Die Anlage eines infrainguinalen Bypasses zum Extremitätenerhalt bei kritischer Beinischämie (CLI) ist inzwischen ein etabliertes Verfahren. Zufriedenstellende Offenheits- und Beinerhaltungsraten auch technisch anspruchsvoller kruraler und pedaler Bypässe [32] und erfolgreiche arterielle Rekonstruktionen selbst bei kritischen Patientengruppen wie Diabetikern [27] und Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz [33] scheinen ein offensives operatives Vorgehen zu rechtfertigen.

Trotz dieser erfolgversprechenden Ergebnisse wird der tatsächliche Benefit einer femorodistalen Bypassanlage für Patienten mit CLI jedoch immer wieder infrage gestellt.

Die Notwendigkeit wiederholter operativer und interventioneller Revisionseingriffe, eine langwierige Wundheilung auch bei erfolgreicher Revaskularisation, eine oft lange stationäre Verweildauer und die gelegentlich doch unvermeidliche sekundäre Amputation werden als Faktoren einer eingeschränkten postoperativen Lebensqualität angeführt [25, 26]. Eine primäre Amputation mit rascher Mobilisation und vergleichsweise kurzem stationärem Aufenthalt sei, angesichts der ohnehin eingeschränkten Lebenserwartung dieser Patienten, die für den Betroffenen lebenswertere Alternative. In jüngster Zeit wird diese Diskussion noch zusätzlich durch die Debatte um begrenzte Ressourcen im Gesundheitswesen verschärft [14].

In der Tat bemisst sich der Erfolg einer Revaskularisation aus der Sicht des Patienten nur indirekt an den traditionellen Parametern wie den Offenheitsraten eines Bypasses; vielmehr interessieren den Betroffenen Aspekte wie eine deutliche Schmerzlinderung, ein Gewinn an Mobilität, die Fähigkeit, am familiären und sozialen Leben wieder aktiv teilnehmen zu können, oder die Reduzierung krankheitsbedingter Depressionen, also letztendlich eine Verbesserung an persönlich empfundener Lebensqualität [3].

Lebensqualität bei Patienten mit CLI

In zahlreichen Studien konnte eine deutliche Beeinträchtigung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) nachgewiesen werden [1, 3, 4, 10, 12, 13, 14, 19, 20, 28, 29]. Hierbei erwiesen sich erwartungsgemäß Patienten mit einer CLI als signifikant stärker in ihrer Lebensqualität eingeschränkt als solche im Stadium der Claudicatio intermittens [3, 14, 20, 24].

Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist aufgrund der zum Teil unterschiedlichen Messinstrumente der HRQoL — Short Form (SF)-36 [4, 14], Nottingham Health Profile (NHP) [4, 20], PAVK-86 [3, 14], EuroQol [4] — eingeschränkt. Eingegrenzt auf krankheitsübergreifende Tests zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigt sich bei Patienten mit einer CLI jedoch übereinstimmend, dass praktisch alle relevanten Bereiche des täglichen Lebens erheblichen Einschränkungen im Vergleich zur gesunden Bevölkerung unterliegen. Insbesondere körperliche Aspekte wie „Schmerz“ [4, 12, 14, 20], „Schlaf“ [4, 20], „Mobilität“ [4, 12, 14, 20] und „Körperliche Funktion“ [4, 13, 14] sind in besonderem Maße betroffen. Aber auch psychische und soziale Merkmale wie „Allgemeines psychische Befinden“ [4], „Emotionale Reaktion“ [14, 20], „Soziale Funktion“ [4, 12] und „Allgemeine Gesundheitswahrnehmung“ [12] werden von den Patienten als deutlich beeinträchtigt bewertet.

In Übereinstimmung fanden wir in einer eigenen Studie [7] an 51 Patienten — medianes Alter (IQR) 74 (66–81) Jahre, mit pAVK Stadium III in 17,7% (9/51) und Stadium IV in 82,3% (42/51) — eine deutlich schlechtere Einschätzung der Lebensqualität in allen 8 Domänen des SF-36 gegenüber einem gesunden altersentsprechenden deutschen Normalkollektiv, wobei auch hier die Patienten die physischen Bereiche „Schmerz“, „Körperliche Rollenfunktion“ und „Körperliche Funktionsfähigkeit“ am schlechtesten bewerteten. Zwischen beiden Stadien der kritischen Ischämie ließ sich hingegen weder in unserer, noch in anderen Untersuchungen [12, 14] ein Unterschied messen.

