Das Polytrauma stellt weltweit die häufigste Todesursache in der Altersgruppe von 5 bis 44 Jahren dar mit gravierenden sozialen und ökonomischen Folgen für die Gesellschaft [1, 2]. In bis zu 50% ist die Frühsterblichkeit bei diesen traumatisierten Patienten auf eine massive Blutung mit Ausbildung eines Schocks und nachfolgendem Multiorganversagen zurückzuführen [1, 2].

Die komplexe Pathophysiologie des hämorrhagischen Schocks und mögliche neue Therapieansätze sind in Abb. 1 zusammengefasst. Generell kommt es während eines großen Blutverlustes zu einem Missverhältnis zwischen dem systemischen Sauerstofftransport (DO2) und der systemischen Sauerstoffaufnahme (VO2) [3, 4]. Hämodynamische Instabilität, Gerinnungsversagen und eine geringere Sauerstofftransportkapazität führen zu einem Abfall der Gewebedurchblutung mit zellulärer Hypoxie [1]. Diese Veränderungen sind die Hauptursache für die Entwicklung einer systemischen Entzündungsreaktion mit nachfolgender Funktionseinschränkung von lebenswichtigen Organen. Diese stellt einen der Hauptgründe für die hohe Letalität dieser Patienten dar [5]. Monozyten/Makrophagen werden durch transloziertes Endotoxin aus dem Darmtrakt und durch das Ischämie-Reperfusions-Ereignis aktiviert und tragen so entscheidend zur Hyperinflammation und Freisetzung von Sauerstoffradikalen und Stickstoffmonoxid (NO) bei [1]. Neuere Untersuchungen konnten ferner beobachten, dass die biologischen Voraussetzungen des einzelnen Individuums, wie z. B. Alter und Geschlecht, eine wichtige Rolle spielen bei der pathophysiologischen Antwort des Organismus auf großen Blutverlust und bedeutenden Einfluss haben auf das Ansprechen spezifischer Therapien.

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung der pathophysiologischen Veränderungen und der neuen therapeutischen Ansätze im hämorrhagischen Schock. MOV Multiorganversagen; NO Stickstoffmonoxid; DIC Disseminierte Intravasale Koagulopathie; DHEA Dihydroepiandrosteron; HMGB1 High-Mobility-Group-Protein-1

Die chirurgische Kontrolle der Blutung, allein oder zusammen mit der interventionellen Radiologie, der Erhalt der Sauerstoffversorgung der Gewebe mit Gabe von Volumenersatzlösungen und – bei entsprechender Indikation – von Blutprodukten, die Therapie der gestörten Gerinnungsfunktion und der Erhalt/die Wiederherstellung einer normalen Körpertemperatur sind die wichtigen Eckpfeiler in der Therapie des hämorrhagischen Schock, um so frühzeitig die pathophysiologischen Abläufe positiv zu beeinflussen [6, 7, 8]. Die vorherrschende therapeutische Strategie in den Vereinigten Staaten und Europa ist die Volumentherapie mit Gabe von großen Mengen an Infusionslösungen und Blutprodukten, um die Gewebeperfusion zu erhalten [6, 7, 8].

Dieser etablierte Therapieansatz muss jedoch vor dem Hintergrund evidenzbasierter Ergebnisse überdacht werden. Während die zeitgerechte operative Intervention nach Klinikaufnahme („damage control surgery“) mittlerweile vielerorts ein etabliertes Vorgehen darstellt und obwohl die Prävention schwerwiegender Verletzungen die wichtigste Maßnahme für die Zukunft darstellen wird, müssen die bestehenden therapeutischen Strategien kritisch hinterfragt werden: Es erscheint dringend notwendig, dass ein Transfer von experimentellen Ergebnissen in randomisierte, klinische Studien und anschließend auf der Grundlage evidenzbasierten Vorgehens die Umsetzung in die klinische Praxis erfolgen.

