Definition, Einteilung und Ursachen der Schockformen

Schock ist definiert als unzureichende Durchblutung vitaler Organsysteme mit nachfolgender Zellhypoxie als Ausdruck eines Missverhältnisses von Sauerstoffangebot (DO2) und Sauerstoffverbrauch (VO2; [13]). Hierbei kann zum einen das Sauerstoffangebot (DO2) zu gering sein oder bei normal hohem DO2 aufgrund einer gestörten Verteilung der Perfusion oder einer gestörten Sauerstoffverwertung der Sauerstoff nicht adäquat utilisiert werden.

Die klassische Einteilung der Schockformen geht auf Hinshaw und Cox [7] zurück und beinhaltet 4 Kategorien (Tab. 1; [9, 21]):

Tab. 1 Formen des Schocks

Hypovolämischer Schock

Beim hypovolämischen Schock kommt es infolge eines absoluten intravasalen Volumenmangels zu einer verminderten kardialen Vorlast mit kritischer Reduktion des Herzzeitvolumens. Die folgenden Unterformen können unterschieden werden:

a):

Der hämorrhagische Schock infolge akuter Blutung ohne wesentliche Gewebeschädigung (z. B. Messerstichverletzung);

b):

Der hypovolämische Schock im engeren Sinne durch Abnahme des zirkulierenden Plasmavolumens ohne akute Blutung (z. B. Exsikose, Dehydratation infolge Diabetes insipidus, Diabetes mellitus);

c):

Der traumatisch-hämorrhagische Schock als Folge einer akuten Blutung in Kombination mit einer ausgedehnten Gewebeschädigung mit Mediatorfreisetzung;

d):

Der traumatisch-hämorrhagische Schock infolge kritischer Reduktion des zirkulierenden Plasmavolumens ohne akute Blutung, aber mit ausgedehnter Gewebeschädigung und Zelluntergang (Verbrennung, Verätzung).

Kardialer Schock

Dieser Schockform liegt ein Pumpversagen des Herzens durch unterschiedliche kardiale und extrakardiale Erkrankungen zugrunde. Primär kardiale Funktionsstörungen, die zum Bild des kardiogenen Schocks führen, lassen sich als myogen, mechanisch und rhythmogen klassifizieren. Eine gewisse Überschneidung ergibt sich zwischen den die Pumpfunktion des Herzens mechanisch beeinträchtigenden Ursachen und den Ursachen des obstruktiven Schocks.

Obstruktiver Schock

Er basiert auf einer Behinderung der Auswurffunktion des Herzens, beispielsweise infolge einer akuten Lungenembolie, auf der Behinderung der diastolischen Füllung durch äußere Kompression bei Perikardtamponade oder bei Vorliegen eines Spannungspneumothorax.

Distributiver Schock

Dem distributiven Schock liegt eine pathologische Umverteilung des intravaskulären Volumens mit Reduktion des Gefäßtonus auf der arteriellen und/oder der venösen Seite des Kreislaufs zugrunde. Typische Beispiele sind der septische, anaphylaktische und seltener der neurogene Schock.

Circulus vitiosus des Schocks

Unbehandelt führt der Schock unabhängig von seiner auslösenden Ursache häufig zum Tod. Gemeinsam ist allen Schockformen, dass Störungen der Makrozirkulation zwangläufig zu Störungen der Mikrozirkulation führen, die bei Persistieren eine weitere Beeinträchtigung der Makrozirkulation nach sich ziehen und so der Entwicklung eines Circulus vitiosus Vorschub leisten. Ursache hierfür ist die Aktivierung körpereigener Kompensationsmechanismen, die zunächst auf eine Stabilisierung der Makrohämodynamik zugunsten überlebenswichtiger Organe wie Herz und Hirn abzielen [13]. Diese ermöglichen ein temporäres Überleben, allerdings auf Kosten der Mikrozirkulation anderer Systeme, deren langfristige Minderperfusion nicht mit dem Leben vereinbar ist. Aufgrund der epidemiologisch großen Bedeutung sollen diese Zusammenhänge am Beispiel des hypovolämischen, hämorrhagischen Schocks mit Blick auf die makrohämodynamischen Determinanten der systemischen Sauerstoffversorgung (Tab. 2) skizziert werden

