Eine große Anzahl von metabolischen Entgleisungen und Gerinnungsstörungen lassen sich direkt oder indirekt auf Tumorerkankungen zurückführen. Wenn es rasch zu derartigen Komplikationen kommt, insbesondere bei metabolischen Verschiebungen im Rahmen der Einleitung einer Tumortherapie, liegt ein onkologischer Notfall vor. Dieser kann den Tumorpatienten innerhalb kürzester Zeit vital gefährden. Zu den typischen metabolischen onkologischen Notfallsituationen gehören akute Elektrolytverschiebungen mit konsekutiven Organfunktionseinschränkungen, das Tumorlysesyndrom und Gerinnungsstörungen. Letztere tragen quantitativ wesentlich zu Morbidität und Mortalität von Tumorpatienten bei. Durch die frühzeitige Identifikation von Hochrisikopatienten—insbesondere bei kurativen Therapiekonzepten—, die standardisierte Prophylaxe und die zielgerichtete rasche Therapie von metabolischen Entgleisungen und Gerinnungsstörungen lassen sich die Erfolge der Tumortherapie wesentlich verbessern.

Tumorlysesyndrom

Das Tumorlysesyndrom ist eine akut bedrohliche Komplikation, die insbesondere zu Beginn der Behandlung von Patienten mit aggressiv wachsenden Non-Hodgkin-Lymphomen und akuten Leukämien zu befürchten ist, seltener bei anderen malignen Systemerkrankungen. Bedingt durch die Biologie rasch proliferierender Tumoren und der zunehmenden Anwendung intensiver antineoplastischer Konzepte kann es insbesondere im Rahmen der Initialbehandlung zu einem erheblichen Zellzerfall kommen. Nicht selten können Tumoren innerhalb weniger Tage zu einer kompletten Remission gebracht werden. Mitunter tritt das Tumorlysesyndrom bei Tumoren mit hoher Zellumsatzrate auch spontan auf. Der abrupte Tumorzelluntergang beinhaltet, durch die plötzliche Freisetzung von intrazellulären Bestandteilen, die Gefahr lebensbedrohlicher metabolischer Störungen. Diese Komplikation wird als „Tumorlysesyndrom“ bezeichnet [1]. Wichtigster Schrittmacher ist die Hyperurikämie, die zur Beeinträchtigung der Nierenfunktion und damit zu weiteren metabolischen Entgleisungen führen kann: Hyperkaliämie, Hyperphosphatämie, Hypokalzämie und Azidose. Es existieren keine genauen Empfehlungen für die Graduierung des Tumorlysesyndroms. Daraus folgt, dass die Inzidenz sehr unterschiedlich angegeben wird. Meist wird in der Literatur nur über besonders schwere Fälle in ungewöhnlichen klinischen Situationen berichtet [z. B. 2]. Die Inzidenz des Tumorlysesyndroms ist besonders bei Patienten mit hoch malignen Non-Hodgkin Lymphomen untersucht worden [1]. Milde Ausprägungsformen der Tumorlyse, die sog. „Labortumorlyse“, konnten in 42% der Fälle [3], klinisch relevante Tumorlysen nur in 6% nachgewiesen werden. Dabei wir die Labortumorlyse definiert als Anstieg des Serumphosphats, -kaliums, -harnstoffs oder der Harnsäure um mindestens 25% oder ein Abfall des Serumkalziums um mindestens 25% (>2 der Parameter innerhalb der ersten 4 Tage nach Therapiebeginn). Treten zusätzlich zu diesen Kriterien ein Serumkalium-Anstieg auf >6 mmol/l, Serumkreatinin auf >221 mmol/l, ein Abfall des Serumkalziums auf <1,5 mmol/l oder lebensbedrohliche Arrythmien auf spricht man nach [3] von einer klinisch manifesten Tumorlyse. Am häufigsten wird das Tumorlysesyndroms im Rahmen der Polychemotherapie von hoch malignen Non-Hodgkin-Lymphomen, insbesondere dem Burkitt-Lymphom [4, 5] und bei akuten oder chronischen Leukämien beobachtet [6]. Es kann aber auch bei soliden Tumoren auftreten (z. B. Mammakarzinom, kleinzelliges Bronchialkarzinom, Hodentumore etc.). In Fallberichten ist sogar unter Tamoxifen und Interferon eine Tumorlyse beobachtet worden, wie in Tabelle 1 nach [1] aufgeliste ist.