Biologische Voraussetzungen des Individuums

Eine Vielzahl von Untersuchungen hat in den letzten Jahren gezeigt, dass biologische Eigenschaften des Individuums, wie der genetische Hintergrund, das Geschlecht und das Alter einen wichtigen Einfluss auf die pathophysiologischen Veränderungen nach Trauma und Blutungsschock haben [3]. Obwohl Geschlechtsunterschiede in der Anfälligkeit für Infektionen und in der Ausprägung von septischen Krankheitsbildern in klinischen und epidemiologischen Studien dargestellt wurden [3, 9], ist nur wenig bekannt über den Einfluss von Geschlecht und Alter auf die Veränderungen nach Trauma und großem Blutverlust. Experimentelle Studien konnten jedoch zeigen, dass hohe Östrogen- und/oder Prolaktinspiegel in weiblichen Versuchstieren mit einer verbesserten Immunantwort nach Trauma und Blutungsschock assoziiert sind, während männliche Tiere unter diesen Bedingungen eine Immunsuppression entwickelten [3, 9, 10].

Biologische Eigenschaften des Traumapatienten beeinflussen die Pathophysiologie

Auch konnte kürzlich in einer prospektiven Studie mit mehr als 4000 Traumapatienten bei prämenopausalen Frauen eine, verglichen mit Männern, bessere Toleranz gegenüber einem Schockereignis beobachtet werden [4]. Für das Steroidhormon Dehydroepiandrosteron (DHEA) konnte in experimentellen und klinischen Studien ein protektiver Effekt auf die Immunantwort nach Trauma und Blutverlust nachgewiesen werden [11, 12]. Da das physiologische Hormon DHEA beim Menschen ohne größere Nebenwirkungen eingesetzt werden kann, ergäbe sich daraus eine mögliche Strategie zur Immunprotektion bei Mehrfachverletzungen [1, 4]. Neben dem Geschlecht spielt auch das Alter eine wichtige Rolle in der Beeinflussung des Immunsystems, wie kürzlich in experimentellen Studien dargestellt werden konnte [13, 14]. Hier zeigte sich, dass die geschlechtsspezifischen Veränderungen des Immunsystems auch von Alter und Entwicklungsstand des Immunsystems abhängig sind.

Des Weiteren erlaubt der rasante Fortschritt in der molekulargenetischen Diagnostik heute, genetische Unterschiede in der Entzündungsreaktion des Immunsystems nach Trauma herauszuarbeiten. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Expression und Sekretion von Entzündungsmediatoren interindividuell unterschiedlich sind und somit auch die Ausprägung der pathophysiologischen Veränderungen nach Trauma und Blutungsschock durch genetisch bestimmte Faktoren beeinflusst wird [15]. Für das Genom von Mitrochondrien und für einige Entzündungsmediatoren konnte bereits ein genetischer Polymorphismus nachgewiesen werden, wie z. B. für mitochondriale tDNA, Interleukin(IL)-6 oder IL-10, welche mit einer überschießenden Immunantwort oder ernsten Organschäden nach schwerem Trauma assoziiert sind [15, 16, 17].

Expression und Sekretion von Entzündungsmediatoren unterscheiden sich interindividuell

Neben den therapeutischen Möglichkeiten, die sich aus den oben dargestellten Forschungsergebnissen ableiten lassen, könnten interindividuelle Unterschiede auf dem Boden des Geschlechts, der Sexualhormonspiegel sowie genetischer Determinanten für das Scheitern einer Reihe von klinischen Therapiestudien verantwortlich sein. Insbesondere die Bestimmung genetischer Faktoren könnte als Grundlage für eine patientenspezifische Therapie herangezogen werden [18].

Monitoring im hämorrhagischen Schock

Im traditionellen Monitoring von Patienten mit hämorrhagischem Schock repräsentieren

  • Herzfrequenz,

  • Blutdruck,

  • Urinproduktion,

  • Kapillardurchblutung und

  • neurologischer Status

wichtige Parameter, um die Stabilität des Herz-Kreislauf-Systems aufzuzeigen [6, 7, 8].

