Anatomie

Der M. biceps brachii ist ein zweiköpfiger Muskel, der 2 proximale Ursprungssehnen und eine distale Ansatzsehne besitzt. Die proximale lange Bizepssehne gehört zur funktionellen Einheit der Rotatorenmanschette und trägt zur Stabilisierung sowie Abduktion, Flexion und Außenrotation des Schultergelenks bei. Die proximale kurze Bizepssehne entspringt vom Processus coracoideus scapulae und verläuft zunächst frei durch das Schultergelenk, anschließend durch den Sulcus intertubercularis. Beide Sehnenanteile umspannen das Glenohumeralgelenk und ergänzen sich teils agonistisch, teils antagonistisch in ihrer Funktion. Die beiden Muskelbäuche vereinigen sich etwa in Höhe der Ellenbeuge in die distale Bizepssehne. In deren Ansatzbereich — an der Tuberositas radii — wird nahezu die gesamte Muskelkraft auf den Unterarm übertragen. Ein Sehnenanteil, der Lacertus fibrosus, strahlt als Aponeurose in die Unterarmfaszie ein [3].

Funktionell bewirkt der M. biceps mit über 50% die Supination des Unterarms, die Ellenbogenflexion wird mit etwa 30–40% beeinflusst [4, 5].

Ätiologie und Pathomechanismus

Die distale Bizepssehnenruptur ist mit etwa 3% aller Bizepssehnenrupturen eine seltene Verletzung. In der Regel liegt ein Abriss der knöchernen Insertion im Bereich der Tuberositas radii vor. Partialrupturen oder intertendinöse Verletzungen sind Raritäten.

Nahezu ausschließlich betroffen sind körperlich aktive, muskelkräftige männliche Patienten mittleren Lebensalters [2].

Bei jeder offenen direkten Verletzung kann eine Sehnendurchtrennung resultieren, z. B. im Rahmen einer Schnittverletzung. Die distale Bizepssehnenruptur wird jedoch fast immer indirekt durch eine plötzliche, auf die vorgespannte Muskulatur einwirkende Kraft verursacht, z. B. durch das Auffangen einer schweren Last mit gebeugtem und supiniertem Unterarm. Im Gegensatz zur proximalen Bizepssehnenruptur wird ein Unfallzusammenhang allgemein anerkannt [2], allerdings lassen sich im Rahmen der histopathologischen Aufarbeitung der entnommenen Präparate häufig degenerative Vorschäden (>50%) belegen. Es ist also anzunehmen, dass ein solcher die Entstehung der Sehnenruptur nicht unerheblich beeinflusst.

Diagnose und Klinik

Die Diagnose der distalen Bizepssehnenruptur kann in aller Regel klinisch gestellt werden, die Unfallhergangsbeschreibung gibt wegweisende Informationen. Oft kann durch eine sonographische Untersuchung die Sehnenverletzung erkannt werden, eine konventionelle Röntgenuntersuchung des Ellenbogengelenks im seitlichen Strahlengang zum Ausschluss eines knöchernen Ausrisses aus der Tuberositas radii sollte obligat erfolgen. Eine weiterführende Diagnostik, wie die Magnetresonanztomographie, bleibt zweifelhaften Befunden vorbehalten [6] (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Rupturierte distale Bizepssehne in der Magnetresonanztomographie

Typischerweise berichtet der betroffene Patient über einen plötzlichen, „peitschenartigen“ in den Oberarm einschießenden Schmerz. Der Muskelbauch des M. biceps erscheint nach proximal retrahiert (Abb. 2). Ein Hämatom im Bereich der Ellenbeuge entsteht häufig, ist jedoch nicht obligat nachzuweisen. Bei der Kraftprüfung zeigen sich im Seitenvergleich eine abgeschwächte Supination und Ellenbogenflexion. Bei intakter Bizepsaponeurose können mitunter nur eine geringe Muskelretraktion und ein dezenter Kraftverlust resultieren.

Abb. 2
figure 2

Präoperativer Befund: retrahierter Muskelbauch bei distaler Bizepssehnenruptur

Therapie

Die konservative Therapie der distalen Bizepssehnenruptur führt zu einem ausgeprägtem Kraftverlust ( 30–40% Flexion, >50% Supination) und somit zu einer erheblichen Gebrauchsbeeinträchtigung des verletzten Arms [4, 5].

Die operative Refixation der rupturierten Sehne an die Tuberositas radii gilt heute als Therapie der Wahl [7]. Die Aufnaht der Sehne auf die tiefer gelegene Muskelplatte des M. brachialis und M. brachioradialis ist funktionell methodisch nicht geeignet, die Supinationsfunktion des Bizepsmuskels wiederherzustellen.

Hinsichtlich der anatomischen Refixation werden in der Literatur zahlreiche Verfahren genannt, die transossäre Einflechtnaht nach Thomsen mit Durchflechtung des Sehnenstumpfs und transossärer Durchzugsnaht galt hierbei in verschiedenen Modifikationen lange als Verfahren der Wahl.