Tabelle 1 Auswahl einiger medikamenteninduzierter Tumorlysesyndrome (nach [1])

Pathophysiologisch bedeutsam ist, dass initial die rasche Freisetzung und der Katabolismus von Nukleinsäuren die Hyperurikämie begünstigen. Harnsäure ist in Wasser schwer löslich. In normaler Konzentration liegt sie zu 99% ionisiert vor. Hohe Konzentrationen, wie sie im Rahmen der Tumorlyse auftreten, können in den Sammelrohren und distalen Tubuli der Nieren Harnsäurekristalle bilden (Uratschlamm). Die glomeruläre Filtrationsrate nimmt ab und es kann zum akuten Nierenversagen kommen. Dieses Risiko wird noch durch die häufig bestehende Dehydration, durch Harnabflussstörungen bei tumorbedingten Obstruktionen, durch eine Vorschädigung der Nieren oder durch die Gabe von nephrotoxischen Substanzen (z. B. Aminoglykoside) erhöht. Die Hyperphosphatämie resultiert aus der Freisetzung von Phosphat aus den Tumorzellen. Wenn das Kalziumphosphat-Löslichkeitsprodukt überschritten wird (4,6 mmol/l) kommt es zur Präzipitation von Kalziumphosphat. Es resultiert eine Nephrokalzinose mit der Gefahr eines akuten Nierenversagen. Die Serumkonzentration von Kalzium sinkt im Rahmen des Kalziumphosphat-Löslichkeitsprodukts, sodass sich hypokalzämische Krämpfe, Tetanien und Herzrhythmusstörungen ausbilden können. Zusätzlich besteht eine Hyperkaliämie durch die Freisetzung von Kalium aus den untergegangenen Tumorzellen, da die intrazelluläre Kaliumkonzentration höher als die extrazelluläre ist. Die Hyperkaliämie wird durch die eingeschränkte Nierenfunktion verstärkt. Durch die Hyperkaliämie in Kombination mit der Hypokalzämie verstärkt sich die Gefahr rythmotroper Komplikationen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch den vermehrten Eiweißkatabolismus und die eingeschränkte Nierenfunktion der Serumharnstoff ansteigt. In mehreren Studien konnte eine Korrelation zwischen dem prätherapeutischen LDH-Wert (Laktatdehydrogenase) und der Entwicklung einer Azotämie nachgewiesen werden. Hierbei kann die prätherapeutische Serum-LDH auch als Parameter für die Gesamttumormasse betrachtet werden. Die komplexe Pathophysiologie des Tumorlysesyndroms ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie des Tumorlysesyndroms

Klinik und prädiktive Faktoren

Die initialen Symptome des Tumorlysesyndroms sind unspezifisch: Übelkeit, allgemeine Schwäche und Inappetenz. Im weiteren Verlauf entwickeln sich eine Dehydratation, Oligurie, Muskelschwäche, Krämpfe, und Herzrhythmusstörungen. Komplizierend kann das Tumorlysesyndrom auch mit Komplikationen wie Verbrauchskoagulopathie, einer Sepsis oder Hämolyse einhergehen. Entscheidend ist, das Risiko für das Entstehen eines Tumorlysesyndroms rechtzeitig zu erkennen und präventiv einzugreifen.

Besonders gefährdet sind Patienten

  • die einen Tumor mit hoher Proliferationsrate und hoher Therapiesensibilität (z. B. hoch maligne Lymphome, Leukämien) aufweisen;

  • mit Tumoren großer Tumorzellmasse;

  • mit vorbestehender Niereninsuffizienz bzw. vorangegangene Therapie mit nephrotoxischen Substanzen;

  • mit erhöhter LDH (>1500 U/l);

  • mit hoher Harnsäure im Serum;

  • mit starker Dehydratation;

  • vorbestehenden Herzrhytmusstörungen;

  • jungen Alters (<25 Jahre).

Hochrisikopatienten müssen intensiv überwacht werden. Hierzu gehört u. a. die Kontrolle der Serumharnsäure, -kalium, -kalzium, -kreatinin, -phosphat, -glukose und der LDH-Werte. Diese Parameter müssen ebenso wie die Gerinnungsparameter engmaschig kontrolliert werden. Eine Kontrastmittelgabe ist wegen der potenziellen zusätzlichen Nierenschädigung kontraindiziert. Bei Oligo-/Anurie muss ein postrenales Hindernis beseitigt werden. Zusätzlich sollten bei Verdacht auf ein Tumorlysesyndrom die in Tabelle 2 dargestellten Maßnahmen ergriffen werden.