Tab. 2 Determinanten des Sauerstoffangebots

Die Determinanten des Sauerstoffangebotes an den Organismus sind das Herzzeitvolumen (HZV) und der Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes (CaO2). Das Herzzeitvolumen ist seinerseits durch das Schlagvolumen (SV) und die Herzfrequenz (HF) bestimmt. Die Größe des Schlagvolumens wird durch die Füllung des Ventrikels (Vorlast), die myokardiale Kontraktilität (Inotropie) sowie die Nachlast (vereinfacht der aortale Mitteldruck) beeinflusst. Der arterielle Sauerstoffgehalt wird durch die Konzentration des Hämoglobins, seine Sättigung mit Sauerstoff sowie den Anteil des physikalisch im Blut gelösten Sauerstoffs bestimmt.

In der Situation einer Hypovolämie durch akuten Blutverlust nehmen die enddiastolischen Füllungsdrucke des Herzens und damit die Vorlast ab, sodass das Schlagvolumen und damit das Herzzeitvolumen sinkt (Abb. 1). Bei zunächst konstantem peripherem Widerstand sinkt der arterielle Blutdruck. Verminderte intravasale Füllungs- und Druckverhältnisse im venösen Niederdruck- und arteriellen Hochdrucksystem werden durch Dehnungs- und Baro- sowie Chemorezeptoren im Bereich des rechten Vorhofs, der pulmonalen Strombahn, dem Aortenbogen und dem Karotissinus registriert und führen zu einer sympathikoadrenergen Reaktion, um der Abnahme des Blutdruckes entgegenzuwirken. Anhand der Zeit bis zu ihrer Aktivierung und ihrer Wirkdauer lassen sich kurz-, mittel- und langfristige Kompensationsmechanismen unterscheiden [17].

Abb. 1
figure 1

Circulus vitiosus des hypovolämischen, hämorrhagischen Schocks: Die sympathoadrenerge Reaktion führt zu einer temporären Umverteilung des verminderten HZVs auf vitale Organe. Aufgrund der arteriolären, präkapillären Vasokonstriktion kommt es in den minderperfundierten Organen zur Schädigung der Mikrozirkulation. Infolge Hypoxie, Azidose und Entzündungsreaktionen nimmt die Kapillarpermeabilität zu, und die Filtration von intravasaler Flüssigkeit in das Interstitium wird erheblich verstärkt. Bei weiterer Reduktion der mikrovaskulären Perfusion nehmen der venöse Rückstrom und damit das HZV erneut ab, und es entwickelt sich ein Circulus vitiosus

Kompensationsmechanismen

Kurzfristige Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Makrohämodynamik sind nerval und hormonal vermittelt und innerhalb von Sekunden wirksam [13]. Im Zentrum steht die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin mit Steigerung der Herzfrequenz und der myokardialen Inotropie über β1-Rezeptoren und einer Vasokonstriktion über α1-Rezeptoren. Aus der unterschiedlichen Verteilung der α- und β-Rezeptoren an den Widerstandsgefäßen, insbesondere im Abschnitt der Arteriolen und präkapillären Sphinkteren der verschiedenen Organsysteme, ergibt sich eine Umverteilung des Herzzeitvolumens von der Haut, Muskulatur, Niere und dem Splanchikusgebiet zu den lebenswichtigen Organen Herz und Gehirn. Insgesamt resultiert aus der schnellen Zentralisation eine Umverteilung des Herzzeitvolumens hin zu den in ihrer Sauerstoffversorgung stärker perfusionsabhängigen Organen, die nur wenig über eine Steigerung der Entsättigung die Sauerstoffversorgung sicherstellen können (z. B. Herz).

Mittelfristige Mechanismen setzen innerhalb von Minuten ein und erreichen erst nach Stunden ihr Wirkmaximum. Dazu zählen die transkapilläre Flüssigkeitsfiltration/-reabsorption und die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems. Normalerweise erfolgt die Flüssigkeitsfiltration und -reabsorption in und aus dem Gewebe entlang eines hydrostatischen Druckgradienten bei gegebenem kolloidosmotischen Druck nach dem Frank-Starling-Gesetz. In der frühen Phase des Schocks kommt es durch die Konstriktion der präkapillären Sphinkteren zu einer Abnahme des transkapillaren, in das Interstitium gerichteten hydrostatischen Filtrationsdrucks. Durch das Überwiegen des in das Gefäßlumen gerichteten kolloidosmotischen Gradienten nimmt dann die Reabsorption von Flüssigkeit aus dem Interstitium in den Intravasalraum zu (Abb. 2a). Bei gut bis normal hydriertem Extravasalraum führt dieser Mechanismus so zu einer Autoinfusion mit Erhöhung des venösen Rückstroms mit Verbesserung der myokardialen Vorlast und des Herzzeitvolumens.

