Sie werden es bemerkt haben: Der Titel meines Vortrages ist meinem Vorredner abgeborgt.Footnote 1 Inhaltlich erwartet Sie aber hoffentlich kein Plagiat. Wenn ich über die Kompetenzverteilung hinter der Kompetenzverteilung spreche, dann meine ich keine Meta-Kompetenzverteilung und schon gar keine Kompetenztheorie, sondern nur die Verfassungsbestimmungen außerhalb des Bundes-Verfassungsgesetzes mit kompetenzrechtlichem Gehalt.

Trotz seiner Bodenständigkeit und Praxisrelevanz liegt mein Thema ganz am Rand, fernab des wissenschaftlichen Interesses. Der erste Grund dafür ist banal: Schon die Kompetenzverteilung des B-VG ist kompliziert genug, mit ihren vier Haupt- und ihren ungezählten Nebentypen, mit ihren drei Sonderkompetenzordnungen für die Abgaben, die Schulen und das öffentliche Auftragswesen, die die allgemeine Kompetenzverteilung ergänzen.Footnote 2 Wir haben dermaßen viel zu tun, um die Zuständigkeitsnormen der Stammurkunde einschließlich jener über die Abgaben zu begreifen und ihre Tatbestände gegeneinander abzugrenzen, dass für die Kompetenzverteilung dahinter nur mehr wenige Ressourcen übrig bleiben. Als zweiter Grund kommt hinzu, dass es sich um einen Bereich handelt, den es gar nicht geben dürfte, ginge alles so, wie wir es uns wünschen. Auch Österreich hat sich spätestens in seinem Konvent zum Einverfassungsglauben bekehrt. Nachdem aber glauben etwas anderes ist als tun, können wir aller Bekenntnisse zum Monokonstitutionalismus zum Trotz von Nebenverfassungen nach wie vor nicht lassen. Doch wir haben darob ein schlechtes Gewissen und reden nicht gerne darüber.

Wenn ich es dennoch wage, das Unthema zum Thema zu machen, dann deshalb, weil es unseren Jubilar interessieren könnte. In einem früheren Leben, in seiner Habilitationsschrift,Footnote 3 hat er sich wissenschaftlich mit der Kompetenzverteilung im Grundverkehr beschäftigt – und sich damit auf einem Feld bewegt, das teils im B-VG und teils außerhalb davon geregelt ist. In einem anderen früheren Leben hat er als Leiter des Verfassungsdienstes und als Vorsitzender der Expertengruppe Staats- und Verfassungsreform den Versuch unternommen, die Kompetenzverteilung hinter der Kompetenzverteilung abzuschaffen,Footnote 4 und auch dabei musste er sich, vielleicht eher nolens denn volens, mit ihr auseinandersetzen.

Mein Geburtstagsvortrag hat drei Teile. Er beginnt mit einer Bestandsaufnahme, die einen Überblick darüber geben will, welche kompetenzrechtlichen Normen es außerhalb des B-VG gibt. Dabei geht es nicht um ein vollständiges Inventar, sondern um den Versuch, etwas Ordnung zu schaffen auf einem Gebiet, das so entlegen ist, dass die gängigen Lehrbücher des Verfassungsrechts von ihm noch nicht einmal Notiz nehmen.Footnote 5 In einem zweiten Teil folgen sodann einige entwicklungsgeschichtliche Betrachtungen und Beobachtungen. In diesem Teil liegt das Augenmerk darauf, wie sich die Schattenkompetenzverteilung im Laufe der Jahre verändert hat und was an ihr gleichgeblieben ist. Den Schluss bilden kurze, wenn nicht kursorische Bemerkungen verfassungspolitischer Natur, die um die Frage kreisen, ob wir aus den Erfahrungen, die wir mit der Kompetenzverteilung im Schatten des B-VG gemacht haben, für eine Reform der Kompetenzverteilung etwas lernen können.

1 I. Verfassungsrecht außerhalb der Urkunde und bundesstaatliche Kompetenzverteilung: eine Bestandaufnahme

Derzeit existieren gegen hundert Verfassungsbestimmungen außerhalb des B-VG mit bundesstaatlichem, genauer: kompetenzrechtlichem Hintergrund.Footnote 6 Wer sie sichtet, sieht alsbald, dass sie sich in drei Gruppen untergliedern lassen.Footnote 7

Eine erste Gruppe bilden Regelungen, die als Verfassungsbestimmungen erlassen wurden, weil sie als einfache Bundesgesetze keine kompetenzrechtliche Grundlage hätten, denen aber ansonsten der Charakter einer Ermächtigung abgeht.Footnote 8 Man kann solche Regelungen als Kompetenzdurchbrechungen bezeichnen. Sie bleiben in weiterer Folge ausgeblendet, weil mit ihnen keine Zuständigkeiten übertragen werden und sie deshalb nicht zu jenen Regelungen gehören, die Kompetenzen in der Gesetzgebung oder in der Vollziehung zwischen Bund und Ländern verteilen. Das heißt selbstverständlich nicht, dass solche Bestimmungen keine verfassungsrechtlichen Probleme aufwerfen. Die wohl wichtigste Frage geht dahin, ob es sich bei ihnen um Einschränkungen der Zuständigkeit der Länder im Sinn des Art 44 Abs 2 B-VG handelt. Auch wenn ich mich dagegen verwehre, diese Verfassungsbestimmung als Schutzklausel für jedwede Länderautonomie zu deuten,Footnote 9 möchte ich die Zustimmungsbedürftigkeit bejahen, weil solche Durchbrechungen, wenn auch nur punktuell, dem Bund eine Verbandszuständigkeit vermitteln, über die er zuvor nicht verfügt hatte, und sie in diesem Umfang den Ländern entziehen.Footnote 10

Eine zweite Gruppe enthält Bestimmungen, die zur Rechtssetzung oder Rechtsanwendung auf einem Gebiet ermächtigten, das durch Begriffe generell abstrakt umschrieben ist. Die Angehörigen dieser Gruppe sind uns vertraut, ähneln sie doch den Kompetenztatbeständen der Verfassungsurkunde aufs Haar, nur ihr Standort ist eben ein anderer. Sie seien in weiterer Folge Kompetenztatbestände außerhalb des B-VG genannt.

