Das „Lazarus-Phänomen“

Unter dem Begriff des „Lazarus-Phänomens“ finden sich in der Literatur Berichte über Wiedereinsetzen von Atmung und Zirkulation, nachdem es zuvor durch notfallmedizinische Maßnahmen nicht gelungen war, einen eingetretenen Herz- und Kreislaufstillstand zu beheben. Zuerst 1982 berichtet [7], existieren inzwischen mehr als zwei Dutzend solcher Schilderungen (zum Stand der Literatur vgl. [9]). Insofern Rettungsmaßnahmen unter der Annahme, der Notfallpatient sei verstorben, abgebrochen wurden, handelt es sich um einen Problemkomplex, der zur Thematik des so genannten Scheintodes gehört. In diesen übergeordneten Bereich gehören Berichte wie zum Beispiel über einen Vorfall, bei dem ein Arzt eine Reanimation vorzeitig abbrach, die dann zumindest mit vorübergehendem Erfolg durch einen Rettungsassistenten weitergeführt werden konnte [4].

Von solchen Fällen heben sich „Lazarus-Phänomene“ durch die Besonderheit ab, dass ohne weitere Intervention Atmung und Kreislauf spontan wiedereinsetzen. Die Bezeichnung ist dabei kein fest definierter Begriff, sondern wird in anderen wissenschaftlichen wie in populär-literarischen Zusammenhängen durchaus für verschiedene Phänomene rund um Sterben und Todeseintritt gebraucht.

Ein Fall aus dem Rettungsdienst mit forensischer Relevanz

Die bislang neueste Veröffentlichung zum Thema aus dem Jahr 2002 und—nach Aussage der Autoren—die offensichtlich erste Dokumentation eines derartigen Falles, der in einer von Rechtsmedizinern durchgeführten Obduktion des Tage später verstorbenen Patienten untersucht werden konnte, stellt der Bericht einer Gruppe japanischer Ärzte um H. Maeda vom Department of Legal Medicine aus Osaka dar [9]. Darauf soll kurz eingegangen werden.

Ein 65 Jahre alter, bewusstlos aufgefundener Mann wurde präklinisch durch Laienhelfer und im Krankenhaus ärztlicherseits erfolglos reanimiert (inklusive Defibrillation und Medikation). 35 Minuten nach Einsetzen der ersten Maßnahmen wurde wegen des unter EKG-Überwachung persistierenden kardiopulmonalen Arrests der Tod bescheinigt. Nur 20 Minuten später stellte ein mit der Untersuchung beauftragter Polizeibeamter in der Leichenhalle der Klinik fest, dass der vermeintlich Verstorbene sich bewegte. Atmung und Herztätigkeit hatten von selbst wieder eingesetzt.

Der Patient verstarb vier Tage später. Weil der Vorwurf der Fahrlässigkeit gegen den erstbehandelnden Arzt erhoben wurde, kam es zu einer gerichtlichen Sektion. Im Ergebnis zeigte sich der vom EKG-Befund und Labor her vermutete Hinterwandmyokardinfarkt infolge kompletten thrombotischen Verschlusses der rechten Koronararterie. Als mögliche Erklärung für das zunächst nur zeitweilige Aussetzen der Herztätigkeit diskutieren die Autoren eine vorübergehende Störung des Reizleitungssystems bis zu einem Moment, an dem die Rückkehr zu einer regulären Herzaktion noch möglich war. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die zeitweilige Asystolie durch eine EKG-Ableitung zweifelsfrei dokumentierbar war.

Auf die Darstellung möglicher zu Grunde liegender Pathomechanismen soll hier nicht eingegangen werden, zumal allem in der Literatur dazu Genannten bislang nur der Stellenwert unbelegter Hypothesen zugestanden werden kann. Erklärungsversuche (zum Überblick vgl. [9]) reichen von einer Art Entembolisierung durch sich wieder lösende thrombotische Verschlüsse der Koronarien bis hin zu wieder suffizient werdenden Perfusionsverhältnissen nach Abbruch der Reanimationsmaßnahmen, während zuvor die Hyperinflation bei künstlicher Beatmung mit PEEP den venösen Rückfluss unterband.