Abb. 2
figure 2

Phasenabhängige Veränderungen in der Mikrozirkulation bei Schock. a In der frühen Phase der sympathikoadrenergen Reaktion kommt es durch die Konstriktion arteriolärer Sphinkteren zur Abnahme des transkapillären hydrostatischen Druckgradienten (∆P=Pintravasal–Pinterstitiell). Bei Überwiegen des kolloidosmotischen Druckgradienten (∆π=πintravasal–πinterstitiell) strömt Wasser in die Kapillaren im Sinn einer Autotransfusion. b In der fortgeschritteneren, späten Phase führen die metabolischen Auswirkungen der Gewebeischämie zu Azidose mit Wirkungsverlust körpereigener Katecholamine. Zudem kann die Öffnung ATP sensitiver K+-Kanäle die Plegie arteriolärer Widerstandsgefäße steigern. Mit Dilatation präkapillärer Sphinkteren und gleichzeitiger Obstruktion venulärer Abschnitte (venöse Stauung) überwiegt der hydrostatische Druckgradient den onkontischen Druckgradienten mit der Auswärtsfiltration von Wasser und Protein in das Interstitium. Der Verlust von Flüssigkeit in das Interstitium kann gesteigert werden, wenn der intravasale kolloidosmotische Druck durch Infusion größerer Mengen an Kristalloiden weiter absinkt

Während die kurzfristigen Mechanismen durch Konstriktion venöser Kapazitätsgefäße und arteriolärer Widerstandsgefäße das Gefäßbett lediglich an ein vermindertes intravasales Volumen anpassen, zielen die mittelfristigen und noch ausgeprägter die langfristigen Mechanismen auf eine absolute Steigerung, d. h. Wiederherstellung des zirkulierenden Blutvolumens ab. Neben der Steigerung der Erythropoese ist dazu eine Änderung in der Bilanz zwischen Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung durch eine Verschiebung im Zusammenspiel zwischen der Niere, dem antidiuretischen Hormon (ADH, Vasopressin) und dem Aldosteronsystem erforderlich. Aus dem Hypophysenhinterlappen freigesetztes ADH steigert die Rückresorption freien Wassers im distalen Tubulus der Niere. Die mit Erhöhung des Sympathikotonus bereits einhergehende Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems führt zu einer gesteigerten renalen Rückresorption von Natrium und Wasser unter Sekretion von Kalium und Protonen und zielt auf eine Vermehrung des intravasalen Volumens ab. Zugleich bewirkt ADH eine Vasokonstriktion, und Aldosteron sensibilisiert die glatte Gefäßmuskulatur für konstriktorische Reize [20].

Dekompensation des Schocks durch ischämische Hypoxie

Können die physiologischen Kompensationsmechanismen das Herzzeitvolumen nicht korrigieren, kommt es durch das Absinken des perfusionsabhängigen Sauerstoffangebotes DO2 unter eine kritische Schwelle (DO2krit) zu einer Reduktion auch des Sauerstoffverbrauchs VO2. Der Schock gilt allerdings auch bei einem DO2 <DO2krit noch als kompensiert, wenn die verbliebene aerobe und anaerobe Glykolyse genügend Energie liefert, um ausreichend ATP für den Funktionsstoffwechsel bereitzustellen.

Der Schock dekompensiert, wenn die kombinierte Energiebereitstellung aus aerober und anaerober Glykolyse ungenügend ATP für die Aufrechterhaltung der Zellfunktionen und der Zellstruktur liefert.

