis auf, so z. B. die Schweizerische notfallmedizinische Fachgesellschaft SGNOR [4]:

Als Notfälle werden Veränderungen im Gesundheitszustand durch Krankheit und Unfall bezeichnet, für welche der Patient selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische Hilfe als notwendig erachtet.

Die subjektive Interpretation der Situation unterliegt wiederum Einflüssen, die den Entschluss zum Notruf erleichtern oder erschweren (Tab. 3). Auch zunächst schwer verständliche Argumente wie „Ich habe nicht angerufen, weil ich die Nachbarn nächtlich nicht stören wollte“ oder „Ich wollte die Feuerwehr nicht wieder alarmieren, ich hatte doch erst vor 2 Wochen angerufen“ sind aus subjektiver Sicht unter Umständen fatale Barrieren, den Notruf trotz offensichtlicher Notwendigkeit nicht zu tätigen. Die offenbare Existenz einer Hemmschwelle weist auf einen Zielkonflikt in der Beantwortung der Frage hin, wann „112“ nicht angerufen werden soll, wenn gleichzeitig vermieden werden muss, unsinnige Hemmschwellen aufzubauen.

Tab. 3 Warum wird 112 gerufen?

Probleme des sozialen Umfelds beantworten teilweise die Frage, warum der Rettungsdienst gerufen wird. Das Fehlen oder das Versagen sozialer Strukturen sind ein typischer Hintergrund, sich an den Rettungsdienst zu wenden. Er ist der verlässlichste Garant für Hilfe. Suche nach anderen Hilfemöglichkeiten ist oft schwierig, scheitert an Verständigungsproblemen oder wird als nicht schnell genug empfunden. Der Rettungsdienst ist hingegen schnell, praktisch unbegrenzt verfügbar und es besteht im Gegensatz zum Notruf an die Polizei weniger Angst vor rechtlichen Konsequenzen (z. B. bei Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung oder Konsum illegaler Drogen).

In welchem Umfang sich die Sozialstrukturen auf das Notrufverhalten der Bevölkerung auswirken, wurde vor einigen Jahren in einer Studie in Berlin mit Hilfe einer Sozialstrukturanalyse gezeigt [3]. Der Berliner Sozialindex beruht auf 25 Variablen, die Bildung, Einkommensverhältnisse und weitere für die Sozialstruktur wichtige Elemente erfassen [2]. Dieser Index ist eine dimensionslose Zahl, die von ca. + 2 (günstiger Index) bis ca. −3 (ungünstiger Index) reicht. Der Berliner Durchschnitt entspricht der Zahl 0. In einem Atlas (Abb. 1) werden 298 sog. Verkehrszellen mit mehr als 1000 Einwohnern mit ihrem Sozialindex abgebildet. Unter vielen Besonderheiten verläuft u. a. die Lebenserwartung entlang dieses Indexes: bei + 2 ist sie besonders hoch, bei −3 besonders niedrig.

Abb. 1
figure 1

Sozialstruktur Berlin (1  = sehr gut; 7  = sehr schlecht; 0  = wenig besiedelt). Weitere Erläuterungen im Text

Interessant ist die Tatsache, dass Notrufe an die Feuerwehr (bereinigt um die Einwohnerzahl und altersstandardisiert) in Wohnzellen mit ungünstigem Sozialindex wesentlich häufiger getätigt werden als in Bereichen mit günstigem Sozialindex (Abb. 2). Die Annahme, dass die Alarme jeweils ein identisches Einsatzspektrum widerspiegeln, ist jedoch falsch. Es konnte z. B. am Beispiel der Notarztalarme bei Verdacht auf Herzinfarkt nachgewiesen werden, dass das Rettungssystem in den Bereichen mit günstigem Sozialindex wesentlich gezielter bei dieser Indikation eingesetzt wird als bei ungünstigem Sozialindex, wo Notrufe häufiger aus wenig gezielter Indikation heraus erfolgen [3]. Die Vermeidung nicht notwendiger Notrufe setzt also zahlreiche Bedingungen voraus, die nicht überall in der Bevölkerung gegeben sind (Tab. 4). Von besonderer Bedeutung ist der einfache Zugang zum System. Für viele Menschen am untersten Ende der Sozialleiter ist das Hilfeersuchen an den Rettungsdienst oft der einzige Weg zu medizinischer und sozialer Hilfe – er bildet den letzten Anker.