Aktueller Fall eines forensisch relevanten „Lazarus-Phänomens“?

Im Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ereignete sich 2002 ein Zwischenfall im Zusammenhang mit einem Notarzteinsatz. Über diesen singulären Fall hinausreichende Fragestellungen für die Praxis der Todesfeststellung im Rettungsdienst sollen an dieser Stelle diskutiert werden.

Ablauf der Ereignisse am Einsatzort

Eine 83-jährige Frau, die körperlich so rüstig ist, dass sie noch alleine Ausflüge mit öffentlichen Verkehrmitteln in die Innenstadt unternehmen kann, bricht an einem Sommertag mittags an einer Bushaltestelle in Hamburg zusammen. Anwesende Passanten bemerken Bewusstlosigkeit, beginnen Wiederbelebungsmaßnahmen und alarmieren den Rettungsdienst. Schon sechs Minuten später erhebt der Notarzt als Erstbefund:

  • Glasgow-Koma-Scale: 3 Punkte,

  • kein messbarer Blutdruck,

  • keine Atmung,

  • kein Puls.

Als Maßnahmen verzeichnet das Notarzteinsatzprotokoll: Herzdruckmassage, Defibrillation (über zehn Minuten; zuletzt mit 360 Joule), venöser Zugang zur V. jugularis externa rechts, Sauerstoffgabe, Intubation oral und Beatmung, 1 mg Adrenalin i.v., 500 ml Ringer-Laktat als Infusion.

Als Reaktion auf die Defibrillation wird eine elektrische Herzaktivität angegeben, die jeweils nur für Sekunden besteht. Da unter dem EKG-Monitoring angeblich wieder eine (allerdings nicht dokumentierte) Asystolie eintrat, entscheidet der Notarzt schließlich, dass bei suffizienten Ersthelfermaßnahmen die Reanimation primär erfolglos sei. Nach 17 Minuten bricht er seine Maßnahmen ab und stellt den Tod fest.

Weil in Hamburg die Durchführung der öffentlich-rechtlichen Leichenschau nicht dem Arzt des Rettungsdienstes obliegt, sondern durch diensthabende Ärzte des Instituts für Rechtsmedizin vorgenommen wird, füllt der Rettungsarzt die in Hamburg gültige „Vorläufige Bescheinigung des Todes“ aus, um sich danach vom Einsatzort zu entfernen. Die Besatzung des RTW wartet mit dem—vermeintlichen—Leichnam an Bord auf das Eintreffen der Polizei. Anschließend fährt der RTW den ortsüblichen Abläufen gemäß in das Institut für Rechtsmedizin; beim Eintreffen dort sind 33 Minuten seit der Todesfeststellung vergangen. Im Fahrstuhl zur Verstorbenenhalle bemerken die beiden Rettungsassistenten Atembewegungen bei der angeblich Verstorbenen. Sie entdecken nach dem Aufdecken am Hals fragliche Pulsationen, aus dem liegenden Tubus sei ein Atemzug hörbar.

Reanimation in der Verstorbenenhalle

Mit Hilfe der Gerätschaften aus dem RTW setzen sofort Rettungsmaßnahmen durch die RTW-Besatzung und einen Arzt des Instituts für Rechtsmedizin ein. Die noch klebenden Defibrillationselektroden werden an den Defibrillator angeschlossen; der Monitor zeigt eindeutig eine Herzaktion. Der Puls ist inzwischen an Hals und Handgelenk sicher tastbar.

