Kindliche Wirbelfrakturen gelten als Rarität. Die Inzidenz liegt zwischen 1 und 27 Verletzungen/1 Mio. Kinder/Jahr. Hieraus resultiert eine nicht unerhebliche Unsicherheit bezüglich Diagnostik und Therapie bei den behandelnden Ärzten.

Kindliche Wirbelfrakturen sind selten. Die Inzidenz liegt zwischen 1 und 27 Verletzungen/1 Mio. Kinder/Jahr in Europa und in Nordamerika [2, 19].

Im eigenen Patientengut findet sich bei allen nachgewiesenen kindlichen Frakturen ein Anteil von weniger als 1% Wirbelsäulenfrakturen.

Hauptunfallursachen sind im Kleinkindesalter Stürze und Verkehrsunfälle, im Alter zwischen 6 und 15 Jahren überwiegen Sport- und Verkehrsunfälle [7, 8].

Aufgrund der geringen Fallzahlen besteht unter behandelnden Ärzten große Unsicherheit bezüglich der notwendigen diagnostischen Maßnahmen und therapeutischen Schritte.

Die Diagnostik erfolgt schematisch. Bei unklaren Befunden sollte Rücksprache mit einem Wirbelsäulenzentrum erfolgen. Mehrfachverletzte Kinder oder Verletzte mit neurologischen Ausfällen sollten nach initialer Stabilisierung umgehend in das nahegelegenste Zentrum verlegt werden.

Im folgenden Übersichtsbeitrag soll auf anatomische Besonderheiten, diagnostische Abläufe sowie Behandlungsstrategien bei Verletzungen der Wirbelsäule am wachsenden Skelett eingegangen werden.

Besonderheiten an der kindlichen Wirbelsäule

Ligamentäre Verletzungen

Der Verletzungsschwerpunkt, bezogen auf alle Wirbelverletzungen, liegt bei Kindern im Bereich der oberen HWS [9, 19]. Grund hierfür ist vermutlich der im Verhältnis zu den Knochen-, Muskel- und Bandstrukturen proportional übergroße Kopf. Aufgrund der relativen Bandlaxizität gehen viele ligamentäre Verletzungen mit neurologischen Ausfällen einher.

SCIWORA

Dieses Syndrom („spinal cord injuries without radiographic abnormalities“) tritt bei Kindern verhältnismäßig häufig auf und ist durch ein neurologisches Defizit ohne jegliches radiologisches Zeichen einer Fraktur oder Instabilität charakterisiert [17]. Es wird bei bis zu 66% aller Kinder mit Rückenmarkläsionen nachgewiesen [1, 7].

Trotz der insgesamt günstigeren Heilungsrate scheint die Erholungstendenz des kindlichen Rückenmarks nach Verletzung nicht höher als bei Erwachsenen zu sein.

Frakturen

Echte Frakturen kommen am häufigsten als Serienbrüche im Bereich der BWS, seltener der LWS und am seltensten der HWS vor [11].

Keilwirbelbildungen können, insbesondere im Alter unter 8 Jahren, physiologisch sein, ebenso wie Einziehungen der Wirbelkörpervorder- und -rückwand [19]. Hierdurch können Frakturen vorgetäuscht werden. Abhängig von der klinischen Beschwerdesymptomatik und der therapeutischen Relevanz kann hier ggf. eine Magnetresonanztomographie zur Klärung beitragen.

Spontane Korrekturen am wachsenden Skelett

Dorsale knöcherne Strukturen wie Bögen und Dornfortsätze haben keine strukturellen Möglichkeiten zur Selbstkorrektur. Dagegen kann man Korrekturen im Bereich der Wirbelkörper beobachten, welche, ähnlich der an den Extremitäten, am effektivsten in der Hauptbewegungsrichtung, hier also der sagittalen Ebene, gelingen [11, 18].