Abb. 2
figure 2

Häufigkeit von Einsätzen des Rettungsdienstes (1  = wenig; 5  = viel; 0  = nicht ausgewertet. Daten in Einsätzen/100.000 Einwohner, altersstandardisiert. Weitere Erläuterungen im Text

Tab. 4 Beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren

Realistische Möglichkeiten zur Vermeidung unnötiger Notrufe

Die Rettungsleitstelle kann in Grenzen als „Torhüter“ fungieren. Durch gesetzliche Regelungen ist der Rettungsdienst zur Hilfeleistung bei Notfällen verpflichtet. Er wird in Deutschland als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge angesehen. In den seltenen Fällen kann die Leitstelle jedoch das Entsenden von Rettungsmitteln ablehnen. Die Mitarbeiter stehen jedoch unter dem Druck möglicher Fehlentscheidungen mit potenziellen juristischen Konsequenzen. Infolge dessen neigen sie dazu, nicht nur grundsätzlich Rettungsmittel zu alarmieren, sondern auch höher qualifizierte Mannschaften einzusetzen. Diese Tendenz wiederum erleichtert möglicherweise den Missbrauch. Der einzige Ausweg ist es, Leitstellenmitarbeitern mit Hilfe strukturierter Abfrageprotokolle Rechtssicherheit zu geben und kontrolliert Rettungsmittel abgestuft nach Gefährdung und Dringlichkeit einzusetzen. Damit ist es auch möglich, Einsätze an andere Dienste, z. B. den Kassenärztlichen Notdienst, abzugeben. In Berlin gelingt es, mit Einführung eines strukturierten Abfrageprotokolls („SNAP“) und dem Schaffen einer gesicherten technischen Verbindung täglich bis zu 30 Einsätze an den ärztlichen Bereitschaftsdienst abzugeben, die bisher mit einem RTW beschickt werden mussten.

Die Sicht des Patienten, der Angehörigen oder Augenzeugen eines Notfalls birgt ebenfalls Zielkonflikte bei der Überlegung, unsinnige Notrufe zu vermeiden. Jeder Anrufer ist überzeugt, dass ein unmittelbarer Anspruch auf Hilfe besteht, die Hilfe jederzeit sofort an jedem Ort ohne jede Einschränkung zu erbringen ist. Dem gegenüber steht die Auffassung der Kostenträger. Die Durchführenden des Rettungsdienstes werden mittlerweile von Krankenkassen massiv unter Druck gesetzt, indem versucht wird, eine Ex-post-Betrachtung einzufordern und retrospektiv einen „Notfall“ zu negieren. Es werden Einsätze, die sich nachträglich als Bagatellfälle darstellen, einfach nicht bezahlt. Ein weiterer Versuch der Kostenträger, Druck auszuüben, besteht darin, feste Budgets unabhängig von Zahl und Schwere der Einsätze festzulegen. Bei stark steigenden Einsatzzahlen resultiert eine versteckte Rationierung im Gesundheitswesen.

Begrenzungen von Einsätzen sind grundsätzlich problematisch

Begrenzungen von Einsätzen sind also grundsätzlich erst dem Notruf nachgeschaltet möglich, schwierig zu erreichen und methodisch fragwürdig. Umso schwieriger dürfte es sein vom „normalen Bürger“ die sichere Entscheidung darüber zu verlangen, ob ein Notruf unterlassen werden sollte. Er verfügt nicht über die notwendigen Entscheidungsvoraussetzungen. Nicht nur aus ethischer Sicht ist die Idee daher auch mehr als fragwürdig, über eine Kostenbeteiligung des Anrufers oder des Patienten eine „Steuerung“, d. h. Reduzierung von Rettungseinsätzen zu erreichen. Ebenso gefährlich erscheint es, die gesundheitspolitische Diskussion auf die Straße zu verlagern und vom Notarzt oder gar Rettungsassistenten einzufordern, mit dem Patienten eine Debatte über den Sinn und Unsinn des Notrufs und die Kostenkonsequenzen zu führen. Der Patient wird es in seiner subjektiven als Notfall empfundenen Situation nicht verstehen.

