Ethisches Denken in der Medizin kann sich auf konkrete Problemkonstellationen am Krankenbett konzentrieren; ethisches Denken kann aber zugleich ein Blick auf das Grundlegende in der Medizin sein. Der folgende Beitrag folgt eher der zweiten Konzeption von Medizinethik und wird nach den ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns fragen, danach fragen, als was sich ein Arzt fühlen muss, wenn er kranke Menschen behandelt, von welchem Selbstverständnis heraus er zu entscheiden und zu handeln hat. Diese grundlegenden Fragen sind gerade heute besonders relevant, weil die gegenwärtige Medizin sich in einem enormen Umwandlungsprozess befindet. Die moderne Medizin ist im Umbruch, in einem solchen Umbruch, dass sie im Grunde gar nicht mehr weiß, was die Medizin als Medizin ausmacht – geschweige denn, dass sie wüsste, in welche Richtung sie sich in diesen Zeiten des Wandels bestenfalls entwickeln sollte. In einer Zeit, in der die Medizin keine ausreichende Orientierung im Hinblick auf ihre eigene Identität mehr hat, ist es umso notwendiger, genauer hinzuschauen, wie sie sich verändert und ob diese Veränderung tatsächlich eine Veränderung zum Guten hin darstellt.

Obwohl die Medizin eine soziale Institution ist, die sich von ihrer Grundidentität her der Hilfe für in Not geratene kranke Menschen verschreibt, kommt der Begriff der ärztlichen Hilfe in den gegenwärtigen öffentlichen Diskussionen um die moderne Medizin so gut wie gar nicht vor. Viel häufiger ist heute von der ärztlichen Dienstleistung die Rede, von Qualitätssicherung, von Wettbewerbsfähigkeit, von Ansprüchen, von Rechten. Fast scheint es, als sei in den heutigen Gesundheitsstrukturen, die immer mehr mit marktwirtschaftlichen Termini überzogen werden, jener Arzt, der aus einer karitativen Grundhaltung heraus in Not geratene Menschen behandelt, eine antike und fremde Figur geworden.

1 Der moderne Patient als Konsument in einer Vertragsbeziehung

Im Zuge des gegenwärtigen Wandels der modernen Medizin wird nicht zuletzt der Patient zunehmend umdefiniert, indem er immer weniger als Patient im Sinne eines notleidenden Mitmenschen gesehen wird. Stattdessen wird im Patienten immer mehr der nicht notleidende mögliche Verbraucher von medizinischen Dienstleistungen entdeckt. Der notleidende Patient, der sich hilfesuchend an seinen Arzt gewendet hat, wird immer mehr ersetzt durch den nicht mehr notleidenden, sondern begehrenden und fordernden Patienten, der nicht nach Hilfe sucht, sondern der als wohlinformierter Bürger und Beitragszahler seine Rechte und Ansprüche einlösen zu müssen glaubt.

Der moderne Patient ist Konsument geworden

Der moderne Patient versteht sich in vielen Fällen nicht mehr als Patient im wörtlichen Sinne – als Leidender, als duldsam Erleidender –, sondern er ist nunmehr Konsument geworden, ein anspruchsvoller Verbraucher von Gesundheitsleistungen. Was heute zwischen Arzt und Patient verhandelt wird, ist in dieser neuen Partnerbeziehung kein wertvolles, unverzichtbares und einzigartiges Hilfsangebot des einen speziellen Arztes, sondern es ist eine beliebig austauschbare und von jedwedem Dienstleisterarzt in gleicher Weise anzubietende Gesundheitsdienstleistung geworden, die auf ihre abprüfbaren Qualitätskriterien erst abgeklopft werden muss, bevor sie in Anspruch genommen wird. An die Stelle einer personalen Beziehung zwischen einem Notleidenden und einem Helfer ist eine rein sachliche Vertragsbeziehung zwischen einem Dienstleistungsanbieter und einem Dienstleistungskonsumenten getreten [2].