Daneben existieren Vertreter einer dritten Gruppe, die ich Kompetenzdeckungsklauseln nennen will. Die Gemeinsamkeit der ihr angehörenden Bestimmungen liegt darin, dass sie das Gebiet, auf dem sie zur Gesetzgebung oder zur Vollziehung ermächtigen, nicht abstrakt durch Begriffe bezeichnen, sondern unter Rekurs auf konkrete Regelungen spezifizieren.Footnote 11 Was Inhalt der Ermächtigung ist, kann daher nicht im Wege der Deduktion gewonnen werden, sondern nur durch einen Induktionsschluss, durch eine Auslegungsoperation gleichsam von unten nach oben. Das ist in meinen Augen keine Tatbestandstechnik mehr, sondern bereits eine Sachverhaltsanknüpfung: Es ist, als würde der Strafgesetzgeber nicht das Töten verbieten, sondern näher bezeichnete konkrete Taten als Mord pönalisieren.

Innerhalb des B-VG kommt diese Technik der Umschreibung von Zuständigkeitsfeldern nicht vor. Aus den Gepflogenheiten in der Auslegung der Art 10 bis 15 B-VG ist sie uns allerdings wohlvertraut. Im Grunde handelt es sich um nichts anderes als um eine Kodifikation der Versteinerungstheorie, die unangefochten als wichtigstes Mittel zur Erfassung des Inhalts der Kompetenzbegriffe gilt.Footnote 12 Was Inhalt der verfassungsrechtlichen Ermächtigung ist, bestimmt sich hier wie dort nach einfachgesetzlichen Vorschriften. Während wir bei der Abgrenzung des einem Kompetenzbegriff zuordenbaren Versteinerungsmaterials, das bekanntlich keine Etikette hat, auf voraussetzungsvolle Operationen angewiesen sind,Footnote 13 wird bei Kompetenzdeckungsklauseln das Material, aus dem wir Schlüsse auf Inhalt, Umfang und Grenzen der erteilten Ermächtigung ziehen können, trennscharf abgegrenzt, auf Punkt und Beistrich genau bezeichnet.

1.1 A. Die Kompetenztatbestände außerhalb des B-VG

Die Kompetenztatbestände, die sich im Nebenverfassungsrecht finden, richten sich überwiegend an den Bund. Zu den ältesten Vertretern dieser Gattung zählt eine auf das Jahr 1948 zurückgehende Regelung über das Arbeitsrecht in Betrieben land und forstwirtschaftlicher Erwerbs und Wirtschaftsgenossenschaften. Sie enthält in Abs 1 einen überaus kasuistisch geratenen Tatbestand und weist in Abs 2 dem Bund die Kompetenz-Kompetenz zur Bestimmung der Beschäftigtenanzahl zu, mit der die Bundeszuständigkeit steht und fällt.Footnote 14 Ein jüngerer Vertreter, der § 2 DSG 2000,Footnote 15 vermittelt in Abs 1 dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz für „Angelegenheiten des Schutzes personenbezogener Daten im automationsunterstützten Datenverkehr“ und weist in Abs 2 die Vollziehung ebenfalls dem Bund zu, um davon für bestimmte Landesdatenanwendungen wieder eine Ausnahme zu machen, die ihrerseits eine Gegenausnahme für die Datenschutzkommission, den Datenschutzrat und die Gerichte kennt. Regelmäßig bleiben Gesetzgebung und Vollziehung jedoch in einer Hand, wenngleich es bei der Zuweisung mit der Grammatik mitunter hapert. Wenn § 1 MOG 2007Footnote 16 „die Erlassung, Änderung und Aufhebung von Vorschriften zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation“ zur Bundessache macht und zugleich erklärt, dass sie unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden können,Footnote 17 dann bedeutet das bei wörtlichem Verständnis, dass das Parlament des Bundes tätig werden darf. Gemeint ist selbstverständlich etwas anderes, nämlich die Möglichkeit, die solcherart erlassenen Vorschriften in unmittelbarer Bundesverwaltung zu vollziehen. Wieder andere Vorschriften sehen aus wie reine Vollziehungskompetenzen, obwohl sie es nicht sind. Die Bestimmung in § 24 Abs 1 KartellG 2005,Footnote 18 nach der „dieses Bundesgesetz […] auch in Angelegenheiten anzuwenden [ist], die in Gesetzgebung oder Vollziehung Landessache sind“, will nicht nur die Vollziehung absichern, sondern die nach Ausfassung der Staatspraxis insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft klaffende ZuständigkeitslückeFootnote 19 auch für die Gesetzgebung schließen.Footnote 20