Der Hausarzt als „Goal Keeper“

Als besonders problematisch und oft vermeidbar erweisen sich die stark zunehmenden Einsätze in Alten- und Pflegeheimen sowie der Hauskrankenpflege. In einer Auswertung von 275 konsekutiven Rettungseinsätzen mit Notarztbeteiligung in Berlin [1] hatte das Pflegepersonal in 89% der Fälle keine klaren Notfallanweisungen, in 3% sogar die prinzipielle Vorgabe immer den Rettungsdienst zu rufen.

Nur selten wurde versucht, den behandelnden Hausarzt zu kontaktieren

Nur in einem Viertel der Fälle hatte das diensthabende Pflegepersonal überhaupt versucht, den behandelnden Hausarzt zu kontaktieren, wobei jeweils zu einem Drittel der Hausarzt nicht erreichbar war, pauschal den Notruf anordnete („Sagen Sie immer heftiger Brustschmerz, sonst kommen die ohne Arzt“) oder Anweisungen gab, die aus Sicht der Pflegenden das Problem nicht lösten. Während bei immerhin 90% der Patienten aktuelle Arzneiverordnungen greifbar waren, waren bei nur 52% der häufig multimorbiden dementen und bettlägerigen Patienten eine Krankengeschichte oder Arztbriefe verfügbar, die dem Notarzt wichtige Hinweise gaben. Nur bei 18% der meist als schwer pflegebedürftig eingestuft Patienten, fanden sich „DNAR“-Anordnungen („Do not attempt resuscitation orders“) oder Patientenverfügungen.

Bei der Mehrzahl der Betroffenen waren einfache Maßnahmen wie Absaugung, Sauerstoffgabe oder Flüssigkeitszufuhr ausreichend. Bei 23 Patienten war bei Eintreffen des Notarztes der Tod bereits eingetreten oder der Sterbeprozess weit fortgeschritten, sodass keine Maßnahmen mehr ergriffen wurden. Todesfeststellungen durch den Notarzt waren besonders häufig im Rahmen der Hauskrankenpflege einschließlich zahlreicher Notarztalarme auch in Heimen zu Verstorbenen mit sicheren Todeszeichen, bei denen ersteintreffende RTW-Besatzungen den Notarzt per Funk abbestellten. Zeitdruck veranlasst die Pflegekräfte in der Hauspflege anscheinend, die Wartezeit auf einen Arzt zur Todesfeststellung einfach an den Rettungsdienst zu delegieren. Zweifellos liegt hier eine überflüssige, wenn nicht sogar missbräuchliche Alarmierung des Rettungsdienstes vor.

Problematisch sind auch Fälle bei chronisch oft unheilbar kranken Patienten, die von Familienangehörigen versorgt werden. Mehr noch als in den professionell geführten Heimen und in der Hauskrankenpflege ist hier Hilflosigkeit und mangelnde Vorbereitung auf zu erwartende Situationen Auslöser eines eigentlich vermeidbaren Notrufs. Erst im notärztlichen Gespräch mit den Angehörigen stellt sich oft heraus, dass der Patient eine weitergehende Behandlung insbesondere die Aufnahme in ein Krankenhaus nicht (mehr) wünscht. Besonders für unerfahrene Notärzte ist dann die Entscheidung schwierig, einen Patienten in seiner gewohnten Umgebung zu belassen. Es ist viel leichter, „sicher zu gehen“ und den Patienten wohlmöglich entgegen seinem eigentlichen Wunsch in die Klinik zu bringen mit u. U. deprimierenden Ergebnissen [2].