Die arterielle Blutgasuntersuchung mit Bestimmung des Serumlaktat und des Base Excess gibt einen wichtigen Hinweis auf die Schwere und Ausprägung des Schocks; regelmäßige engmaschige Kontrollen des Serumhämoglobinwertes erlauben eine Abschätzung des aktuellen Stands der Blutung [6, 7, 8]. Zusätzliches Monitoring des Patienten beinhaltet den zentralen Venendruck (über einen zentralvenösen Zugang) und die periphere Sauerstoffsättigung mittels Pulsoxymetrie. Das therapeutische Ziel ist der Erhalt oder das Wiedererlangen einer normalen Herzfrequenz, eines normalen Blutdrucks mit quantitativ ausreichender Urinproduktion, sowie einen zentralvenösen Druck in einem physiologischen Bereich [19]. Es ist bis zum heutigen Tag jedoch immer noch unklar und es wird weiter intensiv diskutiert, wie spezifisch diese Messwerte im klinischen Alltag sind und welche Zielwerte angestrebt werden sollten.

Eine aggressive Wiederherstellung der Vitalparameter führt zur Flüssigkeitsüberladung und Förderung des Circulus vitiosus des Schockgeschehens.

Deshalb stellt hier die hypotensive Flüssigkeitstherapie mit Erreichen von ausreichenden subnormalen Blutdruckwerten (permissive Hypotension) eine neue Strategie dar, um die Nebenwirkungen der traditionellen Flüssigkeitstherapie zu vermindern [20, 21].

Im aktuell üblichen Monitoring werden vor allem indirekte Messmethoden angewendet, so zur Bestimmung der zellulären Sauerstoffversorgung über systemische Werte (Laktat, Base Excess) oder über lokale Messverfahren (gastrale Tonometrie, Mikrodialyse) [1]. Neuere erfolgversprechende Verfahren zur Messung der Gewebedurchblutung sind:

  • Bestimmung der partiellen kutanen oder transkutanen Sauerstoffsättigung und der muskulären Sauerstoffsättigung,

  • gastrale Tonometrie,

  • fiberoptische Bestimmung des pH-Wertes im Magen,

  • Infrarotspektroskopie oder

  • minimalinvasives Monitoring des pH-Wertes und der Kohlendioxidsättigung in der Blase [1, 22, 23].

Diese neuen Technologien sind allerdings teilweise sehr komplex in der Handhabung und die Interpretation der Messwerte schwierig. Eine kontinuierliche Messung des pH-Wertes, der Sauerstoff- und Kohlendioxidsättigung im Skelettmuskel oder der Subkutis als Surrogatmarker des beeinträchtigten Gewebemetabolismus ist jedoch in Abhängigkeit von der Phase des Schockgeschehens und der Flüssigkeitstherapie großen Schwankungen unterworfen [24]. Neuere Messmethoden wie die Bioimpendanztechnologien zum Monitoring des kardialen Schlagvolumens konnten in Pilotstudien bereits erfolgreich zur Steuerung der Flüssigkeitstherapie bei traumatisierten Patienten eingesetzt werden. Auch die Bestimmung der Kohlendioxidsättigung der Wange oder der Einsatz von hochintensivem fokussiertem Ultraschall („high intensity focused ultrasound“, HIFU) repräsentieren neue Errungenschaften im Monitoring des Kreislaufversagens im Schock, welche einfach und verlässlich in der Handhabung sind [1, 25, 26].