Manche Bestimmungen vermitteln umgekehrt bei der Lektüre den Eindruck reiner Gesetzgebungskompetenzen, die sich um die Vollziehung nicht kümmern – so etwa Art VII B-VGNov 1974, wonach „Regelungen, durch die der Verkehr mit land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken im Interesse der Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines lebensfähigen Bauernstandes verwaltungsbehördlichen Beschränkungen unterworfen wird, […] der Landesgesetzgebung vorbehalten“ bleiben.Footnote 21 Dass das nicht alles ist, weil die Vollziehung solcher Landesgesetze ebenfalls durch die Länder erfolgen soll, soweit nicht auf Basis des Art 15 Abs 9 B-VG Zivil- oder Strafrecht erlassen wird, für das es nach Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG bei der Vollzugszuständigkeit der Gerichte verbleibt – das ist mit Händen zu greifen.Footnote 22

Kompetenztatbestände wie Art VII B-VGNov 1974, die die Länder berechtigen, sind zwar in der Minderheit, kommen aber ebenfalls des Öfteren vor.Footnote 23 Vielfach stellen sie einen Bezug zur allgemeinen Kompetenzverteilung her, indem sie anordnen, dass bestimmte Angelegenheiten einem bestimmten Tatbestand des B-VG nicht unterfallen – und sie damit in den Anwendungsbereich der Generalklausel des Art 15 Abs 1 B-VG verlagern.Footnote 24

Mit diesen Beispielen soll es auch schon sein Bewenden haben.Footnote 25 Sie zeigen, dass es keine strukturellen Unterschiede zu den Tatbeständen gibt, die sich in der Stammurkunde finden. Der Tendenz nach sind die Tatbestände allerdings noch kleinteiliger geraten, und für die Vollziehung finden sich Sonderlösungen, die bald maßgeschneidert und bald handgestrickt wirken. Ansonsten aber gilt: Die Tatbestände außerhalb der Urkunde werfen die gleichen Probleme auf wie die Tatbestände im B-VG, ihre Interpretation ist schwierig, weil der Text zwar hie und da etwas weniger dürr ist, für sich allein genommen aber nicht viel weiter führt.

Diese Gruppe an Kompetenznormen könnte ohne Probleme ins B-VG integriert werden – dort, wo sie nicht allzu kasuistisch gefasst sind, sogar ohne jeden Stilbruch. Geschehen ist das aber einzig beim grauen GrundverkehrFootnote 26 und beim Zivildienst,Footnote 27 nicht beim grünen Grundverkehr, beim Kartellrecht oder bei der Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen. Darauf wird zurückzukommen sein.

1.2 B. Kompetenzdeckungsklauseln

Fremdartiger, komplizierter, aber auch interessanter sind die Vertreter der zweiten Gruppe, die Kompetenzdeckungsklauseln. Der erste Vertreter dieser Gattung taucht im Jahr 1953 im Jugendeinstellungsgesetz auf.Footnote 28 Dort heißt es im § 1 Abs 1: „Die Erlassung und Aufhebung der Vorschriften des Abschnittes II dieses Bundesgesetzes sowie die Vollziehung dieser Vorschriften ist auch in den Belangen Bundessache, hinsichtlich derer das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 etwas anderes bestimmt.“

Der Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens dieser Rechtstechnik ist wohl kein Zufall. Ein Jahr zuvor hatte sich der VfGH für die Interpretation von Kompetenztatbeständen erstmals explizit zur Versteinerungstheorie bekannt.Footnote 29 Der Verfassungsgesetzgeber, so scheint mir, hat sich davon inspirieren lassen,Footnote 30 und Ende des Jahres 1955 setzte er die neue Technik in breitem Umfang ein. Im 71. Stück des Bundesgesetzblattes scheinen gleich neun Nummern mit Gesetzen auf, in denen mit einer solchen Klausel in Verfassungsrang operiert wird. Sie stellen eine Reaktion auf das „Auslaufen“ des Kriegsfolgentatbestandes dar, der nach offiziöser Auffassung mit dem Staatsvertrag von Wien seine Anwendbarkeit eingebüßt hatte.Footnote 31 In diesen Verfassungsbestimmungen, die gleichartig konzipiert sind, ist erstmals die Rede von „Vorschriften, wie sie“ im zu ändernden Gesetz in der Fassung „des Artikels II dieses Bundesgesetzes enthalten“ sind.Footnote 32 Die Praxis hat sich fortan daran orientiert und diese im Jugendeinstellungsgesetz noch fehlenden Wendung in den einschlägigen Formulierungen beibehalten.Footnote 33 Deswegen werden die Kompetenzdeckungsklauseln im verfassungsrechtlichen Jargon nicht selten als „Wie-Sie-Klauseln“ bezeichnet. Von 1955 bis heute sind mehr als 400 solcher Klauseln verabschiedet worden, und alsbaldFootnote 34 hat sich folgender Standardtyp herauskristallisiert:

Die Erlassung und Aufhebung von Vorschriften, wie sie in Artikel II dieses Bundesgesetzes enthalten sind, sowie die Vollziehung dieser Vorschriften ist auch in den Belangen Bundessache, hinsichtlich derer das Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 etwas anderes bestimmt. Die in diesen Vorschriften geregelten Angelegenheiten können unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden.

1.2.1 1. Typen und ihre Rechtsfolgen

So regelmäßig das Thema zu hören ist, so vielfältig sind seine Variationen.

Eine erste Unterscheidung springt sofort ins Auge. Manche Klauseln enthalten eine Befristung,Footnote 35 andere nicht.Footnote 36 Für den Inhalt der Ermächtigung soll dies offensichtlich einen Unterschied machen. Das ist freilich nur der Fall, wenn die Kompetenzgrundlage nicht bloß für die Erlassung des Gesetzes nötig ist, wenn sie auch im Zeitpunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung des Gesetzes als Bedingung seiner Verfassungskonformität noch gebraucht wird. Die Auffassungen darüber gehen bekanntlich auseinander. Dass sich im jüngeren Schrifttum die Maßgeblichkeit des Prüfungszeitpunkts durchgesetzt hat und dass das strikt entstehungszeitliche Verständnis nur mehr aus seinen Widerlegungen geläufig ist,Footnote 37 hängt zumindest unterschwellig mit der Praxis der Befristung von Kompetenzdeckungsklauseln zusammen.