Der moderne Patient will nicht mehr so recht in das Bild eines hilfsbedürftigen Menschen passen, der einen fürsorgenden Helfer braucht. Stattdessen ähnelt der moderne Patient mehr einem Verbraucher, der nicht mit einem Hilfsbegehren, sondern mit Qualitätsansprüchen kommt und der dem Kunden gleich selbstverständlich als König behandelt werden möchte und nur das Beste zum geringsten Preis verlangt. Schließlich stellt dieser Wandel des Arzt-Patient-Verhältnisses nicht weniger als einen Wandel von einem Vertrauens- zu einem Vertragsverhältnis dar. Dieser Transformationsprozess kann nur funktionieren, weil nicht nur der Patient, sondern auch der moderne Arzt einen gegenwärtigen Identitätswandel vollzieht.

2 Der moderne Arzt als unparteiischer Wunscherfüller

Dem modernen Patienten als Konsumenten steht der moderne Arzt als Dienstleistender gegenüber. Auch der moderne Arzt richtet sich darauf ein, nicht mehr nur Leiden zu lindern und in Not geratene Menschen mit einer anteilnehmenden Hilfe zu begegnen. Stattdessen verwandelt sich der moderne Arzt zunehmend zu einem Anbieter von Gesundheitsleistungen, der mit seinem Wissen und Können nicht mehr zugleich auch seine Person in den Dienst der Hilfe für in Not geratene Menschen stellt, sondern der nunmehr lediglich sein Wissen und seine Technik in den Dienst der Wünsche seiner Nichtpatienten stellt, ohne diese Wünsche weiter zu hinterfragen. An die Stelle einer personalen Fürsorgebeziehung tritt eine zweckrationale Dienstleistungsbeziehung, über die nicht nur Krankheitsbehandlungen vollzogen, sondern zugleich auch persönliche Wünsche und Vorlieben erfüllt werden [3].

Der moderne Mensch möchte jegliche Beeinträchtigung beseitigt wissen

Der moderne Mensch möchte jegliche Krankheit, jegliche Behinderung, jegliche Beeinträchtigung beseitigt wissen, und er wird keine Mühe haben, Ärzte zu finden, die ihm genau dies versprechen. Jede Krankheit wird beseitigt, wenn schon nicht beim Patienten selbst, da er schon „zu spät“ kommt, so doch wenigstens bei seinen Nachkommen, die nur dann auf die Welt kommen dürfen, wenn ein krankhafter Befund von der Medizin vorher ausgeschlossen wurde – alles nach Wunsch und Belieben. Gerade hier wird nochmals deutlich, dass das, was der moderne Arzt anbietet, gerade kein persönlicher und unverwechselbarer Dienst am Menschen ist, sondern die Lieferung eines Produkts, bei dem es lediglich um die „Einwandfreiheit“ des Produkts selbst und die Garantie des Funktionierens dieses Produkts geht, und dies selbst dann, wenn das „Funktionieren“ die Verhinderung von Leben oder gar das Beenden von Leben bedeutet. Ob die mit der Verwendung des Produkts verfolgte Zielsetzung eine gute und vertretbare ist, spielt somit in einem solchen Dienstleistungsdenken keine Rolle. Der Arzt bietet nicht mehr an als eine Sachleistung, die im Rahmen eines Vertrages „abgewickelt“ wird. Solange der Dienstleisterarzt hier ausreichend über die Risiken informiert hat, hat er – nach dieser Auffassung – seiner „moralischen“ Verpflichtung ausreichend genüge getan und kann sich vermeintlich jeglicher weiteren moralischen Verantwortung entledigt fühlen.