Der Status und die Funktion des Immunsystems werden allerdings mit den üblichen Methoden nur unzureichend erfasst. Nachdem das Wissen über die Wichtigkeit der pathophysiologischen Veränderungen des Immunsystems während eines Blutungsschocks stetig zunimmt, wird in Zukunft neben hämodynamischen Parametern mehr und mehr die Bestimmung von zirkulierenden Mediatoren und Immunzellfunktionen in den Vordergrund rücken. Es konnte gezeigt werden, dass die Höhe der gemessenen zirkulierenden Zytokine, wie Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-α, Interleukin(IL)-1 oder IL-6 mit der Prognose von Traumapatienten im hämorrhagischen Schock korrelieren [27]. Diese zirkulierenden Parameter können heute schon routinemäßig in vielen Institutionen im Serum bestimmt werden. Allerdings liegen die Messergebnisse erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung vor und gehören selbst in großen Traumazentren (noch) nicht zu den Routinelaborparametern.

Die Höhe der gemessenen zirkulierenden Zytokine korreliert mit der Prognose

Der wachsende Fortschritt in der Biotechnologie und Molekularbiologie ermöglicht es heute, auch Oberflächenmarker auf Zellen (z. B. HLA-DR), die Expression von Zytokinen auf zellulärer Ebene (intrazelluläre Zytokinbestimmung, Sekretions-Assay) und die Genexpression von Zytokinen mit Mikroarray-Technologie (Genchips) zu bestimmen [28]. Diese werden wahrscheinlich in naher Zukunft dem Kliniker bei der Überwachung und der Therapie des hämorrhagischen Schocks helfen. Ferner wird mit der genaueren Bestimmung des Immunsystemstatus auch eine bessere Abschätzung der Art und Dosis potentieller immuntherapeutischer Ansätze möglich sein, nachdem experimentelle und klinische Studien mit der Verabreichung von Zytokinantikörpern oder antientzündlichen Mediatoren (z. B. Granulozytenkolonie-stimulierender Faktor, G-CSF) in den letzten Jahren keine wesentliche Verbesserung der Prognose dieser Patienten erbracht haben.

Volumentherapie

Neben der Frage der Menge besteht eine intensive Diskussion über Art und Zusammensetzung einer optimalen Infusionslösung. Ringerlaktatlösung (RL) und isotone Kochsalzlösung (KL) stellen hierbei heute noch immer die meist gebräuchlichen Infusionslösungen dar [6, 7, 8]. Im Allgemeinen wird die Gabe von RL gegenüber KL im hämorrhagischen Schock bevorzugt, und zwar aufgrund der besseren Pufferung der metabolischen Azidose. Der Stellenwert dieses Effektes konnte jedoch bis heute in klinischen Studien nicht bewiesen werden. Experimentelle Untersuchungen beobachteten demgegenüber, dass bei Gabe von KL im Blutungsschock größere Mengen notwendig sind und sich zusätzliche physiologische Veränderungen zeigen (hyperchlorämische Azidose, Verdünnungskoagulopathie), welche mit einer höheren Letalität im Vergleich zu RL assoziiert sein könnten [29]. Gleichzeitig findet sich für die alleinige Gabe von RL im hämorrhagischen Schock eine verstärkte Schädigung und Funktionseinschränkung des Gefäßendothels [30]. In den letzten Jahren wurde eine Reihe alternativer kristalloider Infusionslösungen entwickelt, welche potentiell antientzündliche Eigenschaften aufweisen (z. B. Ringer-Ethyl-Pyruvat). Hierzu sind prospektive Studien erforderlich, nachdem trotz aussichtsreicher erster Ergebnisse eine aktuelle experimentelle Studie keine wesentliche Verbesserung der Hämodynamik und des Gewebemetabolismus im Gegensatz zur alleinigen Gabe von RL im hämorrhagischen Schock aufzeigte [31, 32].