Eine zweite Beobachtung: Die eingangs präsentierte Differenzierung zwischen Kompetenztatbeständen und Kompetenzdeckungsklauseln ist so trennscharf nicht. Zwar dominieren Klauseln, deren Gehalt sich in der Abdeckung des mitbeschlossenen Gesetzesrechts erschöpft. Vereinzelt begegnen aber auch Hybride, Grenzgänger zwischen den Welten, die Elemente beider Techniken kombinieren. In § 19b BerufsausbildungsgesetzFootnote 38 ist beispielsweise eine Bundeskompetenz zur Erlassung von „Vorschriften hinsichtlich der Vergabe von Beihilfen für die betriebliche Ausbildung von Lehrlingen“ grundgelegt, die allerdings durch die Beifügung „wie sie in diesem Bundesgesetz enthalten sind“ beschränkt wird. Ob diese Vorschrift eine Kompetenzabdeckungsklausel darstellt, die durch einen Tatbestand limitiert wird, oder ob man das Bild umkehren und einen Tatbestand diagnostizieren soll, der nur im Rahmen einer Korrespondenz mit abgedecktem Vorschriftenmaterial trägt, ist analytisch betrachtet nur eine Frage des Standpunkts. In der praktischen Arbeit der Auslegung solcher Tatbestände wird man freilich nicht mit der Begriffsexegese beginnen, sondern das abgedeckte Normenmaterial in den Blick nehmen und fragen, ob es innerhalb des Begriffsfeldes liegt.Footnote 39

Eine dritte Unterscheidung besteht darin, dass sich manche Klauseln darauf beschränken, den Bund zur „Erlassung und Aufhebung von Vorschriften“ zu ermächtigen,Footnote 40 während andere ihm die „Erlassung, Änderung und Aufhebung von Vorschriften“ anvertrauen.Footnote 41 Nachdem regelmäßig nicht auf nummernmäßig bestimmte Paragraphen Bezug genommen ist, sondern auf Vorschriften, „wie sie“ in einem Gesetz oder einem Gesetzesabschnitt enthalten sind, kann man auf semantischer Ebene mit guten Gründen bezweifeln, dass das eine sachliche Differenz ausmacht.Footnote 42 Die „Wie-Sie“-Relativierung scheint sich mit Familienähnlichkeit zu begnügen, und damit erscheint auch die Änderung der bezogenen Vorschriften abgedeckt, soweit ihr Endresultat mit den ursprünglich erlassenen Regelungen inhaltlich vergleichbar ist.Footnote 43

Diese Wortinterpretation muss allerdings gegenüber einem erdrückenden systematischen Befund und einem vielfach unmissverständlich deponierten Willen des Verfassungsgesetzgebers zurückstehen. Dieser nimmt in einer sich über Jahrzehnte ziehenden StaatspraxisFootnote 44 in seine Kompetenzabdeckungsklauseln die Änderung mit auf, wenn er für die Dauer ihrer Geltung auch zur Abänderung jener Vorschriften ermächtigen will, mit denen er die Kompetenzabdeckungsklausel bepackt hat, und er spart die Änderung regelmäßig aus, wenn er Novellen der einfachen Mehrheit im Nationalrat verwehren will.Footnote 45 Was dem Blick aus der Nähe auf die einzelne Klausel als unklar und verschwommen erscheint,Footnote 46 bekommt mit mehr Abstand scharfe Konturen: Je nachdem, ob eine Klausel dynamisch oder statisch konzipiert ist, ist die intrasystematische Fortentwicklung des durch sie abgedeckten Normenbestandes zulässig oder eben nicht.Footnote 47

Nicht nachweisbar sind hingegen Klauseln, die nur die Erlassung einer Stammfassung tragen und dem einfachen Bundesgesetzgeber die ersatzlose Aufhebung verwehren. Zudem ist regelmäßig auf die Aufhebung von Vorschriften Bezug genommen und nicht auf das gesamte Gesetz als legistische Einheit. Auch die Eliminierung einzelner Abschnitte, Paragraphen und Absätze bleibt daher auf Grundlage statischer Klausen möglich,Footnote 48 solange sie keine Umgehung des Änderungsverbotes darstellt.Footnote 49 Selbst gegen einen Transfer einer unverändert bleibenden Bestimmung in ein anderes Gesetz ist mE nichts einzuwenden, denn sowohl zur Aufhebung im ursprünglichen Stammgesetz als auch zur Neuerlassung vermitteln auch statische Klauseln die nötige Kompetenz.Footnote 50

Sinn und Zweck der statischen Klauseln, Abänderungen an die Zustimmung verfassungsändernder Mehrheiten im Bund zu binden, führt freilich vor dem Hintergrund der Lückenlosigkeit der Kompetenzverteilung und der Komplementarität von Bundes- und LandeskompetenzenFootnote 51 zu einer systematischen Verwerfung. Wenn dem Bund die Abänderung der von ihm erlassenen Gesetze verwehrt ist, dann kann man hieraus folgern, dass die Änderungskompetenz nach Art 15 Abs 1 B-VG Sache der Länder geblieben ist – wenn auch nur insoweit, als es um die Änderung von Bestimmungen geht, deren Erlassung nach der Generalklausel in die Zuständigkeit der Länder gefallen wäre, hätte es keine statische Abdeckungsklausel gegeben. Das aber ist offenkundig nicht intendiert. Die Aussparung der Änderungsermächtigung hat nicht den Sinn, Novellierungen den Ländern vorzubehalten, sie bezweckt vielmehr, Änderungen sowohl dem Bund als auch den Ländern zu verwehren, sie maW zu einer Weder-Noch-Kompetenz zu machen.