3 Die moderne Dienstleistungsmedizin auf ethischem Irrweg

Diese unreflektierte Grundhaltung vieler modernen Ärzte – in Kombination mit einer ökonomischen Identität der modernen Medizin – hat zur Folge, dass die moderne Medizin ihre Nochnichtpatienten gerade nicht mit dem problematischen Charakter ihrer Erwartungen und mit dem oftmals narzisstischen Gehalt ihrer Wünsche an die Medizin konfrontiert. Stattdessen reagiert die moderne Medizin damit, die von Selbstbefangenheit geprägten Ansprüchen der Patienten so weit es irgend geht und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erfüllen. In der Konfrontation mit ideologisch gefärbten irrationalen Erwartungen vieler Menschen an das eigene Leben (und an das Leben der eigenen Nachkommen) hat die moderne Dienstleistungsmedizin in weiten Teilen keine andere Antwort gefunden als sich diese Erwartungen für die Steigerung des eigenen Profits zu Nutze zu machen [4].

Vor allem wird eine solche Dienstleistungsmedizin auf Wunsch dem medizinischen Anspruch, einen Dienst am Menschen zu erfüllen, nicht gerecht, weil diese Medizin den Menschen nur in seiner selbstbefangenen Begehrlichkeit wahrnimmt und sich gerade nicht mit dem Gegenüber in seiner gesamten Existenz beschäftigt. Stattdessen bestätigt das moderne ärztliche Handeln den Anderen in seiner Selbstbefangenheit und Egozentrik. Daher geht die ethische Verantwortung des modernen Dienstleisterarztes bei weitem über die Verantwortung zur umfassenden Aufklärung der Risiken hinaus. Um diese Verantwortung besser zu vestehen, soll im Folgenden näher auf die ethischen Grundlagen der Arzt-Patient-Beziehung eingegangen werden.

4 Die Arzt-Patient-Beziehung als Partnerschaft?

In der modernen Vorstellung von Arzt-Patient-Verhältnis hat eine Asymmetrie zwischen Arzt und Patient keinen Platz mehr. Arzt und Patient sollen nunmehr gleichberechtigte Partner sein, die sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Getragen ist diese neue Konzeption von Beziehung weniger von der Fürsorge des Arztes als vielmehr und geradezu ausschließlich von der Autonomie des Patienten. Was ist hiervon in ethischer Hinsicht zu halten?

Zunächst ist festzuhalten, dass der alte Paternalismus, bei dem der Patient quasi für unmündig erklärt wurde und bei dem der Arzt eigenmächtig über seinen Patienten hinweg entschied – wenn er dies tatsächlich tat – dem Patienten sicher nicht gerecht wurde, weil der Patient gerade nicht als selbstzweckliches Wesen und in seiner Einzigartigkeit respektiert wurde. Die Respektierung der Selbstbestimmung des Patienten ist daher eine unabdingbare Voraussetzung für gutes ärztliches Handeln. Ohne Berücksichtigung der Autonomie kann ein ärztlicher Eingriff – bis auf ganz wenige Ausnahmefälle – nicht gerechtfertigt werden. Der Paternalismus, der die Individualität und Einmaligkeit eines jeden Patienten nicht beachtete ist ethisch gesehen ein Irrläufer gewesen. Daher ist es nicht nur verständlich, sondern auch berechtigt, dass dieser kritisiert wurde. Aber in dem Bestreben, sich von diesem Paternalismus zu lösen ist ein Wandel eingetreten, der wiederum neue ethische Unzulänglichkeiten aufkommen lässt, die darauf beruhen, dass Autonomie oft nicht adäquat verstanden wird [1].