Es besteht eine intensive Diskussion über die optimale Infusionslösung

Bereits in den 1970er Jahren wurden die ersten Studien zum Einsatz halbsynthetischer kolloider Lösungen als Plasmaexpander (Gelatine, Dextran, Hydroxyethylstärke) bei traumatisierten Patienten durchgeführt, nachdem der exzessive Einsatz von kristalloiden Lösungen als Ursache für das akute Lungenversagen – die sog. Schocklunge – gesehen wurde [1, 33, 34]. Die Ergebnisse der Studien waren untereinander jedoch aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns und Endpunkte, kleiner, heterogener Patientenpopulationen und der Schwierigkeit einer einheitlichen Definition des Lungenversagens nicht vergleichbar. Beim Einsatz von kolloiden Lösungen bei Patienten mit Blutungsschock sollte jedoch bedacht werden, dass diese einen signifikanten Einfluss auf Hämorheologie, Hämostase und Entzündungsreaktion bei kritisch kranken Patienten haben [35, 36, 37].

Unter physiologischen Bedingungen ist Serumalbumin für 80% des kolloidosmotischen Drucks im Plasma verantwortlich. Eine Vielzahl von Studien wurde deshalb initiiert, um die Effektivität von albuminhaltigen Lösungen in der Therapie des Schocks zu untersuchen. Eine Metaanalyse dieser Studien ergab jedoch – neben möglicher Infektionen (Viren, Prionen) und hoher Kosten – eine signifikant erhöhte Letalität im Vergleich zu kristalloiden Lösungen [38]. Eine aktuelle große klinische Studie in Australien und Neuseeland, in welcher die Gabe von 4%iger Albuminlösung der von isotoner Kochsalzlösung gegenüber gestellt wurde, konnte keinen Unterschied in der Letalität der Intensivpatienten nachweisen [39]. Aussichtsreicher erscheint hier die Verwendung von rekombinantem humanem Serumalbumin, wobei die erhobenen Daten auf eine geringere Gefäßpermeabilität im Vergleich zu nativem Albumin hindeuten [40].

Serumalbumin ist für 80% des kolloidosmotischen Drucks im Plasma verantwortlich

Eine weitere Entwicklung im Bereich der Infusionslösungen stellt die hyperosmolare Kochsalzlösung dar, von der erstmalig in den 1980er Jahren berichtet wurde [1]. Es konnte bei Patienten mit hämorrhagischem Schock gezeigt werden, dass die Gabe von kleinen Mengen hyperosmolarer Kochsalzlösung gleichwertig ist mit der üblicherweise verabreichten Volumenmenge kristalloider Lösungen [1]. Experimentelle Studien beobachteten jedoch eine erhöhte Blutungsneigung. Gute Ergebnisse konnten, wie eine Metaanalyse von Studien an Traumapatienten zeigt, mit einer Kombination von hyperosmolarer Kochsalzlösung und Dextran erzielt werden, insbesondere für die Subgruppe der Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma [41]. Neuere experimentelle Daten aus Schockmodellen weisen klar darauf hin, dass das optimale Verhältnis von hyperosmolarer Kochsalzlösung zu Kolloiden einen wesentlichen Einfluss auf die physiologischen Effekte hat [42, 43]. Ferner konnte der Endorganschaden durch zusätzliche Gabe des immunoreaktiven Phosphodiesterase-Inhibitors Pentoxifyllin vermindert werden [44].

Zusammenfassend gibt es aktuell vielversprechende Infusionslösungen der neueren Generation, welche jedoch erst im klinischen Alltag ihre Verträglichkeit und Wirksamkeit aufzeigen müssen. Hierzu sind kürzlich zwei klinische Studien vorgestellt worden, welche die präklinische Gabe von hyperosmolarer Kochsalzlösung mit und ohne Dextran bei Patienten mit hypovolämem Schock bzw. Schädel-Hirn-Trauma mit den üblicherweise verwendeten kristalloiden Infusionslösungen vergleichen [45].