Wer diese Prämisse akzeptiert, sieht sich freilich zur weitergehenden – zunächst kontraintuitiven, wenngleich in der älteren Staatspraxis wohl noch gezogenenFootnote 52 – Schlussfolgerung gezwungen, dass Neufassungen statischer Kompetenzabdeckungsklauseln, die Novellierungen tragen sollen, die sich auf einem schon bislang durch den Bund okkupierten Feld bewegen, ohne dieses Feld weiter auszudehnen, keine Einschränkungen von Länderzuständigkeiten darstellen, die nach Art 44 Abs 2 B-VG der Zustimmung des Bundesrats bedürfen.Footnote 53

Ein vierter Unterschied ist legistischer Natur. Mitunter sind die Kompetenzabdeckungsklauseln Teil des zu erlassenden Gesetzes, sei als § 1Footnote 54 oder als Artikel IFootnote 55 im Verfassungsrang, auf den ein Artikel II mit den einfachgesetzlichen Bestimmungen folgt; mitunter sind sie von dem Gesetz, zu dessen Erlassung sie ermächtigen, abgetrennt.Footnote 56 Solche Vorschaltartikel sind anders als integrierte Klauseln nicht Teil des Stammgesetzes, sondern sie stehen neben ihm.Footnote 57

Befristungen und statische Fassung von Kompetenzabdeckungsklauseln verfolgen ein ähnliches Ziel: Nach Ablauf der Befristung bzw bei der ersten Novellierung ist eine verfassungsändernde parlamentarische Mehrheit nötig, um den weiteren Bestand bzw die Änderung des Gesetzes zu sichern. Die technische Umsetzung ist bei befristeten Klauseln vergleichsweise einfach: Dieselbe Klausel wird neuerlich erlassen, entweder neuerlich befristet oder unbefristet, jedenfalls aber mit einem zeitlichen Geltungsbereich, der sich an den beendeten Geltungsbereich der alten Klausel nahtlos anschließt.Footnote 58

1.2.2 2. Novellierungen von auf statische Klauseln gestützten Bundesgesetzen

Wesentlich komplexer und variantenreicher ist die Novellierung von Bundesgesetzen, die auf Basis einer statischen Klausel erlassen wurden. Für jede Änderung braucht es, wie ausgeführt, eine sie abdeckende Kompetenzgrundlage, deren Schaffung auf unterschiedlichem Wege erfolgen kann und für die sich in der Praxis verschiedene Modelle herausgebildet haben.

Ein erstes Modell kombiniert jede Novelle mit einem Vorschaltartikel, der ihr die erforderliche kompetenzielle Fundierung gibt. Ein gutes Beispiel für die damit verbundenen Vor- und Nachteile gibt das Zivildienstgesetz. Im Jahr 1974 auf Basis einer als § 1 in das Gesetz integrierten VerfassungsbestimmungFootnote 59 erlassen, wurde anfangs jede Novelle in den Art II eines Änderungsgesetzes verpackt, dessen Art I eine Verfassungsbestimmung enthielt, die auf die Vorschriften des Artikels II Bezug nahm und ihnen die erforderliche Grundlage gab. Auf diese Weise erhielt jede Novelle ihre eigene Fundamentierung, die die kompetenzrechtliche Basis der Stammfassung unangetastet ließ und die ihrerseits solange in Geltung bleiben musste, wie die Novellenbestimmungen gelten sollten. Beim änderungsanfälligen Zivildienstgesetz kamen auf diese Weise über die Jahre ein Dutzend VorschaltartikelFootnote 60 zusammen, die in dem Maße, als das Ideal der einen und einzigen Urkunde an Zuspruch gewann, als Verfassungsschotter erschienen. Im Jahr 1996 hat der Verfassungsgesetzgeber die Konsequenzen gezogen und aus der Kompetenzabdeckungsklausel einen fugitiven Kompetenztatbestand gemacht,Footnote 61 und 2005 hat er diesen Kompetenztatbestand in Art 10 Abs 1 Z 15 B-VG transferiert.Footnote 62

Nach einem zweiten Modell wird jener in das zu ändernde Gesetz integrierte Kompetenzartikel, der die Stammfassung abdeckte, im Zuge jeder Änderung sowohl ersetzt als auch adaptiert, und zwar auf eine Art und Weise, die sowohl die Stammfassung als auch sämtliche der bisher durchgeführten Novellen anführt und ihnen dadurch das nötige Fundament gibt. So werden etwa das Versorgungssicherungsgesetz 1992,Footnote 63 das Energielenkungsgesetz 1982Footnote 64 und das Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz 1982Footnote 65 seit Mitte der 1990er-Jahre auf diese Art und Weise novelliert.Footnote 66

Es gibt aber noch ein drittes Modell, das in letzter Zeit an Boden gewinnt: Jene Verfassungsbestimmung, die als § 1 oder als Art I in das Gesetz integriert ist und die auf darauffolgenden „Bestimmungen dieses Bundesgesetzes“ verweist, wird im Zuge jeder Novelle unverändert neu erlassen.Footnote 67 Ist das überflüssig, weil die neue Fassung mit der alten ohnehin identisch ist, ist sie notwendig und unproblematisch, oder verfehlt diese Technik schlicht ihr Ziel?