Das Resultat sind irreversible Gewebeschäden [6]. Durch die Verarmung der Zelle an ATP werden die Aufrechterhaltung der Membranpermeabilität und damit die H+-, Na+- und Ca2+-Ionen-Homöostase gefährdet. Durch aktive, d. h. ATP-abhängige Transportprozesse versucht die Zelle v. a. überschüssige Natriumionen zu entfernen. Ist in dieser Situation die Aktivität der Na+/K+-ATPase reduziert, verbleibt der passive Austausch von intrazellulärem Natrium gegen extrazellulär vorhandene Kalziumionen über den Na+/Ca2+-Antiporter. Reicht dies nicht aus, um die Zelle vor zu hohen Konzentration an ionisiertem Kalzium im Zytosol zu schützen, steigen die Kalziumionen in den Mitochondrien an. Dies bedingt zusammen mit dem Abbau von ATP und dem damit verbundenen Anstieg an zytosolischen Phosphationen (Pi) eine Öffnung von sog. „permeability transition-“ (PT-)Poren in der mitochondrialen Membran. Durch die Öffnung der PT-Poren kommt es zu einer weiteren Hydrolyse von ATP, dem Verlust der mitochondrialen ATP-Synthese, zur Schwellung der Mitochondrien sowie zum Aufbrechen der äußeren Mitochondrienmembran. Dadurch gelangt Cytochrom C aus den Mitochondrien in das Zytosol und bildet zusammen mit dem „apoptosis-activating-factor-1“, ATP und Procaspase 9 einen Komplex, der Procaspase 3 aktiviert und damit den Prozess der Apoptose (programmierter Zelltod) einleitet. Bei ausgeprägtem ATP-Mangel kann jedoch die ATP-abhängige Aktivierung apoptotischer Signalwege nicht mehr stattfinden, und es kommt zum nekrotischen Zelltod.

Dabei ist die Unterscheidung zwischen Apoptose und Nekrose (Zellzerfall) nicht immer möglich, sodass der Begriff der Nekroapoptose eingeführt wurde [8]. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Mitochondrien als Kraftwerke für die Energieversorgung der Zellen erstaunt es nicht, dass eine Reihe von tierexperimentellen Untersuchungen zeigt, dass das Schockgeschehen nur dann reversibel ist, wenn die Mitochondrien ihre Funktion wieder aufnehmen können. Bleibt die Rückkehr der mitochondrialen Energieproduktion aus, so resultiert der Zelltod [18].

Die aufgezeigten ischämiebedingten subzellulären pathobiochemischen Prozesse haben in der Mikrozirkulation auf anatomisch-funktioneller Ebene erhebliche Konsequenzen und können ihrerseits ein Sauerstoffdefizit durch Beeinträchtigung der Makro- und Mikrozirkulation weiter verstärken. Noch bevor es zu einem völligen Zusammenbruch der mitochondrialen Funktion mit den Konsequenzen einer Nekroapoptose kommt, führt die Abnahme der intrazellulären ATP-Konzentration unter anderem auch zu einer Öffnung von ATP-sensitiven K+-Kanälen mit Hyperpolarisation der Zellmembran glatter Gefäßmuskelzellen. Dadurch werden spannungsabhängige Kalziumkanäle blockiert mit der Folge einer elektromechanischen Entkopplung und einer deletären Vasoplegie [3]. Bemerkenswert ist, dass ADH (Vasopressin) den Vasotonus durch Hemmung von K+ATP-Kanälen aufrechterhalten kann. Eine weitere Folge der ischämiebedingten Hypoxie ist die Freisetzung saurer Metabolite aus dem anaeroben Stoffwechsel mit nachfolgender Azidose, die zu einem Verlust der Wirkung der Katecholamine an den präkapillären Sphinkteren führt [15]. Da zugleich zahlreiche hämorheologische Störungen (z. B. Zunahme der Blutviskosität, Erythrozytenstase, Abnahme der Eryhthrozytenverformbarkeit, Aktivierung von Thrombozyten und Leukozyten mit Aggregatbildung [13]) den kapillarvenösen Abstrom im Bereich der postkapillären Venolen behindern, führt die azidosebedingte Öffnung der präkapillären Sphinkteren zu einer Erhöhung und Umkehr des transkapillären Filtrationsdrucks (Abb. 2b). Bei erhöhter Kapillarpermeabilität erfolgt nun ein gesteigerter transkapillärer Plasmaverlust, insbesondere kleiner Proteinmoleküle wie Albumin, unter Verbleib größerer Moleküle wie Fibrin mit der Konsequenz einer weiteren Erhöhung der Blutviskosität, sodass die Kapillarperfusion schließlich zum Erliegen kommt. Die Folgen sind eine erneute Abnahme des venösen Rückstroms mit verminderten ventrikulären Füllungsdrucken, eine Abnahme des Schlagvolumens und des Herzzeitvolumens (Abb. 1). Bei weiterer Steigerung der sympathikoadrenergen Antwort mit dem Ziel, eine noch ausgeprägtere Reduktion des arteriellen Blutdrucks zu verhindern, werden die Störungen der Mikrozirkulation erheblich aggraviert. Ohne adäquate Therapie mündet das Schockgeschehen in dieser Phase in einen irreversiblen und damit tödlichen Teufelskreislauf ein (Abb. 1).