Tabelle 2 Maßnahmen bei Risiken für ein Tumorlysesyndrom

Prophylaxe und Therapie

Ähnlich wie beim Hyperkalzämiesyndrom ist auch beim Tumorlysesyndrom die Flüssigkeitssubstitution für die Prophylaxe und Therapie des Tumorlysesyndroms die entscheidende Maßnahme. Grob orientierend lässt sich festhalten: soviel Flüssigkeit wie kardiopulmonal vertretbar. Lediglich bei Zeichen der Überwässerung (ZVD-Messung!) sollte die Diurese mit Furosemid forciert werden. Die intravenöse Hydratation sollte vorzugsweise mit einer isotonen oder Halbelektrolytlösung erfolgen. Darüber hinaus sollte sofort mit der Gabe von Allopurinol begonnen werden (300–600 mg täglich p.o. oder i.v.). Bei Niereninsuffizienz ist die Dosis anzupassen. Seit 1999 ist die intravenöse Form von Allopurinol in den USA kommerziell erhältlich [7]. Bei der Gabe von Allopurinol ist auf Interaktionen mit einer großen Zahl von Medikamenten wie Mercaptopurin, 6-Thioguanin und Azathioprin zu achten. Die Gabe von Urikosurika oder Medikamenten, die die Harnsäurereabsorption hemmen, ist kontraindiziert (z. B. Aspirin, Probenecid, Thiaziddiuretika). Unklar ist, ob die Harnalkalisierung (p.o. oder i.v.) zur Prävention der Präzipitation von Harnsäurekristallen in den Nierentubuli beitragen kann, da sie die Kalziumphosphat-Präzipitation verstärkt. Überdies bewirkt eine systemische Alkalose eine vermehrte Bindung von Kalzium an Proteine, sodass das ionisierte Kalzium weiter reduziert wird. Ferner wird durch eine Alkalisierung die unter Allopurinol mögliche Xanthin-Präzipitation nicht verhindert. Bei manifester Harnsäureerhöhung wird die Durchführung der Harnalkalisierung jedoch in der Regel empfohlen. Ein mehrfach tägliches Monitoring des Urin-pH-Werts mittels handelsüblicher Teststreifen hat sich bewährt. Eine effektives Medikament, erhöhte Harnsäurespiegel zu senken, ist Uratoxidase. Mit der Verfügbarkeit von Uratoxidase in rekombinater Form ist das therapeutische Arsenal sowohl für die Prävention als auch für die Behandlung der Hyperurikämie wesentlich erweitert worden. Die Uratoxidase (Rasburicase) wurde in den USA unter den Handelsnahmen Elitek/Fasturtec von der FDA zugelassen [8] (Fa. Sanofi-Synthelabo). Die Uratoxidase ist ein bei allen Primaten (außer dem Menschen) vorkommendes proteolytisches Enzym, das Harnsäure zu Allantoin abbaut. Daher bekommen nur Menschen Gicht. Allantoin ist weitaus löslicher als Harnsäure und kann durch die Nieren gut ausgeschieden werden. Die Verträglichkeit der Substanz ist gut, abgesehen von seltenen allergischen Reaktionen. Die unterschiedlichen Angriffspunkte von Allopurinol und Rasburicase sind in Abb. 2 dargestellt. In randomisierten Untersuchungen konnte die Überlegenheit von Rasburicase gegenüber Allopurinol dargestellt werden [8].

Abb. 2
figure 2

Angriffspunkte von Allopurinol und Uratoxidase (Rasburicase)

Soweit es der klinische Zustand erlaubt, sollte die zytotoxische Therapie erst beginnen, wenn eine ausreichende Diurese eingesetzt hat und der metabolische Zustand ausgeglichen ist. In vielen Therapieprotokollen wird daher eine milde Vorphasentherapie vorgeschaltet, um die Inzidenz einer klinisch relevanten Tumorlyse zu verringern. Bei einem manifesten Tumorlysesyndrom erfolgt die Verlegung des Patienten auf eine Intensivstation mit Monitorüberwachung. Ist das Tumorlysesyndrom nicht rasch beherrschbar, sollte frühzeitig eine Hämodialyse erwogen werden. Diese kann anders als bei anderen Formen der Niereninsufizienz u. U. schon bei einem Kreatininwert von 3–4 mg% erforderlich sein, wenn sich die Nierenfunktionseinschränkung rasch entwickelt hat („prophylaktische Dialyse“).

Die pharmakoökonomische Bedeutung des Tumorlysesyndroms wurde kürzlich in einer Übersichtsarbeit von Farber untersucht [9]. Als Kernbotschaft wurde festgehalten, dass auch aus ökonomischer Hinsicht die Prophylaxe des Tumorlysesyndroms mittels Hydratation, Allopurinolgabe und Alkalisierung die günstigsten ökonomischen Resultate erzielt. Die mittleren totalen Kosten für die Behandlung einer metabolischen Entgleisung im Rahmen eines Tumorlysesyndroms wurden danach mit 925–10.773$ beziffert.