Verletzungen mit Beteiligung der Wachstumsfugen

Insbesondere im Bereich der HWS kann es bei Kindern unter 8 Jahren zu einer kompletten Lösung der unteren Epiphysenplatte kommen (Salter-Harris-Typ I), welche radiologisch häufig nicht darstellbar ist, aber das Wirbelkörperwachstum beeinträchtigen kann [16]. Bei Adoleszenten tritt häufiger ein Abbruch der vorderen Wirbelunterkante auf (Salter-Harris-Typ III), welcher regelhaft gut ausheilt und keine Wachstumsstörungen nach sich zieht [13].

Im Bereich der Grund- und Deckplatte eines Wirbelkörpers findet man eine ringförmige, verknöcherte Epiphysenplatte, die so genannte Randleiste. Diese spielt für die Verankerung der Bandscheiben eine große, für das Wachstum eine untergeordnete Rolle [20]. Teile der Leiste können abreißen und nach ventral oder dorsal dislozieren.

Des Weiteren können Frakturen der knorpeligen Zwischenzonen auftreten. Diese kommen v. a. am 2. Halswirbel vor. Im Bereich der BWS und LWS bleibt zu den Bogenkernen ein Knorpelbezirk bestehen, welcher zwischen dem 5. und 9. Lebensjahr verknöchert. Diese Zone kann unter Erweiterung des Spinalkanals abreißen [3].

Mehrfache und pathologische Frakturen

Wirbelfrakturen nach nicht adäquatem Trauma müssen an zugrunde liegende gut- und bösartige Knochentumoren sowie an systemische Knochenerkrankungen wie Osteogenesis imperfecta, multiple Läsionen auch an ein „battered child syndrome“ denken lassen [4].

Klassifikation

Pragmatisch gesehen ist es bei Kindern unter 12 Jahren am sinnvollsten, lediglich zwischen gering und nicht dislozierten, d. h. in der Regel stabilen Frakturen und dislozierten bzw. instabilen Frakturen zu unterscheiden, denn nur diese Unterscheidung hat therapeutische Relevanz. Die Einteilung nach Janis, welche die Einbeziehung der Wachstumsfugen berücksichtigt, ist im klinischen Alltag nicht hilfreich [10]. Die AO-Klassifikation, basierend auf der Einteilung nach Magerl et al. [14], ist nur nach gewissen Adaptationen bei Kleinkindern hilfreich, bei Jugendlichen und auch Erwachsenen dagegen Standard.

Stabile Frakturen

Sie sind durch eine mehr oder weniger ausgedehnte Kompression des Wirbelkörpers ohne wesentliche Dislokation charakterisiert.

Instabile Frakturen

Bei ihnen liegen zusätzlich Frakturen der Gelenkfortsätze, der Bögen bzw. Bogenwurzeln oder aber auch lediglich zusätzliche ligamentäre Verletzungen vor. Häufig kombiniert ist eine Fehlstellung. Die Instabilität ist nicht immer auf den initialen Aufnahmen zu erkennen. Funktionsaufnahmen, Magnetresonanztomographie oder auch Verlaufskontrollen können notwendig sein.

Diagnostik

Anamnese

Der diagnostische Ablauf unterscheidet sich beim Kind nicht wesentlich von dem beim Erwachsenen. Die Diagnose einer Wirbelfraktur erfolgt zwar stets radiologisch, richtungsweisend und somit essenziell für eine zielgerichtete Diagnostik sind aber zunächst Eigen- und Fremdanamnese, welche mittels Informationen über Unfallart und -ablauf Rückschlüsse auf die einwirkenden Kräfte, das mögliche Verletzungsmuster und -ausmaß gewähren (Tabelle 1).

Tabelle 1 Untersuchungsinhalte bei Verdacht auf kindliche Wirbelsäulenverletzung

Klinische Untersuchung

Sie gibt ebenfalls Erkenntnisse zum Verletzungsmuster. Beim wachen und kooperativen Kind kann durch Anamnese und klinische Untersuchung in Kombination mit den geäußerten Schmerzangaben die weitergehende radiologische Diagnostik gezielt eingeschränkt werden.