4.1 Fürsorge durch Autonomie und nicht Autonomie statt Fürsorge

In der Konfliktsituation zwischen Autonomie und Fürsorge ist die Autonomie in der Regel stärker zu gewichten, weil im Grunde Fürsorge ohne Ausrichtung an der Autonomie nicht möglich ist. Doch die Autonomie zu respektieren kann nicht bedeuten, sich zum lediglichen Vollstrecker des Patientenwillens zu machen. Der Blick auf die Freiheitsrechte des Patienten und auf die Erfüllung aller seiner Wünsche allein wird nicht ausreichen, um eine Arzt-Patient-Beziehung zum Gelingen zu bringen, denn eine solche Vorstellung von Arzt-Patient-Beziehung lässt vollkommen außer Acht, dass die zentrale Qualifikation des Arztes als Heiler nicht darin aufgeht, unparteiischer und sachlicher Experte zu sein, sondern dass seine besondere Befähigung neben der Beherrschung medizinischen Wissens eher mit Fürsorge, mit Mitfühlen, mit Einfühlungsvermögen zu tun hat. Ein Arzt, der sich auf die Gewährung von Freiheit beschränkt, wird nichts von dem eigentlich Ärztlichen zum Ausdruck bringen können. Damit ein Arzt sich tatsächlich als helfender Arzt verstehen kann, muss er mehr tun als nur zu fragen: „Was ist Ihr Wille?“ Er muss befähigt sein, den Kranken zu verstehen, und zwar nicht nur in seinen Symptomen, sondern in seiner existenziellen Krise, die er als Erkrankter empfinden mag. Ärztliches Tun am Kranken lässt sich ohne das Verstehen des Anderen nicht zum Gelingen bringen.

4.2 Freiheit als einziger Wert für Menschen in Not?

Das Moment des Verstehens hat für die Realisierung der Autonomie deswegen eine so zentrale Funktion, weil die Perspektive des Patienten – gerade wenn es um schwere Krankheiten geht – nicht einfach als schon gegeben betrachtet werden kann. Vielmehr muss der Kranke erst allmählich einen Umgang mit seiner Krankheit finden. Die Perspektive des Patienten respektieren, heißt daher zunächst einmal dem Patienten dabei helfen, in ein gutes Verhältnis zu seiner Krankheit zu treten. Der Arzt teilt seinem Patienten nicht einfach mit, dass er eine schwere Krankheit hat, um ihn dann zu fragen, was er denn wolle. Im Gegenteil: der Arzt erklärt dem Patienten sein Kranksein und versucht, ihm dabei zu helfen, erst zu realisieren, was dieses Kranksein für ihn als Patienten mit genau dieser spezifischen Lebensgeschichte bedeutet. Autonome Entscheidungen können daher nicht als etwas Feststehendes betrachtet werden, was der Arzt abzufragen hat. Vielmehr ist Autonomie etwas, was sich entwickelt, weil es mit Bedeutungszuschreibung zu tun hat. Es hat mit der Frage zu tun: Was bedeutet diese Krankheit für mich? Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Arzt ein zentrales Gegenüber des Patienten. Der Arzt ist es, der dem Patienten helfen muss, erst einmal herauszufinden, was das Krankgewordensein für ihn bedeutet. Erst in einem zweiten Schritt kann dann besprochen werden, was diese Bedeutung nun für Implikationen für die Ausgestaltung der Behandlung hat. Damit diese Schritte realisiert werden können, muss der Arzt die Bereitschaft und die Fähigkeit haben, nicht nur das zu tun, was der Patient sagt, sondern er muss dafür bereit sein, den Patienten erst einmal zu verstehen. Verstehen bedeutet hier, nicht zuletzt auch die Sinnfrage zuzulassen. Die Situation des Krankseins zu verstehen geht nicht ohne die Frage nach dem Sinn, Sinn der Krankheit, Sinn des Lebens, Sinn des Todes. Ein Arzt, der über diese Sinnfragen nicht nachgedacht hat, wird am Bett seines schwerkranken Patienten möglicherweise ein hilfloser und ratloser Arzt sein.

Demnach ist es ethisch nicht vertretbar, Menschen in schwerer Krankheit allein als Freiheitsträger zu betrachten, denn man würde, wenn man nur auf Autonomie setzte, gerade die ernsthaft kranken Menschen in ihrer Freiheit allein lassen. Die alleinige Betonung der Freiheit ohne das Engagement für eine Fürsorge wäre in diesem Fall eine verschleierte Form der Gleichgültigkeit, die die zentralen ärztlichen Momente des Verstehens und des Helfens außer Acht ließe.