Hyperkalzämie

Tumorassoziierte Hyperkalzämien treten bei bis zu 30% der Patienten mit metastasierten Bronchial-, Nierenzell-, Prostata- oder Mammakarzinomen sowie Plasmozytomen auf [10]. Die Hyperkalzämie ist damit die häufigste lebensbedrohliche metabolische Entgleisung bei onkologischen Patienten. Zwei Pathomechanismen zur Erklärung der tumorinduzierten Hyperkalzämie scheinen besonders bedeutsam zu sein:

  • Hyperkalzämie infolge einer extensiven lokalen Osteolyse durch Tumorzellen;

  • Hyperkalzämie ausgelöst durch humorale Faktoren, die den Kalziumstoffwechsel beeinflussen.

Prinzipiell können Hyperkalzämien bei allen malignen Erkrankungen auftreten. Meist sind sie Ausdruck einer fortgeschrittenen Systemerkrankung. Am häufigsten tritt sie beim Plasmozytom, beim Mammakarzinom und beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom auf (zusammen über 50% aller tumorinduzierten Hyperkalzämien). Die tumorinduzierte Hyperkalzämie ist nicht zwingend an eine Skelettmetastasierung gebunden und korreliert auch nicht mit deren Ausmaß. Der bedeutendste Mediator der tumorinduzierten Hyperkalzämie ist das Parathormonähnliche Peptid (PTHrP). Die Osteoklasten und konsekutiv die Kalziumfreisetzung können zusätzlich durch Zytokine oder Proteasen stimuliert werden, die zum einen von den Tumorzellen gebildet werden, zum anderen aus der Interaktion mit Makrophagen oder Lymphozyten resultieren. Zytokinwirkungen sind die Grundlage weiterer tumorbiologischer Phänomene. 1938 wurde erstmalig bei einem Patienten mit Nierenzellkarzinom und Hyperkalzämie bei einer solitären Knochenmetastase die ektope Produktion eines PTH-ähnlichen Hormons postulierte [11]. Erst knapp 50 Jahre später gelang es, das parathyroid hormone-related protein (PTHrP) zu isolieren und zu charakterisieren. Inzwischen hat sich gezeigt, dass diesem Protein, das in geringen Konzentrationen auch physiologischerweise in normalen Geweben vorkommt, eine zentrale Rolle bei der tumorinduzierten Hyperkalzämie zukommt [12]. Erhöhte PTHrP-Plasmaspiegel finden sich bei 80% der Patienten mit soliden Tumoren und Hyperkalzämie.

Aus klinischer Sicht lassen sich 3 Typen tumorinduzierter Hyperkalzämien unterscheiden, wobei im Einzelfall Überschneidungen vorkommen [13].

  • Humorale Hyperkalzämie

  • Hyperkalzämie durch lokal ausgedehnte ossare Metastasierung

  • Hyperkalzämie beim Plasmozytom

Therapie

Die Therapie der Hyperkalzämie beinhaltet 3 vordringliche Maßnahmen:

  • Steigerung der Urinkalziumausscheidung,

  • Hemmmung der Knochenresorption,

  • Reduktion der enteralen Kalziumresorption.

Die wichtigste Maßnahme in der Akutbehandlung der Hyperkalzämie ist die Hydratation; in der Langzeittherapie die effektive Tumortherapie. Die Behandlung sollte dem Schweregrad der Hyperkalzämie angepasst werden und beginnt mit sofortiger hochvolumiger Bewässerung. Infolge der Hypovolämie ist die glomeruläre Filtration eingeschränkt. Die Hydratation dient sowohl dem Ausgleich des Volumendefizits, als auch der Kalziumreabsorption in den Nieren. Es sollte eine physiologische Kochsalzlösung verwandt werden, außer bei Hypernatriämie. Dann empfiehlt sich eine hypotone Infusionslösung. Bei unzureichender Diurese empfiehlt sich ein Schleifendiuretikum.