Im Zusammenhang mit der durch den Patienten selbst eingeschätzten Lebensqualität weisen Klevsgård et al. [20, 22] auf die Bedeutung des „sense of coherence“ (SOC) für die subjektive Bewertung der Lebensqualität hin. Hierunter versteht man die generelle Zuversicht eines Patienten, das Krankheitsgeschehen zu verstehen und persönlich den krankheitsspezifischen Anforderungen gewachsen zu sein, sowie die Einsicht, dass sich die Bewältigung der Mühen lohne.

Es konnte mittels multipler logistischer Regressionsanalyse gezeigt werden, dass ein niedriger SOC (SOC Scale) signifikant mit einer schlechten Bewertung der Lebensqualität (NHP) assoziiert ist [20]. Der Einfluss dieser Fähigkeit, die Krankheitssituation adäquat zu verarbeiten und zu bewältigen, hat auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Lebensqualität nach einer arteriellen Rekonstruktion.

Lebensqualität nach Bypassanlage bei CLI

Anhand zahlreicher Studien konnte inzwischen belegt werden, dass Patienten mit kritischer Beinischämie nach operativer Revaskularisation auch subjektiv eine deutlich messbare Zunahme an gesundheitsbezogener Lebensqualität erfahren [1, 5, 7, 8, 11, 15, 16, 23, 24, 28, 30, 31]. Die Studien unterscheiden sich jedoch teilweise deutlich bezüglich des Patientenkollektivs (Patienten mit Claudicatio und CLI), des verwendeten Messinstruments der HRQoL und der Art der arteriellen Rekonstruktion (Bypass, Profundaplastik, Thrombektomie, etc.) (Tabelle 1).

Tabelle 1 Studien zur Lebensqualität nach Bypassanlage bei CLI

Dennoch bestätigt sich auch bei selektiver Betrachtung von Patienten mit kritischer Beinischämie, welchen in allen Studien überwiegend mit infrainguinalem Bypass revaskularisiert wurden, der Gewinn an postoperativer Lebensqualität. Hierbei zeigen sich insbesondere in den präoperativ am meisten beeinträchtigten, überwiegend physischen Bereichen „Mobilität“ [18, 21, 22, 23], „Körperliche Funktionsfähigkeit“ [5, 11, 23, 28], „Vitalität“ [5, 9, 11, 13, 28] „Schlaf“ [21, 22, 31] und „Schmerz“ [5, 11, 13, 18, 21, 22, 23, 28, 31] die ausgeprägtesten Zunahmen. Darüber hinaus lässt sich aber auch ein Zugewinn im Bereich der „Sozialen Funktionsfähigkeit“ [5, 13, 23, 28] sowie in den eher psychischen Merkmalen „Emotionale Rollenfunktion“ [11, 28] und „Psychisches Wohlbefinden“ [9, 13, 28] nachweisen.

In einer eigenen Serie mit 85 Patienten — medianes Alter (IQR) 71 (64,5–78,0) Jahre, pAVK Stadium III in 17,6% (15/85) und Stadium IV in 82,4% (70/85) — die prä- und ein halbes Jahr postoperativ nach infragenualem Bypass befragt wurden, fand sich eine signifikante Zunahme in allen 8 Domänen des SF-36 (Abb. 1). Besonders auffallend waren auch hier die Verbesserungen im Bereich der eher physischen Merkmale wie „Schmerz“, „Körperliche Rollenfunktion“ und „Körperliche Funktionsfähigkeit“.