Amplifikation der primär ischämischen Organschädigung

Reicht die in der Situation der Minderperfusion kompensatorisch gesteigerte anaerobe Glykolyse nicht aus, um die Energiehomöostase aufrechtzuerhalten, so resultiert ein verstärkter Abbau von ATP über ADP zu AMP. Das in der Zelle bei Sauerstoffmangel vermehrt anfallende AMP kann durch die Abnahme der mitochondrialen Aktivität nicht rephosphoryliert werden, sodass es durch die gleichzeitige Zunahme der Aktivität der zytosolischen 5’Endonukleotidase zu Adenosin dephosphoryliert wird (Abb. 3). Das gebildete Adenosin wird seinerseits zu Inosin desaminiert und weiter zu Hypoxanthin und Xanthin abgebaut [19].

Abb. 3
figure 3

Pathobiochemische Initialmechanismen des Ischämiereperfusionsschadens. a Während Ischämie erfolgt der Abbau von Adeninnukleotiden zu Adenosin, Inosin und Hypoxanthin. Zugleich bewirkt der Einstrom von Kalzium in die Zelle die Aktivierung von Proteasen, welche die Xantindehydrogenase in ihre Isoform der Xanthinoxidase umwandeln. In der Reperfusion wird Sauerstoff wieder verfügbar, der – katalysiert durch die Xanthinoxidase – Hypoxanthin zu Xanthin unter Bildung von reagiblen Superoxidanionen oxidiert. Superoxidanionen (O2) können ihrerseits spontan oder katalysiert durch die Superoxiddismutase zu Wasserstoffperoxid (H2O2) umgewandelt werden. In der Anwesenheit von Fe2+ können H2O2 und O2 zu hochreagiblen Hydroxylradikalen (●OH) reagieren und so ein breites Spektrum an humoralen und zellulären Entzündungsreaktionen initiieren. Folge der mit der Reperfusion einhergehenden sekundären Inflammation ist die Exazerbation der primär durch Ischämie bedingten Gewebeschäden (b, sog. Reflow-Paradox). (ATP Adenosintriphosphat, ADP Adenosindiphosphat, AMP Adenosinmonophosphat)

Mit Einleiten therapeutischer Maßnahmen wird durch die Reperfusion Sauerstoff im Gewebe wieder verfügbar, womit die im Rahmen der Ischämie gebildeten Metabolite Hypoxanthin und Xanthin durch die Xanthinoxidase/-reduktase zu Superoxidanionen oxidiert werden. Superoxidanionen stellen dabei das Ausgangsprodukt für die Bildung eines breiten Spektrums an reagiblen Sauerstoffspezies dar, die komplexe inflammatorische Reaktionen auslösen können [4]. Die primär ischämisch-metabolischen Störungen werden so durch sekundäre inflammatorische Reaktionen in der Reperfusionsphase erheblich verstärkt. Obwohl die Reperfusion für das Überleben unabdingbar ist, verstärkt sie den ischämisch gesetzten Schaden durch die nachfolgende Initialisierung der Inflammation (sog. „Reflow-Paradox“, Abb. 3). Zum Reflow-Paradox tragen v. a. Leukozyten infolge ihrer verstärkten Adhäsion an das Endothel insbesondere im Bereich der postkapillären Venolen bei. Ferner sezernieren je nach Organart auch ortsständige Makrophagen Sauerstoffradikale, NO und eine Vielzahl anderer proinflammatorischer Mediatoren [z. B. Zytokine wie TNF-α, Interleukin- (IL-)6, IL-1β, MCP-1, IL-12 oder Chemokine aus der CXC-Gruppe]. Die freigesetzten Zytokine führen zu einer gesteigerten Expression von Adhäsionsmolekülen auf der Oberfläche der Endothelzellen („vascular adhesion molecule 1 – VCAM-1; „intercellular adhesion molecule 1“ – ICAM-1), sowie auf der Oberfläche (β2-Integrine) von polymorphkernigen Leukozyten (PMN). Durch die Interaktion der Adhäsionsmoleküle auf der Oberfläche der PMN und des Endothels kommt es v. a. im Bereich der postkapillären Venolen zu einem „rolling“ der PMN entlang des Endothels, gefolgt von der Adhäsion, der Emigration und schließlich zur Sequestrierung der PMN in das Parenchym der betroffenen Organe.