4.3 Ein Rechtsanspruch auf einen guten Arzt?

Ein Grundproblem der modernen Entwicklung besteht in der Tendenz, die Arzt-Patient-Beziehung in einer rein rechtlichen und sachlichen Dimension zu betrachten. Auch diesem Trend liegt eine verkürzte Vorstellung von Autonomie zugrunde, nach der der Patient sein Recht auf Aufklärung, sein Recht auf eine ärztliche Leistung einfordert und der Arzt als der medizinisch-technische Experte diese Forderung einlöst. Eine solche Beziehung wäre eine Vertragsbeziehung, der Arzt ein Techniker. Ein solches Verhältnis mag objektiv funktionieren, ist aber eher tauglich für eine Medizin für Gesunde, nicht jedoch für eine Medizin, die sich der Behandlung von notleidenden kranken Menschen verschreibt. Genau dieses Kranksein wird in einer solchen Konzeption von Arzt-Patient-Beziehung außer Acht gelassen. So bedeutet Kranksein nicht einfach, sich auf die Suche nach geeigneten Gesundheitsleistungen zu machen. Kranksein berührt den Menschen in einer solchen Existenzialität, dass dieser Mensch durch das Krankwerden ein „anderer Mensch“ wird. Das Kranksein kommt zum Sein nicht einfach hinzu, es verändert das gesamte Sein. Damit gerät der Kranke in eine Situation, in der er nicht einfach frei nach Leistungen sucht, sondern in der er auf Hilfe angewiesen ist. Das Angewiesensein auf ärztliche Hilfe macht deutlich, dass gerade der ernsthaft kranke Mensch nicht als souveräner Kunde gesehen werden kann und dass das Verhältnis zwischen Patient und Arzt nicht auf ein rein sachliches Vertragsverhältnis reduziert werden kann.

5 Zentrale Grundlage der Arzt-Patient-Beziehung ist das Vertrauen

Wenn man davon ausgeht, dass der kranke Mensch ein Mensch in Not ist, wird deutlich, dass dieser Mensch sich in einer Situation des Angewiesenseins befindet. In seiner Not ist der Kranke auf den Arzt angewiesen, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinem Arzt zu vertrauen. Ohne dieses Vertrauen würde sich der Kranke in eine ausweglose Situation bringen, denn dann müsste er erst einmal den Vertrag gründlich prüfen, bevor er sich helfen lässt. Da der Kranke aber auf die Hilfe des Arztes angewiesen ist, muss der Patient schon im voraus vertrauen können. Daraus wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient nicht ausschließlich in der Sprache der Patientenrechte gefasst werden sollte. Die Respektierung der Autonomie als Teil eines Vertrags zu betrachten, hätte aber die schwerwiegende Konsequenz, dass in einem solchen versachlichten Verhältnis das Vertrauen ausgeklammert werden würde, auf das der Patient für seine Genesung zwangsläufig angewiesen wäre. Vertrauen ist jedoch nicht etwas, das sich erzwingen lässt oder auf das man einen rechtlichen Anspruch erheben kann. Daher würde in der Perspektive einer Arzt-Patient-Beziehung als reine Rechtsbeziehung ein Element verloren gehen, das für die Genesung des Patienten und für die Zukunft der Medizin von zentraler Bedeutung ist.

6 Abschließend

Die modernen Krankenhausstrukturen sind so aufgebaut, dass der moderne Arzt finanziell belohnt wird, wenn er unparteiischer Dienstleister ist und Nachteile befürchten muss, wenn er als persönlich engagierter Arzt handelt. Die Anreizsysteme der modernen Klinika, die sich zunehmend als Unternehmen und nicht mehr als karitative Stätten verstehen, sind derart, dass der Arzt, der sich als Person einbringt und einen nicht nur sachlich richtigen, sondern v. a. einen humanen Dienst verrichten will, zunehmend zum Fremdling im neuen Krankenhauskonzept wird. Der humane Dienst, der einst identitätsstiftend für die – aus dem Christentum stammenden – Krankenhäuser waren, wird im Zuge der neuen marktwirtschaftlichen Entwicklung der Klinika zunehmend zum idealistischen Beiwerk, ist aber längst nicht mehr das identitätsstiftende Element der modernen Klinika [5].