Dass sich neue und alte Klausel, die sich auf den Buchstaben gleichen, in einem Punkt sehr wohl unterscheiden, wird bei befristeten Klauseln wie jener im LebensmittelbewirtschaftungsgesetzFootnote 68 gut sichtbar. Die neue Klausel enthält zwar den gleichen Text, sie verfügt aber über einen anderen zeitlichen Geltungsbereich. Bei unbefristeten Klauseln ist dies im Grunde nicht anders: Der zeitliche Geltungsbereich der alte Klausel wird durch ihre Aufhebung beendet, die neue Klausel desselben Inhalts schließt sich mit dem Tag ihres Inkrafttretens nahtlos an, bis ihr in die Zukunft offener Geltungsbereich ihrerseits beendet wird, und dies wiederum durch eine inhaltsgleiche Neufassung, die die nächste Novelle begleitet.

Worauf aber, um zur entscheidenden Frage zu kommen, bezieht sich der Verweis auf die Bestimmungen „dieses Bundesgesetzes“ in solchen Klauseln? Textlich und systematisch würde man meinen, dass das Gesetz als legistische Einheit angesprochen sei, also jene mit „Bundesgesetz“ überschriebene Textmasse, die vom Parlament beschlossen wurde und unter einer bestimmten Nummer im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde. Die Konsequenzen dieser Lesart wären allerdings einigermaßen fatal: Die Ersetzung schnitte die Kompetenzgrundlage für den Altbestand ab, die neue Fassung trüge zwar die novellierten Bestimmungen, die Bestimmungen aus der Stammfassung wären mit verfassungsgerichtlicher Aufhebung bedroht.

Gemeint sein muss deshalb wohl der Kunsttext, das Bundesgesetz in seiner geltenden Fassung.Footnote 69 Eine vorbehaltslose Abdeckung des Kunsttextes scheidet aber wiederum aus, denn ansonsten wären auch künftige Novellen abgedeckt, was mit dem statischen Charakter der Klausel unvereinbar wäre. Offen ist außerdem, wie es um Novellen bestellt ist, die in verfassungswidriger Weise ohne Kompetenzabdeckungsklausel erlassen worden waren, denen aber eine weitere Novelle gefolgt ist, welche die Kompetenzabdeckungsklausel der Stammfassung in inhaltsgleicher Fassung nochmals erlässt.Footnote 70 Hat sie allen Novellen eine Basis gegeben, oder nur der allerletzten?

Wir sind hier an einem Punkt, an dem sich mit Text und Systematik nichts mehr klären und nur mehr über den mutmaßlichen Willen des Verfassungsgesetzgebers spekulieren lässt. Das dritte Modell stellt bei Lichte besehen eine Untechnik dar, die auf einem Kategorienfehler basiert, der Konfundierung von Ebene und Meta-Ebene. Aber das sind wir mittlerweile schon gewohnt. Es ist nicht das erste Mal, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt, das Rechtsinformationssystem mit dem Verfassungsgesetzgeber.Footnote 71

Eine weitere Technik kann man nicht guten Gewissens als Modell bezeichnen, aber es gibt sie deswegen doch. Nicht selten werden Gesetze, die auf statischen Kompetenzabdeckungsklauseln beruhen, ohne begleitende Verfassungsänderung novelliert. Ein schönes Beispiel gibt das Schülerbeihilfengesetz ab. Es wurde 1971 erlassen und enthält in der Stammfassung eine Klausel, wonach die Erlassung, Aufhebung und Vollziehung von Bestimmungen, wie sie in ihm enthalten sind, auch in jenen Belangen Bundessache ist, in denen § 42 ÜG 1920 etwas anderes bestimmt.Footnote 72 Nach einigen Novellen ohne begleitende VerfassungsbestimmungenFootnote 73 wurde das Gesetz 1983 wiederverlautbart – und mit ihr die Kompetenzabdeckungsklausel, die im Zuge der Wiederverlautbarung angepasst wurde und nunmehr auf den neuen Art 14a B-VG referenziert.Footnote 74 Seither hat es weitere 17 Novellen ohne Kompetenzabdeckungsklausel gegeben. Ein anderes Beispiel – diesmal indes nicht für eine kontinuierliche Praxis, sondern für eine wechselhafte Vorgangsweise – bildet das Preisgesetz, das aus dem Jahr 1992 stammt.Footnote 75 Die letzte, alle bis dahin erlassenen Novellen samt der Stammfassung abdeckende Verfassungsbestimmung hat es 1998 gegeben,Footnote 76 aber novelliert worden ist es seither weitere fünf Male.Footnote 77 Beim Preistransparenzgesetz wurde die erste Novelle auf einen vorgeschalteten Kompetenzartikel gestützt,Footnote 78 seither wird auf die begleitende Fundamentierung der Novellen verzichtet.Footnote 79

Derartige Novellierungen ohne begleitende Absicherung bedeuten nicht zwingend eine Verfassungswidrigkeit. Denn statische Kompetenzabdeckungsklauseln, die nur die Erlassung und die Aufhebung von Bestimmungen tragen, sind durchwegs so konzipiert, dass sie den Kompetenzbestimmungen des B-VG gegenüber subsidiär sind.Footnote 80 Soweit der Bundesgesetzgeber daher bei der Novellierung jenen Rahmen nicht verlässt, der ihm durch die Art 10 bis 14b B-VG gesteckt ist, steht ihm auch die Änderung der auf statische Klauseln gestützten Gesetze frei. Die Kompetenzdeckungsklauseln setzen erst dort an, wo die allgemeine Kompetenzverteilung nicht mehr trägt. Maßnahmen wie die Umstellung der Schilling- auf wertgleiche Eurobeträge, zu denen Art 10 Abs 1 Z 5 B-VG ermächtigt, brauchten daher keine spezielle verfassungsrechtliche Absicherung, und für die Schaffung von Verpflichtungen zur Meldung von Daten und Übermittlung mochte die Statistikkompetenz des Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG genügen.Footnote 81 Bei anderen Änderungen ist hingegen zweifelhaft, ob es für sie im B-VG eine tragfähige Grundlage gibt. Aber das ist schon ein anderes Thema.