Freigesetzte Superoxidanionen und Proteasen schädigen Endothel- und Parenchyrmzellen massiv

Die Folge einer Freisetzung zytotoxischer Produkte (reaktive Superoxidanionen, Proteasen) aus den aktivierten und ausgewanderten PMN ist eine massive Schädigung von Endothel- und Parenchymzellen. Infolge gesteigerter vaskulärer Permeabilität („Leakage“) nehmen das interstitielle Ödem und damit der Druck im Gewebe zu. Sie werden begleitet durch eine weitere Abnahme der funktionellen Kapillardichte durch Kompression von außen. Vom Reflow-Paradox zu unterscheiden ist das „No-Reflow-Phänomen“, welches das Ausbleiben der Reperfusion der Kapillaren bezeichnet. Ursächlich liegt eine Verlegung des Kapillarlumens durch Schwellung des Endothels, durch äußere Kompression infolge eines interstitiellen Ödems oder eine direkte Obstruktion bei gesteigerter Blutviskosität zugrunde [14].

Multiple Organdysfunktionen und Organversagen nach Ischämiereperfusion

Die durch das Ischämiereperfusionsgeschehen ausgelöste systemische Entzündungsreaktion kann in Abhängigkeit von der Schwere und der Dauer des Schockzustandes über die moderate bis exzessive Freisetzung von humoralen und zellulären Mediatoren zur Entstehung von Organdysfunktionen bis hin zum Multiorganversagen führen. Selbst nach Beseitigung des Schocks durch adäquate Therapiemaßnahmen kann sich das systemische inflammatorische Antwort-Syndrom (SIRS) verselbstständigen. Besondere Bedeutung hat beispielsweise nach traumatisch-hämorrhagischem Schock die bereits früh einsetzende Translokation von Toxinen und bakteriellen Keimen aus dem Gastrointestinaltrakt [12]. Als prädisponierender Faktor gilt hierfür die hohe Empfindlichkeit der Darmmukosa gegenüber einem Sauerstoffmangel. Aufgrund ihrer hohen metabolischen Aktivität und einem physiologischerweise bestehenden Sauerstoffpartialdruckgradienten mit den geringsten Werten an der Zottenspitze ist die Darmmukosa besonders vulnerabel. Basierend hierauf wird immer wieder die Rolle des Darms als Motor des Multiorganversagens nach Schockzuständen diskutiert [16]. Tritt als Folge der systemischen Entzündungsreaktion (SIRS) eine gegenregulatorisch wirksame, kompensatorische antiinflammatorische Reaktion (CARS) auf, so begünstigt die resultierende Immunsuppression die Entwicklung von infektiösen Komplikationen.

Letztlich bestimmt das Zusammenspiel der Intensität von Inflammation und antiinflammatorischen, immunsuppressiven Mechanismen, ob und wann es zur Entwicklung eines Multiorganversagens kommt. Prinzipiell lässt sich ein frühes, auf der Basis einer überschießenden hyperinflammatorischen Reaktion getriggertes Multiorganversagen von einem späten, durch immunologische Anergie charakterisiertes und deshalb häufig durch nosokomiale Infektionen mitverursachtes Multiorganversagen unterscheiden [10]. Insgesamt ist bei eingetretenem Multiorganversagen die Prognose schlecht.