Der neurologische Status bei der Aufnahme muss prinzipiell erhoben und sorgfältig dokumentiert werden, sodass spätere Verlaufuntersuchungen ggf. auch durch andere Kollegen weitergeführt werden können. Die Statuserhebung erfolgt ebenfalls prinzipiell wie beim Erwachsenen und beinhaltet Untersuchungen zur Sensibilität, Motorik, Reflexmustern und zentralnervösen Funktionen. Insbesondere sollte auf Zeichen eines häufig in Kombination vorliegenden Schädel-Hirn-Traumas geachtet werden.

Bildgebende Diagnostik

Der mögliche Ablauf einer abgestuften Diagnostik ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Untersuchungsablauf bei Verdacht auf kindliche Wirbelsäulenverletzung

Wie beim erwachsenen Patienten gehört die konventionell-radiologische Untersuchung des Achsenskeletts in 2 Ebenen zur Standarddiagnostik beim schwerverletzten Kind, wenn nicht sowieso der Entschluss zum Spiral-CT gefasst wurde. Bei geringerem Trauma und lokalisierten Beschwerden kann die Röntgendiagnostik beim kooperativen Patienten auf den betroffen Wirbelsäulenabschnitt begrenzt werden.

Bei unklaren Befunden, nachgewiesener Fraktur oder neurologischen Ausfällen schließt sich an die konventionelle Diagnostik die CT des suspekten Wirbelabschnitts an.

Bei weiterhin unklarem Befund bei neurologischer Auffälligkeit sollte die Magnetresonanztomographie der Wirbelsäule durchgeführt werden. Hier können diskoligamentäre Läsionen, okkulte Frakturen, Myelonschädigungen und Einblutungen nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden.

Bei Flexions-Distraktions-Verletzungen am thorakolumbalen Übergang muss überdurchschnittlich häufig mit Verletzungen des Dünndarms und des Pankreas gerechnet werden. Hier sind die abdominelle Sonographie und insbesondere die Computertomographie hilfreich.

Persistierende Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule über mehr als 5 Tage sollten bei initial unauffälligen Befunden zur erneuten Diagnostik führen.

Therapie

Allgemein

Ziel ist in allen Fällen, die Stabilität und Statik der Wirbelsäule wiederherzustellen.

Die überwiegende Anzahl kindlicher Wirbelfrakturen kann konservativ behandelt werden. Je älter das Kind ist (etwa ab dem 12. Lebensjahr), desto mehr ähneln Verletzungsmuster und Therapiestrategien den Gegebenheiten bei Erwachsenen.

Bei instabilen Frakturen wie z. B. Flexions-Distraktions-Frakturen muss die konservative Therapie (Bettruhe, Gipsverband) gegenüber einer operativen dorsalen Stabilisierung individuell abgewogen werden. Aufgrund des geänderten Anspruchdenkens der Eltern mit dem Wunsch der raschen und kompletten Wiederherstellung der Funktion und Dank differenzierter Operationstechniken und neuen Implantaten ist ein deutlicher Trend in Richtung einer aggressiveren Indikationsstellung zur Operation erkennbar. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb ist die Indikation zur Operation im Einzelfall kritisch zu prüfen.

Im Aufklärungsgespräch ist auch zu berücksichtigen, dass die operative Versorgung keinen gesicherten Effekt auf das Ausbleiben von Wachstumsstörungen hat.

Bis zum Wachstumsabschluss sollte deshalb bei allen Frakturen unabhängig vom therapeutischen Vorgehen das Wachstum regelmäßig kontrolliert werden.

Prinzipien (nach von Laer [21])

Stabile Frakturen mit Fehlstellungen in der Sagittalebene von weniger als 50% der Wirbelkörperhöhe werden funktionell behandelt. Nach Bettruhe bis zum Erreichen der Schmerzfreiheit wird der Patient voll mobilisiert. Eine Röntgenkontrolle sollte nach etwa 6 Wochen erfolgen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Typische serielle Wirbelkörperkompressionsfrakturen BWK 4–7, konservative Therapie, schmerzadaptierte Mobilisierung

Stabile Frakturen mit Deformierungen in 2 Ebenen, deren Einstauchung nicht mehr als die Hälfte der vorderen oder seitlichen Wirbelkörperhöhe beträgt, werden durch Bettruhe mit Lagerung auf einer Rolle bis zur Schmerzfreiheit anbehandelt, dann im Gipskorsett mobilisiert.