Die alarmierten Notärzte der Anästhesieabteilung des Klinikums treffen sieben Minuten nach Beginn der Rettungsmaßnahmen im Institut für Rechtsmedizin ein und übernehmen die Behandlung. Elf Minuten später wird die Patientin mit einem Blutdruck von 130/80 mmHg transportfertig gemacht und auf eine Intensivstation verbracht. Dort werden folgende Befunde erhoben:

  • AV-Block 3. Grades,

  • Zustand nach Herzhinterwandinfarkt,

  • Kreislauf stabil bei spontaner Atmung,

  • keine Reaktion auf Schmerzreize (tiefes Koma wie bei hypoxischem Hirnschaden).

Am selben Abend werden 6 1/2 Stunden nach dem Rettungsversuch die Kreislaufverhältnisse zunehmend instabiler, schließlich tritt der Tod ein. Die gerichtliche Obduktion ergibt als Todesursache eine ausgeprägte Myokardhypertrophie mit hochgradiger Stenose der Koronararterien und rezidivierendem Hinterwandinfarkt.

Für die Begutachtung des Falles stellt sich vor allem die Frage, ob tatsächlich ein „Lazarus-Phänomen“ (= wirkliche Asystolie) vorlag, wie in dem eingangs geschilderten Fall aus Japan. Andere Aspekte—etwa, ob die Medikation angemessen war—sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Die juristische Bewertung des ärztlichen Verhaltens am Einsatzort gehört ebenso nicht zum Thema.

Diskussion des Falles

Zunächst scheint die Annahme eines „Lazarus-Falls“ naheliegend. Die Patientin gehört zu einer in der Literatur als typisch geltenden Fallgruppe, nämlich älteren Personen über 60 Jahre mit einem akuten Myokardinfarkt bei vorausgegangenen ischämischen Schädigungen (vgl. [9]). Die Abläufe gleichen bis hin zu äußerlichen Details dem beispielhaft geschilderten Fall aus Japan: Es finden sofortige Maßnahmen durch Laienhelfer statt; die ärztlichen Maßnahmen werden abgebrochen, weil nach Einschätzung des Notarzts der kardiopulmonale Arrest nicht behebbar sei; erst in der Verstorbenenhalle wird die von selbst wieder eingesetzte Atmung bemerkt und schließlich kommt es auch in diesem Fall zu einer Ermittlung mit gerichtlicher Obduktion.

Jedoch lässt sich bei dem dargestellten Hamburger Fall das Vorliegen der Asystolie nicht einwandfrei dokumentieren. Der Notarzt behauptet, die Asystolie beobachtet zu haben und hat dies in seinem Notarzteinsatzprotokoll entsprechend festgehalten. Soweit allerdings Ausdrucke des am Einsatzort abgeleiteten EKGs existieren, ist keine Nulllinie vorhanden, sondern es sind Herzaktionen im Sinne von funktionell unwirksamem Kammerflimmern, Vorhoferregung oder teilweise deformierten Kammerkomplexen dokumentiert; auf diese Erscheinungen verweist der Notarzt als Reaktionen auf die durchgeführten Maßnahmen. Die Herzaktionen seien allerdings nicht stabil gewesen und hätten schließlich in einer Asystolie geendet.

Insofern von diesem Ausgang in einer Nulllinie aber keine Aufzeichnung existiert, kann die Asystolie nicht als objektiviert gelten.

Es darf an dieser Stelle allenfalls von einem „fraglichen Lazarus-Phänomen“ gesprochen werden. Unabhängig davon besteht jedoch die Tatsache, dass nach einer zumindest nicht regulären Herzaktion (bei eingetretener Bewusstlosigkeit und instabilem Zustand mit Puls- und Atemlosigkeit!), die sich unter notfallmedizinischen Maßnahmen nicht besserte, spontan wieder eine Herz-Kreislauf-Funktion einsetzte.

Dies war Grund genug, mit den zuständigen Stellen vor Ort in Hamburg kurzfristig zu überlegen, welche Konsequenzen sich aus der Möglichkeit (echter oder auch grenzwertiger) „Lazarus-Phänomene“ für die Richtlinien der Todesfeststellung im Notarztdienst nach Abbruch eines Wiederbelebungsversuchs ergeben.

