Die Versorgung von kranken Menschen ist einem permanenten Wandel unterworfen. Besonders deutlich ist dies auf dem Gebiet der Krebserkrankungen erkennbar: Während vor 100 Jahren Patienten, die an einem Hodgkin-Lymphom oder einer akuten Leukämie erkrankten, fast ausnahmslos an den Folgen der Erkrankung starben, sind durch die Fortschritte in der Diagnostik, der antineoplastischen Therapie und der Supportivtherapie heute Heilungsraten beim Hodgkin-Lymphom bis zu 90%, bei akuten Leukämien zwischen 50 und 90% zu verzeichnen. Insgesamt lässt sich mit modernen Diagnose- und Therapieverfahren jede zweite Krebserkrankung heilen. Dies sind doppelt so viele wie vor 50 Jahren.

Viele dieser Behandlungsergebnisse wurden durch kontinuierliche kleine Fortschritte erzielt. Diese waren und sind den systematischen Untersuchungen zur Verbesserung von Diagnose (insbesondere Frühdiagnose) und Therapie zu verdanken, wie sie besonders in der pädiatrischen Onkologie, aber in den letzten Jahren ebenso in der Erwachsenenonkologie durch Therapieoptimierungsstudien erzielt wurden.

Solche Therapieoptimierungsuntersuchungen wurden an einem ausgewählten, vermeintlich repräsentativen Patientenkollektiv durchgeführt. Für die Kinderonkologie kann aufgrund der Patientenzahlen und der frühen Konzentration der Behandlungsstätten und der Disziplin der pädiatrischen Kollegen bei dem einmal festgelegten Versorgungsplan von repräsentativen Ergebnissen ausgegangen werden. Dies gilt in nur geringem Maß für die Erwachsenenonkologie und z. B. in keiner Weise für die geriatrische Onkologie. Deshalb ist es erforderlich, statt einer Extrapolation der Ergebnisse klinischer Studien auf das gesamte Patientenkollektiv mit den erkennbaren Einschränkungen und den offensichtlichen Fehlbehandlungen, eine Analyse der Versorgungssituation vorzunehmen, um daraus Rückschlüsse über die Versorgungsqualität, insbesondere Unter-, Über- oder Fehlversorgungsbereiche ziehen zu können. Wenn die Versorgungsanalyse mit den Behandlungsergebnissen verbunden wird, lassen sich daraus Fragestellungen definieren, die eine Optimierung der Versorgungssituation zum Ziel haben. Dies ist Versorgungsforschung im eigentlichen Sinne. Hier geht es dann nicht nur um eine Verbesserung der Therapiestandards, sondern auch darum, dass dieser der Gesamtheit zur Verfügung steht. Damit spielt die Qualifikation des Versorgers ebenso eine Rolle wie die Bereitstellung von Ressourcen. Erst dann lässt sich beispielsweise die Frage beantworten, warum Deutschland eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt hat, aber auch Weltmeister in Krankenhausverweildauern ist und sich dies im Vergleich zu anderen Industrieländern nicht in einer höheren Lebenserwartung niederschlägt. Versorgungsforschung bedeutet also heute — neben den Studien zur Optimierung der Therapie — Analysen zur Bedarfsgerechtigkeit des Einsatzes verfügbarer Ressourcen, jeweils gemessen am Ergebnis der untersuchten Maßnahmen.

Dass dies unter den heutigen ökonomischen Rahmenbedingungen und Einschränkungen der Regulierungsbehörden ein zunehmend mühsames Unterfangen ist, sollte kein Grund dafür sein, die hohe Priorität und dringende Notwendigkeit solcher Forschungsrichtungen zu negieren. Auch wenn bei der wissenschaftlichen Behandlung dieser Thematik nicht selten resignative Grundstimmungen durchschlagen, ist es höchste Zeit, die Versorgungsforschung in Deutschland mit der Dynamik zu betreiben, wie sie in angelsächsischen Ländern in den vergangenen Jahren erkennbar ist. Letztlich kann nur so eine bedarfsgerechte Versorgungssituation und wahrscheinlich auch gerechtere Ressourcenallokation erfolgen.

Das vorliegende Schwerpunktheft, das auf der Grundlage des XI. Onkologischen Symposiums im September 2005 entstanden ist, beschäftigt sich ausführlich mit der Versorgungsforschung in der Onkologie. Neben grundsätzlichen Betrachtungen aus juristischer und gesundheitsökonomischer Sicht durch Burgard bzw. Neubauer gelingt es Schmitz und Aly in ihrem Beitrag die Aspekte der Versorgungsforschung herauszuarbeiten und die Aufgaben des ambulanten wie auch des stationären Sektors zu präzisieren. In einem weiteren Grundsatzartikel beschäftigt sich Paulus mit dem Teilaspekt der Therapieoptimierungsstudien auf dem Hintergrund der Novellierung des Arzneimittelgesetzes und der Notwendigkeit, dass zur Erlangung belastbarer Ergebnisse die Koordinierungszentren für klinische Studien und biometrische Kompetenz einen wesentlichen Beitrag leisten.

Die sich anschließenden Beiträge zum Hodgkin-Lymphom, Kolorektalkarzinom und dem Mammakarzinom durch Bredenfeld, Oechsel bzw. Sayer zeigen in unterschiedlichem Ausmaß die zunehmende Notwendigkeit, Therapieoptimierungsstudien mit Versorgungsforschungsaspekten zu versehen. Besonders am Beispiel des Mammakarzinoms lässt sich zeigen, dass über eine Veränderung der Versorgungslandschaft in Form der Brustzentren eine Therapieverbesserung erwartet werden kann, da durch eine solche Konzentration der Expertise bekanntermaßen Therapieergebnisse optimiert werden können. Erfreulich ist die Erkenntnis, dass bereits heute 40% aller Frauen mit primärem Mammakarzinom in den Brustzentren nach standardisierten Vorgaben versorgt werden. Der abschließende Beitrag von Hohenberger und Mitautoren geht an klinischen Beispielen auf die Problematik der Qualifikation des Versorgers ein. Es ist das große Verdienst der chirurgisch-onkologischen Disziplinen, schon früh darauf hingewiesen zu haben, dass ohne Qualifikation keine Qualität erzeugt werden kann. Auch dies ist, wie schon oben erwähnt, ein wichtiger Aspekt der Versorgungsforschung.

Die Grundsatzbetrachtungen und klinischen Beispiele, die in den Beiträgen des vorliegenden Schwerpunkthefts zusammengetragen worden, geben dem Leser einen guten Einblick in das, was Versorgungsforschung in der Onkologie sein sollte und was es in Deutschland zurzeit ist. Es soll als Motivation und Stimulation dienen, den überaus wichtigen Forschungszweig voranzubringen und ihm die Geltung zu verschaffen, die er aus klinisch-wissenschaftlicher Sicht ebenso verdient wie aus gesundheitsökonomischer. Letztlich kann und muss konstatiert werden, dass Versorgungsforschung mehr ist als die bisher (so erfolgreich) betriebene Therapieforschung.

K. Höffken

für die Herausgeber und Schwerpunktherausgeber