Noch zum Thema zählt hingegen, ob sich aus den Formulierungen der Kompetenzabdeckungsklauseln, die ihr Verhältnis zu den Bestimmungen des B-VG unisono als Subsidiarität beschreiben, der allgemeine Grundsatz ableiten lässt, dass Kompetenzabdeckungsklauseln schlechthin gegenüber Kompetenztatbeständen, mögen sie auch außerhalb des B-VG stehen, zurücktreten. Ich tendiere dazu, diese Frage zu bejahen und auch im Verhältnis zu den Tatbeständen des Nebenverfassungsrechts, allen voran zur Datenschutzkompetenz in § 2 DSG 2000, von stillschweigender Subsidiarität der Kompetenzabdeckungsklauseln auszugehen.Footnote 82 Das Problem dürfte indes ein rein akademisches sein, weil die Annahme echter Konkurrenz zu keinen anderen Ergebnissen führt.

2 II. Entwicklungslinien

Nach diesen Querschnittsbetrachtungen will ich einige Schnitte entlang der geschichtlichen Entwicklung versuchen im Bemühen, Linien herauszupräparieren.

Eine erste Beobachtung: In der Kompetenzverteilung hinter der Kompetenzverteilung waren Abdeckungsklauseln von Anfang an weit populärer als Tatbestände. Das ist bis heute so geblieben. Es gibt keinen Trend zu generell-abstrakten Formulierungen, die ad-hoc-Lösungen haben weiterhin die Überhand.

Eine zweite Beobachtung: Der Hang, Änderungen des B-VG zu vermeiden, hält an bis in unsere Tage, in denen Nebenverfassungsrecht egal welcher Art als Beitrag zur Beförderung und Befestigung der Ruinenhaftigkeit unserer Verfassung verpönt ist. Allen Beschwörungen des Primats der Stammurkunde und der Notwendigkeit der Inkorporation des Nebenverfassungsrechts ins B-VG zum Trotz ist es nur selten gelungen, externe Kompetenznormen ins B-VG zu hieven. Die Angelegenheiten des Zivildienstes und das öffentliche Auftragswesen sind Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Es gibt gute Gründe, das als „verfassungsrechtlichen Unfug“, als „verfassungslegistische Unkultur“, als „Verfassungsunehrlichkeit“, als verhängnisvolle Tendenz zur „Durchlöcherung des Kompetenzkataloges“ zu brandmarken und zu beklagen, dass durch sie das kompetenzrechtliche Gesamtbild „komplex und in höchstem Maße inhomogen“ sei.Footnote 83 Dennoch muss man nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass der Nimbus des Provisorischen für die Länder eine symbolische Entlastung bedeutet und dass ihnen im Schatten der Urkunde das Nachgeben offenbar leichter fällt.

Dass die Länder sich bewegt haben, zeigt auch eine dritte Beobachtung: Jene Befristungen, die nach 1955 zunächst die fixe Regel waren, sind zur seltenen Ausnahme geworden. Von den derzeit in Geltung stehenden Kompetenzabdeckungsklauseln haben nur mehr drei ein Ablaufdatum oder doch ein vorherbestimmtes Ende: Die durch Art I Versorgungssicherungsgesetz verfügte Kompetenzübertragung endet mit Ablauf des Jahres 2011, Art I Lebensmittelbewirtschaftsgesetz tritt mit Ablauf des Jahres 2016 außer Kraft, und die Kompetenzübertragung in Art I SicherheitskontrollgesetzFootnote 84 ist an die Geltungsdauer des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen gekoppelt. Zudem haben sich in dem Maße, in dem die Befristungen geschwunden sind, die Fristen verlängert. Während von den 1960er-Jahre bis in die 80er-Jahre Zweijahresfristen die Regel waren,Footnote 85 sind sie in den 90er-Jahren mehr und mehr durch Vierjahreszyklen abgelöst worden, und heute finden wir neben der Vierjahresfrist im Versorgungssicherungsgesetz im Lebensmittelbewirtschaftsgesetz sogar eine Zehnjahresfrist vor. Cum grano salis kann man deshalb sagen, dass die Kompetenzdeckungsklauseln genauso zum Dauerrecht zählen wie die Kompetenztatbestände des B-VG. Es geht nicht mehr um zeitliche Provisorien, es geht fast ausschließlich um sachliche Provisorien.