Todesfeststellung im Rettungsdienst

Das etwa seit den 1970er Jahren breit ausgebaute System von Rettungsärzten fußt auf der Idee, speziell qualifizierte Mediziner im Rettungsdienst bereit zu halten, die nach einem Einsatz als Notarzt baldmöglichst wieder für neue Notfälle zur Verfügung stehen. Die gesetzliche Bestimmung, in der ärztlichen Leichenschau mindestens eines der sicheren Todeszeichen (sofern nicht mit dem Leben unvereinbare Verletzungen vorliegen: Totenflecken, Totenstarre der Muskulatur oder Fäulniserscheinungen) zu dokumentieren (dazu [8, 11]), steht grundsätzlich im Konflikt zu dieser Idee. Ist doch mit dem Eintreten der sicheren Todeszeichen beim Versterben unter der notfallmedizinischen Behandlung zeitlich nicht unmittelbar zu rechnen. Bei einem frustranen Ausgang der Maßnahmen müsste der Notarzt noch längere Zeit (in der Regel etwa eine halbe Stunde) vor Ort verharren, wollte er den Sterbefall angemessen betreuen.

Was die Pflicht zur korrekten Durchführung einer Leichenschau betrifft, bietet sich als Ausweg an, dass ein anderer Arzt die weitere Betreuung des Sterbefalls übernimmt. Aus naheliegenden Gründen erscheint es dabei unbefriedigend, Kollegen des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes zu diesem Zweck herbeizurufen. In Hamburg, wo es mindestens 2000 mal pro Jahr zu Todesfeststellungen im Rettungsdienst kommt, besteht seit nunmehr 20 Jahren eine systematische Lösung des Problems durch die Einrichtung der „Vorläufigen Bescheinigung des Todes“ (Abb. 1). Ab August 1984 wurde es möglich, dass die Ärzte der Hamburger Rettungszentren lediglich die Tatsache des eingetretenen Todes attestieren (vgl. dazu [10]). Die eigentliche gesetzmäßig vorgeschriebene Leichenschau mit Angaben zu Todesursache und Todesart und Ausstellen der amtlichen Todesbescheinigung nimmt nach Überführung der Leiche ein Arzt im Institut für Rechtsmedizin vor.

Abb. 1
figure 1

Das in Hamburg im Rettungsdienst verwendete Formular der „Vorläufigen Bescheinigung des Todes“. Von der Sorgfaltspflicht bei der Feststellung des eingetretenen Todes ist der Notarzt niemals enthoben. Bei unbekannten Notfallpatienten sind Angaben zu den Personalien nicht möglich

Abbruch von Reanimationsmaßnahmen

Wird am Einsatzort kein bereits seit längerem Verstorbener mit sicheren Todeszeichen angetroffen, sodass zunächst Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden, bleibt für den Notarzt das Problem, wann er sich entscheidet, den Einsatz abzubrechen und den Tod des Patienten als gegeben anzunehmen. Wie aus dem Formular in der beigefügten Abbildung ersichtlich, dokumentiert er die Tatsache, dass Herz- und Atemstillstand, Asystolie beziehungsweise irreversibles Kammerflimmern vorliegen. Es gibt jedoch keine detaillierte Festlegung über die Art und die Dauer insbesondere der EKG-Befunde hinsichtlich Asystolie.

Dies geht einher mit der Tatsache, dass viele Lehrbücher beziehungsweise Leitfäden aus dem Bereich der Notfallmedizin sich auf „keine festen Zeitangaben über die Mindestdauer von Reanimationsversuchen“ [6] festlegen möchten. Selbst Autoren, die darauf verweisen, dass die allgemeine Auffassung „eine Richtzeit von 20–30 Minuten“ rechtfertige, wollen der ärztlichen Entscheidungsfindung dennoch „keine schematisch starren zeitlichen Grenzen“ auferlegen [13]. Auch aus der Sicht des Rechtsmediziners empfiehlt W. Eisenmenger als Dauer für ernsthafte Versuche der Reanimation eine halbe bis eine Stunde (falls nicht Sonderfälle wie Unterkühlungen vorliegen), ohne eine feste Zeitspanne zu definieren [3].