Transfusion

Die frühe Substitution des verlorenen Blutes mittels blutgruppenkompatibler allogener Transfusion wird bei schwerer Blutung erforderlich und ergänzt die zur Volumentherapie notwendige Menge an kristalloiden und kolloidalen Infusionslösungen. Aufgrund von logistischen Problemen kann dies jedoch nicht routinemäßig als Initialtherapie – d. h. präklinisch oder bei Ankunft im Schockraum – beim hämorrhagischen Schock gewährleistet werden [1]. Es wird deshalb seit vielen Jahren an der Entwicklung neuer künstlicher Sauerstoffträger als Alternative zur Bluttransfusion geforscht [1, 46].

Eine interessante Entwicklung stellen hier die einfach aufgebauten Perfluorokarbone (PFC) dar, welche eine lineare Beziehung zwischen der Sauerstoffaufnahme und dem arteriellen Sauerstoffpartialdruck besitzen [46]. Trotz aussichtsreicher experimenteller und klinischer Ergebnisse wurde jedoch aufgrund neurologischer Nebenwirkungen der Einschluss von Patienten in eine klinische Phase-III-Studie mit Gabe von PFC bei herzchirurgischen Eingriffen vorzeitig beendet. Als überraschende Nebenwirkung von PFC bei chirurgischen Patienten mit großem Blutverlust ergab sich eine erhöhte Inzidenz von postoperativen Darmverschlüssen [47, 48].

Eine weitere vielversprechende Entwicklung stellen die hämoglobinbasierten Sauerstoffträger (HBOC) dar, welche aus humanem oder bovinem Hämoglobin hergestellt werden (Tab. 1). Einen großen Nachteil der verschiedenen HBOC sind ihre gefäßverengenden und blutdrucksteigernden Eigenschaften. Diese Nebenwirkungen sind wahrscheinlich für die erhöhte Rate an Myokardischämien und einer dadurch bedingten höheren Letalität in einer klinischen Studie verantwortlich [49].

Tab. 1 Aufstellung der verschiedenen Entwicklungen der hämoglobinbasierten künstlichen Sauerstoffträger

Vielversprechende experimentelle Ergebnisse konnten für Hämoglobinvesikel (HbV) aufgezeigt werden [50]. Sie bestehen aus Liposomen, welche humanes Hämoglobin beinhalten und haben einen Erhalt der systemischen Oxygenierung im hämorrhagischen Schock zur Folge [50]. Effekte auf das Gefäß- oder Immunsystem wurden für HbV im Tierexperiment nicht beobachtet.

Zusammenfassend besteht derzeitig bei allen entwickelten künstlichen Sauerstoffträgern ein unverhältnismäßig großes Risikoprofil. Aufgrund der Kosten und des Infektionsrisikos von Bluttransfusionen bleibt die Weiterentwicklung von künstlichen Sauerstoffträgern auch in Zukunft von großem sozioökonomischem Interesse.

Vasoaktive Substanzen

Der unkontrollierte hämorrhagische Schock entsteht dann, wenn trotz Flüssigkeitstherapie und Gabe von Vasopressoren (Noradrenalin, Adrenalin) keine Stabilisierung der Herz-Kreislauf-Funktion erreicht werden kann [51]. Es konnte kürzlich in experimentellen Studien gezeigt werden, dass Vasopressin, ein endogenes Stresshormon, den Circulus vitiosus aus Gefäßerweiterung, regionaler Minderperfusion und Sauerstoffminderangebot während des hämorrhagischen Schocks verhindern kann [1]. Über positive Effekte bei Patienten mit einem Blutungsereignis gibt es bis heute nur Einzelbeobachtungen. Aufgrund der experimentellen Ergebnisse wurde kürzlich eine multizentrische Studie über den Einsatz von Vasopressin bei Patienten mit traumatischem Blutungsschock initiiert [52].