Bisphosphonate

Bis vor 15 Jahren bestand die weitere Therapie der Hyperkalzämie aus der Gabe von Substanzen wie Mithramycin, Kalzitonin, Glukokortikoiden oder Phosphat. Zu Beginn der 90er Jahre wurden die Bisphosphonate in die Behandlung der Hyperkalzämie eingeführt, verbunden mit einer deutlichen Verbesserung der Tolerabilität und Effektivität der Therapie bei über 95% der Patienten [14]. Die Bisphosphonate senken effektiv den Kalziumspiegel, da sie die Osteoklasten unabhängig von dem zugrunde liegenden pathophysiologischen Aktivierungsweg hemmen. Die Wirkung der Bisphosphonate beruht auf der ausgeprägten Hemmung der Osteoklastentätigkeit und damit der Knochenresorption. Bisphosphonate sind Pyrophosphate, die ein C-Atom anstelle des O2-Moleküls aufweisen, mit hoher Affinität zu Kationen wie z. B. Kalzium und Magnesium. Sie hemmen die Aggregation von Kalziumkristallen und verhindern die Auflösung von Hydroxyapatitkristallen. Darüber hinaus werden Osteoklasten sowie deren Vorläuferzellen gehemmt und die Chemotaxis der Osteoklasten auf dem Weg zu aktiven Knochenresorptionszonen beeinträchtigt. In Tabelle 3 werden die zugelassenen onkologischen Einsatzgebiete der Bisphosphonate mit Markierung der onkologischen Notfallindikationen dargestellt . Einen Überblick über die relative biologische Potenz, den Applikationsweg und die Nebenwirkungen der im deutschsprachigen Raum eingesetzten Bisphosphonate gibt Tabelle 4, jeweils nach [14].

Tabelle 3 Zugelassene onkologische Einsatzgebiete der Bisphosphonate in Deutschland nach [14]
Tabelle 4 Relative Potenz, Applikationsform und Nebenwirkungen der im deutschsprachigen Raum eingesetzten Bisphosphonate nach [14]

Hyponatriämie

Die Hyponatriämie ist bei Tumorpatienten ein häufiges Phänomen. Unbehandelt kommt es zu schweren neurologischen Ausfällen. Das Syndom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH-Syndrom) ist bei Tumorpatienten die häufigste Ursache der Hyponatriämie. Für die Diagnose eines SIADH-Syndroms müssen neben der Hyponatriämie folgende Kriterien zutreffen:

  • Hyposmolarität (gewöhnlich <280 mOsm/kg),

  • Urinosmolarität höher als Plasmaosmolarität (500 mosm/kg oder höher),

  • Urinnatriumausscheidung ohne Diuretika >20 mmol/l innerhalb 24 h,

  • klinisch Euvolämie,

  • normale Nieren-, Nebennieren- und Schilddrüsenfunktion.

Das SIADH-Syndrom ist nicht nur mit neoplastischen Erkrankungen assoziiert, sondern auch mit einer Reihe von neurologischen und pulmonalen Erkrankungen sowie mit verschiedenen Medikamenten (z. B. Enzephalitis, Schädeltrauma, Hirntumoren, zerebrale Thrombose oder Blutung, Pneumonien, Tuberkulose, Beatmung, Asthma, Aspergillose, Vincristin, Cyclophosphamid, Carbamazepin, Opiate, Nikotin etc.). Untersuchungen an größeren Patientenzahlen gibt es beim kleinzelligen Bronchialkarzinom mit Inzidenzangaben von 15%, bei nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomen (0,7%) und bei den Kopf-Hals-Tumoren (Inzidenz 3%). Neurologische Funktionsstörungen stehen im Vordergrund der klinischen Symptomatik. Die Schwere der Symptomatik korreliert mit dem Ausmaß der Hyponatriämie. Relevant sind Natriumwerte unter 130 mmol/l, und eine klinische Symptomatik findet sich häufig bei Werten unter 120 mmol/l.

Therapie

Grundsätzlich gilt, dass die Dynamik, mit der sich die Hyponatriämie ausgebildet hat, auch die Geschwindigkeit bestimmt, mit der das Defizit ausgeglichen werden kann. Beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion ist die Wasserrestriktion eine der grundlegenden Maßnahmen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit einem Serumnatrium von 110 mmol/l oder weniger eine Ausgleichsrate von 0,5 mmol/l/h (bis 120 mmol/l) ohne Komplikationen toleriert wurde, während bei rascherem Anstieg des Serumnatriums gehäuft neurologische Komplikationen auftraten [15]. Bei chronischer Hyponatriämie sollten in den ersten 24 h nicht mehr als 10 mmol/l und in den ersten 48 h nicht mehr als 18 mmol/l ausgeglichen werden. Bei akuter Hyponatriämie können diese Richtwerte in den ersten Stunden überschritten werden. Ayus et al. haben anhand 7 Patienten gezeigt, dass bei einer akuten Hyponatriämie eine Korrektur von Werten um 100 mmol/l auf Werte um 130 mmol/l innerhalb von 13 h in allen Fällen die dramatische neurologische Symptomatik rasch besserte und keine Folgeschäden zurückblieben. Die Therapie einer schweren Hyponatriämie sollte initial auf der Intensivstation durchgeführt werden. Ist eine Tumorerkrankung die Ursache für das SIADH, ist eine effektive Tumortherapie die wirksamste Maßnahme zur Korrektur der Hyponatriämie. Dies wurde bereits 1986 von Hansen und Pedersen bei Patienten mit kleinzelligen Bronchialkarzinomen gezeigt [16]. Patienten mit therapierefraktären Tumoren und unwirksamer Wasserrestriktion erhalten Kochsalztabletten und Furosemid oder einen ADH-Antagonisten. In der Klinik verfügbare ADH-Antagonisten sind Lithium oder Demeclocyclin [17]. Diese Substanzen vermindern die ADH-Sensitivität an den Tubuli und führen so zu einer vermehrten Diurese. Die empfohlene initiale Dosis von Demeclocyclin beträgt täglich 600 mg p.o. verteilt auf 2–3 Gaben. Cave bei höheren Dosen: Nephrotoxizität.