Der ausdrückliche Verzicht wird in der Literatur meist mit dem Hinweis begründet, dass sich von Fall zu Fall durch die jeweils verschiedenen situativen Umstände recht unterschiedliche Prognosen ergeben können, aus denen kein fester zeitlicher Rahmen als übergeordnete Orientierungshilfe ableitbar ist (vgl. z. B. [12]). Nicht ohne auf die rechtsmedizinische Haltung zu verweisen, die das Eintreten der sicheren Todeszeichen als Beweis einfordert, charakterisiert V. Schneider diese eher inhaltlich als an formalen Zeitvorgaben orientierte Haltung: „Eine im EKG bei maximaler Verstärkung festgestellte Nulllinie über einen Zeitraum, der über die Wiederbelebungszeit des Gehirns hinausgeht, wird von klinischer Seite als Zeichen des eingetretenen Todes gewertet.“ [11]

Wie der geschilderte Fall lehrt, genügt es nicht, subjektiv von dieser Endgültigkeit überzeugt zu sein. Um eine Objektivierbarkeit—auch in Hinblick auf mögliche spätere forensische Fragen—zu erreichen, erscheint es erforderlich, konkrete Zeitangaben über das Andauern der Phänomene festzulegen, die als Richtlinie verbindlich sind.

Individualtod: Nulllinien-EKG über 30 Minuten

In den „Empfehlungen für die Wiederbelebung“ der Bundesärztekammer gilt ein Herz- und Kreislaufstillstand im Rahmen der Feststellung des eingetretenen Individualtods dann als erwiesen, wenn über 30 Minuten ein Nulllinien-EKG abgeleitet worden ist [1]. Diese Empfehlung trifft sich mit Angaben jener Autoren, die überhaupt eine Aussage zur Dauer einer persistierenden Asystolie als Grund zum Reanimationsabbruch machen (in der Spannbreite von 20 bis 30 Minuten; vgl. [2, 14]). Die Vorsicht im Umgang mit Reanimationspatienten ist verständlich. So kommt auch von Hintzenstern zu der Regel „Beenden einer Reanimation nach mindestens 45 Minuten Asystolie“, obwohl er für den Verzicht einer Reanimationsmaßnahme bei Leichen ohne sichere Todeszeichen die Dokumentation einer Nulllinie im EKG über mindestens zehn Minuten für ausreichend hält [5].

Wie leicht einzusehen, löst jedoch ein mit großem „zeitlichen Sicherheitsbereich“ arbeitender Vorschlag zur Todesfeststellung nicht das Problem, denn ähnlich wie beim Warten auf die klassischen sicheren Todeszeichen, müsste der Notarzt eine längere Zeit am Einsatzort verweilen, wollte er nach Abbruch noch wie in der Empfehlung der Bundesärztekammer eine halbe Stunde ein EKG ableiten.

Praktische Konsequenz

In Absprache mit dem Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes der Feuerwehr in Hamburg wurden die Empfehlungen der Bundesärztekammer nicht zur Richtlinie erhoben, da mit der praktischen Durchführbarkeit bei den Anforderungen des großstädtischen Rettungswesens nicht zu rechnen ist. Stattdessen gilt (abgesehen von der zeitnahen Verbringung des Leichnams in das Institut für Rechtsmedizin), dass neben der sorgfältigen Untersuchung des Notfallpatienten unter Berücksichtigung der Gesamtsituation eine mindestens zehnminütige Ableitung eines Nulllinien-EKG nach Abbruch der Maßnahme geleistet werden muss. Mit Rücksicht auf die Abläufe nach einer abgebrochenen Wiederbelebung (Einpacken und Ordnen der Gerätschaften etc.), ist dies praktisch durchführbar.