Moderne Klinika degenerieren zu unpersönlichen Fließbandbetrieben

Damit degenerieren die modernen Klinika zu unpersönlichen Fließbandbetrieben, zu Reparaturfabriken ohne Seele. Ohne Seele deswegen, weil diese Kliniken sich für den Menschen als Menschen im Grunde nicht interessieren. Wenn die Medizin als Disziplin der Hilfe für in Not geratene Menschen und damit als Ort des Vertrauens überleben will, so ist sie gut beraten, sich auf ihre Kernkompetenzen zurückzubesinnen. Die zentrale Befähigung des Arztes besteht darin, ein verstehender und einfühlender Helfer für in Not geratene Menschen zu sein. Dies war früher so und ist auch heute noch so. Im Mittelpunkt einer solchen Kernkompetenz darf daher nicht die Technik alleine stehen und erst recht nicht die Profitabilität des Klinikums, sondern im Mittelpunkt muss das Ziel stehen, einen Dienst am Mitmenschen zu vollbringen. Für dieses Ziel braucht der Arzt nicht nur Wissen und Fertigkeiten, sondern er braucht durch alle diese Qualifikationen hindurch eine moralische Grundhaltung, die in jedem Menschen, mag er noch so krank, noch so klein, noch so unheilbar sein, eine einzigartige und unschätzbare Person erblickt, die selbst dann, wenn sie von allen anderen verlassen worden ist, mit Recht darauf vertrauen darf, zumindest in ihrem Arzt einen verstehendes und helfendes Gegenüber zu finden.

Wenn die moderne Medizin diese vertrauensvolle Helfer-Person Arzt immer weiter durch einen sachlichen Dienstleister in einem Gesundheitsmarkt ersetzt, wird sie zwar dem gesunden Dienstleistungsverbraucher mehr Freiheit schenken, aber um den Preis, dass diese Konsumenten nicht mehr wissen werden, ob sie sich auch in kranken und schweren Tagen einem solchen „Dienstleisterarzt“ blind anvertrauen können. Daher erscheint die Doppelrolle des modernen Arztes, einerseits Dienstleistungsanbieter und -verkäufer und andererseits Helfer für in Not geratene Menschen zu sein, kaum in einer Person vereinbar. Da der Dienstleisterarzt für Gesunde sehr viel lukrativere Geschäfte wird machen können – allein weil das Klientel der Gesunden größer ist als das Kollektiv der Kranken – ist zu befürchten, dass im Zuge einer fortschreitenden Ökonomisierung der Medizin die Helferperson Arzt sukzessive verdrängt werden wird. Als Grundform der menschlichen Praxis bleibt die Zuwendung eines ärztlichen Helfers ein Bestandteil der gesamten Gesellschaft, auf den kein vernünftiger Mensch zu verzichten bereit sein dürfte. Daher wäre die Ablösung einer solchen sittlichen Helferperson durch einen dem Gesundheitskult dienenden wunscherfüllenden Dienstleister für die gesamte Gesellschaft ein nicht ersetzbarer Verlust.

7 Fazit für die Praxis

Die moderne marktorientierte Medizin läuft Gefahr, ihre angewiesenen kranken Menschen unter Verweis auf deren Autonomie am Ende in ihrer Bedürftigkeit im Stich zu lassen. Daher wird sie darüber nachdenken müssen, wie sie auch in Zeiten der Ökonomisierung und Entpersonalisierung den Arzt als sittliche Helferperson, die sich dem Patienten im wahren Sinne zuwendet, bewahrt.