Vasopressin kann den Circulus vitiosus im hämorrhagischen Schock unterbrechen

Eine weitere interessante vasoaktive Substanz ist Adrenomedullin (AM). Es hat Eigenschaften eines zirkulierenden Hormons und weist eine Vielzahl von biologischen Eigenschaften auf [53]. In experimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass die Gabe von AM, vor allem in Kombination mit seinem Bindungsprotein (AMBP-1), im hämorrhagischen Schock zu einer verbesserten kardialen, renalen und hepatischen Funktion führt [53]. Der genaue Mechanismus ist bis heute noch unklar, aber die positiven Effekte sind assoziiert mit einer verminderten Expression von Endothelin-1, welches normalerweise unter diesen Bedingungen vermehrt exprimiert wird [54].

Gerinnungstherapie

Großer Blutverlust führt zu einem Gerinnungsversagen, welches durch eine Vielzahl von pathophysiologischen Veränderungen verursacht wird [1]. Neben der Wiederherstellung einer normalen Körperkerntemperatur erfolgt die Gabe von Gerinnungsfaktoren als Vollplasma („fresh frozen plasma“, FFP) und/oder die Gabe von Fibrinogen- oder Prothrombinkomplexkonzentrat (PBSB; letzteres z. B. bei Vorliegen einer Marcumareinnahme), ggf. zusammen mit Antifibrinolytika, wie Tranexamsäure oder ε-Aminocapronsäure [6, 7, 8].

Faktor VIIa (FVIIa) repräsentiert einen wichtigen Baustein in der Gerinnungskaskade und ist seit einigen Jahren als rekombinante Form (rFVIIa) auf dem Markt. Es besitzt eine Zulassung in der Blutungstherapie bei Patienten mit einer Hämophilie oder einer Therapie mit Vitamin K-Antagonisten [55]. Experimentelle Studien konnten eine effektive Blutungskontrolle durch supraphysiologische Dosen von rFVIIa nach Blutverlust aufzeigen [56, 57]. Eine randomisierte klinische Studie konnte einen positiven Effekt nach Gabe von rFVIIa bei Traumapatienten mit Gerinnungsversagen bestätigen [58]. Es erfolgte daraufhin die Aufnahme von rFVIIa in die aktuellen Empfehlungen der Gerinnungstherapie bei hämorrhagischem Schock in den USA und Europa [6, 7, 8].

Supraphysiologische Dosen von rFVIIa fördern eine effektive Blutungskontrolle

Eine aktuelle Übersichtsarbeit äußert sich jedoch kritisch zur Gabe von rFVIIa bei Patienten ohne Hämophilie, da kein Unterschied in der Letalität, dem Blutverlust und der Menge an verabreichten Blutprodukten beobachtet werden konnte [59].

Zukunftsvisionen

Aufgrund des Fortschrittes in der Erforschung der pathophysiologischen Mechanismen und der Identifizierung von neuen Mediatoren im hämorrhagischen Schock konnten in den letzten Jahren eine Vielzahl von neuen therapeutischen Optionen in klinisch relevanten Tiermodellen aufgezeigt werden.

HMGB1 („high-mobility group protein 1“) ist solch ein neuer Mediator mit Eigenschaften, die denen von Zytokinen ähneln [60]. Er wird in der Sepsis und auch im traumatischen Blutungsschock von aktivierten Makrophagen freigesetzt [61]. Experimentelle Studien konnten aufzeigen, dass im hämorrhagischen Schock die Neutralisierung von HMGB1 mit Antikörpern die bakterielle Translokation und die zirkulierenden Plasmaspiegel für IL-6 und IL-10 verringert und gleichzeitig das Überleben verbessert [62].

Ein weiterer Mediator ist das Alpha1-Acid-Glykoprotein (AAG), welches in der Akutphase freigesetzt wird und von dem gezeigt wurde, dass es die Endothelfunktion im Schock erhalten kann [1]. Experimentelle Studien beobachteten nach Gabe von AAG nach Trauma und Blutungsschock eine verminderte Ödembildung, geringere Gefäßpermeabilität und Akkumulierung von neutrophilen Granulozyten am Gefäßendothel [63].