Nachteil aller Operationstechniken ist ein relativ hoher präparativer Aufwand, häufig vergesellschaftet mit einer Weichteiltraumatisierung und der Gefahr der iatrogenen Schädigung neurovaskulärer Strukturen. Eine typische Komplikation stellt die Ausbildung heterotoper Ossifikationen bis hin zur radioulnaren Synostose dar. Die meisten Operationsverfahren bewirken zudem eine Verkürzung der distalen Bizepssehne. Eine Reduktion dieser Nachteile und eine Verbesserung der Behandlungsresultate scheinen durch die Anwendung von Nahtankersystemen erreichbar zu sein.

Bei allen gängigen Operationsverfahren ist eine mehr oder minder ausgeprägte Freilegung der Tuberositas radii über einen kubitalen Zugang zur anatomischen Sehnenrefixation notwendig. Nach Spaltung der Faszie lässt sich der nach proximal retrahierte Sehnenstumpf darstellen (Abb. 3), die weitere Präparation erfolgt zwischen dem M. supinator und dem M. pronator teres unter Schonung der umgebenden neurovaskulären Strukturen.

Abb. 3
figure 3

Intraoperativer Befund: Ruptur der distalen Bizepssehne am Ansatzbereich der Tuberositas radii

Eine oberflächliche Dekortikation bzw. eine Anfrischung der Tuberositas sind erforderlich, um eine sichere Einheilung der Sehne zu gewährleisten.

Zwischenzeitlich wurden auch minimalinvasive Fixationstechniken realisiert, diese haben jedoch bisher noch keine breite Anwendung gefunden [1].

Eigene Methoden und Erfahrungen

In einer retrospektiven Studie haben wir 36 Patienten, die im Zeitraum von 2002–2004 aufgrund einer frischen distalen Bizepssehnenruptur unter Verwendung einer Nahtanker-/Sitzinstrumentkombination (GII Quickanker plus/Mitek) (Abb. 4), bestehend aus einem Nickel-Titan-legierten Nahtanker und einem langzeitresorbierbaren geflochtenen Nahtmaterial (Panacryl) operativ behandelt wurden, im Durchschnitt 9 Monate postoperativ nachuntersucht. Intraoperativ wurden in maximaler Supination in der Regel 2 (2,2) Nahtanker im Bereich der angefrischten Tuberositas radii platziert und die durchflochtene Sehne in leichter Ellenbogenflexion refixiert.

Abb. 4
figure 4

Anker-/Sitzinstrumentkombination, a GII Quick Anchor Plus/Mitek, b Refixation der Sehne an die Tuberositas radii mittels Nahtankern

Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 46 Jahre (39–58 Jahre). 94% der Patienten waren männlich, 6% weiblich. Biopsien zur feingeweblichen Untersuchung wurden regelhaft entnommen, degenerative Veränderungen in 57% der Fälle belegt.

Postoperativ erfolgte die Retention des Ellenbogengelenks in einer Oberarmschiene in leichter Supinations- und Beugestellung. Aus der Schiene heraus wurden ab dem 14. postoperativen Tag geführte Bewegungen zunächst mit einem Bewegungsausmaß von 0/30/130° vorgenommen. Zwischen der 4. und 6. postoperativen Woche wurde die Streckung allmählich freigegeben.

Im Rahmen der klinischen, röntgenologischen und isokinetischen Nachuntersuchung zeigte sich ein durchschnittlicher Bewegungsumfang von 0/5/130° für Streckung/Beugung und 80/0/70° für Pro-/Supination. Zusammenfassend konnten in 82% der Fälle gute bis sehr gute funktionelle Ergebnisse anhand des Scores nach Morrey objektiviert werden (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Funktionsaufnahmen: freies Bewegungsausmaß für alle Bewegungsrichtungen

An Komplikationen haben wir 2 oberflächliche Wundheilungsstörungen sowie eine passagere Hypästhesie im Versorgungsbereich der N. radialis beobachtet. Sehnenrerupturen oder Nahtankerausrisse traten nicht auf, in 6 Fällen wurden röntgenologisch asymptomatische heterotope Ossifikation vorgefunden. Die isokinetische Kraftmessung in unterschiedlichen Winkelgeschwindigkeiten zeigte in 79% der Fälle im Seitenvergleich keine nennenswerten Abweichungen.

Begutachtung

Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß ist nach operativer Refixation der distalen Bizepssehne selten und nur beim Auftreten von wesentlichen Komplikationen wie Nervenstörungen, heterotopen Ossifikationen oder radioulnaren Synostosen mit entsprechender Bewegungseinschränkung zu erwarten.

Fazit für die Praxis

Aufgrund der schlechten Ergebnisse einer konservativen Behandlung besteht für die distale Bizepssehnenruptur eine eindeutige Operationsempfehlung. Um eine anatomische Wiederherstellung und weitgehend normale Supinationskraft wiederzuerlangen, ist die Refixation der distalen Bizepssehne an die Tuberositas radii erforderlich. Hierfür stehen zahlreiche Verfahren zur Verfügung. Anhand unserer Erfahrungen zeichnet sich ab, dass die Refixation mittels Nahtankersystemen komplikationsarm ist und gute Behandlungsergebnisse hinsichtlich Funktionalität und Kraftentfaltung erzielt. Diese Technik stellt eine gute Alternative zu den bislang gebräuchlichen transossären Refixationsverfahren dar, sie ist technisch einfacher und weniger traumatisierend durchführbar.