Abb. 1
figure 1

Gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF-36) vor (durchgezogene Linie) und ein halbes Jahr nach (gestrichelte Linie) infragenualer Bypassanlage bei CLI (vor: n=85; nach: n=74; *: p<0,0001; **: p=0,002; Wilcoxon-Test; 100 Punkte = sehr gute HRQoL; 0 Punkte = sehr schlechte HRQoL)

In Übereinstimmung mit den anderen Arbeiten waren gerade in diesen Items die präoperativen Ausgangswerte besonders niedrig, sodass die postoperativ erreichten Ergebnisse — obwohl weiterhin unterdurchschnittlich in der Bewertung gegenüber der gesunden Bevölkerung — besonders herausragten. Eine Subgruppenanalyse von Patienten mit und ohne Diabetes mellitus ergab ferner, dass die Diabetiker einen deutlich geringeren Zugewinn an Lebensqualität verspürten als die Nichtdiabetiker. Während sich beide Gruppen präoperativ nur in der Domäne „Emotionale Rollenfunktion“ zu Ungunsten der Diabetiker unterschieden, bewerteten Letztere postoperativ alle 8 Domänen signifikant schlechter als die Nichtdiabetiker (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Vergleich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SF-36) von Diabetikern (gestrichelte Linie) und Nichtdiabetikern (durchgezogene Linie) ein halbes Jahr nach infragenualer Bypassanlage bei CLI (Nichtdiabetiker: n=26; Diabetiker: n=48; *: p<0,0001; **: p=0,001; Mann-Whitney-U-Test; 100 Punkte = sehr gute HRQoL; 0 Punkte = sehr schlechte HRQoL)

Dieses tendenziell schlechtere Abschneiden der Diabetiker wurde bereits von Fratezi et al. [8] in einer einjährigen Nachuntersuchung (Spitzer’s QL-INDEX) an Patienten mit konservativer Therapie, arterieller Rekonstruktion oder Majoramputation bei Claudicatio intermittens oder CLI beschrieben. Holtzman et al. [15] ermittelten neben dem hohem Alter das Vorhandensein eines Diabetes mellitus als unabhängigen Prädiktor einer schlechten Lebensqualität (SF-36 und SF-12) nach Bypassanlage im Langzeitverlauf. Bei Diabetikern scheint somit der Einfluss dieser chronischen Erkrankung auf die krankheitsübergreifende Lebensqualität den Zugewinn an Lebensqualität nach erfolgreicher Revaskularisation deutlich zu schmälern.

Wiederholte „Service-Eingriffe“ zum Erhalt des Bypasses und damit verbunden lange stationäre Krankenhausaufenthalte werden gerne als Argument gegen eine Bypassanlage bei Patienten mit CLI angeführt. Thompson et al. [30] betonten in diesem Zusammenhang jedoch, dass auch wiederholte Interventionen (Thrombektomie oder radiologische bzw. operative Angioplastie) zur Rettung infrainguinaler Bypässe — immerhin in 30% der Fälle — keinen negativen Effekt auf die gemessene Lebensqualität hatten. Ebenso wenig unterschieden sich in einer Untersuchung von Thorsen et al. [31] Patienten mit Redo-Bypass oder operativer Intervention am Bypass von denen ohne Bypassrevision. Auch wenn einschränkend erst wenige Daten zu diesem Teilaspekt der Bypasschirurgie vorliegen, scheinen Patienten mit CLI auch Korrektureingriffe am „failing graft“ oder bei Bypassverschluss nicht als wesentliche Einbuße an gewonnener Lebensqualität nach Revaskularisation zu bewerten.

Der allgemeine Zugewinn an gesundheitsbezogener Lebensqualität lässt sich bereits bei der ersten Nachuntersuchung — in der Mehrzahl der Studien innerhalb der ersten 6 postoperativen Monate — nachweisen [2, 5, 18, 22, 31]. Bereiche wie „Körperliche Funktionsfähigkeit“ und „Vitalität“, welche durch die Operation selbst beeinträchtigt sind, verbessern sich mitunter erst im Verlauf des ersten postoperativen Jahres [5]. Der positive Effekt der Revaskularisation scheint hierbei zumindest für das erste Jahr anzuhalten [1, 18, 22, 31].