Undislozierte oder nur geringgradig verschobene instabile Frakturen werden in der Gipsschale für 6–8 Wochen behandelt. Engmaschige radiologische Nachkontrollen sollten bis mindestens zur 12. Woche erfolgen, dann in längeren Abständen bis zum Wachstumsabschluss.

Eine chirurgische Behandlung ist indiziert bei:

  • dislozierten stabilen Frakturen mit Fehlstellung und Höhenminderung über 50%,

  • Luxationsfrakturen und höhergradigen Fehlstellungen, insbesondere außerhalb der sagittalen Ebene,

  • instabilen Frakturen mit Dislokation im Sinne von B- und C-Verletzungen nach Magerl et al. [14] (Abb. 3).

    Abb. 3
    figure 3

    Chance-Fraktur LWK 2, 9-jährige Patientin, Beckengurttrauma nach Autounfall, a–c präoperative Röntgen-/MRT-Diagnostik, d,e intraoperativer Befund, f,g postoperative Röntgendiagnostik

Auch die atlanto-okzipitale Dissoziation (AOD) wird häufig durch externe Fixation nur unzureichend stabilisiert und bedarf der dorsalen Fusion C0/C1 mittels Cerclage.

Densfrakturen werden im Kindesalter konservativ behandelt. Nicht dislozierte Frakturen werden im Hals-Thorax-Gips ausbehandelt, dislozierte Frakturen geschlossen reponiert und dann ebenfalls im Gips oder im Halofixateur therapiert. Sollte eine konservative Therapie nicht möglich oder erfolgreich sein, sollte eine dorsale Fusion nach Gallie zwischen C1 und C2 erfolgen. Bei Jugendlichen erfolgt nach ggf. erforderlicher geschlossener Reposition die Ausbehandlung im Halofixateur oder durch ventrale Schraubenosteosynthese [21].

Konservative Therapieoptionen

Externe Stabilisierungen sind insbesondere bei Verletzungen der HWS gegeneinander abzuwägen. Während harte Zervikalstützen wie auch beim Erwachsenen zu einer nicht unerheblichen Restbeweglichkeit tendieren [12], ist der Halofixateur mit Weste deutlich stabiler. Hier wurde jedoch über eine hohe Komplikationsrate (im Wesentlichen Pininfekte) berichtet [6]. Bei Kindern empfiehlt sich eine Multipinfixierung nach Mubarak et al. [15] mit 10 Pins. Bei Kleinkindern ist der Minerva-Gips zu favorisieren.

Operative Therapieoptionen

Bei Kleinkindern erfolgt die dorsale Stabilisierung in der Regel durch Cerclagen, welche dann ggf. mit zusätzlicher externer Korsettanlage kombiniert werden können. Sie sollte aber, so bald es die Größe erlaubt, mittels Fixateur interne vorgenommen werden (Abb. 3) [5].

Am wachsenden Skelett sollte nie von ventral stabilisiert werden, mit Ausnahme der Densfraktur beim Jugendlichen.

Eine dringliche Operationsindikation ergibt sich beim Nachweis neurologischer Ausfälle mit nachgewiesener Myelon- oder Wurzelkompression. Können konservativ Reposition und Retention erzielt werden, z. B. durch Anlage eines Halofixateurs, können der evtl. notwendige operative Eingriff entsprechend der klinischen Gesamtsituation verschoben bzw. die Notwendigkeit zur Operation erneut kritisch überdacht werden.

Fazit für die Praxis

Kindliche Wirbelfrakturen können bis zu einem Alter von etwa 12 Jahren in der Regel konservativ behandelt werden. Danach gleichen sich die Therapiestrategien mehr und mehr den bei Erwachsenen etablierten an. Berstungsfrakturen und Distraktionsverletzungen mit vornehmlich knöcherner Beteiligung bedürfen der Einrichtung und Stabilisierung ebenso wie höhergradig instabile Verletzungen wie Luxationen und andere rotationsinstabile Verletzungen. Bei neurologischen Ausfällen besteht insbesondere bei inkompletten Läsionen eine dringliche Indikation zur Operation.