Gerinnungsstörungen

Während leichte Blutungen wie Hämatome, Petechien oder Schleimhautblutungen bei Tumorpatienten häufig sind, werden schwerwiegende Blutungskomplikationen selten beobachtet. Gravierende hämorrhagische Komplikationen bei Patienten mit soliden Tumoren können neben der Thrombozytopenie durch eine Vielzahl unterschiedlicher Störungen verursacht werden (Tabelle 5). Gerinnungsstörungen sind nach Infektionen die zweithäufigste Todesursache von Patienten mit malignen Erkrankungen.

Tabelle 5 Ursachen hämorrhagischer Komplikationen bei Patienten mit malignen Erkrankungen in abnehmender Häufigkeit nach [19]

Thromboembolische Komplikationen

Thromboembolische Komplikationen sind bei Tumorpatienten erheblich häufiger als Blutungen. Bei Autopsien werden bei bis zu 50% der Patienten Thrombosen gefunden [18]. Bei operativen Eingriffen aufgrund von Karzinomen des Gastrointestinaltrakts kommt es postoperativ bei bis zu 40% der Patienten zu Thromboembolien. Aber auch bei anderen Tumorerkrankungen sind Gerinnungsstörungen häufig (Tabelle 6). Die Ursachen der Thrombophilie sind multifaktoriell [19]. Es kommt sowohl zur Gerinnungsaktivierung durch den Tumor selbst als auch im Rahmen der Abwehrreaktion des Wirts gegen den Tumor. Darüber hinaus können Gefäßirritation, Veränderungen der Blutviskosität sowie Immobilisation des Patienten zur Thromboseneigung von Tumorpatienten beitragen. Aggraviert wird das Risiko thromboembolischer Komplikationen durch Operationen, Chemotherapie, ausgedehnte Radiatio und venöse Verweilkatheter, u. U. auch durch Einsatz von Wachstumsfaktoren [20].

Tabelle 6 Häufigkeit thromboembolischer Komplikationen und Verbrauchskoagulopathie unter Zytostatikatherapie nach [19]

Therapie

Die Therapie thromboembolischer Komplikationen beim Tumorpatienten unterscheidet sich nicht prinzipiell von der Thrombosebehandlung beim Patienten ohne maligne Grunderkrankung.

Gewichtsadaptiertes niedermolekulares (LMW) Heparin ist heute „Standard“ in der Therapie der akuten Phlebothrombose, üblicherweise gefolgt von oraler Antikoagulanzientherapie. Die Dauer der Behandlung wird kontrovers diskutiert. Bei Patienten mit Blutungsgefährdung ist eine Dauertherapie mit niedermolekularem Heparin der oralen Antikoagulanzientherapie vorzuziehen, zumal die Osteoporosegefährdung unter LMW-Heparin geringer ist als unter unfraktioniertem Heparin.

Thrombosen, Lungenembolie

Thrombophlebitiden und Phlebothrombosen treten bei Tumorpatienten zwar gehäuft auf, stellen aber eher selten eine wirkliche Notfallsituation dar. Problematisch ist allerdings, dass Phlebothrombosen bei Tumorpatienten nur in maximal 11% der Patienten klinisch erkannt werden, jedoch in bis zu 50% des Sektionsgutes nachgewiesen werden. Die Diskrepanz zeigt, dass Thrombosesymptome beim Tumorpatienten häufig entweder gar nicht wahrgenommen werden oder z. B. als tumorinduzierte Veränderungen missinterpretiert werden. Erschwerend bei der Diagnosestellung thromboembolischer Komplikationen beim Tumorpatienten kommt hinzu, dass gehäuft atypische Thrombosen auftreten, wie z. B.:

  • Thrombophlebitis migrans/saltans,

  • nichtbakterielle thrombotische Endokarditis,

  • arterielle und zerebrale mikrovaskuläreThrombosen,

  • Lebervenen-, Portal- und Mesenterialvenenthrombosen,

  • rezidivierende thromboembolische Komplikationen unter oraler Antikoagulanzientherapie.