Zu wenige Studien haben sich mit dem Langzeitverlauf der Lebensqualität beschäftigt, um eine Aussage über den dauerhaften Erfolg einer Bypassanlage zu erlauben. Das Fortschreiten der Grunderkrankung pAVK und die in aller Regel vorhandenen Komorbiditäten lassen jedoch eine über die Jahre fortschreitende, erneute Verschlechterung der HRQoL erwarten. Bei der ohnehin deutlich eingeschränkten Lebenserwartung von Patienten mit CLI, mit einer 2-Jahres-Mortalität von 31,6% [17], erscheint jedoch auch ein Gewinn an Lebensqualität für nur wenige Jahre von besonderer Bedeutung.

Überraschenderweise beobachteten Klevsgård et al. [22] eine rasche und anhaltende Verbesserung der Lebensqualität in den Items „Schmerz“, „Schlaf“, „Emotionale Reaktionen“ und „Familiäre Beziehungen“ (NHP) auch bei Patienten mit frustraner Revaskularisation. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zu den Erfahrungen aus der Dutch-BOA-Studie (Dutch Bypass Oral Anticoagulants or Aspirin Study) [29] und einer Untersuchung von Johnson et al. [18], in denen Patienten mit fehlgeschlagener Revaskularisation besonders schlecht abschnitten [29].

In diesem Zusammenhang wird ein Placeboeffekt der arteriellen Rekonstruktion bei Patienten mit CLI diskutiert [22]. Zumindest scheinen diese durch ihre chronische Erkrankung meist über Jahre in ihrer Lebensqualität beeinträchtigten Patienten auch eine frustrane Revaskularisation [1, 5, 22] durchaus als lohnenden Versuch eines Beinerhalts zu bewerten.

Obwohl die sekundäre Amputation als ungünstigstes Resultat einer Revaskularisation betrachtet werden kann [29] und Patienten mit einer deutlichen Einbuße insbesondere an körperlicher Aktivität rechnen müssen, deuten sich auch für diese Gruppe ein Gewinn zumindest in Teilaspekten wie „Schmerz“ und einigen psychischen Bereichen wie „Emotionale Rollenfunktion“ und „Psychisches Wohlbefinden“ an [5]. In zwei Untersuchungen erwies sich die sekundäre Amputation im Hinblick auf die Lebensqualität langfristig als nicht signifikant unterlegen gegenüber Patienten mit Beinerhalt [6] oder primärer Amputation [30]. Auch bei Berücksichtigung der kleinen Fallzahlen dieser Subgruppenauswertungen mit sekundärer Amputation scheint somit ein Rekonstruktionsversuch in Bezug auf Lebensqualität auch bei drohendem Scheitern der Revaskularisation gerechtfertigt.

Wie bereits bei der präoperativen Einschätzung der Lebensqualität angedeutet, spielt der SOC offenbar auch nach Revaskularisation eine wesentliche Rolle bei der Selbsteinschätzung der HRQoL. Klevsgård et al. [22] wiesen nach, dass neben postoperativ hohem ABPI (Ankle Brachial Pressure Index) und Claudicatio — im Gegensatz zu CLI — der hohe SOC signifikant mit einem besseren Gesamtwert der HRQoL assoziiert war. Die gemessene Lebensqualität ist demnach nicht nur Ausdruck der Erkrankungsschwere, sondern spiegelt auch die individuellen Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten des Patienten wider. Bei einem niedrigen SOC ist daher neben der reinen Revaskularisation auch eine begleitende adäquate Patientenführung gefordert.

Fazit für die Praxis

Patienten mit kritischer Beinischämie haben eine deutlich beeinträchtigte gesundheitsbezogene Lebensqualität im Vergleich zur gesunden, altersentsprechenden Bevölkerung. Diese Lebensqualität lässt sich rasch und anhaltend durch Anlage eines Bypasses verbessern. Sofern der Allgemeinzustand des Patienten und der Lokalbefund eine arterielle Rekonstruktion überhaupt rechtfertigen, ist daher die Indikation zur infrainguinalen Bypassanlage unter dem Aspekt der Lebensqualität eher großzügig zu stellen.