Viertens fällt auf, dass in den Kompetenzabdeckungsklauseln die Möglichkeit zu Änderungen der erlassenen Vorschriften weiterhin überwiegend ausgespart bleibt.Footnote 86 Es gibt keinen Trend von statischen zu dynamischen Fassungen, bei jeder Abänderung oder Ergänzung der auf Basis statischer Klauseln erlassenen Gesetze stellt sich die Kompetenzfrage neu, und genau das macht diesen Typus für die Länder attraktiv, weil sie an der Änderung mitwirken können.Footnote 87

Diese Mitwirkung der Länder, und damit komme ich zum fünften und letzten Punkt, bleibt im Bundesrat konzentriert. Eine Zustimmung der Länder als Gebietskörperschaften, wie sie bei der Einrichtung von Bundesbehörden außerhalb der in Art 102 Abs 2 B-VG aufgezählten Angelegenheiten, bei der unmittelbaren Anfechtung erstinstanzlicher Entscheidungen in der Landesverwaltung und in der mittelbaren Bundesverwaltung vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten sowie bei den Bundesgesetzen über das öffentliche Auftragswesen der Länder gefordert ist,Footnote 88 ist durchwegs nicht nötig, die Länderinteressen werden durch den Bundesrat vertreten. Ich kann nicht verhehlen, dass ich diese Art der Ländermitwirkung im Bundesstaat präferiere.Footnote 89 Es handelt sich um eine staatsrechtliche Lösung, die auf Institutionen setzt, statt in einen vorbundesstaatlichen Zustand zurückzufallen und völkerrechtliche Instrumente zu bemühen; und es handelt sich um eine parlamentarische Lösung, die die Entscheidungen der Exekutive entzieht und sie in eine öffentlich tagende Versammlung verlagert.

3 III. Lehren für eine Kompetenzverteilungsreform

Weshalb haben sich die Kompetenzabdeckungsklauseln bis heute gehalten? Was macht sie so beliebt? Können wir aus den Erfahrungen, die wir mit ihnen gemacht haben, für eine grundlegende Reform unserer bundesstaatlichen Kompetenzverteilung etwas mitnehmen? Diese Fragen möchte ich abschließend kurz anschneiden, und meine Antworten sind dermaßen allgemein und konsensfähig gehalten, dass sie den Festcharakter dieser Veranstaltung hoffentlich nicht gefährden.

Die erste Antwort: Auch für die Schattenkompetenzverteilung gilt, was für das gesamte Nebenverfassungsrecht gilt: Jede ihrer Bestimmungen ist ein Symptom für Unzulänglichkeiten der Stammurkunde. Dass sich die Kompetenzdeckungsklauseln in der Wirtschaftslenkung, im Energiesektor und im Sozialrecht massieren, ist ein Indiz dafür, dass die Kompetenzausstattung des Bundes nach dem B-VG den praktischen Bedürfnissen nicht genügt. Diese Lektion haben wir längst gelernt,Footnote 90 wenn auch nur in der Theorie.

Eine zweite Einsicht, die wir uns im Österreich-Konvent abgerungen haben, können wir durch die Kompetenzverteilung außerhalb des B-VG und ihre Entwicklung bestätigt sehen: Es braucht mehr Flexibilität. Abdeckungsklauseln zählen zu den raren Elementen in unserem Kompetenzsystem, die Raum für politische Entscheidungen lassen, und sie sind deshalb so beliebt, weil sie die perfekte Lösung für drängende Probleme bieten, die allseitig einsetzbar ist.Footnote 91 Sie vermitteln genauso viel Kompetenz, wie es braucht; sie ersparen Streit über die generell-abstrakte Formulierung der Kompetenzgrenze, ohne Entscheidungen über den künftigen Verlauf der Grenze zu präjudizieren; sie bieten verlässliche verfassungsrechtliche Absicherung des Verabschiedeten und vermeiden so das Risiko verfassungsgerichtlicher Aufhebungen. Wir werden das störende Nebenverfassungsrecht nicht beseitigen können, ohne in das B-VG funktionale Äquivalente einzubauen – schon deshalb nicht, weil angesichts der Dynamik des Unionsrechts jede Zuständigkeitsverteilung, die Angelegenheiten starr und treffscharf zuweist, ohne für reversible Lösungen ad hoc Raum zu lassen, zum Scheitern verurteilt ist, weil sie ständig nachgeführt werden muss.

Eine dritte Lehre ist noch nicht allgemein akzeptiert, und doch müssen wir sie ziehen: Ohne ein Feld der Bundesgesetzgebung, in dem die Länder mitwirken können, wird es eine neue Kompetenzverteilung nicht geben. Der Vorschlag der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform liegt auf dieser Linie, wenn er in der „dritten Säule“, also auf dem Feld der gemeinsamen Angelegenheiten, die Erlassung von Bundesgesetzen vom Plazet des Bundesrates abhängig macht.Footnote 92 An diesem Vorschlag hat es Kritik gegeben. Die Blockademöglichkeit der Länder im Bundesrat mache den Bund erpressbar, sie führe zu geteilten Verantwortungen, die tendenziell immer nur halbe Verantwortungen seien, und sie münde in jenen Verbundföderalismus, von dem sich andere Länder wie Deutschland unter großen Kraftanstrengungen wieder gelöst haben.

Für diese Kritik habe ich viel Verständnis, und ich teile sie im Ansatz durchaus.Footnote 93 Keine Organisation ist gut beraten, ihre Prozesse so einzurichten, dass alle über alles entscheiden – auch der Bundesstaat nicht. Von organisierter VerantwortungslosigkeitFootnote 94 wären wir aber nach Realisierung des Drei-Säulen-Modells verfassungsrechtlich noch immer weit entfernt. Dass wir die Kirche im Dorf lassen sollten, zeigt der Blick zurück auf mehr als fünfzig Jahre Erfahrungen mit der Kompetenzverteilung im Schatten des B-VG. Eine dritte Säule, in der die Länder etwas zu sagen haben: in Gestalt der statischen Kompetenzabdeckungsklauseln existiert sie längst, mit höheren Quoren im Nationalrat und Bundesrat. Bislang sind wir mit ihr so schlecht nicht gefahren.