Thrombosen beim Tumorpatienten sind i. Allg. dann besonders problematisch, wenn sie direkt tumorinduziert sind. Ein Einwachsen des Tumors ins Gefäß mit nachfolgendem Gefäßverschluss und Thrombosierung wird insbesondere beim Wilms-Tumor beobachtet. Große Lymphompakete im Becken oder Thoraxbereich können zu Gefäßkompression von außen und damit z. B. zur Thrombose der V. cava führen. Besonders gefürchtet ist in diesem Zusammenhang das V. cava-superior-Syndrom, das meist durch Lymphome, die im Bereich des oberen Mediastinums zur Kompression der V. cava superior führen, ausgelöst wird. Klinisch imponiert dabei eine obere Einflussstauung bzw. Ödem und Zyanose der oberen Körperhälfte.

Therapie

Im Fall einer oberen Einflussstauung ist die erfolgreiche Therapie des Grundleidens—entweder in Form von Radiatio oder einer spezifischen Chemotherapie—conditio sine qua non zur Behandlung der Thrombose. Prinzipiell ist auch Implantation eines V. cava-Stents zur sofortigen Eröffnung des Gefäßes mit anschließender gerinnungshemmender Therapie möglich. Im übrigen unterscheidet sich die Therapie thromboembolischer Komplikationen nicht von der bei nichtmalignen Erkrankungen [21]. Thromboembolische Komplikationen können in jeder Phase eines Tumorleidens auftreten und sind nicht selten sogar erster Hinweis auf eine maligne Grunderkrankung. Bis zu 15% der Patienten mit „spontaner“ Lungenembolie oder Phlebothrombose leiden an einer Tumorerkrankung, die bis dahin nicht diagnostiziert wurde [22].

Thrombozytopenie/-pathie

Schwere Thrombozytopenie mit Thrombozytenzahlen unter 10.000/μl ist häufigste Blutungsursache von Patienten mit soliden Tumoren und hämatologischen Systemerkrankungen. Ursache der Thrombopenie ist meist eine Bildungsstörung infolge Knochenmarkmetastasierung mit Verdrängung der hämatopoetischen Zellen oder häufiger ein „leeres Mark“ nach Chemo- und/oder Radiotherapie. Darüber hinaus werden beim Tumorpatienten Umsatzstörungen von Thrombozyten mit gesteigertem Abbau beschrieben: Neben Hypersplenismus müssen in diesem Zusammenhang Immunthrombozytopenien erwähnt werden, die insbesondere bei Patienten mit malignen Lymphomen beobachtet werden, aber auch bei Patienten mit soliden Tumoren auftreten [27]. Neben Bildungs- und Umsatzstörungen können erworbene Thrombozytopathien zur Blutungsneigung von Tumorpatienten beitragen. Thrombozytenfunktionsstörungen können darüber hinaus durch Paraproteine hervorgerufen werden. 15% der Patienten mit IgG-Myelom, 40% der Patienten mit IgA-Myelom und 60% der Patienten mit Morbus Waldenström erfahren Blutungskomplikationen.

Therapie

Die Indikation zur Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist in der Palliation zurückhaltend zu stellen und abhängig von Thrombozytenzahl, -funktion, Blutungsneigung und Grunderkrankung. Selten ist die Thrombozytensubstitution bei Thrombozytenwerten über 10.000/μl erforderlich. Abhängig von der Prognose des Patienten und der zu erwartenden Thrombozytopeniephase können Einzelspender-Konzentrate sinnvoll sein, um das Risiko der Immunisierung zu vermindern. Bei Auftreten schwerer thrombozytopener Blutungen kann die sofortige Gabe von Thrombozytenkonzentraten mit Zielwerten von 50.000 Thrombozyten/μl lebensrettend sein. Zu beachten ist jedoch, dass die Ursache von Blutungskomplikationen, auch wenn eine schwere Thrombozytopenie vorliegt, häufig multifaktoriell ist. Begleitende Störungen der plasmatischen Gerinnung müssen auf jeden Fall mitbehandelt werden. Bei Vorliegen von Paraproteinen kann darüber hinaus eine Elimination mittels Plasmapherese versucht werden.