Diese Festlegung gilt dabei nur als erste Setzung einer realisierbaren Richtlinie. Die Autoren vermuten, dass es nicht zu dem geschilderten Zwischenfall mit der Infarktpatientin gekommen wäre, wenn der Notarzt versucht hätte, nach der von ihm nur beobachteten Asystolie ein zehnminütiges Null-Linien-EKG abzuleiten und natürlich mit Blick auf forensische Aspekte auch als Ausdruck zu dokumentieren.

Insofern aber, wie umrissen, in der Literatur Fälle von sich spontan behebenden Asystolien berichtet werden, soll hiermit eine diesbezügliche allgemeine Diskussion über Hamburg hinaus angeregt werden. Vor allem von Interesse ist, ob im Zusammenhang des Rettungswesens Fälle von Aufhebung eines kardiopulmonalen Arrests bekannt wurden, bei denen nicht nur an sich die Asystolie dokumentiert wurde, sondern diese auch über eine Dauer von zehn Minuten hinaus bestanden hat, bevor es zum Wiedereintritt der Herz- und Kreislauffunktion kam.

Fazit für die Praxis

Im Fall einer 83-jährigen Notfallpatientin mit Hinterwandinfarkt, die auf der Straße bewusstlos zusammensackte, entschließt sich der Notarzt die Reanimationsmaßnahmen abzubrechen, weil es in seinen Augen zu keiner bleibenden Herzaktivität mehr komme. In die Verstorbenenhalle des örtlichen Instituts für Rechtsmedizin gebracht, wo die ärztliche Leichenschau stattfinden soll, wird bemerkt, dass sich spontan wieder Herz- und Atemfunktion eingestellt haben. Eine Stabilisierung gelingt, jedoch verstirbt die Patientin wenige Stunden später auf der Intensivstation. Seitens der Staatsanwaltschaft wird ermittelt, ob sich der Notarzt bei seinem Einsatz eventuell nicht an die Regeln der ärztlichen Kunst gehalten habe; es wird deutlich, dass es u. U. eindeutiger, durchführbarer Richtlinien für die Feststellung des Todes im Rettungsdienst bedarf.

Für die Praxis lässt sich festhalten, dass jeder Abbruch einer Notfallmaßnahme auf Grund ausbleibender Herzaktion unbedingt durch eine EKG-Ableitung als Dokument festgehalten werden muss. In der Literatur werden Fälle spontaner Aufhebung eines kardiopulmonalen Arrests berichtet (so genanntes „Lazarus-Phänomen“). Für forensische Fragestellungen ist es in solchen Fällen wichtig, dass der Notarzt seine Vorgehensweise durch den Beleg rechtfertigen kann, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung tatsächlich eine Asystolie vorlag.

Daran knüpft sich die Frage an, ab welcher Dauer eine Asystolie als endgültig anzusehen ist. Empfehlungen wie die der Bundesärztekammer, stets mindestens 30 Minuten ein Nulllinien-EKG abzuleiten, sind in der Praxis des Rettungswesens nicht durchführbar. Für den Rettungsdienst in Hamburg wurde daher die Richtlinie erlassen, nach Abbruch der Maßnahmen noch eine zehnminütige Nulllinie im EKG zu dokumentieren. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die seit 20 Jahren in Hamburg betriebene Praxis vorläufiger Bescheinigungen des Todes im Rettungsdienst in Kombination mit einer zeitnahen Leichenschau durch einen Rechtsmediziner eine sinnvolle Ergänzung zum hergebrachten Notarztwesen ist, insofern das geforderte Zuwarten bei der sorgfältigen ärztlichen Leichenschau per se nicht mit der Strukturierung von Rettungseinsätzen vereinbar ist. Der Verzicht auf eine „komplette“ Leichenschau durch den Notarzt führt dabei nicht zu Unsicherheiten bei der Todesfeststellung; vielmehr wurde durch dieses System in einem Fall erst offenbar, dass eine vermeintliche Verstorbene in Wirklichkeit eine—zumindest vegetativ—noch lebende Intensivpatientin war.