Es liegt hier offensichtlich eine ärztliche Verantwortung vor. Der Hausarzt kennt den Patienten, seine Krankheit und seine Wünsche am besten. Er sollte versuchen, besonders mit seinen hochbetagten und möglicherweise chronisch oder unheilbar kranken Patienten über die Grenzen der medizinischen Möglichkeiten und auch vom Patienten selbst möglicherweise nicht mehr gewünschten Therapie zu sprechen [5]. So können unnötige Anrufe beim Rettungsdienst vermieden werden, aber es kann auch darüber informiert werden, wann der Rettungsdienst unbedingt und sofort zu rufen ist. Die Angehörigen und Pflegenden müssen aktiv eingebunden werden. Sie müssen vom behandelnden Arzt erfahren, welche einfachen Maßnahmen in zu erwartenden Notfällen zur Problemlösung ergriffen werden können. Dies sollte speziell in Pflegeheimen und in der Hauspflege möglich sein, da hierfür sowohl Geräte wie auch potenziell ausgebildetes Personal vorgehalten wird. Grundsätzlich muss das Pflegepersonal in der Hauskrankenpflege und im Pflegeheim zumindest soweit ausgebildet sein, grundlegende einfache Hilfsmaßnahmen wie z. B. Absaugen eines verschleimten Patienten selbst durchzuführen. Oft fehlt es allerdings schon am Wissen über das Vorgehen in einfachsten Situationen und sogar selbstverständliche organisatorische Grundvoraussetzungen wie z. B. Verfügbarkeit von Krankenunterlagen sind nicht erfüllt.

Pflegeheime, in denen viele verschiedene niedergelassene Ärzte Patienten betreuen, haben spezifische Probleme. Regelmäßige Visiten in Wochen- oder Monatsabständen bei den schwerkranken Patienten sind oft nicht ausreichend. Dringende Krankenbesuche sind während der Sprechstunde schwer zu realisieren und bei Praxisabwesenheit unmöglich. Es ist längst in guten Modellprojekten bewiesen, dass es in Anbetracht des zunehmenden Bedarfs der Versorgung einer sich rasch vergrößernden Zahl von Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen sinnvoll ist, spezielle eigene ärztliche Dienste einzurichten. Diese können die bestehenden Lücken füllen und verhindern u. a. sinnlose Krankenhauseinweisungen ([2]; s. Infobox, 1).

Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen aufklärende Gespräche mit Patienten, Angehörigen und Pflegenden durch den Arzt, wenn erkennbar wird, dass der Sterbeprozess in naher Zukunft zu erwarten ist. Dies Gespräch muss sowohl einschließen, was in einer solchen Situation zu tun ist als auch das, was unter Berücksichtigung der Patientenwünsche nicht getan werden sollte. Oft wird es notwendig sein, das Spannungsfeld aus sich u. U. widersprechenden Ansprüchen an die Autonomie des Patienten, der Angehörigen und Pflegenden und des behandelnden Arztes offen anzusprechen. Die Angehörigen neigen verständlicherweise dazu, maximale Ansprüche zu stellen und sich keine Gedanken über die Begrenztheit der Möglichkeiten und der Ressourcen zu machen.

Fazit für die Praxis

  1. 1.

    Es gibt keine einfache Regel dafür, wann „112“ nicht gerufen werden sollte.

  2. 2.

    Der freie Zugang zum Notruf ist notwendig, da er oft der letzte und manchmal einzige Hilfeanker für diejenigen ist, die in einer medizinischen oder auch emotionalen oder sozialen Notlage sind oder zumindest glauben, es zu sein.

  3. 3.

    Rettungsdienste, Kostenträger und nicht zuletzt die Gesellschaft haben das Recht, den unnützen Gebrauch der Notrufnummer 112 zu verhindern, um das System vor Überlastung zu schonen, Kosten zu dämpfen und den Patienten vor unsinnigen Maßnahmen zu schützen.

  4. 4.

    Ein Weg, unnötige Notrufe zu vermeiden, ist für behandelnde Ärzte, wenn immer möglich, mit dem Patienten, den Angehörigen und Pflegenden zu besprechen, was im Notfall und insbesondere für Patienten mit nahendem Tod getan werden kann.

  5. 5.

    Grundsätzlich dürfen eigene Aufgaben von Pflegenden nicht aus Zeit- und Kostendruck an den Rettungsdienst delegiert werden. Hier sind Aufsichtsbehörden gefragt.

  6. 6.

    Es ist notwendig, die Zielkonflikte, die sich aus den individuellen Autonomieansprüchen des Patienten, der Angehörigen, der Pflegenden, der Kostenträger und des behandelnden Arztes anzusprechen, da alle Beteiligten erkennen müssen, dass keiner der Ansprüche unbegrenzt durchgesetzt werden kann.