Schockartspezifische Unterschiede

Prinzipiell spielen sich die oben am Beispiel des hypovolämischen bzw. hämorrhagischen Schocks dargestellten Mechanismen des Ischämiereperfusionsgeschehens in der Mikrozirkulation auch bei anderen Arten des Schocks (Tab. 1) ab. Während beim hypovolämischen, kardialen und obstruktiven Schock die primäre Störung der Makrozirkulation in Form einer initialen Reduktion des Herzzeitvolumens zu nachfolgenden Störungen der Mikrozirkulation führt, ist die Reihenfolge bei den verschiedenen Formen des distributiven Schocks mit primärer Störung der Mikrozirkulation und sekundären Störungen der Makrozirkulation umgekehrt. Beim septischen Schock [1] kommt es durch die Einschwemmung von Mikroorganismen und/oder ihrer Toxine zu einer überschießenden Aktivierung des Immunsystems mit massiver systemischer Inflammation. In diesem Zusammenhang nimmt die Bildung von NO durch die Aktivierung der konstitutiven, aber v. a. auch der durch den Zytokinsturm (IFN-γ, TNF-α) induzierbaren NO-Synthetase (iNOS) eine zentrale Stellung ein. Durch die Generierung großer Mengen an NO kommt es zu einer ausprägten Vasodilatation, und womöglich spielt die Überproduktion von NO bei der Entwicklung einer Vasoplegie eine wichtige Rolle [22]. NO ist aber auch ein Zellgift, das ähnlich der Wirkung von Zyanidionen und Kohlenmonoxid die mitochondriale Atmungskette entkoppeln kann [2]. Die Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung, aber auch die Ausbildung von anatomischen arteriovenösen Shunts erklären die beim septischen Schock häufig zu beobachtende Sauerstoffverwertungsstörung, obwohl das Herzzeitvolumen und das Sauerstoffangebot an die Gewebe oftmals erheblich erhöht sind. Nicht zuletzt deshalb geht der septische Schock mit einer besonderen Form der Gewebehypoxidose, der sog. histotoxischen oder auch zytopathischen Hypoxie, einher [5].

Beim anaphylaktischen Schock ist es die Reaktion von zellständigen antigenspezifischen IgE-Antikörpern, die nach Quervernetzung zur Aktivierung von Mastzellen und basophilen Leukozyten mit der Freisetzung von Histamin, Leukotrienen (SRS-A) und anderen Mediatoren führt. Davon zu unterscheiden sind anaphylaktoide, nicht durch IgE-Antikörper induzierbare Mastzellreaktionen mit ähnlichen Auswirkungen [11].

Fazit für die Praxis

Nicht immer liegen die oben besprochenen Schockarten isoliert vor. Für den Kliniker wichtig zu wissen ist, dass oft Mischformen der genannten Schockarten bei einem Patienten auftreten können. So kann ein kardiochirurgischer Patient mit einer Sepsis eine Kombination aus kardiogenem und distributivem Schock aufweisen. Ein Patient mit Lungenembolie kann infolge eines venösen Rückstaus und Sequestration von Flüssigkeit eine hypovolämische Komponente entwickeln. Letztlich kann der Circulus vitiosus des Schockgeschehens an jeder der in Abb. 4 gezeigten Eintrittsstelle beginnen und im Sinne einer „downward spiral“ zum Tod des Patienten führen. Die Kenntnis der Pathophysiologie der einzelnen Schockformen hat deshalb große Bedeutung für die Diagnostik und für eine erfolgreiche Therapie, die für die einzelnen Schockformen in den nachfolgenden Kapiteln eingehender besprochen werden. Darüber hinaus konzentriert sich die pathophysiologisch orientierte Schockforschung nicht nur auf die Pathogenese von Makro- und- Mikrozirkulationsstörungen, sondern v. a. auch auf zelluläre und subzelluläre Adaptationsmechanismen, die eine bessere Aufrechterhaltung der Zellhomöostase unter akut hypoxischen Bedingungen ermöglichen.

Abb. 4
figure 4

Unterschiedliche Startpunkte verschiedener Schockursachen münden in der „downward spiral“ des Circulus vitiosus „Schock“. Während beim hypovolämischen und kardialen Schock primär Störungen der Makrozirkulation mit nachfolgenden Störungen der Mikrozirkulation vorliegen, ist die Reihenfolge bei den verschiedenen Formen des distributiven Schocks infolge primärer Störung der Mikrozirkulation und sekundären Störungen der Makrozirkulation umgekehrt. Aufgrund der Rückkopplung zwischen Makro- und Mikrozirkulation ergibt sich nicht nur ein Circulus vitiosus, sondern können verschiedene Schockursachen kombiniert vorliegen und sich in ihren Wirkungen addieren