Weitere Signalwege und Mediatoren, welche in Zukunft einen therapeutischen Nutzen im hämorrhagischen Schock darstellen könnten, sind:

  • Blockade von Hydrogensulfid [64],

  • Hemmung von reaktiven Sauerstoffspezies durch Hemigramicidin-Tempo-Konjugat, ein auf die Mitochondrien gerichtetes Antioxidans [65],

  • 5-Aminoisoquinolon, ein Poly-ADP-Ribose-Synthetase (PARP) Blocker [66], sowie

  • die Gabe von Komplement- oder Selektin-Inhibitoren [67, 68].

Aussicht

Die heutigen empfohlenen therapeutischen Strategien im hämorrhagischen Schock sind auf Schadensbegrenzung ausgelegt und beinhalten:

  • permissive Hypotension,

  • Vermeidung und aggressive Therapie der Hypothermie,

  • Ausgleich der Azidose,

  • sofortigen Plasmaersatz (FFP) im Verhältnis 1:1 zu den gegebenen Erythrozytenkonzentraten,

  • frühe Verabreichung von Gerinnungsfaktoren – speziell von rekombinantem Faktor VIIa – sowie von Thrombozytenkonzentraten [69].

Trotz dieser Fortschritte in den letzten Jahren entwickeln viele Patienten weiterhin ein schweres Multiorganversagen, haben einen langen Intensivstation- und Krankenhausaufenthalt und eine hohe Sterblichkeit. Ein wichtiger Faktor hierfür, welcher bis heute nur unzureichend erfasst wird, sind die immunologischen Veränderungen. Weitere wichtige Einflussgrößen sind Alter, Geschlecht, Ernährungsstatus und sozioökonomischer Hintergrund.

Zu den erfolgversprechenden therapeutischen Ansätzen, welche auf dem Weg in die Klinik sind, gehören:

  • hyperosmolare kolloidale Infusionslösungen,

  • künstliche Sauerstoffträger,

  • rekombinanter Faktor VIIa und

  • neue wenig invasive und praktikable Überwachungstechniken.

Neuere experimentelle Ergebnisse konnten weitere aussichtsreiche Therapieoptionen aufzeigen, wie rekombinantes humanes Serumalbumin als Plasmaexpander, oder die Gabe der vasoaktiven Substanzen Vasopressin und Adrenomedullin zur Aufrechterhaltung der Kreislauffunktion und Verbesserung der Gewebeoxygenierung. Große gemeinsame Anstrengungen und der systematische Einschluss von Patienten im hämorrhagischen Schock in prospektive Studien sind erforderlich, um die Umsetzung experimenteller Therapiestrategien in die Klinik zu beschleunigen.

Fazit für die Praxis

Die etablierte Therapie des hämorrhagischen Schocks besteht heute in einer raschen Blutungskontrolle, Volumen- und Gerinnungstherapie sowie dem Vermeiden von Hypothermie. Dabei sollte bedacht werden, dass eine aggressive Wiederherstellung der Vitalparameter trotz anhaltender Blutung zur Flüssigkeitsüberladung, erneuter Blutung und Förderung des Circulus vitiosus des Schockgeschehens führen kann. Zudem hat sich gezeigt, dass biologische Eigenschaften des Individuums, wie der genetische Hintergrund, das Geschlecht und das Alter einen wichtigen Einfluss auf die pathophysiologischen Veränderungen nach Trauma und Blutungsschock haben. Vielversprechende Forschungsansätze lassen darauf hoffen, dass wir in Zukunft die Therapie des hämorrhagischen Schocks wesentlich individueller und damit effizienter gestalten können. Weiterhin könnten zusätzlich erfolgversprechende therapeutische Anwendungen wie künstliche Sauerstoffträger und rekombinante Gerinnungsfaktoren in der Klinik bald regelmäßig zum Einsatz kommen.