Störungen der plasmatischen Gerinnung

Störungen der plasmatischen Gerinnung als Ursache von Blutungen werden beim Tumorpatienten sowohl infolge Lebermetastasierung als auch bei alimentärem Vitamin-K-Mangel beobachtet. Klinisch sind Einblutungen in Haut und Muskulatur typisch. Ein Anheben des Gerinnungspotenzials durch Gabe von FFP ist allerdings schwierig

Therapie

Bei Vitamin-K-Mangel kann Vitamin K oral, oder—bei gestörtem enterohepatischem Kreislauf—intravenös verabreicht werden. Bei bereits bestehenden Blutungen darf die Vitamin-K-Gabe niemals als Monotherapie erfolgen, sondern immer in Kombination mit PPSB. Blutungen infolge verminderter Leberproteinsyntheseleistung erfordern das Anheben aller in der Leber produzierten Gerinnungsfaktoren. Dies kann nur durch Substitution von FFP gewährleistet werden.

Verbrauchskoagulopathie (DIC)

Die chronische, kompensierte Form der Verbrauchskoagulopathie bzw. DIC (disseminated intravascular coagulation) ist bei nahezu allen Formen fortgeschrittener Tumorleiden zu verzeichnen. Der laborchemische Nachweis erfolgt durch Messung von Gerinnungsaktivierungsparametern wie:

  • Fibrinmonomeren (FM),

  • Fibrinabbauprodukten (FDP),

  • Thrombin-Antithrombin-Komplexen (TAT),

  • D-Dimer.

Die fulminante DIC ist durch gleichzeitiges Auftreten von Mikrothrombosen und schweren Blutungskomplikationen charakterisiert. Das klinische Bild der fulminanten DIC äußert sich in Multiorganversagen und dem Vorliegen schwerer Blutungskomplikationen.

Therapie

Alle Therapiemaßnahmen, die nicht antineoplastisch sind, sind umstritten. Heparingabe ist in prophylaktischer Dosierung indiziert, solange es nicht zum Auftreten von Blutungskomplikationen kommt.

Morbus Moschcowitz—thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)

Unter Morbus Moschcowitz bzw. TTP versteht man das Zusammentreffen von Thrombopenie, Hämolyse und neurologischen Veränderungen. Wenn zusätzlich ein Nierenversagen vorliegt, spricht man von hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS). Der Nachweis von Fragmentozyten im peripheren Blut sichert die Diagnose (Ausnahme: Patienten mit Zustand nach Herzklappenersatz). Das Krankheitsbild tritt besonders bei Adenokarzinomen des Gastrointestinaltrakts, der Bronchien und der Mamma auf. Darüberhinaus wurde es insbesondere nach zytostatischer Therapie mit Mitomycin C, aber auch nach Gabe von Cisplatin, Bleomycin, Vincaalkaloiden, Gemcitabine oder hoch dosierter a-Interferon-Therapie beobachtet.

Therapie

Kausale Therapien für TTP oder HUS sind—außer der Behandlung der Grunderkrankung—nicht bekannt. Ein Therapieansatz zur Behandlung des HUS ist die Protein-A-Immunoadsorption, die an spezialisierten Zentren durchgeführt werden kann [29].

Fazit für die Praxis

Ausgedehnte systemische Tumorerkrankung und deren Therapie können Auslöser metabolischer Störungen bei onkologischen Patienten sein. Tumorbedingte Stoffwechselentgleisungen resultieren aus der Freisetzung verschiedener Tumorzerfallsprodukte, mit konsekutiven metabolischen Wirkungen. Die häufigsten metabolischen Störungen sind die Hyperkalzämie, das Tumorlysesyndrom, Hyponatriämie und Hypoglykämie. Es lassen sich Hochrisikokonstellationen für metabolische Syndrome identifizieren, bei deren Vorliegen Notfallmaßnahmen ergriffen werden sollten. Die Therapie metabolischer Störungen bei Tumorpatienten ist integraler Bestandteil der internistischen Tumortherapie. Bisphosphonate stellen eine inzwischen etablierte Substanzgruppe zur Behandlung der tumorbedingten Hyperkalzämie und Rasburicase der tumorbedingten Hyperurikämie dar. Primär tumorinduzierte Hämostasestörungen können durch therapeutische Maßnahmen aggraviert werden. So verstärkt z. B. eine Hormonbehandlung und/oder Chemotherapie die Thromboseneigung beim Mammakarzinom, oder es wird eine bereits bestehende tumorbedingte Thrombopenie durch Zytopenie nach Chemotherapie weiter verschlimmert. Andererseits gelingt es i. Allg. ohne (erfolgreiche) Therapie der Grunderkrankung nicht, tumorbedingte metabolische Störungen auf Dauer zu kontrollieren.